Diagnostik der ADHS bei Kindern und Jugendlichen€¦ · Diagnostik der ADHS bei Kindern und...

Post on 19-Oct-2020

1 views 0 download

transcript

Diagnostik der ADHS bei Kindern und Jugendlichen

Dr. med. W. KömenPraxis für Kinder- und Jugendmedizin, Essen

Neonatologe Diabetologe (DDG)

National Educator ADHD (Continuum)

DE//3614

• Honorare (Wissenschaftliche Beratung, Vortrag, Advisory Board - in den letzten 5

Jahren): Shire, Medice, Lilly, Novartis, Novo Nordisk (Diabetes), Sanofi (Diabetes)

• Keine finanzielle Zuwendungen (Drittmittel) für Forschungsvorhaben oder direkte

Finanzierung von Mitarbeitern

• Keine Eigentümerinteressen an Arzneimitteln/Medizinprodukten

• Kein Besitz von Geschäftsanteilen, Aktien, Fonds

• Keine persönlichen Beziehungen zu einem Vertretungsberechtigten eines

Unternehmens der Gesundheitswirtschaft

Disclosures / Erklärung über Interessenkonflikte (nach AWMF)Dr. med. W. Kömen

ADHS ist eine:

• neurobiologische Reifungsverzögerung

• mit den Symptomen von Unaufmerksamkeit und oder Hyperaktivität / Impulsivität

für das Alter des Patienten unangemessen

Beginn vor dem 6. (12.) Lebensjahr

mindestens 6 Monate andauernd

in mehreren Lebensbereichen

Mit Beeinträchtigung einhergehend

Definition: Was ist ADHS? (Leitlinie 2018)

AWMF-Leitlinie 2018

Hirnreifungsverzögerung

Die Hirnreifung läuft bei Kindern und Jugendlichen mit ADHS (links) nicht prinzipiell anders ab als bei

Gesunden (rechts), ist allerdings zeitlich verzögert, vor allem im Frontalhirnbereich.

Ein Video dieser Hirnreifungsverzögerung finden Sie hier: Shaw P, Eckstrand K, Sharp W, et al. Attention-deficit/hyperactivity

disorder is characterized by a delay in cortical maturation. Proc Natl Acad Sci U S A. 2007;104(49):19649‐19654.

doi:10.1073/pnas.0707741104, SI Movie 2

• Hereditär; frühe epigenetische Beeinflussbarkeit

• Häufig: Prävalenz 5 – 7 %

• Etwa 4x häufiger bei Jungs, im Erwachsenenalter nahezu 1:1,

was auf eine zu geringe Diagnoserate bei Mädchen hinweisen kann

• Häufigste psychische Störung im Kindes- und Jugendalter

• Eine chronische Erkrankung

• Im Verlauf fast regelhaft mit anderen psychischen Störungen einhergehend

• den Verlauf chronischer, somatischer Erkrankungen negativ beeinflussend

• Mit enormen Kosten verbunden, Public Health-Problem

• Noch häufig unterdiagnostiziert

• Bei früher Diagnose gut behandelbar

ADHS ist

Kömen

Bio-psychosoziales Modell zur ADHS, modifiziert nach

Döpfner et al., 2016)

Genetische

DispositionEpigenetische Veränderungen

Störung neuronaler Netzwerkbildung,

Neurotransmission

Störungen der Selbstregulation• Exekutive Inhibition

• Belohnungssensitivität

• Arbeitsgedächtnis

• Regulation der Aktivation

• Handlungsplanung u.a.

ADHS-Symptome

Negativen soziale Interaktionen /

Frustration

Komorbiditäten Leistungsdefizite

Aggressives Verhalten

Emotionale Störungen

Ungünstige

psychosoziale

Bedingungen

Schädigung ZNS

Somatische

Erkrankungen

Bio-psychosoziales Modell der ADHS

Kernsymptome ADHS:

Ablenkbarkeit

Impulsivität

Motorische Unruhe

Entwicklungsstörung

Soziale Kommunikation

Sprache

Motorik

Kognitive Probleme

Handlungsplanung

Exekutivfunktionen

Serielle Handlungen, Belohnungsverzögerung

Verhaltensprobleme

Aggression

Eigensinn

Antisoziales Verhalten

Emotionale Probleme

Emotional instabil

Ängstlich

Depression

Die zentrale Rolle der ADHS bei neurobiologischen Entwicklungsstörungen

Nach: Thapar A. et al. Lancet Psychiatry, 2017

Barkley: Vortrag APSARD-Tagung 2018, Washington

Die Lebenserwartung bei ADHS ist …

um 12,7 Jahre reduziert!

1. American Psychiatric Association. DSM-5 2013;59‒66; 2. Barkley & Russell. J Clin Psych 2002;63:10–15; 3. Cortese et al. Crit Rev Food Sci Nutr 2008;48:524–37; 4. Fasmer et al. BMC Psychiatry

2011;11:128; 5. Hughes et al. BMC Psychiatry 2014;14:370; 6. Kooij et al. BMC Psychiatry 2010;10:67; 7. Grenwald-Mayes. J Atten Disord 2002;5:211‒22; 8. Gudjonsson et al. J Atten Disord

2009;12:507‒15; 9. O'Callaghan, Sharma. J Atten Disord 2014;18:654‒58; 10. Lensing et al. J Atten Disord 2015;19:405‒13; 11. Brod et al. Health Qual Life Outcomes 2012;10:47; 12. Aduen et al. J

Psychiatr Res 2015;64:59–66; 13. Barkley et al. J Int Neuropsychol Soc 2002;8:655‒72; 14. Dalsgaard et al. Lancet 2015;385:2190‒96; 15. Biederman et al. J Clin Psychiatry 2006; 67:524‒40; 16. Shifrin

et al. J Atten Disord 2010;13:489–496; 17. de Graaf et al. Occup Environ Med 2008;65:835–842; 18. Knecht et al. Int J Adolesc Med health 2015;27:163–75.

Erhöhte Mortalität12

Unzureichende Impulskontrolle,

erhöhte Risikobereitschaft und

Kriminalität18

Niedrige gesundheitsbezogene

Lebensqualität7–10

Zwischenmenschliche und familiäre

Probleme1,8,11,15

Häufige Beziehungsabbrüche, Scheidung

Geringer beruflicher Erfolg1,6,15–17

Arbeitslosigkeit

Gesundheitliche Probleme und

Komorbiditäten1–5

Niedrige schulische und akademische

Abschlüsse1,6,15

Verkehrsvergehen und riskantes

Fahrverhalten1,8,11,15

Folgen einer unentdeckten ADHS

Bachmann et al., 2017

Prävalenz bezogen auf Lebensalter

Kömen / Shire

Schlaf

Aufstehen,

Bereitmachen

für die Schule

Schule

Heimweg

Freizeit, Freunde,

Hobbies, Sport

Zeit mit der Familie

Aufwachsen

mit sozialer

Teilhabe und

positivem

Selbstwertgefühl

Hausaufgaben,

Nachmittagsschule

ADHS über die Tages-“Zeit“

Kömen

Schulabschluss Berufsfindung

Wohnortwechsel

Eltern als

Bezugsperson

Steigende schulische

Leistungsanforderung

Ganztagsschule

Selbstorganisation

Sport, Wettkämpfe

Aktivität am Abend und am

Wochenende

Schule

Hausaufgaben

Vereinsaktivität

Freunde treffen

ohne Eltern

EigenständigkeitArbeitsalltag

Eigene Familie

Vereine, PeersPartner, eigene Familie

Unterschiedliche Herausforderungen im „Zeit“-Verlauf

1 3 6 9 12 16 19 25 Jahre

• Hausaufgabensituation

• „Will“ nicht auf Arbeiten lernen, üben

• Erledigt Aufträge nur, wenn sie Spaß machen

• Trödelt beim Waschen, Anziehen

• Diskutiert ständig über Selbstverständlichkeiten

• Platzt dazwischen beim Gespräch, Telefonieren

• Findet abends kein Ende

• Kommt morgens schlecht aus dem Bett

• Benimmt sich zu Hause und/oder in der Öffentlichkeit nicht angemessen

Kömen

Was sind die Hauptklagen der Eltern?

• Nur interessenabhängige Konzentrationsfähigkeit

• Störung des Kurzzeitgedächtnisses

• Reduzierte Aufmerksamkeitsspanne in fremdbestimmten

Situationen

• Erhöhte Ablenkbarkeit und Verträumtheit

Aufmerksamkeitsdefizit

Neuropsychologisches Erklärungsmodell nach Barkley, 1997

Störung der automatisierten, nicht willentlichen Selbstregulation

• von Aufmerksamkeit, Affekten, Motivation und Motorik

• Störung der automatisierten Entwicklung von Handlungssequenzen und

Handlungskontrolle

• Störung der Internalisierung und Automatisierung von Sprache

Neuropsychologisches Erklärungsmodell nach Barkley, 1997

ADHS-Symptome

Störung der Wahrnehmung

• Auditiv, visuell, propriozeptiv

• Soziale Signale

• Schmerz / Hypersensibilität

Zentrale Regulationsstörungen

• Temperatur, Hunger

• Schlaf

• Blasenkontrolle

Neuropsychologisches Erklärungsmodell nach Barkley, 1997

ADHS-Symptome

Regulationsstörungen

• Schreikinder

• Schlaf-Essprobleme

Flüchtige Blickkontakte

Bewegungsunruhe

Hohe Sensibilität, Schnelle Irritabilität

Negative Eltern-Kind-Interaktion

Säuglings- und Kleinkindalter

Neuropsychologisches Erklärungsmodell nach Barkley, 1997

• Wildes Rennen und Toben

• Laufen auf Zehenspitzen

• Ziellose Aktivität

• Wechselt oft das Spielzeug, wirkt reizüberflutet

• Lernt schlecht aus Erfahrung, Gruppenregeln werden nicht eingehalten

• „Hört nicht“, Trotzverhalten, Überforderung der Erzieher

• Niedrige soziale Anpassungsfähigkeit (offene Gruppen)

• Vermehrt Unfälle

• Oft mit Störung Sprachentwicklung / Feinmotorik

Symptomatik: Kindergarten- und Vorschulalter

Kömen

Kinder psychisch kranker Eltern

Wenig organisiertes, inadäquates oder

emotional belastetes Milieu

Reaktive Bindungsstörung, Deprivation

Oppositionelles Trotzverhalten

Ehemalige Frühgeborene

Frühkindliche Epilepsie

Adenoide, Paukenergüsse

Störung Feinmotorik, Koordination, Muskeltonus

AVWS, Late-Talker, Redeflussstörung (z.B. Poltern)

Fetales Alkohol-Syndrom

Fragiles X

Neurofibromatose

Deletion 22q11

Kömen

Begleiterkrankungen / Differentialdiagnosen: Kindergarten- und Vorschulalter

• Kann dem Unterricht schlecht folgen, leicht

abgelenkt

• Lernprobleme („könnte mehr leisten“), braucht

externe Motivation

• Flüchtiger oder langsamer Arbeitsstil

• Rennt durch den Klassenraum, Zappelbeine

• Rededrang, kann nicht warten, Problem

Gruppentische

• Vergesslichkeit, Unordnung

• Schlechte Regelakzeptanz bei gutem

Regelverständnis

• Klassenwiederholung

Symptomatik: Grundschulalter

• Problem mit seriellen Handlungen

• Geringe Frustrationstoleranz / Reizbarkeit

• Stimmungsschwankungen, emotionale

Ausbrüche

• Probleme Hausaufgaben, Start-Problematik,

endlose Diskussionen (Teufelskreis)

• Distanzlosigkeit

• Gefahrenblindheit, häufige Unfälle

• Aggressives, z.T. dissoziales Verhalten

• Außenseitertum, niedriges Selbstbewusstsein

• Soziale Isolierung der ganzen Familie

Kömen

Kömen

Schulzeugnisse sind meist sehr hilfreich

• Lernstörungen – schulische Über- oder

Unterforderung

• Lese- und/oder Rechtschreibschwäche

(Legasthenie), Rechenschwäche

(Dyskalkulie)

• Sprach-, Sprechstörungen

• Enuresis, Enkopresis

• Somatisierungsstörung

• Ein- / Durchschlafstörung

• Nahrungsmittelallergien

• (Absencen)-Epilepsie

• Oppositionelle Verhaltensstörung

• Emotionale, affektive, v.a. depressive

Störungen

• Angststörung, Zwangsstörungen

• Hochbegabung, Asperger-Autismus

• Ticstörungen

Kömen

Begleiterkrankungen / Differentialdiagnosen: Grundschulalter

Kampf gegen das Chaos

Rückgang der Hyperaktivität, aber innere Unruhe

• Starke Probleme mit Aufmerksamkeit und Impulsivität bleiben

Null-Bock-Mentalität, Schul- oder Leistungsverweigerung

Emotionale Schwierigkeiten

Unüberlegte Entscheidungen / Risikobereitschaft

Probleme mit Geld, Suchtgefahren

Unfallneigung, Probleme Straßenverkehr

Vermindertes Selbstwertgefühl / leichte Beeinflussbarkeit

Frühschwangerschaft

Fehlende altersgemäße soziale Kompetenz: Außenseiter Randgruppen

Symptomatik: Adoleszenz

Kömen

Substanzmissbrauch, nicht stoffgebunden Süchte

Essstörungen

Delinquenz

Störung des Sozialverhaltens

Depressive Störungen

Persönlichkeitsstörungen

Adipositas, Migräne

Bipolare Störung, Schizophrenie, Borderline-Störung

Begleiterkrankungen / Differentialdiagnosen: Adoleszenz

Kömen

ADHS ist:

• Kein Mangel an Wissen und Können, sondern Unvermögen in der Umsetzung

• Unfähigkeit, aus Erfahrung zu lernen und diese in die Zukunft zu projizieren und

umzusetzen

• Hierdurch Mangel an Zeitplanung und Organisation

ADHS heute

Neuropsychologisches Erklärungsmodell nach Barkley, 1997

• Hilfsbereit, offen, zugewandt

• Oft gut gelaunt, begeisterungsfähig

• Gerechtigkeitssinn

• Kurzzeitige Höchstleistungen bei hoher innerer Motivation, dann unermüdlich und stressresistent

• Eigene Ziele werden hartnäckig verfolgt

• Voller Tatendrang

• Impulsivität als Spontanität

• Kreativ, phantasievoll

• Risikobereit

Kömen

Positive Eigenschaften der ADHS-Persönlichkeit

Bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen mit Entwicklungs-, Lern- / Leistungs-

oder Verhaltensproblemen oder anderen psychischen Störungen und

Hinweisen auf Beeinträchtigungen der Aufmerksamkeit und Konzentration oder auf

erhöhte Unruhe oder Impulsivität

S3-Leitlinie ADHS, AWMF 2018, Register-Nr. 028-045; http://www.awmf.org/leitlinien.html

Bei welchen Personen sollte eine ADHS-Diagnostik durchgeführt werden?

Bvkj / U10.

Handanweisung für Kinder- & Jugendärzte zur U10

Esser-Fragebogen zur Vorsorge U10

Günter Esser und Manfred Laucht

Mannheimer Elternfragebogen MEF für 6- bis 13-Jährige zur U10

Kinder und Jugendliche:

• Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie, KJ-Psychotherapeuten,

Psychologischer Psychotherapeut mit Zusatzqualifikation für Kinder und Jugendliche,

Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin mit Erfahrung und Fachwissen in der Diagnostik

von ADHS

• Bei Verdacht auf Entwicklung einer ADHS im Vorschulalter soll die Diagnose nur von Fachleuten

gestellt werden, die über besondere Erfahrung in der Diagnostik psychischer Störungen bei

Kindern im Vorschulalter verfügen

S3-Leitlinie ADHS, AWMF 2018, Register-Nr. 028-045; http://www.awmf.org/leitlinien.html

Wer sollte eine ADHS-Diagnostik durchführen?

• Die Diagnose einer ADHS soll vor dem Alter von drei Jahren nicht gestellt

werden.

• Bei Kindern im Alter von drei bis vier Jahren kann die Diagnose in der Regel

nicht hinreichend sicher gestellt werden.

• Bei Kindern im Vorschulalter soll die Diagnose in der Regel

nur bei sehr starker Ausprägung der Symptomatik gestellt werden.

• Bei jüngeren Kindern können sehr stark ausgeprägte Unruhe, Impulsivität und

Ablenkbarkeit sowie Störungen der Regulation Risikofaktoren für die

Entwicklung einer ADHS sein.

S3-Leitlinie ADHS, AWMF 2018, Register-Nr. 028-045; http://www.awmf.org/leitlinien.html

Wann sollte die Diagnostik erfolgen?

• Beratung über angemessenes Erziehungsverhalten von Eltern und

Pädagoginnen und Pädagogen sollte bei Kindern mit expansiven

Verhaltensproblemen (z.B. oppositionellem Verhalten, erhöhter Unruhe, deutlicher

Ablenkbarkeit) auch dann angeboten werden,

wenn die Kriterien für eine ADHS-Diagnose (noch) nicht erfüllt sind bzw. nicht

abgeklärt sind.

Welche präventiven psychosozialen Interventionen werden empfohlen?

S3-Leitlinie ADHS, AWMF 2018, Register-Nr. 028-045; http://www.awmf.org/leitlinien.html

Es gibt nicht „den“ ADHS-Test

ADHS wird nicht alleine durch Fragebögen diagnostiziert

Jeder hat eine individuelle ADHS

ADHS ist keine kategoriale Diagnose wie Beinbruch: ja oder nein

Bei ADHS handelt es sich um eine dimensionale Störung

Wenn auch eine Standardisierung schwierig ist, so halte ich dennoch eine

Strukturierung des diagnostischen Prozesses für wichtig

Ich empfehle hier ein Schritt-für-Schritt vorgehen und möchte Ihnen dies

erläutern, wie ich in meiner Praxis vorgehe

Jeder Arzt sollte sich eine Vorlage erarbeiten oder vorhandene Nutzen:

• ES-HOV (Döpfner, M., Frölich, J., & Lehmkuhl, G. (2013)

• ADHS-Bogen (www.ag-adhs.de)Kömen

ADHS-Diagnostik

Kömen

In 10 Schritten zur Diagnose

8. Zusammenfassung und

Diagnosestellung

7. Differentialdiagnosen erwägen,

ggf. abklären

4. Fragebögen / Zeugnisse etc.

auswerten

3. Psychoedukation

2. Gespräch mit Eltern / Bezugsperson

1. Gespräch mit Patient

1. Termin

10. Übergang zu Therapie und

Verlaufskontrolle

9. Diagnose Patient / Eltern erläutern

3. Termin

6. Körperliche Untersuchung

5. Neurofunktionell-psychiatrische

Untersuchung

2. Termin

Immer erst nach individuellen Vorlieben und Stärken fragen

Möglichst einen typischen Tagesablauf eruieren im Hinblick auf ADHS-Symptome

• Schule: Lieblingsfächer, Problemfächer, Lieblingslehrer etc.

• Freunde, Beziehungsintensität

• Hobbies, Vereinsaktivität, Multimedia

• Hausaufgaben

• Familienleben, Beziehungen

• Negatives Selbstbild, Angst, Aggression

• Aufsteh- und Einschlafrituale

• Schlafverhalten, Schlafstörungen

• etc.

Modifiziert nach Döpfner et al., Leitfaden kinder- Jugendpsychiatrie, 2013

Schritt 1: Gespräch mit Patient

• Reflektierende Fragen:

• Was wünschen sich deine Lehrer: „Was solltest Du vielleicht in der Schule noch besser

machen?“

• Was wünschen sich deine Eltern: „Was solltest Du vielleicht zu Hause noch besser machen?“

• Was wünschst Du Dir selbst: „Was solltest Du noch besser machen“

• Was könnte ich für Dich tun?

• Was hat Dir in der Vergangenheit geholfen?

• Positive Rückmeldung geben

• Was möchtest Du mir noch erzählen? Was sollte ich noch über Dich

wissen? Was werden Deine Eltern noch über Dich berichten?

• Fragen zulassen

Kömen

Schritt 1: Gespräch mit Patient

• Zeitgleich mit Gespräch stets Verhaltensbeobachtung:

• Ersteindruck bei Betreten des Raumes, Begrüßung

• Motivation, Kooperation

• Blickkontakt, Erscheinungsbild, Gesichtsausdruck

• Körperhaltung, Sitzen auf Stuhl, Bewegung von Händen/Fingern

• Sprache, Ausdrucksweise, Reaktivität auf Untersuchersprache

• Redefluss, Gedankengänge, Flexibilität

• Ablenkbarkeit, Impulsivität

• Interaktion mit Untersucher, Eltern

• Affektive Reagibilität, Stimmung

• Tics

• etc.

Kömen

Schritt 1: Gespräch mit Patient – Verhaltensbeobachtung:

• Beobachtung in arrangierter Spielsituation in Praxis:

• Während des Gesprächs mit den Eltern

• Serielle Handlung auftragen

• Info an Eltern, sich nicht ablenken zu lassen, nicht einzugreifen

• Beobachtung auch des Verhaltens der Eltern

Kömen

Schritt 1: Gespräch mit Patient – Verhaltensbeobachtung:

• Biographische Anamnese:

• Schwangerschaft, Geburt, frühe Kindheit: was war typisch, wann begonnen …

• Meilensteine der motorischen Entwicklung, Sprechentwicklung; Grob- und Feinmotorik,

Sauberkeitserziehung, Schlafen im Elternbett, etc.

• Ab wann Fremdbetreuung, dortige Erfahrungen

• Kindergarten: Stuhlkreis, Malen/Basteln; Freundesverhalten; Spielverhalten drinnen und

draußen; etc.

• Ergebnisse der Vorsorgen

• Verordnete Heilmittel: Ergo, Logo, Physiotherapie etc.

• Sonstige diagnostische und therapeutische Maßnahmen, deren Intention und Erfolg

Schritt 2: Gespräch mit Eltern / Bezugsperson

Kömen

• Soziale Anamnese:

• Familienkonstellation

• Wohn / Umgebungssituation, besondere Belastungen

• Stärken und Schwächen der Familie

• Sonstige medizinische Anamnese:

• Schädel-Hirn-Verletzungen

• Erkrankungen, Medikamente etc. in Schwangerschaft, Geburtskomplikationen

• Aktuelle und vorausgegangene Therapien, Medikamente etc.

• Kardiovaskuläre Risiken in Familie

• Krampfanfälle in der Familie

Kömen

Schritt 2: Gespräch mit Eltern / Bezugsperson

• Somatische Erkrankungen, die bei einer psychiatrischen Anamnese von

besonderer Bedeutung sind:

• Enuresis, Enkopresis, Obstipation

• Adipositas

• Asthma, allergische Rhinitis, atopische Dermatitis, adenoide Hyperplasie

• Wachstumsstörungen, Eisenmangel

• Epilepsie, Migräne, chron. rez. Kopfschmerzen, Spannungskopfschmerz

• Sehstörungen

• Autoimmunerkrankungen, u.a. Diabetes mellitus Typ 1, rheumatische Erkrankungen,

M. Crohn, Colitis ulcerosa, Psoriasis

• Nahrungsmittelallergien, Lactoseintoleranz, „toddlers diarrhea“

• Hinweise auf körperliche Misshandlung

Schritt 2: Gespräch mit Eltern / Bezugsperson

Kömen

• Entwicklungsstörungen, die bei einer psychiatrischen Anamnese von besonderer

Bedeutung sind:

• Regulationsstörung, Schlafstörungen

• Frühkindliche Fütterstörung

• Sprachentwicklungsstörung, u.a. Late Talker, Redeflussstörung

• Störung der Grob- und Feinmotorik, Tonusregulationsstörung

• Auditive Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörung

• Lernstörung, intellektuelle Störungen

• Ein- / Durchschlafstörung, Ticstörung

Kömen

Schritt 2: Gespräch mit Eltern / Bezugsperson

• Alle Bereiche des Alltagslebens erfragen: Funktionsniveau, Resilienzfaktoren,

Beeinträchtigungen

• Kindergarten / Schule:

• Stärken und Schwächen

• Erzieherurteil, Elternsprechtage

• Fördermaßnahmen

• Wie wird das Freizeitverhalten beurteilt: Hobbies, Vereine, Multimedia

• Aufsteh- und Einschlafrituale

• Eltern-Kind-Interaktionen, Erziehungsstile, Bewältigung von Konfliktsituationen

• Elterliche Stressfaktoren, Individuelle Stärken der Familie

Kömen

Schritt 2: Gespräch mit Eltern / Bezugsperson: Symptome

• Verhalten in typischen Situationen beschreiben lassen:

• Die das Kind gerne macht: Spielen, fernsehen, Familienausflug

• Unstrukturiert: Freies Spielen, Freizeit

• Leicht strukturiert: Waschen, Anziehen, Frühstücken, Zähne putzen; sonstige Familien-

Mahlzeiten, Einkaufen, Besuch bei Fremden

• Stark strukturiert: Hausaufgaben, Aufgaben im Haushalt, Warten in einer Reihe, Regelspiele

• Konfliktsituationen, Stress-Situationen

• Dabei im Fokus:

• ADHS-Symptome sowie komorbide Symptome: Depressivität, Angst, Aggression, etc.

Kömen

Schritt 2: Gespräch mit Eltern / Bezugsperson: Symptome

• Genetischer Hintergrund:

• Was hat ihr Kind von ihnen geerbt? (z.B. aus Sicht der eigenen Eltern)

• Was denken sie rückblickend über ihre Kindegartenzeit, Grundschulzeit, Pubertät,

Schullaufbahn: was hätten sie besser machen können?

• Psychische Störungen bei Familienmitgliedern:

(Depression; Alkoholabusus; Gewalt; Vernachlässigung; Beziehungsprobleme;

Angst- Zwangsstörung, Lernstörungen etc.)

Schritt 2: Gespräch mit Eltern / Bezugsperson

Kömen

• Weshalb Vorstellung in der Praxis, von wem geschickt?

• Welche Auffälligkeiten bzgl. der Entwicklung sind ihnen besonders wichtig?

• Wann haben diese angefangen?

• Was hat geholfen?

• Wie war der weitere Verlauf?

• Was sind aus ihrer heutigen Sicht die größten Herausforderungen zu Hause / in

der Schule / der Entwicklung des Patienten: was sollte sich ändern?

• Was hat ihnen bisher geholfen, was nicht?

• Was erwarten sie von mir? Wie könnte ich Ihnen am besten helfen?

Kömen

Schritt 2: Gespräch mit Eltern / Bezugsperson

• Kurzer Abriss der Gehirn-Entwicklung eines typischen Kindes

• Erläuterung der Besonderheiten beim Patienten: Vorteile / Nachteile

• Genetische Ursachen: Keiner kann was dafür!

• Stärken und Schwächen des Bezugssystems herausarbeiten

• Einzelne praktische Typ zum Umgang bis zum nächsten Termin geben:

• Stundenplan für „zu Hause“

• Einschränkung Multimedia, mehr Freizeit, Reduktion beruflicher Stress

• Freiräume schaffen für Diagnostik, ggf. Therapiephase

• „Sich ab und zu mal anders verhalten, als das Kind / der Jugendliche dies erwartet“

• Informationsmaterial empfehlen

• Zeitplan nächster diagnostischer Schritte

Kömen

Schritt 3: Psychoedukation

• SDQ-Bögen (Strengths and Difficulties Questionnaire; https://sdqinfo.org/)

• DISYPS-III-Fragebögen, VBV 3-6, CBCL, Conners etc. (siehe Leitlinien)

• WFIRS (www.caddra.ca) oder PedsQL: Funktionalität und Lebensqualität

• Wichtig: Verschiedene Personen:

• Mehrere, unterschiedliche Personen: Eltern / Lehrer oder Erzieher / Selbst

• Verschiedene Lebensbereiche

• Möglichst standardisiert

• Ggf. Telefoninterview: Lehrer, Erzieher, Therapeuten, Trainer, etc.

Kömen

Schritt 4: Fragebögen auswerten

Beispiel: SDQ-Fragebogen

Kömen

Nützliche Tools

• Je nach Alter und ggf. komorbiden Störungen:

• Haus-Baum-Mensch-Test

• BUEVA / BUEGA; ET 6-6; WET; Bayley-Scales

• Aufmerksamkeitsteste (d2, bp-Test, DAT, CPT, etc.)

• LRS-Test, Dyskalkulie-Test

• Intelligenztest (CFT-1; CFT 20-R, WISC-V, K-ABC)

• KiTAP (www.psytest.net) u.a.

• Sinnvoll, da meist standardisierte Untersuchungs-Beobachtungs-Situation,

möglichst Elternteil / Bezugsperson im Hintergrund

Kömen

Schritt 5: Neurofunktionell-psychiatrische Untersuchung

Beispiel: Auswertung IQ-Test: Intelligenzstrukturdiskrepanz

Kömen

• Gesamter körperlicher Status:

• Gewicht, Länge, KU

• RR, Puls

• Dysmorphiezeichen, Organveränderungen

• Motoskopie

• Neurologischer Status: Reflexe, Koordination etc.

• Seh- und Hörtest

• Ggf. EKG, EEG, Augenarzt

• Ggf. Labor: BB, BKS, Transaminasen, Ferritin, Schilddrüsenwerte sinnvoll

S3-Leitlinie ADHS, AWMF 2018, Register-Nr. 028-045; http://www.awmf.org/leitlinien.html

Schritt 6: Körperliche Untersuchung

• „Liegt eine reale Beeinträchtigung des Patienten vor?“

• „Was könnte das Verhalten des Patienten besser erklären?“

• Liegen andere psychiatrische Störungen vor: Psychose, Schizophrenie;

Angststörung, Depression, Persönlichkeitsstörung, Substanzmissbrauch, …)

• Aber:

ADHS geht oft anderen psychischen Störungen voraus, ist als deren

Ursache möglicherweise behandlungsbedürftig

S3-Leitlinie ADHS, AWMF 2018, Register-Nr. 028-045; http://www.awmf.org/leitlinien.html

Schritt 7: Differentialdiagnosen erwägen und ggf. abklären

• Zusammentragen aller Informationen und Bewertung

• Schulzeugnisse

• „Objektive“ Berichte z.B. von Ergotherapeuten, Logopäden

• Verhaltensbeobachtungen in natürlichem Umfeld durch „Profi“ entsprechend der

Alltagssymptomatik

• Als Hilfe DCL-HKS (Diagnose-Checkliste) zu empfehlen

Kömen

Schritt 8: Zusammenfassung und Diagnosestellung

Diagnose

Aus: Döpfner, Görtz-Dorsten & Lehmkuhl (2008)

S3-Leitlinie ADHS, AWMF 2018, Register-Nr. 028-045; http://www.awmf.org/leitlinien.html

Diagnostischer Entscheidungsbaum für HKS nach ICD-10 und ADHS nach DSM-V:

S3-Leitlinie ADHS, AWMF 2018, Register-Nr. 028-045; http://www.awmf.org/leitlinien.html

Diagnostischer Entscheidungsbaum für HKS nach ICD-10 und ADHS nach DSM-V:

• Erläuterung der Diagnose, falls bestätigt, unter Verwendung der vorliegenden Daten:

• Eltern / Bezugsperson

• Patient: Altersentsprechende Sprache

• Motivierende Gesprächsführung

• Ggf. Multiaxiales Diagnose-System

• Berücksichtigung der Rückmeldung durch Patient / Bezugsperson:

• Akzeptanz / Ablehnung? Mythen und Fakten über ADHS.

• Weitere Informationen gewünscht?

• Erneut Psychoedukation

• Selbsthilfegruppen empfehlen

• Elterntraining (falls noch nicht erfolgt)

S3-Leitlinie ADHS, AWMF 2018, Register-Nr. 028-045; http://www.awmf.org/leitlinien.html

Schritt 9: Diagnose Patient / Eltern erläutern

• Frustrationserlebnisse in Kindergarten, Schule, Familie, Freizeit

• Fehlende positive Interaktionen und Erlebnisse

• Geringes Selbstbewusstsein, negatives Selbstbild

• Emotionale Dysregulation

• Einschränkung der Alltagsaktivität, fehlende Ritualisierung

• Gefährdung in Schule, Freizeit; Risikoverhalten; Unfallneigung

• Beeinträchtigung des Sozialverhaltens: Vereine, Freunde…

• Soziale Isolierung der ganzen Familie

• Drohenden Entwicklung komorbider Störungen: Kriminalität, Substanzmissbrauch

• Chronische, somatische Erkrankung unzureichend therapierbar

Kömen

Schritt 9: Diagnose – Funktionelle Beeinträchtigungen:

Leichtgradig:

Es treten wenige oder keine Symptome zusätzlich zu den Symptomen auf, die zur

Diagnosestellung erforderlich sind und die Symptome führen zu nur geringfügigen

Beeinträchtigungen in sozialen, schulischen oder beruflichen Funktionsbereichen.

Mittelgradig:

Die Ausprägung der Symptomatik und der funktionalen Beeinträchtigung liegt zwischen

„leichtgradig“ und „schwergradig“, d.h., trotz einer nur geringen Symptomausprägung besteht

eine deutliche funktionelle Beeinträchtigung durch die Symptomatik oder trotz derzeit nur

geringfügigen Beeinträchtigungen in sozialen, schulischen oder beruflichen Funktionsbereichen

übersteigt die Ausprägung der Symptomatik deutlich das zur Diagnosestellung erforderliche

Ausmaß.

Schwergradig:

Die Anzahl der Symptome übersteigt deutlich die zur Diagnosestellung erforderliche Anzahl oder

mehrere Symptome sind besonders stark ausgeprägt und die Symptome beeinträchtigen die

soziale, schulische oder berufliche Funktionsfähigkeit in erheblichem Ausmaß.

S3-Leitlinie ADHS, AWMF 2018, Register-Nr. 028-045; http://www.awmf.org/leitlinien.html

Schritt 9: Diagnose – Schweregrad-Einteilung

Falls Diagnose nicht bestätigt werden konnte:

• Weitere Diagnostik: ggf. Überweisung zu spezialisierter Einrichtung

• ggf. Verlaufskontrollen

S3-Leitlinie ADHS, AWMF 2018, Register-Nr. 028-045; http://www.awmf.org/leitlinien.html

Schritt 9: Diagnose vermitteln

Prof. Fegert / Shire

Schritt 10: Übergang zur Therapie und Verlaufskontrolle

Kömen

ADHS-Symptome dominieren

Begabungen werden nicht

genutzt

Störung emotional /

sozialFrustration

Negative Rück-

meldung

Depression

Aggression

Sucht-

entwicklung

Lernziel des Webinars nicht erreicht:

ADHS-Symptome

kompensiert

Begabungen werden gut

genutzt

Positives Verhalten

emotional / sozial

Erfolg

Positive Rück-

meldung

Lernziel des Webinars erreicht:

Kömen

• Negatives Image der ADHS in der Öffentlichkeit verringern

• Awareness erhöhen

• Einbindung aller hausärztlichen Kollegen in Diagnostik / Therapie

• Frühere Diagnose

• Vorsorgen dienen als Screening und zur Prävention

• Screening bei chronischen, somatischen Erkrankungen

• Multimodale Therapie unter Einbezug der ganzen Familie

• Diagnostik und Therapie bei ggf. betroffenen Eltern:

• Therapie betroffener Eltern verbessert Therapieerfolg und Prognose

Kömen

Herausforderungen in der Zukunft

Take Home Message

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit

Diese Fortbildung wird Ihnen auf cme.medlearning.de

mit freundlicher Unterstützung

von Shire Deutschland GmbH angeboten (€ 8.400,00)