Diagnosis and treatment of renal traumas

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P. Carl · Urologische Klinik, Klinikum Deggendorf

Diagnostik und Therapievon Nierenverletzungen

Zusammenfassung

Für die Diagnostik von Nierentraumen stelltdas Spiral-CT sowohl bei Erwachsenen alsauch bei kindlichen Traumen das wichtigsteUntersuchungsverfahren dar und ermöglichteine gleichzeitige Abklärung intraabdomi-neller Verletzungen. Für die Einteilung derNierentraumen wird die von amerikanischenTraumatologen angegebene Klassifikation in5 Schweregrade empfohlen. Diagnostik undtherapeutische Konsequenzen werden in ei-nem Fluûdiagramm dargestellt und durchFallbeispiele erläutert. Eine organerhaltendeund parenchymschonende Therapie wird beioperativer Exploration durch Fibrinkleberund alloplastische Netze unterstützt. Durchdie innere Schienung der oberen Harnwegekann eine Nierenfreilegung vermieden wer-den.

Schlüsselwörter

Nierentrauma · Spiral-CT · Klassifikation ·Fluûdiagramm zur Therapie · Kindliche Nie-renverletzungen

Nierenverletzungen haben in den letz-ten Jahrzehnten deutlich zugenommen,wobei eine nicht geringe Dunkelziffer[11] bei Polytraumatisierten zu vermu-ten ist. Nierentraumen unterschiedli-cher Schweregrade machen etwa 10 %aller stumpfen und penetrierenden Ab-dominalverletzungen aus [13]. Beistumpfen Bauchtraumen betreffennach einer Auswertung von 2009 Ver-letzten [17] 43 % das Urogenitalsystem.

Während in dichtbesiedelten Ge-bieten bis zu 80 % der Nierenverletzun-gen bei Polytraumen auftreten [21],sind z. B. in alpinen Regionen zwei Drit-tel der isolierten renalen Verletzungenauf Skiunfälle zurückzuführen [12]. Pe-netrierende Nierenverletzungen beiStich- und Schuûwunden spielen in denUSA eine wesentlich gröûere Rolle alsin Europa.

Nach einer Zusammenstellung vonPersky u. Forsythe [18] fanden sich unterden Nierenverletzungen 7 % Schuû- und0,8 % Stichverletzungen. Sagalowsky er-rechnete für die Jahre 1980±1986 unterden operativ versorgten Nierentraumeneinen Anteil von 62 % Schuû- und 23 %Stichverletzungen [22]! Dagegen teilteH. Marberger 1987 für Österreich einenAnteil von weniger als 0,5 % penetrie-rende Nierenverletzungen mit [12].

Diagnostik und Klassifikation

Eine wohlüberlegte rasche Diagnostikist unerläûlich. Sie ermöglicht eine Be-urteilung der Schwere des Traumas undbestimmt das weitere Vorgehen. Diefrühzeitige Klassifikation der Verlet-zungen beinhaltet die Verpflichtung zuraschen therapeutischen Entscheidun-gen. Darüber hinaus sind forensischeGesichtspunkte wichtig: Eine exakteDokumentation der Primärbefunde istunerläûlich und klärt Unfallmechanis-men (Prell- und Schürfwunden, Stich-richtung, Schuûkanal). Bei jedemVerdacht auf Fremdverschulden ist eine

fotografische Dokumentation anzura-ten.

Die Hämaturie ist zwar der sicher-ste Indikator für das Vorliegen einerNierenverletzung, ihr Fehlen schlieût al-lerdings auch ein schweres Parenchym-trauma nicht sicher aus. Eastham undMitarbeiter sahen 2,7 % (5/184) Nieren-verletzungen ohne Makrohämaturieund legten dar, daû das Ausmaû der Hä-maturie durchaus nicht mit der Schwereder Verletzung korrelieren muû [4].

Die Zuverlässigkeit des Ultraschallbei der primären Diagnose stumpferNierentraumen wurde unter anderemvon Jakse et al. [7] am InnsbruckerKrankengut demonstriert. Die Sonogra-phie ist sofort nach Patientenaufnahmeauch im Schockraum durchführbarund für die Planung der weiteren Dia-gnostik mitbestimmend.

Nach der klinischen und sonogra-phischen Untersuchung, sollte bei je-dem Verdacht auf eine Nierenverletzungdie Computertomographie angeschlos-sen werden, soweit der Kreislauf stabilist. Neben retroperitonealen Hämato-men und Nierenparenchymrissen sindVerletzungen der Abdominalorgane(z. B. freie Luft und/oder freies Blut imBauchraum) erkennbar. Im Falle einerGefäûverletzung ergibt das dynamischeCTeinen Funktionsausfall der Niere, derauch sekundär durch Dehnung der Ge-fäûe, Intimazerreiûung und durch kon-sekutive Nierenarterienthrombose ver-ursacht werden kann.

Das Spiral-CT kann innerhalb einerUntersuchungszeit von 60 s mehr als100 Bilder liefern und somit das ge-samte Abdomen abklären. Allerdingskann die Lagerung des polytraumati-sierten Patienten im CT erhebliche Zeitin Anspruch nehmen, soweit die Unter-

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Urologe [A]1997 ´ 36:523±530 � Springer-Verlag 1997 Zum Thema: Nierenverletzungen

Prof. Dr. Dr. habil. P. CarlUrologische Klinik, Klinikum Deggendorf,Perlasberger Straûe 41, D-94469 Deggendorf

suchung nicht während der Primärver-sorgung im Schockraum möglich ist.

Eine CT-Angiographie kann zu-sätzliche Informationen über dieDurchblutung einzelner Parenchymar-eale liefern.

In Übereinstimmung mit Easthamet al. [4] empfiehlt Mc Aninch [14] dieAusscheidungsurographie, welche alsinitiale diagnostische Maûnahme in96 % den Nachweis oder Ausschluû ei-ner Nierenverletzung lieferte. Aller-dings wird eingeräumt, daû zusätzlichechirurgische Fragestellungen für die so-fortige CT-Diagnostik sprechen. DieHochdosisausscheidungsurographie(ggf. im Operationsraum als ¹one shotªnach einer Kontrastmitteldosis von

2 ml/kg Körpergewicht durchgeführt)wird in den Vereinigten Staaten z. T. be-vorzugt, kann jedoch das CT ± auch zurAbklärung des kontralateralen Nieren-befundes ± nicht voll ersetzen.

Eine Angiographie der Nierenge-fäûe ist als primäre diagnostische Maû-nahme nur selten indiziert (Abb. 1). Beistark blutenden Stichverletzungen er-möglicht dieses Verfahren in Kombina-tion mit einer Transkatheterembolisa-tion eine therapeutische Alternative [8].

Aus einer genaueren Diagnostik er-gibt sich eine differenziertere Klassifi-kation, so daû wir gegenüber den früherpublizierten Einteilungen in 3 Schwere-grade [5, 12] eine Einteilung in 5 Schwe-regrade bevorzugen (Tabelle 1,

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P. Carl

Diagnosis and treatment of renaltraumas

Summary

A dynamic helical CT scan following initialultrasound provides reliable radiologicalstaging for kidney traumas and immediatediagnosis of most abdominal injuries. It alsoproves useful for pediatric traumas. Usingmainly CT data we apply a classification sys-tem proposed by the American Associationfor Surgery of Trauma (grade I±V). The diag-nostic steps and subsequent managementare demonstrated by flow-chart. Most renaltraumas may be treated conservatively butpersistent bleeding or persistent urinary ex-travasation may necessitate surgical inter-vention. In cases of exploration of the kidney,the use of fibrin adhesive, alloplastic meshcapsule and DJ stents enables the recon-struction of the kidney. Exploration of therenal injury should never be omitted if ur-gent laparotomy is indicated for associatedinjuries.

Key words

Kidney trauma · Helical CT scan · Classifica-tion · Flow chart for management · Pediatricrenal trauma

Urologe [A]1997 ´ 36:523±530 � Springer-Verlag 1997

Abb. 1~ 21 Jahre, männlich, Polytrauma infolge Arbeitsunfalls. CT (rechts): Parenchymverletzung mitEinblutung linke Niere kranial. Angiographie (links): Abbruch der kranialen Segmentarterie. Die Katheter-embolisierung gelang nicht! Wegen anhaltender Hb-wirksamer Makrohämaturie mit Blasentamponadenam 11. Behandlungstag. Nephrektomie: Blutung a. d. Gefäûstiel (Histopathologie: Parenchymriû8 � 3,5 cm hilusnah mit hilusnahen Gefäûrupturen)

Tabelle 1Klassifikation der Nierentraumen nach dem ¹Organ Injury ScalingCommittee of American Association for Surgery of Traumaª.(Nach: Miller u. Mc Aninch 1995)

Grad I (Nierenkontusion): Subkapsuläres Hämatom bei intakterNierenkapsel

Grad II (Parenchymriû < 1 cm tief) Ohne Beteiligung des Nierenbecken-kelchsystems oder tiefer Markschichten

Grad III (Parenchymriû > 1 cm tief) Ohne Extravasation

Grad IV (Parenchymriû bis ins Nierenbecken-kelchsystemohne segmentale Gefäûverletzung)

Extravasation, segmentaler Funk-tionsausfall

Grad V (Nierenzerreiûung ohne Gefäû-stielverletzung)

Komplett zerschmetterte Niere,Hiluszerreiûung, Devaskularisation

Abb. 2 a), die sich an den Richtlinien deramerikanischen Traumatologen orien-tiert. Von der von Lutzeyer [11] vorge-schlagenen Einteilung weicht diesesSchema nur gering ab.

Therapie

Therapeutische Empfehlungen, die sicham Schweregrad der Verletzung orien-tieren, sind nur beim isolierten Traumauneingeschränkt anwendbar. Die The-rapie des (auch) nierenverletzten Poly-traumas orientiert sich am Gesamtbildund den jeweiligen Prioritäten intrakra-nieller, intrathorakaler und intraabdo-mineller Traumen.

In einem Fluûdiagramm haben wirunser diagnostisches und therapeuti-sches Vorgehen dargestellt (Abb. 2 b).Diese Richtlinien haben sich auch beikindlichen Nierentraumen bewährt.

Stumpfe Nierentraumen Grad I mitMikrohämaturie ohne Schocksympto-

matik können meist ausschlieûlich so-nographisch abgeklärt werden. Milleru. Mc Aninch [15] diagnostizierten 1004von 1588 Traumen dieser Kategorieohne CT oder andere bildgebende Ver-fahren und fanden bei weiteren 581 von584 Patienten, die einer weitergehendenradiologischen Diagnostik unterzogenwurden, eine Bestätigung der sonogra-phischen Diagnose (Abb. 3). Bei Makro-hämaturie oder Schocksymptomatik er-folgte allerdings in allen 422 Fällen einekomplette radiologische Diagnostikmit CT, die dann bei 78 Patienten Trau-men höherer Grade nachwies.

Nierentraumen Grad II und III,d. h. stumpfe Verletzungen mit Paren-chymrissen, werden heute überwiegendkonservativ therapiert, wenn eine Ex-travasation (Grad IV) ausgeschlossenworden ist (Abb. 4). Der in Abb. 5 darge-stellte Fall (er lag uns zur Begutachtungvor) sollte eine Ausnahme darstellenund unterstreicht die Notwendigkeit,

auch die kontralaterale Niere vor opera-tiven Maûnahmen zu beurteilen. Schon1977 plädierten u. a. Thompson et al.für eine zuwartende Haltung bei isolier-ten Parenchymverletzungen und kreis-laufstabilen Patienten [25].

Eine sekundäre operative Interven-tion wegen nicht zu stabilisierender Hä-modynamik führten Husmann u. Mor-ris [6] in 9 von 50 Fällen durch. Todes-fälle waren in dieser Serie ausnahmslosauf nichturologische Begleitverletzun-gen zurückzuführen. Die gleiche Ar-beitsgruppe empfahl 1993 eine konser-vative Behandlung auch bei Vorliegendevitalisierter Nierenfragmente(Abb. 5). Allerdings wurden vermehrtperinephritische Abszesse sowie infi-zierte Urinome beobachtet, die nachMc Aninch meist auf koexistente Pan-kreas- und Darmverletzungen zurück-zuführen sind.

Anhaltende Hb-wirksame Hämatu-rien, bedingt durch Verbindung ruptu-

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a

bAbb. 23 a Einteilung der Nierentraumen (Grad I±V).b Diagnostik und Therapie von Nierentraumen

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3 a 3 b

3 c 4

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rierter Segmentarterien mit dem Hohl-system (Abb. 1) bedingen eine operativeVersorgung.

Zurückhaltung bei der Indikationzur Freilegung forderten Cass u. Luxen-berg [3] wiesen aber auf das offensicht-lich erhebliche Risiko einer sekundärenHypertonie nach konservativer Be-handlung tiefer Parenchymrisse hin.

Nach den Erfahrungen von McAninch stellt eine anhaltende Blutung

heute die einzige absolute Indikationzur Freilegung des Nierentraumas dar.In jedem Fall sollte eine Nierenverlet-zung dann exploriert werden, wenn25 % bis 50 % des Gewebes devitalisierterscheinen und eine Extravasation oderein sehr groûes Hämatom vorliegt.90 % dieser Fallgruppe bedürfen ohne-hin wegen eines Polytraumas chirurgi-scherseits der Laparotomie (Abb. 6).Die Priorität intrakranieller, intrathora-kaler und intraabdominaler Traumaver-sorgungen ist ebenso wie der Vorrangprimärer Kreislaufstabilisierung zu be-rücksichtigen [17]. Die Versorgung ei-nes abgescherten Nierenpols (Abb. 7)kann durchaus bis zu einer stabilenPhase zurückgestellt werden. Wie Nu-dell et al. [16] erneut betonten, muû dieExploration keine höhere Nephrekto-mierate nach sich ziehen. Kleinere Urin-extravasationen müssen nicht zwingendoperativ versorgt werden, vielmehrsollte hier die innere Schienung (Dop-pel-J-Stent) als Erstmaûnahme erwogenwerden (Abb. 8).

Bei 120 Patienten mit renalenSchuû- und Stichverletzungen (unter333 penetrierenden von insgesamt2900 Nierentraumen) sahen Wessells etal. [27] bei 25,5 % nicht operierten Pati-enten anhaltende Blutungen, die hinge-gen nach Exploration in keinem Fall be-obachtet wurden. Während bei stump-fen Nierentraumen Erwachsener nur inetwa 10 % ausgedehnte Verletzungen ge-funden werden, ist bei penetrierendenTraumen in 3/4 der Fälle eine operative

Freilegung wegen der Ausdehnung desTraumas angezeigt (76 % bei Mc Aninchet al. [14]).

Bei kompletter Fragmentierung desOrgans bzw. beim Abriû des Gefäûstielsist die rasche Nephrektomie unver-meidbar (Abb. 6, 9). Dennoch stehtauch bei einer operativen Freilegungdas Ziel der Nierenerhaltung im Vorder-grund. Auf die Gefahr eines übereiltenEntschlusses zur Nephrektomie weisenzahlreiche Autoren hin [20, 26](Abb. 5). Marberger [12] berichtetenach operativen Vorgehen über eine Ne-phrektomierate von 15,9 %. In der Ar-beitsgruppe von Mc Aninch wurde dieEntfernung der traumatisierten Nierein einem Zeitraum von 16 Jahren(2521 Traumen) nur 26 mal erforderlich(das heiût bei 13 % der operativ versorg-ten Verletzungen).

Operationstechnik

Die transperitoneale Freilegung und dasfrühe Aufsuchen des Gefäûstiels sowieggf. eine temporäre Ischämie erleich-tern die Kontrolle der Blutung und ver-bessern die Chance einer organerhal-tenden Versorgung [2]. Während desDebridements sollte auf die Erhaltungder Capsula fibrosa geachtet werden.Für eine Defektdeckung findet Perito-neum oder Omentum majus Verwen-dung. Sehr gute Erfahrungen haben wirmit einer Ummantelung der lazeriertenNiere durch Vicrylnetze gemacht. InKombination mit der Verwendung von

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Abb. 8" 33 Jahre, männlich,stumpfes Nierentrauma Grad IV, CT: Aus-gedehnte Extravasation links. NBKS und

völlige Rückbildung nach innererSchienung nach 24 h. IUG (nach 2 Wochen):

unauffälliger Befund

Abb. 3 a±c3 57 Jahre, männlich, stumpfes Traumalinke Flanke infolge Verkehrsunfalls. a Sonogra-phie: Subkapsuläres Hämatom. b Nach 17 Tagenweitgehend resorbiert. c CT: Nierentrauma Grad Ibei funktioneller Einzelniere links

Abb. 43 CT bei stumpfen Nierentrauma Grad IIImit perirenalem Hämatom ± konservative Thera-pie ausreichend

Abb. 53 13 Jahre, weiblich, Sturz vom Turngerätmit Makrohämaturie. Nephrektomie (ausw.) nachunklarem Ausscheidungsurogramm (Vor-CT-¾ra)bei Solitärniere = Trauma Grad II: diese Nierekonnte zweifelsohne erhalten werden (Begutach-tungsfall!)

Abb. 63 22 Jahre, männlich, Polytrauma infolgeVerkehrsunfalls. Splenektomie (quere Zerreiûung)und Nephrektomie (Trauma Grad V)

Abb. 73 16 Jahre, weiblich, stumpfes Traumalinke Flanke infolge Verkehrsunfalls. Angiographie(Vor-CT-¾ra): Ausfall kranialer Nierenpol bei an-sonsten unauffälliger Gefäûarchitektur. Explora-tion: Komplett abgescherter Nierenpolversorgungwie bei Polamputation

Fibrinkleber lassen sich auch multipleRupturstellen ohne Parenchymnahtversorgen (Abb. 10). Bei Verletzung desMittelgeschosses der Niere und entspre-chendem Parenchymverlust werden diePole durch eine sogenannte Renorrha-phie adaptiert. Die Ligatur verletzterSegmentvenen ist folgenlos möglich,während jede Arterienligatur Paren-chymverlust zur Folge hat.

Eine besondere Situation ergibtsich für den Urologen, wenn er vomChirurgen nach abdominaler Explora-tion zugezogen wird, weil ein Hämatomder Nierenregion vorliegt. Bei fehlenderorganbezogener präoperativer Diagno-stik und ohne ausreichende Kenntnisder kontralateralen Nierenfunktion istauch hier der primäre Zugang zum Nie-

rengefäûstiel unbedingt zu empfehlen,um die Rekonstruktion der Niere anzu-streben.

Nierentraumen bei Kindern

In einer umfangreichen Studie über 240stumpfe Nierentraumen bei Kindern [9]zeigte sich auch im pädiatrischen Sektorein Trend zur konservativen Therapiemit einer Nephrektomierate von nur12 %. Diese Arbeit wurde von Carltonwie folgt kommentiert: ¹Bei Kinderndiagnostiziere aggressiv und behandlekonservativ, aber scheue Dich nicht zuoperieren, wenn es offensichtlich not-wendig ist!ª

Bei Kindern führen auch stumpfeTraumen häufig zu ausgedehnten Ver-

letzungen (Abb. 9). Stein et al. [24] fan-den unter 48 stumpfe Nierentraumenbei Kindern 25 mal höhergradige Trau-men und empfahlen daher grundsätz-lich eine CT-Diagnostik. Besonders zuberücksichtigen ist die offensichtlich er-höhte Anfälligkeit miûgebildeter Nierengegenüber Bagatelltraumen (Abb. 11).Persky u. Forsythe [18] sahen in 23 % ih-res Krankenguts kindliche Nierentrau-men bei Anomalien wie Hydronephro-sen, Ektopien und Megaureteren. Dahäufig bilaterale pathologische Harn-wegsveränderungen vorliegen, sind er-höhte Anstrengungen bezüglich einesorganerhaltenden Vorgehens zu for-dern, soweit ein funktionsfähiges Pa-renchym vorliegt.

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Abb. 93 81/2 Jahre, weiblich, stum-pfes Nierentrauma links infolgeSkiunfalls. CT: Zerreiûung der Niereund des Gefäûstiels ± sofortigeNephrektomie

Abb. 10" 19 Jahre, männlich,Polytrauma mit Leberriû infolge Ver-

kehrsunfalls. CT präoperativ (links):Nierentrauma Grad III rechts, CT

(rechts) 6 Tage nach chirurgischerExploration, Nierenfreilegung und

Ummantelung mit Vicryl-Netz

Als Präventivmaûnahmen sind fürEltern und Kinder mit bekannten Nie-renanomalien oder Einzelnieren Bera-tungen zu empfehlen, die die Vermei-dung gefährlicher Sportarten zum Zielhaben. Auch externe Schutzmaûnah-men wie spezielle Korsetts bei sportli-cher Betätigung wurden beispielsweisefür Kinder mit Prune-belly-Syndromempfohlen [19].

Diskussion

Der Trend zu einer immer konservative-ren Einstellung bei der Therapie desNierentraumas ± auch im Falle penetrie-render Verletzungen ± ist unverkenn-bar. Er wird bestätigt durch die umfang-reichen Ergebnisse der amerikanischenArbeitsgruppe um Mc Aninch. Gute Be-handlungsergebnisse, d. h. die Erhal-tung von möglichst viel funktionsfähi-gem Nierengewebe, sind das Ergebniseiner exakten Diagnostik und damit ei-ner subtilen Klassifikation der Trau-men. Die von amerikanischen Trauma-tologen vorgeschlagene Klassifizierungerscheint uns zweckmäûig, wenngleichdie Unterscheidung oberflächlicherund tiefer Parenchymrisse (Grad II undIII) wenig Konsequenzen nach sichzieht, soweit eine Beteiligung des Hohl-systems mit Extravasation (das heiûtein Trauma Grad IV) ausgeschlossenist. Eine zu detaillierte Einteilung, wiesie kürzlich von Lent [10] beschriebenwurde, erscheint für rasche therapeuti-sche Entscheidungen eher hinderlich.

Isolierte Traumen Grad I±III wer-den bei stabilem Kreislauf primär kon-servativ behandelt. Bei Urinextravasa-

tion (Grad IV) kann die innere Harn-leiterschienung ein persistierendesUrinom und daraus resultierende Kom-plikationen, insbesondere Infektionen,vermeiden. Auch beim kindlichem Nie-rentrauma besteht eine zunehmendeZurückhaltung gegenüber der operati-ven Therapie, welche in dem umfangrei-chen Krankengut (N = 240) von Kuz-marov et al. [9] zu einer Nephrektomie-rate von nur 12 % geführt hat.

DieArgumentegegeneineoperativeFreilegung der verletzten Niere (profuseBlutungen durch die Freilegung, Nekro-sezonen durch Parenchymnähte, sekun-däres Infektionsrisiko) dürfen aller-dings nicht überbewertet werden [1]. Pe-rioperative antibiotische Behandlung,primärerZugangzum Gefäûstielund ge-webeschonende Adaptationen der Pa-renchymrisse durch Fibrinkleber, Vi-crylnetz oder Deckung mittels Omen-tum sowie die ausgiebige Drainage redu-zieren die erwähnten Risiken.

Devaskularsierte Fragmente, die 1/4

bis zur 1/2 der Niere betreffen, sollten In-dikation für eine rasche Operation sein[6]. Die Frage, welche Verletzung undwelches therapeutisches Vorgehen eineHypertonieentwicklung begünstigen,ist nicht sicher zu beantworten. NachHusmann scheint der Nachweis avasku-lärer Fragmente auch nach langen Beob-achtungszeiträumen (bis zu 14 Jahrennach dem Trauma) mit einer höherenHpyertonierate verbunden zu sein, dieaber letztlich doch nicht signifikantüber derjenigen der Durchschnittspo-pulation lag.

Eastman et al. [4] konnten 63 % derNierentraumen durch nichtoperative

Behandlung versorgen. Dennoch for-dern auch diese Autoren in Überein-stimmung mit den meisten aktuellenPublikationen weiterhin dann eine Ex-ploration, wenn schon chirurgischer-seits laparotomiert wurde und insbe-sondere bei fehlender oder inkomplet-ter bildgebender Diagnostik sowie beijedem Verdacht auf Verletzung des Ge-fäûstiels.

Schluûfolgerung

Nach einer orientierenden sonographi-schen Abklärung ist das CT das wichtig-ste und aussagekräftigste Diagnosever-fahren beim Nierentrauma. Eine Eintei-lung der Nierenverletzungen nach denEmpfehlungen amerikanischer Trau-matologen (Grad I±IV) hat sich als vor-teilhaft erwiesen. Der Trend zur konser-vativen Therapie ist eindeutig. Bei Ex-ploration der Niere ermöglichen orga-nische Kleber, alloplastische Netze unddie innere Schienung der oberen Harn-wege ein organschonendes und organ-erhaltendes Vorgehen, so daû dieNephrektomie meist nur bei TraumenGrad Vunvermeidbar ist. Das Vorgehenbeim Polytrauma mit urologischer Be-teiligung sollte interdisziplinär geplanterfolgen. Beim laparotomierten Poly-trauma sollte der Urologe nicht auf dieExploration der Niere verzichten.

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Abb. 11~ 10 Jahre, männlich, stumpfes Nierentrauma links infolge Hufschlag. CT: Hydronephrose linksmit Parenchymrarefizierung und Extravasat im Pyelon. Retrogrades UPG: Hochgradige Ureterabgangs-stenose. Nephrektomie (Parenchymriû und Pyelonriû) wegen hydronephrotischer Schrumpfniere

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