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Diagnosis and treatment of renal traumas

Date post: 25-Aug-2016
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P. Carl • Urologische Klinik, Klinikum Deggendorf Diagnostik und Therapie von Nierenverletzungen Zusammenfassung Für die Diagnostik von Nierentraumen stellt das Spiral-CT sowohl bei Erwachsenen als auch bei kindlichen Traumen das wichtigste Untersuchungsverfahren dar und ermöglicht eine gleichzeitige Abklärung intraabdomi- neller Verletzungen. Für die Einteilung der Nierentraumen wird die von amerikanischen Traumatologen angegebene Klassifikation in 5 Schweregrade empfohlen. Diagnostik und therapeutische Konsequenzen werden in ei- nem Flußdiagramm dargestellt und durch Fallbeispiele erläutert. Eine organerhaltende und parenchymschonende Therapie wird bei operativer Exploration durch Fibrinkleber und alloplastische Netze unterstützt. Durch die innere Schienung der oberen Harnwege kann eine Nierenfreilegung vermieden wer- den. Schlüsselwörter Nierentrauma • Spiral-CT • Klassifikation • Flußdiagramm zur Therapie • Kindliche Nie- renverletzungen Nierenverletzungen haben in den letz- ten Jahrzehnten deutlich zugenommen, wobei eine nicht geringe Dunkelziffer [11] bei Polytraumatisierten zu vermu- ten ist. Nierentraumen unterschiedli- cher Schweregrade machen etwa 10 % aller stumpfen und penetrierenden Ab- dominalverletzungen aus [13]. Bei stumpfen Bauchtraumen betreffen nach einer Auswertung von 2009 Ver- letzten [17] 43 % das Urogenitalsystem. Während in dichtbesiedelten Ge- bieten bis zu 80 % der Nierenverletzun- gen bei Polytraumen auftreten [21], sind z. B. in alpinen Regionen zwei Drit- tel der isolierten renalen Verletzungen auf Skiunfälle zurückzuführen [12]. Pe- netrierende Nierenverletzungen bei Stich- und Schußwunden spielen in den USA eine wesentlich größere Rolle als in Europa. Nach einer Zusammenstellung von Persky u. Forsythe [18] fanden sich unter den Nierenverletzungen 7 % Schuß- und 0,8 % Stichverletzungen. Sagalowsky er- rechnete für die Jahre 1980–1986 unter den operativ versorgten Nierentraumen einen Anteil von 62% Schuß- und 23% Stichverletzungen [22]! Dagegen teilte H. Marberger 1987 für Österreich einen Anteil von weniger als 0,5 % penetrie- rende Nierenverletzungen mit [12]. Diagnostik und Klassifikation Eine wohlüberlegte rasche Diagnostik ist unerläßlich. Sie ermöglicht eine Be- urteilung der Schwere des Traumas und bestimmt das weitere Vorgehen. Die frühzeitige Klassifikation der Verlet- zungen beinhaltet die Verpflichtung zu raschen therapeutischen Entscheidun- gen. Darüber hinaus sind forensische Gesichtspunkte wichtig: Eine exakte Dokumentation der Primärbefunde ist unerläßlich und klärt Unfallmechanis- men (Prell- und Schürfwunden, Stich- richtung, Schußkanal). Bei jedem Verdacht auf Fremdverschulden ist eine fotografische Dokumentation anzura- ten. Die Hämaturie ist zwar der sicher- ste Indikator für das Vorliegen einer Nierenverletzung, ihr Fehlen schließt al- lerdings auch ein schweres Parenchym- trauma nicht sicher aus. Eastham und Mitarbeiter sahen 2,7 % (5/184) Nieren- verletzungen ohne Makrohämaturie und legten dar, daß das Ausmaß der Hä- maturie durchaus nicht mit der Schwere der Verletzung korrelieren muß [4]. Die Zuverlässigkeit des Ultraschall bei der primären Diagnose stumpfer Nierentraumen wurde unter anderem von Jakse et al. [7] am Innsbrucker Krankengut demonstriert. Die Sonogra- phie ist sofort nach Patientenaufnahme auch im Schockraum durchführbar und für die Planung der weiteren Dia- gnostik mitbestimmend. Nach der klinischen und sonogra- phischen Untersuchung, sollte bei je- dem Verdacht auf eine Nierenverletzung die Computertomographie angeschlos- sen werden, soweit der Kreislauf stabil ist. Neben retroperitonealen Hämato- men und Nierenparenchymrissen sind Verletzungen der Abdominalorgane (z. B. freie Luft und/oder freies Blut im Bauchraum) erkennbar. Im Falle einer Gefäßverletzung ergibt das dynamische CTeinen Funktionsausfall der Niere, der auch sekundär durch Dehnung der Ge- fäße, Intimazerreißung und durch kon- sekutive Nierenarterienthrombose ver- ursacht werden kann. Das Spiral-CT kann innerhalb einer Untersuchungszeit von 60 s mehr als 100 Bilder liefern und somit das ge- samte Abdomen abklären. Allerdings kann die Lagerung des polytraumati- sierten Patienten im CT erhebliche Zeit in Anspruch nehmen, soweit die Unter- Der Urologe [A] 6·97 523 Urologe [A] 1997 · 36:523–530 Springer-Verlag 1997 Zum Thema: Nierenverletzungen Prof. Dr. Dr. habil. P. Carl Urologische Klinik, Klinikum Deggendorf, Perlasberger Straße 41, D-94469 Deggendorf
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Page 1: Diagnosis and treatment of renal traumas

P. Carl · Urologische Klinik, Klinikum Deggendorf

Diagnostik und Therapievon Nierenverletzungen

Zusammenfassung

Für die Diagnostik von Nierentraumen stelltdas Spiral-CT sowohl bei Erwachsenen alsauch bei kindlichen Traumen das wichtigsteUntersuchungsverfahren dar und ermöglichteine gleichzeitige Abklärung intraabdomi-neller Verletzungen. Für die Einteilung derNierentraumen wird die von amerikanischenTraumatologen angegebene Klassifikation in5 Schweregrade empfohlen. Diagnostik undtherapeutische Konsequenzen werden in ei-nem Fluûdiagramm dargestellt und durchFallbeispiele erläutert. Eine organerhaltendeund parenchymschonende Therapie wird beioperativer Exploration durch Fibrinkleberund alloplastische Netze unterstützt. Durchdie innere Schienung der oberen Harnwegekann eine Nierenfreilegung vermieden wer-den.

Schlüsselwörter

Nierentrauma · Spiral-CT · Klassifikation ·Fluûdiagramm zur Therapie · Kindliche Nie-renverletzungen

Nierenverletzungen haben in den letz-ten Jahrzehnten deutlich zugenommen,wobei eine nicht geringe Dunkelziffer[11] bei Polytraumatisierten zu vermu-ten ist. Nierentraumen unterschiedli-cher Schweregrade machen etwa 10 %aller stumpfen und penetrierenden Ab-dominalverletzungen aus [13]. Beistumpfen Bauchtraumen betreffennach einer Auswertung von 2009 Ver-letzten [17] 43 % das Urogenitalsystem.

Während in dichtbesiedelten Ge-bieten bis zu 80 % der Nierenverletzun-gen bei Polytraumen auftreten [21],sind z. B. in alpinen Regionen zwei Drit-tel der isolierten renalen Verletzungenauf Skiunfälle zurückzuführen [12]. Pe-netrierende Nierenverletzungen beiStich- und Schuûwunden spielen in denUSA eine wesentlich gröûere Rolle alsin Europa.

Nach einer Zusammenstellung vonPersky u. Forsythe [18] fanden sich unterden Nierenverletzungen 7 % Schuû- und0,8 % Stichverletzungen. Sagalowsky er-rechnete für die Jahre 1980±1986 unterden operativ versorgten Nierentraumeneinen Anteil von 62 % Schuû- und 23 %Stichverletzungen [22]! Dagegen teilteH. Marberger 1987 für Österreich einenAnteil von weniger als 0,5 % penetrie-rende Nierenverletzungen mit [12].

Diagnostik und Klassifikation

Eine wohlüberlegte rasche Diagnostikist unerläûlich. Sie ermöglicht eine Be-urteilung der Schwere des Traumas undbestimmt das weitere Vorgehen. Diefrühzeitige Klassifikation der Verlet-zungen beinhaltet die Verpflichtung zuraschen therapeutischen Entscheidun-gen. Darüber hinaus sind forensischeGesichtspunkte wichtig: Eine exakteDokumentation der Primärbefunde istunerläûlich und klärt Unfallmechanis-men (Prell- und Schürfwunden, Stich-richtung, Schuûkanal). Bei jedemVerdacht auf Fremdverschulden ist eine

fotografische Dokumentation anzura-ten.

Die Hämaturie ist zwar der sicher-ste Indikator für das Vorliegen einerNierenverletzung, ihr Fehlen schlieût al-lerdings auch ein schweres Parenchym-trauma nicht sicher aus. Eastham undMitarbeiter sahen 2,7 % (5/184) Nieren-verletzungen ohne Makrohämaturieund legten dar, daû das Ausmaû der Hä-maturie durchaus nicht mit der Schwereder Verletzung korrelieren muû [4].

Die Zuverlässigkeit des Ultraschallbei der primären Diagnose stumpferNierentraumen wurde unter anderemvon Jakse et al. [7] am InnsbruckerKrankengut demonstriert. Die Sonogra-phie ist sofort nach Patientenaufnahmeauch im Schockraum durchführbarund für die Planung der weiteren Dia-gnostik mitbestimmend.

Nach der klinischen und sonogra-phischen Untersuchung, sollte bei je-dem Verdacht auf eine Nierenverletzungdie Computertomographie angeschlos-sen werden, soweit der Kreislauf stabilist. Neben retroperitonealen Hämato-men und Nierenparenchymrissen sindVerletzungen der Abdominalorgane(z. B. freie Luft und/oder freies Blut imBauchraum) erkennbar. Im Falle einerGefäûverletzung ergibt das dynamischeCTeinen Funktionsausfall der Niere, derauch sekundär durch Dehnung der Ge-fäûe, Intimazerreiûung und durch kon-sekutive Nierenarterienthrombose ver-ursacht werden kann.

Das Spiral-CT kann innerhalb einerUntersuchungszeit von 60 s mehr als100 Bilder liefern und somit das ge-samte Abdomen abklären. Allerdingskann die Lagerung des polytraumati-sierten Patienten im CT erhebliche Zeitin Anspruch nehmen, soweit die Unter-

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Urologe [A]1997 ´ 36:523±530 � Springer-Verlag 1997 Zum Thema: Nierenverletzungen

Prof. Dr. Dr. habil. P. CarlUrologische Klinik, Klinikum Deggendorf,Perlasberger Straûe 41, D-94469 Deggendorf

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suchung nicht während der Primärver-sorgung im Schockraum möglich ist.

Eine CT-Angiographie kann zu-sätzliche Informationen über dieDurchblutung einzelner Parenchymar-eale liefern.

In Übereinstimmung mit Easthamet al. [4] empfiehlt Mc Aninch [14] dieAusscheidungsurographie, welche alsinitiale diagnostische Maûnahme in96 % den Nachweis oder Ausschluû ei-ner Nierenverletzung lieferte. Aller-dings wird eingeräumt, daû zusätzlichechirurgische Fragestellungen für die so-fortige CT-Diagnostik sprechen. DieHochdosisausscheidungsurographie(ggf. im Operationsraum als ¹one shotªnach einer Kontrastmitteldosis von

2 ml/kg Körpergewicht durchgeführt)wird in den Vereinigten Staaten z. T. be-vorzugt, kann jedoch das CT ± auch zurAbklärung des kontralateralen Nieren-befundes ± nicht voll ersetzen.

Eine Angiographie der Nierenge-fäûe ist als primäre diagnostische Maû-nahme nur selten indiziert (Abb. 1). Beistark blutenden Stichverletzungen er-möglicht dieses Verfahren in Kombina-tion mit einer Transkatheterembolisa-tion eine therapeutische Alternative [8].

Aus einer genaueren Diagnostik er-gibt sich eine differenziertere Klassifi-kation, so daû wir gegenüber den früherpublizierten Einteilungen in 3 Schwere-grade [5, 12] eine Einteilung in 5 Schwe-regrade bevorzugen (Tabelle 1,

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Zum Thema: Nierenverletzungen

P. Carl

Diagnosis and treatment of renaltraumas

Summary

A dynamic helical CT scan following initialultrasound provides reliable radiologicalstaging for kidney traumas and immediatediagnosis of most abdominal injuries. It alsoproves useful for pediatric traumas. Usingmainly CT data we apply a classification sys-tem proposed by the American Associationfor Surgery of Trauma (grade I±V). The diag-nostic steps and subsequent managementare demonstrated by flow-chart. Most renaltraumas may be treated conservatively butpersistent bleeding or persistent urinary ex-travasation may necessitate surgical inter-vention. In cases of exploration of the kidney,the use of fibrin adhesive, alloplastic meshcapsule and DJ stents enables the recon-struction of the kidney. Exploration of therenal injury should never be omitted if ur-gent laparotomy is indicated for associatedinjuries.

Key words

Kidney trauma · Helical CT scan · Classifica-tion · Flow chart for management · Pediatricrenal trauma

Urologe [A]1997 ´ 36:523±530 � Springer-Verlag 1997

Abb. 1~ 21 Jahre, männlich, Polytrauma infolge Arbeitsunfalls. CT (rechts): Parenchymverletzung mitEinblutung linke Niere kranial. Angiographie (links): Abbruch der kranialen Segmentarterie. Die Katheter-embolisierung gelang nicht! Wegen anhaltender Hb-wirksamer Makrohämaturie mit Blasentamponadenam 11. Behandlungstag. Nephrektomie: Blutung a. d. Gefäûstiel (Histopathologie: Parenchymriû8 � 3,5 cm hilusnah mit hilusnahen Gefäûrupturen)

Tabelle 1Klassifikation der Nierentraumen nach dem ¹Organ Injury ScalingCommittee of American Association for Surgery of Traumaª.(Nach: Miller u. Mc Aninch 1995)

Grad I (Nierenkontusion): Subkapsuläres Hämatom bei intakterNierenkapsel

Grad II (Parenchymriû < 1 cm tief) Ohne Beteiligung des Nierenbecken-kelchsystems oder tiefer Markschichten

Grad III (Parenchymriû > 1 cm tief) Ohne Extravasation

Grad IV (Parenchymriû bis ins Nierenbecken-kelchsystemohne segmentale Gefäûverletzung)

Extravasation, segmentaler Funk-tionsausfall

Grad V (Nierenzerreiûung ohne Gefäû-stielverletzung)

Komplett zerschmetterte Niere,Hiluszerreiûung, Devaskularisation

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Abb. 2 a), die sich an den Richtlinien deramerikanischen Traumatologen orien-tiert. Von der von Lutzeyer [11] vorge-schlagenen Einteilung weicht diesesSchema nur gering ab.

Therapie

Therapeutische Empfehlungen, die sicham Schweregrad der Verletzung orien-tieren, sind nur beim isolierten Traumauneingeschränkt anwendbar. Die The-rapie des (auch) nierenverletzten Poly-traumas orientiert sich am Gesamtbildund den jeweiligen Prioritäten intrakra-nieller, intrathorakaler und intraabdo-mineller Traumen.

In einem Fluûdiagramm haben wirunser diagnostisches und therapeuti-sches Vorgehen dargestellt (Abb. 2 b).Diese Richtlinien haben sich auch beikindlichen Nierentraumen bewährt.

Stumpfe Nierentraumen Grad I mitMikrohämaturie ohne Schocksympto-

matik können meist ausschlieûlich so-nographisch abgeklärt werden. Milleru. Mc Aninch [15] diagnostizierten 1004von 1588 Traumen dieser Kategorieohne CT oder andere bildgebende Ver-fahren und fanden bei weiteren 581 von584 Patienten, die einer weitergehendenradiologischen Diagnostik unterzogenwurden, eine Bestätigung der sonogra-phischen Diagnose (Abb. 3). Bei Makro-hämaturie oder Schocksymptomatik er-folgte allerdings in allen 422 Fällen einekomplette radiologische Diagnostikmit CT, die dann bei 78 Patienten Trau-men höherer Grade nachwies.

Nierentraumen Grad II und III,d. h. stumpfe Verletzungen mit Paren-chymrissen, werden heute überwiegendkonservativ therapiert, wenn eine Ex-travasation (Grad IV) ausgeschlossenworden ist (Abb. 4). Der in Abb. 5 darge-stellte Fall (er lag uns zur Begutachtungvor) sollte eine Ausnahme darstellenund unterstreicht die Notwendigkeit,

auch die kontralaterale Niere vor opera-tiven Maûnahmen zu beurteilen. Schon1977 plädierten u. a. Thompson et al.für eine zuwartende Haltung bei isolier-ten Parenchymverletzungen und kreis-laufstabilen Patienten [25].

Eine sekundäre operative Interven-tion wegen nicht zu stabilisierender Hä-modynamik führten Husmann u. Mor-ris [6] in 9 von 50 Fällen durch. Todes-fälle waren in dieser Serie ausnahmslosauf nichturologische Begleitverletzun-gen zurückzuführen. Die gleiche Ar-beitsgruppe empfahl 1993 eine konser-vative Behandlung auch bei Vorliegendevitalisierter Nierenfragmente(Abb. 5). Allerdings wurden vermehrtperinephritische Abszesse sowie infi-zierte Urinome beobachtet, die nachMc Aninch meist auf koexistente Pan-kreas- und Darmverletzungen zurück-zuführen sind.

Anhaltende Hb-wirksame Hämatu-rien, bedingt durch Verbindung ruptu-

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a

bAbb. 23 a Einteilung der Nierentraumen (Grad I±V).b Diagnostik und Therapie von Nierentraumen

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3 a 3 b

3 c 4

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rierter Segmentarterien mit dem Hohl-system (Abb. 1) bedingen eine operativeVersorgung.

Zurückhaltung bei der Indikationzur Freilegung forderten Cass u. Luxen-berg [3] wiesen aber auf das offensicht-lich erhebliche Risiko einer sekundärenHypertonie nach konservativer Be-handlung tiefer Parenchymrisse hin.

Nach den Erfahrungen von McAninch stellt eine anhaltende Blutung

heute die einzige absolute Indikationzur Freilegung des Nierentraumas dar.In jedem Fall sollte eine Nierenverlet-zung dann exploriert werden, wenn25 % bis 50 % des Gewebes devitalisierterscheinen und eine Extravasation oderein sehr groûes Hämatom vorliegt.90 % dieser Fallgruppe bedürfen ohne-hin wegen eines Polytraumas chirurgi-scherseits der Laparotomie (Abb. 6).Die Priorität intrakranieller, intrathora-kaler und intraabdominaler Traumaver-sorgungen ist ebenso wie der Vorrangprimärer Kreislaufstabilisierung zu be-rücksichtigen [17]. Die Versorgung ei-nes abgescherten Nierenpols (Abb. 7)kann durchaus bis zu einer stabilenPhase zurückgestellt werden. Wie Nu-dell et al. [16] erneut betonten, muû dieExploration keine höhere Nephrekto-mierate nach sich ziehen. Kleinere Urin-extravasationen müssen nicht zwingendoperativ versorgt werden, vielmehrsollte hier die innere Schienung (Dop-pel-J-Stent) als Erstmaûnahme erwogenwerden (Abb. 8).

Bei 120 Patienten mit renalenSchuû- und Stichverletzungen (unter333 penetrierenden von insgesamt2900 Nierentraumen) sahen Wessells etal. [27] bei 25,5 % nicht operierten Pati-enten anhaltende Blutungen, die hinge-gen nach Exploration in keinem Fall be-obachtet wurden. Während bei stump-fen Nierentraumen Erwachsener nur inetwa 10 % ausgedehnte Verletzungen ge-funden werden, ist bei penetrierendenTraumen in 3/4 der Fälle eine operative

Freilegung wegen der Ausdehnung desTraumas angezeigt (76 % bei Mc Aninchet al. [14]).

Bei kompletter Fragmentierung desOrgans bzw. beim Abriû des Gefäûstielsist die rasche Nephrektomie unver-meidbar (Abb. 6, 9). Dennoch stehtauch bei einer operativen Freilegungdas Ziel der Nierenerhaltung im Vorder-grund. Auf die Gefahr eines übereiltenEntschlusses zur Nephrektomie weisenzahlreiche Autoren hin [20, 26](Abb. 5). Marberger [12] berichtetenach operativen Vorgehen über eine Ne-phrektomierate von 15,9 %. In der Ar-beitsgruppe von Mc Aninch wurde dieEntfernung der traumatisierten Nierein einem Zeitraum von 16 Jahren(2521 Traumen) nur 26 mal erforderlich(das heiût bei 13 % der operativ versorg-ten Verletzungen).

Operationstechnik

Die transperitoneale Freilegung und dasfrühe Aufsuchen des Gefäûstiels sowieggf. eine temporäre Ischämie erleich-tern die Kontrolle der Blutung und ver-bessern die Chance einer organerhal-tenden Versorgung [2]. Während desDebridements sollte auf die Erhaltungder Capsula fibrosa geachtet werden.Für eine Defektdeckung findet Perito-neum oder Omentum majus Verwen-dung. Sehr gute Erfahrungen haben wirmit einer Ummantelung der lazeriertenNiere durch Vicrylnetze gemacht. InKombination mit der Verwendung von

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Abb. 8" 33 Jahre, männlich,stumpfes Nierentrauma Grad IV, CT: Aus-gedehnte Extravasation links. NBKS und

völlige Rückbildung nach innererSchienung nach 24 h. IUG (nach 2 Wochen):

unauffälliger Befund

Abb. 3 a±c3 57 Jahre, männlich, stumpfes Traumalinke Flanke infolge Verkehrsunfalls. a Sonogra-phie: Subkapsuläres Hämatom. b Nach 17 Tagenweitgehend resorbiert. c CT: Nierentrauma Grad Ibei funktioneller Einzelniere links

Abb. 43 CT bei stumpfen Nierentrauma Grad IIImit perirenalem Hämatom ± konservative Thera-pie ausreichend

Abb. 53 13 Jahre, weiblich, Sturz vom Turngerätmit Makrohämaturie. Nephrektomie (ausw.) nachunklarem Ausscheidungsurogramm (Vor-CT-¾ra)bei Solitärniere = Trauma Grad II: diese Nierekonnte zweifelsohne erhalten werden (Begutach-tungsfall!)

Abb. 63 22 Jahre, männlich, Polytrauma infolgeVerkehrsunfalls. Splenektomie (quere Zerreiûung)und Nephrektomie (Trauma Grad V)

Abb. 73 16 Jahre, weiblich, stumpfes Traumalinke Flanke infolge Verkehrsunfalls. Angiographie(Vor-CT-¾ra): Ausfall kranialer Nierenpol bei an-sonsten unauffälliger Gefäûarchitektur. Explora-tion: Komplett abgescherter Nierenpolversorgungwie bei Polamputation

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Fibrinkleber lassen sich auch multipleRupturstellen ohne Parenchymnahtversorgen (Abb. 10). Bei Verletzung desMittelgeschosses der Niere und entspre-chendem Parenchymverlust werden diePole durch eine sogenannte Renorrha-phie adaptiert. Die Ligatur verletzterSegmentvenen ist folgenlos möglich,während jede Arterienligatur Paren-chymverlust zur Folge hat.

Eine besondere Situation ergibtsich für den Urologen, wenn er vomChirurgen nach abdominaler Explora-tion zugezogen wird, weil ein Hämatomder Nierenregion vorliegt. Bei fehlenderorganbezogener präoperativer Diagno-stik und ohne ausreichende Kenntnisder kontralateralen Nierenfunktion istauch hier der primäre Zugang zum Nie-

rengefäûstiel unbedingt zu empfehlen,um die Rekonstruktion der Niere anzu-streben.

Nierentraumen bei Kindern

In einer umfangreichen Studie über 240stumpfe Nierentraumen bei Kindern [9]zeigte sich auch im pädiatrischen Sektorein Trend zur konservativen Therapiemit einer Nephrektomierate von nur12 %. Diese Arbeit wurde von Carltonwie folgt kommentiert: ¹Bei Kinderndiagnostiziere aggressiv und behandlekonservativ, aber scheue Dich nicht zuoperieren, wenn es offensichtlich not-wendig ist!ª

Bei Kindern führen auch stumpfeTraumen häufig zu ausgedehnten Ver-

letzungen (Abb. 9). Stein et al. [24] fan-den unter 48 stumpfe Nierentraumenbei Kindern 25 mal höhergradige Trau-men und empfahlen daher grundsätz-lich eine CT-Diagnostik. Besonders zuberücksichtigen ist die offensichtlich er-höhte Anfälligkeit miûgebildeter Nierengegenüber Bagatelltraumen (Abb. 11).Persky u. Forsythe [18] sahen in 23 % ih-res Krankenguts kindliche Nierentrau-men bei Anomalien wie Hydronephro-sen, Ektopien und Megaureteren. Dahäufig bilaterale pathologische Harn-wegsveränderungen vorliegen, sind er-höhte Anstrengungen bezüglich einesorganerhaltenden Vorgehens zu for-dern, soweit ein funktionsfähiges Pa-renchym vorliegt.

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Zum Thema: Nierenverletzungen

Abb. 93 81/2 Jahre, weiblich, stum-pfes Nierentrauma links infolgeSkiunfalls. CT: Zerreiûung der Niereund des Gefäûstiels ± sofortigeNephrektomie

Abb. 10" 19 Jahre, männlich,Polytrauma mit Leberriû infolge Ver-

kehrsunfalls. CT präoperativ (links):Nierentrauma Grad III rechts, CT

(rechts) 6 Tage nach chirurgischerExploration, Nierenfreilegung und

Ummantelung mit Vicryl-Netz

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Als Präventivmaûnahmen sind fürEltern und Kinder mit bekannten Nie-renanomalien oder Einzelnieren Bera-tungen zu empfehlen, die die Vermei-dung gefährlicher Sportarten zum Zielhaben. Auch externe Schutzmaûnah-men wie spezielle Korsetts bei sportli-cher Betätigung wurden beispielsweisefür Kinder mit Prune-belly-Syndromempfohlen [19].

Diskussion

Der Trend zu einer immer konservative-ren Einstellung bei der Therapie desNierentraumas ± auch im Falle penetrie-render Verletzungen ± ist unverkenn-bar. Er wird bestätigt durch die umfang-reichen Ergebnisse der amerikanischenArbeitsgruppe um Mc Aninch. Gute Be-handlungsergebnisse, d. h. die Erhal-tung von möglichst viel funktionsfähi-gem Nierengewebe, sind das Ergebniseiner exakten Diagnostik und damit ei-ner subtilen Klassifikation der Trau-men. Die von amerikanischen Trauma-tologen vorgeschlagene Klassifizierungerscheint uns zweckmäûig, wenngleichdie Unterscheidung oberflächlicherund tiefer Parenchymrisse (Grad II undIII) wenig Konsequenzen nach sichzieht, soweit eine Beteiligung des Hohl-systems mit Extravasation (das heiûtein Trauma Grad IV) ausgeschlossenist. Eine zu detaillierte Einteilung, wiesie kürzlich von Lent [10] beschriebenwurde, erscheint für rasche therapeuti-sche Entscheidungen eher hinderlich.

Isolierte Traumen Grad I±III wer-den bei stabilem Kreislauf primär kon-servativ behandelt. Bei Urinextravasa-

tion (Grad IV) kann die innere Harn-leiterschienung ein persistierendesUrinom und daraus resultierende Kom-plikationen, insbesondere Infektionen,vermeiden. Auch beim kindlichem Nie-rentrauma besteht eine zunehmendeZurückhaltung gegenüber der operati-ven Therapie, welche in dem umfangrei-chen Krankengut (N = 240) von Kuz-marov et al. [9] zu einer Nephrektomie-rate von nur 12 % geführt hat.

DieArgumentegegeneineoperativeFreilegung der verletzten Niere (profuseBlutungen durch die Freilegung, Nekro-sezonen durch Parenchymnähte, sekun-däres Infektionsrisiko) dürfen aller-dings nicht überbewertet werden [1]. Pe-rioperative antibiotische Behandlung,primärerZugangzum Gefäûstielund ge-webeschonende Adaptationen der Pa-renchymrisse durch Fibrinkleber, Vi-crylnetz oder Deckung mittels Omen-tum sowie die ausgiebige Drainage redu-zieren die erwähnten Risiken.

Devaskularsierte Fragmente, die 1/4

bis zur 1/2 der Niere betreffen, sollten In-dikation für eine rasche Operation sein[6]. Die Frage, welche Verletzung undwelches therapeutisches Vorgehen eineHypertonieentwicklung begünstigen,ist nicht sicher zu beantworten. NachHusmann scheint der Nachweis avasku-lärer Fragmente auch nach langen Beob-achtungszeiträumen (bis zu 14 Jahrennach dem Trauma) mit einer höherenHpyertonierate verbunden zu sein, dieaber letztlich doch nicht signifikantüber derjenigen der Durchschnittspo-pulation lag.

Eastman et al. [4] konnten 63 % derNierentraumen durch nichtoperative

Behandlung versorgen. Dennoch for-dern auch diese Autoren in Überein-stimmung mit den meisten aktuellenPublikationen weiterhin dann eine Ex-ploration, wenn schon chirurgischer-seits laparotomiert wurde und insbe-sondere bei fehlender oder inkomplet-ter bildgebender Diagnostik sowie beijedem Verdacht auf Verletzung des Ge-fäûstiels.

Schluûfolgerung

Nach einer orientierenden sonographi-schen Abklärung ist das CT das wichtig-ste und aussagekräftigste Diagnosever-fahren beim Nierentrauma. Eine Eintei-lung der Nierenverletzungen nach denEmpfehlungen amerikanischer Trau-matologen (Grad I±IV) hat sich als vor-teilhaft erwiesen. Der Trend zur konser-vativen Therapie ist eindeutig. Bei Ex-ploration der Niere ermöglichen orga-nische Kleber, alloplastische Netze unddie innere Schienung der oberen Harn-wege ein organschonendes und organ-erhaltendes Vorgehen, so daû dieNephrektomie meist nur bei TraumenGrad Vunvermeidbar ist. Das Vorgehenbeim Polytrauma mit urologischer Be-teiligung sollte interdisziplinär geplanterfolgen. Beim laparotomierten Poly-trauma sollte der Urologe nicht auf dieExploration der Niere verzichten.

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Abb. 11~ 10 Jahre, männlich, stumpfes Nierentrauma links infolge Hufschlag. CT: Hydronephrose linksmit Parenchymrarefizierung und Extravasat im Pyelon. Retrogrades UPG: Hochgradige Ureterabgangs-stenose. Nephrektomie (Parenchymriû und Pyelonriû) wegen hydronephrotischer Schrumpfniere

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