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8/19/2019 Das Subjekt in der messianischen Zeit
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Das Subjekt in der messianischen Zeit
Erläuterungen und Vertiefungen aus und zu Agambens „Die Zeit, die bleibt “
Chris Oliver Schulz,
2016
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INHALT
Vorwort 1
Paulus, Apostel und Jesus Messias 4
Teilung und Rest - außerordentliche Dialektik & operative Zeit 10
Der Gebrauch der Sprache - nomos und pistis 16
Bruch und Übergang, die Geste 18
Symptome abendländischer Kultur 20
„Von den Gesetzen“ 24
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Vorwort
Giorgio Agambens homo sacer Projekt erstreckt sich über viele Bücher, über viele Jahre und
nur einige seien hier genannt: Ein wichtiges Werk stellt wohl Was von Auschwitz bleibt (Quel
che resta di Auschwitz. L’archivio e il testimone)
dar, in dem u.a das Lager als Paradigmaabendländischer Kultur beschrieben wird. Richtungsweisend hierfür ist durchaus der erste Band
Homo Sacer – souveräne Macht und das nackte Leben (Homo Sacer: Il potere soverano e la
vita nuda), welches in der Thematik der Biopolitik mündet. Herrschaft und Herrlichkeit ( Il
Regno e la Gloria. Per una genealogia teologica dell’economia e del governo) befragt die
Geschichte der christlichen Theologie, die Problematik von Sein und Praxis, Herrschaft und
Regierung(spraxis) und so kommt er zu den betriebswirtschaftlichen Wurzeln, die sich in
christlicher Theologie finden ließen. Abseits von diesem Projekt finden sich viele Bücher,
beispielsweise können die kurzen Essays in den Profanierungen ( Profanazioni) durchaus als
Begleitwerk gelesen werden.
Hier nun wird vor allem Die Zeit, die bleibt – ein Kommentar zum Römerbrief (Il tempo che
resta. Un commento alla Lettera ai romani) im Mittelpunkt stehen. Die Zeit, die bleibt widmet
sich der Figur des Paulus, seinen Briefen, der Frage nach dem Messianischen. Für Agamben ist
Paulus relevant, da er wohl eine Art Schwellenfigur darstellt, ähnlich dem homo sacer , eine,
die jeder (weltlichen) Bedeutung entzogen ist. Nur hier ist es Paulus selbst, der jene Aufhebungfordert oder ankündigt. Im Neuen Testament finden sich 14 Briefe die Paulus zugeschrieben
werden und in 13 erscheint er auch selbst als Verfasser. Für Agamben finden sich in den Briefen
Möglichkeiten, abendländische Kultur zu reflektieren und seine (inhaltsreiche) Art des
Schreibens erinnert an diejenige Foucaults, so knüpft sein Schreiben an dessen an, vielmehr
fügt es die Ebene der Religion hinzu. Das Thema der Religion/en ist ein komplexes und wie
schnell klar wird, durchzogen von Problematiken der Übersetzung und Einbettung. An ein paar
Beispielen werden diese verdeutlicht werden. Es wird vorwiegend Agambens Übersetzung
(genauer: die seinigen, die wiederum ins Deutsche übertragen wurden) verwendet; die zentralen
Passagen werden aus der Nestle-Aland Bibel zitiert, er bezieht sich auf die zuletzt 1962
durchgesehene Ausgabe von 18981. Fallweise wird auf deutsche Übersetzungen der Luther
Bibel und weitere zurückgegriffen, allerdings vor allem, um Vergleiche zu ermöglichen2.
Manches Mal erscheint es auch fragwürdig, inwieweit Agamben Passagen aus der Bibel
interpretiert und für Neulinge im Bereich der Bibelkunde ist es schwer, Kontexte zu verorten.
Es wird hier nun aber Agambens Vorgehen Vertrauen geschenkt. Am Ende von Die Zeit, die
1 Die hier verwendete Edition (wenn nicht anders angemerkt) ist die 28., aus dem Jahr 20122 https://www.bibelwissenschaft.de/startseite/ und http://www.bibel-online.net/
https://www.bibelwissenschaft.de/startseite/https://www.bibelwissenschaft.de/startseite/http://www.bibel-online.net/http://www.bibel-online.net/http://www.bibel-online.net/http://www.bibel-online.net/https://www.bibelwissenschaft.de/startseite/
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bleibt erklärt er seine Vorgehensweise, indem er einerseits betont, dass ein Zitat den
ursprünglichen Kontext immer unterbricht: „Einen Text zitieren, schließt ein: seinen
Zusammenhang unterbrechen“3. Gleichermaßen betont er aber den historischen Index, den
jeder Text trage: Benjamins Prinzip „setzt voraus, daß jedes Werk und jeder Text einen
historischen Index in sich tragen, der nicht nur ihre Zugehörigkeit zu einer bestimmten Epoche
anzeigt, sondern auch besagt, daß sie an einem bestimmten historischen Augenblick in diesem
Sinn ihre Lesbarkeit erlangen“4. Es verbleibt nach der Lektüre ein Gefühl, das Thema nicht voll
erschlossen zu haben, aber vielleicht geht es auch gerade nicht darum.
Bei Paulus, dessen Figur in Die Zeit, die bleibt zentral ist, gebe es keine moralische Absicht5
und manche schlagen vor, zwischen der Erfahrungswelt einer urchristlichen und der der
kirchlichen Gemeinschaft zu unterscheiden6. Für manche bedeutet Religion per se Aberglaube
und Mythos, woran sich ein Fortschritt hin zum logos erstrecke7. Angesichts der Arten und
Weisen, wie das Thema Religion oftmals verhandelt wird, ist es nun überaus wichtig, genau
diese Vorurteile und Vorannahmen fallen zu lassen. Es wird sonst kaum möglich sein, ein
Gefühl für diese Zeit, in der die Zeit knapp zu werden schien, zu bekommen; eine Zeit, in der
es ebenso um Teilungen durch Gesetze geht, also auch um Teilungen des Subjekts (und dessen
Verhältnis zu Welt), wie es heute (mehr denn je?) der Fall ist. Es erscheint naheliegend, dies
auch in den Termen Symbolisches, Reales und Imaginäres zu denken und vielleicht anzudeuten,
dass wir uns in unserer gesellschaftlichen Entwicklung weniger im Symbolischen, sondern eher
im Imaginären befinden, trotz oder gerade aufgrund des Anspruchs des Fortschritts, der
Wissenschaftlichkeit; denn was in Frage stehen wird, ist die Weise des Gebrauchs der Dinge,
der Wissenschaft, der Gesetze, der Beziehungen, des Politischen. Dies wiederum führt zurück
zu Agambens Form der fundamentalen Gesellschaftskritik, die das Projekt homo sacer
darstellen soll.
Wie schon angedeutet, sind die Texte Paulus zentral und somit die Erfahrung des
3 Giorgio Agamben, 2006: Die Zeit, die bleibt, S.154 (im Folgenden Die Zeit…) und W. Benjamin: GSII, 2, S. 5364 Ebd. S. 160 und W.Benjamin, GS V,1 S.578 „Nicht so ist es, daß das Vergangene sein Licht auf dasGegenwärtige oder das Gegenwärtige sein Licht auf das Vergangne wirft, sondern Bild ist dasjenige, worin dasGewesene mit dem Jetzt blitzhaft zu einer Konstellation zusammentritt. Mit andern Worten: Bild ist dieDialektik im Stillstand. Denn während die Beziehung der Gegenwart zur Vergangenheit eine rein zeitliche ist, istdie des Gewesenen zum Jetzt eine dialektische“5 Nach Harnack hätte erst die griechische Philosophie die christliche Religion dogmatisiert, nach Heidegger aberliege die eigentliche Problematik des Dogmas im Sinne der religiösen Explikation im Urchristentum vgl. GA 60,S.76 Vgl. z.B. Heidegger GA 60, S.76 und 79; Pierfrancesco Stagi (2009): S.228f; Benjamin GW II, S.132f7
Vgl. Heidegger, der zu dieser Gegenüberstellung des Irrationalen und Rationalen schreibt: „Dieses Begriffspaarist völlig auszuschalten […] Alles, was man von dem für die Vernunft unauflöslichen Rest sagt, der bei allerReligion bestehen soll, ist lediglich ästhetisches Spiel mit unverstandenen Dingen“ GA 60, S.79 Außerdem liegtdiesem Gedanke die Idee der Linearität der Zeit zugrunde, welche inzwischen in Frage gestellt wird
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Messianischen. „Die messianische Berufung ist die Widerrufung jeder Berufung“ 8 schreibt
Agamben, sich beziehend auf 1 Kor, 7,29-329 und kommt so zu einem zentralen Begriffsgefüge:
Als-ob-nicht | ὡς μὴ (hos me), das nicht, wie er betont, im Sinne Vaihingers (Als-ob) gelesen
werden dürfe, sondern als eine Art Spannungserzeuger 10. Es baut sich eine Distanz zur Welt
der Repräsentationen auf. Für Paulus liege hier der einzig mögliche Gebrauch weltlicher
Zustände, der eine Enteignung darstelle, die keine neue Identität gründe (2 Kor 5,17)11. Die
Paulinische klēsis ist vielmehr eine Theorie über die Beziehung zwischen dem Messianischen
und dem Subjekt, die ein für allemal mit dessen Ansprüchen auf Identität und Eigentum
abrechne und so ist auch in diesem Sinne das, was nicht ist ( ta me onta), stärker als das, was
ist12. Nochmals werden die Richtungen dieser Arbeit deutlich: Identität, ebenso und somit die
Beziehung des Menschen zu(r) Welt. Begriffe wie Gesetz, also das Verhältnis nomos und pistis
werden überaus wichtig werden. Es wird zunächst sinnvoll sein, einige Begriffe überhaupt zuerläutern, daher wird zu einem großen Teil das Buch selbst vorgestellt werden. Es soll so gut
als möglich nachvollziehbar gemacht werden, wie und warum sich für ihn im Paulinischen
Ansätze für eine fundamentale Kritik an unserer Gesellschaft finden lassen sollen und fruchtbar
gemacht werden können. Ergibt sich mit Agamben die Möglichkeit, durch diese alten Passagen
einen neuen Blick auf unser Heute zu werfen?
8 Agamben: Die Zeit…, S. 349 Ebd., S. 34: 29 Τοῦτο δέ φημι, ἀδελφοί, ὁ καιρὸς συνεσταλμένος· τὸ λοιπόν, ἵνα καὶ οἱ ἔχοντες γυναῖκας ὡςμὴ ἔχοντες ὦσιν 30 καὶ οἱ κλαίοντες ὡς μὴ κλαίοντες καὶ οἱ χαίροντες ὡς μὴ χαίροντες καὶ οἱ ἀγοράζοντες ὡςμὴ κατέχοντες, 31 καὶ οἱ χρώμενοι τὸν κόσμον ὡς μὴ καταχρώμενοι· παράγει γὰρ τὸ σχῆμα τοῦ κόσμουτούτου. 32 Θέλω δὲ ὑμᾶς ἀμερίμνους εἶναι. ὁ ἄγαμος μεριμνᾷ τὰ τοῦ κυρίου, πῶς ἀρέσῃ τῷ κυρίῳ· Diedeutsche Fassung auf S. 5 hier im Text10 Vgl. Agamben, Die Zeit…, S. 35 und Heidegger GA 60 S. 121 11 Ebd. S. 3712 Vgl. ebd. S. 53
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Paulus, Apostel und Jesus Messias
Wohl endet Tod des Lebens Not,Doch schauert Leben vor dem Tod.Das Leben sieht die dunkle Hand,
Den hellen Kelch nicht, den sie bot.
So schauert vor der Lieb' ein Herz,Als wie von Untergang bedroht.
Denn wo die Lieb' erwachet, stirbtDas Ich, der dunkele Despot.
Du laß ihn sterben in der Nacht,Und atme frei im Morgenrot13
Worauf der Titel des Kapitels anspielt ist einerseits die Figur Paulus als Apostel selbst, der
Begriff der Berufung und dessen Glauben, der sich im Begriffspaar Jesus Messias ausdrückt,
denn Messias sei bei Paulus kein Prädikat, „und dies ist der Glaube des Paulus: eine Erfahrung
des Seins jenseits sowohl der Existenz als auch der Essenz, jenseits sowohl des Subjekts als
auch des Prädikats“14. Für Agamben ist diese Weise des Seins auch jene, die sich in der Liebe
ereignet, denn sie knüpfe nicht an Prädikaten eines Subjekts an15. Die Welt des Glaubens sei
keine Welt der Prädikate, der Existenzen und Essenzen, sondern eine Welt von untrennbaren
Ereignissen, in der ich nicht urteile […] vielmehr werde ich verschoben und disloziert im
Schnee-weiß-Sein und im Sonne-warm Sein, ebenso mit dem Messias, der in mir lebt16. Die
Fragen, die Paulus angetrieben hätten, seien die nach der Struktur der messianischen Zeit, was
es überhaupt bedeute im Messias zu leben und er befinde sich im Kampf einerseits die
christliche Lebenserfahrung zu behaupten und so vielleicht ebenfalls mit sich selbst, denn in
einer christlichen Erfahrung und Faktizität gebe es keinerlei Garanten für Sicherheit17. Der
Begriff der Berufung (κλῆσις | klēsis) führt an diesen Punkt, der eine neue messianische
Ordnung mit sich bringe, jedoch immer auch eine Aufhebung, im Sinne davon, dass die
Seinsweise dieser Welt vergehe18. Relevant hierfür ist die Stelle 1 Kor 7,20-23:“Jeder bleibe in
der Berufung, in die er berufen wurde. Als Sklave wurdest du berufen? Kümmere dich nicht
darum! Aber auch wenn du frei werden kannst, brauche um so mehr! Denn wer im Herrn alsSklave berufen wurde, ist Freigelassener des Herrn. Ebenso ist, wer als Freier berufen wurde,
13 Maulana Dschalal al-Din Mohammad Rumi: Aus Rumis Diwan: Fünfzehnte Ghasele 14 Agamben: Die Zeit…, S. 143 15 „Die Liebe ist großmütig, die Liebe kann gebrauchen, sie ist nicht eifersüchtig, sie prahlt nicht, sie bläht sichnicht auf, sie ist nicht unanständig, sie sucht nicht das Eigene, sie wird nicht zornig, sie rechnet nicht das Böse,sie freut sich nicht über die Ungerechtigkeit, sie freut sich aber mit der Wahrheit. Alles überdeckt sie, allesglaubt sie, alles hofft sie, alles erträgt sie“ (aus Hohelied der Liebe, 1 Kor 13, 4-7 Übersetzung von Agamben);16 Ebd. S. 144 Dies verweist auf eine Aufhebung von Subjekt-Objekt-Konstellationen und somit eine Aufhebungtotaler, souveräner Positionen („Ich“) und stellt somit eine Öffnung des Subjekts dar, für den Rest, für das
Verdrängte, für das, was jenseits von Identität und Eigentum bleibt.17 Ebd., S. 105 und vgl. Heidegger: GA 60, S.7218 Vgl. Die Zeit…, S. 24 und 34f (parágei gar to schema tou kosmou toutou)
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Sklave des Messias“19. Sklave bezeichne hier eine Verwandlung aller juristischen Zustände,
(die politische Sphäre) „die deswegen nicht einfach abgeschafft werden“ und der messianische
Ruf stelle das zentrale Ereignis für Paulus, sowie für die Menschheit dar 20. Scheinbar
fälschlicherweise wurde in der κλῆσις der Moment einer Erwartung gedeutet, als bedeute die
christliche Lebenserfahrung ein Warten-auf, worauf der Begriff der Eschatologie verweist,
jedoch lehnen u.a. Agamben und Heidegger diese Lesart ab, wie sie beispielsweise auch bei
Weber (1920) zu finden sei21. Hier zeigt sich ein Problem, Berufung im Sinne auf einen
weltlichen Beruf zu lesen, es scheint einen Bedeutungsübergang von der religiösen Berufung
zum Beruf (eine Verschiebung ins Weltliche, im Sinne einer Aneignung vielleicht) gegeben zu
haben, für Agamben ist dies Resultat eines semantischen Verständnisproblems und er schlägt
eine Deutung vor, die der oben angeführten nahekommt22. Es handelt sich also um keine
eschatologische Indifferenz, die weltliche Berufung anzuerkennen, in Hinblick auf einkommendes Ende, sondern vielmehr um eine innere Verschiebung „jedes einzelnen weltlichen
Zustands […] Die messianische Berufung hat keinen spezifischen Inhalt“, die Berufung im
paulinischen Sinne beschreibe eine stillstehende Dialektik, sie könne sich also mit dem
Rechtszustand „Beruf“ vermischen23. Jedoch handelt es immer gleichermaßen um eine
Widerrufung, die Einwilligung in sie stelle gleichermaßen ihre Widerrufung dar 24.
Agamben widmet sich auch einer Namensanalyse des Paulus, der zunächst Sha´ul, Saoulos (wie
es in der Septuaginta geschrieben wird) hieß. Die Berufung scheint den Übernamen, das signum
Paulus in dem Moment einzuführen, in dem er die Berufung auf sich nehme: Saulos ho kai
Paulos (Apostelgeschichte 13,9), das ho kai entspreche dem Lateinischen qui et („der auch
heißt“)25. Ferner stelle die Veränderung im Namen (Metonomasie) eine Bewegung vom Großen
ins Kleinste dar, so sich Paulus auch selbst als den kleinsten der Apostel bezeichne (1 Kor
15,9)26. Vielmehr realisiere die Metonomasie das Messianische Prinzip, „wonach in den Tagen
19 Ebd. S. 24; Nestle Aland:20 ἕκαστος ἐν τῇ κλήσει ᾗ ἐκλήθη, ἐν ταύτῃ μενέτω. 21 δοῦλος ἐκλήθης, μή σοιμελέτω· ἀλλ’ εἰ καὶ δύνασαι ἐλεύθερος γενέσθαι, μᾶλλον χρῆσαι. 22 ὁ γὰρ ἐν κυρίῳ κληθεὶς δοῦλοςἀπελεύθερος κυρίου ἐστίν, ὁμοίως ὁ ἐλεύθερος κληθεὶς δοῦλός ἐστιν Χριστοῦ. 23 τιμῆς ἠγοράσθητε· μὴ γίνεσθε δοῦλοι ἀνθρώπων. 20 Vgl. ebd. S. 24f21 Vgl. ebd. S. 31, 34; Heidegger GA 60,S.115 (aus diesem „theoretisch-disziplinmäßigen“ Sinne sei Paulus nichtzu verstehen) und ebd. S. 114.Vgl. auch “ Klaus Koenen, Lexikoneintrag zu Eschatologie (AT) aufwww.Bibelwissenschaft.de, in dem der Moment des Wartens-auf artikuliert wird: Man erwartet nicht das Endeder Zeit, sondern eine Wende der Zeit, die zur Vollendung der Schöpfung führt; keine andere Welt, sonderndiese Welt anders“. Eschatologie: ta és-chata ‚die äußersten Dinge‘, ‚die letzten Dinge‘ und lógos ‚Lehre‘ 22 Vgl. ebd. S. 3323 Vgl. ebda24 Vgl. ebd. S. 3425 Vgl. ebd., S. 18 und 2026 Vgl. ebd. S. 20
http://www.bibelwissenschaft.de/http://www.bibelwissenschaft.de/
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Was die Kaufenden als ob nicht Behaltende und die die Welt nutzenden als ob nicht Nutzende
betrifft, handelt es sich für Agamben um einen Verweis auf die Definition von Eigentum
(dominium) im römischen Recht, dem Paulus den messianischen usus gegenüberstelle und dies
spielt wohl auf eine grundlegende Gegenüberstellung an, besitzen und gebrauchen, denn für
Paulus, wie schon angedeutet, liege der einzig mögliche Gebrauch weltlicher Zustände nicht
im Besitz und er bricht geradezu mit dieser Form der Ordnung, denn die messianische Berufung
konstituiere weder Recht noch Identität, vielmehr sei sie allgemeine Potenz, die man gebrauche,
ohne je Inhaber zu sein30. Eine Parallele findet sich bei Benjamin, für den der Kapitalismus „die
Zelebrierung eines Kultes sans rêve et sans merci“ ist. „Es gibt da keinen ‚Wochentag‘, keinen
Tag, der nicht Festtag in dem fürchterlichen Sinne der Entfaltung allen sakralen Pompes […]
wäre“31. Es findet sich sozusagen in kapitalistischen, oder auch neoliberalen Lebensformen
keinen Rest, keinen Bruch, keine Leerstellen, alles befindet sich im Modus der Kapitalisierung,der Verzweckung32.
Als Ergänzung zum Thema der Identität im Sinne des Eigentums, des Sich-Besitzens kann der
Text das ‚spezielle‘ Sein gelesen werden, in dem die Begriffe speziell und persönlich verhandelt
werden. Der Begriff species33 führt einerseits zur Unterteilung und Fixierung (z.B. Ich), aber
ebenso davon weg. Das Person-Sein fange die species ein und verankere es in einer Substanz,
um eine Identifizierung möglich zu machen34. Ausgehend vom Begriff des Bildes, welches
jeden Augenblick neu gezeugt werde, je nach Bewegung oder Anwesenheit dessen, der es
betrachte und dessen Ausmaße nie messbar seien, sondern nur dessen äußerer Schein, kommt
Agamben zum Subjekt, denn was in einem Subjekt sei, habe die Form eines äußeren Scheins,
einer Geste, es sei die species eines Dings. Es ist nun der Ort des Spiegels, in dem uns klar
werde, daß wir zwar ein Bild haben, aber gleichermaßen davon getrennt sind, vielmehr dass
wir davon getrennt werden können und dass uns somit unsere species oder imago nicht gehört.
Ein interessantes Beispiel ist vielleicht das Zuhören, denn wir tendieren dazu, „alles was wir
hören, in Verbindung zu uns selbst zu hören“35. Das hängt mit dem Person-Sein zusammen
(Identität), dem Sich-Besitzen, denn in dieser Art des Hörens versuchen wir uns mit der anderen
30 Vgl. ebd. S. 37 31 Walter Benjamin, 1991[1921]: Kapitalismus als Religion, S. 10132 Das volle Ausmaß wird beispielsweise im Atlas der Globalisierung, 2015 deutlich, hg von le mondediplomatique33 Agamben, 2005: Das ‚spezielle‘ Sein in: Profanierungen, S.54f: Begriffsdefinitionen im Lauf der Zeit: Speciesim Sinne zunächst der mittelalterlichen Definition , intentio, also der Absicht eines jeden Wesens, sichmitzuteilen, das Begehren am eigenen Sein festzuhalten, („Im Bild fallen Sein und Begehren zusammen“), dasspezielle Sein dann im Sinne des Antlitzes der Menschheit. Dann s pecious als schön und später als unwahr,scheinbar; noch später dann Spezies als Prinzip einer Einordnung34 Agamben, 2005, S. 55 35 Bruce Fink, 2013: Grundlagen der psychoanalytischer Technik, S. 15
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Person zu identifizieren, somit sei unsere Art zuzuhören zu einem Großteil auf uns selbst
konzentriert und schließlich heißt das, dass wir die Andersheit des anderen übersehen oder gar
zurückweisen36.
Eine weitere interessante Parallele ergibt sich mit der Philosophie und Praxis des Yoga, die sich
u.a. ebenso mit dem scheinbaren Wissen über Wesen befasst, denn es gehe um die Art von
Wissen, „das kein richtiges Wissen ist“37. Die Normen von heute, die wir akzeptieren, seien
lediglich die Handlungen von Gestern und diese verursachen eine Festlegung in unseren
Handlungen. Diese Festlegungen (in unserem Handeln und Wahrnehmen, genannt संार |
saṃskāra) seien der Grund, weshalb unser Geist „wie von einem Film bedeckt wird“38.
Agamben betont nun die Pause, die zwischen der Wahrnehmung und dem Erkennen des
(eigenen) Bildes stattfindet, denn diese Pause bedeute, nicht mit seiner species
zusammenzufallen, sie garantiert, sich verkennen zu können und eben dies öffne den Raum für
Liebe39. Species also als das, was sich dem Blick anbiete und mitteile, als das, was sichtbar
mache und aber auch dazu verleitet, in einer Substanz, einem spezifischen Unterschied fixiert
zu sein. Genau das führe zur Konstruktion von Identität, wohl dazu zu meinen, Herr über seine
species zu sein. Dieses Herr-sein-über bedeute schlicht „daß man nicht mehr lieben kann“40.
Entscheidend bleibt, dass speziell sein hier ein Wesen, ein Gesicht, eine Geste, ein Ereignis
meine, das allen anderen ähnelt, indem es nicht einem ähnlich ist, denn letzteres verweise aufden persönlichen Besitz, Eigentum und Eifersucht41. Steht nun der Begriff des Seins gänzlich
in Frage oder steht eine Forderung nach einem anderen Gebrauch im Raum?
Das messianische Als-ob-nicht ist anders als das Als-ob zu betrachten, es meint nicht, so zu tun
als ob es Gott (der mich rettet) gäbe, Wissen um, oder eine Wahrheit, sondern zielt vielleicht
vielmehr auf das eigentliche Wesen des Menschen, der „von sich aus nichts ist“ und gewöhnlich
könne er nur sein, indem er so handele, als ob er etwas anderes wäre, „als er ist (oder besser,
nicht ist)“42. Die Ankunft des Messias bedeutet(e), dass alle Dinge, also auch das Subjekt, vom
Als-ob-nicht eingenommen werden „und mit einer einzigen Geste zugleich berufen und
widerrufen sind. Es gibt kein Subjekt mehr das schaut und das sich an einem gewissen Punkt
dazu entscheiden könnte, so zu tun als ob […] Die messianische Berufung disloziert und
36 Ebd., S. 15f37 T.K.V. Desikachar, 2009: Yoga - Tradition und Erfahrung, S. 1838 Ebda.39 Vgl. Agamben, 2005, S. 53f
40 Ebd. S. 54f41 Vgl. ebd., S.56f42 Vgl. Die Zeit…, S. 47f (Agamben bezieht sich hier u.a. auf Jules de Gaultiers Le Bovarisme)
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annulliert zuallererst das Subjekt“ (Gal 2,20)43. Agamben vergleicht es mit Kafkas Von den
Gleichnissen, in dem das Subjekt, das im Gleichnis bleiben will, verliere und wiederum jenes
innerhalb der messianischen Berufung, das kein Als-ob kenne , nicht mehr über Gleichnisse
verfüge, denn es wisse, dass es nun wirklich in einer Welt ohne Gott leben muss und dass es
dieses Ohne-Gott-Sein nicht verdecken dürfe44.
Ein Gefühl völliger Aufhebung weltlicher Zustände verbleibt, die wiederum aber an der Welt
anknüpfen, an einer anderen Welt. Wiederum scheint es so, dass wir heute völlig in einer Welt
der Repräsentationen leben, in der gilt, was scheinbar ist, seien es Nationalitäten, oder die
Repräsentationen und Identifizierungen der Geschlechter, oder der Klassen etc. Eine Ordnung
vielmehr des Imaginären, als des Symbolischen45. Wobei selbst diese eine Struktur birgt, in der
es nach wie vor um Bedeutungen und deren Repräsentationen geht und vielleicht kommt man,
Paulus (oder Agambens Ausführungen) folgend, vielmehr zu einer Ordnung, die auf das Reale
verweist?
Heidegger schreibt von einer Aneignung des Vollzugsmäßigen, die Art des christlichen Lebens
sei also nicht von weltlichen Verhältnissen und ihrem Inhalt bestimmt , sondern von der Art und
Weise, in der sie erlebt und in ihrer eigenen Uneigentlichkeit angeeignet würden46. Dies
verweist auch auf den Übergang der alten (weltliche Gebote und Gesetze) zur neuen Schöpfung,
2 Kor 5,17„
Ist jemand in Christus, so ist er eine neue Kreatur; das Alte ist vergangen,siehe, Neues ist geworden“. Wobei Paulus keine moralische Neuerung meine. Wie schon
angedeutet, geht es um keine ethische Absicht, in der Paulus z.B. die alte Welt als moralisch
verworfen ablehnen würde (wie ihn Nietzsche interpretierte, als einen des Ressentiments, der
die Macht wolle, der die christliche Lebenspraxis mit einer moralischen Lehre überdeckt
habe47). Die Verkündigung enthalte vielmehr eine kosmologische Absicht, eine eschatologische
Umwandlung der Welt, die das Ende des anwesenden αἰών | aiōn fordere48. Es scheint geradezu
eine revolutionäre Bewegung gewesen zu sein; es war die Zeit der Gebote (Moses) und der
43 Ebd. S. 5344 Ebd. S. 5445 In einer symbolischen Ordnung ist niemand Inhaber einer Repräsentation, da sich diese in steterVerschiebung befinden, alles immer etwas anderes bedeuten kann (Grundzug, die die menschliche Sprache mitsich bringt). Eine paulinische symbolische Ordnung wäre jedoch nicht mehr binär strukturiert, denn dieseStruktur bringt das Entweder-Oder mit seinen Identifizierungen zum Vorschein, man ist z.B. entweder Frauoder Mann. Jedoch folgt man hier einer neurotischen Logik, vgl. Fink, 2013, S. 206. Eine messianische Ordnungnun Agamben interpretierend, setzt solche Strukturen außer Kraft. Das führt oftmals zu Diskussionen den‚Untergang der Zivilisation‘ betreffend, das erinnert an jene, die vom Untergang der Welt schrieben (vgl. hier S.6f)46
Heidegger GA 60, S. 4547 Vgl. Stagi 2007: Der faktische Gott, S. 228 (siehe Nietzsche 1888, Der Antichrist, „Der frohen Botschaft folgteauf dem Fuß die allerschlimmste, die des Paulus […]“) 48 Stagi, S. 227
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folgenden Ankunft des Messias (Jesus), die Zeit der Juden und Nichtjuden, Griechen und/oder
Heiden, also auch eine Zeit, in der die Völker geteilt waren.
Am Rande: Die Thematik der Teilung (der Völker) führt im Grunde direkt in den Bereich der
Ökonomie und es sei jene, die einen Diskurs der Moral produziere, den „der besten Teilung,
Aufteilung, Verteilung“ und somit befindet man sich auch im Bereich des Besitzes und
Besitzers, dem, der die Verfügungsgewalt innehabe49. Ähnliche Ansätze finden sich auch in
Herrschaft und Herrlichkeit .
Teilung und Rest - außerordentliche Dialektik & operative Zeit
Die Form der Zeit, um die es hier geht und in der ein Christ scheinbar verharren solle, ist eine
Art Einschub, der sich, wie bei der Berufung, aufhebt, denn die christliche Lebenserfahrung
lasse das Leben fließen, wolle vielmehr noch, diesen Fluss intensivieren50. So geht es hier also
um kein Künftiges, das direkt erwartet werden könne, die Botschaft bringt kein Datum mit sich,
keine weltlichen Koordinaten, denn eben diese sind ja in Aufhebung begriffen. Der technische
Begriff für die messianische Zeit, die Jetztzeit, lautet en tō nyn kairō | τῷ νῦν καιρῷ51. Diese
Formulierung taucht auf in Röm 11, 1-26 und es sei jene Stelle, in der Paulus in die
erschöpfende Teilung der Juden/Nichtjuden, Beschnittenen/Unbeschnittenen, von denen die
einen im Gesetz seien, die anderen nicht, einen Rest (λεῖμμα | leimma) einführe, den Begriff
des Nicht-Nichtjuden im Sinne einer Ausnahme52. Die Teilung, die Paulus zunächst vollzieht
ist jene „nach dem Fleische ( sarx) und nach dem Hauch ( pneuma)“, sie zeuge davon, dass sich
auch das Gesetz teile, „denn derjenige, der durch das Gesetz geteilt wird, sieht in seinen
Gliedern ‚ein anderes Gesetz‘, das mit ‚dem Gesetz des Lebenshauchs‘ (Röm 7,23 ) im Streit
liegt“53. Die Teilung zwischen Fleisch und Hauch unterwandert sozusagen die zwischen Juden
und Nichtjuden.
Ein kurzer Gedanke zu den politischen Implikationen, die die Teilung der Völker, in Völker
49 Gerald Raunig, 2015: Dividuum, S. 31f (auch hier finden sich Verweise auf das römische Recht, die römischeRechtssprechung, vgl. S.7 hier)50 Stagi, S. 23451 En: inmitten, unter zwischen, in Gegenwart von / in, an, binnen, während, im Verlauf / vermittelst, durch tó:das, deshalb nýn: jetzt, soeben, nun, unter solchen Umständen .. / der jetzige, gegenwärtige / nun aber, so aberkairô: richtiges Maß, richtiges Verhältnis, rechter Zeitpunkt, günstiger Augenblick, passende Zeit, Zeit, (auchNutzen, Vorteil); Langenscheidt Wörterbuch, 199352 Agamben, Die Zeit…, S. 118 53 Ebd., S. 61f (verfolgt man diese Passagen in Röm, könnte man meinen, Paulus hadere mit dem Gesetz desGeistes und dem des Körpers, die sich widersprechen würden, jedoch als er darum bittet, ihn vom Dorn seines
Fleisches zu befreien 2 Kor 12,9, wird ihm geantwortet hê gar dýnamis en astheneía teleítai ; „die Potenz wirdin der Schwäche vollendet“, S.155 Das macht vlt. nochmals deutlich, dass es sich hier um keine moralisierendeBotschaft im Sinne einer ‚guten Sitte‘, der Unterdrückung oder ähnlichem handelt.
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mit sich bringt. Nationen repräsentieren ein vermeintlich Ganzes und für Agamben impliziert
dies eine Fiktion, die darin bestehe „daß die Nativität unmittelbar Nation wird, so daß es
zwischen den beiden Begriffen keinen Abstand geben kann“54. So stellt für ihn die historische
Funktion der Erklärung der Menschenrechte im Eigentlichen die Einschreibung des natürlichen
Lebens (Nativität) in die juridisch-politische Ordnung des Nationalstaates dar 55. Ein Gedanke,
der die Brisanz und Aktualität des Paulinischen deutlich machen kann. Ähnliches lässt sich
vielleicht über die Teilung hier nun sagen, die vom Messianischen unterwandert wurde und
wieder einen Abstand zwischen/die Aufhebung von Nativität und Nation einführt.
Zurück in die Zeit, die noch bleibt: Agamben schreibt von einer intuitionistischen Logik, die
über die Opposition von A und Nicht-A hinausgeht, denn Paulus führe einen Rest56, im Sinne
eines Dritten ein, „den man weder als jüdisch noch als nicht-jüdisch definieren kann, den Nicht-
Nichtjuden. Als Beispiel dient Agamben hier die Geschichte vom Schnitt des Apelles. Hierbei
gibt Protogenes eine so feine Linie vor, als das sie nicht von einem menschlichen Stift zu sein
scheint, aber Apelles teilt sie wiederum in eine noch feinere Linie57. Ähnlich verhält es sich
wohl mit dem Gesetz, das nicht von Menschen gemacht zu sein scheint , aber nun doch
nochmals geteilt wird und dadurch sozusagen relativ wird. Denn die Teilung, die die Gruppe
der Juden bedingt, wird nochmals unterteilt in sichtbare (nach dem Fleisch) und unsichtbare
(nach dem Hauch), „Denn nicht alle aus Israel sind Israel“ (Röm 9,6) und somit wird die
scheinbar erschöpfende Teilung der Mengen Juden und Nicht-Juden aufgehoben, da jene nun
„nicht-alle“ seien58. Es bleibt also auf beiden Seiten ein Rest, „den man weder als jüdisch noch
als nicht-jüdisch definieren kann, nämlich den Nicht-Nichtjuden, d.h. denjenigen, der im Gesetz
des Messias lebt“59.
Den Fond des Juden und des Griechen bildet nicht der universelle Mensch oder der Christ, weder als Prinzipnoch als Zweck: Es gibt da nur einen Rest, es gibt da nur die Unmöglichkeit für den Juden und den Griechen,mit sich selbst identisch zu sein. Die messianische Berufung trennt jede kl ḗ sis von sich selbst, sie erzeugt inihr eine Spannung zu sich selbst, ohne ihr einen Identität zu geben: Jude als ob nicht Jude, Grieche als ob
nicht Grieche
60
.Das alles bedeutet auch, dass man bei Paulus nicht von einem Universalismus im Sinne von
54 Giorgio Agamben, 2015: Homo Sacer – Die souveräne Macht und das nackte Leben, S. 13755 Ebd., S. 13656 Vgl. Die Zeit…, S. 70: er verweist auch auf eine Analogie zwischen dem messianischen Rest und demmarxschen Begriff des Proletariat, welches nicht mit sich identisch sei und einen notwendigen Überschussbezüglich der staatlichen und sozialen Dialektik der Stände darstelle, da es „das Unrecht schlechthin erlittenhat“, ebenso denkt er an das, was Deleuze minoritäres Volk nennt. Hieran anknüpfend lässt sich vielleicht auchvon jenen sprechen, die nicht domestiziert sind, nicht vergemeinschaftet leben, wobei dies nicht jedeMöglichkeit ihrer Verkettung diskreditieren müsse, vgl. Raunig, 2015, S. 10057
Vgl. ebd., S. 6258 Vgl. ebd., S. 62f59 Ebd., S. 61 und 6360 Ebd., S. 65
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einem höchsten Prinzip sprechen könne, dessen unterste Grenze das Individuelle darstelle, denn
im Sinne des Messianischen gibt es „weder Anfang noch Ende: Es gibt da nur den Schnitt des
Appelles, die Teilung der Teilung - und, dann, einen Rest“61. Auch Gott stellt nicht unbedingt
das höchste (weltliche) Prinzip dar, denn das Leben des Menschen im Sinne des Als ob nicht
hieße auch, zu begreifen,
daß er nun, mit den Worten Bonhoeffers, wirklich in einer Welt ohne Gott leben muß und daß er in keinerWeise dieses Ohne-Gott-Sein der Welt verdecken darf, daß der Gott, der ihn rettet, der Gott ist, der ihnverläßt, daß die Rettung vor den Repräsentationen (vor dem Als-ob) nicht beanspruchen darf, auch noch denSchein der Rettung zu retten. Das messianische Subjekt betrachtet die Welt nicht, als ob sie gerettet wäre.Vielmehr betrachtet es die Rettung, indem es sich - mit den Worten Benjamins - im Unrettbaren verliert. Sokompliziert ist die Erfahrung der kl ḗ sis, so schwierig ist es, im Ruf zu verharren62.
Kafkas Von den Gleichnissen dient, wie schon erläutert, Agamben zur Veranschaulichung63,
oder weist die Richtung seiner Lesart. Er sieht im Paulinischen eine völlige Aufhebung von
Subjektivität, auch im Sinne der Aufhebung eines Ich-bin. Vielleicht, so meine Annahme, liegt
schon in diesem Ausspruch (Ich bin), oder vielmehr Anspruch der Schein des Als-ob, das sich
der Forderung nach Aufhebung gegenübersieht, Als ob nicht . Das Ich bin verweist auf ein
Subjekt, das sich nicht verkennen kann. Hier liegt auch der Verweis auf die Sprache, in der die
bedeutenden Dinge tatsächlich nur in der Sprache selbst liegen und in keiner Refrenz, also nicht
mehr die Idee darunterliegt, auf Wirklichkeit, auf ‘ein Ding‘ selbst verweisen zu können, da es,
so die Annahme, dieses Ding an sich, also auch Ich an sich, nicht gibt, diese Unterscheidung
ist außer Kraft, da diese ebenso eine Zäsur à la A und Nicht-A ist, die jene überhaupt bedingt.
Jahrhunderte später schreibt Kant64 an Hume anknüpfend, dass das Ding an sich für uns
erkenntnistheoretisch nicht erreichbar ist, sondern nur im transzendentalen Sinne gebraucht
werden kann. Mit Paulus stünde, so eine Annahme, die Weise dieses Gebrauchs in Frage. Oder
anders: im Sinne einer Außer-Kraft-Setzung würde sich diese Frage nicht mehr stellen, würde
bedeutungslos, da der aufgeteilte Raum, in dem sich nun Repräsentationen nach dem Muster
der von z.B. Kant eingeführten Grenze ergeben und aufteilen, hinfällig ist.
Die vollzogene Teilung der Teilung und der aus ihr hervorgehende messianische Rest bilden
mit dem Ganzen eine, wie Agamben schreibt, außerordentliche Dialektik. Das Ganze ( pas,
panta) sei bei Paulus der eigentliche Ausdruck für das eschatologische telos65, dann wäre da
61 Ebd., S. 6662 Ebd., S. 5463 vgl. ebda., derjenige, der in der messianischen Berufung bleibt, kenne kein Als-ob, verfüge nicht mehr überGleichnisse64 Siehe z.B. Immanuel Kant: Prolegomena §13, Meiner Verlag 2001, S. 4965
u.a. Ziel, Ausgang, Grenze, Vollendung. Taubes habe beobachtet, dass der 1. Korintherbrief wie eine Fuge(Flucht) um den Begriff pas gebaut sei, vgl. Die Zeit…, S. 68. Das verweist vielleicht auf einen anderen Gebrauchder Sprache, der sich sicherlich sehr vom heutigen unterscheidet. Vielleicht war der Abstand zur Sprache einviel größerer, während wir heute sozusagen tatsächlich ‚in der Sprache sind‘.
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der Teil (meros), „der die profane Welt, die Zeit unter dem Gesetz definiert“66. Dann gibt es
noch den Rest, der weniger Gegenstand der Rettung sei, sondern vielmehr das, was sie möglich
mache. Diese Rettung bezieht sich auf die geteilten Völker, auf Israel: die Verkleinerung
Israels, die es als ‚Teil‘ und als Rest konfiguriere, habe sich über die Rettung der ethnê67 , der
Nichtjuden, ereignet und gehe seiner Vollzahl als das Ganze voran, „da am Ende, wenn das
plérôma68 der Völker eingetreten sein wird, ganz Israel gerettet werden wird“69. Agamben
schließt, dass der Rest einen Überschuss des Ganzen gegenüber dem Teil und des Teils
gegenüber dem Ganzen darstelle, „der wie eine sehr spezielle seteriologische Maschine
funktioniert“70. Diese nun erläuterte „seteriologische Dialektik“ werde klar durch Röm 11,11-
26, welche nun zitiert wird, um Agambens Vorgehensweise zu obigen Interpretationen und
Schlüssen nachvollziehbarer zu machen oder vielmehr als einfache Demonstration seiner
Lesart:
11Ich sage nun: Nicht schwankten sie fielen? Nicht geschehe es! Aber durch ihren Fehltritt die Rettung [istgekommen zu] den Völkern, zum Eifersüchtig-Machen sie. 12Wenn dann der Fehltritt [der] Reichtum derWelt [war] und die Verminderung ihrer [der] Reichtum der Völker, um so mehr die Fülle ihrer. 13Euch dannsage ich den Völkern. Insofern also bin ich der Völker Gesandter, den Dienst meiner ehre ich, 14wenn icheifersüchtig machen werde meiner das Fleisch und retten werde einige von ihnen. 15Wenn denn dieVerlassenheit von ihnen Versöhnung der Welt [gewesen ist], was [wird sein][ihre] Aufnahme wenn nicht[das] Leben von [den] Toten? 16Wenn dann die Erstlingsgabe heilig [ist], [so] auch der Teig; und wenn dieWurzel heilig [ist], [so] auch die Zweige. 15Nicht nämlich will ich, [daß] ihr nicht wißt, Brüder, dasGeheimnis dieses, damit nicht ihr seid für euch selbst klug: daß Verhärtung zum Teil Israel widerfahren, bisdaß die Fülle der Völker eingetreten sei, 26und so ganz Israel gerettet werden, wie geschrieben steht: Es wird
kommen aus Zion der Rettende, er wird ausstoßen [die] Gottlosigkeiten aus Jakob71
Der Rest kann ebenso in zeitlichen Dimensionen auftauchen und er existiert lediglich in der
messianischen Zeit, und in der Jetztzeit, die einzig reale Zeit, gibt es nur den Rest. Sie steht der
chronologischen, bürgerlichen Zeit gegenüber oder wird vielmehr von ihr durchzogen. Die
messianische Zeit kann wie eine messianische Zäsur verstanden werden, im Sinne des Schnitts
des Apelles, der „die Teilung der Zeit selbst teilt“72. Sie ist die operative Zeit, die in der
chronologischen Zeit73 dränge, die diese im Innern bearbeite und verwandelt - in diesem Sinne:
66 Ebd., S. 6867 Bezeichnet Nichtjuden, Ioudaíoi die Juden. Das Konzept „Volk“ sei in der Bibel immer schon geteilt: am (Israel) und goj (die gojim sind die anderen Völker); in der Septuaginta wird am mit laos und gojim mit ethnêübersetzt. Agamben merkt hier an, dass die Septuaginta nicht auf den griechischen Begriff demos für Volkzurückgreif e und das deutlich werde, dass der Begriff Volk immer schon geteilt sei und von „einem originärtheologisch-politischen Grabenbruch durchzogen wird“ S. 60 68 πλήρωμα: Erfüllung, Errichtung, Vollkommenheit, Fülle, Summe 69 Ebd. S. 6970 Ebda.71 Ebd., S. 188f (Anhang)72 Ebd., S. 7673 Diese folgt der Idee der Linearität von Zeit, sie kann als profane, oder bürgerliche Zeit definiert werden.Interessanterweise steht die Idee der Linearität der bürgerlichen Zeit in Frage, siehe dazu z.B. Vesselin Petkov,2013: From Illusions to Reality: Time, Spacetime and the Nature of Reality , S.13ff. Bergson kritisiert dieseVorstellung von Zeit ebenso, in z.B. Materie und Gedächtnis
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Die Zeit, die uns bleibt , oder im Sinne Guillaumes: “die Zeit, die wir benötigen, um unsere
Zeitdarstellung zu beenden, zu vollenden“ 74. Agamben unterscheidet die messianische Zeit als
jene, „die wir selbst sind“ und die chronologische Zeit als jene, „in der wir sind“75. Jene also
der messianischen Zeit, seien nicht ohnmächtige Zuschauer ihrer selbst, da dieses Selbst bereits
widerrufen ist, denn die messianische Zeit ist die des Als-ob-nicht , die Zeit, in der wir nicht
über Gleichnisse verfügen (müssen, wollen). „Der chronos ist das, in dem es kairós gibt, und
der kairós ist das, in dem es wenig chronos gibt“ lautet für Agamben eine gelungene
Darstellung dieser Beziehung; kairós sei im Grunde ergriffener chronos76. Somit stelle
wiederum die messianische Welt eben unsere profane Welt dar, mit einer kleinen Entstellung,
einem kleinen Unterschied, dem „das ich meinen Bruch mit der chronologischen Zeit ergriffen
habe77. Eine messianische Erfahrung verläuft zwischen einem Schon und einem Noch- nicht ,
denn die Rettung (Jesus Ankunft und Auferstehung) sei schon vollendet, aber „gleichwohlimpliziert sie für ihre wirkliche Vollendung eine weitere Zeit“78. Der Begriff der Parousie |
παρουσία ist hier zentral, die einerseits den Übergang von einem Zeitalter (Äon | αιών) zum
nächsten markiere und somit aber der chronologischen Zeit hinzugefügt werden könnte (das
wäre ein Beispiel für eine Bewegung des Als-ob) und das erwartet werden kann, aber im
messianischen Sinne ist sie vielmehr „die Zeit, die zwischen diesen beiden Zeiten“79 verläuft,
die übrig bleibt und unaufhörlich die profane Zeit bearbeitet, um eine Öffnung zu ermöglichen.
Verstehen lassen sich diese Bewegungen auch mit den Begriffen des Glatten und desGekerbten80. Der glatte Raum ist jener, in dem metrische Orientierungspunkte aufgehoben,
sozusagen wiederrufen sind und im gekerbten Raum sind wir sesshaft, es ist ein begrenzter
Raum, da das Glatte hier gekerbt ist, wie z.B. durch die chronologische Zeit. Die grundlegende
Unterscheidung ist jene, das im Gekerbten die Linien den Punkten untergeordnet werden und
im Glatten die Punkte den Linien, d.h. auch, dass man die beiden Begriffe nicht stringent in
Opposition versetzen kann, da der eine immer den anderen bearbeitet. „Im gekerbten Raum
wird eine Oberfläche geschlossen, und entsprechend den festgelegten Intervallen, nach den
festgesetzten Einschnitten teilt man sie wieder auf“; beim Glatten wird man in einem offenen
74 Vgl. ebd. S. 81; die operative Zeit im Sinne Gustave Guillaumes: Da wir über keine Anschauung der Zeitverfügen, greifen wir auf räumliche Konzeptionen zurück (Bild-Zeit), und die Zeit, die der Denkvorgang für diesebenötige, nennt er operative Zeit, die wiederum einen Abstand, eine Verspätung erzeuge. Genau dieserVorgang kann aber nicht wiedergegeben werden, taucht in keiner Darstellung des Denkens auf.75 Ebd., S. 8176 Ebd., S. 82f (die gelungene Darstellung entstammt dem Corpus Hippocratium)77 Ebda.78 Ebd., S. 8379
Ebd., S. 7680 Gilles Deleuze und Felíx Guattari, 1992: Tausend Plateaus, S. 658ff
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Raum verteilt“81. Dem glatten Raum kommt die Eigenschaft der Öffnung, der Offenheit zu,
aber im Sinne der Umorganisation des Gekerbten. Es wird noch eine dritte Form von Raum
genannt, der durchlöcherte Raum und vielleicht ist es jener, der hier am ehesten zur Debatte
steht, wenn man das Messianische mehr als Loch-Machen versteht, das keine Umorganisation
von Punkten und Linien hinterlässt. “Man sollte niemals glauben, daß ein glatter Raum genügt,
um uns zu retten“82.
Abschließend zu diesem Kapitel lässt sich nun noch(einmal) eine scheinbar gängige
Verwechslung klären, Apostel und Visionär, Messianismus und Apokalypse: Häufig würde die
messianische Zeit mit der eschatologischen verwechselt und somit die zusammengedrängte Zeit
mit der des Endes83, denn den Apostel interessiere nicht der letzte Tag, sondern die Zeit, die
zusammengedrängt sei und zu enden beginne84. Diese Missverständnisse scheinen neben
grundlegenden Interpretations- und Übersetzungsproblemen auch mit dem der Modernisierung
und Säkularisierung zusammenzufallen, vielleicht da hier eine religiöse Thematik eingeebnet
wird („das Spezifisch Messianische wird undenkbar“) zugunsten eines weltlichen
Verständnisses im Sinne einer Aneignung85, die wiederum einer Widerrufung, Aufhebung
entgegenwirkt.
81 Ebd., S. 66682 Ebd., S. 69383 Vgl. Die Zeit…, S. 84: „Das Ende der Zeit ist […] eine Bild-Zeit, die auf der homogenen Linie der Chronologieden letzten Punkt bezeichnet […] Kant muß an eine Zeit diese Art gedacht haben, als er in Das Ende der Zeit voneiner widernatürlichen und verkehrten Konzeption vom Ende der Zeit sprach“. 84 Vgl. ebd., S. 7585 Vgl. ebd., S. 75f
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Der Gebrauch der Sprache; nomos und pistis
Der Glaube sei zunächst oder vor allem in der Erfahrung eines Wortes (vgl. Röm 10,17 und 1
Kor 14), aber welches ist das richtige Verhältnis zum Wort des Glaubens? To rêma tês písteôs86,
siehe Röm 10, 6-1087
. Dies ist ein Verweis auf den Gebrauch der Sprache, nah beim Wort bleiben, die Treue halten, Vertrauen; wie schon beschrieben, es handelt sich um eine
Lebenswelt jenseits der Prädikate, der Existenzen und Essenzen, die vielleicht das Vertrauen
im Sinne der Nähe zum Wort durchkreuzen, Hierarchien erzeugen und Gewissheit suggerieren.
„Bei Paulus verläuft aber die Korrespondenz nicht zwischen verschiedenen Wörtern oder
zwischen Wörtern und Fakten, sondern sozusagen im Wort selbst, zwischen Mund und Herz“88.
Auch hier finden wir einen Bruch, ein Loch, das in die Sprache, vielmehr in den Gebrauch
derselben gemacht wird, denn der denotative Charakter des Gesprochenen wird außer Kraft
gesetzt. „Das Wort des Glaubens zu erfahren bedeutet daher nicht, den denotativen Charakter
des Wortes, seine Referenz auf die Dinge zu erfahren“ und somit ist dies auch eine Erfahrung
des freien Gebrauchs, „ohne sich im Dogma zu schließen“89. Genau diese Referenzen stehen
im Allgemeinen in Frage, denn die Beziehung der Referenz (auch die Zeit ist eine Referenz) zu
den Dingen überschreibt jene mit einer Form von Identität, überführt sie in den Bereich der
Nutzbarmachung, der Aneignung. Das Sprechen, das verkündet, überführt diese Erfahrung ins
Innere und rückt wiederum die Sprache nah an das Tun, dem Sprechen selbst, dass seine
Legitimation nicht außerhalb, durch Referenzen auf was auch immer, finden kann, sondern nur
in dem Moment des Sprechens selbst, insofern das „Wort nahe ist, daß es in der Korrespondenz
zwischen Mund und Herz gespannt ist“90. Agamben geht mit seinen Gedanken in Richtung
Linguistik, um eben diese zu verdeutlichen oder auch abzugrenzen und schreibt hier nun vom
Perfomativen der Sprache im Sinne Austins, bei dem die Wertigkeit zwischen wahr und falsch
außer Kraft gesetzt ist, da die Bedeutung einer Aussage mit der Realität zusammenfalle, im
86
To rêma (ῥῆμα: Wort, Ausdruck, Rede, Satz, Botschaft,..) tês písteôs [πίστις | pistis
] Vertrauen, Glauben,Treue, Überzeugung, Gelöbnis, aber auch Kredit, Vertrag, Bündnis, Glaubwürdigkeit87 5 Μωϋσῆς γὰρ γράφει [ὅτι] τὴν δικαιοσύνην τὴν ἐκ (τοῦ) νόμου {ὅτι} ὁ ποιήσας {αὐτὰ} ἄνθρωπος ζήσεται ἐναὐτοῖς [bei Agamben αὐtῇ]. 6 ἡ δὲ ἐκ πίστεως δικαιοσύνη οὕτως λέγει· μὴ εἴπῃς ἐν τῇ καρδίᾳ σου· τίςἀναβήσεται εἰς τὸν οὐρανόν; τοῦτ’ ἔστιν Χριστὸν καταγαγεῖν· 7 ἤ· τίς καταβήσεται εἰς τὴν ἄβυσσον; τοῦτ’ἔστιν Χριστὸν ἐκ νεκρῶν ἀναγαγεῖν. 8 ἀλλὰ τί λέγει; ἐγγύς σου τὸ ῥῆμά ἐστιν ἐν τῷ στόματί σου καὶ ἐν τῇ καρδίᾳ σου, τοῦτ’ ἔστιν τὸ ῥῆμα τῆς πίστεως ὃ κηρύσσομεν. Die eckigen Klammern verweisen auf die Ausgabeim Anhang von die Die Zeit…, die mit {} markieren die Stellen, jene die ebenda ausgelassen sind, da NA 28 undAgambens Edition differieren. Nun seine Übersetzung, Anhang S.184f: 5 Moses nämlich schreibt, daß dieGerechtigkeit die aus [dem] Gesetz: Der gemacht habende Mensch wird leben in ihr. 6 Die aber aus [dem]Glauben Gerechtigkeit so sagt: Nicht sage in dem Herzen deiner: Wer wird steigen zu dem Himmel? Das ist,[den] Messias herabholen […Auslassung von mir] 8 Aber was sagt sie? Nahe bei dir das Wort ist, in dem Mund
deiner und in dem Herzen deiner, das ist das Wort des Glaubens das wir verkünden88 Ebd., S. 145f89 Ebd., S. 146 und S. 15190 Ebda.
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Aussprechen selbst, es stelle diese im Sprechen her 91. Jedoch wird er später schreiben, dass das
Wort des Glaubens reine Potenz bleibe und weder „mit einer denotativen Proposition noch mit
dem performativen Wert einer Äußerung zusammenfällt“92. Des Weiteren denkt er an Foucault
und den Begriff des Geständnisses, die „Formen der Wahrsagung“, wobei nicht so sehr der
Inhalt der Aussage wichtig sei, vielmehr das Aussprechen des Wahren selbst, das Subjekt binde
sich an die eigene Wahrheit die „so seine Beziehung zu den anderen und zu sich selbst
verändert“93. Agamben unterscheidet nun zwischen dem Performativen des Schwurs und dem
der Buße, denn in dem Zwischenraum dieser beiden finde sich die messianische Erfahrung des
Wortes, der Sprache. Das Wort des Glaubens gehe bei Paulus auf eine Ebene jenseits der
denotativen Beziehung zwischen Sprache und Welt94,
auf einen ursprünglicheren Rang des Wortes […] Jede Offenbarung ist immer zuallererst Offenbarung der
Sprache selbst, Erfahrung eines reinen Ereignisses des Wortes, das jede Bedeutung überschreitet undgleichwohl von zwei entgegengesetzten Spannungen belebt ist: Die erste wird von Paulus nomos genannt.Der nomos versucht den Überschuß zu begrenzen, indem er ihn nach Vorschriften und semantischen Inhaltenartikuliert. Die zweite Spannung hingegen fällt mit der pistis zusammen, und ist darauf gerichtet, denÜberschuß jenseits jeder bestimmten Bedeutung offenzuhalten95
So ist es das Messianische, das die im nomos übertragene Potenz in verbindliche Vorschriften
und Verheißungen in Werke nicht einfach negiere, sondern sie de-aktiviere, unwirksam mache
(katargéin) und sie der (reinen) Potenz in Form von Untätigkeit und Unwirksamkeit
zurückgebe96. Laut Agamben beziehe sich der Begriff der katargéin auf ein hebräische Verb,
das sich wiederum auf die Sabbatruhe bezog und dies sei kein Zufall, dass sich die
Auswirkungen des Messianischen auf die Werke des Gesetzes in einem Verb mitklingen, das
die Suspendierung der Werke am Sabbat bezeichne97. Dieses Untätig-sein-können verläuft
vielleicht parallel zum Sich-verkennen-können und so sind wir wieder auf einer Ebene jenseits
der Ansprüche auf Identität und Eigentum, vielmehr nun auch jenseits von Tätigkeit und
Wirken im Sinne der Zwecke und Mittel, die im alltäglichen Tätig-Sein implizit sind.
91 Ebd., S. 14792 Ebd., S. 152 (Agamben bezieht sich auf einen Kommentar Origenes zu Röm 10,9f)93 Ebd., S. 14994 Interessant auch Agambens Gedanke, „daß die denotative Beziehung zwischen Sprache und Welt ganzeinfach das Resultat eines Bruchs mit der ursprünglich magisch-performativen Beziehung zwischen Wort undDing ist“, ebda. Dieser Bruch bringt ein Austrocknen, eine Erstarrung der Beziehung des Menschen zu sich undzu Welt mit sich, wie auf folgender Seite angeführt95 Ebd., S. 15096 Vgl. ebd., S. 111 und 1 Kor 15,24; Röm 10,4; 2 Kor 3,12-13 und vgl. S. 113 „Die messianische katárgêsis schafftnicht einfach ab, sondern bewahrt auf und vollendet“. Was hier angedeutet ist, ist das Spiel mit der Oppositionvon dýnamis und enérgeia, S. 110f und vgl 2 Kor 12,9 auf das hier nun nicht eingegangen wird97 Vgl. ebd., S.109f. und Röm 7,5f: „Denn als wir im Fleische waren, wirkten die Leidenschaften der Sünden, die
durch das Gesetz sind, in unseren Gliedern, um dem Tode Frucht zu bringen. Jetzt aber sind wir von demGesetz losgemacht, da wir dem gestorben sind, in welchem wir festgehalten wurden, so daß wir dienen in demNeuen des Geistes und nicht in dem Alten des Buchstabens.
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Nomos steht für die geschriebenen Gesetze, nomos stellt, allgemeiner formuliert, die Sphäre des
A oder Nicht-A dar, die der Unter- und Einteilungen im Sinne der Idee der teilenden Ordnung.
Für Agamben stellen die beiden Sphären98 in ihrem Wechselspiel ein fundamentales Verhältnis
von Gesellschaft dar (man denke hier wieder an das Glatte und das Gekerbte), jedoch ist seine
Aussicht pessimistisch, wenn auch realistisch:
Wie die Geschichte der Kirche - aber auch der societas humana in ihrer Gesamtheit - deutlich zeigt, ist dieDialektik dieser beiden Erfahrungen des Wortes grundlegend. Wenn die zweite Art - wie es fatalerweisegeschieht und wie es heute wieder zu geschehen scheint - unwichtig wird und ausschließlich das Wort desnomos herrscht, wenn das perfomativum fidei gänzlich vom performativum sacramenti verdeckt wird, dannwird das Gesetz selbst starr, verkümmert die Beziehung unter den Menschen und verliert jede Gnade und
jede Vitalität99.
Bruch und Übergang, die Geste
100
Die Menschheit hat ihre Gesten und alle Natürlichkeit verloren,
im selben Moment versucht sie sie wieder einzufangen und bringt sie jedoch zum Erstarren
101
.
Eine Geste sei etwas innerhalb der Sphäre des Tuns, wo nun aber unterschieden werden kann
zwischen hervorbringen und ausführen; in einer Geste bringe man weder etwas hervor, noch
führe man etwas aus, sondern man übernehme etwas und trage es und somit eröffne die Geste
die Sphäre des ethos102. Relevant für Agamben ist, dass die Geste die falsche Alternative
zwischen Mittel und Zweck unterwandere, da sie sich außerhalb der Mittelbarkeit und
98 Hier sind nun eher zwei verschiedene Arten von nomos gemeint (denn die messianische Bewegung, wieschon gesagt, schafft das eine nicht einfach ab, sondern transformiert es durch Einführung von etwas gänzlichanderem, so muss nicht unbedingt, auch wenn es so scheint, von einer dritten Alternativen die Rede sein, denndieses Dritte würde sich wiederum von der Logik des nomos ableiten, sich daneben platzieren, anstatt derAußer-Kraft-Setzung, vgl. auch S. 108f: Das messianische Gesetz ist das Gesetz des Glaubens und nicht einfachdie Negation des Gesetzes, „es geht vielmehr darum, der normativen Vorstellung vom Gesetz mit einernichtnormativen Vorstellung zu begegnen“ 99 Ebd., S. 150f100 Illustration: Ausschnitt aus dem Film Course Jambes Seules; Étienne-Jules Marey 1893 101 Vgl. Giorgio Agamben, 2006: Mittel ohne Zweck, S.50 (Man denke nur an naturhistorische Museen, in denendas Leben seiner Vitalität beraubt ist, um in konservierter Form betrachtet werden zu können. Im Namen derWissenschaft, im Namen der Bildung sind die Dinge der Welt aufgereiht und aufgebahrt)102 Vgl. ebd., S. 53
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Verzweckung bewege103. „Für ein Verständnis der Geste ist deshalb nichts irreführender als die
Vorstellung einer Sphäre von Mitteln, die auf einen Zweck gerichtet sind (beispielsweise der
Gang als Mittel, den Körper von A nach B zu verlagern) und daneben […] eine Sphäre der
Geste als Bewegung, die ihren Zweck in sich selbst hat (zum Beispiel der Tanz als ästhetische
Dimension)“104. Eine Aufhebung von Mittel und Zweck, eine Art Entzweckung erscheint
befremdlich, sind diese Begriffe doch eng an den Menschen als handlungsfähig gebunden.
Noch befremdlicher wird es, wenn man nun an die Sphäre der Sprache denkt und überlegt, wie
ein Gebrauch von Sprache möglich sein könnte, jenseits der Konstellationen von Zweck und
Mittel, Referenzen und dem Denotativen (ein Beispiel könnte das Gedicht sein, oder Gesang,
in dem nicht mehr so sehr der gesungene Text selbst relevant ist, sondern der Moment des
Singens selbst, die Bewegungen der Töne, die in einem Chor beispielsweise wie Wellen
ineinander übergehen). In der Geste lebe eine reine Mittelbarkeit ohne Zweck und z.B. seien inder Pantomime die auf die vertrautesten Zwecke gerichteten Gesten dargestellt, blieben jedoch
in der Schwebe einer reinen Mittelbarkeit (milieu pur )105. Am Rande ein anderer
Gedankengang: Die Verfasstheit des Menschen im Rahmen der Begriffe Materie und Geist.
Deren Zusammenspiel wurde bereits angedeutet. Sehr häufig sind es allein die Kategorien des
Geistes, die jene der Materie (Körper) beurteilen (Nativität und Nation, z.B.), so kommt es,
dass wir bei einer Bewegung von einem Vorankommen von A nach B sprechen, wobei wir
mehr oder weniger unfähig sind, Bewegtheit als solche (als Geste) zu denken. „DieEinbildungskraft kann nicht umhin, die Ruhe für der Bewegtheit vorausliegend zu halten, weil
wir es in der Praxis bevorzugend, stillstehende Gegenstände zu manipulieren“106. Die
menschliche Psychophysiologie erkennen können, hieße im Gehirn, oder allgemeiner im
Körper, Gedanken oder vielmehr Bewusstsein erfassen zu können. Folgt man Bergson würden
wir bei der Erfahrung des Bewusstseins als solchem aber lediglich nur insofern aufgeklärt
werden, wie wir es „über ein Theaterstück durch das Kommen und Gehen der Schauspieler auf
der Bühne wären“107. Die Bewegungen der Schauspieler sagen also mehr oder weniger etwas
über das Stück aus, meist sehr wenig, jedoch fast alles, wenn es sich um eine Pantomime
handele108. Wieder wird deutlich, dass der Sphäre der reinen Mittelbarkeit, dem was aus ihr
stammt, sozusagen kein Vertrauen geschenkt wird. Dominant ist eine Ordnung der Aneignung,
der Mittel und Zwecke, der Blicke auf die Repräsentationen und dazu erdachten Referenzen.
103 Vgl. ebd. S. 54104 Vgl. ebda.105 Vgl. ebd. S. 55106
Henri Bergson, 2015[1896]: Materie und Gedächtnis, S. XXI (Vorwort Rémi Brague, vgl. S. 269 ebenda).107 Ebd. S. 8108 Vgl. ebd. S. 9
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Menschen, viele Menschen, die zivilisierten Menschen, welche Zäsur man nun auch immer
setzen will, sind, in diesem Sinne, kaum mehr fähig, sich zu verkennen und zwar zugunsten des
Glaubens zu wissen. Um sich zu wissen, um die Dinge der Welt zu wissen. Ein Wortspiel, das
auch darauf verweist, dass man vielleicht tatsächlich sagen kann, die Wissenschaft habe die
Religion (im klerikalen Sinne) ersetzt .
Symptome abendländischer Kultur; abschließende und offene Gedanken
Nun noch einige Überlegungen, die zugegeben, knapp ausgeführt sein werden. Gesetze haben
die Funktion zu teilen und zu trennen109 und nun lässt sich hier ein anderes Zitat anfügen, denn
wiederum sei das Prinzip der Teilung und Trennung der Kern der Zwangsneurose110. Es wird
nun keine klinische Untersuchung folgen, diese Anmerkungen sollen lediglich die Verbindung
zwischen phantasmatischer Struktur des Subjekts und der der Formation von Gesetzen
andeuten, die also weniger mit der ‚der‘ Ordnung im Sinne einer scheinbaren alternativlosen
Notwendigkeit zu tun haben. Noch offen ist die Frage nach dem Verweis des Messianischen
auf eine reale oder symbolische Ordnung. Wie schon angedeutet, müsste das Symbolische
umdefiniert werden, wenn es nicht als Option in diesem Kontext nun hinfällig ist, denn es gilt
zumeist als das, was einen Menschen formt, ihn in gesellschaftlich vorgegebene Bahnen
lenke111. Jedoch impliziert das Symbolische immer schon einen Rest, genauer „die Gegenwart
des Realen“, also jene Dinge, die sich einer Symbolisierung entziehen112
. Das Imaginärewiederum gilt den Objekten: imaginären Objekte wie z.B. das Ich. Das daraus folgende
Selbstbild und die Beziehungen, die zwischen Menschen verlaufen, seien eher im Imaginären
angesiedelt, zwischen „Ichs“ und zwar anhand der Teilung in gleich oder verschieden. Gerade
aber diese Teilung impliziere immer schon symbolische Momente (Nationen, Eltern,
Generationen, etc.)113 und so kann man unsere Form von Kultur, in der sich Menschen, etwas
überspitzt formuliert, lediglich entlang der Raster Alter, Klasse, Geschlecht, etc. begegnen, als
imaginär-symbolische Struktur denken und vielleicht sind es die Formen des Imaginären, diedie des Symbolischen überdecken. Allerdings ist das Imaginäre das notwendige Dritte, das
Reales und Symbolisches überhaupt zusammenhalte114, insofern bedingen sich alle drei
Register und die Frage nach dem Verweis auf das eine oder andere Register ist im Grunde
hinfällig. Wie schon angemerkt, müsste man das Symbolische in seiner Struktur verändern, um
109 Vgl. Agamben, Die Zeit…, S. 59 110 vgl. Chasseguet-Smirgel, 1989, S. 174111 Fink, S. 83 er betont hier allerdings, einer freudianischen Interpretation im Sinne des sog. Realitätsprinzips
Vorzug zu leisten112 Ebd., S. 47 und 54113 Ebd., S. 114114 Vgl. Jacques Lacan Seminar XXII, RSI, S. 6 (private Übersetzung von
Max Kleiner, Lacan Archiv Bregenz)
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es als Boden für die messianische klēsis denken zu können. Durch die Aufhebung der Identität
beispielsweise wird jedoch fraglich, inwieweit die Idee, den Menschen anhand von den drei
Registern zu denken, überhaupt noch relevant sein würde (da diese Register in Summe Identität
stiften). Eine Frage, vielleicht ähnlich der, was nach der Neurose kommen mag, jenseits dieser
Verfasstheit, mit ihrer Entweder-Oder Logik, Teilungen und Gesetzen.
Zum Thema ‚der Religion‘ aus psychoanalytischer Sicht lässt sich etwas mehr sagen.
Manchmal wird davon ausgegangen, dass in der Religion das verdeckt würde, was nicht gehe.
Sie sei etwas, das leugne, dass es keinen personalen Anderen gäbe. Religion könne so aber auch
als Symptom betrachtet werden115. Wie inzwischen hoffentlich dargelegt, teilt uns Paulus das
Gegenteil von dem hier nun Angenommenen mit, wenn Sie sich erinnern, dass Gott - sozusagen
im weltlichen Sinne - tot ist, das wir ohne ihn auf dieser Welt sind und dieses Ohne-Gott-Sein
nicht verschleiern dürfen. Man denke hier an Nietzsches „Gott ist tot“116. Dessen Aussage
allerdings nicht zwangsläufig eine „Formel des Unglaubens“ umfasse, sondern vielmehr eine
„Besinnung, die dem nachdenk t, was mit der Wahrheit der übersinnlichen Welt und mit ihrem
Verhältnis zum Wesen des Menschen schon geschehen ist“117. Jedoch ist dieses
‚ Nietzschewort‘ etwas, das oftmals als Atheismus im Sinne der Aufklärung per se gedeutet
wurde und wird. Jedoch stellt sich hier wieder die Frage nach dem Gebrauch der Dinge. Solche
Interpretationen verweisen auf eine gewisse Ideologie, vermeintliche Aufklärung und die oft
damit verbundenen vulgäratheistischen Formationen, die, so nun die Behauptung, Nietzsches
Aussagen für sich verzwecken118. Nietzsches Kritik an der Moral, die er am aufkeimenden
Christentum festmacht, lässt sich durchaus aufrechthalten, wenn man den Begriff Christentum
nicht derart allgemein fasst119. Raunig liest die Entwicklung des Christentums im ‚üblichen‘
Sinne, wenn er den Übergang des Alten Testaments mit der Ankunft Jesu als Erfüllung der
115 Vgl. Ulrike Schneider-Harpprecht, 2000: Mit Symptomen leben: eine andere Perspektive der PsychoanalyseJacques Lacans - mit Blick auf Theologie und Kirche, S.84f und Jacques Lacans Vortrag (1974): Der Triumph der
Religion (erschienen bei Turia + Kant), wie der Titel anmutet, gesteht Lacan der Religion die Bildung einesSymptoms im Grunde zu, eine Bildung also, die ein Subjekt überhaupt lebensfähig macht, jedoch so Crockett,triumphiere die Religion auch über das ‚Liberale‘ im Sinne der Aufklärung und es sei ein Zeichen für LacansPessimismus. Crockett verwendet Religion und Theologie synonym wie es scheint, unterscheidet jedochTheologie als Ideologie davon und es sei letztere, die triumphiere (vgl. Clayton Crockett, 2015: The Triumph ofTheology, S. 250f). Damit wären wir wieder im Bereich des Gebrauchs der Dinge116„Gott ist tot“ meine wohl vor allem die abendländische (platonische) Metaphysik, so Heidegger: „dieübersinnliche Welt ist ohne wirkende Kraft. Sie spendet kein Leben […] Der Nihilismus, ‚unheimlichster allerGäste‘, steht vor der Tür“ (GA V, S. 217) 117 Ebd., S. 219118 Interessant auch eine Überlegung Crocketts, 2015, S. 258 „because the acknowledgment that God isunconscious here means that atheism itself is jouis-sans, without joy“ 119
Sicherlich gibt es Menschen, die sich Christen nennen, z.B. an eine weltlicheklēsis
glauben und diewiederum die Völker sozusagen geteilt denken, in die der Christen und die der Nicht-Christen, oder man denkean die Vergangenheit der Kirche, den Zwang zu Glauben, usw. Jedoch fällt all dies in den Bereich derVerzweckung, der hier durchwegs in Kritik steht.
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(alten) Gebote liest, er schreibt auch von einem Neubeginn, jedoch nicht von einer Außer-Kraft-
Setzung dieser, vielmehr sieht er im Neubeginn eine radikale Zuspitzung der alten Ordnung120.
Ein Problem ist vielleicht die Lesart: es ist ein Ich, das jene Stellen liest, sie quasi wörtlich
nimmt und einen womöglich anderen, historischen Index, der auf einen völlig anderen
Gebrauch verweist, außer Acht lässt. Der Kern seiner Kritik läuft auf die Logik des
Bekenntnisses, der Beichte hinaus und deutet darin einerseits den Moment der Unterwerfung,
mit dem aber ebenso eine Selbsterhöhung einhergehe. Dies sei erklärbar durch eine Tendenz,
das Begehren des Subjekts zur Selbstzerteilung, da es sich so als Individuum angerufen fühle121.
Es ist Nietzsche, für den Moral die Selbstzerteilung des Menschen ist und sicherlich hatte er
nicht unrecht, jedoch lässt sich die Tendenz zur Teilung, wie schon angedeutet, vielmehr mit
Ökonomie und dem (staatlichen) Recht in Verbindung bringen und Moral schlussendlich mit
diesen Diskursen in Verbindung setzen. In Menschliches, Allzumenschliches zeigt sich der Kernin Nietzsches Kritik, der „den moralischen Menschen allzu menschlich als immer
gleichbleibendes, sichres Maß der Dinge ins Zentrum stellt“122. Eine fundamentale Kritik an
dem, was wir heute Anthropozentrismus nennen. Sind genau jene Dinge, die diesen Zentrismus
bedingen im Messianischen nicht aufgehoben, außer Kraft gesetzt?
Nun noch zurück zu den begonnenen Gedanken zur Religion als Symptom: Wenn man nun den
Blickwinkel hinsichtlich der Annahme ‚Gott als imaginäre Funktion‘, geradezu als Vaterfigur
etwas dreht, kann man an Freuds Totem und Tabu denken, in dem er den sogen.
Urhordenmythos präsentiert, in dem es der Vater der Horde war, der sterben musste, damit
Raum für etwas Symbolisches entstehen konnte. Denn die Söhne (allgemeiner gesprochen: Die
Kinder, die Nachkommenschaft) sind es nun, die eine Art Bündnis (symbolisch) eingehen
müssen, da der Vater, als Dreh- und Angelpunkt und absoluter Eigentümer, als alleiniger
Verwalter, tot ist. Im Grunde ein entscheidender Gedanke, der oftmals, so meine Behauptung,
verfehlt wird, wenn von Seiten der PsychoanalytikerInnen die Notwendigkeit des Namen-des
Vaters123, dessen Installation gefordert wird (es liegt hier eigentlich ein Verweis auf eine
imaginäre Funktion, sie sich im Symbolischen realisieren soll, die Löcher des Realen im
Symbolischen sozusagen auffüllen soll und wird vielleicht dann als symbolische Funktion
interpretiert, oder imaginiert). Selbst wenn es sich hierbei um eine strukturelle Funktion
handelt, die eine symbiotische, mehr oder weniger reale Verbindung aufteilen soll (Triade), ist
120 Raunig, 2015, S. 107121 Ebd., S. 108, 115122 Ebd., S. 108, Nietzsche, MA, I.1.2123 Ich denke vor allem an die Diskussionen um die „vaterlose Gesellschaft“ und die damit verbundenen Sorgenum die Zivilisation.
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hier dennoch meist eine Personifizierung im Spiel, es ist ein Vater gemeint und man möchte
ihnen geradezu antworten: Der Vater und dessen Funktion als aufteilendes Element im Sinne
einer oikonomia, sie ist schon lange nicht mehr, war es sozusagen nie. Es sind insofern jene,
die das verdecken, was nicht geht und verweisen im Grunde auf ihre eigene Struktur, denn
Lacans These „lautete nicht, dass es Symptome gibt trotz des „guten“ Gesetzes NdV [Namen
des Vaters], sondern das der NdV selbst nur ein mögliches Symptom unter anderen in der Wahl
des Neurotikers ist“124. Ein Gedanke aus einer anderen Ecke führt den Begriff der Identität mit
dem des Vaters und dessen Stammlinie nahe, denn die „Frage nach dem Gesicht hinter den
Masken, nach der Identität hinter den vielen Schichten ist eine Wiederholung des Begehrens
nach dem Vater hinter dem Sohn“125. Im Grunde sehr ähnliche Debatten um die Funktion des
Vaters kennen wir aus bereits vergangenen Jahrhunderten.
All diese Bedenken und Fragen nach der Gesellschaft, nach den Frauen und Männern, nach den
In- und Ausländern, nach der Wissenschaft, der Religion, nach dem Individuellen, nach der
Zivilisation, nach der Kultur und was diese alles mit sich bringen mag, diese Fragen stellen sich
nun überhaupt nicht mehr, folgt man dem, was hier als Messianisches vorgestellt wurde. Denn
all diese Fragen, die damit folgenden Identifizierungen, Zäsuren und Behauptungen verweisen
auf ein ‚falsches Wissen‘, das sich im Grunde im nur Scheinbaren ansiedelt.
Abschließend sei nun noch eine Passage aus Gibrans „Der Prophet“ zitiert, welche
möglicherweise einen Eindruck zum Thema des Gesetzes, im Sinne des nomos und der pistis
vermittelt und der Beziehung der Menschen dazu.
124 Gen. Morel, 2007: Das Symptom, das Phantasma und die Pathologien des Gesetzes, S. 65 und z.B. J. LacanSeminar XXII, Sitzung vom 11. Februar, 1978125 Raunig, 2015, S. 14 (der Begriff Vater kann im Sinne irgendeiner vermeintlichen Autorität gelesen werden,
dem Element, welches verwaltet und besitzt. Raunig verweist hier auf den in seiner Lesart impliziten Anspruch,ohne Anfang zu sein, im Sinne einer natürliche Autorität, anarchos und dieser Anspruch knüpft an die Berufungauf Stammlinien an)
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Von den Gesetzen
Dann sagte ein Rechtsgelehrter: Aber wie ist es mit unseren Gesetzen, Meister?
Und er antwortete: Es freut euch, Gesetze zu erlassen,
Doch mehr freut es euch, sie zu brechen. Wie Kinder, die am Meer spielen und mit Ausdauer
Sandburgen bauen um sie dann lachend zu zerstören.Aber während ihr eure Sandburgen baut, bringt der Ozean mehr Sand an den Strand,
Und wenn ihr sie zerstört, lacht der Ozean mit euch.
Wahrhaftig, der Ozean lacht immer mit den Unschuldigen.
Aber was ist mit jenen, für die das Leben kein Ozean ist
und für die von Menschen gemachte Gesetze keine Sandburgen sind,
Sondern für die das Leben ein Fels ist und das Gesetz ein Meißel, mit dem sie es gern nach ihrem
Ebenbild formen möchten? Was mit dem Krüppel, der die Tänzer hasst? Was mit dem Ochsen, der
sein Joch liebt und den Elch und das Wild des Waldes für streunende und heimatlose Wesen hält? Wasmit der alten Schlange, die ihre Haut nicht abstreifen kann und alle anderen nackt und schamlos
nennt? Und was mit dem, der früh zum Hochzeitsfest kommt und dann übersättigt und müde seines
Weges geht und sagt, dass alle Feste Gesetzesübertretungen seien und alle Feiernden Gesetzesbrecher?
Was soll ich von jenen sagen, außer dass auch sie im Sonnenlicht stehen, aber mit dem Rücken zu
Sonne?
Sie sehen nur ihre Schatten, und ihre Schatten sind ihre Gesetze.
Und was ist ihnen die Sonne anderes als etwas, das Schatten wirft?
Und was heißt, die Gesetze anzuerkennen anderes als sich zu bücken und ihre Schatten auf der Erde
nachzuzeichnen? Aber ihr, die ihr mit dem Angesicht zur Sonne geht,
welche auf die Erde gezeichneten Bilder können euch halten?
Ihr, die mit dem Wind reist, welcher Wetterhahn soll für euch den Weg weisen?
Welches Menschengesetz soll euch binden, wenn ihr euer Joch zerbrecht, aber an niemandes
Gefängnistür rüttelt? Welche Gesetze sollt ihr fürchten, wenn ihr tanzt, aber über niemandes eiserne
Ketten stolpert? Und wer soll euch vor Gericht stellen, wenn ihr euer Gewand herunterreißt, aber es
niemanden an den Weg legt?
Leute von Orphales, ihr könnt die Trommel dämpfen und die Saiten der Leier lockern, doch wer soll
der Lerche befehlen, nicht zu singen?126
126 Khalil Gibran, 2003 [1923]: Der Prophet, S. 44f
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Literaturverzeichnis
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Real , James Clarke & Co, 2015
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Geneviève Morel: Das Symptom, das Phantasma und die Pathologien des Gesetzes, in: RISSZeitschrift für Psychoanalyse. Freud Lacan, Nr. 65, Klinische Strukturen, Verlag Turia +Kant, Wien, 2007
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Gilles Deleuze und Felíx Guattari: Tausend Plateaus - Kapitalismus und Schizophrenie,
Merve Verlag, Berlin, 1992
Giorgio Agamben: Die Zeit, die bleibt - Ein Kommentar zum Römerbrief, Suhrkamp Verlag,Frankfurt a.M. 2006
Giorgio Agamben: Homo Sacer - die souveräne Macht und das nackte Leben, SuhrkampVerlag, Frankfurt a.M., 2015
Giorgio Agamben: Mittel ohne Zweck, Diaphanes Verlag, Zürich, 2006
Giorgio Agamben: Profanierungen, Suhrkamp Verlag, Frankfurt a.M., 2007
Jacques Lacan: Seminar XXII, RSI, private Übersetzung von Max Kleiner, Lacan ArchivBregenz
Janine Chasseguet-Smirgel: Anatomie der menschlichen Perversion, Deutsche VerlagsAnstalt, Stuttgart, 1989
Khalil Gibran: Der Prophet, Patmos Verlag, Ostfildern, 2003
Langenscheidt Wörterbuch, Hermann Menge, unter Berücksichtigung des NT überarbeitete
Ausgabe von K.H. Schäfer und B. Zimmermann, 1993Martin Heidegger: Holzwege, Gesamtausgabe V, 1935 – 1946, Vittorio Klostermann,Frankfurt a.M., 1994
Martin Heidegger: Phänomenologie des religiösen Lebens, Gesamtausgabe II. Abteilung:Vorlesungen 1919 – 1944, Band 60, Vittorio Klostermann, Frankfurt a.M., 1995
Pierfrancesco Stagi: Der faktische Gott, Verlag Königshausen & Neumann, 2007
T.K.V. Desikachar: Yoga - Tradition und Erfahrung, Die Praxis des Yoga nach dem Sutra desPatañjali, Verlag Via Nova, Petersberg, 2009
Ulrike Schneider-Harpprecht: Mit Symptomen leben: eine andere Perspektive derPsychoanalyse Jacques Lacans - mit Blick auf Theologie und Kirche, Lit Verlag, Münster,2000
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Walter Benjamin: Kapitalismus als Religion [Fragment], in: Gesammelte Schriften, Bd. VIHrsg.: Rolf Tiedemann und Hermann Schweppenhäuser, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1991