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Das Onlinemagazin von Fotografen für Fotografen.
Issue IV · Dezember 2009
Vor wort
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Vor wortNoch nie war reisen so einfach. Mit dem Flugzeug gelangt man innerhalb eines Tages auf die gegenüber-
liegende Seite des Erdballs. Die Infrastruktur bessert sich kontinuierlich und Grenzkontrollen werden
einfacher und schneller.
Nahezu jeder Reisende hat eine mehr oder minder professionelle Kamera im Gepäck. Allerdings hängt der
„Ooooh“-Effekt beim Betrachten mitgebrachter Bilder nicht von der Kamera ab - wie so oft. Dass wesent-
lich mehr dazu gehört, eine gute Reisedokumentation zu schießen, erläutern uns Harald und Rita Schnei-
der, Markus Rohrbacher gibt uns mit seinem Kollegen Sebastian Fischer ein Beispiel einer gelungenen
Reisedokumentation und zahlreiche andere Fotografen präsentieren Fotoserien.
Leider muss ich euch auch mitteilen, dass Jens Anders Fortsetzungsartikel über Lichtformer aus berufli-
chen Gründen in diesem Heft nicht zu finden sein wird - maybe next time.
herausgeber, chefredaktion Thomas Bergmüller lektorat Barbara Dorfer, Thomas Bergmüller kontakt Thomas Bergmüller, Maschl 98,
5600 St.Johann / Pg, Österreich, 0043 664 99 48 175, tom@bshotmag.com, skype: nichtessbar web www.bshotmag.com erscheinungs-
weise 4x jährlich, jeweils am Monatsersten März, Juni, September und Dezember verbreitung kostenlos via Internet als Onlinemagazin,
bshotmag.com auflage daher unbegrenzt leserbriefe an leserbriefe@bshotmag.com
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2fach.comVor genau einem halben Jahr (Ausgabe II) haben
wir ein Interview mit Thomas Sporleder (der übri-
gens einen großen Beitrag zum aktuellen Layout
leistete) und Jochen Abitz veröffentlicht.
Die beiden fotografieren fast ständig zu zweit,
assistieren sich gegenseitig und bieten so zwei
verschiedene Sichten auf eine Sache - eine Me-
thodik, die sich in veränderter Form weiter hinten
im Heft wiederfinden wird.
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serie #1 escape the jungle von Jochen Abitzserie #2 palais du vent von Thomas Sporleder
model laura-saffioti.comlocation Hannover, Deutschland
web 2fach.com
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Reise fotografie
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Reise fotografieIm Ausland und schöne Fotos gemacht – Reisefotografie? Nicht ganz. Wenn
man wirklich reist um Fotos zu machen, gehört wesentlich mehr dazu. Die Arbeit
im Vorfeld ist ebenso wichtig wie die Reise selbst.
Alles beginnt mit der Auswahl des Reiselandes. Es gibt 192 + zwei (Taiwan und
Vatikan) Länder, also insgesamt 194. Das sind viele Reiseziele, ganz abgesehen
von den einzelnen, absolut sehenswerten Regionen, die sich auch in Mitteleuro-
pa finden und jede Menge Geschichten bieten. >
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Wohin? Und wie?
Die Auswahl eines Reiselandes wird vom eigenen Interesse be-
stimmt. Unter dieser Voraussetzung hat man auch die besten Be-
dingungen, sich intensiv auf das Land einzulassen. Eine Reise muss
berühren, um authentisch und mit Emotionen davon berichten zu
können. Trotzdem spielen eine Menge anderer Faktoren eine Rolle
bei der Auswahl des Ziels; nicht alle Länder lassen sich gefahrlos
bereisen. Hier ist ein Blick auf die Seiten des Auswärtigen Amtes
Pflicht1.
Der nächste wichtige Punkt ist, sich mit dem Land detailliert ausein-
anderzusetzen. Es gilt, Informationen über Kultur, Religion, Ge-
schichte und Gebräuche einzuholen. Dazu gibt es eine ganze Reihe
hilfreicher Quellen (nebenstehend aufgelistet). Als Fotograf sollte
man dann noch eine Reihe anderer Dinge beachten. Welche Jahres-
zeit wähle ich? Vor- und Nachsaison bieten meist (neben besserem
Licht) kosten- und touristenmassentechnische Vorteile. Auch über
die örtlichen Feste und Feierlichkeiten empfiehlt es sich, im Vor-
feld Informationen zu beschaffen. Außerdem ist es wichtig, über
Infrastruktur und Entfernungen im Land im Bilde zu sein. Sind diese
“Pflichtpunkte“ abgehakt, kann man sich an die eigentliche Planung
der Reise machen.
Bei der Reisefotografie sind große Gruppen, die Familie oder ein
nicht fotografierender mitreisender Freund(eskreis) keine guten Vo-
1 auswaertiges-amt.de/diplo/de/LaenderReiseinformationen.jsp
InformationsquellenInstitutionen> Reiseveranstalter> Fremdenverkehrsbüros> Kulturzentren
Werbematerial> Reisemagazine> Reiseführer
Literatur> Bibliothek> Fotobücher> Literatur des Landes (Fachbücher, Belletristik)
Sonstiges> Internet
raussetzungen. Man wird auf wenig Verständnis stoßen, wenn man
auf frühes Aufstehen im schwerverdienten Urlaub besteht, „nur“ um
das schöne Licht einzufangen.
Reisegruppen besuchen immer um die gleichen Zeiten die Sehens-
würdigkeiten, nämlich zwischen neun und zwölf und zwischen 14
und 17 Uhr. Zwangsläufig wird man sich auf Menschenmassen
und schlechtere Lichtverhältnissen einlassen müssen. Zusätzlich
beschwört man den Zorn der ganzen Gruppe herauf, wenn man für
ein tolles Foto die Busladung ständig warten lässt.
Erschwerend kommt hinzu, dass sich größere Gruppen hauptsächlich
mit sich selbst beschäftigen, der Kontakt zu den Einwohnern kommt
zu kurz.
Das Reisen zu zweit (wie Harald und Rita es machen), beide fotogra-
fierend, ist dagegen ideal und bietet viele Möglichkeiten und Vortei-
le. Die entstandenen Fotos können sich aufgrund unterschiedlicher
Sichtweisen, Vorlieben und Möglichkeiten gut in einer gemeinsamen
Reisedokumentation ergänzen. Beim Fotografieren von Menschen in
ihrem natürlichen Umfeld kann man sich abstimmen. Nachdem das
nötige Vertrauensverhältnis aufgebaut ist, übernimmt der Partner
die Aufgabe, den Probanden abzulenken, während der andere – na-
türlich nach vorheriger Erlaubnis – die Fotos macht.
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Der jeweils zu Fotografierende wird sich so viel natürlicher verhalten
und das sieht man auf den Bildern.
Sind die Reiseziele weiter entfernt und ist die zur Verfügung ste-
hende Zeit kurz, bietet es sich an, sich einem Reiseveranstalter an-
zuvertrauen. Unterkünfte und Fahrzeuge können vorgebucht werden
und ersparen während der Reise abends das zeitraubende Suchen
nach einem freien Hotel, wenn das Licht ideal ist. Der Nachteil einer
festen Hotelbuchung: man ist gebunden und kann nicht spontan wei-
ter reisen, sollte beispielsweise das Wetter einmal schlecht sein.
Für eine vorgebuchte Reise ist eine sehr gute Planung Vorausset-
zung. Der Erfolg einer Fotoreise, selbst der eines Tagestrips, hängt
in hohem Maß von der Planung und Zielsetzung der Reise ab.
Eine weitere durchaus attraktive Reiseform ist es, gar nicht vor-
zubuchen. Hier bietet es sich an, die Hochs und Tiefs der Reise zu
dokumentieren und als roten Faden einer Reiseschau zu nutzen.
Durch die eigene ständig erforderliche Organisation wird man mit
dem jeweiligen Land und dessen Einwohnern intensiv in
Berührung kommen und kann sich Einblicke verschaffen, die man
sonst nie bekäme. Diese Reiseform setzt - neben viel Zeit - eine
sehr intensive Auseinandersetzung mit dem Reiseland voraus, die
weit über den fotografischen Aspekt hinausgeht.
Reiseroute
Bei der konkreten Planung der Reiseroute wird man feststellen, dass
herkömmliche Reisebüros schnell überfordert sind, dafür gibt es
spezialisierte Einrichtungen. „Normale“ Reisen sind für Fotografen
nicht zu gebrauchen, die Verweildauer an den einzelnen Orten ist zu
kurz und es wird viel zu viel herumgefahren. Mit vorher gesammel-
ten Informationen ist es jedoch grundsätzlich möglich, in Koopera-
tion mit spezialisierten Anbietern eine gute Route festzulegen. Bei
Ländern, die sprachlich und kulturell schwer zu bereisen sind, sollte
man sich einer Reisebegleitung anvertrauen, die man über die Reise-
agentur engagiert.
Ausrüstung
Flexibel und leicht! Da gibt es einerseits die Kompaktkamera, die
durch die „Größe“ besticht, in Qualität und Einstellmöglichkeiten
allerdings Einbußen zu verbuchen hat. Andererseits gibt es Spiegel-
reflexkameras, die im professionellen Bereich eingesetzt werden. Sie
wiederum sind groß und unhandlich mit all den Objektiven, allerdings
wegen diverser Vorzüge (Brennweiten, Rauschverhalten, schnelle
Einstellmöglichkeiten) trotzdem zu empfehlen. Als Drittes gibt es
noch so genannte Bridge-Kameras, die einen Kompromiss aus den
beiden Erwähnten machen.
Was bei Reisen immer zu empfehlen ist, ist ein Ersatzbody. Sollte
die Kamera kaputt gehen oder aus welchen Gründen auch immer
abhanden kommen, war‘s das mit der Reisefotografie. Deshalb sollte
sich beim Einsatz einer (D)SLR stets ein zweites Gehäuse im Gepäck
befinden – allerdings möglichst weit entfernt von der Einsatzkamera
entfernt, verschwindet beides, hat’s auch nichts geholfen.
Unterwegs sind Zoomobjektive zu empfehlen. Harald und Rita reisen
mit einem Duo aus 24-105mm und 100-400 mm Brennweite. Aus
ihrem doch schon recht reichen Erfahrungsschatz lässt sich sagen,
dass diese Konstellation für 90% der Aufnahmen ausreicht und nicht
allzu viel Platz und Gewicht benötigt.
Zur Speicherung der Daten werden entweder analoger Film oder
Speicherkarten verwendet. Beim Fliegen mit Filmen funktioniert es
meistes, sie bei der Röntgenkontrolle am Flughafen extra in einem
durchsichtigen Beutel mitzuführen und von Hand untersuchen zu
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lassen. Bei erhöhter Lichtempfindlichkeit (ISO 400+) könnte eventu-
ell die Röntgenstrahlung zu einer Belichtung führen. Niedrigempfind-
lichen Filmen kann das Röntgengerät für gewöhnlich nichts anhaben.
Oft wird der Fehler gemacht, die Filme abschirmen zu wollen, mit
dem Resultat, dass für das Sicherheitspersonal eine Blackbox am
Monitor erscheint und sie die Intensität hochdrehen, um zu sehen
was da drinnen ist – das genaue Gegenteil des Beabsichtigten.
Bei Speicherkarten sollte man einen Kompromiss aus Größe und
Schreibgeschwindigkeit finden. Größere Karten benötigen länger
um die Daten zu schreiben, das hat mit der internen Speicherad-
ressierung zu tun. Man sollte aber mindestens 4-8 GB bei sich
haben, schließlich kommt man unterwegs nicht immer täglich dazu,
die Bilder umzuspeichern. Apropos Umspeichern – wohin denn? Ein
Notebook nimmt viel Platz weg und ist potenzielles Ziel – wie auch
die Kameraausrüstung – von Dieben. Ein Kompromiss wäre ein 7‘‘
Netbook, mit dem Bearbeiten und Verschicken bei verringertem
Komfort immerhin noch möglich wäre, oder aber ein Imagetank.
Das ist ein Speicher, vergleichbar mit einer „StandAlone“ externen
Festplatte, der manchmal noch ein Display zum Anzeigen der Bilder
hat. Welche dieser drei Möglichkeiten man verwendet, bleibt einem
selbst überlassen, jedes System hat seine Vor- und Nachteile, die
sich im Großen und Ganzen die Waage halten.
Ein Rat sei gegeben, in der technischen Welt ist nichts perfekt.
Lieber die Bilder doppelt speichern und die beiden Speicher wieder
so unabhängig wie möglich voneinander transportieren, als am Ende
gar nichts mehr zu haben weil was schiefgegangen ist.
Das Drehbuch
Am besten funktioniert es meistens, wenn man ein Drehbuch vor der
Reise erstellt. So verfolgt man einen roten Faden, der die Dokumen-
tation der Reise zusammenhängend erscheinen lässt. Am besten
überlegt man wo der Schwerpunkt der Dokumentation liegen soll.
Wie will man das Reiseland präsentieren, was will man ausdrücken?
Hier zählt Erfahrung viel. Es gibt Leute die viel Erfahrung haben
und diese auch weitergeben, eben wie Harald und Rita in ihrem erst
10 Tipps01. Fototasche, Größe und Art vorher individuell ausprobieren und testen.Besonders empfehlenswert sind Taschen, die mittels eines Tragesystemsdicht am Körper getragen werden. Wenn möglich, sollte die Tasche auf derVorderseite des Körpers getragen werden.
02. Einen Systemblitz für die Aufnahmen, die nun wirklich nicht anders zumachen sind.
03. Ein stabiles Dreibeinstativ, was dennoch ein möglichst geringes Ge-wicht hat.
04. Ein oder mehrere Ersatzakkus für die Fotokamera + wiederaufladbareMignonzellen. Ein Ersatzladegerät für die wichtigen Kameraakkus.
05. Vorteilhaft und bereits für 60 Euro erhältlich ist eine Funkfernbedie-nung, um sich auch mal selber in der einen oder anderen Situation fotogra-fieren zu können.
06. Adapter für die unterschiedlichen Stromsteckdosen. Außerdem ein Spannungswandler von 12V auf 220V, falls man mit dem Auto unterwegs ist. Außerdem Mehrfachsteckdosen (Tischverteiler), da in Unterkünften oft nur eine Steckdose pro Zimmer vorhanden ist.
07. Einen Handblasebalg, um aus der Spiegelreflexkamera Staub auszubla-sen. Hartnäckiger Staub auf dem Sensor sollte mit einem Stempelherausgestempelt werden (keine Flüssigkeiten oder schabende Teileverwenden).
08. Diverse Mikrofasertücher sowie Linsenreinigungstücher.
09. Wenn es der Reiseort nötig macht, dann sollten wasser- und staub-dichte Hüllen für die Kamera + Objektiv mitgenommen werden.
10. Etwas Klebeband, Wattestäbchen, Sekundenkleber und ein paar kleineSchraubendreher.
kürzlich stattgefundenen Seminar. Weitere sind geplant, noch gibt
es allerdings keine spezifischen Daten dazu – Wir halten euch aber
auf dem Laufenden!
Rita und Harald Schneider, deveser-fotografen.de
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90 minZu der Fotoserie „90 min in El Quseir“ habe ich
mich ganz spontan entschlossen, nachdem mir mein
All-Inclusive-Relax-am-Pool-Urlaub doch etwas zu
langweilig wurde.
Nur 20 km durch die Wüste und man erreicht die
kleine Stadt El Quseir, wo man das echte alltägliche
Leben und die Armut der Ägypter sieht. Frei von
jeglichem Luxus, der praktisch nur für Touristen
reserviert ist.
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Als Hochzeitsfotograf bin ich es gewohnt, ständig unter Zeitdruck
zu stehen, deshalb habe ich mir auch hier nur 90 min Zeit genom-
men, um die Gegensätze und interessante Momente aufzunehmen.
Street photography bietet mir die perfekte Möglichkeit, abzuschal-
ten und nach lebendigen, ehrlichen Bildern zu suchen.
Ganze Serie: alexginis.com/gallery/90min/
Alex Ginis, alexginis.com
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Chasing snow
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Chasing snowDie Sonne scheint, es ist warm draußen. Sommer eben. In Boardshorts und T-Shirts schleppen wir kilowei-
se Ski- und Photoequipment in die Eingangshalle des Münchner Flughafens. Zehn Zeitzonen weiter östlich
scheint die Sonne immer noch als wir nach 30 Stunden Flug endlich wieder festen Boden unter den Füßen
haben. Shorts und Shirts sind allerdings längst in den Rucksäcken verschwunden, es ist Winter in Neusee-
land.
Gemeinsam mit Photograph Markus Rohrbacher starte ich Anfang August 2009 einen sechswöchigen
Roadtrip auf der Südinsel Neuseelands um den zuhause längst verschwundenen Schnee zu ersetzen. Die
nötige Mobilität verschafft uns ein alter Toyota Campingvan, der uns stets zu den bestmöglichen Schnee-
verhältnissen bringen soll. >
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Neuseeland, August 2009
Die Wettervorhersage meldet Neuschnee über Nacht. Um keine Zeit
zu verlieren, steuern wir gleich das nächstgelegene Skigebiet an. Wir
staunen nicht schlecht, als wir vom Highway auf eine Schotterpiste
abbiegen, doch auf dem pfeilförmigen Schild stand eindeutig: “Ac-
cess to Broken River Skifield“. Ein paar hundert Meter später folgt
in Großbuchstaben die Aufforderung „Fit Chains Here“. Die maximal
eineinhalbspurige Straße schlängelt sich steil durch den dichten
Wald. Es folgen zahlreiche Warntafeln wie „Avalanche Zone – No
Stopping“, doch das hatten wir auf der mit Schlaglöchern übersäten
Eis- und Schneefahrbahn ohnehin nicht geplant. Dass am Parkplatz
dann fast ausschließlich Allradfahrzeuge abgestellt sind, erstaunt
uns kaum mehr.
Das Skigebiet von Broken River wird mit Nutcracker-Liften betrie-
ben, welche für den sesselliftverwöhnten Durchschnittseuropäer
bereits die nächste Herausforderung darstellen. Ein Seil läuft in
Hüfthöhe den Berg hinauf, angetrieben von einem ausrangierten
Traktorenmotor. Um nach oben zu kommen klemmt man das Seil in
einen metallenen „Nussknacker“ welcher mit einer kurzen Schnur an
einem Hüftgurt befestigt ist. Eine erstaunlich angenehme und vor
allem sehr schnelle Möglichkeit an Höhe zu gewinnen. Nach nur we-
nigen Fehlversuchen haben wir den Dreh raus und beginnen, die gut
20 Zentimeter Neuschnee zu zerpflügen. Das kann schon eine Weile
dauern, in einem Gebiet das noch nie eine Pistenraupe gesehen hat.
Vor allem wenn man sich den Berg mit nur etwa 50 Gleichgesinnten
teilt. Laut Aussage eines Ortskundigen „a busy day“! Der Einstieg in
die neue Saison ist somit mehr als nur gelungen.
Am darauffolgenden Tag machen wir uns auf den Weg ins benach-
barte Craigieburn Valley, wie Broken River eines von mehreren
„Clubfields“ mit den obligatorischen Nutcracker-Liften. Die Zufahrt
ist – wie bei allen Skigebieten in Neuseeland - nicht weniger aben-
teuerlich, die Atmosphäre ähnlich entspannt. Das Terrain ist jedoch
eine Stufe anspruchsvoller als am Tag zuvor. Nach einigen guten
Runs durch die vielen unpräparierten Rinnen und Mulden liebäugle
ich mit einigen steileren Felsrinnen oberhalb des lifterschlossenen
Bereichs. Unsicher aufgrund derzeit herrschender Lawinenwarnungen
kontaktiere ich die Ski-Patrol: „I was thinking about doing one of the
steeper chutes over there!?“ Die Antwort fällt eindeutiger aus als
erwartet: „Go for it!“ Und im Nachsatz mit mahnender Stimme: „But
don’t hurt yourself.“ Wenig später erklimme ich über einen schma-
len Grat den Einstieg in meine favorisierte Line. 400 Höhenmeter
felsdurchsetzter Steilhang der Kategorie 40°+ liegen vor, bezie-
hungsweise unter mir. Das alles innerhalb der Skigebietsgrenzen,
überwacht und kontrolliert von der Ski-Patrol. Unten angekommen
brauche ich eine ausgedehnte Pause, um erstens zu verschnaufen
und zweitens das soeben Erlebte zu verarbeiten. Es sollte nicht die
einzige Abfahrt durch dieses Felslabyrinth gewesen sein.
Obwohl wir die Clubfields mit ihrem familiären Charme sofort ins
Herz schließen, brechen wir bald darauf Richtung Süden auf. Ein Tief
soll in den nächsten Tagen die Gegend um Queenstown und Wa-
naka großzügig bedienen. Der Regen prasselt ungehemmt auf das
Dach unseres Vans, ohne Rücksicht auf die darin Schlafenden. Als
wir am Morgen ins Skigebiet „The Remarkables“ aufbrechen, regnet
es weiterhin wie aus Kübeln. Über zahlreiche Serpentinen führt die
mittlerweile zweispurige aber immer noch unasphaltierte Straße
den Berg hinauf. Schon bald wird aus dem Regen Schneefall und wir
sind erneut gezwungen, Ketten anzulegen. Wenig später beginnt
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es im Radkasten heftig zu klopfen und ein kurzer Lokalaugenschein
bestätigt, dass unsere Schneeketten beginnen sich aufzulösen.
Da einige hundert Meter weiter oben frischer Neuschnee auf uns
wartet, „reparieren“ wir die Ketten notdürftig und setzen unsere
Fahrt fort. Mit mehr Glück als Verstand befördern wir den Van bis
zum Parkplatz. Kettenfetzen zieren noch das linke Hinterrad, die
Kette rechts mussten wir zwei Kehren zuvor gänzlich entfernen,
um Annäherungsversuche an den Antriebstrakt zu unterbinden. Wir
überlegen erst gar nicht wie wir den Berg wieder hinunterkommen
sollten, sondern konzentrieren uns auf das Wesentliche: 25 Zenti-
meter Neuschnee. Aufgrund schlechter Sicht sind die Möglichkeiten
jedoch eingeschränkt, der etwas feuchte Neuschnee hält uns aber
lange genug bei guter Laune. Mit etwa halber Schrittgeschwindigkeit
rollen wir am Nachmittag Richtung Tal mit der Absicht, morgen mit
neuen Schneeketten und besserer Sicht zurückzukehren. Als wir am
nächsten Tag problemlos den Parkplatz erklimmen, überblicken wir
bei strahlendem Sonnenschein ein schier endloses Nebelmeer.
Zu unserer großen Freude hat die Kälte über Nacht auch noch die
gesamte Feuchtigkeit aus der Schneedecke gezogen, somit finden
wir in den bisher noch unbefahrenen Abschnitten zum ersten mal
richtig trockenen Pulverschnee vor. Gegen Mittag beginnt die Ski-
Patrol dann nach und nach die vielen back bowls zu öffnen, was uns
viele weitere Schwünge durch unberührten Schnee ermöglicht. Im
Rausch des stiebenden Pulverschnees bemerken wir erst spät, dass
auf der gegenüberliegenden Seite bereits eine Ameisenstraße auf
einen Berggipfel führt, welchem eine endlos scheinende unberührte
Abfahrt zu Füßen liegt. Ohne zu zögern machen auch wir uns auf
den Weg dahin. Mit dem Sessellift bewältigt man schon einiges an
Höhendifferenz, doch gute 300 Höhenmeter sind danach noch ohne
technische Hilfsmittel zu bewältigen. Bei der Abfahrt werden wir
dann jedoch für jeden Schritt belohnt. Ohne auch nur ein einziges
mal anzuhalten schweben wir dem Tal entgegen. Irgendwann treffen
wir aber doch auf die Zufahrtsstraße und wir müssen abschwingen.
Wortlos blicken wir zurück nach oben, der Gipfel liegt in weiter
Ferne.
High Five! Ein würdiger Abschluss für einen unglaublichen Tag.
Um unseren Endorphinüberschuss ein wenig abklingen zu lassen,
legen wir ein paar Downdays in Wanaka ein. Selbst im Hochwinter
pendelt sich die Schneegrenze in Neuseeland um die 1000 Meter ein,
was in den Tälern für ein angenehmes Herbstklima sorgt. So kann
man gemütlich die Seepromenade entlangspazieren und in einem der
vielen Cafés einen Cappuccino schlürfen. Mit Einbruch der Dunkelheit
wird Wanaka dann richtig lebendig. Aufgrund der Nähe zu den wohl
besten Terrainparks der Südhalbkugel, ist Wanaka zu dieser Zeit
quasi das Zentrum der Freestyleszene. Zahllose Partys sowie Vorp-
remieren der neuesten Filmreleases stehen hier am Abendprogramm.
Mit den NZ Freeski Open findet rund um Wanaka auch ein Contest
statt, der jährlich internationale Top-Rider nach Neuseeland lockt.
Unser Hunger nach frischem Schnee ist noch lange nicht gestillt,
so rollt unser Van schon bald wieder über einsame Landstraßen.
Diesmal geht es ins Mackenzie County, das die höchsten Gipfel des
Landes beheimatet. Fast 3000 Meter ragen die Berge hier über
das Hochland, allen voran Neuseelands Höchster, der markante Mt.
Cook. Skigebiete gibt es hier keine, noch nicht einmal Straßen die
in die Bergwelt führen. Wer hier Skifahren will braucht zwei Dinge:
einen Guide und einen Helikopter. Die Preise für Heliskiing sind in
Neuseeland vergleichsweise billig und man bekommt für sein Geld
wirklich einiges geboten. Entlang kilometerlanger Gletscherzun-
gen und über schroffe Bergkämme befördert uns der Helikopter in
eine menschenleere Bergwelt aus Schnee und Eis. Eine unberührte
Landschaft, geformt von Wind und Wetter, glänzt in der Sonne unter
wolkenlosem Himmel. Unser Guide deutet auf eine Serie fast senk-
rechter alaska-ähnelnder Spines auf der gegenüberliegenden Seite.
„That one is called the shower curtain. They’ve only skied it once
last season.“ Nach dem ersten Run blickt er in unsere vor Freude
strahlenden Gesichter und meint: „Not too bad, ey?“ Mit nur wenigen
Metern Abstand überfliegen wir auf dem Weg nach oben die blanken
Felswände. Die riesigen Berge erscheinen zum Greifen nah.
In dieser atemberaubenden Umgebung über unberührte Hänge
Richtung Tal zu gleiten, ist ein Erlebnis das sich nur sehr schwer in
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Worte fassen lässt. Doch die Bilder des Erlebten laufen noch heute
in aller Klarheit wie ein Film vor meinem geistigen Auge ab.
Als wir im Tal zufrieden ein Bierchen trinken bemerken wir, dass es
mittlerweile ziemlich warm geworden ist. Leider müssen wir in den
Tagen darauf feststellen, dass die frühlingshaften Temperaturen
das gesamte Land heimsuchen und somit für suboptimale Schnee-
verhältnisse sorgen. Wir fahren kreuz und quer über die Insel, in der
Hoffnung doch noch irgendwo gute Bedingungen aufzufinden, doch
die Suche ist vergebens. Nach einigem Herumnörgeln versuchen wir
das Beste aus der Situation zu machen und nutzen den Warmwet-
tereinbruch, um ein wenig mehr von der Südinsel zu sehen. Bei der
Fahrt entlang der West Coast bleibt uns fast durchgehend der Mund
offen. Mal führt die Straße durch dichtesten Dschungel, dann ent-
lang einsamer Sandstrände. Gletscher schieben ihre Eismassen fast
bis ans Meer, der Wind und die Brandung formen an der Küste fas-
zinierende Gebilde aus dem Karstgestein. Auf dem Weg zum Milford
Sound ragen blanke Felswände tausende Meter in die Höhe, Wasser
rinnt in Kaskaden über uralte Gletscherschliffe. Die landschaftliche
Vielfalt ist überwältigend.
Zurück in der Zivilisation suchen wir sofort ein Internetcafé auf, um
Wettervorhersagen einzuholen und siehe da, ein Sturmtief ist im
Anrollen. Nach gekonntem Abschätzen der vorhandenen Informati-
onen steuern wir zielstrebig Lake Ohau an, um dort auf den Schnee
zu warten. Tags darauf wütet der Schneesturm bereits im Ohau
Skifield. Die Lifte sind geschlossen, so verbringen wir den Tag in der
äußerst gemütlichen Lake Ohau Lodge, in deren Videosammlung wir
einige Meisterwerke Warren Miller’s finden. Der Tag ist gerettet! Am
nächsten Morgen ist es windstill und die Sonne scheint. Der Wetter-
gott ist uns noch einmal gnädig und beschert uns einen klassischen
bluebird powderday. Um das weitläufige Backcountry von Ohau zu
erkunden, muss man erst mit einem kurzen aber steilen Hike den
breiten Grat oberhalb des Sessellifts erklimmen. Der Ausblick ist
gigantisch. Die umliegenden Berge spiegeln sich im türkisfarbenen
Wasser des Sees. Auf der anderen Seite des Grates sieht man bis
weit in das majestätische Mt. Cook Massiv. Der Grat verläuft leicht
ansteigend zum flachen Gipfel des Mt. Sutton, Abfahrten zurück ins
Skigebiet sind jederzeit möglich. Unser Interesse gilt aber einer Va-
riante, die vom Gipfel steil in ein Nebental abfällt und weit unterhalb
des Parkplatzes auf die Zufahrtsstraße stößt. Eine knappe Stunde
später blicken wir in den tiefen Kessel, an dessen Seitenwänden
Felstürme wie Säulen emporragen. Voller Demut genieße ich einen
Moment lang die totale Stille. Dann überlasse ich meinen Körper
der Schwerkraft und fühle, wie mir der Fahrtwind um die Ohren
pfeift. Es ist das Gefühl purer Lebendigkeit! Mit einem zufriedenen
Lächeln gehen wir über die Straße zurück zum Parkplatz, besteigen
den Sessellift und wiederholen den eben beschriebenen Vorgang bis
zum Liftschluss. Unter Anfeuerung des enthusiastischen Liftperso-
nals werden wir nicht müde, die Ski zu schultern. Wir begegnen dem
Kellner aus der Bar und dem Mädchen vom Service, beide versi-
chern uns, dass heute der beste Tag der Saison sei. Es gibt keinen
Wettkampf um First Tracks, im Vordergrund steht die Freude diesen
wunderbaren Tag gemeinsam zu teilen. Es wird gescherzt und ge-
lacht, alle haben eine gute Zeit. Zurück in der Lodge sinken wir auf
der Terrasse erschöpft in den Whirlpool und sehen der Sonne beim
Untergehen zu.
Die letzten Tage unseres Trips brechen an und wir versuchen unser
Glück noch einmal in den Clubfields. Am Fox Peak, der unter der
Woche geschlossen bleibt, finden wir samstags noch jede Menge
Unverspurtes. Am Mt. Olympus stoßen wir in „Little Alaska“ auf
ordentliches Steilgelände und letzte Pulverreste. Danach toben wir
uns sonnseitig noch ein wenig im Sulz aus und nehmen zur Kenntnis,
dass auch hier der Winter irgendwann zu Ende gehen muss. Was uns
bleibt, sind jede Menge Erinnerungen an ein wunderschönes Land
mit wunderbaren Leuten. Und der nächste Winter kommt diesmal
schon wieder in ein oder zwei Monaten.
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text Sebastian Fischer
photos Markus Rohrbacher, markusrohrbacher.blogspot.com
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50 bshot · Issue IV · Dezember 2009
Israelist seit seiner Proklamation durch David Ben Gurion im Jahr 1948 einer ständigen Bedrohung aus-
gesetzt. Egal ob anfangs im Sechstagekrieg oder auch aktuell durch den iranischen Regierungschef
und bekennenden Antisemiten Mahmud Ahmadinedschad. Demnach ist es nicht verwunderlich, dass
bewaffnete Soldaten und Soldatinnen das Alltagsbild dieses Landes prägen.
Hält man sich jedoch nicht in den gefährdeten Gebieten, wie dem Gaza-Streifen, sondern in Tel-Aviv
oder Jerusalem auf, erkennt man, wie schön Israel ist. Neben dem angenehmen Klima, dem leckeren
Essen und der eindrucksvollen Landschaft, haben auch die zahlreichen Märkte Tel-Avivs und die
Altstadt Jerusalems ihren besonderen Reiz.
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52 bshot · Issue IV · Dezember 2009
bshot · Issue IV · Dezember 2009 53
54 bshot · Issue IV · Dezember 2009
bshot · Issue IV · Dezember 2009 55
56 bshot · Issue IV · Dezember 2009
FotografenDiese Serie über Israel ist aus den Bildern zweier unabhän-
gig voneinander reisenden Fotografen entstanden, die nichts
voneinander wussten.
Zwei Perspektiven einer Sache - objektiv?
#1 Jochen Berger, behance.net/jocsti
#2 Ricardo Wiesinger, flickr.com/photos/bh3jjj
bshot · Issue IV · Dezember 2009 57
58 bshot · Issue IV · Dezember 2009
bshot · Issue IV · Dezember 2009 59
60 bshot · Issue IV · Dezember 2009
Südafrika
bshot · Issue IV · Dezember 2009 61
62 bshot · Issue IV · Dezember 2009
bshot · Issue IV · Dezember 2009 63
64 bshot · Issue IV · Dezember 2009
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Südafrika, November 2009. Michael Mulde, mpressions.de
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CovershotDas Cover entstammt der Serie „the coke side of
life“ des Neunkirchner Fotografen Johannes Gins-
berg.
johannesginsberg.de
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FotokidsKeine Aussicht auf eine erfolgreiche Zukunft? Jugend-
amt und kein Ausbildungsplatz? Genau hier klinkt sich
Chris Enderer mit seinem Projekt ein. >
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Fotos für die Zukunft
Unsere Kinder und Jugendlichen haben heute längere Ausbildungs-
wege und Berufswahlmöglichkeiten denn je. Allerdings sind ihre
Chancen am Arbeitsmarkt im Vergleich zu früher gesunken.
Die größten Hürden für einen Jugendlichen sind der Übergang von
der Grundschule in die Berufsbildenden oder Lehrberuf und der Ein-
stieg in die Arbeitswelt. Zweimal hat der junge Erwachsene gewichti-
ge Entscheidungen zu treffen, die manchmal überfordern – vor allem
dann, wenn die dringend benötigte Unterstützung seitens der Eltern
oder anderen Vertrauenspersonen bei dieser Entscheidung fehlt.
Dass so manche Entscheidung danebengeht, liegt auf der Hand. Ir-
gendwann kommt der Moment, wo man realisiert, dass die getroffe-
ne Entscheidung die falsche war und viele beginnen dann, sich ziellos
treiben zu lassen.
Zusätzlich leben Kinder und Jugendliche heute größtenteils im finan-
ziellen Überfluss. Es fehlt ihnen an nichts.
Falsch, ihnen fehlen häufig Chancen, Verantwortung zu übernehmen,
etwas selbst zu schaffen und sich somit gesellschaftliche Anerken-
nung zu verdienen oder einfach nur die Möglichkeit, sich auf das
vorzubereiten was sie später erwartet – ein eigenes Leben, in dem
die gesamte Verantwortung bei ihnen liegt.
In den Medien kann man immer wieder mitverfolgen, dass es zu
schrecklichen Überfällen und Angriffen Jugendlicher gegenüber „Pas-
santen“ kommt.
Aber warum handeln „unsere“ Jugendlichen so unüberlegt und
brutal? Ganz einfach, weil sie oft keine Chance bekommen. In Ihrem
bisherigen Leben konnten sie sich selbst nie wirklich etwas bewei-
sen, mit einem Sonder- oder Hauptschulabschluss, wird ihnen von
unserer Außenwelt immer wieder ein „Nichtkönnen“ und „Unfähig-
keit“ aufgedrückt.
Freilich mag man nun sagen: „Aber sie hätten doch auf eine ande-
re Schule gehen können, sind doch selbst schuld“. Nun ja, ob man
ein Gymnasium oder eine Hauptschule besucht, entscheidet sich
im zarten Alter von zehn Jahren. Bei dieser Entscheidung, die ja
anscheinend richtungweisend für das weitere Leben ist, ist natür-
lich die volle Verantwortung bei den Kindern zu suchen. Eltern oder
Erziehungsberechtigte haben sich da nicht einzumischen, jeder Zehn-
jährige weiß doch selbst, was für sein späteres Leben gut für ihn ist.
Außerdem braucht man seinen Kindern auch nicht beizubringen, wie
man richtig lernt, motivieren muss man sie schon gar nicht, schließ-
lich lernt doch jeder freiwillig…
Was passiert, wenn ein Heranwachsender nie positives Feedback be-
kommt? Natürlich, er sucht sich andere Herausforderungen, etwas,
wo er für einen kurzen Moment jemand ist und leider läuft das in
vielen Fällen Richtung Kriminalität! Spätestens jetzt sollte sich jeder
die Frage stellen, warum alles so läuft. Warum setzen wir nicht ein-
fach dort an, wo Kriminalität und Brutalität ihre Wurzeln haben? Wir
müssen die Kids unterstützen, ihnen zeigen, dass sich mit Mühe und
Fleiß vieles erreichen lässt, das man selbst für fast unmöglich hält.
Genau da klinkt sich Christoph Enderer ein. Die Fotografie setzt eine
intensive Wahrnehmung und Auseinandersetzung mit der Umge-
bung voraus und fördert die Sensibilität für eigene Gefühle und jene
anderer.
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Ein Fotograf setzt mit der kreativen und konstruktiven Ausdrucks-
form der Fotografie andere Menschen oder Dinge in Szene. Vorr-
aussetzung für gelungene Aufnahmen sind, unter anderem, ein guter
Kontakt zu und Einfühlungsvermögen für das Motiv und die Fähig-
keit des Fotografen, eigenständig Handlungsoptionen zu entwickeln,
auszuprobieren und Entscheidungen zu treffen.
Allein die Tatsache, dass Chris als erfolgreicher Actionfotograf die
Teilnehmer ernst nimmt, ihnen etwas zutraut und den Teilnehmern
die wertvolle technische Ausstattung anvertraut, trägt zur Förde-
rung ihres Selbstvertrauens bei und drückt Wertschätzung aus.
Die regelmäßige Zusammenarbeit im Projekt und die Projektdauer
ermöglichen den Aufbau von tragfähigen Beziehungen zwischen den
Teilnehmern untereinander sowie den Teilnehmern und Projektlei-
tern.
Pünktlichkeit, Durchhaltevermögen, zielorientiertes Arbeiten, Ver-
antwortungsbewusstsein und
Zusammenarbeit im Team sind Voraussetzung für den persönlichen
Erfolg, der sich in sehr kurzer Zeit einstellt. Im direkten Vorher-
Nachher-Vergleich der Bilder wird der Erfolg sofort und unzweifel-
haft sichtbar und damit die Tatsache, dass die Teilnehmer durchaus
in der Lage sind, etwas zu leisten und zu bewirken.
Im Zuge des Projekts werden drei Bereiche gefördert; die Vermitt-
lung von Grundzügen der digitalen Fotografie und Bildbearbeitung,
die den Teilnehmern in Form eines
Zertifikates am Ende des Projektes bestätigt wird, Motivationshilfe
für die eigene berufliche Orientierung und der Aufbau von tragfähi-
gen Beziehungen zwischen den Teilnehmern und den vor Ort tätigen
Sozialpädagogen, damit über das Projekt hinaus die Möglichkeit für
die Teilnehmer besteht, diese als Anlaufstelle und Unterstützung zu
nutzen.
Außerdem bietet es eine öffentlichkeitswirksame Plattform für die
Teilnehmer (vom Bürgermeister eröffneten Ausstellung im Rat-
haus,...), die dem Gemeinwesen zeigt, welche Fähigkeiten und Quali-
täten in den Teilnehmern stecken.
Durch die persönliche Wertschätzung und die gesellschaftliche Aner-
kennung ihrer Leistungen, wird das Selbstwertgefühl der Teilnehmer
gestärkt und ihre Persönlichkeitsentwicklung positiv unterstützt.
Dieser Rollenwechsel erleichtert es den Teilnehmern, neue persönli-
che Ziele und Zukunftsperspektiven zu entwickeln.
Chris, wie sieht denn deine Zielgruppe genau aus?
Also meine Zielgruppe ist altersmäßig oft zwischen 14-18 angesie-
delt, beispielsweise Schulabgänger, junge Leute, die lernen müssen /
sollten, was arbeiten bedeutet, dass man da auch Sozialkompetenz
wie Pünktlichkeit, Vertrauen, Pflichtbewusstsein und Teamfähigkeit
mitbringen sollte. Es sollten nie mehr als sechs Personen in einer
Gruppe sein, da immer individuell auf die Kids eingegangen wer-
den soll und auch so jeder die Möglichkeit bekommt, sich selbst zu
entfalten.
Das Motiv gibst du vor. Inwieweit bleibt da Platz, dass die Kids
selbst gefordert werden etwas zu organisieren? Kannst du mal
erklären wie das abläuft, dass es zu einem Foto kommt (Licht-
setzung, wo greifst du helfend ein, ...)
Also die ersten zwei Kurse gingen übers Jugendamt -> Konzeptvor-
stellung - Zielgruppe usw. Zusammen überlegten wir uns, welcher
Ort / Brennpunkt das Projekt am meisten gebrauchen könnte und
haben uns dann vor Ort mit den Jugendpflegern auseinanderge-
setzt. Im Prinzip läuft es so; ich arbeite immer mit den jeweiligen
Sozialpädagogen zusammen, die sollten die Auswahl treffen, welche
Kids dabei sein sollten und ich kümmere mich um das Fotografische,
wobei das natürlich nicht immer klappt und sich die Rollen durchaus
oft vermischen ;-)
Wenn ich einen Sponsor für ein Projekt habe , beispielsweise die
VR-Bank , dann trete ich einfach an den jeweiligen, in der Gemeinde
zuständigen, Jugendarbeiter ran und dann ergibt sich alles weitere.
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Ein Shootingstag beginnt zum Beispiel um 10 Uhr und dauert bis 14
Uhr. Gleich danach werden die Bilder bearbeitet, damit jeder sofort
sieht, was er oder sie geleistet hat.
Anfangs werden die Shootings von mir geplant, da wird mit Leichtem
angefangen, damit sich alle untereinander aber auch mit der Kamera
vertraut machen können, ohne gleich überfordert zu werden.
Ein Beispiel: Beim ersten Treffen machen wir ein ABC-Shooting, da
gehen wir durch ihre Umgebung und suchen nach Buchstaben, ohne
uns viel um Licht usw. zu kümmern. Jeder sucht seine Buchstaben
und am Ende bemerken sie dann, was es bedeutet, trotzdem für das
Team zu arbeiten. Hat sich jemand wenig Mühe gegeben, sieht man
es bei der Zusammenstellung sofort und somit gibt es kein schönes
Gesamtergebnis.
Beim zweiten Shooting, Portrait, lernen sie was ein Weißabgleich ist,
wir bauen die Lichtanlage auf (wird auch alles erklärt; Lichtformer,
hartes/weiches Licht,.. ) und machen dann ein Unterwassershooting,
denn dort muss sich jeder beweisen: „Wer nicht ins Wasser geht, hat
auch keine Bilder“. Der Schwierigkeitsgrad ist bei dieser Aufgabe für
Anfänger doch recht hoch, da sie auf alles achten müssen: Bewe-
gung, Kameraeinstellung, Licht, Model und Zeitpunkt.
Es gibt bei jedem Shooting eine Steigerung dessen, was wir den
Jugendlichen abverlangen.
Die nächsten Shootings werden zusammen geplant, wie das Elfens-
hooting: Wo soll das stattfinden? Was brauchen wir alles? Eine Liste
wird erstellt und ich verteile dann die Aufgaben, wer was besorgen
muss.
Das sind dann oft die Shootings, bei denen es richtig zur Sache geht
und ganze Teamarbeit gefragt ist: eine/r macht die Seifenblasen,
jemand anders den Nebel, der nächste schmeißt die Blätter, …
So setzt sich das Ganze dann fort.
Ein Projekt geht oft über mehrere Wochen, in einer Gemeinde
dauerte es sogar fast fünf Monate. In dieser Zeit kann man eine
ganze Menge lernen, weitergeben und vor allem ist es interessant zu
sehen, wie sich die Kids in dieser Zeit verwandeln. Aus unpünktlich
wird Überpünktlichkeit, stinkend faul transformiert zu übereifrig…
Einfach toll, wie schnell diese jungen Menschen negative in positive
Energie umwandeln, wenn man ihnen nur die Chance dazu gibt.
Am Ende eines Projekts bekommen die Kids, die durchgehalten
haben, ein Zertifikat, das ihre positiven Eigenschaften beinhaltet,
bestätigt, dass sie Grundkenntnisse in Photoshop gesammelt haben
und vieles andere. Dieses Zertifikat kann zusätzlich zu einem sozi-
alpädagogischen Schreiben als Referenz einer Bewerbung beigefügt
werden.
Es ist mir auch wichtig, dass vom vorhandenen Budget eine Kamera
und eine Photoshoplizenz für die jeweilige Gemeinde gekauft wer-
den, damit die Fotografie immer genutzt werden kann. Die Kids fo-
tografieren ein Gemeindefest und bringen ihre Bilder in die örtliche
Zeitschrift, … Somit können sie aktiv ihn ihre Umgebung integriert
werden.
Was war deine Motivation für das Projekt? Wie viel Arbeit
steckst du hinein?
Mir selbst hat im entsprechenden Alter eine Entscheidungshilfe
oder jemand, der für einen da ist, dem man vertrauen kann, gefehlt.
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Außerdem hatte ich nichts, worin ich mich beweisen konnte. Keine
Aktivität, wo mir Vertrauen geschenkt worden wäre wie hier, durch
das Anvertrauen des teuren Equipments, wo meine andere Ansicht
nicht unbedingt schlecht war. Ich konnte nirgends lernen, dass viele
Wege ans Ziel führen und dass ich, wenn ich etwas unbedingt möch-
te, ich das auch erreichen kann.
Zusätzlich bekomme ich durch meine Bilder Anfragen von Jugend-
lichen, ob sie bei mir ein Praktikum oder sogar eine Lehre machen
könnten. Der Spaß mit jungen Leuten, das Positive aus ihnen
herauszukitzeln und einige andere Umstände haben mich dazu ge-
bracht, das Projekt Fotokids ins Leben zu rufen.
Ich habe zwar viele Leute, die mich gerne und tatkräftig unterstüt-
zen, trotzdem höre ich fast jeden Monat bei etwa 250 Stunden zu
zählen auf. Die ganze Zeit teilt sich in Aquise, Presse, Web, Planung,
Treffen, Buchhaltung, Fotografieren, Organisieren, Ausstellungen,
Bearbeitung und so weiter.
text Thomas Bergmüller, Christoph Enderer
bilder Projektanten des fotokids.de Projekts
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United StatesIm Gegensatz zur digitalen Reisefotografie, gibt es natürlich
noch die analoge. Eine Sonderform für alle besonders unge-
duldigen stellt das vom Aussterben bedrohten Polaroid dar.
Diese Fotos entstammen Steffi Zelchs Fuji Instax Mini wäh-
rend einer USA-Reise im August 2009.
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