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Vorstand
PD Dr. Hans-Jürgen Urban, Frankfurt am Main
26. - 27. November 2015
in Berlin
Soziale Ungleichheit und gewerkschaftliche Perspektiven
Plädoyer für die Wiederentdeckung der Verteilungsfr age
in sechs Thesen
Absender
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Soziale Ungleichheit und Gewerkschaften -ein schwieriges Verhältnis?
„Die Gewerkschaften (...) schleppen ihre Grundsätze a ls schlechtes Gewissen mit. (…) Eine aggressive Idee is t ihnen, ach, abhandengekommen. (...) Der Oppositionsgeist d er Gewerkschaften hat sich komplett ins Normative vers choben. Man hält Werte hoch (Gerechtigkeit, Solidarität, Au fstieg für alle), anstatt an empirisch tragfähige Analysen anzuschließ en. Dem sogenannten Neoliberalismus etwa, den man angeblich bekämpft, antwortet keine ökonomische Gegenthese, s ondern nur Empörung, begleitet von Mitmachen.“
Hans-Jürgen Urban, geschäftsführendes Vorstandsmitg lied
Absender
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Sozialdemokratie und soziale Ungleichheit:„Empörung begleitet von Mitmachen“
- das korrekte Zitat -
„Die Sozialdemokratie (...) schleppt ihre Grundsätze als schlechtes Gewissen mit. (…) Eine aggressive Idee is t ihr, ach, abhandengekommen. (...) Der Oppositionsgeist der Sozialdemokratie hat sich komplett ins Normative verschoben. Man hält Werte hoch (Gerechtigkeit, Solidarität, Au fstieg für alle), anstatt an empirisch tragfähige Analysen anzuschließ en. Dem sogenannten Neoliberalismus etwa, den man angeblich bekämpft, antwortet keine ökonomische Gegenthese, s ondern nur Empörung, begleitet von Mitmachen.“
Jürgen Kaube, Liberalismus als Nostalgie?, in: FAZ v. 19.7.2015
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These 1:
Der Anspruch auf eine aggressive Politik gegen soziale
Ungleichheit ist in Selbstverständnis und Rhetorik der
Gewerkschaften präsent; in politischen Strategien u nd
operativen Politiken findet er jedoch kaum Niedersc hlag.
Es bedarf der Wiederentdeckung der Verteilungsfrage als
strategischer Klammer einzelner Politiken der Gewerk schaften.
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Verteilungspolitik bei rückläufigen Wachstumsraten
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Quelle: Statistisches Bundesamt (2015): Statistisches Jahrbuch 2015, S. 321.
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Mitgliedererfolge der IG Metall- Austritte/Streichungen und Neuaufnahmen -
Hans-Jürgen Urban, geschäftsführendes Vorstandsmitg lied
67.296 64.103 66.233 67.758 72.200
15.73415.498 15.637 15.439
16.600
91.689101.334
90.369 87.658
99.413
0
20.000
40.000
60.000
80.000
100.000
120.000
2011 2012 2013 2014 2015
Austritte Streichungen Neuaufnahmen
Berichtsmonat: Oktober 2015
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These 2:
Bei der Re-Formulierung eines verteilungspolitische n Mandats
können die Gewerkschaften von der Renaissance sozial er
Ungleichheitsforschung in den Sozialwissenschaften u nd der
Thematisierung sozialer Ungleichheit in der mediale n
Öffentlichkeit profitieren.
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Beispiele aktueller Ungleichheitsforschung
• Patriarchale Arbeitsstrukturen und Gender-Pay-Gab (DIW 2014, Krell u.a. 2011)
• Progressive Einkommenssteuer gegen soziale Ungleic hheit (Atkinson 1975; auch jährliche WSI-Verteilungsberichte)
• Dynamik der „doppelten Exklusion“ (Giddens 1997/19 99/2000 u.a.)
• „r > g“: Formel des Patrimonial-Kapitalismus (Piketty 2014; IMK-Report Nov. 108/2015 u.a.)
• Austeritätspolitik, Ungleichheit, Wachstumsverlus te (Krugman/Stieglitz 2015 u.a.)
• Ungleichheit durch „soziale Vererbung“ (Esping-An dersen 2004)
• Soziale Ungleichheit und Gesundheitschancen (Miel ck 2000, Siegrist 2015 u.a.)
• Soziale Ungleichheit, Bildungsprivilegien, Bildun gsarmut (Allmendinger u.a. 2003)
• “Widening income inequality is the defining chall enge of our time” (IWF 2015, OECD 2015)
• “Public Sociology” gegen Exklusion und ungleiche Int egration (Burawoy 2015)
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These 3:
Soziale Ungleichheit umfasst viele Dimensionen der sozialer
Lebenslagen (I. Nahnsen). Gewerkschaftliche Politik gegen
Ungleichheit erfordert ein verteilungspolitisches Gesamtkonzept , das
die relevanten Einzelpolitiken zu einem Reformprojekt verbindet. Bei
der Realisierung des Gesamtkonzeptes stoßen die Gewe rkschaften
jedoch an Grenzen. Notwendig sind (Um-)Verteilungs-Koalitionen , in
denen die Gewerkschaften mit anderen Akteuren koope rieren.
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These 4:
Ein verteilungspolitisches Gesamtkonzept wird durch soziale
Verteilungs- und politische Zielkonflikte unter Spannung
gehalten, die zwischen und innerhalb sozialer Klassen verlaufen.
Illustrieren lassen sich diese Spannungen in der Ta rifpolitik, der
Sozialpolitik und der Fiskalpolitik.
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Tarifpolitik und Verteilungswirkungen- Chancen und Grenzen tarifpolitischer Umverteilung -
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144,5
143,3
139,0
136,9
134,3
133,2
130,9
100,0
110,0
120,0
130,0
140,0
150,0
160,0
2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014
Tarifentwicklung 2000 - 2014 2000 = 100
ChemischeIndustrie
Metall-industrie
Preise +Produktivität
Gesamt
Öffentl. Dienst
Bank-gewerbe
Einzel-handel
Quelle: WSI-Tarifarchiv
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Tarifliche Einkommenspolitik und Verteilung- unter Einschluss von Einmalzahlungen und ERA-Strukturkomponente -
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15Hans-Jürgen Urban, geschäftsführendes Vorstandsmitg lied
18,4
20,7
21,4
34,8
30,8
27
16,3
18,118,7
28,6
28,1
30,9
25
28,829,2
15
17
19
21
23
25
27
29
31
33
35
1991 2000 2014
Bund Unternehmen (Kapitalgesellschaften)
Länder/Gemeinden Private Haushalte
Sozialleistungsquote
Jahr
Quelle: BMAS, Sozialbudget (Datenstand Mai 2015)
in P
roze
nt
*Differenz zu Hundert: weitere Quellen
Strukturverschiebungen im Sozialbudget- Finanzierung nach Quellen -
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These 5:
Erfolgreiche Umverteilungspolitik der Gewerkschafte n setzt
strategisches Wollen, aber auch machtpolitisches Können
voraus. Dies erfordert eine Revitalisierung der Gew erkschaften
in allen Dimensionen gewerkschaftlicher Macht. Von
besonderer Bedeutung sind der Flächen-Tarifvertrag und die
Sozialversicherungen als Systeme institutioneller
Gewerkschaftsmacht.
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Erosion des Flächentarifsystems
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Aus: Ellguth, Peter; Kohaut, Susanne (2015): Tarifbindung und betriebliche Interessenvertretung * Ergebnisse aus dem IAB-Betriebspanel 2014. In: WSI-Mitteilungen, Jg. 68, H. 4, S. 290–297.
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These 6:
Gewerkschaftliche Bemühungen um eine macht- und
verteilungspolitische Revitalisierung können von ei ner neuen
Kooperation mit kritischer Wissenschaft profitieren . Die Debatte
um eine Public Sociology (öffentliche Soziologie ) bietet
Anknüpfungspunkte dafür. Eine reflektierte Kollisionstoleranz
könnte sich als Schlüsselressource einer solchen Ko operation
erweisen.
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Public Sociology gegen soziale Ungleichheit
„ ... (als öffentlicher Soziologe, d. Verf. )
sehe ich drei Möglichkeiten, einer Welt der
Ungleichheit zu begegnen: ihre Struktur
und Dynamik zu untersuchen, unseren
Platz in ihr zu verstehen, ihre
zerstörerischen Auswirkungen zu
entlarven und ihnen entgegenzutreten.“
Burawoy 2015: 216.
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Fazit und Ausblick
1. Die Wiederentdeckung der Verteilungsfrage und die B ündelung gewerkschaftlicher Politiken in einem verteilungspo litischen Gesamtkonzept sind Voraussetzungen einer Gleichheits- und Umverteilungs-Politik, die der Ungleichheit im Gege nwartskapitalismus erfolgreich entgegentreten kann.
2. Ein verteilungspolitisches Gesamtkonzept der Gewerks chaften wird durch klasseninterne und klassenübergreifende Konfl ikte unter Spannung gehalten. Es sollte in einem diskursiven Strategiep rozess erarbeitet werden.
3. Gewerkschaftspolitische Erfolge gegen soziale Unglei chheit erfordern eine machtpolitische Revitalisierung, die Bildung v on (Um-)Verteilungs-Koalitionen sowie eine Reform des Tarifsystems, der Sozialversicherungen und der Fiskalpolitik.
4. Die Renaissance sozialer Ungleichheits-Forschung bie ten gute Ansatzpunkte für eine neuen Kooperation zwischen Gew erkschaften und einer „öffentlichen Sozialwissenschaft“, die auf wechs elseitiger Toleranz beruhen sollte und von der beide Seiten profitieren könnten.
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Ausblick und Fazit
„Die hervorstechenden Fehler der Wirtschaftsgesells chaft,
in der wir leben, sind ihr Versagen, für Vollbeschä ftigung
zu sorgen und ihre willkürliche und ungerechte Vert eilung
des Reichtums und der Einkommen.“
Keynes, John Maynard (1936/2009): Allgemeine Theorie der Beschäftigung,
des Zinses und des Geldes. Berlin. 2009, S. 314.
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Vielen Dankfür die Aufmerksamkeit!