+ All Categories
Transcript
Page 1: ZEITSCHRIFTFÜR SOZIALÖKONOMIE · Vo r w o r t 1 während der Fußballweltmeisterschaft mag eserlaubtseindaranzuerinnern,dassSilvio Gesell das Geld einmal als den „Fußball der

SÖZf

SÖZf

ZEITSCHRIFT FÜR SOZIALÖKONOMIE

Die globale Hierarchie derStädte – Investitionsbeziehungenals Bindeglied zwischen Zentrumund Peripherie?

Fördert Regiogeld eine nach-haltige Regionalentwicklung?

Regionalgeld undGemeinwesenarbeit

Streitfall Regionalwährungen /Wurden die ägyptischen Pyra-miden mit einer „Demurrage“-Währung gebaut?

Entwicklungstand und Perspek-tiven der Regionalgeldbewegung

Leserbriefe – Bücher – Berichte

39. Mündener Gespräche

Regionalgeld-Kongress in Weimar

Robert Musil

Muriel Herrmann

Katharina Schwaiger

Hugo Godschalk

Ralf Becker

3

12

19

26

32

38

52

53

149.43. Jahrgang Folge Juni 2006

ISSN 0721-0752

Wachstums- und Schrumpfungseffektezwischen unterschiedlichen Räumen werdendurch den freien Markt nicht ausgeglichen,sondern verstärkt. Der Effizienz- und Wachs-tumsdruck des Geldes ist dabei zentral: dieVerfügbarkeit von Geld, in ausreichenderQuantität und Qualität, bestimmt die Ent-wicklungsfähigkeit von Regionen. Unter-schiedliche Räume, mit unterschiedlichen"Geschwindigkeiten" und Effizienzniveausstellen unterschiedliche Anforderungen anGeld.Dies führt zu der Frage, ob unter den gegen-wärtigen Voraussetzungen eine nachhaltigeRaumentwicklung, ein Angleichen regionalerUnterschiede, wie es von der Regionalent-wicklungspolitik der Europäischen Unionangestrebt wird, überhaupt möglich ist.Liegt hierin, in der Profitgewinnung durchräumliche Unterschiede, ein Wesensmerkmaldes Kapitalismus?Es werden eine Reihe unterschiedlicherStrategien und Konzepte vorgestellt, indenen Geld nicht als Spekulationsobjektdient, sondern die Zirkulation von Waren zuermöglicht, ohne in andere Regionen"davonlaufen" zu können.

ROBERT MUSIL:

Geld. Raum. Nachhaltigkeit.Alternative Geldmodelle als neuer Weg derendogenen Regionalentwicklung?212 Seiten, Pb. - ISBN 3-87998-446-8 | 21,90 Euro

Neue Adresse ab Ende Juli 2006:Hofholzallee 67, 24109 Kiel

Fon: 0431-6793650 | Fax: 0431-6793651

Page 2: ZEITSCHRIFTFÜR SOZIALÖKONOMIE · Vo r w o r t 1 während der Fußballweltmeisterschaft mag eserlaubtseindaranzuerinnern,dassSilvio Gesell das Geld einmal als den „Fußball der

1V o r w o r t

während der Fußballweltmeisterschaft mages erlaubt sein daran zu erinnern, dass SilvioGesell das Geld einmal als den „Fußball derVolkswirtschaft“ bezeichnet hat. (Band 11, S.143) Damit wollte er seinen Gedanken ver-anschaulichen, dass es im ‚Wirtschaftsspiel’nicht darauf ankam, dass der ‚Ball’ aus Goldhergestellt war; er könne besser aus Papiergefertigt werden – was sich zwischenzeitlichals richtig erwies.

Auch wenn aus dem Fußballsport ein mil-lionenschweres pseudoreligiöses Spektakel ge-worden ist, das wie „das Brot und die Spiele“im alten Rom unzählige Menschen vom poli-tischen Denken ablenkt, mag es erlaubt sein,Gesells bildhaften Vergleich noch zu erwei-tern: Wie der Fußball soll das Geld nichtaußerhalb des Spielfeldes festgehalten, son-dern nach jedem Schuss ins Seitenaus unver-züglich wieder eingeworfen werden. Der Fuß-ball und das Geld sollen gleichermaßen instetiger Bewegung gehalten werden. Wer dasFußballspiel unnötig verzögert, bekommt vomSchiedsrichter die gelbe Karte gezeigt – war-um nicht auch, wer das Wirtschaftsspiel un-nötig verzögert? Wie der Fußball keinen Ein-fluss auf das Spielgeschehen nimmt, so sollteauch das Geld die Wirtschaft nicht beein-flussen – weder die Art und den Umfang derProduktion noch die Verteilung der Güter.

Und so wie der Fußball nach langen hohenPässen bald wieder auf den grünen Rasenherunterfällt, sollte auch das Geld immerwieder auf das Spielfeld der (überwiegendregionalen) Realwirtschaft zurückkehren undnicht in der Luft verweilen wie heutzutagedas hochgradig spekulative ‚hot money’ inden luftigen Höhen der globalen Finanzmärk-te. Auf rund 1,1 Billionen US-Dollar schätzenFachleute die Manovriermasse, mit denenHedge Fonds rund um die Uhr ihre „massiveSpekulationslust“ ausleben, was Robert vonHeusinger kürzlich bewog, auf die zunehmen-de Nervosität der Finanzaufsicht aufmerksamzu machen („Angst vor einem Desaster“, in:Die Zeit vom 20. April 2006).

Zeitschrift für Sozialökonomie 149/2006

Liebe Leserin und lieber Leser,

Deshalb wollen wir mit unserem Bemühen‚am Ball bleiben’, über Spielregeln für einFairplay auch in der Wirtschaft nachzuden-ken. Auch wenn sich vieles, was in der großenPolitik und in der Wirtschaft schief läuft, vor-läufig leider noch nicht korrigieren lässt, sogibt es gleichzeitig viel Hoffnungsvolles, dastrotz aller Unvollkommenheiten den Weg ineine gerechtere Zukunft weist. Hierzu gehörtauch die zunehmende Zahl von Regionalgeld-Initiativen, die der von Robert Musil in sei-nem ersten Beitrag analysierten Konzentra-tion wirtschaftlicher Aktivitäten in GlobalCities zeichenhaft entgegenwirken. In denletzten Jahren haben die Regionalgeld-Ini-tiativen eine erstaunliche öffentliche Auf-merksamkeit gefunden und auch zu einer Zu-nahme des wissenschaftlichen Interesses anunserer Kritik am Geldwesen sowie an An-sätzen eines veränderten Geldes geführt. InAnknüpfung an unsere 144. Folge vom März2005 sollen die Beiträge im vorliegenden HeftIhnen weitere Einblicke in die Regionalgeld-szene geben. Deren Vielfältigkeit wird auchbei den beiden größeren VeranstaltungenEnde September in Weimar mitzuerleben sein.Beachten Sie hierzu bitte die Ankündigungam Ende dieses Hefts. Zuvor wird bei dennächsten Mündener Gesprächen die Kontro-verse um die Geldschöpfung der Geschäfts-banken fortgesetzt.

Ihr Werner Onken

Der Verlag für Sozialökonomie –Gauke GmbH zieht um.

Ende Juli verlegt unser Verlag seinen Sitzvon Lütjenburg nach Kiel. Die neuen An-schriftendaten finden Sie auf der neben-stehenden Seite im Impressum.Die eMail- und Internetadressen bleibenselbstverständlich unverändert.

Page 3: ZEITSCHRIFTFÜR SOZIALÖKONOMIE · Vo r w o r t 1 während der Fußballweltmeisterschaft mag eserlaubtseindaranzuerinnern,dassSilvio Gesell das Geld einmal als den „Fußball der

2 Seite 2

Zeitschrift für Sozialökonomie 149/2006

Carl Amerys Vorschlag an den Bundespräsidenten:Gründung einer Zukunftswerkstatt

Sehr geehrter Herr Bundespräsident,Wochen vor Ihrem Amtsantritt haben Sie angekündigt, dass Sie ‚konzeptionelle undintellektuell-geistige Führung’ ausüben wollen. Angesichts der zunehmenden Ver-flachung der öffentlichen Diskussion ist dies freudig zu begrüßen. …Es gilt als Erstes, die zentrale Krise zu orten und zu definieren, die wir vor allen an-

deren Problemen anzugehen haben. … Dieses Dilemma der Menschheit, das größteseit der Sesshaftwerdung, ist längst über das Soziologisch-Politische hinausgewach-sen, ist zur erdgeschichtlichen Krise geworden: Die künftige Bewohnbarkeit des Pla-neten steht ernsthaft in Frage. … Es gibt kein Wachstum, jedenfalls kein wirtschaft-liches, das nicht um die Verschleuderung, Vergiftung der Ressourcen, um die Be-schleunigung der entropischen Prozesse erkauft würde. Erste Priorität müsste dahereine Wirtschaftswissenschaft haben, die politisch und sozial tragbare Schrumpfungs-modelle erstellen kann. …An diesem Punkt, Herr Bundespräsident, werden Sie vielleicht erwidern, dass es

zur Zeit völlig ausgeschlossen wäre, dem Stimmbürger ein auch nur halbwegs hilf-reiches Programm zuzumuten, das den alten opportunistischen Prägungen wider-spricht. Und Sie haben natürlich Recht. Es verbleibt dann allerdings die Frage, mitwelchen Mitteln überhaupt noch Politik betrieben werden kann. … Weltweit bleibtdie Politik in den veralteten Koordinaten der Ressourcenausbeutung verheddert, fügtsich mehr oder weniger bereitwillig dem Selbstmordprogramm, glaubt sich kaummehr der globalen Übermacht des Ökonomismus erwehren zu können. …Der Bundespräsident aber kann, wie einige Ihrer Vorgänger gezeigt haben, durchaus

die Macht des Wortes verwenden, um eine Kursänderung der öffentlichen Diskussionzu bewirken. Und er kann noch weiter gehen. Er kann zum Beispiel wie jeder andereStaatsbürger eine Zukunftswerkstatt ins Leben rufen. … Neben einer robusten Theo-rie-Fakultät, die sich weit über Ökonomie und Politik hinaus erstreckt, die sich mitmöglichen und neuen Kulturentwürfen befassen müsste, wäre ein Fonds zu schaffen,aus dem praktische, aber von der ökonomistischen Sofortverwertungs-Dogmatik ver-nachlässigte Visionen als Pilotprojekte bis zum Startpunkt der allgemeinen Anwend-barkeit gefördert und entwickelt werden könnten. Auch die Erarbeitung bindendersozialer und ökonomischer Verkehrsformen im internationalen Bereich wäre dieAufgabe einer solchen Werkstatt.Sie bedarf natürlich erheblicher Mittel. … Ein Schritt des First Citizen wäre denk-

bar: Er tritt an die Hunderttausende von Millionären, die in Deutschland hausen oderals deutsche Staatsangehörige das mildere Steuerklima anderer Länder genießen, mitdem Ersuchen heran, ein Prozent oder mehr ihres Privatvermögens der Zukunfts-werkstatt des Bundespräsidenten zu schenken.“Carl Amery, An den Bundespräsidenten, in: ders. (Hg.), Briefe an den Reichtum, München 2005, S. 259 – 265.Aufgrund dieses Briefes stattete Bundespräsident Prof. Dr. Horst Köhler dem Schriftsteller Carl Amery am 12. Novem-ber 2004 einen Besuch ab. Am 24. Mai 2005 verstarb Carl Amery. Seinen Vorschlag möchten wir mit dem vorstehendenTextauszug in Erinnerung bringen. (Red.)

Page 4: ZEITSCHRIFTFÜR SOZIALÖKONOMIE · Vo r w o r t 1 während der Fußballweltmeisterschaft mag eserlaubtseindaranzuerinnern,dassSilvio Gesell das Geld einmal als den „Fußball der

Die globale Hierarchie der Städte –Investitionsbeziehungen als Bindeglied

zwischen Zentrum und Peripherie?Robert Musil

3

Zeitschrift für Sozialökonomie 149/2006

1 Das Zeitalter der Städte

Das kommende Jahr ist ein wichtiger Mark-stein in der Menschheitsgeschichte: nach Prog-nosen der Vereinten Nationen [1] werden 2007erstmals mehr als die Hälfte der Menschheit inStädten leben. Bis 2030, so rechnet die UNO,werden nur mehr rund 39 Prozent der Mensch-heit in ländlichen Räumen leben. Rapide steigtdamit auch die Zahl der Millionenstädte, die sichzwischen 1975 und 1995 auf 381 verdoppelt hat;gegenwärtig sollen es bereits 480 sein. Noch1950 gab es zwei Städte mit mehr als 10 Millio-nen Einwohnern, so genannte Megastädte, näm-lich Tokio und New York; in wenigen Jahren wer-den es bereits 22 Agglomerationen sein. Städteder Dritten Welt, die bisher nahezu unbekanntwaren, steigen in dieser Dekade in die Gruppeder größten Agglomerationen der Erde auf: Lagos(17 Mio. Einwohner), Karachi (16,2 Mio. Einwoh-ner) oder Lahore (8,7 Mio. Einwohner). Und Istan-bul wird im Jahr 2015 mit voraussichtlich 11,3Mio. Einwohnern die größte Stadt Europas sein.Die mit atemberaubender Geschwindigkeit ablau-fenden Verstädterungsprozesse sind zum über-wiegenden Teil Ausdruck nationaler und interna-tionaler Migrationsströme, die vor allem in derDritten Welt durch die Zerstörung der Lebens-grundlagen sowie halbfeudaler Besitzstrukturenin den ländlichen Räumen ausgelöst werden.[2]

Allerdings ist die demographische Explosionnur ein Aspekt des „Zeitalters der Städte“. Durchdie (vornehmlich) ökonomischen Prozesse, dieunter dem Begriff der Globalisierung zusammen-gefasst werden – die Liberalisierung des Welt-handels, globale Vernetzung der Finanzmärkte,der Aufstieg von multinationalen Konzernen undnicht zuletzt die Revolution der Informations-technologien [3] – ist es nicht, wie Sozialwissen-

schaftler behaupteten [4] zu dem Ende des Rau-mes und damit der Städte gekommen. Ganz imGegenteil: Agglomerationen entwickeln sich zuSteuerungs- und Schaltzentralen der Weltwirt-schaft; zu jenen Orten, an denen Globalisierung„gemacht“ wird. Die neue Bedeutung dieser Glo-bal Cities resultiert nicht mehr aus den klassi-schen Stadt-Umland-Beziehungen, sondern ausder Vernetzung mit der globalen Ökonomie, ausder Brücken- oder „Scharnierfunktion“ zwischennationalen und globalen Märkten [5].

Mega City und Global City – zwei unterschied-liche Bewertungskategorien für Städte, die trotzihrer Unterschiedlichkeit auf die gleichen Wir-kungsfaktoren, die räumliche Strukturierung durchglobale Prozesse zurückgehen. Die Wolkenkratzerim Finanzzentrum von Manhattan und die endlo-sen Elendsviertel um Mexiko City – zwei Seitenein und derselben Medaille? Zwei Kategorien, dienur selten auf eine Stadt zutreffen: eine MegaCity (wie etwa Tianjin, China mit 9,4 Mio.) mussnicht unbedingt eine Global City sein, währendumgekehrt eine Global City (wie etwa Basel mit0,45 Mio. oder Hamburg 1,7 Mio. Einwohnern)keine Mega City sein muss.

Die Global Cities als Steuerungszentren derWeltwirtschaft stehen im Mittelpunkt dieses Bei-trages. Und damit die zentrale Frage, wie dieInvestitionsbeziehungen zwischen diesen „Kno-tenpunkten der Weltwirtschaft“ hierarchischeBeziehungen zwischen zentralen und peripherenRäumen entstehen lassen.

2 Die neue Bedeutung der Stadt inder Globalisierung

Das zentrale Element der prominenten Global-City-Theorie der US-Soziologin Saskia Sassen be-ruht auf der Verbindung des komplexen Wir-

Page 5: ZEITSCHRIFTFÜR SOZIALÖKONOMIE · Vo r w o r t 1 während der Fußballweltmeisterschaft mag eserlaubtseindaranzuerinnern,dassSilvio Gesell das Geld einmal als den „Fußball der

4

Zeitschrift für Sozialökonomie 149/2006

kungsgefüges von Stadt und Globalisierung. [6]

Die Bedeutung der Global Cities liegt dabei inder Kontrolle und dem Management der globa-lisierten Weltwirtschaft, die durch die Konzen-tration von internationalen Finanz- und unter-nehmensorientierten Dienstleistungsunterneh-men ermöglicht wird. [7] Die Stadt als „Markt“ imSinne Webers [8] erhält eine neue Bedeutung: alsOrt, an dem spezifische Informationen zur Steue-rung und zur Bewältigung der Anforderungen desglobalisierten Weltmarktes verfügbar sind. [9] Someint Sassen: „Location thus has assumed a newtype of importance, as some places will providebetter access to information than will others“[10]. Ausschlaggebend für diese globale Zentra-lität der Städte sind hoch spezialisierte Dienst-leistungsbranchen, aufgrund deren spezifischen,nur an wenigen Orten verfügbaren Wissens mul-tinationale Konzerne in der Lage sind, ihren öko-nomischen Aktionsraum auf den gesamten Glo-bus auszudehnen. Persönliche informelle Kontak-te und Netzwerke zwischen so genannten „unter-nehmensorientierten“ Dienstleistungsunterneh-men wie etwa Steuer-, Rechts-, Beratungs- undFinanzfirmen sind räumlich immobil und nichtbeliebig verschiebbar; darüber hinaus müssendiese aufgrund ihres Spezialisierungsgrades räum-lich konzentriert sein. Die Paradoxie der Entwick-lung liegt darin, dass einerseits die Produktionvon Gütern zunehmend dezentral in langen Wert-schöpfungsketten über den gesamten Globusverstreut wird, während auf der anderen Seitedie Kontrolle über diese Konzernnetzwerke und –verflechtungen in zunehmenden Maße räumlichzentralisiert werden. [11]

Der Global-City-Ansatz von Sassen hat einenwichtigen Beitrag zu einem neuen räumlichenVerständnis von Globalisierung geleistet: dieWeltwirtschaft muss als ein Netzwerk verstandenwerden, in dem die ökonomischen Aktivitätendie Verbindungslinien, die Global Cities hingegendie Knoten darstellen. [12] Diese „basing points“bilden eine komplexe Hierarchie, wobei die Be-deutung vom jeweiligen Integrationsgrad (derStärke, der Dauer, der Form und der Intensitätder Verbindung) der Stadt in der Weltwirtschaftabhängt. [13] Zwischen diesen Knoten fließen dieStröme der Weltwirtschaft: Rohstoffe, Waren, In-

formationen, Menschen und vor allem: Kapital.Letztgenannter wird dabei als wichtigstes (hier-archiebildendes) Bindeglied zwischen diesenStädten genannt: „World cities can be arrangedhierarchically, roughly in accord with the eco-nomic power they command. They are citiesthrough which regional, national, and interna-tional economies are articulated with the globalcapitalist system of accumulation. A city’s abi-lity to attract global investments ultimately de-termines its rank in the order of world cities.However, its fortunes in this regard, as well asits ability to absorb external shocks from tech-nological innovations and political change, arevariable” [14].

Kapitalbasierte Kontrollverflechtungen sindalso nicht nur Ausdruck der ökonomischen Machteiner Global City sowie der Position in einemglobalen Städteranking, es ist auch Ausdruckökonomischer Stabilität sowie der Fähigkeit anInnovationen zu partizipieren oder diese selbstzu entwickeln. Paradoxerweise erfolgte durchjüngere Vertreter des Global-City-Ansatzes keineAuseinandersetzung mit dem Begriff Geldkapital,der sehr unsystematisch verwendet wurde. Eben-so fehlen bis dato empirische Untersuchungen.Es ist also zu klären, welche Prozesse hinter derKapitalmobilität stehen und welche Auswirkung-en damit für die Entstehung räumlicher Un-gleichgewichte verbunden sind. Konkret gefragt:Welche geldtheoretischen Ansätze sind für dieGlobal-City Forschung brauchbar und anwend-bar? Wie können durch Kapital(-beziehungen)hierarchische Beziehungen dargestellt werden?

3 Kapitalflüsse – eine hierarchischeRaumbrücke?

3.1 Die Quantität und die Qualitätdes Geldes

Die klassische Raumwirtschaft beschränkt sichdarauf, zwei Formen von Investitionskapital zuunterscheiden: mobiles Geldkapital und immobi-les Sachkapital. [15] Sie folgt damit dem neoklas-sischen Geldparadigma, das auf dem Neutrali-tätspostulat des Geldes aufbaut: Kapital fließtvon Region A in Region B, wodurch Ausstat-tungsunterschiede ausgeglichen werden und ein

Robert Musil: Die globale Hierarchie der Städte

Page 6: ZEITSCHRIFTFÜR SOZIALÖKONOMIE · Vo r w o r t 1 während der Fußballweltmeisterschaft mag eserlaubtseindaranzuerinnern,dassSilvio Gesell das Geld einmal als den „Fußball der

5

Zeitschrift für Sozialökonomie 149/2006

Ausgleich räumlicher Unterschiede erreicht wird.[16] Angesichts der realen Entwicklung regionalerDisparitäten wurde dieses mechanistische undvereinfachende Bild des interregionalen Aus-gleiches als „sozioökonomisches Konstrukt“ [17] kri-tisiert. Denn das ökonomische Aktivitätspoten-tial (d.h. die Verfügbarkeit sicherer Arbeitsplätze,Wachstum, Innovationsfähigkeit) einer Regionwird maßgeblich von der Verwendung des in eineRegion investierten Kapitals sowie von der Re-investition der dort erwirtschafteten Gewinnebestimmt. [18] Damit muss die schwierige Fragegestellt werden, was – im Sinne einer Region –„gutes“, was „schlechtes“ Geld ist.

So kann es auch dazu kommen, dass die Ge-winnrückflüsse einer Region mittel- oder lang-fristig das ursprüngliche Investitionskapital über-steigen und zu einem Netto-Abfluss aus derRegion führen. Damit würde eine Situation ein-treten, die Karl Marx folgendermaßen umschrie-ben hat: „Er [der Kapitalist, RM] entlässt dasGeld nur mit der hinterlistigen Absicht, seinerwieder habhaft zu werden. Es wird daher nurvorgeschossen“. [19] Vor einer Verallgemeinerungsei jedoch gewarnt: denn es darf nicht davonausgegangen werden, dass Kapitaltransfer zurVerstärkung regionaler Ungleichgewichte führenmuss.

Dies zeigt anschaulich, dass für die Bewer-tung einer hierarchischen Beziehung zwischenzwei Regionen (oder zwei Global Cities) nebender Quantität, also dem Investitionsvolumen,auch die Qualität der Kapitalströme herangezo-gen werden muss. Ein möglicher Ansatzpunkt füreine Bewertung ist der Einfluss bzw. die Ent-scheidungsmacht des Investors, der als aktivoder inaktiv charakterisiert werden kann: Derinaktive Investor stellt Kapital gegen Zins alsGegenleistung zur Verfügung, sein Anspruch istunabhängig vom Unternehmensgewinn; es han-delt sich hier in der Regel um Kreditkapital(Abb. 1). Der aktive Investor ist hingegen mitseiner Entscheidungsmacht in den betrieblichenAblauf eingebunden, sein Anspruch ist vomUnternehmensgewinn abhängig; es handelt sichum Beteiligungen oder Aktionäre.[20] Die Dimen-sion der Entscheidungsmacht betrifft in derRealwirtschaft in erster Linie das mobile Geld-

Robert Musil: Die globale Hierarchie der Städte

kapital und determiniert auch dessen Mobili-tätseigenschaften: „Die Mobilitätseigenschaftendieses zu investiven Zwecken bereitstehendenKapitals hängen ... davon ab, ob der jeweiligeEntscheidungsträger einem anderen solche Mittelüberlässt oder aber selbst über die Transfor-mation in Sachkapital entscheidet“. [21]

Abb.1: Differenzierung von Kapital (Klöppel 1973, 17-19)

Für die Bewertung von Investitionskapital alsGrundlage für hierarchische Raumbeziehungensind drei Eigenschaften zu nennen: [22]

- Erstens die Quantität, der Umfang der getä-tigten Investition.- Zweitens die Qualität, die Struktur der Kapi-talströme. Damit sind beispielsweise die „Bran-chenzugehörigkeit“ des Investitionskapitals oderdie Kreditkondition gemeint. Kurz, welches Ka-pital in welcher Form, zu welchen Konditionenzur Verfügung steht.- Die dritte Dimension umfasst die Richtung desKapitals, womit der Nettokapitalfluss der Investi-tion gemeint ist. D.h. ob eine Investition von Re-gion A nach Region B nicht langfristig zu einemKapitalrückfluss von Region B nach Region A führt.

3.2 „Geldneutrale“ Investitionsver-flechtungen?

Mit der Perspektive der Geldqualität stellt sichdie Frage, ob Investitionsverflechtungen der Glo-bal Cities durch neutrales Geld (im Sinne desFreigeldes von Silvio Gesell) beeinflusst werdenwürden. Hier sind drei Aspekte anzuführen: Un-ternehmensverflechtungen (mikroökonomischePerspektive), das globale Finanzsystem (makro-ökonomische Perspektive) sowie die regionaleEbene (regionalökonomische Perspektive).

Page 7: ZEITSCHRIFTFÜR SOZIALÖKONOMIE · Vo r w o r t 1 während der Fußballweltmeisterschaft mag eserlaubtseindaranzuerinnern,dassSilvio Gesell das Geld einmal als den „Fußball der

6

Zeitschrift für Sozialökonomie 149/2006

Unternehmensverflechtungen:Gegenseitige Beteiligungen zwischen internatio-nalen Unternehmen entstehen in der Regel ausdem Motiv, Zugang zu neuen Absatzmärkten zugewinnen, Marktanteile zu erhöhen oder dasKnow-How anderer Unternehmer zu „kaufen“;allesamt strategische Entscheidungen, die inkeinerlei Hinsicht durch das Geldsystem moti-viert oder beeinflusst sind; allerdings ist dieOrganisationsstruktur und die Expansion inter-nationaler Konzerne durchaus als eine Folge ma-kroökonomischer Rahmenbedingungen zu sehen.Globales Geldsystem:Übernahmen internationaler Konzerne sind sicher-lich kein neues Phänomen, jedoch haben neue,institutionelle Anleger zu einer Beschleunigungdes Fusions-Boom der 1990er Jahre geführt; die-ser ist Ausdruck der Macht, die dem Manage-ment von Rentenfonds in die Hände gefallen ist,Unternehmensleitungen dahingehend zu beein-flussen, Entscheidungen ausschließlich nach derGewinnsteigerung (share holder value) zu tref-fen; eine Beschleunigung des Unternehmens-wachstums durch Fusion ist damit zu einer zen-tralen Unternehmensstrategie geworden.Regionalökonomie:Wie noch gezeigt wird (Abschnitt 3.4) habenUnternehmensverflechtungen einen signifikan-ten Einfluss auf die Entwicklung von Regionen,wobei diese zwar im Kontext des übergeordne-ten Geld- und Wirtschaftssystems gesehen wer-den müssen. Nicht „das Geld“ selbst, sehr wohlaber dessen Rahmenbedingungen und das insti-tutionelle Umfeld (wie etwa die Liberalisierungdes Welthandels) sind es, die den Wachstums-und Wettbewerbsdruck für Unternehmen bestim-men. Ob innerhalb eines Landes eine räumlicheKonzentration in den Zentren stattfindet, hängtdarüber hinaus auch in hohem Maße von derEinstellung und vor allem von dem Willen derrelevanten Akteure in Politik, Verwaltung, Wirt-schaft, von der Öffentlichkeit insgesamt ab. [23]

3.3 Kapitalbasierte Kontrollver-flechtungen

Eine Form von Kapitalströmen, die unterneh-merische Kontrollverflechtungen abbildet, sind

ausländische Direktinvestitionen. Diese werdenals langfristige Investition charakterisiert, mitdenen ein strategisches Interesse sowie dieunternehmerische Kontrolle des Investors ver-bunden ist; in diesem Sinne definiert die öster-reichische Nationalbank ausländische Direktin-vestitionen folgendermaßen: „Demgemäß ver-steht man unter ausländischen Direktinvesti-tionen Kapitalanlagen, die Investoren in der Ab-sicht vornehmen, um mit einem Unternehmen ineinem anderen Land eine dauernde Wirtschafts-beziehung herzustellen und aufrecht zu erhalten,wobei gleichzeitig die Absicht besteht, auf dasManagement dieser Firma einen spürbaren Ein-fluss auszuüben“. [24]

Kontrollverflechtungen zwischen Konzernenhaben vor allem in den 1990er Jahren einenregelrechten Boom erlebt, der durch erheblicheKonzentrationstendenzen gekennzeichnet ist.Weltweit betrachtet lag der Umfang der neungrößten Übernahmen im Jahr 1997 bei 135 Mrd.USD, im folgenden Jahr sogar 536 Mrd. USD; ermachte damit 23 Prozent des weltweiten Fusions-und Übernahmevolumens aus. [25]

Der Ansatz des „regionalen Kontrollpotentials“trägt dieser Entwicklung Rechnung, es werdendabei die räumlichen Unternehmenshierarchienzwischen den Regionen untersucht. Die ent-scheidende Größe ist die Bilanz zwischen kapi-talbasierten Kontrollverflechtungen, die von derRegion ausgehen bzw. die in die Region einge-hen (aktive und passive Kontrollverflechtung), alsoder Saldo interregionaler Kontrollbeziehungen.[26] Die Kontrollbilanz einer Region kann somitetwa aus dem Anteil der extern kontrolliertenBeschäftigten an der Gesamtbeschäftigung er-rechnet werden. [27] Grundsätzlich können dreiidealtypische Regionen nach ihrer Kontrollbilanzunterschieden werden, wobei die Übergängefließend sind:- Regionen mit aktiver Kontrollbilanz weiseneinen hohen Anteil an Betrieben auf, die gegen-über Unternehmen in anderen Regionen eine be-herrschende Funktion ausüben.- Genau umgekehrt stellt sich die Situation inRegionen mit passiver Kontrollbilanz dar: Wäh-rend nur wenige Betriebe in einer kontrollieren-den Position sind, ist die überwiegende Zahl der

Robert Musil: Die globale Hierarchie der Städte

Page 8: ZEITSCHRIFTFÜR SOZIALÖKONOMIE · Vo r w o r t 1 während der Fußballweltmeisterschaft mag eserlaubtseindaranzuerinnern,dassSilvio Gesell das Geld einmal als den „Fußball der

7

Zeitschrift für Sozialökonomie 149/2006

Unternehmen in einer regionsextern abhängigenFunktion.- Der dritte Typus ist die Region mit neutralerKontrollbilanz; es herrschen Betriebe vor, dieentweder regionsintern kontrolliert werden oderselbstständig sind.

3.4 Raummuster derKontrollverflechtungen

Empirische Untersuchungen zu räumlichenKontrollverflechtungen werden nur selten durch-geführt und finden darüber hinaus aufgrund derschwierigen Datenlage nur auf subnationalerEbene statt. [28] Bemerkenswert ist allerdings,dass trotz unterschiedlicher Methodiken und un-terschiedlichen Erhebungszeiträumen großteilsübereinstimmende Ergebnisse erzielt wurden, diefolgendermaßen zusammengefasst werden kön-nen:- Die externe Abhängigkeit von Unternehmenist räumlich relativ gleich verteilt, unabhängigob es sich dabei um periphere, strukturschwacheoder um hoch verdichtete Wachstumsregionenhandelt. Ein ganz anderes Bild zeigt sich hin-gegen auf „der anderen Seite“ der Kontrollbe-ziehungen, bei der räumlichen Verteilung desaktiven oder positiven Kontrollpotentials: Öko-nomische Dominanz ist hochgradig räumlichkonzentriert, sie geht zum überwiegenden Teilvon wenigen, großen Verdichtungsräumen aus.Der Saldo, die Kontrollbilanz, bestätigt dieseEinschätzung: Die Beherrschung geht von denstädtischen Regionen aus, während ländlicheGebiete eine deutlich negative Kontrollbilanzaufweisen.- Die räumlichen Muster der Kontrollbeziehung-en zeigen weiters, dass zwischen den hochver-dichteten Regionen starke gegenseitige Verflech-tungen bestehen, wobei ein erhebliches Maß anKontrolle von sehr wenigen Zentren ausgeht. ImFalle Deutschlands sind für die 1980er Jahre vorallem München, Stuttgart, Hamburg und Frank-furt zu nennen. [29] Ebenso dominieren regionaleMittelzentren durch Kontrollverflechtungen dasjeweilige Umland, wobei deren räumliche Reich-weite geringer ist als jene der großen städti-schen Agglomerationen.

3.5 Strukturelle WirkungenUntersuchungen für die USA, Deutschland

oder Österreich [30] zeigten, dass hierarchischeBeziehungen zwischen einem Mutterkonzern undabhängigen Beteiligungsunternehmen zu unter-schiedlichen regionalen Entwicklungspotentialenführen. Durchgängig wurde festgestellt, dassein Mutterunternehmen von einer erfolgreichenExpansion eines untergeordneten Tochterunter-nehmens mit profitiert. [31] Im Gegenzug laufenim Falle einer Stagnation Tochterunternehmenüberproportional häufig in Gefahr, mit Personal-reduktionen oder gar Standortschließungen kon-frontiert zu werden. [32] Diese Einschätzung wirdvon mehreren Unternehmensbefragungen bestä-tigt. So zeigt sich, dass Konzernzentralen (alsoUnternehmen, die Niederlassungen in Auslanderwerben oder sich zumindest beteiligen) be-triebswirtschaftliche Rückschläge leichter abfan-gen können als Einbetriebsunternehmen. [33] Esist daher auch wenig überraschend, dass Unter-nehmenszentralen ihre zukünftige Entwicklungbesser beurteilen als Zweigbetriebe. In einerUntersuchung gaben von 244 befragten öster-reichischen Unternehmen 13,6 Prozent eine po-sitive Einschätzung über ihre zukünftige Ent-wicklung an. Hingegen lag der Vergleichswertder Unternehmenszentralen bei 25 Prozent, je-ner der restlichen Betriebe (Einbetriebs- oderTochterunternehmen) nur bei 10 Prozent. [34]

Diese eher gedämpfte Einschätzung kann auchdadurch erklärt werden, dass Zweigbetriebe (zu12,8 Prozent) in der Vergangenheit schon Erfah-rungen mit dem Verlust von Funktionskompe-tenzen gemacht haben. [35]

Die auf die regionale Ebene ausgerichtetenUntersuchungen bestätigen die Ergebnisse vonBetriebsbefragungen. Die „Kontrollstruktur“ einerRegion beeinflusst sowohl das Qualifikations-niveau der Erwerbstätigkeit als auch die Funk-tionalstruktur signifikant. So konnten Gräber etal nachweisen, dass Regionen mit aktivem Kon-trollpotential hinsichtlich Qualifikation, Wachs-tum und Stabilität der Beschäftigung sowie beiden Durchschnittslöhnen über günstigere Eigen-schaften verfügen als beherrschte Regionen.„Durchgängig zeigt sich, dass die Existenz vonBeherrschung in irgendeiner Form mit einem

Robert Musil: Die globale Hierarchie der Städte

Page 9: ZEITSCHRIFTFÜR SOZIALÖKONOMIE · Vo r w o r t 1 während der Fußballweltmeisterschaft mag eserlaubtseindaranzuerinnern,dassSilvio Gesell das Geld einmal als den „Fußball der

8

Zeitschrift für Sozialökonomie 149/2006

höheren Angestelltenanteil und einem höherenQualifikationsniveau verbunden ist.“ [36] Beteili-gungs- oder Beherrschungsstrukturen sind Aus-druck einer asymmetrischen Beziehung, die zueinem Auseinanderfallen von Wertschöpfungs-erbringung und Wertschöpfungsverfügung füh-ren kann. „Der ‚Beherrschungs-Überschuss’ ei-ner Stadtregion [...] kann sich in einen ‚Aneig-nungs-Überschuss’ umsetzen, wenn der Entzugs-effekt bei Profiten und anderen Besitzeinkom-men größer ist als die Reinvestition in die Ent-zugs-Region“. [37] Damit bilden Beherrschungs-verhältnisse zwischen Stadtregionen, insbeson-dere wenn diese einseitig sind, eine Grundlagefür Transferbeziehungen, die zu einer Verfesti-gung oder Verstärkung von regionalen Ungleich-gewichten führen können.

Mit diesem Ansatz des „regionalen Kontroll-potentials“ wird die Notwendigkeit eines Geld-ansatzes deutlich, der auf der heterodoxenNichtneutralität des Geldes aufbaut und eineDifferenzierung nach qualitativen Kriterien ein-fordert. Ausgehend von dem Anspruch, Geld-kapital (in Form von Unternehmensbeteiligung-en) als potentielle Quelle von hierarchischenVerflechtungen zu sehen, werden die wesent-lichen Ergebnisse einer Studie vorgestellt, dieausländische Direktinvestitionen der StadtregionWien in Europa untersucht hat.

4 Wien: eine Drehscheibe zwischenEuropas Zentrum und Peripherie?

Die Ergebnisse der hier vorgestellten Studiebasieren auf einem Datensatz von 12.230 regio-nalisierten Direktinvestitionen, die zwischen derStadtregion Wien und insgesamt 145 ausländi-schen Standorten durchgeführt wurden. [38] Da-bei werden Investitionen nach ihrer Richtungdifferenziert: „aktive“ Investitionen gehen vonWien an ausländische Standorte, „passive“ wer-den von ausländischen Unternehmen in Wiengetätigt. Eine entscheidende Größe für die Be-wertung einzelner Standorte wird daher dieBilanz dieser beiden Werte sein, die die Asym-metrie und damit die hierarchische Verflechtungzwischen den jeweiligen Standorten zum Aus-druck bringen. Der Untersuchungszeitraum um-

fasst 13 Jahre von 1989 bis 2001 – und damitjene Dekade, in der die Stadt Wien bedeutsamegeopolitische Umbrüche erlebte: der Fall desEisernen Vorhanges, die gesellschaftliche Trans-formation in den östlichen Nachbarländern, derBeitritt Österreichs zur Europäischen Union so-wie die sich damals abzeichnende Osterweite-rung der EU. [39] Angesichts dieser Entwicklungendrängt sich die Frage auf, ob Wien an seinealte Rolle als ein den Donauraum ökonomischdominierendes Zentrum anschließen kann unddadurch der Status dieser Stadt als Global Cityaufgewertet wurde.

4.1 Bewertung von WiensKontrollpotential

Die kapitalbasierten Kontrollverflechtungenzwischen Wien und ausländischen Standortenhaben in den 1990er Jahren eine beträchtlicheSteigerung erfahren, wobei sowohl die Bedeu-tung der Stadt als Ausgangspunkt (aktive Inves-titionen zwischen 1991 und 2001: von 2,2 auf17,9 Mrd. Euro) als auch als Zielstandort (pas-sive Beteiligungen zwischen 1991 und 2001: von5,6 auf 21,6 Mrd. Euro) von Investitionen zuge-nommen hat. Wenn auch die aktivseitige Expan-sion in allen untersuchten Regionen stattgefun-den hat, so nehmen doch die osteuropäischenMärkte eine besondere Stellung ein, denn derenBeitrag zum Anstieg der aktiven Investitionenwar mit 32,6 Prozent (oder 5 Mrd. Euro) be-trächtlich. Bei der Herkunft der passiven Inves-titionen sind nach wie vor Deutschland undWesteuropa sehr dominierend, womit die Kon-trollbilanz Wiens trotz der Expansion an den ost-europäischen Märkten negativ geblieben ist.

Die qualitative Struktur der Investitionenzeigt erhebliche Unterschiede zwischen den ak-tiven und passiven Beteiligungen: Bei den pas-siven Investitionen in Wien fand eine Entkoppe-lung von Beschäftigung und Investitionsver-mögen statt. Während der Beschäftigungsstandder aktiven Investitionen zwischen 1991 und2001 um rund 121.000 Arbeitsplätze wuchs, be-trug das passivseitige Nettowachstum in Wien –bei einem Anstieg der Beteiligungsvolumen von16 Mrd. Euro! – gerade rund 9.000 Beschäftigte.

Robert Musil: Die globale Hierarchie der Städte

Page 10: ZEITSCHRIFTFÜR SOZIALÖKONOMIE · Vo r w o r t 1 während der Fußballweltmeisterschaft mag eserlaubtseindaranzuerinnern,dassSilvio Gesell das Geld einmal als den „Fußball der

9

Zeitschrift für Sozialökonomie 149/2006

Es scheint, als wären die in Wien getätigtenInvestitionen nicht in der Lage neue Beschäf-tigung zu schaffen. Dies mag darauf zurückzu-führen sein, dass ausländische Konzerne in Wienkeine Neugründungen sondern überwiegend Fu-sionen mit bestehenden Unternehmen durch-führen (wie etwa die bayrische HVB 1997 dieBankAustria-Creditanstalt übernommen hat).

Die Gewinnstruktur und Rentabilität der In-vestitionen zeigt für Wien ebenso eine eherungünstige Bilanz: Sowohl die Gewinne in abso-luten Zahlen (aktiv 2001: 1,9 Mrd, passiv 2001:770 Mio Euro), als auch die Rentabilität (gemes-sen am Gewinnanteil am Eigenkapital) ist passiv-seitig (9,1 Prozent) doppelt so hoch wie aktiv-seitig (5,1 Prozent). Auch hier spielen die ost-europäischen Standorte für Wien eine immenswichtige Rolle: Denn immerhin 43 Prozent allererwirtschafteten Gewinne der aktivseitigen In-vestitionen kommen aus dieser Region. Weitersübersteigen die Gewinnrückflüsse aus Wien andie ausländischen Mutterkonzerne (passiv 2001:104,7 Prozent der Gewinne werden an die aus-ländische Mutter überstellt) die Zuflüsse an dieUnternehmenszentralen in Wien (aktiv 2001: 67,7Prozent der Gewinne werden an die Wiener Mut-ter überstellt). Der Saldo der Kapitalbeziehung-en, also das regionale Kontrollpotential Wiens,ist zwar nur leicht negativ; die Qualität der Be-ziehungen kann insgesamt betrachtet als nichtsehr günstig eingestuft werden – wobei festge-halten werden muss, dass die osteuropäischenStandorte einen wichtigen Beitrag zur Verbesse-rung der qualitativen Bilanz Wiens leisten.

4.2 Bewertung der regionalenInvestitionsverflechtungen

Die insgesamt 145 aktiven und passiven In-vestitionsstandorte weisen eine doppelte räum-liche Konzentration auf: erstens liegen nur 12Standorte außerhalb Europas und selbst inner-halb Europas konzentrieren sich die meistenStandorte auf die unmittelbaren Nachbarländer.Und auch dort konzentriert sich das Beteili-gungskapital auf wenige Standorte; im zeitlich-en Verlauf gewinnt es sogar noch mehr an Be-deutung: 1991 flossen 39,6 Prozent aller Inves-

titionen von 10 ausländischen Standorten nachWien, 2001 lag der Wert derselben Städte bei67,1 Prozent. Bei den aktiven Investitionenzeigt sich ein sehr ähnliches Muster (1991 41,7Prozent, 2001 66,9 Prozent von 10 Standorten).

Die Bilanzen der Investitionsbeziehungen zuden einzelnen Standorten sind durch erheblicheAsymmetrien gekennzeichnet, die eindeutige räum-liche Muster zeigen. In Abbildung 2 (s. S. 10) sinddie gewichteten Bilanzen der Gewinne für dieeinzelnen Standorte in Europa interpoliert, wo-bei die graue Signatur den Übergang von derpositiven (hellgrau) zur negativen (dunkelgrau)Kontrollbilanz aus der Sicht Wiens darstellt:Während vor allem gegenüber den Standortendes nordwesteuropäischen Zentralraumes (vonWien aus gesehen) negative Bilanzen vorherr-schen, nimmt die Donaumetropole gegenüber denStandorten in den mittel- und osteuropäischenNachbarländern eine eindeutig dominierendePosition ein. Auch konnte eine beachtliche zeit-liche Persistenz der Kontrollverflechtungen fest-gestellt werden: kaum ein Standort erlebte einenWechsel des „Vorzeichen“ seiner Kontrollbilanz,vorhandene Ungleichgewichte wurden tenden-ziell verstärkt. Die West-Ost-BrückenfunktionWiens hat sich in dem Untersuchungszeitraumbeträchtlich ausgeweitet, wobei die Expansionan den osteuropäischen Standorten nicht aus-reichte, die Dominanz westeuropäischer Stand-orte gegenüber Wien zu kompensieren.

Von den 145 Investitionsstandorten sind ausder Literatur nur 61 als Global Cities zu identi-fizieren, wobei diese in drei Gruppen, als hoch-,mittel- und niederrangige Global Cities einge-stuft wurden. [40] Differenziert man das Kontroll-potential nach diesen drei Gruppen und weitersnach der Zeit, so zeigt sich dass gegenüber denhochrangigen Global Cities (etwa New York,London, Frankfurt oder Tokio) eine negativeBilanz (von Wien ausgesehen) vorherrscht, diein der Dekade der 1990er Jahre auch noch zuge-nommen hat. Hingegen hat die positive Kontroll-bilanz gegenüber den niederrangigen GlobalCities (etwa Barcelona, Bratislava, Dresden oderAthen) zugunsten Wiens zugenommen. Somithat zwar die Stärke der Einbindung Wiens in dieglobale Wirtschaft zugenommen, dies hat aller-

Robert Musil: Die globale Hierarchie der Städte

Page 11: ZEITSCHRIFTFÜR SOZIALÖKONOMIE · Vo r w o r t 1 während der Fußballweltmeisterschaft mag eserlaubtseindaranzuerinnern,dassSilvio Gesell das Geld einmal als den „Fußball der

5 Wien: eine Metropole derSemiperipherie?

Aus den Ergebnissen der Untersuchung lassensich sowohl konzeptionell-theoretische als auchempirische Konsequenzen ableiten. Für das Ver-ständnis der Weltwirtschaft mit ihren Verflech-tungen zwischen den dominierenden Zentren undabhängigen peripheren Räumen ist es notwen-dig, einen umfassenderen Kapitalbegriff anzu-wenden als die neoklassische Wirtschaftlehreund Standortwissenschaft. Geld ist kein „neu-traler Produktionsfaktor“; er verfügt über einequalitative Dimension, die für das Entwicklungs-potential von Städten und Regionen von enor-mer Bedeutung ist. Das Kontrollpotential ist einwichtiger Indikator dafür, ob erwirtschaftete

Gewinne an dem Standort reinvestiert oder ab-gezogen werden. Weiters zeigt die Studie überWien, dass die netzwerkartige Weltwirtschafthochgradig konzentriert und durch vorrangigasymmetrische Verflechtungen gekennzeichnetist. Das Netzwerk der Global Cities macht auchdeutlich, was ökonomische Globalisierung kon-kret bedeutet: keine Verbrüderung der Welt mitsich selbst, keine „Umarmung“ durch Handel,sondern eine kalkulierte hierarchische Ordnung,in der es ein eindeutiges „oben“ und „unten“gibt.

Der von dem Sozialhistoriker Braudel gepräg-te Begriff der „Relaisstadt“ [41] als Bindegliedzwischen Zentrum und Peripherie der Weltwirt-schaft dürfte für das hier untersuchte Fallbei-

dings auch zu einer stärkeren Ausprägung derasymmetrischen Kontrollverflechtungen geführt.In der globalen Städtehierarchie konnte sich

Wien als Regionalzentrum für Mittel- und Ost-europa etablieren, seine globale Stellung bliebdavon aber unberührt.

Abb. 2: Die Qualität des Geldes als Ausdruck von Zentrum und Peripherie, hier am Beispiel von Wiens „Vorland“ und„Hinterland“ (Interpolation der Bilanz der Gewinne, gewichtet nach der Asymmetrie des Eigenkapitals).

10

Zeitschrift für Sozialökonomie 149/2006

Robert Musil: Die globale Hierarchie der Städte

Page 12: ZEITSCHRIFTFÜR SOZIALÖKONOMIE · Vo r w o r t 1 während der Fußballweltmeisterschaft mag eserlaubtseindaranzuerinnern,dassSilvio Gesell das Geld einmal als den „Fußball der

spiel Wien in hohem Maße zutreffen. Die „Inter-nationalisierungsphase“ der 1990er Jahre hatWien zwar nicht zu einer Global City werden las-

sen, allerdings dürfte ihre Rolle als halb- odersemiperipherer Brückenkopf für Osteuropa un-umstritten sein.

11

Zeitschrift für Sozialökonomie 149/2006

Robert Musil: Die globale Hierarchie der Städte

Literatur- Braudel, F. (1986): Sozialgeschichte des 15.-18. Jahrhunderts. Aufbruch zur Weltwirt-schaft. München.

- Castells, M. (2001): Der Aufstieg der Netz-werkgesellschaft. Teil 1 der Trilogie. Das In-formationszeitalter. Opladen.

- Feldbauer, Peter und Parnreiter, Christof(1997): Megastädte – Weltstädte – GlobalCities. In: P. Feldbauer, K. Husa, E. Pilz, I.Stacher (Hrsg.): Mega-Cities. Die Metropolendes Südens zwischen Globalisierung undFragmentierung. Seite 9 bis 20.

- Friedmann, J. und Wolff, G. (1982): Worldcity formation, an agenda for research andaction. International Journal of Urban andRegional Research, 1982/6/3, S. 309-344.

- Friedmann, J. (1986): The world city hypo-thesis. Development and Change, 1986/17,S. 69-83.

- Gräber, H., Holst, M., Schackmann-Fallis,K.-P. und Spehl, H. (1986): Neuorientierungder regionalen Wirtschaftspolitik? Bundes-forschungsanstalt für Landeskunde und Raum-ordnung (Hg.), Informationen zur Raument-wicklung. Heft 9/10.1986, S. 679-694.

- Gräber, H., Holst, M., Schackmann-Fallis, K.-P. und Spehl, H. (1987): Externe Kontrolleund regionale Wirtschaftspolitik. Berlin.

- Klagge, B. und Martin, R. (2005): Decen-tralised versus centralized financial systems:is there a case for local capital markets?In: Journal of Economic Geography 2005.

- Klöppel, W. (1973): Die Mobilität des priva-ten Kapitals und ihre Bedeutung für dieRegionalpolitik. Münster.

- Knoll, N. (2004): International orientierteUnternehmen in Österreich. Rahmenbe-dingungen für Steuerungsfunktionen undForschungskompetenz. Wien.

- Krätke, S. (1995): Stadt – Raum – Ökono-mie. Einführung in aktuelle Problemfelderder Stadtökonomie und Wirtschaftsgeogra-phie. Basel.

- Krätke, S. und Borst, R. (2000): Berlin – Metro-pole zwischen Boom und Krise. Opladen.

- Krätke, S. (2001). Globalisierung, Weltstädteund Globalizing Cities. Ansätze und Ergeb-nisse der Forschung zum Phänomen der Glo-bal City. S. 1-23. (http://www.kraetke.privat.t-online.de/, 21. März 2002)

- Krätke, S. (2004): Berlin – Stadt im Globa-lisierungsprozess. Geographische Rundschau,2004/4, S. 20-25.

- Marx, K. (1957[1858]): Das Kapital. Stuttgart.- Mayerhofer, P. (2000): Tertiärisierung undWirtschaftsdynamik. Wachstumsbarrieren imDienstleistungssektor in Wien? Wien.

- Musil, R. (2005): New patterns of economiccity-to-city-relations: Vienna and locationsin Middle-East Europe. In: Competition be-tween Cities: Chances and Risks of Coope-ration. R. Giffinger et al. (Hg.), Wien.

- Musil, R. (2005b): Wien in der internatio-nalen Städtehierarchie: Von der West-Ost-Drehscheibe zur Global City? In: Mitteilung-en der Österreichischen Geographischen Ge-sellschaft 147/2005, Seite 161-186.

- Nuhn, H. (2001): Megafusionen. Neuorgani-sation großer Unternehmen im Rahmen derGlobalisierung. Geographische Rundschau,2001/7-8, S. 16-25.

- O´Brian, R. (1994): Global financial integra-tion: the end of geography. New York.

- OeNB (Hg.), (1994): Direktinvestitionen. Un-terlage zum Fachgespräch am 16. September1994. Wien, Österreichische Nationalbank.

- OeNB (Hg.), (2001): Österreichische Investi-tionen im Ausland und ausländische Inves-titionen in Österreich. Stand per Ende 1999.Statistisches Monatsheft 6/2001. Wien,Österreichische Nationalbank.

- Pred, A. (1977): City Systems in AdvancedEconomies. London.

- Sassen, S. (1991): The Global City: London,New York, Tokyo. Oxford.

- Schätzl, L. (2002): Wirtschaftsgeographie 1.Theorie. Paderborn.

- Schätzl, L. (2001): Wirtschaftsgeographie 2.Empirie. Paderborn.

- Schmee, J. und Weigl, A. (1999): Von derVollbeschäftigung in die Krise – der WienerArbeitsmarkt seit 1945. J. Weigl und A.Schmee (Hg.), Wiener Wirtschaft 1945-1998. Wien. S. 71-96.

- Smith, D. A. und Timberlake, M. (1995): Con-ceptualising and Mapping the Structure ofthe World System´s City System. UrbanStudies, 32, S. 287-302.

- Smith, D. A. und Timberlake, M. (1995b):Cities in global matrices: toward mappingthe world-system´s city system. P. L. Knox(Hg.), World cities in a world-system. Cam-bridge. S 79-97.

- Schönebeck, C. (1996): Wirtschaftstrukturund Regionalentwicklung. Theoretische undempirische Befunde für die BundesrepublikDeutschland. Dortmunder Beiträge zur Raum-planung, 75. Dortmund.

- Taylor, P. J. (2004): World city network. Aglobal urban analysis. London, New York.

- Verdier, D. (2002): Moving Money. Baningand Finance in the Industrialized World.Cambridge.

- Weber, M. (2000[1922]MWS1-22): Wirtschaftund Gesellschaft. Die Stadt. Tübingen.

- Internetquellen (15. März 2006)- http://www.un.org/esa/population/

publications/wup2003/2003WUPHighlights.pdf

- http://www.un.org/Pubs/chronicle/2002/issue3/0302p36_urbanization.html

Anmerkungen[1] http://www.un.org/esa/population/publications/wup2003/2003WUPHighlights.pdfsowie http://www.un.org/Pubs/chronicle/2002/issue3/0302p36_urbanization.html[2] Feldbauer und Parnreiter 1997, S. 14.[3] Castells 2001, S. 467.[4] O´Brian 1994.[5] Sassen 1991 sowie Friedmann 1986.[6] Gerhard 2004, S. 4.[7] Sassen 1991, S. 91.[8] Weber 2002, S. 2.[9] Sassen 1991, S. 101.[10] Sassen 1991, S. 110.[11] Sassen 1991, S. 3.[12] Der Ansatz, die Weltwirtschaft als einNetzwerk zu verstehen, wurde allerdings schonlange vor ihr von Hall (1966), Friedmann undWolf (1982) sowie Friedmann (1986), vor allemaber von Castels (vgl. 2001) vertreten.[13] Smith und Timberlake 1995b, S. 81.[14] Friedmann 1993, 7; zitiert nach Smithund Timberlake 1995, S. 292.[15] Schätzl 2002, S. 102.[16] Schönebeck 1996, S. 36.[17] Verdier 2002 xii.[18] Schätzl 2001, S. 114f.[19] Marx [1858] 1957, S. 112.[20] Klöppel 1973, S. 17.[21] Klöppel 1973, S. 16.[22] Klöppel 1973, S. 18.[23] Klagge und Martin 2005.[24] OeNB 2001, S. 6.[25] Nuhn 1991, S. 16.[26] Gräber et al 1986, S. 680.[27] Krätke 1995, S. 113.[28] Gräber et al 1986 für Westdeutschland,Pred 1977 für die USA sowie Krätke 2000 fürDeutschland.[29] Gräber et al 1986, S. 686.[30] Für Österreich eine aktuelle WIFO-Studievon Knoll (Knoll 2004).[31] Pred 1977, S. 104-105.[32] Krätke 2004, S. 21.[33] OeNB 1994, S. 26.[34] Knoll 2004, S. 16.[35] Knoll 2004, S. 19.[36] Gräber et al 1986, S. 689.[37] Krätke 1995, S. 115.[38] Detailliertere Ergebnisse wurden publi-ziert in: Musil 2005a und 2005b.[39] Vgl. Schmee und Weigl 1999 sowie Mayer-hofer 2000.[40] Taylor 2004, S. 34 – 39.[41] Braudel 1986, S. 18ff.

Page 13: ZEITSCHRIFTFÜR SOZIALÖKONOMIE · Vo r w o r t 1 während der Fußballweltmeisterschaft mag eserlaubtseindaranzuerinnern,dassSilvio Gesell das Geld einmal als den „Fußball der

12

Zeitschrift für Sozialökonomie 149/2006

Fördert Regiogeld eine nachhaltigeRegionalentwicklung?

Muriel Herrmann

1. Einleitung

Der politische und gesellschaftliche Wandelin Richtung einer nachhaltigen Entwicklung ver-läuft langsam. Viele internationale Verhand-lungen laufen darauf hinaus, sich auf den klein-sten gemeinsamen Nenner zu einigen. Durchdie Globalisierung der Märkte und die interna-tionale Konkurrenzsituation wird es immerschwieriger für die Nationalstaaten, soziale undökologische Ziele zu verfolgen, ohne dadurchvom internationalen Finanzsystem benachteiligtzu werden. Eine Chance besteht, wie schon aufder Rio-Konferenz festgehalten wurde, in einerLokalisierung und Regionalisierung.

Auf lokaler und regionaler Ebene existierenzahlreiche Ansätze, eine nachhaltige Entwick-

lungsrichtung zu fördern und insbesondere denwirtschaftlichen Konkurrenzdruck zu mildern.Darunter fallen Projekte der Agenda 21 und dieTauschring-Bewegung. Diesen Projekten gelingtes jedoch nicht, im Gros der Bevölkerung eineAufbruchstimmung in Richtung Nachhaltigkeitzu erzeugen. Eine neue Idee in diesem Bereichist die Einführung eines regionalen Geldes aufGutschein-Basis.

2. Regiogeld im deutschsprachigen Raum

Regiogeld gibt es in Deutschland erst seitca. fünf Jahren – und es ist ein noch kaum er-forschtes Feld. Es gibt momentan 17 Regiogeld-Initiativen (RGIs), die Regios herausgeben, undca. 20 Initiativen, die dies vorbereiten.

Tabelle 1: Übersicht über RGIs, die mit der Ausgabe von Gutscheinen begonnen haben.

Page 14: ZEITSCHRIFTFÜR SOZIALÖKONOMIE · Vo r w o r t 1 während der Fußballweltmeisterschaft mag eserlaubtseindaranzuerinnern,dassSilvio Gesell das Geld einmal als den „Fußball der

13

Zeitschrift für Sozialökonomie 149/2006

Muriel Herrmann: Fördert Regiogeld eine nachhaltige Regionalentwicklung?

Die meisten RGIs sind bereits im Regiogelde.V. [1], der Nachfolge-Organisation des Regionetz-werks, organisiert, wodurch sie ihre Gemein-wohlorientierung dokumentieren sowie die ge-meinsame Zielsetzung, sich für die Förderungregionaler Wirtschaftskreisläufe mit positivenökologischen und sozialen Nebeneffekten ein-zusetzen. Gleichzeitig sollen Lernprozesse inBezug auf das Geldwesen, dessen Wirkungsweiseund konstruktive Veränderungsmöglichkeiten an-gestoßen werden.

Die Initiativen unterscheiden sich in ihrengenauen Regelwerken, z.B. in der Deckung ihrerGutscheine und in ihren Organisationsformen.Den meisten Initiativen ist gemeinsam, dassihre Gutscheine mit einer Rücktauschgebühr be-legt sind, wodurch die regionale Weitergabe desGutscheins begünstigt wird. Desweiteren sindsie mit einer Liquiditätsgebühr belegt, einer Ab-wertung des Gutscheins in bestimmten Zeit-räumen, was dazu führt, dass die Gutschein-besitzer sie schnell weitergeben.

Um eine genauere Vorstellung von den RGIsund ihren Wirkungsweisen zu bekommen, wur-den Fallstudien über die beiden bislang etablier-testen RGIs angefertigt. Die Etablierung misstsich an der Anzahl der Beteiligten und an dersich im Umlauf befindlichen Regiogeldmenge.Aus den Fallstudien wurden theoretische Poten-ziale der RGIs abgeleitet. Im Oktober 2004 wur-de eine Befragung der beteiligten Unternehmendurchgeführt, die Aufschluss über die Ausschöp-fung der Potenziale gibt. Dabei wurden 167Unternehmer mittels eines voll standardisiertenFragebogens befragt. Die Rücklaufquote lag bei38%. Die Auswertung erfolgte in einer Diplom-arbeit der Autorin über Mittelwertvergleiche der

Tabelle 2: Chiemgauer-Entwicklung

in der 5-Punkte-Lickert-Skala standardisiertenFragen (Hermann 2005).

3. Fallstudien

Die Chiemgauer-InitiativeDie Chiemgauer-Initiative startete vor über dreiJahren als Schülerunternehmen der WaldorfschulePrien unter Leitung des Lehrers Christian Gelleri.Seitdem ist sie kontinuierlich gewachsen. DieHauptarbeit wird mittlerweile vom Verein undseinen Regional-Gruppen, die in den Teilregio-nen aktiv sind, getragen (vgl. Gelleri 28.03.05).Vielen RGIs in anderen Regionen dient derChiemgauer als Vorbild.

Jedes Mitglied des Vereins kann Chiemgauergegen Euro erwerben. Für 100 Euro bekommtman 100 Chiemgauer [2]. Mit ihnen kann dasMitglied in den beteiligten Geschäften einkau-fen. Die Unternehmer können die Chiemgauerihrerseits regional weiter verwenden oder zurücktauschen, wobei eine fünfprozentige Gebühr an-fällt. Von diesen 5 Prozent gehen 3 % an einengemeinnützigen Verein, 2 % an den Chiemgauerregional e.V. zur Kostendeckung. Der Chiemgauerverliert zudem alle drei Monate 2% seines Wer-tes. Das bewirkt, dass alle Beteiligten versuchen,ihre Chiemgauer so schnell wie möglich weiter-zugeben – oder ihn vor Ablauf der Frist zurück-zutauschen. Verstreicht die Frist, so muss derWertverlust mit dem Aufkleben einer Wertmarkeausgeglichen werden.

Im Jahr 2004 wurden insgesamt 211.000 Euroin Chiemgauer umgetauscht, im Jahr 2005360.000 Euro (vgl. Chiemgauer e.V. 2006a), imersten Quartal 2006 schon 116.202 Euro (vgl.Chiemgauer e.V. 2006b).

Dem stark gestiegenen Verwal-tungs- und Betreuungsaufwand wirdmit einer stärkeren Professionali-sierung der Organisation begegnet.Auch wurde im März 2005 eineAufnahmegebühr für Unternehmenin Höhe von 100 Euro beschlossen(vgl. Chiemgauer e.V. 2005), diedie wirtschaftliche Tragfähigkeitder Initiative sichern soll.

Page 15: ZEITSCHRIFTFÜR SOZIALÖKONOMIE · Vo r w o r t 1 während der Fußballweltmeisterschaft mag eserlaubtseindaranzuerinnern,dassSilvio Gesell das Geld einmal als den „Fußball der

14

Zeitschrift für Sozialökonomie 149/2006

Muriel Herrmann: Fördert Regiogeld eine nachhaltige Regionalentwicklung?

An der Entwick-lung eines elektroni-schen Verrechnungs-verfahren mittels ei-ner Kundenkarte wirdgearbeitet (vgl. Gel-leri 2004b: o.S.).

Die Sterntaler-InitiativeDie Sterntaler-Initia-tive entstand auf derBasis des TauschringsStar e.V. im Berchtes-gadener Land, der Nach-barregion zum Chiem-gauer. Die Sterntaler-Initiative ist bislangdie einzige, welcheeine eurogedeckteWährung, die Stern-taler, mit einer lei-

auf 20% erhöht (vgl. Star e.V. 2005a: o.S.). Dieanfängliche Angst der Teilnehmer, dass demSystem die Euros ausgehen könnten, hatte sichgelegt, da sich in der achtmonatigen Laufzeiteine mehr als ausreichende Eurodeckung ergab.Langfristig ist eine weitere Erhöhung des An-teils angestrebt (vgl. Galler 28.03.05).

Die praktische Arbeit wird von einer Kern-gruppe von Vereinsmitgliedern getragen (vgl.Galler 23.06.04). Als Besonderheit bei der Or-ganisation ist zu nennen, dass die Arbeit fürdie Sterntaler-Initiative mit 5 Talenten proStunde vergütet wird, wodurch sich leichterqualifizierte Mitarbeiter gewinnen lassen. DerLohn der Mitarbeiter wird vom Tauschring-Orga-nisationskonto bezahlt, so dass sich die Organi-satoren in der Startphase selbst Kredit geben

konnten. Die Mitgliedschaftkostet für Unternehmen ein-malig 100 Euro und jähr-lich 60 Euro, wodurch dieInitiative es schafft, sichganz aus eigenen Mitteln zufinanzieren. Die Sterntaler-Initiative bietet den Unter-nehmen dafür eine Unter-

stungsgedeckten Währung, den Talenten desTauschrings, koppelt (vgl. Bode 2004: 88).

Im Prinzip funktioniert der Sterntaler ähnlichwie der Chiemgauer, mit Rücktausch- und Liqui-ditätsgebühr. Zusätzlich gibt es die Möglichkeit,100 Sterntaler für 90 Euro und 10 Talente zuerwerben. 10 Talente entsprechen einer StundeArbeit im Tauschring oder 10 Sterntalern oder 10Euro. Beim Rücktausch in Euro sind wieder zweiOptionen wählbar, entweder man erhält für 100Sterntaler 90 Euro oder 65 Euro und 30 Talente.(vgl. Bode 2004: 89). Die Liquiditätsgebühr liegtmit 3 % pro Quartal höher als beim Chiemgauer.

Im Jahr 2005 wurde mit der Begünstigunggemeinnütziger Vereine analog zum Chiemgauerbegonnen und der Talente-Anteil, mit demSterntaler erworben werden können, von 10%

Abbildung 1: Chiemgauer-Kreislauf (erstellt vom Chiemgauer e.V., 2005;aus: Kennedy & Lietaer 2004: 106 f.)

Abbildung 2: Ein- und Rücktausch von Sterntalern

Page 16: ZEITSCHRIFTFÜR SOZIALÖKONOMIE · Vo r w o r t 1 während der Fußballweltmeisterschaft mag eserlaubtseindaranzuerinnern,dassSilvio Gesell das Geld einmal als den „Fußball der

15

Zeitschrift für Sozialökonomie 149/2006

Muriel Herrmann: Fördert Regiogeld eine nachhaltige Regionalentwicklung?

stützung durch gemeinsames Marketing imInternet und durch ein gemeinsames Unterneh-mer-Handbuch, das in Praxen, Warteräumen u.ä.ausgelegt wird (vgl. Galler 28.03.05).

Die Sterntaler-Initiative wächst stetig. VomMärz bis Dezember 2005 haben sich die Umlauf-zahlen fast verdoppelt (vgl. Star e.V. 2005b: o.S.;Star e.V. 2006: 2).

Eine enge Kooperation mit der Chiemgauer-Initiative hat sich eingespielt. Einzelne Unter-nehmen im Grenzbereich sind an beiden Initia-tiven beteiligt, Chiemgauer und Sterntaler wer-den im Moment eins zu eins gehandelt.

4. Potenziale von Regiogeld-Initiativen für eine nachhaltigeRegionalentwicklung

Ökonomisch - ökologische AspekteDer durch die regionale Gültigkeit der Gutschei-ne und die Rücktauschgebühr entstehende Anreizzum regionalen Wirtschaften unterstützt klein-räumige Wirtschaftsstrukturen, deren Vorteilevielfach beschrieben wurden (vgl. u.a. Schumacher1995, Greif 2000). So wird das Wirtschaftsge-schehen überschaubarer und damit leichter zuverstehen [3]. Die Auswirkungen des wirtschaft-lichen Handelns werden schneller sichtbar, sodass Risiken früher erkannt werden können. DieGefahr von Wirtschaftskrisen, die durch Finanz-Spekulationen im international liberalisiertenWährungsraum ausgelöst werden, kann abgemil-dert werden (vgl. Lietaer 2000: 111 ff.). Auchökologische Vorteile wie die Verringerung vonTransportwegen sind gegeben.

Produkte und Technologien, die an kleinräu-miges Wirtschaften angepasst sind, werden ge-fördert. So ist in der Chiemgauer-Region dasRegOel-Projekt entstanden, das regional erzeug-tes Pflanzenöl als Treibstoff für die Landwirte

anbietet, die nach Ausgabe-Möglichkeiten für ihre Regiossuchen. Auch für die dafür nöti-ge Umrüstung der Traktoren aufPflanzenöl konnte ein regionalerUmrüster gefunden werden. (vgl.Gelleri 24.06.04).

Die RGIs haben Vorteile für die regionale Wirt-schaft, da die Kaufkraft in der Region gehaltenwird. Ein Beispiel ist bei der Chiemgauer-Ini-tiative bekannt geworden: ”Der ‘Regionalmarkt’ inPrien bezieht nun von einer regionalen KäsereiProdukte, die diese zuvor nur überregional ab-setzte” (Bode 2004: 87). Die befragten Unter-nehmer geben an, im privaten Bereich mehr Geldregional auszugeben. Geschäftliche Mehrausga-ben und der Wechsel zu regionalen Lieferantenwerden bislang nicht von der Mehrheit derUnternehmer bestätigt. Auch bei den Kundenbeobachten die Unternehmer Veränderungen imEinkaufsverhalten.

Gleichzeitig sind die Effizienz-Einbußen ge-ring, weil Regiogeld nur einen Anreiz setzt, derseine Grenze dort hat, wo die überregionalenVorteile die Rücktauschgebühr überschreiten. Sogeben die befragten Unternehmen an, durch dieRGIs sei ihr regionaler Vorteil gegenüber globa-len Unternehmen gestärkt worden. Sonst sehensie bislang keine wirtschaftlichen Vorteile, wasdurch die geringe Laufzeit der Projekte bedingtsein kann. Es werden jedoch auch keine Nach-teile festgestellt.

Soziale AspektePositive Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt las-sen sich erahnen. So versucht die Sterntaler-Initiative gezielt, die Schaffung von Mini-Jobsauf Sterntaler-Basis anzustoßen. Bis März 2005wurden 11 Stellen geschaffen (vgl. Galler 28.03.05).Zudem wird es durch die Koppelung von Talentenund Regios möglich, durch TauschringtätigkeitenGrundbedürfnisse zu befriedigen und Einkommenzu substituieren, was bei den meisten Tausch-ringen nicht gelingt (vgl. Kristof et al. 2001: 33).Bei der Befragung gaben die Unternehmer an,den Tauschring bislang nicht verstärkt zu nutzen,so dass dieses Potenzial nach viermonatiger

Tabelle 3: Sterntaler-Entwicklung

Page 17: ZEITSCHRIFTFÜR SOZIALÖKONOMIE · Vo r w o r t 1 während der Fußballweltmeisterschaft mag eserlaubtseindaranzuerinnern,dassSilvio Gesell das Geld einmal als den „Fußball der

16 Muriel Herrmann: Fördert Regiogeld eine nachhaltige Regionalentwicklung?

Zeitschrift für Sozialökonomie 149/2006

Laufzeit des Sterntalers noch nicht ausgeschöpftwird. Jedoch ist die Akzeptanz des gekoppeltenEintausches von Euro und Talenten in Sterntalerbei den Unternehmern hoch.

Die finanzielle Förderung gemeinnütziger An-liegen ist durch Verwendung der Rücktausch-gebühr festgelegt. Der Chiemgauer brachte ge-meinnützigen Vereinen im Jahr 2004 Spendenvon 6330 Euro, im Jahr 2005 10.800 Euro ein(vgl. Chiemgauer e.V. 2006: o.S.). Je stärker dasSystem genutzt wird, desto höher werden dieFördersummen.

RGIs unterstützen die Bildung eines Bezie-hungsnetzwerks innerhalb der Region. Durch dieSuche der Kunden und Unternehmer nach sinn-vollen Ausgabe-Möglichkeiten für Regios ent-steht Interesse an Informationen über ”dieregionalen Möglichkeiten der Versorgung und diedamit zusammenhängenden Erlebnis- und Wohl-ergehensmöglichkeiten” (Ganzert et al. 2004: 58).Die Kunden haben ein Motiv, sich über die Ver-eine der Region zu informieren, um einen würdi-gen Nutznießer ihrer indirekten Spende auszu-wählen. Die befragten Unternehmer geben an,durch die RGIs besser über andere Unternehmenund die Vereine der Region informiert zu sein.

Die Unternehmer können sich auf den regel-mäßigen Unternehmer-Stammtischen kennenler-nen. Durch das „Zusammenwirken der ‘persön-lichen Netzwerke’“ (Schubert et al. 2001: 12) je-des einzelnen entsteht ein Gemeinschaftsgefühl.Die befragten Unternehmer geben an, dass sichdurch die RGIs sowohl private als auch geschäft-liche Kontakte neu ergeben und intensivierthaben. Auch sehen sie eine Erhöhung der Koope-rationsbereitschaft zwischen regionalen Unter-nehmen und eine Stärkung der regionalen Iden-tität durch die RGIs. Damit hat Regiogeld eineverstärkte regionale Informations- und Kommu-nikationsfunktion, die der Euro so nicht aufweist(vgl. Gelleri 2004a: 7).

Die RGIs bieten neue Möglichkeiten der Be-teiligung und durch den besseren Informations-stand und die stärkere Wahrnehmung der Gren-zen der Region steigt die Bereitschaft, sich zuengagieren (vgl. Ganzert et al. 2004: 58 ). Durchdie Zahlung mit und die Annahme von Regioswird der Einsatz für die regionale Gemeinschaft

sichtbar, was auch andere Akteure motiviert,sich einzubringen. Vor allem bei der Sterntaler-Initiative gelingt die Einbindung der Unterneh-men in die Organisation der RGI, doch auch beider Chiemgauer-Initiative haben beteiligte Un-ternehmer ein Regionalbüro übernommen. Wennauch nicht alle Unternehmer aktiv werden, sosetzt sich doch der Großteil mit dem Geldsystemauseinander; diese verstärkte Auseinanderset-zung lässt sich auch bei den anderen Nutzer-gruppen der RGIs feststellen.

RGIs sind nicht nur deshalb ideale Projektefür die regionale Agenda 21 [4]. Auch zeigen sieeinige Qualitäten, die bei vielen Agenda-Pro-zessen bemängelt wurden. So gelingt den RGIseine Einbeziehung der Unternehmen, einer Pro-blemgruppe im Rahmen der Agenda 21. „InWirtschaftskreisen werden partizipative Struk-turen und Bürgerengagement allzu oft noch als‘Störpotenzial’ und potenzieller Kostenfaktorwahrgenommen“ (Habisch 1999: S. 231). In Nach-haltigkeitsnetzwerken dauert es daher im Allge-meinen lange, bis sich wirtschaftliche Akteurebeteiligen (vgl. Pfeiffer 2003: 126), besondersden KMUs fehlt es häufig an Zeit (vgl. Pfeiffer2003: 95). Doch sowohl bei der Sterntaler- alsauch bei der Chiemgauer-Initiative sind dieUnternehmen ein tragendes Element.

Außerdem können RGIs zur Vernetzung wei-terer LA21-Projekte beitragen. So ist auch dasRegOel-Pflanzenöl-Projekt ein Agenda-21-Pro-jekt, das mit der Chiemgauer-Initiative koope-riert. Die Chiemgauer-Initiative erleichtert dasAnlaufen des RegOel-Projekts, da der Bedarf derLandwirte nach regionalem Treibstoff teilweiseerst durch den Chiemgauer geschaffen wurde.Das RegOel-Projekt schließt nach seinem An-laufen eine Lücke im Regionalgeld-Kreislauf, wasdie Akzeptanz des Systems bei den Landwirtenerhöhen kann (vgl. Gelleri 24.06.04). Die Stern-taler-Initiative hat zu den bestehenden Agenda-Gruppen auf Gemeindeebene engen Kontakt undwird von ihnen unterstützt. Somit könnte dieInitiative die lokalen Agenda-Gruppen auf regio-naler Ebene vernetzen, wodurch sich die Arbeitder 2004 aufgelösten Landkreis-Agenda fort-setzen ließe.

Page 18: ZEITSCHRIFTFÜR SOZIALÖKONOMIE · Vo r w o r t 1 während der Fußballweltmeisterschaft mag eserlaubtseindaranzuerinnern,dassSilvio Gesell das Geld einmal als den „Fußball der

17

Zeitschrift für Sozialökonomie 149/2006

Muriel Herrmann: Fördert Regiogeld eine nachhaltige Regionalentwicklung?

5. Fazit und weiterer Forschungsbedarf

Insgesamt zeichnet sich bei dieser Unter-suchung ab, dass die Regiogelder Chiemgauerund Sterntaler sehr interessante und Erfolg ver-sprechende Instrumente für die nachhaltige Ent-wicklung ihrer Region sind, auch wenn ihre län-gerfristigen Auswirkungen in dieser Erhebungnoch nicht festgestellt werden konnten. Dazuwäre eine kontinuierliche Befragung aller betei-ligten Nutzergruppen wünschenswert. Auch dieAnalyse der wesentlichen Begleitfaktoren füreine erfolgreiche RGI wäre interessant. Diedurchgeführte Befragung ergab beispielsweise,dass eine kontinuierliche Betreuung und Bera-tung der beteiligten Unternehmen für deren Zu-friedenheit mit der RGI von großer Bedeutungist. Aber auch die regionale Rahmenbedingung-en, z.B. die Wirtschaftsstruktur, Kultur u.ä. kön-nen wichtige Einflussfaktoren sein.

Zudem könnten die Koppelungsmöglichkeitenvon klassischen Instrumenten nachhaltiger Regio-nalentwicklung mit Regionalgeld analysiert wer-den, da die Effekte regionaler Wirtschaftsförde-rung ohne die Nutzung regionaler Verrechnungs-systeme als gering eingestuft werden können(vgl. Eckey & Kosfeld 2004) [5].

Andererseits können die unterschiedlichenAnforderungen von verschiedenen Regionen anein erfolgreiches Regiogeld untersucht werden.Im Unterschied zu den hier untersuchten Fall-beispielen wäre der Berliner ein Beispiel für einstädtisches Regiogeld, bei dem regionale Wirt-schaftskreisläufe nur unter Einbezug des Um-lands geschlossen werden können. Der Urstrom-taler ist ein Beispiel für eine Initiative in Ost-deutschland, die ein Regionalgeld herausgibt,das keine vollständige Eurodeckung und damitkeine Rücktauschmöglichkeit garantiert (vgl.Regionetzwerk 2004b: o.S.). Damit trägt er derdesolaten wirtschaftlichen Situation in Sachsen-Anhalt Rechnung.

PS: Ausführlichere Informationen über dieFallstudien und die Unternehmensbefragung sindin der Diplomarbeit der Autorin zu finden. Diesekann an der Universität Lüneburg oder im Archivfür Geld- und Bodenreform ausgeliehen bzw. im

Tauschringarchiv käuflich erworben werden. Mit-gliedsinitiativen des „Regiogeld e.V.“ erhaltenkostenlosen Zugang zu dieser Diplomarbeit.

Anmerkungen

[1] http://www.regiogeld.de[2] Es können auch geringere Beträge eingetauscht werden.[3] Lewis & Ward (2002) veranschaulichen den regionalen Geld-

fluss für Nicht-Ökonomen. Sachs (2002) gibt eine Methodezur Veranschaulichung der Wirksamkeit des Geldes innerhalbder Region.

[4] Becker (2003) ordnet Regionalgeld als Instrument der Agen-da 21 ein.

[5] Die Potenziale von Komplementärwährungen für strukturschwache ländliche Räume zeigt Bode (2004, 2005) auf.

Literatur und Internetquellen

- Becker, R. (2003): Regionales Geld als innovatives Instrumentder Lokalen Agenda 21.In: Zukünfte. Zeitschrift für Zukunfts-gestaltung & vernetztes Denken. Nr. 46. S. 26-29.

- Bode, S. (2004): Potentiale regionaler Komplementärwährungenfür eine endogene Regionalentwicklung. Universität Osnabrück:Diplomarbeit.

- Chiemgauer e.V. (2005): Beitragsordnung vom 12.03.05. Unter:http://www.chiemgauer-regional.de/uploads/media/Verein_Beitragsordnung_05-03-05.pdf (Stand: 28.02.06).

- Chiemgauer e.V. (2006a): Jahresstatistik 2005. Unter: http://www.chiemgauer-regional.de/uploads/media/Chiemgauer_Jahresstatistik2005.pdf (Stand: 28.02.06).

- Chiemgauer e.V. (2006b): Vereinsstatistik 1/2006. Unter: http://www.chiemgauer.info/123.0.html?udb_assoc_stat_from=01.1.2006&udb_assoc_stat_to=01.4.2006 (Stand: 02.05.06).

- Eckey, H.-F., Kosfeld, R. (2004): Regionaler Wirkungsgrad undräumliche Ausstrahlungseffekte der Investitionsförderung. Volks-wirtschaftliche Diskussionsbeiträge Nr. 55. Unter: http://www.wirtschaft.uni-kassel.de/Forschungsbeitrag/VWL/Workingpaper/Papier5504.pdf (Stand: 28.08.04)

- Ganzert, C. et al. (2004): Empathie, Verantwortlichkeit, Gemein-wohl: Versuch über die Selbstbehauptungskräfte der Region. Er-gebnisse eines Praxisforschungsprojekts zur Vermarktung regio-naler Lebensmittel. Wuppertal (pdf-Fassung) Unter: http://www.wuppertalinst.org/Publikationen/WP/WP142.pdf (Stand:15.12.04).

- Gelleri, C. (2004a): Assoziative Wirtschaftsräume. Der n€uro alsregionale Komplementärwährung. Unter: http://www.freigeld.de/inhalte_von_freigeld_de.html (Stand: 14.12.04)

- Gelleri, C. (2004b): Strategiepapier zum Chiemgauer. Unter:http://www.regionetzwerk.org/image_archive/document/strategiepapier_2004_zum_chiemgauer.pdf (Stand: 18.01.05)

- Gelleri, C. (2005): Regiogeld und Spieltheorie. In: Zeitschrift fürSozialökonomie. 42. Jg., Heft 144. S. 11-19.

- Greif, M. (2000): Von der lokalen zur regionalen Nachhaltigkeit.Oldenburg.

- Habisch, A. (1999): Zur ökonomischen Rationalität von Agenda-Prozessen. Partizipative Strukturen als „Sozialkapital modernerGesellschaft. In: IFOK, ZKE (Hrsg.): Was heißt hier Agenda?Analysen – Erfahrungen – Beispiele. Dettelbach. S. 231-244.

- Herrmann,M.(2005): Potentiale von Regionalgeld-Initiativen alsMultiplikatoren für eine nachhaltige Entwicklung. UniversitätLüneburg: Diplomarbeit.

Page 19: ZEITSCHRIFTFÜR SOZIALÖKONOMIE · Vo r w o r t 1 während der Fußballweltmeisterschaft mag eserlaubtseindaranzuerinnern,dassSilvio Gesell das Geld einmal als den „Fußball der

18

Zeitschrift für Sozialökonomie 149/2006

Muriel Herrmann: Fördert Regiogeld eine nachhaltige Regionalentwicklung?

- Kennedy, M., Lietaer, B. (2004): Regionalwährungen. Neue Wegezu nachhaltigem Wohlstand. München.

- Kristof, K. et al. (2001): Tauschringe und Nachhaltigkeit. Wup-pertal. (pdf-Fassung) Unter: www.wuppertalinst.org/Publikationen/WP/WP118.pdf (Stand: 15.12.04)

- LEWIS, J., WARD, B. (2002): Plugging the Leaks. Making themost of every pound that enters your local economy. London(UK). Unter: http://www.neweconomics.org/gen/uploads/PTL%20handbook.pdf (Stand: 01.08.2004)

- Lietaer, B. (2000): Mysterium Geld. Emotionale Bedeutung undWirkungsweise eines Tabus. 2. Auflage. München.

- Pfeiffer, C. (2003): Integrierte Kommunikation von Sustainabi-lity-Netzwerken. Grundlagen und Gestaltung der Kommunikationnachhaltigkeitsorientierter intersektoraler Kooperationen. Frank-furt am Main.

- Regionetzwerk (2004b Hrsg.): Protokoll des Regionetzwerktref-fen vom 23.-25. Juli 2004 in Bad Honnef. Unter: http://www.regionetzwerk.org/image_archive/document/protokoll23.06.79.doc (Stand: 20.01.05)

- Sachs, J. (2002): The money trail. Measuring jour impact onthe local economy using LM3. London. Unter: http://www.neweconomics/gen/uploads/The%20Money%-20Trail.pdf (Stand:01.08.04)

- Schubert, H. et al. (2001): Regionale Akteursnetzwerke. Analy-sen zur Bedeutung der Vernetzung am Beispiel der RegionHannover. Hannover.

- Schumacher, E. F. (1995): Small is beautiful. Die Rückkehr zummenschlichen Maß. 2. Auflage. Heidelberg.

- Star e.V. (Sterntaler & Talente Austausch Ring, Verein für or-ganisierte Nachbarschaftshilfe) (2004a, Hrsg.): Tauschregeln.Mit den beschlossenen Änderungen der letzen Hauptver-sammlung.

- Star e.V. (2005a, Hrsg.): Tauschregeln. Unter: http://www.star-mach-mit.com/regeln.htm (Stand 11.04.05)

- Star e.V. (2005b): Sterntalerumlauf – Eurodeckung 2005. Unter:http://www.sterntaler-regional.de/html/modules.php?name=Content&pa=showpage&pid=25 (Stand: 11.04.05)

- Star e.V. (2006): Protokoll der Hauptversammlung vom 20.01.06.Unter: http://www.regiogeld.de/uploads/media/STAR-Protokoll_HV_20.1.06.pdf (Stand: 28.02.06)

Mündliche Quellen und Mailverkehr:- Galler, F. (23.06.04): Gespräch mit dem Initiator der Sterntaler-

Initiative. Besuch im Untersuchungsgebiet. Ainring.- Galler, F. (28.03.05): Mail des Initiators der Sterntaler-Initia-

tive.- Gelleri, C. (24.06.04): Gespräch mit Initiator der Chiemgauer-

Initiative. Besuch im Untersuchungsgebiet. Prien.- Gelleri, C. (14.12.04): Mail des Initiators der Chiemgauer-Ini-

tiative.- Gelleri, C. (28.03.05): Mail des Initiators der Chiemgauer-Initia-

tive.

Keynes’ Plädoyer für eine Regionalisierung in einer offenen Weltwirtschaft

„Ich sympathisiere daher mit jenen, die die wirtschaftliche Verflechtung zwischenden Nationen eher minimieren als maximieren wollen. Ideen, Wissen, Kunst, Gast-freundschaft, Reisen – dies sind Bereiche, die aufgrund ihrer Natur international seinsollten. Aber lasst uns auf heimische Produkte zurückgreifen, wann immer dies ver-nünftig und in angemessener Weise möglich ist; und vor allem, lasst die Finanzenvorrangig im nationalen Rahmen.“

John Maynard Keynes, „National Self-Sufficency“ (1933),in: Collected Writings Vol. XXI, London 1982, S. 236.

Wege in den Postkapitalismus

„Die heutige Behandlung des Kapitals steht im krassen Widerspruch zu den Gesetzenunseres Universums und muss damit zwangläufig zu den bekannten Konflikten undZerstörungen führen. Geld ist daher an die Leistung zu koppeln. Eine Geldvermehrungohne Leistung darf nicht stattfinden. Geld hat bei Transfer und bei Lagerung Verlustehinzunehmen, ebenso wie die Energie. Die Fachworte dafür heißen Tobinsteuer undNegativzinsen. Mit diesen Maßnahmen kann der Widerspruch zwischen der Irrealität derÖkonomie und der realen Welt abgebaut werden. … Nicht die Menschen oder die demo-kratischen Regierungen bestimmen heute, was Wirtschaft ist, sondern Konzerne. DieRegierungen agieren heute wie die hilflosen Zauberlehrlinge, die den Zauberspruch ver-gessen haben. … Der Lösungsweg ‚von unten’ lautet: Entkopplung aus dem Geldkreis-lauf durch lokale Währungen und lokale Kreisläufe.“

Prof. Dr. Hermann Knoflacher, Kapitalismus gezähmt?,in: Klaus Woltron, Hermann Knoflacher und Agnieszka Rosik-Kölbl (Hrsg.).Wege in den Postkapitalismus, Wien 2004, S. 60–61.

Page 20: ZEITSCHRIFTFÜR SOZIALÖKONOMIE · Vo r w o r t 1 während der Fußballweltmeisterschaft mag eserlaubtseindaranzuerinnern,dassSilvio Gesell das Geld einmal als den „Fußball der

19

Zeitschrift für Sozialökonomie 149/2006

„Ich ziehe keinen scharfen Trennstrich odertreffe keine Unterscheidung zwischen Ökonomie

und Ethik. Eine Wirtschaft, die dasWohlbefinden eines Individuums oder einer

Nation verletzt, ist unmoralisch.“Mahatma Gandhi

1 Gemeinwesenarbeit – sozialeRäume gestalten

Der Begriff „Gemeinwesen“ ist heute weitge-hend aus dem allgemeinen Sprachgebrauch ver-schwunden. Im Bereich der Sozialen Arbeit wirddieser Begriff jedoch verwendet und beschreibteine Gruppe von Menschen, die durch inhaltlicheoder geografische Gemeinsamkeiten miteinanderverbunden sind. [1] [2] Die klassischen Methodender Sozialen Arbeit „Einzelfallhilfe“ und „sozialeGruppenarbeit“ stellen das Individuum ins Zen-trum der Problemlösungs- bzw. Problemvermei-dungsstrategien. Bei der Gemeinwesenarbeit da-gegen steht die Lebenswelt im Vordergrund. Durchdie aktive Gestaltung des Umfeldes, der sozia-len, politischen, ökonomischen und ökologischenBedingungsfaktoren, soll die Lebensqualität desEinzelnen verbessert werden.

Ihre Ursprünge hat die Gemeinwesenarbeit inden USA, wo die sich rasch entwickelnde Indus-trialisierung drastische soziale und gesellschaft-liche Notstände mit sich brachte, welche nachangemessenen Handlungsmethoden verlangten.Es entstanden verschiedene soziale Bewegungenund die bisherige sentimentale Vergabe vonAlmosen wurde durch systematische Hilfeleis-tungen ersetzt. [3]

In den frühen 1960er Jahren wurde die Ge-meinwesenarbeit in Deutschland eingeführt undstellte somit eine Ausweitung und Verbesserungklassischer Sozialarbeit dar. In ihren Anfängenwaren die theoretischen Ansätze der Gemein-wesenarbeit von Wohlfahrtsstaatlichkeit und In-tegration geprägt. Ziel dieser frühen Phase war

es, belastende Situationen für die Menschen er-träglicher zu machen. Zum einen geschah dasdurch eine Verbesserung des Dienstleistungs-angebotes im Wohnviertel, zum anderen wurdeversucht, direkte Belastung erträglicher zu mach-en. Es ging also nicht darum, gesellschaftlicheUrsachen für lokale bzw. persönliche Problemeausfindig zu machen und zu lösen, sondern umdie Anpassung des Einzelnen an bestehendeSysteme. [4]

Als Antwort auf die Unzulänglichkeiten deswohlfahrtsstaatlichen und integrativen Ansatzesentstand 1971 das Konzept der „aggressiven Ge-meinwesenarbeit“. Zentrales Ziel dieses Ansatzeswar die Veränderung von Kräfte- und Macht-Strukturen durch den solidarischen Zusammen-schluss von Minderheiten. [5] Disruptive Taktikenwie z.B. ziviler Ungehorsam, Streik und Demon-stration wurden eingesetzt, um eine „Revolutionvon unten“ herbeizuführen. [4] Dieser aggressiveAnsatz wurde in der Praxis wenig umgesetzt, dadie politischen Ziele sehr hoch waren und es anhandlungsleitenden Techniken zur Umsetzungfehlte. Zudem befanden sich die Sozialarbeiter/innen oft in einem Loyalitätsdilemma zwischenKlient/innen und ihren Arbeitgeber/innen, wasdie Umsetzung des Ansatzes erschwerte. [3] Den-noch kann dieser aggressive Ansatz als wichtigerBeitrag zur Entwicklung der Gemeinwesenarbeitbetrachtet werden, denn zum ersten Mal rück-ten hier gesamtgesellschaftliche Strukturen alsUrsache sozialer Probleme ins Blickfeld der deut-schen Gemeinwesenarbeit. Etwas gemäßigter unddeshalb wohl auch praxistauglicher entstandEnde der 1970er Jahre der „katalytisch-aktivie-rende Ansatz“. Mit Selbsthilfegruppen, dem Auf-bau neuer Basisstrukturen und politischer Parti-zipation wurden Möglichkeiten genutzt, innerhalbbestehender Strukturen Veränderungen voranzu-treiben.[2] [3]

Bei aller Unterschiedlichkeit weisen die hierdargestellten theoretischen Ansätze der Gemein-

Regionalgeld und GemeinwesenarbeitKatharina Schwaiger

Page 21: ZEITSCHRIFTFÜR SOZIALÖKONOMIE · Vo r w o r t 1 während der Fußballweltmeisterschaft mag eserlaubtseindaranzuerinnern,dassSilvio Gesell das Geld einmal als den „Fußball der

20

Zeitschrift für Sozialökonomie 149/2006

Katharina Schwaiger: Regionalgeld und Gemeinwesenarbeit

wesenarbeit ein sie alle verbindendes Elementauf: Gemeinwesenarbeit wurde zwischen 1960und 1970 durchgehend als „dritte Methode“ derSozialen Arbeit gesehen. Dies ist teilweise auchheute noch der Fall, doch lässt sich eine Über-nahme einzelner Elemente in andere Bereicheinnerhalb und außerhalb der Sozialen Arbeit be-obachten. Die Gemeinwesenarbeit wandelt sichvon der „dritten Methode“ zu einem „bereichs-übergreifendem Arbeitsprinzip“ und gilt als grund-sätzliche Herangehensweise an soziale Probleme.Seit den 1990er Jahren steht die Orientierungam sozialen Raum und an den Methoden der Ge-meinwesenarbeit hoch im Kurs. Die Grundaus-sagen tauchen heute in verschiedenen Arbeits-feldern wieder auf, z.B. in Konzepten des Em-powerments, der Einmischungsstrategie, des bür-gerlichen Engagements oder der lokalen Agenda21. In der Praxis ist Gemeinwesenarbeit heuteoftmals beides: Eigenständige Methode und Ar-beitsprinzip der Sozialen Arbeit.[6] Die besondereHerausforderung besteht jedoch immer darin,Lebenswelten in ihrer Differenziertheit zu erfas-sen und diese Lebenswelten als Möglichkeit derEinflussnahme, als Handlungsmöglichkeit zu be-greifen und zu nützen.

Im Folgenden werden Leitstandards darge-stellt, welche richtungsweisend für Theorie undPraxis der heutigen Gemeinwesenarbeit sind:

� Zielgruppenübergreifendes HandelnDie Herangehensweise der Gemeinwesenarbeitist grundsätzlich sozialraumbezogen, schließtalso verschiedene Zielgruppen mit ein. EinzelneThemen können sich jedoch auch auf spezifischeZielgruppen beziehen.� Orientierung an den Bedürfnissen und The-men der MenschenGemeinwesenarbeit versucht nicht nur Problemezu lösen, welche von außen als solche definiertwurden, sondern greift die Themen (auch diescheinbar kleinen) der Menschen auf.� Förderung der Selbstorganisation und derSelbsthilfekräfteDie Bewohner/innen werden ermutigt und unter-stützt, ihre Angelegenheiten selbst in die Handzu nehmen. Gemeinwesenarbeiter/innen „beglei-ten“ die Prozesse anstatt sie zu „leiten“.

� Nutzung der vorhandenen RessourcenDie vorhandenen Potenziale des Gemeinwesensund der einzelnen Bewohner/innen werden ge-fördert, aktiviert, genutzt oder nutzbar gemacht.Gemeinwesenarbeit bringt auch Ressourcen derInstitutionen mit denen der Lebenswelt zu-sammen.� Verbesserung der materiellen Situation undder infrastrukturellen BedingungenAnhand des jeweiligen Bedarfs leistet Gemein-wesenarbeit einen Beitrag zur aktiven Entwick-lung des Gemeinwesens durch Ausbau der öko-nomischen und baulichen Strukturen. Um denBedarf zu erfahren und die Aktivitäten zu koor-dinieren, muss sich Gemeinwesenarbeit in lokalePolitikprozesse einklinken.� Verbesserung der immateriellen FaktorenGemeinwesenarbeit bietet Beratung, Moderation,Qualifizierung usw. an, um die Entwicklung dessozialen und kulturellen Lebens im Gemeinwesenzu unterstützen.� Ressortübergreifendes HandelnUm die Lebensbedingungen im Gemeinwesen zuverbessern, wird bereichsübergreifende Koopera-tion praktiziert. Synergieeffekte werden bewussteinkalkuliert und genützt. Gemeinwesenarbeitist Bestandteil einer kommunalpolitischen Stra-tegie; sie bezieht sich sektorübergreifend aufsoziale Räume.� Vernetzung und KooperationDurch Gemeinwesenarbeit sollen gebietsbezo-gene soziale Netzwerke geschaffen und gestärktwerden. Die Vernetzung ist hier kein Ziel, son-dern ein Mittel, um in Kooperation mit anderenLösungen zu entwickeln. [7]

Diese 2001 formulierten Leitstandards dienenals grundlegende fachliche Orientierung. Jedochmüssen sie stetig weiterentwickelt und den sichverändernden gesellschaftlichen Situationen an-gepasst werden.

Ein Aspekt, welcher die Lebenswelten derMenschen zunehmend bestimmt, ist die Globa-lisierung. Neben zahlreichen neuen Möglichkei-ten und Vorteilen bringt diese, vor allem imwirtschaftlichen Bereich, erhebliche Nachteilemit sich. Die neoliberale Ideologie folgt ihrereigenen Logik, soziale und ökologische Zusam-menhänge werden nicht beachtet. Die Soziale

Page 22: ZEITSCHRIFTFÜR SOZIALÖKONOMIE · Vo r w o r t 1 während der Fußballweltmeisterschaft mag eserlaubtseindaranzuerinnern,dassSilvio Gesell das Geld einmal als den „Fußball der

21

Zeitschrift für Sozialökonomie 149/2006

Katharina Schwaiger: Regionalgeld und Gemeinwesenarbeit

Arbeit steht nun vor der Aufgabe, auf Problemewie z.B. die hohe Arbeitslosigkeit und die an-wachsende Kluft zwischen Arm und Reich bei gleich-zeitiger Schwächung der sozialen Sicherungssy-steme angemessen zu reagieren. Auch die Gemein-wesenarbeit muss sich dem entstandenen ökono-mischen und sozialen Entwicklungsbedarf anpas-sen und sich auf die Suche nach zukunftsfähigenFormen eingebetteter Ökonomie machen.[8]

Es bildet sich der Begriff der Gemeinwesen-ökonomie heraus, welcher innerhalb der Gemein-wesenarbeit und auch in anderen Bereichen ver-wendet wird. Susanne Elsen, Professorin an derFH München mit den Arbeitsschwerpunkten Ge-meinwesen, kooperative Wirtschaftskultur undSolidarökonomie, internationale Zusammenar-beit, Nachhaltigkeit und Zivilgesellschaft, ver-steht unter Gemeinwesenökonomie eine am Men-schen orientierte Wirtschaftskultur. Diese An-sicht impliziert kein anthropozentrisches Hand-lungsmodell, „sondern aus der Erkenntnis des„Teil-Seins“ die Verantwortung für die zukünfti-gen Generationen und geht von der Endlichkeitnatürlicher Ressourcen aus.“ [8] Ziel ist ein so-zialintegratives, solidaritätsstiftendes, vernet-zendes und bedarfsorientiertes Wirtschaften imGemeinwesen. „Es geht um eine Ökonomie, dienicht das Ökonomische verabsolutiert, sondernin ihrem ursprünglichen Sinn des Wortes ‚oikos’für das ‚ganze Haus’ sorgt, also für die Arbeits-losen ebenso wie für die Umwelt, für die Ge-sundheit ebenso wie für die Verteilung der Arbeitzwischen den Geschlechtern.“ [9]

In der Praxis gestalten sich Gemeinwesen-ökonomien vielfältig. Beispiele sind: Alterna-tiven zur Geldwirtschaft wie etwa Tauschringeund alternative lokale Währungen, Stadteilwerk-stätten für Eigenarbeit und Produktivgenossen-schaften. [13] Grundlegend ist dabei immer, dasssich ein Wandel vollzieht hinsichtlich der Rolledes Kapitals bzw. der Ökonomie an sich. Obers-tes Ziel in der ‚freien’ Marktwirtschaft ist dieProfitmaximierung; soziale oder ökologische Not-wendigkeiten können dabei nicht berücksichtigtwerden. Demgegenüber orientiert sich die Ge-meinwesenökonomie im Wesentlichen an den Be-darfen der jeweiligen Menschen, am Gemeinwe-sen und an der Umwelt. Statt einer herrschen-

den Rolle nimmt das Kapital hier eine dienendeRolle ein.

Der Ansatz der Gemeinwesenökonomie wirdbisher innerhalb der deutschen Sozialarbeit ver-nachlässigt. Angesichts der derzeitigen gesell-schaftlichen Situation stellt die Veränderungökonomischer Strukturen jedoch eine zukunfts-weisende Handlungsperspektive für die SozialeArbeit und besonders für die Gemeinwesenarbeitdar.

2 Regionalgeld

Als Ergänzung zum Euro sind in den letztenJahren Regionalgelder wie der „Chiemgauer“, der„Regio im Oberland“ in Westdeutschland sowieder „Urstromtaler“ oder die „Havelblüte“ in Ost-deutschland entstanden. Sie werden nur inner-halb ihrer Region verwendet, um die dort ent-standene Kaufkraft nicht in wirtschaftliche Zen-tren abfließen zu lassen. Um ihren stetigenUmlauf zu sichern, sind sie mit einer automati-schen Wertminderung versehen. Derzeit sinddeutschlandweit etwa 48 Regiogeldinitiativenaktiv, bei 17 Initiativen ist der Regio bereits imUmlauf. [10]

Regionale Währungen lassen sich als eineForm der Gemeinwesenökonomie betrachten. So-mit sind sie auch für die Gemeinwesenarbeitrelevant. Sie orientieren sich, wie die Gemein-wesenökonomie insgesamt, an den Bedarfen derGesellschaft und der Umwelt. Regiogelder sindso konzipiert, dass sie den Problemen des der-zeitigen Geldes und den Problemen der Globa-lisierung in einem regionalen Bezugsrahmen ent-gegenwirken.

Regiogeld wirkt auf zwei verschiedenen Ebe-nen: Einmal hat es unmittelbare Auswirkungenauf die Region, in der es benützt wird. Diezweite Ebene gestaltet sich etwas anders; hierstehen nicht die unmittelbaren Wirkungen imVordergrund, sondern vielmehr die langfristigenUnzulänglichkeiten unseres derzeitigen Geldsy-stems. Regiogeld fungiert auf dieser Ebene als„Lotsenschiff“, und zwar deshalb, weil im wirt-schaftlichen Umgang untereinander und mit derNatur neue Formen erprobt und gefunden werdenmüssen, um auf die globalen Herausforderungen

Page 23: ZEITSCHRIFTFÜR SOZIALÖKONOMIE · Vo r w o r t 1 während der Fußballweltmeisterschaft mag eserlaubtseindaranzuerinnern,dassSilvio Gesell das Geld einmal als den „Fußball der

22

Zeitschrift für Sozialökonomie 149/2006

Katharina Schwaiger: Regionalgeld und Gemeinwesenarbeit

angemessen zu reagieren. Angesichts der immerweiter aufklaffenden Schere zwischen Arm undReich, des Wachstumszwangs und der weitrei-chenden Verschuldung ist eine grundsätzlicheÄnderung des Geldsystems notwendig. RegionaleGelder bieten den nötigen Spielraum zur Ent-wicklung und Erprobung zukunftsfähiger Geld-systeme. Wichtig ist auch ihre bewusstseins-bildende Wirkung, denn durch die Gestaltung unddie alltägliche Nutzung von Regiogeldern werdendie Nachteile des derzeitigen Geldsystems sicht-bar. So bergen Regiogelder das Potenzial, als„Lotsenschiffe“ zu fungieren und einen Weg ineine nachhaltige Zukunft aufzeigen. [11]

3 Auswirkungen des Regionalgeldesim Kontext der Gemeinwesenarbeit

Um die unmittelbaren Auswirkungen von regio-nalem Geld auf die jeweilige Region zu erfahren,wurden Anfang 2005 im Rahmen einer Diplom-arbeit qualitative Interviews durchgeführt undausgewertet. Befragt wurden Kund/innen, Ver-eine und Unternehmen, welche sich am Chiem-gauer- oder Sterntalersystem beteiligen. (NähereInformationen auf www.chiemgauer.info undwww.sterntaler-regional.de) Dadurch ließen sicherste Erfahrungen resümieren, und zwar sowohlin ökonomischer als auch in sozialer und ökolo-gischer Hinsicht.

Im Bereich der ökonomischen Auswirkungensteht die Schaffung neuer Wertschöpfungsringeim Vordergrund. Durch die Beteiligung am Regio-geldsystem profitieren Unternehmen durch eineverstärkte Kundenbindung. Es handelt sich umNeukunden, welche durch das Regionalgeld aufdas jeweilige Unternehmen aufmerksam werden,und um spezielle Kund/innen, welche das regio-nale Angebot wertschätzen. Es entsteht einewirtschaftliche Vernetzung im Gemeinwesen, wo-durch der regionale Umsatz erhöht und speziellauch kleinere Unternehmen unterstützt werden.So bleibt die Vielfalt des Angebots im Gemein-wesen erhalten, was wiederum die Lebensquali-tät deutlich erhöht. Die Umsatzsteigerung imGemeinwesen trägt auch zum Erhalt und zurSchaffung von Arbeitsplätzen bei. Manche Regio-gelder, so auch der Chiemgauer, sind derart ge-

staltet, dass durch jeden im Umlauf befindlichenRegio-Schein den mitwirkenden Vereinen in derRegion das sogenannte „Schenkgeld“ zugutekommt. Dieses Schenkgeld entsteht durch Über-schüsse, welche aus der Wertminderung und derRücktauschgebühr (bei Rücktausch des Regio-geldes in Euro) zustande kommen. Beim Chiem-gauer zum Beispiel führt das dazu, dass denVereinen in der Region direkte finanzielle Vor-teile zugute kommen. Insbesondere aus Sichtder Sozialen Arbeit und dem Gedanken ein „demMenschen dienendes Geld“ zu schaffen, ist dieseUnterstützung von Vereinen als sehr wertvoll zubetrachten. Die Kund/innen geben an, durch dieVerwendung von Regionalgeld zumindest keinewirtschaftlichen Nachteile zu haben. Zum einensei das Preis-Leistungs-Verhältnis regionaler Pro-dukte sehr gut, zum anderen werden eventuellhöhere Preise durch die Einsparungen beim Ben-zinverbrauch wieder ausgeglichen.

Die zunehmende Vernetzung durch das regio-nale Geld führt laut den befragten Personen auchzu neuen und intensiveren Kontakten und einemgesteigerten Zusammenhalt im Gemeinwesen.Die Menschen identifizieren sich stärker mitihrem Gemeinwesen, sie lernen sich kennen undsetzen sich aktiv für den Erhalt der Lebensqua-lität in ihrer Region ein. Eine weitere Auswir-kung im sozialen Bereich ist der in Gang kom-mende Prozess der Bewusstseinsbildung. DurchVorträge und Diskussionen sowie die alltäglicheNutzung des Regiogeldes beschäftigen sich dieMenschen im Gemeinwesen mit ihrer Region, mitThemen wie Wirtschaftskreisläufen oder „Geld ansich“ und mit ihren eigenen Gestaltungsmög-lichkeiten.

Das Sterntalersystem weist eine Besonderheitauf – den Sterntaler erwirbt man nicht nur, in-dem man dafür Euros eintauscht, sondern mankann auch Talente (Zeitwährung) prozentual inSterntaler eintauschen. Dies führt dazu, dassbisher nicht genutzte Ressourcen im Gemein-wesen wieder aktiviert werden. Die Befragtenschätzen es sehr, dass durch die Zeitwährung be-sonderes Wissen und Fähigkeiten, die bisher nurprivat genutzt wurden, nun das gesamte Lebenim Gemeinwesen bereichern. Aus Sicht der So-zialen Arbeit bringt die Kombinationsmöglich-

Page 24: ZEITSCHRIFTFÜR SOZIALÖKONOMIE · Vo r w o r t 1 während der Fußballweltmeisterschaft mag eserlaubtseindaranzuerinnern,dassSilvio Gesell das Geld einmal als den „Fußball der

23

Zeitschrift für Sozialökonomie 149/2006

Katharina Schwaiger: Regionalgeld und Gemeinwesenarbeit

keit mit einer Zeitwährung einen weiteren be-deutenden Vorteil mit sich. Üblicherweise wirdRegiogeld durch den Eintausch von Euro ‚ge-schaffen’. Angesichts der steigenden Arbeits-losigkeit und der damit einhergehenden sinken-den Einkommen werden dadurch möglicherweiseeinzelne Personen oder entwicklungsschwacheGebiete von der Nutzung ausgeschlossen. Da derGeldknappheit im Eurosystem ein Reichtum anZeit und Arbeitsfähigkeit gegenübersteht [12],scheint es sinnvoll, diese Ressourcen nutzbar zumachen und den betroffenen Personen die Be-teiligung am Regiogeldsystem zu ermöglichen.Das Sterntalersystem mit der Kombinations-möglichkeit von Talenten und Regiogeld stelltdem beschriebenen Hindernis einen Lösungsan-satz entgegen. Über die Talente können Men-schen wieder in den Wirtschaftsprozess einge-gliedert werden, „deren Kompetenzen im bishe-rigen Wettbewerbssystem ausgeschlossen werdenund brachliegen: Arbeitslose, Rentner, Jugend-liche, Frauen u.a.“ [13] Die Kombination von Re-giogeld mit einer Zeitwährung (z.B. Talenten)führt demnach dazu, dass es einkommensarmenMenschen oder Gebieten ermöglicht wird, andem System teilzuhaben.

Alles in allem wurde ersichtlich, dass sich dieallgemeine Lebensqualität im Gemeinwesen beibeiden befragten Systemen verbessert hat. Dazutragen zum einen die entstandene wirtschaft-liche Vernetzung, ein gesteigertes Zusammenge-hörigkeitsgefühl, Bewusstseinsbildung und dieNahversorgung bei. Zudem stellt Regiogeld fürviele der befragten Personen eine Handlungsmög-lichkeit dar, um die Region gezielt zu unterstüt-zen und dadurch auch auf globale Prozesse Ein-fluss zu nehmen. Da die Menschen globalen Pro-blemen oftmals mit einem Gefühl der Ohnmachtgegenüber stehen, gewinnt diese Möglichkeitzur aktiven Übernahme von Verantwortung imKontext der Gemeinwesenarbeit an Bedeutung.

Nicht nur im ökonomischen und sozialen Be-reich lassen sich erste Auswirkungen erkennen.Das regionale Geld bringt auch in ökologischerHinsicht Vorteile mit sich. Zum Beispiel stelltdie Verringerung der Fahrtwege für die Beteilig-ten im Regiogeldsystem einen ökologischen Vor-teil dar. Durch die Vernetzung im Gemeinwesen

werden die Wege der Kund/innen verkürzt unddadurch die Umweltbelastung verringert. Es ver-kürzen sich auch Transportwege von Zulieferernund Unternehmen, welche das in der Region be-stehende Angebot teilweise erst durch die Ver-wendung des Regiogeldes wahrgenommen haben.Eine weitere Auswirkung ist der bereits erwähnteBildungsprozess, wodurch auch ökologisches Be-wusstsein sensibilisiert wird.

Die Befragung ergab keine nennenswertenNachteile, welche die Einführung und Verwen-dung von Regiogeld für das Gemeinwesen mitsich bringt. Den ersten Erfahrungen zufolge istdas regionale Geld ein Gewinn für alle Beteilig-ten und es kann davon ausgegangen werden, dasssich dieser Nutzen bei zunehmender Verbreitungdes jeweiligen Geldsystems noch steigern wird.Regiogeld kann somit als Instrument betrachtetwerden, mit dem die Menschen ihren Lebens-raum in ökonomischer, sozialer und ökologischerHinsicht aktiv gestalten können. Diese selbstbe-stimmte Gestaltung der eigenen Lebensbe-dingungen erweitert die Handlungsfähigkeit derMenschen und entspricht dadurch den Grund-sätzen der Gemeinwesenarbeit. Global betrachtetist dieses aktive und innovative Gestalten deseigenen Umfeldes sehr wichtig, es trägt zur Stär-kung der Zivilgesellschaft bei.

Besonders wichtig im Kontext der Gemein-wesenarbeit ist die zunehmende Vernetzungsowohl im wirtschaftlichen als auch im sozialenBereich. Die Vernetzung, das Gefühl der Zusam-mengehörigkeit, aber auch die Erweiterung desHandlungsspielraumes und die Identifikation derBewohner/innen einer Region mit dem Gemein-wesen tragen zur Verbesserung der Lebensqua-lität bei. Zudem bereichert die Nahversorgung(z.B. durch qualitativ hochwertigere Produkte)und die Verringerung der Fahrtwege das Lebenim Gemeinwesen. Durch Bildungsprozesse undUnterstützung der Vereine wird zur Entfaltungdes sozialen und kulturellen Lebens beigetragen,was einem zentralen Aufgabengebiet der Gemein-wesenarbeit entspricht.

Neben den Vorteilen im immateriellen Bereichwerden auch materielle Faktoren im Sinne einesAusbaus ökonomischer Strukturen im Gemein-wesen gestärkt. Im heutigen Geldsystem werden

Page 25: ZEITSCHRIFTFÜR SOZIALÖKONOMIE · Vo r w o r t 1 während der Fußballweltmeisterschaft mag eserlaubtseindaranzuerinnern,dassSilvio Gesell das Geld einmal als den „Fußball der

24 Katharina Schwaiger: Regionalgeld und Gemeinwesenarbeit

Zeitschrift für Sozialökonomie 149/2006

im Gemeinwesen erarbeitete Werte meist nichtvor Ort re-investiert, sondern fließen rentablerenRegionen im In- und Ausland zu. Dies führt zurAbwanderung von Firmen und zum Verlust vonArbeitsplätzen. Angesichts dieser Problemlageist der Ausbau ökonomischer Strukturen im Ge-meinwesen eine wertvolle Innovation, die neueMöglichkeiten für die Praxis der Gemeinwesen-arbeit eröffnet.

Beim Vergleich der Auswirkungen von regio-nalem Geld mit den Leitlinien der Gemeinwesen-arbeit wurde deutlich, dass Regiogeld in vielenBereichen dazu beitragen kann, zentrale Zieleder Gemeinwesenarbeit umzusetzen. Regiogeldfungiert zielgruppenübergreifend, befähigt dieMenschen ihre Lebenswelt zu gestalten, schafftNetzwerke und aktiviert Ressourcen, es verbes-sert sowohl materielle als auch immaterielleFaktoren im Gemeinwesen und nicht zuletztstellt es eine mögliche Form der Gemeinwesen-ökonomie dar.

4 Ausblick

Die Lebensbedingungen im Gemeinwesen kön-nen durch die Verwendung von regionalem Geldumfassend verbessert werden. Sowohl Wirkungs-weisen als auch Ziele von Regiogeld setzen ander grundlegenden Programmatik der Gemein-wesenarbeit an; somit stellt Regiogeld einewichtige Handlungsoption der Gemeinwesen-arbeit dar.

Angesichts der momentanen Lage in Deutsch-land wird das aktive Gestalten der wirtschaft-lichen Bedingungsfaktoren im Kontext der loka-len Gemeinwesen immer wichtiger. Die aktuellenProblemlagen zeichnen sich u.a. aus durch zu-nehmende Arbeitslosigkeit, Schwächung der staat-lichen Sicherungssysteme, einer immensen Ver-schuldung und der immer weiter aufklaffendenSchere zwischen Arm und Reich. Die heute alsselbstverständlich hingenommene Geldumlauf-sicherung durch den Zins führt zu einem un-natürlichen Wachstumszwang, zu einer immen-sen Verschuldung und letztlich zu einer stetigenUmverteilung des Vermögens von Arm zu Reich.Zudem werden Werte, die in lokalökonomischenProzessen erwirtschaftet werden, heute meist

nicht vor Ort re-investiert, sondern fließen profi-tableren Regionen zu, was die Abwanderung vonFirmen und den Verlust von Arbeitsplätzen mitsich bringt. Für die betroffenen Menschen be-deutet dies eine Zunahme von Ungleichheit, vonArmut, von Mobilität und von den mit alledemeinhergehenden sozialen Problemlagen.

Die Gemeinwesenarbeit muss sich diesen ge-sellschaftlichen Realitäten und Anforderungenanpassen. Es gilt, zukunftsfähige Lösungswege zufinden und diese gemeinsam mit den Bewohner/innen des Gemeinwesens zu beschreiten. Regio-geld als Handlungsoption der Gemeinwesenar-beit gewinnt hinsichtlich der dargestellten Pro-blemlagen an Relevanz. Wenn in leistungsschwa-chen Gebieten Regiogeld als Instrument der Ge-meinwesenarbeit in Zukunft stärker genutzt wer-den soll, ist es wichtig, dass Personen mit gerin-gem Einkommen eine Beteiligung am Regiogeld-system ermöglicht wird. Die Kombination miteiner Zeitwährung wie beim Sterntalersystemstellt hier einen möglichen Lösungsansatz dar.

Bei der Einführung von Regiogeld kann dieGemeinwesenarbeit eine wesentliche Rolle ein-nehmen. Zunächst sollte sie über Bildungsange-bote die Menschen befähigen, sich den Ursachenihrer Lage bewusst zu werden und nach geeig-neten Lösungswegen zu suchen. Sehen die Be-wohner/innen einer Region das Regiogeld alseine Möglichkeit an, ihr Leben vor Ort zu verbes-sern, dann sollte Gemeinwesenarbeit sie bei derUmsetzung unterstützen. Einerseits durch dieBereitstellung personeller und materieller Res-sourcen; andererseits wäre die Gemeinwesen-arbeit gefordert, als intermediäre Brückeninstanzdie Vernetzung und Kooperation in der Region zuermöglichen. Insgesamt ist es sehr wichtig, dassdie Gestaltung und Einführung von Regiogeldimmer an den Bedarfen der Menschen und desGemeinwesens ausgerichtet ist.

Regiogeld stellt eine Möglichkeit dar, alterna-tive Geldsysteme in der Praxis zu erproben.Durch die Nähe zur Lebenswelt können dieseSysteme immer exakter an den Bedürfnissen derMenschen und dem jeweiligen Gemeinwesen aus-gerichtet werden. Diese offene, kreative und pro-zessorientierte Art, Lösungen für heutige Pro-bleme zu suchen, ist ein wichtiger Schritt, um

Page 26: ZEITSCHRIFTFÜR SOZIALÖKONOMIE · Vo r w o r t 1 während der Fußballweltmeisterschaft mag eserlaubtseindaranzuerinnern,dassSilvio Gesell das Geld einmal als den „Fußball der

25Katharina Schwaiger: Regionalgeld und Gemeinwesenarbeit

Zeitschrift für Sozialökonomie 149/2006

zukunftsfähige Modelle überhaupt entwickeln zukönnen.

PS: Der vorstehende Aufsatz fasst die Ergeb-nisse der Diplomarbeit von Katharina Schwaiger„Zukunftsfähiges Geld! – Regiogeld als neuePerspektive für die Gemeinwesenarbeit“ zu-sammen, die im Fachbereich Soziale Arbeit derKatholischen Stiftungsfachhochschule München-Benediktbeuren entstand. Bei Interesse kann dieArbeit im Archiv für Geld- und Bodenreform aus-geliehen oder von der Verfasserin unter der [email protected] gegen einen Kostenbei-trag als pdf-Datei bestellt werden.

Anmerkungen

[1] Vgl. Boer, Jo/Utermann, Kurt: Gemeinwesenarbeit, CommunityOrganization, Ophouwwerk. Einführung in Theorie und Praxis.Stuttgart 1970, S. 26/77.

[2] Vgl. Karas, Fritz /Hinte, Wolfgang: Grundprogramm Gemeinwe-senarbeit. Praxis des sozialen Lernens in offenen pädagogi-schen Feldern. Wuppertal 1978, S. 11.

[3] Vgl. Mohrlock, Marion/ Neubauer, Michaela/Neubauer, Rainer/Schönfelder, Walter: Let`s organize! Gemeinwesenarbeit undCommunity Organization im Vergleich. München 1993.

[4] Vgl. Karas, Fritz / Hinte, Wolfgang: Studienbuch Gruppen- undGemeinwesenarbeit. Eine Einführung für Ausbildung und Praxis.Frankfurt/M 1989, S. 13-19.

[5] Vgl. Müller, C. Wolfgang / Nimmermann, Peter: Stadtplanungund Gemeinwesenarbeit. München 1971, S. 232.

[6] Vgl. Mohrlok u.a. 1993, S. 61 und Hinte / Lüttringhaus / Oel-schlägel (Hg.): Strategien in der Sozialen Arbeit und dasArbeitsprinzip Gemeinwesenarbeit. 2001, S. 7-65.

[7] Vgl. Lüttringhaus, Maria: Zusammenfassender Überblick – Leit-standards der Gemeinwesenarbeit. In: Hinte / Lüttringhaus /Oelschlägel (Hg.) 2001, S. 263-266.

[8] Vgl. Elsen, Susanne: Gemeinwesenökonomie – Eine Antwortauf Arbeitslosigkeit, Armut und soziale Ausgrenzung? SozialeArbeit, Gemeinwesenarbeit und Gemeinwesenökonomie im Zeit-alter der Globalisierung. Neuwied/Kriftel 1998. – Vgl. außer-dem Romppel, J. / Lüters, R. (Hrsg.), Erfolgsgeschichten derGemeinwesenarbeit. Bonn: Stiftung Mitarbeit, 2005.

[9] Vgl. Klöck, Tilo (Hg.): Solidarische Ökonomie und Empower-ment. – 6. Jahrbuch Gemeinwesenarbeit. Neu-Ulm 1998.

[10] Vgl. URL: http://www.regionetzwerk.de/250.0.html, Stand: 04.04.2006.

[11] Vgl. Kennedy, Margrit / Lietaer, Bernard A.: Regionalwährung-en. Neue Wege zu nachhaltigem Wohlstand. München 2004.

[12] Vgl. Bode, Siglinde: Potenziale regionaler Komplementärwäh-rungen zur Förderung einer endogenen Regionalentwicklung.Diplomarbeit. Osnabrück 2004. – Siglinde Bode: RegionaleWährungen für entwicklungsschwache Regionen – Möglichkei-ten für eine regionale Ökonomie, in: Zeitschrift für Sozialöko-nomie 144. Folge/2005, S. 3-10.

[13] Vgl. Galler, Franz (Initiator und Geschäftsführer des STAR e.V.),29.04.04 zit. nach Bode 2004, S. 109.

Global Cities, ihr Hinterland und der Rest der Welt

„Ein Wirtschaftsaufschwung erfasst kaum jemals das ganze Land und die ganze Be-völkerung. … Die Wachstumsregionen sind in erster Linie Knotenpunkte globalerProduktionsnetze und nicht als Vorreiter einer Volkswirtschaft zu betrachten. … DieGlobalisierung von Wirtschaftstätigkeiten führt also nicht zu einer geografisch gleich-mäßigen Ausdehnung des Wirtschaftswachstums im globalen Raum, sondern zu zugespitz-ten Ungleichheiten und Unterschieden zwischen Regionen und Standorten. … In GlobalCities wie Tokio, Hongkong, New York oder London laufen die Kommandostränge zusam-men; dort sind Finanzinstitute, Konzernleitungen, Kommunikationsindustrien und For-schungszentren in großer Dichte angesiedelt. Als globalisiertes Hinterland können hin-gegen die Räume der weltweit vernetzten Dienstleistungs- und Güterproduktion angesehenwerden, also Softwarehäuser, Fabriken für Massengüter, Zonen der Rohstoffgewinnung undTourismusgebiete. … Und die ausgegrenzte Restwelt schließlich ist der Lebensraum der fürden Weltmarkt weitgehend rückständigen, wenn nicht überflüssigen Mehrheit der Welt-bevölkerung.“

Wolfgang Sachs und Tilman Santarius, Fair Future – Ein Report des Wuppertal-Instituts,München 2. Auflage 2005, S. 78–79.

Page 27: ZEITSCHRIFTFÜR SOZIALÖKONOMIE · Vo r w o r t 1 während der Fußballweltmeisterschaft mag eserlaubtseindaranzuerinnern,dassSilvio Gesell das Geld einmal als den „Fußball der

26

Zeitschrift für Sozialökonomie 149/2006

Die seit 1998 [1] in Deutschland wieder inUmlauf gebrachten Regionalwährungen [2] ziehennicht nur die Aufmerksamkeit der Presse aufsich, sondern werden nun auch auf wissenschaft-licher Ebene diskutiert. Eine kritische Positionbezieht Dr. Gerhard Rösl, wissenschaftlicher Mit-arbeiter der Deutschen Bundesbank, in seinemin der Regiogeldbewegung viel diskutierten Bei-trag “Regionalwährungen in Deutschland”. [3]

Rösls Analyse beruht auf einer wirtschaftli-chen Kosten-/Nutzen-Betrachtung aus Sicht desRegiogeld-Herausgebers und der Nutzer (Konsu-ment und Händler) der Komplementärwährungim Vergleich zur Landeswährung Euro. Er be-zieht sich dabei auf das Regiogeld, das durchEuro-Umtausch in Umlauf gebracht wird (z. B.Chiemgauer [4]). Für den Herausgeber – so Rösl –besteht ein deutlicher Nutzen, bedingt durch dieEinnahmen aus Geldschöpfungsgewinn (Zinsein-nahmen aus Anlage der eingenommenen Re-servewährung Euro [5]), periodischem Schwund (z.B. 2% pro Quartal) und Rücktauschdisagio (z. B.5%). Dabei lässt er die Einnahmen durch denlukrativen Verkauf der Scheine zum Nennwert anSammler, die das Geld horten und voraussicht-lich nie zum Rücktausch gegen Euro anbietenwerden, noch unberücksichtigt.

Nun unterstellt Rösl den Geldherausgebernneben Idealismus auch Gewinnabsichten: “Auf derSeite der Regionalgeld-Anbieter dürfte ein sichvon einem mangelnden Verständnis der offiziel-len Geldwirtschaft genährter Idealismus mit derAussicht auf überhöhte Geldschöpfungsgewinnepaaren.” [6] An anderer Stelle lautet die sugges-tive Überschrift “Idealismus oder Abzocke?” [7].Fairerweise erwähnt Rösl jedoch, dass in derPraxis mit einem Teil der Einnahmen oft lokalegemeinnützige Projekte gefördert werden.

Wer sich in der Regiogeld-Bewegung auskennt,wird kaum zur Schlussfolgerung gelangen, dassdie Herausgeber den inkorporierten Wertver-lust aus Einnahmegründen konzipiert haben.Der Schwund des Regiogeldes basiert auf der

Theorie und historischen Praxis des Freigel-des, wonach eine periodische Abwertung denUmlauf sichern sollte. Das Disagio beim Rück-tausch in Euro sollte einen Anreiz bilden, dasRegiogeld weiter in der Region einzusetzen. Esist unbestreitbar, dass diese pekuniären Steue-rungsmechanismen des Regiogeldsystems zu Ein-nahmen der Herausgeber führen. Diese fließen inder Regel nicht in die Privatschatulle irgend-welcher Abzocker, sondern werden zur Kosten-deckung der Emittenten (meist Vereine) einge-setzt und werden oft veröffentlicht. Es ist – imHinblick auf die (noch) relativ geringe Regio-geldmenge – sehr unwahrscheinlich, dass dieEmission des Geldes überhaupt derzeit und aufabsehbare Zeit Gewinne abwirft. Die Einführungeiner zusätzlichen Privatwährung erfordert wegender systemimmanenten Netzwerkeffekte hohe Ver-triebsressourcen zur Erreichung der kritischenMasse. Der Nutzen einer Währung ist generellabhängig von der Anzahl der Zahlungsgeber und-nehmer und tritt erst ab einer bestimmten(kritischen) Menge von Teilnehmern ein. DieAusgabe von Papiergeld verursacht hohe Kostenfür die Logistik (Ausgabe und Rücktausch) undRessourcen zur Vermeidung des Fälschungsrisi-kos. Außerdem erfordert die Privatgeldausgabeaußerhalb des Bankenbereichs zusätzliche Kostenzur Vertrauensbildung. Bei den Regiogeld-Initia-tiven fallen viele Kosten nur deshalb nicht an,weil die Arbeit oft ehrenamtlich bzw. gegennicht-marktübliche Vergütungen geleistet wird.

Als nächstes stellt Rösl die Frage, warum Kon-sumenten und Händler das Geld freiwillig trotz“Schwund” und Rücktauschgebühr als Zahlungs-mittel nutzen und akzeptieren. Im Vergleich zumEuro ist die Akzeptanz wesentlich geringer, esentstehen Informations- und Transaktionskostenund das Geld unterliegt einer eingebauten Wert-minderung, die höher ist als die Inflation imEuro-System. Auf der anderen Seite der Bilanzsteht die Hoffnung auf eine monetär bedingteVerlagerung bzw. Erhöhung der effektiven Nach-

Streitfall RegionalwährungenHugo Godschalk

Page 28: ZEITSCHRIFTFÜR SOZIALÖKONOMIE · Vo r w o r t 1 während der Fußballweltmeisterschaft mag eserlaubtseindaranzuerinnern,dassSilvio Gesell das Geld einmal als den „Fußball der

27Hugo Godschalk: Streitfall Regionalwährungen

Zeitschrift für Sozialökonomie 149/2006

frage zugunsten der Region und seiner wirt-schaftlichen Akteure. Rösl bestreitet diese Effek-te nicht, bezweifelt allerdings deren Nachhaltig-keit, da – nach anfänglicher Euphorie und Stroh-feuereffekten – die oben genannten Kosten desSystems die Vorteile aus Sicht des Geldhalterszunichte machen. Im Vergleich zum Euro bezif-fert Rösl die Kosten des Geldhalters bei 2%Schwund pro Quartal und 5% Rücktauschgebührauf insgesamt 13% des Nennwertes gegenüber ca.2% beim Euro. Der Kostenvergleich ist aber sta-tisch aus Sicht eines Geldhalters, der in einer Zeit-periode Regiogeld und Euro in seiner Kasse hält.

Da das Regiogeld im Vergleich zum Euro ausSicht der Geldhalter das “schlechtere” Geld(Schwund und geringere Akzeptanz) darstelltund außerdem ausschließlich in der Region ein-gesetzt werden kann, werden die Geldhalter imVergleich zum Euro dieses Geld bevorzugt ein-setzen, um es wie einen “schwarzen Peter” schnellwieder loszuwerden. Die Regiogeldwirkung be-ruht auf diesem sogenannten Gresham´schenGesetz, wonach bei einem festen Wechselkursdas schlechtere Geld das gute Geld verdrängt.Die Umlaufgeschwindigkeit des “schlechteren”Nebengeldes wird also höher sein als das des“guten” Geldes. Diese höhere Umlaufgeschwin-digkeit des Nebengeldes ist nicht nur theore-tisch plausibel, sondern auch in der Praxis nach-weisbar. So beträgt die Umlaufgeschwindigkeit [8]

des innerhalb der Bodelschwinghschen Anstal-ten in Bielefeld-Bethel verwendeten Bethel-Gel-des ca. 14 p.a.. Die Umlaufgeschwindigkeit vonM 1 (Bargeld und Sichteinlagen) beträgt inDeutschland ca. 3,5 p.a. [9]. Während der Welt-wirtschaftskrise wurde in den USA in vielen Städ-ten lokales Geld (zum Teil auch auf Schwund-geld-Basis) emittiert. Bei bestimmten Arten die-ses Nebengeldes wurden Ausgabedatum, Einlöse-datum und jede Transaktion festgehalten, sodass die Umlaufgeschwindigkeit exakt ermitteltwerden konnte. Die Geschwindigkeit betrug z. B.bei dem Regionalgeld in der Stadt Santa Cruz(Kalifornien) ca. 48 p.a., während der Dollar (M1)in dieser Periode im Durchschnitt nur 2,2 bis 2,4mal eingesetzt wurde.

Ein statischer Kostenvergleich zwischen Euround Regiogeld ohne Berücksichtigung der jewei-

ligen Umlaufgeschwindigkeit ist daher wenigaussagekräftig und aus Sicht der Teilnehmerauch nicht relevant, denn das Geld wird nichtstatisch in der Kasse eines Geldhalters gehaltenbzw. die Kosten verteilen sich bei unterschied-licher Umlaufgeschwindigkeit nicht auf die glei-che Anzahl der Nutznießer. Die Kosten der Geld-haltung sollen auf die jeweils mit dem Geldgenerierten Umsätze bezogen werden. Wenn dieUmlaufgeschwindigkeit des Regiogeldes z. B. umeinen Faktor 4 höher wäre als die des Euro, wä-ren die direkten Kosten des Teilnehmers bezogenauf den jeweiligen Umatz zwischen Euro (2% p.a.)und Regiogeld (8% Schwund p.a.) in dem Rösl-schen Rechenbeispiel [10] wieder ausgeglichen.

Rösl differenziert in seiner Analyse zwischenNebengeld mit und ohne inkorporiertem Wert-verlust. Außerhalb der Regiogelder gibt es eineVielzahl privater Gelder, die ohne “Schwund”konzipiert sind, wie z. B. die Tauschringwährung-en und die sogenannten Unternehmensgelder (z.B. händlerübergreifende Bonussysteme, in denendie Bonuswerteinheiten als Zahlungsmittel ein-gesetzt werden können). Rösl räumt dieser Artdes Nebengeldes aufgrund der geringeren Kostendes Geldhalters eine größere Chance ein, sich alsPrivatgeld neben dem Euro zu etablieren. Erstellt damit die berechtigte und für die Regio-geld-Bewegung wichtige Frage, ob der “Schwund”für die beabsichtigte Wirkung des Regionalgel-des überhaupt erforderlich ist oder sogar hem-mend wirkt. Dadurch, dass das private Nebengeldper Definition eine geringere Akzeptanz als diestaatliche Währung hat, weist das Geld bereitsdurch die Wirkung des Gresham´schen Gesetzeseine effektive Umlaufsicherung auf. Das Regio-geld ist damit mit einer doppelten Umlaufsiche-rung, die zu doppelten Kosten für die Teilnehmerführt, belastet. Ob der Schwund als zusätzlicheUmlaufsicherung eher nachteilig wirkt, wird sichin der Praxis zeigen. Aus diesem Grund erscheintes sinnvoll, wenn sich auch Regiogeld-Initiati-ven etablieren, die das Geld als Alternative ohneSchwund emittieren.

Anmerkungen

[1] Die (vermutlich) erste Regionalwährung auf Papiergeld-Basismit einer periodisch im Voraus festgelegten Wertminderung

Page 29: ZEITSCHRIFTFÜR SOZIALÖKONOMIE · Vo r w o r t 1 während der Fußballweltmeisterschaft mag eserlaubtseindaranzuerinnern,dassSilvio Gesell das Geld einmal als den „Fußball der

28 Hugo Godschalk: Streitfall Regionalwährungen | Wurden die ägyptischen Pyramiden ...

Zeitschrift für Sozialökonomie 149/2006

in Deutschland während der Nachkriegszeit war nicht – wieoft behauptet – der “Roland” in Bremen (2001), sondern dersogenannte “Phö” in Arnstadt (1998). Das in Berlin Dezember1993 ausgegebene “Knochen-Geld” war zwar “Schwundgeld”,aber dessen Umlauf war nur für wenige Wochen als künstle-rische Aktion geplant und nicht als eine auf Dauer angelegteGeldemission.

[2] Der Begriff Regionalwährungen (auch “Regios” oder “Regio-geld” genannt) ist hier definiert als von privater Hand emit-tierte Werteinheiten in Form von Papiergeld, die auf lokalerEbene primär als Zahlungsmittel genutzt werden. In der Regelhat dieses Privatgeld eine relativ begrenzte Gültigkeitsdauerund eine im Voraus festgelegte Wertminderung, die perio-disch eintritt und/oder erst bei Einlösung bzw. bei Umtauschin Landeswährung als Disagio wirksam wird. Im Hinblick aufdie eingebaute Abwertung wird dieses Geld oft als Schwund-geld bezeichnet.

[3] Gerhard Rösl (2005a), Regionalwährungen in Deutschland, in:Wirtschaftsdienst, Nr. 3/2005, S. 182-190.

[4] Diese Art der Emission (Umtausch gegen Euro) ist in der Praxisderzeit am häufigsten zu beobachten. Es gibt aber auch Vari-anten, in denen das Regiogeld auf dem Kreditweg oder ohneGegenleistung zugeteilt wird.

[5] Rösl unterstellt eine Währungssubstitution. In diesem Fall ver-lagern sich die Geldschöpfungsgewinne vom Euro-System zuden Regiogeld-Emittenten. In der Regel führt aber die Regio-geld-Emission zu einer zusätzlichen Geldmenge, denn die eingenommenen Euros werden in Form von kurzfristigen Einlagendem Wirtschaftskreislauf nicht entzogen.

[6] Rösl (2005a), S. 186.[7] Gerhard Rösl (2005b), Regionalgeld in Deutschland – Lokale Kon-

kurrenz für den Euro?, in: Bundesbankmagazin, Nr.2 (2005),S.18.[8] Die Umlaufgeschwindigkeit berechnet sich durch die Division

des mit dem Nebengeld generierten Umsatzes durch die in Um-lauf gebrachte Geldmenge. Der jährliche mit Bethel-Geld ge-nerierte Umsatz beträgt derzeit ca. 900.000 € bei einer Geld-menge von ca. 65.000 €.

[9] Seit der Einführung des Euro-Bargeldes ist die Umlaufge-schwindigkeit für den deutschen Wirtschaftsraum nicht mehrexakt messbar. In 2000 betrug die Umlaufgeschwindigkeit vonM1 in Deutschland ca.3,5 (Bruttosozialprodukt/M1). Eine Dif-ferenzierung der Umlaufgeschwindigkeit nach Bargeld und Sicht-einlagen ist nicht möglich, da das mit dem jeweiligen Geld ge-nerierte Sozialprodukt nicht separat ermittelt werden kann.

[10] Ohne Berücksichtigung der Rücktauschgebühr

„Die Welt verändern durch gewaltfreie Kommunikation“„Wenn wir uns darüber bewusst sind, dass wir alle eins sind, dann kann keines unserer

Bedürfnisse jemals erfüllt sein, ohne dass dieses Bedürfnis auch bei allen anderen Menschenerfüllt ist. … Wenn ich alle Menschen auf dieser Welt im Blick habe, ist mein Bedürfnis nachNahrung noch nie erfüllt worden. …

Stellen Sie sich vor, Sie kommen an einem Fluss vorbei und sehen ein Baby im Wasser trei-ben, das gegen das Ertrinken kämpft. Selbstverständlich springen Sie ins Wasser und rettendas Kind. Kaum haben Sie es aus dem Wasser gezogen, sehen Sie zwei weitere Babys im Fluss.Also springen Sie wieder rein und ziehen auch diese beiden aus dem Wasser. Dann tauchenplötzlich noch mehr – drei, vier, fünf Babys im Wasser auf. Wann hören Sie auf, die Babysaus dem Wasser zu ziehen, und gehen flussaufwärts, um nachzusehen, wer eigentlich dieBabys ins Wasser wirft? Verstehen Sie, was ich meine? In der Welt, in der wir leben, werdensozusagen ständig Babys ins Wasser geworfen. Wir könnten unser ganzes Leben lang amFlussufer zubringen und würden doch nur einige wenige Babys retten. Wir haben wirtschaft-liche Strukturen, in denen täglich 30.000 Menschen auf der Welt verhungern. …

Ich begreife es einerseits als unsere Aufgabe, uns selbst und unser persönliches Umfeldvon der Gewalt in unserer Sprache und in unserem Denken zu befreien. Und andererseits istes unsere Aufgabe, die Machtstrukturen zu verändern, die uns überhaupt erst so konditio-niert haben und die immerfort das Unglück produzieren, das wir bekämpfen. …

Ich bin davon überzeugt, dass unter den politischen und wirtschaftlichen Strukturen, indenen wir leben, alle leiden. Von außen mag es so aussehen, als gäbe es Gewinner undVerlierer. Doch diejenigen, die das meiste Geld verdienen, zahlen bitter dafür: in psychischerund spiritueller Hinsicht. Jemand, der viel Reichtum auf Kosten anderer angehäuft hat, lebtin einer Welt, in der es hauptsächlich um Geld geht. Was ist das für ein Leben? Es magnoch so nett sein, aber es entspricht nicht unseren Bedürfnissen. Die ganze Konsumkulturbasiert auf der Ersatzbefriedigung von Bedürfnissen. Und das ist eines unserer größten Zielein den nächsten Jahren: den Menschen effektivere Wege zu zeigen, wie sie ihr Bedürfnisnach Sinn erfüllen können.“Marshall Rosenberg, Konflikte lösen durch gewaltfreie Kommunikation – Ein Gespräch mit Gabriele Seils. Freiburg 7. Aufl. 2006, S. 130–133 + 142.

Page 30: ZEITSCHRIFTFÜR SOZIALÖKONOMIE · Vo r w o r t 1 während der Fußballweltmeisterschaft mag eserlaubtseindaranzuerinnern,dassSilvio Gesell das Geld einmal als den „Fußball der

29

Zeitschrift für Sozialökonomie 149/2006

In Mitteleuropa sind die Gotik und das Geld-system der Brakteaten (Münzgeld ohne hohenintrinsischen Wert, das sich durch die begrenzteGültigkeit vermutlich einer hohen Umlaufge-schwindigkeit erfreute) mehr oder weniger aufden selben Zeitraum zu datieren. In dieser wirt-schaftlichen Blütezeit wurden auch die Kathe-dralen, Bauwerke für Gott bzw. die Ewigkeit,gebaut. Über die unmittelbare Kausalität zwi-schen einem zinsfreien Geldsystem, das lang-fristige Investitionen fördert, und dem Bau derKathedralen kann man streiten [1]. AbweichendeTheorien vermuten eher eine Art Zwangsspen-denfinanzierung durch klerikale Androhung gött-licher Strafen bzw. Belohnungen oder eine Kre-ditfinanzierung durch die Templer, die als früh-kapitalistische Banker eine zweifelhafte Rolleeinnahmen [2]. Auf jeden Fall gibt es zwischenBrakteaten und gotischen Kathedralen eine zeit-liche Synchronizität und es ist plausibel, dassdie außergewöhnliche ökonomische Blütezeitdes 13. Jahrhunderts ein fruchtbarer Nährbodenfür diese monumentalen Bauprojekte war.

Dieser in der freiwirtschaftlichen Literatur [3]

bereits seit langem diskutierte Zusammenhangzwischen dem Geldsystem der Brakteaten und derBlütezeit der Gotik bzw. dem Kathedralenbauwurde insbesondere von Bernard Lietaer [4] inseinem Buch “Mysterium Geld” erneut aufgegrif-fen und somit weiter popularisiert. Bemerkens-wert ist aber seine Ergänzung dieser These.Neben den Brakteaten stöbert er ein weiteresvergessenes Währungssystem auf: das Korngiroim alten Ägypten, eine durch Waren gedeckte„Demurrage“-Währung mit Erhebung von Liege-gebühren. Die Verknüpfung beider historischerPerioden führt nun zur zentralen These seinesBuches, dass es “eine verblüffende Korrelationzwischen Archetypen und Währungssystemengibt. [5] ” Der Archetyp der Großen Mutter (mani-fest im ägyptischen Isis-Kult bzw. im mittel-

alterlichen Schwarze Madonna-Kult) bzw. dessenUnterdrückung sei der emotionale Ursprung je-weiliger Geldsysteme. Beide Perioden histori-scher Komplementärwährungen mit „Demurrage“(sog. Yin-Währungen) stehen nicht nur für denbesonderen Stellenwert des Weiblichen, sondern– so Lietaer – auch für kulturelle Höchstleis-tungen und auf Dauer ausgerichtete Bauanlagen:die Pyramiden und Kathedralen [6]. Diese Thesewird dankbar nicht nur in esoterischen Kreisen,sondern auch von Befürwortern der Komplemen-tärwährungen im In- und Ausland kritiklos wei-ter kolportiert. Das Korngiro im alten Ägypten –eine Komplementärwährung auf „Demurrage“-Basis – führte demnach zur großen ökonomi-schen Blüte und damit zum Bau der Pyramiden.Diese These ist abenteuerlich. Warum?

Lietaer bezieht sich auf das sogenannte Korn-giro-System, ein girales Überweisungssystem aufBasis von Korn, das von Bauern bei den staat-lichen Lagerhäusern eingeliefert wurde. Zahlung-en in Korn konnten mittels Überweisungen bar-geldlos getätigt werden. Für die Verwaltung wur-de eine Lagegebühr erhoben. Diese warenge-deckte Währung mit periodischem Schwund exi-stierte nachweislich allerdings erst in der soge-nannten ptolemäischen Zeit (ab 322 – 30 v. Chr)und später während der römischen Zeit (1. bis4. Jh. n. Chr). Das Korngiro wurde durch Aus-wertung der Papyri-Dokumente durch FriedrichPreisigke 1910 in seinem Standardwerk [7] aus-führlich analysiert und beschrieben und 1986von mir als bemerkenswertes historisches Bei-spiel eines Verrechnungssystems in der Natural-wirtschaft erneut aus der Vergessenheit hervor-gehoben [8]. Lietaer übernimmt 1996 diesen Fund,setzt sich aber – offenbar ohne Lektüre derPreisigke-Quelle – großzügig über den Befundder Papyri-Forschung hinweg. Obwohl das Korn-girosystem erst in Papyrus-Dokumenten der pto-lemäischen Zeit (ab 322 v. Chr.) erwähnt wird,

Wurden die ägyptischen Pyramiden miteiner „Demurrage“-Währung gebaut?

Hugo Godschalk

Page 31: ZEITSCHRIFTFÜR SOZIALÖKONOMIE · Vo r w o r t 1 während der Fußballweltmeisterschaft mag eserlaubtseindaranzuerinnern,dassSilvio Gesell das Geld einmal als den „Fußball der

30 Hugo Godschalk: Wurden die ägyptischen Pyramiden mit einer „Demurrage“-Währung gebaut?

Zeitschrift für Sozialökonomie 149/2006

verschiebt Lietaer stillschweigend die Anfängedieses Systems um nicht weniger als ca. 1100 (!)Jahre nach vorne und beruft sich ohne Begrün-dung auf den biblischen Joseph als mutmaß-lichen Erfinder dieses Währungsssystems. DieAktivitäten von Joseph werden um 1400 v. Chr.während der 18. Dynastie (1551 – 1305 v. Chr.)angesiedelt. Die biblische Geschichte der spek-takulären Karriere Josephs vom hebräischenSklaven zum mächtigsten Mann unter dem Pharaogeht zwar auf rechtzeitige Kornvorratshaltungzurück, es gibt aber keine Hinweise auf dieEtablierung eines (Korn-)Währungssystems. ImGegenteil, die anti-zyklischen Maßnahmen füh-ren im Verlauf der sieben “mageren” Jahre zueiner diktaturähnlichen Zwangswirtschaft, Ent-eignung und Leibeigenschaft der ägyptischenBevölkerung (1. Mose 47). Das sind nicht ge-rade die erhofften Ergebnisse der Einführungeiner „Demurrage“-Währung. Ein zweiter Ein-wand gegen diese willkürliche zeitliche Verlage-rung ist die Tatsache, dass sich der Übergangzur Geldwirtschaft in Ägypten im Vergleich zuanderen Ländern relativ spät vollzog. Bis zur30. Dynastie (ca. 500 bis 400 v. Chr.) haben dieHistoriker keine nennenswerten Spuren einerGeldwirtschaft finden können.

Lietaer beschreibt das Korngiro als lokaleKomplementärwährung, die demokratisch kon-trolliert und von den Kornbauern selbst geschöpftwurde [9]. Das System endete – so Lietaer [10] –sofort, nachdem die Römer die Getreidewährungdurch die römische Geldwährung ersetzten. DasKorngiro als demokratisch kontrollierte Privat-währung wäre zwar eine wünschenswerte Vor-stellung, entspricht aber nicht den historischenTatsachen. Das Korngirosystem war ausschließ-lich in staatlicher Hand [11]. Die Entstehung desstaatlichen Korngirosystems geht vermutlich zu-rück auf den Mangel an Edelmetall, welches ineiner expandierenden Ökonomie dringend fürden Import und zur Finanzierung militärischerAktionen nachgefragt wurde [12]. Die ptolemä-ische Zeit wird durch eine ökonomische Blüte-periode gekennzeichnet. Alexandria war in die-ser Periode als Zentrum einer „globalisierten“Welt vergleichbar mit dem heutigen New York.In dieser Zeit entstanden imposante Bauwerke

wie der Hafen und der weltberühmte Leuchtturm.Gleichzeitig war diese Periode aber „ein Unge-tüm aus Gier und moralischer Orientierungs-losigkeit“. [13]

Erst später in der römischen Zeit entstandenin Ägypten Privatbanken. Das Korngiro war zwareine für Inlandszahlungen genutzte Komple-mentärwährung [14], aber erst nachdem das vonPrivatbanken betriebene Geldgirowesen sichwährend der römischen Herrschaft (1.–4. Jahr-hundert n. Chr.) neben dem staatlichen Korngiroetabliert hatte. Das staatliche Korngiro wurdealso nicht durch das private Geldgiro ersetzt.Erst in dieser Periode finden wir die interessan-te Konstellation der Koexistenz einer staatlichenWarenwährung mit Negativzins und einem Giral-geld, das vermutlich verzinst wurde [15]. Geradediese Periode wird aber von den Historikernnicht als ägyptische Blütezeit bezeichnet, son-dern kennzeichnet eher das Ende dieser Hoch-kultur und antiken Supermacht.

Halten wir fest: Es gibt keine Hinweise aufeine Existenz des Korngirosystems vor dem 4. Jh.v. Chr. und erst in der römischen Zeit (1.–4. Jh.n. Chr.) ist dieses System komplementär zur tra-ditionellen Geldwirtschaft.

Das Jonglieren Lietaers mit Jahrhundertenwird noch grotesker, wenn der Bau der Pyrami-den als zeitgleich mit dem „Demurrage“-Korn-giro einbezogen wird. Das goldene Zeitalter dergroßen Pyramiden (Snofru, Cheops, Chephren)findet im Alten Reich während der 4. Dynastiestatt (2570 –2450) [16]. Hier widerspricht sichLietaer selbst. Wenn Joseph der Erfinder dessegenreichen Korngirosystems sein sollte, mus-ste der Start des „Demurrage“-Geldes also um1400 v. Chr. angesetzt werden. Das Problem istaber, dass zu Josephs Zeit die Pyramiden bereitsseit mehr als 1000 Jahren im ägyptischen Sandstanden.

Die nun notwendige Hypothese Lietaers einerRückwärtsverlängerung des Korngirosystems ummehr als 2000 (!) Jahre [17] wird von ihm ohneBegründung postuliert: „The first pyramid ap-peared during the early dynastic period. De-murrage currencies appear sometime during thisextensive period of history, possibly during theold kingdom (2575 –2150 v. Chr.; Anm. d. Verf.).“

Page 32: ZEITSCHRIFTFÜR SOZIALÖKONOMIE · Vo r w o r t 1 während der Fußballweltmeisterschaft mag eserlaubtseindaranzuerinnern,dassSilvio Gesell das Geld einmal als den „Fußball der

[18] Diese Annahme bedeutet nicht nur einen2000-Jahre-Dornröschenschlaf in der evolutori-schen Entwicklung des Geldes, sondern ist auchim Hinblick auf das derzeitige archäologischeWissen unhaltbar.

Das Alte Reich der großen Pyramiden wardurch eine staatlich gelenkte Verteilungs- und Na-turalwirtschaft mit stark zentralistischer Staats-verwaltung gekennzeichnet [19]. Der Pharao wargrundsätzlich Eigentümer des ganzes Landes undaller Menschen. Der eingeschränkte Privatbesitzvon Boden war nur für privilegierte Menschenmöglich. Die Arbeit der Menschen im Dienste desStaates wurde in der Regel vom Staat in Natura-lien (Brot, Bier, Öl, Getreide, Kupfer, usw.) ent-lohnt. Nur in geringem Umfang gab es privateMärkte. Preise und Löhne waren staatlich fixiert.Die Herrscher kontrollierten den größten Teil derGesamtproduktion. Dieses Wirtschaftssystem “wardie Basis für die gewaltigen Leistungen, zu de-nen die altägyptische Kultur in der Lage war. [20]”Keine Spur von Marktwirtschaft und Geldexis-tenz, geschweige von irgendwelchen privatendemokratisch kontrollierten “Yin-Währungen”.Erst im späten Neuen Reich (ab ca. 1300 v. Chr.)gibt es Anzeichen für eine gewisse Präferenzvon Silber, Kupfer und Getreide in Entlohnungs-und Tauschbeziehungen.

Die These vom Zusammenhang zwischen Pyra-midenbau und „Demurrage“-Währung ist (leider!)ein monetäres Märchen, mit dem sich mancheBefürworter der Komplementärwährungen leicht-fertig dem Spott ihrer Kritiker aussetzen.

Anmerkungen

[1] Vgl. Ulrich Busch und Ulrike Busch, Die Brakteaten des Mittel-alters – ein historisches Phänomen von aktueller Bedeutung?,in: Zeitschrift für Sozialökonomie, Nr. 135 (2002), S. 15-23.

[2] Nach Gimpel gibt es unterschiedliche Beweggründe für den“Kathedralenkreuzzug”, die zeitlich zusammenfielen: die Spen-denbereitschaft der Kaufleute zur Befreiung des schlechtenGewissens bedingt durch die ökonomische Blüte, Ablaßge-währung, fanatischer Lokalpatriotismus und “Weltrekordfieber”.Vgl. Jean Gimpel, Die Kathedralenbauer, Holm 1996, S. 25ff.

[3] Siehe u.a. Karl Walker, Das Geld in der Geschichte, Lauf beiNürnberg 1959 und Hans Weitkamp, Das Hochmittelalter – einGeschenk des Geldwesens, Lindenberg 1988.

[4] Siehe Bernard A. Lietaer, Mysterium Geld, Emotionale Bedeu-tung und Wirkungsweise eines Tabus, München 2000. Lietaer

griff die These bereits 1996 in seinem Manuskript “A GlobalCurrency Proposal” auf, sowie 1997 in dem in der ZeitschriftYes veröffentlichten Interview. Siehe B. Lietaer im Gesprächmit Sarah van Gelder, in: Yes, Nr. 2 (1997): http://www.yes-magazine.org/article.asp?ID=886

[5] Lietaer (2000), S. 157.[6] In der Geschichte gibt es auch viele andere Beispiele kultu-

reller und bautechnischer Höchstleistungen, die bis heute zubesichtigen sind. Der Bau des Colosseums in Rom oder derAkropolis in Athen hat aber sicherlich keine komplementärwährungshistorischen Hintergründe.

[7] Vgl. Friedrich Preisigke, Girowesen im griechischen Ägyptenenthaltend Korngiro Geldgiro Girobanknotariat mit Einschlußdes Archivwesens, Straßburg 1910 (Nachdruck Hildesheim –New York 1971).

[8] Vgl. Hugo Godschalk, Die geldlose Wirtschaft, Vom Tempel-tausch bis zum Barter-Club, Berlin 1986, S. 17 f.

[9] Lietaer im Interview mit Hans-Peter Studer: http://www.kurskontakte.de/article/show/article_424bf978dfd28.html

[10] Vgl. Lietaer im Interview mit Sarah van Gelder (1997).[11] Vgl. Preisigke, S. 3.[12] Vgl. Glyn Davies, History of Money, From ancient times to the

present day, Cardiff 2002, S. 52ff.[13] Matthias Schulz, Perle des Mittelmeers, in: Der Spiegel, Nr. 19

vom 8. Mai 2006, S. 169. Die aktuelle Ausstellung „Ägyptensversunkene Schätze“ im Martin-Gropius-Bau (Berlin) zeigt diespektakulären Unterwasserfunde aus der ptolemäischen Zeit.

[14] Lietaer bezeichnet die Ko-Existenz einer Inlandswährung miteiner nur für den Fernhandel genutzten Außen-Währung be-reits als Beispiel einer Komplementärwährung. Vgl. Lietaer (2000),S. 216. Gemäß dieser Definition hat es aber unzählige Fällehistorischer Komplementärwährungen gegeben. Eine Komple-mentärwährung soll aber – gerade im Hinblick auf ihre öko-nomische Wirkung – komplementär und substitutiv zu derKernwährung innerhalb einer Volkswirtschaft bzw. innerhalbeines Wirtschaftsraums genutzt und akzeptiert werden.

[15] Vgl. Preisigke (1910), S. 187[16] Erste Stufenpyramiden (Sakkara) gab es unter König Djoser

bereits in der 3. Dynastie (2635-2570 v. Chr.).[17] In diesem Beitrag wird die Mainstream Ägypten-Chronologie

zugrundegelegt. Kritiker, wie Heinsohn und Illig werfen dieserZeitrechnung vor, daß viele Phantom-Perioden enthalten sind.Durch das radikale Zusammenstreichen dieser Phantomperio-den verkürzen Heinsohn und Illig die ägyptische Chronologieund verlegen die Bauperiode der großen Pyramiden ins 7. Jahr-hundert v. Chr. Siehe Gunnar Heinsohn und Heribert Illig, Wannlebten die Pharaonen?, Gräfelfing 1997. Diese abweichendeChronologie bietet allerdings für Lietaer keine Rettung, dennzwischen der Pyramiden-Zeit und dem ptolemäischen Ägyptenliegen mehrere hundert Jahre und für die Pyramiden-Zeit giltweiterhin die geldlose Naturalienwirtschaft.

[18] Bernard A. Lietaer und Stephen M. Belgin, Of human wealth,New Money for a New World, Pre-publication edition, Version4.1, Boulder 2006, S. 86.

[19] Zum Wirtschaftsleben im Alten Ägypten siehe u.a. o.V. (2001),Die Kaufleute segeln flußab und flußauf, Wirtschaftsleben imAlten Ägypten: http://www.judithmathes.de/aegypten/arbeit/wirtschaft.htm und Manfred Gutgesell, Arbeiter und Pharao-nen, Wirtschafts- und Sozialgeschichte im Alten Ägypten, Hil-desheim 1989.

[20] Gutgesell (1989), S. 34.

31Hugo Godschalk: Wurden die ägyptischen Pyramiden mit einer „Demurrage“-Währung gebaut?

Zeitschrift für Sozialökonomie 149/2006

Page 33: ZEITSCHRIFTFÜR SOZIALÖKONOMIE · Vo r w o r t 1 während der Fußballweltmeisterschaft mag eserlaubtseindaranzuerinnern,dassSilvio Gesell das Geld einmal als den „Fußball der

32

Zeitschrift für Sozialökonomie 149/2006

Rückblick auf die „Gründerzeit“

Seit der Einführung des Euro am 1. Januar2002 sind in Deutschland und Österreich 16Regionalgelder eingeführt worden. Dazu gehörtder wohl am bekanntesten gewordene „Chiem-gauer“, der am 1. Januar 2003 das Licht der Welterblickte und inzwischen von 430 Anbieternakzeptiert wird.

Mehr als 1.200 Mitglieder haben das Umsatz-Volumen des Chiemgauers im Jahr 2005 auf720.000 Euro verdoppelt, die Umlaufgeschwindig-keit eines Chiemgauers ist mit 15,7 bereits dreiMal so hoch wie die eines Euros [1]. Seit dem Me-dienerfolg des Chiemgauers und der Gründung desRegionetzwerks im August 2003 formieren sichimmer mehr Initiativen, von denen viele sich amErfolg des Chiemgauer-Modells orientieren.

Noch vor dem Euro startete bereits im Sep-tember 2001 der Bremer „Roland“ mit inzwisch-en über 140 Teilnehmer/innen. Aufgrund seinerengen Kopplung an ökologische Landwirtschafts-Kreisläufe ist der Nutzerkreis dieser Währungkleiner als beim Chiemgauer. Die Initiator/innendes Roland verstehen sich gemäß ihrer Rechts-auffassung als nicht unter das Kreditwesengesetzfallende Organisation [2] und haben inzwischenauch Spar- und Darlehenskonten eingerichtet.

Im Januar 2004 startete mit dem „KannWas“in Schleswig-Holstein die erste landesweite Re-gionalwährung, im März 2004 folgte mit dem„Justus“ das erste nicht-euro-gedeckte Regio-geld in Gießen. Große Aufmerksamkeit erfuhrdann wieder die Einführung des von der Bundes-druckerei gedruckten und gesponserten „Ber-liners“ [3] im Februar 2005 in Anwesenheit des da-maligen Bundestagspräsidenten Wolfgang ThierseMdB [4], nachdem dpa eine Falschmeldung her-ausgab und korrigierte, der Berliner solle denEuro in der Bundeshauptstadt ersetzen.

Entwicklungsstand und Perspektivender Regionalgeldbewegung

Ralf Becker

In Österreich erfährt der „Waldviertler“ be-reits Unterstützung durch die Bundesregierung –die österreichische Arbeiterkammer finanziertsieben Stellen zum Ausbau dieses Regiogeldes(in der Region um Schrems und Waidhofen ander Grenze zu Tschechien). Zuletzt starteten der„Volmetaler“ in Hagen mit beachtlichen 120Akzeptanzstellen und die „Bürgerblüte“ in Kas-sel. In Kürze kommt als nächstes Regiogeld inPotsdam die „Havelblüte“ hinzu.

Eine Übersicht über den derzeitigen Stand derin Deutschland bereits tätigen und der noch inVorbereitung befindlichen Regionalgeldinitiati-ven vermittelt die nachfolgende Grafik (mitdirekten Links auf die Internetseiten der einzel-nen Initiativen unter www.regiogeld.de):

� existierender Regio �Regio in Vorbereitung

Page 34: ZEITSCHRIFTFÜR SOZIALÖKONOMIE · Vo r w o r t 1 während der Fußballweltmeisterschaft mag eserlaubtseindaranzuerinnern,dassSilvio Gesell das Geld einmal als den „Fußball der

33Ralf Becker: Entwicklungsstand und Perspektiven der Regionalgeldbewegung

Zeitschrift für Sozialökonomie 149/2006

Neuere Varianten und Konfliktlinien

Als Modellprojekt des im Februar 2006 ausdem Regionetzwerk hervorgegangenen Regio-geld-Verbandes erforscht der „Sterntaler“ imBerchtesgadener Landa) die Kombination von Zeit und Geld in einem

Scheinb) die Kompatibilität zum Chiemgauer (der in

Teilen der Sterntaler-Region ebenfalls ak-zeptiert wird)

c) Landesübergreifende Währungen (Grenzüber-schreitung nach Österreich)

d) das Ziel weitgehender Eigenfinanzierung.Für die Regiobewegung ist der Sterntaler da-

mit gleich in mehrfacher Hinsicht ein Vorreiter –in der Verknüpfung eines bestehenden Tausch-ringes mit Regiogeld, im Ausloten der Koopera-tion mit einer unmittelbar benachbarten Regio-nalwährung und insbesondere hinsichtlich derEigenfinanzierung des gesamten Projekts [5].

Einführung von Regiogeld-Girokonten

Neben dem Bremer „Roland“ betreibt bereitsder „Urstromtaler“ in Sachsen-Anhalt Regiogeld-Girokonten. Derzeit wird auf mehreren Ebenendaran gearbeitet, aufbauend auf Tauschring-Soft-ware und gekoppelt an herkömmliche Banken-Software die Abwicklung auch sehr großer undzahlreicher Girokonten-Trans-aktionen in Regiogeld zu er-möglichen.

Schon seit dem letzten Jahrkann man Chiemgauer mittelsder Chiemgauer-Card an diver-sen Bankautomaten erwerben– ein erster Schritt zur edv-technischen Weiterentwicklungdes bisherigen Gutscheinsy-stems. Auch steht bereits eineVereinbarung und Konzeptionmit der GLS-Bank zum Aufbaueines Chiemgauer-Girokonten-Systems, das zukünftig vonallen euro-gedeckten Regio-geld-Initiativen in Koopera-tion mit der GLS- oder regio-

nalen Banken und Sparkassen genutzt werdenkönnte.

Einen anderen Weg geht der Karlsruher „Carlo“,der in Kooperation mit „Besser ohne Zins“ inStuttgart [6] derzeit ein Girokontensystem plant,das in der Rechtsform einer Gesellschaft bürger-lichen Rechts den Betrieb von Girokonten ohneBanklizenz ermöglicht. Die Sparkasse Leipzigplant die Herausgabe eines Regionalgeldes, daskomplett auf einem Girokontensystem aufbaut.

Vom Schülerunternehmen zurGenossenschaft

Der stark wachsende Chiemgauer hat sichlängst vom Schülerunternehmen zum professio-nellen Verein weiter entwickelt, der wie derSterntaler beabsichtigt, 2007 eine Genossen-schaft für den Betrieb des Regiogeldes zu grün-den. Ab Herbst 2006 ist ausgehend von einerEU-Richtlinie in Deutschland eine rechtlicheErleichterung der Gründung kleinerer Genossen-schaften zu erwarten [7]. Neben Genossenschaf-ten mit wirtschaftlichen Zwecken sind dann auchGenossenschaften mit vornehmlich sozialen undkulturellen Zwecken erlaubt – eine Mischung, dieals Organisationsform für wachsende Regiogeld-Initiativen ideal erscheint.

Die Gründung von Genossenschaften ging im19. Jahrhundert insbesondere auf die Initiativen

Page 35: ZEITSCHRIFTFÜR SOZIALÖKONOMIE · Vo r w o r t 1 während der Fußballweltmeisterschaft mag eserlaubtseindaranzuerinnern,dassSilvio Gesell das Geld einmal als den „Fußball der

34 Ralf Becker: Entwicklungsstand und Perspektiven der Regionalgeldbewegung

Zeitschrift für Sozialökonomie 149/2006

von Herrmann Schultze-Delitzsch (1808–1883)und Friedrich Wilhelm Raiffeisen (1818–1888)zurück, die mit diesem Selbsthilfeinstrument diein ihren Regionen daniederliegende Wirtschaftwieder belebt haben. Es ist erstaunlich, dassnun sowohl in der Heimatstadt von HerrmannSchultze in Delitzsch eine Sparkasse die Heraus-gabe eines Regiogeldes zur Unterstützung derheimischen Wirtschaft betreibt [8] als auch in derHeimat von Friedrich Wilhelm Raiffeisen gleichzwei Regiogeld-Initiativen entstanden sind. InDelitzsch soll Regiogeld in Analogie zum Schwei-zer WIR-Franken herausgegeben werden. Ab-hängig vom Ergebnis einer für die nächstenWochen erwarteten Machbarkeitsstudie ist dortein regionales Barter-System zwischen Firmen,Freiberuflern und ggfs. Privatpersonen sowieein regionales Prepaid-Kartensystem für Endver-braucher geplant.

Unterschiede zwischen westdeutschenund ostdeutschen Initiativen

Die ostdeutschen Regiogeld-Initiativen habensich wegen ihrer besonderen Ausgangslage alsRegio Initiativen Ost (RIO) zusammengeschlos-sen. Versuche, in Ostdeutschland das in West-deutschland so erfolgreiche Modell des Chiem-gauers einzuführen, stießen bisher auf Schwierig-keiten. In Ostdeutschland scheinen zu wenigEuros in Umlauf und zu wenig Unternehmenaktiv zu sein, so dass die Ausgabe von Regio-geld im Tausch gegen Euro dort bisher keinedem Chiemgauer vergleichbaren Erfolge erzielenkonnte.

Aus dieser Erkenntnis heraus ist der in Sachsen-Anhalt gültige „Urstromtaler“ bereits als lei-stungsgedeckte Währung konzipiert, die nur imAusnahmefall auch gegen Euro erworben werdenkann. Wer bereit ist, Leistungen (Waren, Arbeits-oder Dienstleistungen) für Urstromtaler (voll-ständig oder anteilig) anzubieten und so selbstzur Akzeptanzstelle zu werden, kann bei derVerrechnungsstelle ein Konto mit vereinbarterunterer Begrenzung eröffnen und erwirbt somitdie Möglichkeit, wie in einem Tauschring Über-weisungen von Urstromtalern an andere Nutzervorzunehmen oder sich von diesem Konto Wert-

gutscheine auszahlen zu lassen. Jede/r Teil-nehmer/in kann auch 20 Urstromtaler Wertgut-scheine gegen Quittung als sog. Starterkit er-halten – mit der Verpflichtung zur Rückgabe desempfangenen Wertes zu einem späteren Zeit-punkt in Urstromtalern oder in Euro [9].

Die Potsdamer Initiative „Havelblüte“ ist alskomplett leistungsgedeckte Währung konzipiertund knüpft die Menge des emittierten Regio-geldes neben der Akzeptanzquote direkt an dieAnzahl von Arbeitsplätzen – und schafft damiteinen wegweisenden Bezug zu den Zielen vonRegiogeldern [10].

Innerhalb der ostdeutschen Initiativen gibtes auch Überlegungen, ähnlich dem WÄRA-Ver-rechnungsring aus der Zeit von 1926 bis 1931eine übergreifende Vernetzung aufzubauen, umtrotz der relativ geringen Dichte von Unterneh-men im Allgemeinen und Regiogeld-Akzeptanz-stellen im Besonderen endogene Wirtschafts-kreisläufe stärker zu beleben.

In Dessau betreibt die Dessau AG als ersteOrganisation direkte Konkurrenz zu einem be-reits bestehenden Regiogeld, dem „Urstromta-ler“. Im Dezember 2005 startete in Dessau dieDe(ssau)Mark als Barterwährung, die im Jahr2006 durch ein DeMark-Gutscheinsystem ergänztwerden soll [11].

Aktuelle Konfliktfelder im BereichRegiogeld

Mit der Dessau AG übernimmt ein privaterVerein die Idee der Regiogeld-Initiativen, derdurch eine EU-Förderung bei seiner Konstitutionvergleichbar umfangreiche öffentliche Mittel zurVerfügung hatte. Zudem ist er mit einem ehe-maligen Regierungspräsidenten, DGB-Vorsitzen-den, amtierenden Landrat und Hochschulpräsi-denten deutlich prominenter besetzt als bishe-rige Regiogeld-Initiativen.

Mit einem regionalen Barterring, der geplan-ten Einführung eines Regiogeldes und einerRegiocard nutzt die Dessau AG umfangreicheVorarbeiten der bisherigen Regio-Initiativen,ohne deren bisherige Organisationskultur zuübernehmen. Gespräche mit dem Vorstand desRegiogeldverbandes haben ergeben, dass zu-

Page 36: ZEITSCHRIFTFÜR SOZIALÖKONOMIE · Vo r w o r t 1 während der Fußballweltmeisterschaft mag eserlaubtseindaranzuerinnern,dassSilvio Gesell das Geld einmal als den „Fußball der

35Ralf Becker: Entwicklungsstand und Perspektiven der Regionalgeldbewegung

Zeitschrift für Sozialökonomie 149/2006

nächst nicht die Dessau AG als Ganzes, sondernnur deren Regiogeld betreibende Initiative füreine Mitgliedschaft im Verband und damit auchAnerkennung dessen Qualitätskriterien in Fragekommt.

Ähnlich herausfordernd ist die geplante Ein-führung eines Regiogeldes durch die SparkasseLeipzig, die im letzten Jahr die Sparkasse De-litzsch übernommen hat und tendenziell ge-winnorientiert ausgerichtet ist – d.h. in diesemPunkt die Qualitätsstandards des Regiogeld-Ver-bandes nicht automatisch erfüllt.

Mit dem regionalen Marshallplan des öster-reichischen Ministeriums für Wirtschaft und Ar-beit sowie der Arbeiterkammer Niederösterreichwurde jüngst im Waldviertel neben der dortbestehenden Waldviertler-Initiative ein neuerVerein gegründet, der den bereits existierenden„Waldviertler“ übernehmen und weiterentwickelnsoll. Dabei fließen zwar nun umfangreiche per-sonelle und finanzielle Mittel in diese Region;doch gleichzeitig wächst die Gefahr, dass sichaus Wien in die Region ‚eingeflogene’ Expertenim Schnelldurchgang technische Aspekte einerRegionalwährung aneignen, ohne deren sozialeBedeutung und Funktionsweise zu durchdringen.So plädierte die Arbeiterkammer jüngst auf ei-nem Kolloquium der Initiative strikt für dieAbschaffung der Geldumlaufsicherung.

Einerseits besteht also die Chance, dass Re-giogelder zukünftig aus ihrer bisherigen Nischegeführt werden. Andererseits besteht die Gefahr,dass ihr Charakter dabei wesentlich verändertwird. Das Fachkompetenznetzwerk des Regio-geld-Verbandes beschäftigt sich mit dieser Frageund empfiehlt dem Verband tendenziell eineÖffnung in wirtschaftlicher und kommerziellerRichtung.

Eine mögliche Lösung dieses Konflikts könntedarin bestehen, dass Verbandsmitglieder selbstzwar weiterhin eindeutig gemeinwohl-, d.h.nicht-gewinnorientiert ausgerichtet bleiben könn-ten, mit dem Betrieb ihrer Regionalwährung je-doch auch gewinnorientierte Organisationen be-auftragen könnten. Bisher konnten entsprechen-de Konflikte durch umsichtiges Verhalten derKonfliktpartner stets konstruktiv gelöst werden.So kooperieren inzwischen auch der Urstromtaler

und die Dessau AG. Der Waldviertler-Verein istdem Regiogeld-Verband beigetreten.

In der Frage der Umlaufsicherung ermöglichtder Regiogeld e.V. bisher auch Regiogeldernohne strenge Umlaufsicherung mit folgender For-mulierung seiner Qualitätskriterien eine Mitglied-schaft: „Neutralität im Austausch: Die Neutrali-tät des Verrechnungsmittels ist über geeigneteInstrumente, wie zum Beispiel einen Umlauf-Impuls oder eine Ablauffrist sicherzustellen. In-strumente im Spar- und Investitionsbereich die-nen dazu, den Guthabenzins auf ein verteilungs-neutrales Maß zu senken.“

Konkurrenz und Kooperation mitBonuscard-Betreibern

In vielen Regionen wurden in den letztenJahren in Zusammenarbeit mit Zeitungsverlagensog. Bonuscards eingeführt, die den beteiligtenVerbrauchern (und Zeitungsabonnenten) Rabattebei den teilnehmenden Händlern gewähren [12].Gewinn bringt diese Aktion zumeist den kriseln-den Zeitungen durch die damit verbundenenInserate und die Bindung von Abonnenten so-wie dem gewinnorientierten Bonuscard-Betrei-ber, der über die verspätete Auszahlung derBoni-Guthaben neben Gebühren zinslose Kreditein großer Höhe erhält [13]. Verlierer dieser mitgroßer Medienwirkung eingeführten Kartensy-steme sind die beteiligten Händler, die teilweisebis zu 15% Rabatte und Gebühren zahlen.

In der Grafschaft Bentheim und anderen Re-gionen wurde der Aufbau von Regiogeldern ge-stoppt, da die Einführung eines Regiogeldes denBeteiligten zusätzlich zu bestehenden Bonus-cards nicht vermittelbar wäre. Im Emsland eru-ieren die Initiatoren des „Emstalers“ daher überdie maßgeblichen Zeitungen die Möglichkeit ei-ner Kooperation zwischen beiden Systemen.Theoretisch wäre eine Weiterentwicklung vonvornehmlich gewinnorientierten Euro-Bonuscardszu vornehmlich gemeinwohlorientierten Regio-geldern denkbar – ob die Bonuscard-Betreiberdiesen Weg mitgehen werden, bleibt abzuwar-ten.

Page 37: ZEITSCHRIFTFÜR SOZIALÖKONOMIE · Vo r w o r t 1 während der Fußballweltmeisterschaft mag eserlaubtseindaranzuerinnern,dassSilvio Gesell das Geld einmal als den „Fußball der

36

Zeitschrift für Sozialökonomie 149/2006

Ralf Becker: Entwicklungsstand und Perspektiven der Regionalgeldbewegung

Wissenschaftliche Begleitung derPraxis

In der letzten Zeit sind bereits zahlreicheDiplomarbeiten und auch Dissertationen zumThema Regiogeld geschrieben oder begonnenworden, deren Verfasser/innen sich im NetzwerkMonetäre Nachhaltigkeit www.mona-netz.de zu-sammen geschlossen haben. Dessen Verhältniszum neuen Regiogeld-Verband bedarf noch derKlärung.

Angegliedert beim Regiogeld-Verband hat sichzudem ein Kompetenznetzwerk von Fachleutenverschiedener Berufsgruppen sowie aus Wissen-schaft und Forschung gebildet, das theoretischeund konzeptionelle Grundlagenarbeit betreibt,Forschungsarbeiten vernetzt und Regio-Initia-tiven berät. In diesem Netzwerk werden u.a.eine Buchveröffentlichung zum Thema Regiogeldund Wirtschaft, eine Dissertation zur Klassifika-tion von Komplementärwährungen und eine Über-sicht zur Girokontenführung von Regiogeldernvorbereitet. Neben der Arbeitsgruppe Entwick-lungspotential von Regiogeld ist eine Arbeits-gruppe Antisemitismus um Klarstellungen be-müht, dass die Geld- und Zinskritik keinen an-tisemitischen Hintergrund hat – vielmehr demAntisemitismus die Grundlage entziehen soll.Regionalisierung der Wirtschaft bedeutet keineWiederkehr des Nationalismus durch regionaleHintertüren, sondern gemäß der Devise „Regioergänzt Euro“ eine Integration gestärkter regio-naler Wirtschaftskreisläufe in eine offene euro-päische und globale Wirtschaft.

Das Fachkompetenznetzwerk diskutiert aktuellauch das Verhältnis von Regiogeldern zu bereitsbestehenden anderen Nebengeld-Arten wie Miles-and-More. Neben dem bestehenden Euro-Geld-system existieren bereits zahlreiche andere kom-plementäre Geld- oder geldähnliche Systeme.Diese könnten in ihrer Gesamtheit z.B. durchdie Gründung eines Nebengeld-Verbandes oder –Instituts breiter in das Bewusstsein der Öffent-lichkeit transportiert werden. Solch ein – bisherallerdings nur vage angedachtes - Institut könn-te weitergehend auch als Kommunikationsplatt-form zu den Wirtschaftswissenschaften wie auchzur Deutschen Bundesbank und zur Europäischen

Zentralbank fungieren. In dieser Hinsicht wirdauch der Club-of-Rome-Bericht 2006 mit demTitel „Money and Sustainability – The MissingLink“ wirken, der eine Vielfalt monetärer Instru-mente zur Erreichung von Nachhaltigkeitszielenbeschreibt und empfiehlt.

Vom Netzwerk zum Verband

Als im Sommer 2005 dem schleswig-holsteini-schen „KannWas“ in Medienberichten eine Nähezur NPD unterstellt wurde, kam es innerhalb desRegionetzwerks zu heftigen internen Auseinan-dersetzungen um die Frage, wie das Netzwerk mitsolchen Vorwürfen gegen einzelne Mitgliedsini-tiativen umgehen und wie es darauf nach innenund außen reagieren könnte. Dabei trat ein Man-gel an demokratischen Entscheidungsstrukturenzu Tage, der Anlass zu Bestrebungen gab, das Netz-werk in einen Verband zu überführen. Zur Grün-dung eines solchen Verbandes kam es auf einemTreffen der Initiativen am 3. Februar 2006 inTraunstein. Zum 1.Vorsitzenden wurde der Rechts-anwalt und Initiator vom „Urstromtaler“ FrankJansky gewählt, darüber hinaus leiten nun mitFranz Galler als Inititiator des „Sterntaler“ undChristian Gelleri als Gründer des „Chiemgauers“die Geschicke der Regiogeld-Bewegung.

Der Verband versucht basisdemokratisch krea-tive mit effektiv hierarchischen Arbeitsstruk-turen zu verbinden. Weitergehend als das bis-herige Regionetzwerk, das im Sommer 2006 auf-gelöst werden soll, wird der Verband eine öffent-liche und politische Interessenvertretung derRegio-Initiativen übernehmen. Margrit Kennedyist nun nicht mehr Koordinatorin des Netzwerks,sondern konzentriert sich zukünftig auf ihreVermittlerrolle zu anderen internationalen Regio-geld-Initiativen.

Im Laufe des Übergangs vom Regionetzwerkzum Regiogeld-Verband konnten bislang sowohldie Auseinandersetzungen mit den Vorwürfendes Rechtsextremismus als auch die durch un-mittelbare Konkurrenz-Situationen entstandenenInteressenkonflikte mit Hilfe einer bewusstenAnwendung von Methoden der gewaltfreien Kom-munikation im Sinne von Marshall B. Rosenbergkonstruktiv gelöst werden [14].

Page 38: ZEITSCHRIFTFÜR SOZIALÖKONOMIE · Vo r w o r t 1 während der Fußballweltmeisterschaft mag eserlaubtseindaranzuerinnern,dassSilvio Gesell das Geld einmal als den „Fußball der

37

Zeitschrift für Sozialökonomie 149/2006

Ralf Becker: Entwicklungsstand und Perspektiven der Regionalgeldbewegung

Perspektiven

Im Regiogeld-Verband selbst könnte sich zu-künftig neben einer zunehmenden regionalenVernetzung der Regio-Initiativen in ca. vier bisfünf deutschen sowie einem schweizerischenund österreichischem Netzwerk auch ein Ausbauzu einem Europäischen Regionalgeld-Verband er-geben.

Auf einem Regionalgeld-Forum der Friedrich-Ebert-Stiftung in Sachsen-Anhalt im Frühjahr2005 versprach der damalige parlamentarischeStaatsekretär im Bundesministerium für Bildungund Forschung, Ulrich Kasparick MdB, den Regio-geld-Verband im Jahr 2006 bei der Vorbereitungeiner Anhörung im Deutschen Bundestag zumThema Regiogeld zu unterstützen. Damit eineAnhörung im Bundestag von allen Fraktionenunterstützt wird, werden nun die Namen vonBundestagsabgeordneten benötigt, die für dasRegionalgeldthema offen sind oder es bereitsexplizit unterstützen (entsprechende Hinweisenimmt der Autor gern entgegen).

Nach Einschätzung von Dr. Rösl vom Zentral-bereich Volkswirtschaft der Deutschen Bundes-bank sind Regiogelder trotz ihres Aufdrucks„Gutschein“ Geld im ökonomischen Sinne, da siedie Geldfunktionen Zahlungsmittel, Rechenein-heit und Wertaufbewahrungsmittel erfüllen. Dasie jedoch nicht alle Geldfunktionen uneinge-schränkt erfüllten und relativ teuer seien, spiel-ten sie derzeit aus gesamtwirtschaftlicher Sichtkeine nennenswerte Rolle [15] – eine Einschätzung,die auch H. Creutz vertritt [16].

Rösl hatte im Frühjahr 2005 einen kritischenArtikel veröffentlicht, in dem er den Regiogeld-Initiativen vorwarf, sich persönlich bereichernzu wollen [17]. Diese Kritik äußert er inzwischennicht mehr – auf Nachfrage attestiert er denInitiativen vielmehr einen hohen Grad an Trans-parenz und Vertrauenswürdigkeit [18]. Positiv ein-zuschätzen sei auch die Werbewirksamkeit derGelder für die jeweilige Region.

Erstaunlich ist, dass Rösl leistungsgedeckteRegionalwährungen und regionale Barterringeals ökonomisch sinnvoll bezeichnet, da diese imUnterschied zu euro-gedeckten Regiogeldernzusätzliche Liquidität in Regionen bringe, wo

diese fehle [19]. Bislang wurde eher vermutet,dass die Bundesbank euro-gedeckte Regiogelderbevorzuge, da sie diese über ihr Euro-Monopolzumindest mittelbar steuern kann.

Da Regiogelder derzeit und zukünftig nichtdie Preisstabilität des Euros gefährden, scheinenzumindest von Seiten der Deutschen Bundesbankauf absehbare Zeit keine Aktivitäten in Richtungvon Verboten von Regionalgeldern auszugehen.Mit exakt 0,00002 % der umlaufenden Bar- undGirogeldmenge seien Regionalgelder derzeit volks-wirtschaftlich mehr als unbedeutend [20].

Während einer Diskussion zum Thema Regio-nalgeld im Geldmuseum der Deutschen Bundes-bank im April 2006 stimmte Rösl zwar zu, dasseine u.a. von den Ökonomen Fisher und Keynesbefürwortete Zinssenkung die Arbeitslosigkeitreduzieren könne; doch auf deren Gedankenge-bäude gebe heute in der Bundesbank niemandmehr etwas. Die Bundesbank orientiere sich striktan ihrer Aufgabe, für Preisstabilität zu sorgen,so Rösl.

Hütet die Bundesbank entsprechend ihrem ge-setzlichem Auftrag in erster Linie die Preissta-bilität des Euro und sieht sie diese tatsachen-gemäß durch Regionalgelder nicht gefährdet, sokönnte der Weg frei sein, über parlamentarischeInitiativen eine Anerkennung von Regiogeld alsinnovativem Instrument nachhaltiger Politik zuerlangen, wie dies im Bericht 2006 an den Clubof Rome der Fall sein wird [21]. Parlamentarier/innen vertreten ihrem Auftrag gemäß sehr vielweiter gespannte Interessen als die DeutscheBundesbank. Es wäre wünschenswert, dass zu-künftig ein Regionalgeld-Verband mit gemein-wohlorientierten Qualitätskriterien gegenüberRegiogeld herausgebenden Banken ähnlich wiedie Deutsche Bundesbank gegenüber Euros ver-waltenden Banken als Hüter allgemeiner Inte-ressen anerkannt würde.

Anmerkungen

[1] Chiemgauer Jahresstatistik 2005 vom 23.02.2006, www.chiemgauer.info

[2] Steinbach, M., Institut für Soziale Ökologie: Der Roland-Gut-schein – eine (verfassungs)rechtliche Beurteilung, Bremen2002, www.roland-regional.de

[3] Pressemeldung der Bundesdruckerei GmbH v. 7.2.2005, www.bundesdruckerei.de

Page 39: ZEITSCHRIFTFÜR SOZIALÖKONOMIE · Vo r w o r t 1 während der Fußballweltmeisterschaft mag eserlaubtseindaranzuerinnern,dassSilvio Gesell das Geld einmal als den „Fußball der

38

Zeitschrift für Sozialökonomie 149/2006

Ralf Becker: Entwicklungsstand und Perspektiven der Regionalgeldbewegung | Leserbriefe

[4] dokumentiert in der Galerie des www.berliner-regional.de[5] Der Sterntaler veröffentlicht besonders umfangreiche Infor-

mationen auf seiner Homepage www.star-mach-mit.com[6] www.ozb-stuttgart.de[7] Siehe entsprechende Entwürfe eines Gesetzes zur Einführung

der Europäischen Genossenschaft und zur Änderung des Ge-nossenschaftsrechts in Deutschland unter www.bmj.bund.de/media/archive/1115.pdf und in Österreich: Genossenschafts-rechtsänderungsgesetz 2006 sowie dessen Erläuterungen unterwww.bmj.gv.at/gesetzesentwuerfe

[8] Gründler, E.: Klein Geld – Geld macht erfinderisch. Vor allem,wenn es fehlt. Da kommt man auf die besten Ideen. Und er-findet neues Geld, in: Brand Eins 05/04, S. 104-108.

[9] ‚Ausgabe- und Nutzungsmöglichkeiten der Regionalwährung„Urstromtaler“’ unter www.urstromtaler.de

[10] „Startkontingent für Unternehmen“ unter www.havelblueten.de[11] P.T. Magazin für Wirtschaft, Politik und Kultur vom 02.04.

2006: „Mit Tauschgeschäften und Regiogeld gegen die Wirt-schaftskrise“.

[12] Siehe u.a. www.payback.de, www.loyaltypartner.com, www.bonuscard.ch und www.bonuscards.at

[13] Vgl. Rösl, G.: Regionalwährungen in Deutschland, in: Wirt-schaftsdienst 3/2005, S. 190.

[14] Siehe u.a. www.gewaltfrei-kommunizieren.de[15] Rösl, G.: Regionalwährungen in Deutschland, in: Wirtschafts-

dienst 3/2005, S. 184 ff.[16] Creutz, H.: Möglichkeiten und Grenzen praktischer Geldexperi-

mente, in: Zeitschrift für Sozialökonomie Nr. 144, März 2005,S. 29 ff.

[17] Rösl, G.: Regionalgeld in Deutschland – Lokale Konkurrenz fürden Euro?, in: Bundesbankmagazin 2/2005, S. 16-18; vgl. dazuauch den Kommentar von Hugo Godschalk in diesem Heft.

[18] Rösl, G.: Regionalwährungen in Deutschland, in: Wirtschafts-dienst 3/2005, S. 182-190.

[19] So Rösl auf seinem Vortrag „Regionalwährungen: Ein Beitragzur lokalen Wirtschaftsförderung?" am 19.04.2006 im Geldmu-seum der Deutschen Bundesbank. Diese Meinung gilt jedochbisher nicht als Meinung der Bundesbank, die sich offiziell zuRegionalwährungen noch nicht geäußert hat.

[20] So Rösl auf seinem Vortrag „Regionalwährungen: Ein Beitragzur lokalen Wirtschaftsförderung?" am 19.04.2006 im Geld-museum der Deutschen Bundesbank.

[21] Der wesentlich von B. Lietaer und S. Brunnhuber verfassteBericht mit dem Titel „Money and Sustainability – The MissingLink“ wird im Sommer 2006 veröffentlicht werden.

Geldschöpfung der Geschäftsbanken� Zu den Beiträgen in der Folge 147 /Dezember2005 der „Zeitschrift für Sozialökonomie“ gingendie beiden folgenden Leserbriefe ein:

� Da ich alle Aufklärungsbemühungen in Sachenunseres derzeitigen Geld- und Zinssystems ver-folge und unterstütze, habe ich auch die Bei-träge zur Frage der Geldschöpfung bei den Ban-ken mit Interesse gelesen. Dies umso mehr, alsich auf Grund meiner 40-jährigen Bankerfahrung-en, davon 30 Jahre als Vorstandsvorsitzender derRaiffeisenbank Mittleres Unterinntal und Vorstanddes Förderungsvereins der Primärbanken, mit die-ser Materie vertraut bin.

Überrascht hat mich bei der Lektüre der Bei-träge, dass nur einer der Autoren bei seinenUntersuchungen die Bank-Realitäten mit einbe-zieht, während sich die anderen fast ausschließ-lich im theoretischen Raum bewegen. Da es imRahmen dieses Leserbriefes kaum möglich ist,auf diese manchmal mysteriösen Vorstellungenvon der (Giral)Geldschöpfung der Banken detail-lierter einzugehen, möchte ich mich in ersterLinie auf die wesentlichsten Vorschriften desBankwesengesetzes (BWG) beschränken, unterdenen die Bankgeschäfte in der Praxis ablaufen.Die Einhaltung dieser Regelungen wird durch dieveröffentlichten Daten sowohl der Österreichi-schen Nationalbank (ÖNB) als auch der europäi-schen Zentralbank (EZB) im Großen und Ganzenbestätigt. Obwohl ich mich auf die Gegeben-heiten in Österreich stütze, treffen diese meinesWissens ebenso für Deutschland zu.1. In der Bankpraxis gibt es keine Kredite ohneausreichende, bereits vorher vorhandene Ein-lagen.

Die Passivseite der Bilanz, das Mittelaufkom-men, besteht im Wesentlichen aus Verbindlich-keiten gegenüber Nichtbanken, also Kunden-Ein-lagen (Giro/Sichteinlagen, Termineinlagen, Spar-einlagen), verbrieften Verbindlichkeiten (ausge-gebenen Wertpapieren wie Anleihen und Kassen-obligationen), Einlagen bzw. Refinanzierungenvon anderen Banken, sowie aus Eigenkapital, im

L E S E R B R I E F E

Brauchen Christen ihr eigenes Geld?

„Man muss zeigen, dass es anders geht. …Ich halte es für durchführbar, ein sekundäreskirchliches Währungssystem nach dem Modellder Alternativwährungen einzuführen, die esja da und dort schon gibt. … Dieses zinsloseGeld würde rasch ausgegeben für Klosterpro-dukte und kirchliche Dienstleistungen aller Art.Ein Teil der Gehälter der Kirchenangestelltenkönnte in dieser Währung ausbezahlt werden.“

Prof. Dr. Thomas Ruster in: Publik-Forum Nr. 9/2005, S. 19–20.

Page 40: ZEITSCHRIFTFÜR SOZIALÖKONOMIE · Vo r w o r t 1 während der Fußballweltmeisterschaft mag eserlaubtseindaranzuerinnern,dassSilvio Gesell das Geld einmal als den „Fußball der

39

Zeitschrift für Sozialökonomie 149/2006

Leserbriefe

doch höchstens 14 %, incl. der bei den Noten-banken gehaltenen Mindestreserven. Das heißt,ein Teil der Kundeneinlagen steht für eine Kre-ditgewährung überhaupt nicht zur Verfügung. InÖsterreich betragen die erforderlichen liquidenMittel 40 Mrd, die nicht für Kredite zur Verfü-gung stehen.4. Einlagen als Folge von zugezählten Kre-diten sind die Basis für weitere Kredite.

Es müssen immer zuerst die Einlagen da sein,bevor ein Kredit vergeben werden kann. Erstwenn das mit dem Kredit ausgezahlte Geld füreine erneute Ersparnisbildung (Einlagen) ge-nutzt und damit die Gesamteinlagen erhöht wer-den, erhöht sich auch die Basis für zusätzlicheKreditvergaben, selbstverständlich wieder abzüg-lich der Liquiditätsreserve und bei Erhöhung deserforderlichen Eigenkapitals! Die mit dem glei-chen Geld immer wieder erneut möglichen Er-sparnisbildungen (Einlagen) und Kreditgewäh-rungen sind wahrscheinlich die Ursache für dieangenommene Geldschöpfung, bzw. sogar „mul-tiple“ Geldschöpfung, die den Banken vorgewor-fen wird. Dabei wird übersehen, dass aber den-noch stets immer ausreichende Einlagen zuerstda sein müssen!5. Banken werden laufend und mehrfach ge-prüft und überwacht.

Die Struktur einer Bankbilanz ist gemäß § 51BWG in allen Einzelpositionen genau geregelt.Außerdem werden die Vorgänge bei den Bankenmehrfach geprüft: Gesetzliche Innenrevision, Bi-lanzprüfung, externe Bankrevision, Notenbank-Prüfung, Bankenaufsicht. Auch aus den Datender ÖNB und EZB, die die relevanten Positionenaller Banken erfassen, ergeben sich keine An-satzpunkte für Geldschöpfungen in den Banken.Auch der Förderungsverein der Primärbanken (re-gionale Raiffeisen- Volksbanken und Sparkassen),erfasst und analysiert jährlich alle Bilanzen derÖsterreichischen Banken. Das Ergebnis bestätigtim Wesentlichen die Gesamtdaten der ÖNB-Sta-tistik und sieht auch keine Chance einer Geld-schöpfung, weder bei Primärbanken, noch beiGroßbanken. Für derartige, konkrete Schöpfungs-Hinweise wäre der Förderungsverein sogar aus-drücklich dankbar und er würde auch sofortöffentlich massiven Protest einlegen, wenn z. B.

BWG Eigenmittel genannt. Die Aktivseite, dieMittelverwendung umfasst großteils Kunden-Forderungen (Kredite), Wertpapiere im Eigen-depot, Guthaben bzw. Forderungen bei (oderRefinanzierungen anderer) Banken; Bargeldbe-stände sowie sonstiges Anlagevermögen (Grund-stücke, Gebäude, Einrichtungen, Beteiligungen).Aus den BWG-Vorschriften ergibt sich, dass Ein-lagen immer höher sein müssen als Kredite. ÖNBund EZB bestätigen dies auch klar, indem Ein-lagen (incl. verbrieften Verbindlichkeiten) in Öster-reich um 109 Mrd die Kredite übersteigen, im Euro-Raum beträgt der Einlagenüberhang 2.585 Mrd €.Anfang der 1970er Jahre gab es kaum Einlagen-überschüsse, daher mussten – mangels ausreich-ender Einlagen – Kreditnehmer lange auf Kredit-zuteilung warten und/oder trotz mehrfacherSicherheiten Kreditkürzungen hinnehmen. Auchheute noch müssen z. B. Bausparer (Bausparkas-sen sind auch Banken) auf eine Kreditzuteilungjahrelang warten, weil bei begrenzten EinlagenKreditzuteilungen nur nach bestimmten Anwart-schaften erfolgen, die sich aus der Verfügbarkeitder Einlagen ergeben. Eine Kreditschöpfung ohneausreichende, vorherige Einlagen war bisher niemöglich und ist auch heute nicht möglich.2. Eigenmittelvorschriften beschränken zu-dem die Kreditgewährung.

BWG § 2 Abs. 10 verlangt von den Banken Eigen-mittel von 8 % der Kreditrisiken, je Bank mind.€ 5 Mio. Nach Inkrafttreten von Basel II könn-ten es sogar – je nach Bonität – mehr sein. DieBemessungsgrundlage, auf die sich die Eigen-mittel beziehen, liegt derzeit bei allen öster-reichischen Banken bei 322 Mrd, es sind Eigen-mittel in Höhe von 25 Mrd erforderlich. Mit 48Mrd anrechenbaren Eigenmitteln wird dieses Er-fordernis derzeit deutlich übererfüllt. WeitereKreditvergaben erfordern also, neben den Er-höhungen der Kundeneinlagen, jeweils auch Er-höhungen der Eigenmittel.3. Verminderte Verwendbarkeit der Kunden-einlagen für Kreditgewährung

Beim den Kundeneinlagen müssen die Banken,gem. § 25 BWG, Liquiditätsreserven zurückhalten.Die Höhe dieser Reserven beträgt bei den Sicht-einlagen (Girokonten) 20 %, bei den Spareinla-gen 10%, bezogen auf die Gesamteinlagen je-

Page 41: ZEITSCHRIFTFÜR SOZIALÖKONOMIE · Vo r w o r t 1 während der Fußballweltmeisterschaft mag eserlaubtseindaranzuerinnern,dassSilvio Gesell das Geld einmal als den „Fußball der

40

Zeitschrift für Sozialökonomie 149/2006

Leserbriefe

Großbanken Lücken für eine Geldschöpfung ausdem Nichts nutzen könnten, die den kleinenBanken nicht zugängig sind.6. Die Buchhaltungs-Praxis sieht keine prak-tische Möglichkeit einer Geldschöpfung.

Alle Buchungsvorgänge, auch bei Krediten,Einlagen, Wertpapieran- und Verkäufen oderBargeldtransaktionen sind über Jahrzehnte hin-weg nachvollziehbar. Keine Geschäftsbank konn-te je Buchgeld aus dem Nichts schaffen, um dar-aus Kredite zu vergeben. Dies ist auch buchungs-technisch nicht darstellbar. Einlagenkonto (Ha-benkonto) und Kreditkonten (Sollkonto) sind ge-trennt zu führen, Kontokorrentkredite sind jenach Saldo, einmal Einlage, einmal Kredit. Daswird buchhaltungstechnisch genau zugewiesen.Vorher vorhandene Guthaben bzw. ein positiverKassabestand sind die unabdingbare buchhalte-rische Voraussetzung für eine Kreditzuzählung/Auszahlung. Das Geld (Forderung) muss zuvoraus echten Einlagen (Bareinzahlung, Überwei-sung) entstehen und erfordert entsprechendeBuchungen auf Gegenkonten (doppelte Buch-führung). Die Buchung bei einem Kredit lautet:Kreditkonto des Kunden (Soll) an Kassakonto(Haben) bei Barabhebung, bzw. Gutschrift aufein anderes Konto / Zwischenbank-Verrechnungs-konto (Haben). Wenn die Kasse (das Gegenkonto)leer ist, kann keine Auszahlung (Überweisung)des Kreditbetrages erfolgen! Die Buchung beieiner Einlage lautet: Kassa / anderes Kunden-Konto / Zwischenbank-Verrechnungskonto (Soll)an (neues/bestehendes) Einlagekonto (Haben).Andernfalls gibt es Buchungsdifferenzen, diesfällt somit auf, und ist sogar strafbar (Bilanz-fälschung, BWG-Verstoß etc.). Die fehlende Ak-zeptanz dieser fundamentalen Buchhaltungs-grundsätze dürfte ein weiterer Grund für dieunterstellte Geldschöpfung aus dem Nichts sein,die manche bei den Banken vermuten!

Wer jedoch tatsächlich einen Grund für dieAnnahme hat, dass Banken auf mysteriöse oderzwielichtige Art und Weise Geld schöpfen, sollteAnzeige bei der zuständigen Finanzmarktaufsichteinreichen. Oder selbst eine Bank gründen, dasgeht schon ab 5 Mio ? Eigenmittel. Dann kann erden Beweis antreten und an einer vermeintlichen,aus Sicht der Praxis allerdings nur theoretischen

Geldschöpfung enorm verdienen. Allerdings mussich in diesem Fall vor einer vorprogrammiertenPleite warnen, die sich aus der Beachtung derPunkte 1 bis 6 ergeben wird.

Thomas Fuchs

***

� Die gegensätzlichen Auffassungen zum ThemaKreditvergaben und Geldschöpfung scheinen un-überbrückbar zu sein. Bei Beachtung von Lehr-meinungen der Bundesbank könnte sich jedochfür beide ”Lager” eine differenzierte Sichtweiseauftun, die zu einer Annäherung der Standpunkteführt.

Helmut Creutz bestreitet, dass die Geschäfts-banken Geld schöpfen. In den Bilanzen derKreditinstitute sieht er ein Indiz oder gar einenBeweis für die These, Einlagen (Ersparnisse/Gut-haben) seien Voraussetzung für Kreditvergaben,denn die Summe der Kredite übersteige nicht dieder Einlagen. Liest man gegenteilige Erklärungenwie diejenige von Thomas Betz, kann sich dieFrage aufdrängen, ob die Geldschöpfungsver-neiner, zu denen der Verfasser bisher auch ge-hörte, einem Trugschluss aufgesessen sein könn-ten. Inwiefern?

Wenn eine Bank einem Kunden einen Krediteinräumt, dann wird auf der Aktivseite, auf derlinken Seite der Bilanz, eine Forderung an denKreditnehmer in Höhe des Kredits eingetragen.Betz: „Bilanzverlängerung heißt aber auch, dassdie rechte Seite der Bilanz, die Passivseite, dieAuskunft gibt über die Mittelherkunft ..., eben-falls verlängert wird; und zwar um eine Verbind-lichkeit gegenüber dem Kreditnehmer in Höhedesselben Betrages. Die Bank ‚refinanziert’ sichalso für diesen Kredit tatsächlich durch die‚Einlage’ des Kreditnehmers bei dieser Bank, diedieser aber natürlich nur deshalb hat, weil ihmvon dieser Bank ein Kredit in dieser Höhe ein-geräumt worden ist. Das Geld, welches demKreditnehmer zur Verfügung gestellt wird, ent-stammt also bilanztechnisch dem Kreditnehmerselber! Das bilanztechnische Gegengewicht zumeingeräumten Kredit ist also Giralgeld (bzw.Geschäftsbankengeld, kein Zentralbankgeld!),welches uno actu – gewissermaßen in derselben

Page 42: ZEITSCHRIFTFÜR SOZIALÖKONOMIE · Vo r w o r t 1 während der Fußballweltmeisterschaft mag eserlaubtseindaranzuerinnern,dassSilvio Gesell das Geld einmal als den „Fußball der

41Leserbriefe

Zeitschrift für Sozialökonomie 149/2006

logischen Sekunde – mit dem Kredit entsteht.Dieses ‚Geld’ wurde von keiner Zentralbank zurVerfügung gestellt, und schon gar nicht musstees vorab von jemandem gespart werden, damites als Kredit ausgereicht werden kann.“ (S. 4-5)

Haben die Geldschöpfungsverneiner die Bilan-zen der Kreditinstitute bisher vielleicht nichthinreichend analysiert und daher falsch interpre-tiert? Könnten nicht Bilanzverlängerungen dieSumme der mit schon vorhandenem Geld getä-tigten Einlagen und die entsprechende Summeder Kreditvergaben überschreiten? Warum eigent-lich nicht?

Wirtschaftswachstum heißt auch: Wachstumdes Kaufkraftvolumens. Es werden mehr Kreditevergeben als vorher Einlagen getätigt wurden.Entsprechend übersteigt natürlich in den Bilan-zen die Summe der Kredite die Summe der mitschon vorhandenem Geld getätigten Einlagen.Bilanzverlängerungen können einen falschenEindruck wecken und zu dem Trugschluss führen,die Summe der Kredite würde die mit schon vor-handenem Geld getätigten Einlagen nicht über-steigen. Die gesamte auf der Passivseite ver-zeichnete Summe der Einlagen umfasst ebennicht nur die mit schon vorhandenem Geld ge-schaffenen Einlagen, sondern auch das von denBanken darüber hinaus geschöpfte Giralgeld, dasals bilanztechnisches Gegengewicht zum einge-räumten Kredit auf der Passivseite eingetragenwurde.

Nun läßt sich aber, was Kreditvergaben undGeldschöpfung betrifft, wie folgt differenzieren:1. Soweit die Summe der Kredite die Summe dermit bereits vorhandenem Geld getätigten Ein-lagen nicht übersteigt, liegt die Erklärung nahe,dass Geld verliehen wird, dass das zur Gutha-benbildung verwendete Geld als Darlehen wie-der in die Wirtschaft zurückgeleitet wird. Dasentspricht der Aussage, die sich in dem vonder Bundesbank herausgegebenen „Heft für dieSchule, Sekundarstufe II, Geld & Geldpolitik“(Ausgabe 2003/2004) auf Seite 130 unter demStichwort „Banken (Kreditinstitute)“ findet: „Sienehmen fremde Gelder an (Einlagengeschäft)und leiten diese Mittel in Form von Darlehen andie Wirtschaft weiter (Kreditgeschäft).“ Auf je-den Fall muss ja Kaufkraft in Höhe der Summe

des (schon vorhandenen) zur Guthabenbildungverwendeten Geldes in die Wirtschaft zurück-fließen. Außerdem:2. Wirtschaftswachstum bedeutet auch: Auswei-tung der Kaufkraft. Es werden mehr Kredite ver-geben als vorher Einlagen getätigt wurden. Dasüber die gegebenen Einlagen- und Kreditsum-men hinaus erforderliche Geld entsteht nun aufjeden Fall als Giralgeld aus dem Kredit, es wirdvon den Banken geschöpft. Das entspricht eben-falls der Aussage der Bundesbank. Im selbenLehrheft heißt es im selben Absatz auf S. 131oben: „Sie (die Banken, d. Verf.) unterscheidensich von anderen ... Finanzintermediären durchihre Fähigkeit zur direkten Geldschöpfung. DieseFähigkeit ergibt sich aus der Tatsache, dass ins-besondere die Sichteinlagen als Zahlungsmittelallgemein akzeptiert werden.“

Folgt man jenen beiden Zitaten aus demLehrheft der Bundesbank, dann hat man es zumeinen mit Weiterleiten von Geld zu tun (Dar-lehen) und zum anderen, darüber hinaus, auchmit Giralgeldschöpfung aus dem Kredit, demkeine vorher schon vorhandenen Einlagen zu-grunde liegen. Zur Risiko-Abdeckung sind 8%Eigenkapital der Bank und das in den Kredit-verträgen verpfändete Schuldnereigentum aus-reichend. Eine hundertprozentige Eigentums-deckung auf der Gläubigerseite in Form vonErsparnissen ist nicht erforderlich.

Zentralbankgeld kommt erst später ins Spiel:Wenn die Banken aufgrund des geschöpftenGiralgeldes ihre Bargeldbestände anteilig er-höhen müssen bzw. wenn die Nachfrage desPublikums nach Bargeld steigt, dann besorgensich die Banken mehr davon von der Zentral-bank. Welche Folgerungen nun für die Wirksam-keit einer Umlaufsicherung im heutigen Geld-system zu ziehen wären, was insbesondere Chris-topher Mensching in seinem Beitrag anspricht,ist ein weiteres, gesondert zu behandelndesThema.

Josef Hüwe

Page 43: ZEITSCHRIFTFÜR SOZIALÖKONOMIE · Vo r w o r t 1 während der Fußballweltmeisterschaft mag eserlaubtseindaranzuerinnern,dassSilvio Gesell das Geld einmal als den „Fußball der

42 Bücher

Zeitschrift für Sozialökonomie 149/2006

� Joachim Sikora & Günter HoffmannVision eines „Regionalen Aufbruchs”mit einer Verfassungsbeschwerde von Dr. DieterPetschow und einem Brief an Papst Benedikt XVI.von Heiko KastnerBad Honnef: Katholisch-Soziales Institut der Erzdiözese Köln, 2005.214 Seiten.

Das im Rahmen der Visionsreihe des KSI er-schienene Buch gibt in bisher einzigartiger WeiseEinsicht in die konkreten Wirkungen bestehen-der, Tätigkeiten aktivierender Komplementär-währungen und ordnet diese in eine umfassendeReihe anderer Bausteine eines regionalpoliti-schen Programms ein, das u.a. auch eine Boden-rechtsreform enthält.

In keinem anderen Buch findet sich bishereine so wirklichkeitsnahe, von Günter Hoffmannexzellent recherchierte und lesbare Beschreibungexistierender Regiogelder. Neben dem Chiem-gauer als Waldorf-Schulprojekt werden zunächstdie Entstehung konkreter Arbeitsplätze beimSterntaler, das Medienereignis der Einführungdes Berliners, die landesweite Währung Urstrom-taler und das Regiogeld-Projekt der SparkasseDelitzsch prägnant beschrieben. Dabei erfahrendie Leser/innen auf lockere Art alles Wesentlicheüber die jeweilige Währung und wie sie aus derSicht von Betroffenen wirkt. Zahlreiche Akteurekommen dabei selbst zu Wort, so dass ein sehrlebendiger Eindruck entsteht. Zudem zeigt GünterHoffmann zahlreiche Perspektiven der Regiogeld-bewegung auf und spart dabei auch nicht ankritischen Fragen – außer an jener, ob GernotSchmidt von der Sparkasse Delitzsch sich fortanverdientermaßen „Gernot Schmidt-Delitzsch nen-nen“ werde.

Grundsätzliche Erwägungen zu regionalen Wirt-schaftskreisläufen und Ausführungen zu erneuer-baren Energien, Direktvermarktung und vielemmehr erweitern den Fokus Regiogeld um wert-volle Aspekte. So ist u.a. der Erfolg der Gemein-dewerke Nümbrecht erwähnt, die die Stromver-teilung wieder in kommunale Hände überführthaben. Blicke über den Tellerrand nach Wörgl,Bethel, zu Tauschringen, Rabattmarken, Kunden-

karten sowie in Richtung gemeinnütziger Tätig-keiten als auch zum Cross-Border-Leasing rundendiesen Überblick regionaler Gemeinwohl-Ökono-mie ab.

Die Verfassungsbeschwerde von Dieter Pet-schow und der Brief von Heiko Kastner an PapstBenedikt XVI. scheinen eher ein kreativer dennein zwingender Bestandteil dieses Buches mitdem Titel „Regionaler Aufbruch“ zu sein. Gleich-wohl sind beide sehr lesenswert. Petschow zeigtin beeindruckender Weise die Wirkungen unseresZinssystems auf das Sozialbudget und weist auseigener Betroffenheit nach, wie alle Beteiligtenim heutigen Krankenkassen-System verlieren,während die Kapitaleigner immer größere Stückedes Sozialkuchens erhalten. Kastner erinnert inseinem Brief Papst Benedikt XVI. an dessen Na-mensvorgänger Benedikt XIV. als Verfasser derEnzyklika „Vix pervenit“ und fragt, ob es nichtan der Zeit sei, dass die katholische Kirche ihreideologiekritische Rolle wieder entdecke undeine Gegenaufklärung wider die heidnische Reli-gion des Geldes leiste.

Ralf Becker

� Peter SloterdijkIm Weltinnenraum des Kapitals.Für eine philosophische Theorie derGlobalisierungFrankfurt a. M.: Suhrkamp Verlag, 2005. 415 Seiten.

Als der russische Dichter Fjodor Dostojewskijden so genannten „Kristallpalast“ besichtigte, derim Jahr 1851 anlässlich der in London stattfin-denden Weltausstellung eröffnet worden war,meinte er in diesem monströsen Gebäude denInbegriff, das Symbol der kapitalisierten Welt zuerkennen. Dostojewskij erblickte in dem Bauwerkein „Treibhaus“ der westlichen Zivilisation, diesich, getrieben von der Allmacht des Geldes,einem hedonistischen Lebensstil verschriebenhatte.

Die Metapher vom Kristallpalast als GroßemTreibhaus greift auch der wortgewaltige Philo-soph Peter Sloterdijk in seinem Werk „Im Welt-innenraum des Kapitals“ auf. Ohne den bei Dos-tojewskij ausgeprägten religiösen Impetus wei-ter zu verfolgen, übernimmt Sloterdijk das Sym-bol und holt zu einer faszinierenden ontologi-

B Ü C H E R

Page 44: ZEITSCHRIFTFÜR SOZIALÖKONOMIE · Vo r w o r t 1 während der Fußballweltmeisterschaft mag eserlaubtseindaranzuerinnern,dassSilvio Gesell das Geld einmal als den „Fußball der

43Bücher

Zeitschrift für Sozialökonomie 149/2006

schen Analyse des Kapitalismus im Allgemeinenund dem heute so oft strapazierten Begriff„Globalisierung“ im Besonderen aus. Die philo-sophische „Erzählung“ Peter Sloterdijks enthältzwei Teile, wobei, um beim zitierten Symbolge-halt zu bleiben, zunächst eine entwicklungsge-schichtliche Darstellung des globalisierten Bau-werks geboten wird und schließlich sein vomAutor so bezeichnetes „Interieur“ zur Darstel-lung gelangt.

Für den Philosophen ist das Phänomen „Glo-balisierung“ keineswegs nur eine Realität desausgehenden 20. und beginnenden 21. Jahr-hunderts. Vielmehr sei dabei ein dreiphasigerProzess erkennbar, der in den antiken Kosmo-logien seinen Ausgangspunkt habe, der als „ter-restische Globalisierung“ in der christlich-kapi-talistischen Seefahrt der Neuzeit sichtbar werdeund der in der gegenwärtigen elektronischenGlobalisierung münde. Zu unterscheiden seiendiese drei Stadien deutlich in ihrer symbolischenund medialen Intensität und damit in ihrenFolgewirkungen auf Ressourcen und Menschendieses Planeten.

Während die antiken Denker, fasziniert vonder symbolischen Perfektion der Kugelgestalt,eine „uranische-kosmische, morphologische Glo-balisierung“ betrieben hätten, sei die terresti-sche Globalisierung, getragen von Kartografen,Seemannsabenteurern, Naturwissenschaftlernund Unternehmerbegehrlichkeiten, als konkreterInteressenszugriff zu erkennen. Was für die ei-nen die Ästhetik der Gestalt, der sphärischeDualismus zwischen vergänglichem irdischem Da-sein und himmlischen Ewigkeiten war, habe jenemotiviert, sich alles von dieser Erde versprechenzu können. Mit dem „Übergang von der medita-tiven Kugelspekulation zur Praxis der Kugeler-fassung“ (S. 49) breitet Peter Sloterdijk nun einvielschichtiges, mit Gegenwartsbezügen versehe-nes Panorama zwischen 1492 und 1945 aus, dasaus unterschiedlichen Blickwinkeln die als ter-restische Globalisierung bezeichneten Vorgängezu erklären vermag. Die Vergegenständlichungder Welt sowie die Legitimierung des europäi-schen Zugriffs auf diese durch Land- und See-karten, durch Globen und Expeditionsberichtewird dabei verdeutlicht ebenso wie die enor-

men Dimensionen aller maritim-nautischen Er-fahrungen, jener der Akteure wie auch der davonBetroffenen, zur Sprache kommen. Peter Sloter-dijk macht aus wechselnder Perspektive die Mo-tive, die Interessen und schließlich die Brutali-tät und Beschleunigung des Vorgangs erklärbar,der aus einer zunächst unendlich wirkendenFernprojektion einen kleinen Punkt, der sichErde nennt, entstehen hat lassen. Die eigent-lichen Antriebskräfte der Globalisierung arbeitetPeter Sloterdijk deutlich in der alles durchdrin-genden kapitalistischen Geldpraxis heraus. Erstdie Terminfrist der Zinsen bringe Expansions-wahnsinn und Profitvernunft zur Übereinstim-mung. Die Transformationslogik der Kapitalrein-vestition habe nicht nur jedes Unrechtsempfin-den zugeschüttet, sondern das fundamentalsteUrteil der Neuzeit gebracht, nämlich jene Haupt-tatsache, dass nicht „die Erde um die Sonne,sondern dass das Geld um die Erde läuft“ (S. 79).Die Analysen des ersten Teils münden schließlichin der Erkenntnis, dass es den Europäern gelun-gen ist, sichtbare wie unsichtbare Hüllen ihrereigenen Welt in alle Winkel der Erde zu tragen.Unter den Baldachinen der Schiffsmythologie,der christlichen Religion, der dynastischen Leit-bildbewahrung, der Wissenschaft und schließlichdes Bi- bzw. Plurilingualismus sei jenes GroßeTreibhaus errichtet worden, in dem sich heutedie globalisierte Welt wieder findet.

Ebenso vielschichtig wie der erste gestaltetsich der zweite Teil von Peter Sloterdijks Werk,wenn der Philosoph nun anhebt, die Ausstat-tung des kapitalistischen Weltinnenraums zu be-schreiben. Seiner Leserschaft empfiehlt PeterSloterdijk sich diesen Kapitalweltpalast wenigerals zusammenhängende Architektur, vielmehrals „Komfort-Installation von treibhausartigerQualität“, als eine Art künstlichen Kontinent,der demografisch kaum ein Drittel der Mensch-heit und geografisch kaum ein Zehntel der Fest-landflächen umfasst, vorzustellen. Dieser „kom-fort-animierte artifizielle Kontinent im Welt-meer der Armut“ (S. 306) stecke seine Horizontedurch die vom Geld erschlossenen Zugangs-chancen zu Orten, Personen, Waren und Datenab, wobei sich Subjektivität vorrangig in derVerfügung über Kaufkraft zeige.

Page 45: ZEITSCHRIFTFÜR SOZIALÖKONOMIE · Vo r w o r t 1 während der Fußballweltmeisterschaft mag eserlaubtseindaranzuerinnern,dassSilvio Gesell das Geld einmal als den „Fußball der

44 Bücher

Das „Interieur“ selbst ist so facettenreich wiees die Erscheinung „Globalisierung“ nur seinkann. Ob es sich nun um die zum Scheiternverurteilte Weltökumene, den wahnwitzigen Um-gang der Konsumgesellschaften mit Ressourcenund Lebewesen handelt, dem Phänomen des Ter-rorismus, dem eskapistischen Führungsanspruchder USA oder der zu kurz greifenden Kritik derGlobalisierungsgegner – Peter Sloterdijks kriti-sche Analyse, die immer das erzählende Elementzu wahren weiß, leuchtet jeden Winkel desGroßen Treibhauses aus.

„Im Weltinnenraum des Kapitals“ ist eineäußerst anspruchsvolle, zugleich aber wertvolleLektüre im Kanon der zeitgenössischen Abhand-lungen zum Thema „Globalisierung“. Peter Slo-terdijk hat mit diesem Werk verdeutlicht, wieoberflächlich inflationär heute mit dem Begriff„Globalisierung“ im täglichen medialen und po-litischen Diskurs umgegangen wird und welcherphilosophische Tiefgang diesem eigentlich zu-grunde liegt. Der Leserschaft wird damit ein-sichtig, wie sehr die Philosophie als Leitdisziplinder Grundlagenforschung wichtige Beiträge zumVerständnis und letztlich zur Lösung von Pro-blemen der Gegenwart und nahen Zukunft lei-sten könnte. Beeindruckend sind weiters auchdie Sprachvirtuosität des Autors und der enormeQuellenfundus, aus dem dieser schöpft. Dass dieernsthafte und tragische Thematik der Lektüreauch pointiert bleibt, ist nicht zuletzt auch dergelungen Einbeziehung literarischer Zitate zuverdanken. Jules Verne, Hermann Melville unddas imaginierte Aufeinandertreffen von AdamSmith und Rainer Maria Rilke machen das Buch,aller inhaltlichen Herausforderung zum Trotz, zueinem Lesevergnügen.

Ob dem kapitalistischen Globaltreibhaus dasSchicksal des Londoner Originals zuteil wird,mag die Zukunft weisen. Bekanntlich fiel derKristallpalast im Jahre 1936 einem Großfeuerzum Opfer. Möge dieser geplagten Erde ein wei-terer Weltenbrand erspart bleiben. Wenigstensdas „Interieur“ grundlegend zu verändern, bleibtunerlässlich.

Christof Karner

� Wuppertal Institut für Klima, Umwelt,Energie (Hrsg.)Fair Future – Begrenzte Ressourcenund globale GerechtigkeitMünchen: Verlag C. H. Beck, 2005. 278 Seiten.

Wenn gesellschaftliche oder globale Gerech-tigkeit auf der Tagesordnung steht, wird diescharfe Trennlinie zwischen den Begriffen Ver-teilung und Umverteilung oft übersehen. Sym-ptomatisch dafür ist nicht nur die Ökologiever-gessenheit des aktuellen Globalisierungsdis-kurses, sondern ganz besonders das Drei-Säulen-Modell der Nachhaltigkeit. Dessen Schnittmen-genlogik suggeriert, dass soziale Gerechtigkeit,wirtschaftliches Wachstum und Umweltschutzelegant verbunden werden können. Gerechtigkeitreduziert sich demnach auf ein Problem dernachholenden Entwicklung – gemeint ist mate-rieller Wohlstand, wo sonst bestünde Nachhol-bedarf? – auf Seiten derer, die bislang das Nach-sehen hatten. Zur Disposition steht allein dieVerteilung von Zuwächsen, d.h. einzelne Indi-viduen, Regionen oder ganze Kontinente sollenbesser gestellt werden, ohne den Status Quo derbisherigen Verteilungsgewinner anzutasten. Da-mit dieser schönen Idee, die nur bei Vorhanden-sein materieller Expansionsspielräume vorstellbarist, keine ökologischen Grenzen in die Querekommen, muss das wirtschaftliche Wachstum vonökologischen Negativwirkungen entkoppelt wer-den, was aber ein technisches Problem darstellt.

Wer an dieses Märchen von einer besserenWelt zum Nulltarif nicht mehr glauben mag, ge-langt zu einem anderen Resultat, nämlich dassGerechtigkeit nur unter den Bedingungen einermateriellen Wachstumsneutralität zu haben ist:Zuwächse an Wohlstand, die nie ohne ökologi-schen Verschleiß zu haben sind, müssen durchRessourceneinsparungen andernorts gedeckt sein.Globale Fairness wird damit erstens zu einerFrage der Ressourcengerechtigkeit, die zweitensnur durch Umverteilung erreichbar ist. DiesenSachverhalt bringt Fair Future, der aktuelle Re-port des Wuppertal Instituts, prägnant durch einEntwicklungsmodell der „Kontraktion und Kon-vergenz“ auf den Punkt. „Die Industrieländervermindern ihren Ressourcenverbrauch stärker,als die Entwicklungsländer ihren Ressourcen-

Zeitschrift für Sozialökonomie 149/2006

Page 46: ZEITSCHRIFTFÜR SOZIALÖKONOMIE · Vo r w o r t 1 während der Fußballweltmeisterschaft mag eserlaubtseindaranzuerinnern,dassSilvio Gesell das Geld einmal als den „Fußball der

45Bücher

verbrauch ausweiten“, um einen gemeinsamenZielkorridor innerhalb der Tragekapazität derBiosphäre zu erreichen (S.159). Um diesen Kern,der einen längst überfälligen Abschied von denwachstumsträchtigen Dogmen bisheriger Ent-wicklungspolitik markiert, legen die beidenHauptautoren Wolfgang Sachs und Tilmann San-torius ihre nicht nur plausiblen, sondern empi-risch hervorragend unterlegten Kausalstränge.

Zunächst wird der Zusammenhang zwischenökologischen Grenzen und globaler Gerechtigkeitausgelotet. Letztere erstreckt sich auf drei Di-mensionen, nämlich (1) auf „biosphärische Ge-rechtigkeit“ (S. 38), die allen Lebewesen jen-seits anthropozentrisch begründeter Nützlich-keitserwägungen eigene Rechte zugesteht, (2)auf inter-generationelle Gerechtigkeit, die schonder Brundtland-Report hervorhob und schließ-lich (3) auf intra-generationelle Gerechtigkeit.Unausweichlich werden somit brisante Fragen:„Wer nimmt sich wie viel aus der Ökosphäre undkann sich welchen Nutzen von den Naturres-sourcen aneignen? Wer wiederum hat welcheBelastungen zu tragen und muss mit den viel-fältigen Kosten von Umweltverbrauch fertig wer-den?“ (S. 39). Im zweiten Kapitel wird die mo-mentane Ungleichverteilung ökologischer An-sprüche vertieft. Dies erfolgt im Hinblick aufverschiedene relevante Vergleichsmaßstäbe (Res-sourcenströme, internationaler Warenaustauschetc.) sowie geographische und soziale Niveau-unterschiede. In Anlehnung an Norman Myersund Jennifer Kent (2004) verlagert sich der Blickzunehmend vom Nord-Süd-Gefälle zu einer „trans-nationalen Verbraucherklasse“ (S. 82), die in-zwischen globusweit anzutreffen ist. Die Grenzezwischen arm und reich verläuft nicht mehrzwischen Ländern, sondern innerhalb eines je-den Landes.

Das dritte Kapitel behandelt – ebenfalls mitaktuellem Datenmaterial untermauert – unter-schiedliche Mechanismen der ungleichen Aneig-nung. Sodann werden im vierten Kapitel Leit-bilder der Ressourcengerechtigkeit entwickelt.Grundlegend ist hier ein räumlich und sozialerweiterter Verantwortungsbereich, den die glo-bale Verflechtung und damit erhöhte Wirk-mächtigkeit jeglichen Handelns nahegelegt. Hin-

reichende Anerkennung, eine Garantie von Exis-tenzrechten, Fair Trade sowie der Ausgleich vonNachteilen aus andernorts verursachten ökologi-schen Schäden sind weitere Facetten. Den wich-tigsten Ansatzpunkt bildet indes der Rückbaunicht universalisierbarer Ressourcenansprüche.Explizit hingewiesen wird auf die Logik einesNullsummenspiels, „in dem der Gewinn des ei-nen den Verlust des anderen bedeutet“ (S. 145).Dies läuft auf die Vision eines „gerechtigkeits-fähigen Wohlstandes“ hinaus, der im nächstenKapitel erläutert wird. Nach Auffassung der Au-toren führt der Weg dorthin über den „Drei-schritt von Effizienz, Konsistenz und Suffizienz“(S. 165). Zudem könne es dem Süden gelingen,durch technisches „leapfrogging“ (S. 173) dieökologischen Fehlentwicklungen der Industrie-länder zu vermeiden, etwa indem direkt dieSolarwirtschaft angepeilt und ressourcenspa-rende Infrastrukturen aufgebaut werden.

Das sechste Kapitel steht im Zeichen institu-tioneller Regelungen, zu denen u.a. die Vergabepro Kopf einheitlicher Emissionsrechte (S. 195)im Sinne des „Sky Trusts“ von Peter Barnes(2001), eine „Neuerfindung der WTO“ (S. 219),die zukünftig Menschen- und Umweltrechteneine Priorität vor den Belangen des Freihandelseinräumen sollte, und „Bürgerpflichten für Unter-nehmen“ (S. 222) gezählt wird. Im abschließen-den Kapitel wird auf die mögliche Rolle Europasals „kristallisierende Kraft für eine demokra-tische und ökologische Weltgesellschaft“ (S. 236)eingegangen.

Mit „Fair Future“ ist Wolfgang Sachs und Til-mann Santorius eine Studie gelungen, die durchDetailreichtum und eine von vorn bis hintenüberzeugende Stringenz gekennzeichnet ist. Auchwenn etliche Grundgedanken nicht neu sind,besteht eine große Leistung der Autoren darin,die vielen losen Aspekte im Spannungsfeld zwi-schen globaler Gerechtigkeit und knappem Um-weltraum zu einem kongruenten Ganzen ver-dichtet und empirisch auf den aktuellen Standgebracht zu haben. Die gute Lesbarkeit und Ver-ständlichkeit (auch für Laien) könnte die The-matik einer breiteren Öffentlichkeit zugänglichmachen. Das Buch könnte so zu einer längstüberfälligen Blickwende beitragen, nämlich nach-

Zeitschrift für Sozialökonomie 149/2006

Page 47: ZEITSCHRIFTFÜR SOZIALÖKONOMIE · Vo r w o r t 1 während der Fußballweltmeisterschaft mag eserlaubtseindaranzuerinnern,dassSilvio Gesell das Geld einmal als den „Fußball der

46 Bücher

haltige Entwicklung als Umverteilungsproblemaufzufassen.

Allerdings schrecken die Autoren noch davorzurück, hieraus allzu unbequeme Konsequenzenzu ziehen. Mit Ausnahme eines klitzekleinenAbschnitts zur Suffizienz sind es dann ebendoch technische bzw. institutionelle Platzhalter,die den Job des partiellen Verzichts, ohne denkeine Umverteilung im Sinne von Nullsummen-spielen möglich ist, übernehmen sollen. Dazubemerkte schon Reimer Gronemeyer („Die neueLust an der Askese“, 1998, S. 71) sehr treffend:„Das Problem jedoch ist, dass der Verzicht nichtvon den Menschen, sondern den Dingen erwartetwird. [...] Daraus wird dann die Behauptungabgeleitet, dass Weniger mehr sei. Sparsam sollder Motor, die Waschmaschine, die Glühbirne,der Ölbrenner sein“ (Hervorhebung im Original).

Oder liegt darin eine Stärke des Buches?Vielleicht halten die Autoren es für sinnvoll, dasgeneigte Publikum lieber nicht zu überfordern,sondern schrittweise an eine schwer vermittel-bare Wahrheit heranzuführen. So gesehen müs-ste der nächste Wuppertal Report eine Spur ra-dikaler ausfallen. Er müsste mindestens einge-stehen, dass die technischen Möglichkeiteneines Rückbaus von Ressourcenansprüchen nie-mals die Folgen maßlos wachsender Konsuman-sprüche einholen können, dass institutionelleRegelungen kein Ersatz für einen kulturellenWandel ressourcenintensiver Lebensstile seinkönnen und dass die Umverteilung des somitgeringeren materiellen Wohlstandes zwei weitereArenen der Aneignung einbeziehen muss, näm-lich die der Erwerbsarbeit und des monetärenEinkommens. Weiterhin wären die immanentenWachstumszwänge des herrschenden Geld- undZinssystems zu thematisieren. Das alles kannaber nicht darüber hinwegtäuschen, dass „FairFuture“ zurzeit innerhalb der Nachhaltigkeits-literatur ein Joker ist, dem man nur eine hoheVerbreitung zu wünschen kann.

Niko Paech

� Marshall B. RosenbergKonflikte lösen durch GewaltfreieKommunikation – Ein Gespräch mitGabriele SeilsFreiburg/Br.: Herder Verlag, 7. Aufl. 2006. 160 Seiten.

Als Ergänzung zu seinem erstmals 2001 er-schienenen und seitdem mehrfach aufgelegtenGrundlagenwerk „Gewaltfreie Kommunikation –Eine Sprache des Lebens“ erschien 2004 dasvorliegende Gespräch der Journalistin GabrieleSeils mit dem amerikanischen, in der Schweizlebenden Psychologen und KonfliktmediatorMarshall Rosenberg. Dass auch dieses Gesprächschon zum 7. Mal in Taschenbuchform aufgelegtwurde, zeigt das anhaltend große Interesse ander Gewaltfreien Kommunikation (GFK).

In seiner Kindheit und Jugend in Detroit er-lebte Marshall Rosenberg rassistische und sexis-tische Diskriminierung aus nächster Nähe alsseelische Erschütterung mit. Seitdem ließ ihndie Frage nicht mehr los, warum und wie es soweit kommt, dass Menschen ihr Zusammenge-hörigkeitsgefühl verlieren und sich schließlichgewalttätig und ausbeuterisch gegeneinanderverhalten.

Als Kommunikationsmittel zwischen den Men-schen können Worte verbinden und heilen, aberauch verletzen und trennen – letzteres vor allemdann, wenn sie abwertende Bemerkungen undVorurteile über andere Menschen enthalten. Man-gelnde Achtung erzeugt Störungen im „Fluss zwi-schen mir und anderen, der auf gegenseitigemGeben und Nehmen von Herzen“ beruht, und kannsich bis hin zu Hass und Gewalt steigern. Des-halb hat Marshall Rosenberg Formen der Kom-munikation entwickelt, mit denen wir „uns ehr-lich und klar ausdrücken und gleichzeitig ande-ren Menschen unsere respektvolle und einfühl-same Aufmerksamkeit schenken“ können. (2001,S. 22) In seine eigenen Überlegungen sind auchEinsichten von Martin Buber, Krishnamurti, Gandhi,Ken Wilber und anderen eingeflossen.

In der GFK geht es darum, „eine einfühlsameVerbindung zu uns selbst und anderen aufzu-nehmen.“ Rosenberg geht davon aus, dass „dieFreude am einfühlsamen Geben und Nehmen un-serem natürlichen Wesen entspricht und dass wir

Zeitschrift für Sozialökonomie 149/2006

Page 48: ZEITSCHRIFTFÜR SOZIALÖKONOMIE · Vo r w o r t 1 während der Fußballweltmeisterschaft mag eserlaubtseindaranzuerinnern,dassSilvio Gesell das Geld einmal als den „Fußball der

47Bücher

Menschen eigentlich nichts mehr genießen, alszum Wohlergehen anderer Menschen beizutra-gen.“ (2006, S. 10) Zur Wiedereinübung dieserim Menschen angelegten, aber vielfach von ge-sellschaftlicher Macht, von Schuldgefühlen undanderen emotionalen Blockaden verschüttetenKommunikationsfähigkeit gehören ihm zufolge„vier Komponenten“:1. Genaues Beobachten einer Situation und desVerhaltens anderer Menschen sowie die Wahrneh-mung des Beobachteten ohne jede Bewertung.2. Das Aussprechen der von dem Geschehen aus-gelösten eigenen Gefühle. Fühlen wir uns ver-letzt, erschrocken, froh, amüsiert, irritiert, usw.?3. Das Aussprechen derjenigen eigenen Bedürf-nisse, die hinter den gerade geäußerten Ge-fühlen stehen.4. Das Erbitten von etwas, was das eigene Wohl-befinden erhöht. (2001, S. 25)

Über 30 Jahre lang hat Marshall Rosenbergin den verschiedensten Lebensbereichen prak-tische Erfahrungen mit der GFK gesammelt – inFamilien, in Schulen, in Wirtschaftsunternehmen,in Gefängnissen und anderen öffentlichen Insti-tutionen, bei Rassenkonflikten und in politi-schen Krisenregionen wie dem Balkan oder Is-rael und Palästina. In den USA hat er das inter-nationale „Center for Nonviolent Communica-tion“ gegründet und seine Erfahrungen in mehrals 20 Ländern an Schüler und Studenten, El-tern, Ausbilder, Manager, Seelsorger und Ärzte,Militärs und Friedensbewegte sowie Polizisten,Anwälte und Gefangene weiter gegeben.

Anhand zahlreicher Beispiele werden die vierKomponenten der GFK in beiden Büchern genau-er dargestellt. Dabei wird immer wieder deut-lich, welche Konflikte lösende und heilende Kraftin der „Empathie“ liegt, die nicht mit intellek-tuellem Verstehen des anderen Menschen odermit Mitleid für ihn zu verwechseln sei: „Empa-thie heißt, dass ich mich nicht mit meinen Ge-fühlen verbinde, sondern mit den Gefühlen deranderen Person.“ (2006, S. 44) Im Kapitel „ImHerzen des Feindes“ wird ein Sufi-Meister Mau-lana Rumi mit dem weisen Satz zitiert: „Jenseitsvon Richtig und Falsch liegt ein Ort, dort treffenwir uns.“ (2004, S. 61) In diesem Kapitel trittRosenberg einer Zweiteilung der Welt in die

Guten und die Bösen entgegen und berichtetüber seine Erfahrungen um Umgang mit politi-schen Extremisten: „Egal, was jemand für eineIdeologie vertritt, wir haben alle die gleichenBedürfnisse, zum Beispiel das Bedürfnis, ver-standen zu werden. … Wenn ich mit Gruppen zutun habe, zu denen ich schwer Zugang bekom-me – es sind nicht nur Rechtsextreme –, dannsuche ich nach Einzelnen, die ein bisschen offe-ner sind. Es gibt immer, in jeder noch so extre-mistischen Gruppe, Menschen, die man erreichenkann.“ (2006, S. 69)

Im Kapitel über den „Ausgleich zwischen Täternund Opfern“ betont Rosenberg die Mitbeteili-gung und Mitverantwortung eines Dritten, näm-lich der Gemeinschaft. Und: „Menschen steckenin bestimmten Strukturen, die aus jedem von unsein Monster machen können.“ (2006, S. 82-83)Damit ist auf die Notwendigkeit verwiesen, ne-ben dem individuellen Verhalten auch die gesell-schaftlichen Strukturen zu verändern. Mehr nochals in seinem Grundlagenwerk wird im Gesprächzwischen Marshall Rosenberg und Gabriele Seilssichtbar, dass die GFK auch ein Mittel zur Ver-änderung gesellschaftlicher Strukturen sein kann.Im Laufe der Jahre spürte Rosenberg „immerdeutlicher, dass ich als Therapeut die ganze Zeitnur mit den individuellen Symptomen beschäf-tigt war, deren Ursache in meinen Augen ganzwoanders, nämlich in den gesellschaftlichenStrukturen, in unserer Sprache, in den Machtver-hältnissen zu finden waren. Also warum nichtlieber die Strukturen verändern, wenn sie zer-störerisch sind für die Menschen, die in ihnenleben?“ (2006, S. 11)

Dem Argument von Gabriele Seils, wonach ein„aggressiver politischer Aktivismus kontraproduk-tiv“ sei, stimmt Rosenberg zu und betont, dassSchubladendenken und Schuldzuweisungen (dazugehören auch Verschwörungstheorien) in Ge-sprächen mit einflussreichen Menschen (Rosen-berg nennt solche Gespräche humorvoll „Giraf-fentänze“) nur unnötig Fronten verhärten undeine gemeinsame Suche nach einem Ausweg ausden gesellschaftlichen Strukturen, unter denenauch die Privilegierten leiden, geradezu verhin-dern. (S. 134-136)

Allerdings bleibt am Ende dieses beeindruck-

Zeitschrift für Sozialökonomie 149/2006

Page 49: ZEITSCHRIFTFÜR SOZIALÖKONOMIE · Vo r w o r t 1 während der Fußballweltmeisterschaft mag eserlaubtseindaranzuerinnern,dassSilvio Gesell das Geld einmal als den „Fußball der

48 Bücher

enden Buches noch offen, wie denn die beste-henden Machtstrukturen verändert werden könn-ten. Deshalb sei an dieser Stelle auf die zentraleRolle hingewiesen, die das Geld innerhalb dieserMachtstrukturen spielt. Und interessanterweisebetrachtet die soziologische Geldtheorie das Geldals zentrales gesellschaftliches Kommunikations-mittel. So drängen sich hier geradezu Parallelenzwischen den Ist- und Soll-Zuständen der Spracheund des Geldes auf:� Während auf der sprachlichen Ebene die nochmit Gewalt behaftete Kommunikation die Men-schen voneinander trennt, werden sie auf derwirtschaftlichen Ebene bislang noch von demmit struktureller Macht behafteten, zinstragen-den Geld voneinander getrennt.� Der GFK im Bereich der sprachlichen Kommu-nikation könnte im Bereich der ökonomischenKommunikation das Ziel eines von strukturellerMacht und Gewalt befreiten Geldes entsprechen,das das gegenseitige Geben und Nehmen, d.h.den Fluss von ‚ökonomischer Empathie’ durchdie Wirtschaft und Gesellschaft nicht mehr störtoder gar blockiert – was sich letztlich auch posi-tiv auf andere Lebensbereiche auswirken könnte.

Diese hier nur angedeuteten Parallelen zwi-schen der GFK und einer Veränderung der gesell-schaftlichen Strukturen durch eine Reform desGeldes deuten auf eine Verwandtschaft ihrerjeweiligen Ziele und auf die Möglichkeit ihrerwechselseitigen Ergänzung hin. Und auch aufdem Weg zur Veränderung der gesellschaftlichenStrukturen könnte sich die GFK als ein sehr wert-volles Mittel erweisen – sowohl für das ‚interne’Ringen um weitere gedankliche Klärungen alsauch für die Kommunikation mit der ‚Außenwelt’.

Ebenso hilfreich könnte die GFK übrigens imZusammenhang mit einer Reform des Boden-rechts sein – und auch danach bleiben. Auchnach einer Bodenrechtsreform könnte sie sichals Hilfe bei der Verständigung über Fragen derRaumplanung und des Städtebaus erweisen. Undbei der Zuordnung von Grundstücken und Res-sourcen zum jeweils ‚besten Wirt’ könnte sieseine sinnvolle Ergänzung zur Vergabe von Nut-zungsrechten an Meistbietende sein.

Weitere Informationen: www.cnvc.org undwww.gewaltfrei.de Werner Onken

� Gunnar Heinsohn & Otto SteigerEigentumsökonomikMarburg: Metropolis Verlag, 2006. 270 Seiten.

„Eine Wirtschaftstheorie, die diesen Namenverdient, fehlt“, schreiben Gunnar Heinsohn undOtto Steiger (H&S) in ihrem neuen Buch Eigen-tumsökonomik (S. 18). Ihrer Meinung nach ist esbisher keinem ihrer Fachkollegen gelungen, denKern des eigenen Fachgebietes theoretisch zudurchdringen und eine Erklärung des Wirtschaf-tens vorzulegen. Erst die Theorie der Eigentums-ökonomik zeige auf, woraus „das Wirtschaftenerst erwachsen kann“ (S.87). Sie mache den Cha-rakter der Wirtschaft „als gesellschaftliches Ge-flecht von gegenseitigen monetären Verpflich-tungen“ (155) deutlich und liefere damit den bis-lang fehlenden Schlüssel zum Verständnis derWirtschaft.

Solche Thesen fordern geradezu dazu heraus,sie als vermessen abzutun. Die Theorie von H&Sjedoch, die sie in erster Fassung 1996 in ihremBuch „Eigentum, Zins und Geld“ dargelegt haben,wird im Geldmuseum der Deutschen Bundesbankmittlerweile als eine der fünf wichtigsten exi-stierenden Gelderklärungen gewürdigt – gemein-sam mit denen von Aristoteles, Adam Smith,Bernhard Laum und John Maynard Keynes. Auchin dem in Kürze neu erscheinenden „Lexikon derökonomischen Werke: 650 wegweisende Schriftenvon der Antike bis ins 20. Jahrhundert“ werdendas Buch von 1996 und dessen wegbereitenderVorgänger, Heinsohns „Privateigentum, Patriar-chat, Geldwirtschaft“ (1984) vorgestellt. Eineweitere Anerkennung steht für den 4. Novemberdiesen Jahres an, wenn Otto Steiger für einenAufsatz über das Verhältnis von Eigentumsöko-nomik und Neuer Institutionsökonomik der K.William Kapp-Preis verliehen wird, eine der be-deutendsten wirtschaftswissenschaftlichen Aus-zeichnungen in Europa.

H&S greifen die etablierten ökonomischenTheorien in ihrem Buch von zwei Seiten an: Zumeinen zeigen sie auf, dass diese im Widerspruchzu gewichtigen ethnologischen und historischenForschungsergebnissen stehen (Kapitel I, Ab-schnitt 2), zum anderen legen sie theoretisch dar,worin sie die Schwächen bisheriger wirtschafts-

Zeitschrift für Sozialökonomie 149/2006

Page 50: ZEITSCHRIFTFÜR SOZIALÖKONOMIE · Vo r w o r t 1 während der Fußballweltmeisterschaft mag eserlaubtseindaranzuerinnern,dassSilvio Gesell das Geld einmal als den „Fußball der

49Bücher

theoretischer Konzeptionen verorten (Kapitel II).Dem stellen sie anschließend ihren eigenen Theo-rieansatz, die Eigentumsökonomik, gegenüber(Kapitel III), gefolgt von einer darauf gründen-den Erklärung des Marktes und zentraler markt-wirtschaftlicher Phänomene und Probleme (Kapi-tel IV). Abschließend wenden H&S ihre Theoriein einem gesonderten Kapitel auf die Problemevon Entwicklungs- und Transformationsländernan (Kapitel V).

Grundlegend für die Eigentumsökonomik ist,dass sie sich von der Annahme verabschiedet, esgäbe einen „ewigen homo oeconomicus, der seitdem Faustkeil des Neandertalers … immer schonund auf gleiche Weise zum Wirtschaften ange-trieben worden sei“ (S. 12). H&S verweisen dar-auf, dass führende Ethnologen und Historikerseit langem anmerken, dass sich weder in Stam-mes- noch in Feudalsystemen Anzeichen für dieEntstehung von Geld und Märkten finden lassen.Sie zitieren beispielsweise den Begründer der öko-nomischen Ethnologie, Bronislaw Malinowski mitden Worten, dass es in Stammessystemen „keinenregulären Markt, folglich keine Preise, folglich kei-nen etablierten Austauschmechanismus und folg-lich keinen Raum für eine Währung“ gibt (S. 16).

H&S betonen, dass es sehr konkreter Voraus-setzungen bedarf, damit es zur Entstehung vonGeld und Märkten und damit zum Wirtschaftenkommen kann. So sei Knappheit zwar „eine not-wendige aber keine hinreichende Bedingung füreine Wirtschaft“ (S. 48). Ebenso sei die populäreErklärung von Geld als eine Art Tauschgut unzu-treffend, da sich Geld nicht aus dem Tausch her-aus entwickelt habe und seinem Wesen nach et-was völlig anderes als ein Gut sei.

Damit es nicht nur zu einem bloßen Produk-tionssystem, sondern tatsächlich zu einem ech-ten Wirtschaftssystem kommt, bedarf es H&S zu-folge einer Gesellschaftsordnung, in der freie Men-schen private Eigentumsrechte halten und gege-benenfalls gerichtlich durchsetzen können. Privat-eigentum wird dabei nicht – wie bislang in So-ziologie und Wirtschaftswissenschaften üblich –als Gegenstück zu Kollektiveigentum verstanden,sondern als abstrakter, juristischer Begriff. Ermacht es möglich, zwischen Eigentum und Besitzzu unterscheiden: Während ein Eigentumsrecht an-

gibt, wer rechtlich über etwas verfügen kann,gibt ein Besitzrecht an, wer etwas „physischnutzen“ (S. 10) darf. Erst die Existenz von Eigen-tumsrechten macht es möglich, Vermögenswerte„zu verkaufen, zu belasten und zu verpfändensowie sie für Vollstreckung bereit zu halten“ (S.10). Dabei sind die „ökonomisch bedeutendstenRechte […] die auf Belastung zur Geldschaffungund auf Verpfändung für die Erlangung von Kre-dit“ (S. 10).

Zur Geldschöpfung merken die Autoren an,dass Zentralbanken, beispielsweise die Bundes-bank, Geld nicht aus dem Nichts schöpfen undkeine „Geldmengensteuerung per ‚Hubschrauberund Hochofen’“ (S.79) betreiben. Im Rahmen derGeldschöpfung muss die geldempfangende Ge-schäftsbank Vermögenswerte als Sicherheit hin-terlegen, also verpfänden, bis sie die entspre-chende Geldmenge wieder getilgt hat. Die ver-pfändete Sicherheit fungiert als erste Deckungdes ausgegebenen Geldes.

Kann eine Geschäftsbank nicht tilgen und er-weist sich die deckende Sicherheit aus irgend-einem Grund als unzureichend, muss die Zentral-bank eigenes Vermögen, Eigenkapital also, ein-setzen, um das Geld vom Markt zurückzuholen.Das Zentralbankvermögen dient deshalb als zwei-te Deckung des Geldes, was für die Zentralbankjedoch bedeutet, dass jede Geldschöpfung eineBelastung ihres Vermögens darstellt. Diese Be-lastung gleicht sie über den Zins aus, den sie fürihre geldschöpfenden Kredite verlangt.

Laut Eigentumsökonomik ist Geld also keinTauschgut, sondern ein Vermögensderivat, dennes leiht sich seinen Wert quasi von den zur Be-sicherung hinterlegten Vermögenswerten. Geldhat nach dieser Definition also nicht deshalbeinen Wert, weil es als Tauschmittel akzeptiertwird, sondern es wird umgekehrt als Tauschmit-tel akzeptiert, weil ihm Vermögenswerte zuGrunde liegen.

Bezüglich des Zinses betont die Eigentums-ökonomik, dass der Zins bereits zu einem Zeit-punkt in die Welt kommt, zu dem er noch nichtmit einem Verlust an Liquiditätsprämie erklärtwerden kann (denn wenn Geld geschöpft wird,existiert ja vorher noch keine Liquidität), wie esKeynes versucht hat. Ebenso wenig könne er mit

Zeitschrift für Sozialökonomie 149/2006

Page 51: ZEITSCHRIFTFÜR SOZIALÖKONOMIE · Vo r w o r t 1 während der Fußballweltmeisterschaft mag eserlaubtseindaranzuerinnern,dassSilvio Gesell das Geld einmal als den „Fußball der

50 Bücher

einem temporären Konsumverzicht erklärt werden(denn der geldschöpfende Akteur leistet ja kein-erlei physischen oder materiellen Verzicht), wiees die neoklassische Theorie lehrt. Die Zins-nahme resultiert vielmehr „aus der Aufgabe ei-nes immateriellen Ertrages von Eigentum, derEigentumsprämie“ (S. 9). Weil dies nie verstan-den wurde, ist auch „Geld als aktive Größe, dieden Wirtschaftsprozess treibt“ (S. 37) nie korrekterkannt worden.

Die Geldschöpfung per Kredit bedeutet fürden Schuldner eine „Gefahr des Eigentumsver-lustes“ (S.180), weil er sein als Sicherheit ge-stelltes Vermögen verliert, wenn er nicht tilgenkann. Aus diesem Grund müssen sich Kreditneh-mer nach Möglichkeiten umsehen, wie sie diegeliehene Summe plus Zins wiedererwirtschaftenkönnen. Dafür müssen sie entweder Leistungenoder Güter erstellen, die von anderen nachge-fragt werden, oder ihre Arbeitskraft anderengegen Lohn anbieten. Es kommt zu Investitions-und Innovationstätigkeit und zum Entstehenvon Märkten. Märkte sind dabei nicht vorrangigGütertauschplätze, sondern zuvorderst Orte zumErwerb von Geld, speziell von Geld als „Schul-dendeckungsmittel“ (S. 107).

H&S stellen die bisher in den Wirtschafts-wissenschaften existierenden Erklärungsansätzedes Wirtschaftens und der Entstehung von Zins,Geld und Märkten in Frage. Wenn sich ihreTheorie bewahrheiten sollte – wofür die bishe-rigen Auszeichnungen ein Indiz sein könntenund wofür ein hohes Erklärungspotenzial desAnsatzes und dessen umfassende Berücksichti-gung historischer und gegenwärtiger Realitätenspricht –, werden viele darauf basierenden wirt-schaftspolitischen Gestaltungsvorschläge über-dacht werden müssen. Insbesondere Ansätze, dieeine grundlegend andere Ausrichtung der Globa-lisierung oder eine tief greifende Reform desWirtschafts- und Finanzsystems anstreben, müs-sten von Grund auf neu gedacht werden.

Mit ihrem Theoriegebäude könnten die Bre-mer Ökonomen Auslöser einer wissenschaftlichenRevolution in der Volkswirtschaftslehre werden.Sollte es dazu kommen, hätten sie mit ihrem Buch„Eigentumsökonomik“ das zukünftig wohl wich-tigste ökonomische Grundlagenwerk im deutsch-

sprachigen Raum geschrieben. Das Buch eignetsich allerdings nicht als Einstiegslektüre in dieWirtschaftstheorie, da es sich ohne ausreichendeökonomische Vorkenntnisse nur schwerlich ver-stehen lassen wird. Negativ zu bemerken ist,dass die Lesbarkeit und die Flüssigkeit des Tex-tes unter dem merklichen Bemühen der Autorenleiden, ihre neue Wirtschaftstheorie so präziseund eindeutig wie möglich zu fassen. An-steckend und fesselnd wirkt jedoch die offen-sichtliche Freude, die es den Autoren bereitet,wirtschaftstheoretische Mythen zu enttarnen undihr eigenes Theoriegebäude zu entwerfen.

Henning Osmers

� Helmut CreutzDas Geldsyndrom /Die 29 Irrtümer rund ums GeldDaun/Eifel: Radioropa Hörbuch, 2006. 12 bzw 9 CDs.

Seit kurzem liegen die beiden Bücher vonHelmut Creutz auch als Hörbücher vor. Dazuge-hörige Booklets enthalten die in den Büchernenthaltenen Grafiken.

Zu beziehen sind die Hörbücher über [email protected] oder über den INWO-Versand, Sam-bach 180, 96178 Pommersfelden, eMail: [email protected]

Geld regiert die Welt und wer regiertdas Geld?

Unter diesem Titel hielt Helmut Creutz einenVortrag in einer Veranstaltungsreihe, die dieÖsterreichische Gesellschaft für politische Bil-dung und das Sozialreferat der Erzdiözese Linzim Katholischen Bildungszentrum St. Franziskusin Linz durchführte. Dieser Vortrag liegt in-zwischen als DVD vor. Zu beziehen ist er ü[email protected] | Tel.: 0043–664–5835693 oder über den INWO-Versand.

Red.

Zeitschrift für Sozialökonomie 149/2006

Page 52: ZEITSCHRIFTFÜR SOZIALÖKONOMIE · Vo r w o r t 1 während der Fußballweltmeisterschaft mag eserlaubtseindaranzuerinnern,dassSilvio Gesell das Geld einmal als den „Fußball der

51Berichte

Zeitschrift für Sozialökonomie 149/2006

� Neuer Verband „Regiogeld e.V.“

Im Februar 2006 ist aus dem bisherigen Re-gionetzwerk ein neuer Verband Regiogeld e.V.hervorgegangen. Darin gibt es drei Arten vonMitgliedschaften: 1. bereits emittierende Regio-nalgeld-Initiativen, 2. in Vorbereitung befind-liche Regionalgeld-Initiativen und 3. Fördermit-glieder. Mitgliedsinitiativen haben Zugang zumRegio-Handbuch und zu einer Kreativwerkstatt.Ein Newsletter informiert alle Mitglieder regel-mäßig über neue Entwicklungen innerhalb desVerbandes. Auch die Fördermitglieder könnendie Mailingliste nutzen und zu vergünstigtenBedingungen an Fortbildungs- und Vernetzungs-treffen teilnehmen.

Der Verband „Regiogeld e.V.“ entwickelt Qua-litätskriterien für die Tätigkeit der Initiativen,er fördert die begleitende wissenschaftliche Aus-wertung von praktischen Erfahrungen der Initia-tiven und betreibt Öffentlichkeits- und Lobby-arbeit. Die Leitung liegt in den Händen einesdreiköpfigen Vorstandes, dem als 1. Vorsitzenderder Jurist Frank Jansky vom „Urstromtaler“ so-wie Christian Gelleri vom „Chiemgauer“ undFranz Galler vom „Sterntaler“ angehören. Leite-rin der Geschäftsstelle des Verbandes ist AnnikaPietsch.Nähere Informationen:Geschäftsstelle, Olvenstädter Str. 10,39108 MagdeburgeMail: [email protected]: www.regiogeld.de

� MONA – Netzwerk zur Erforschungmonetärer Systeme für Nachhaltigkeit

Wer Interesse daran hat, sich wissenschaftlichmit Regionalwährungen, Tauschsystemen oderanderen monetären Innovationen auseinander-zusetzen oder dies bereits tut, kann sich seitNovember 2005 einem Netzwerk anschließen,das seinen Mitgliedern eine Plattform für deninterdisziplinären Austausch und die gegensei-tige Unterstützung bietet. Die Mitglieder dieses

„Netzwerks zur Erforschung monetärer Systemefür Nachhaltigkeit“, kurz MONA, beschäftigensich mit Währungssystemen und währungsähn-lichen Systemen, Tausch- und Verrechnungssy-stemen und Geldsurrogaten sowie deren juris-tischen, sozialen, ökonomischen, ökologischen,politischen und sonstigen Auswirkungen undden verschiedenen Möglichkeiten, wie sich ent-sprechende Systeme zweckgerichtet ausgestaltenlassen, so dass sie gezielt als Instrumente zurFörderung einzelner Wirtschafts- oder Gesell-schaftsbereiche eingesetzt werden können.

MONA ist dabei keine intensiv zusammenar-beitende Forschungsgruppe, sondern verstehtsich als loses Netzwerk, das beispielsweise dieAnfertigung von Studien-, Diplom-, Magister-und Doktorarbeiten sowie Habilitationen för-dern will. Ziel aller Beteiligten ist es, mit ihrerArbeit zu einer nachhaltigen Entwicklung vonWirtschaft und Gesellschaft beizutragen.

Wer sich für MONA interessiert oder Mitgliedim Netzwerk werden möchte, findet nähere In-formationen dazu auf der Homepage des Netz-werks unter www.mona-netz.de

� Archiv für Geld- und Bodenreform

Im Auftrag der „Stiftung für Reform der Geld-und Bodenordnung“ wurde seit 1983 in der„Freiwirtschaftlichen Bibliothek“ Primär- undSekundärliteratur zu Bodenrechts- und Geldre-formtheorien gesammelt. Zum Bestand gehörenneben Büchern, Broschüren und Zeitschriftenauch Flugblätter, Fotos und Korrespondenzen; erist für Wissenschaftler/innen und interessierteLaien zugänglich.

Auf ihrer letzten Sitzung im März 2006 hatdie Stiftung die „Freiwirtschaftliche Bibliothek“in „Archiv für Geld- und Bodenreform“ umbe-nannt. Der Bestandskatalog wurde aktualisiertund digitalisiert. Ab dem Herbst 2006 wird erauch im Internet auf der Website www.sozialoekonomie.info im Bereich „Forschung“ einseh-bar sein. Dort befinden sich bereits separateVerzeichnisse einschlägiger Diplomarbeiten undDissertationen.

Zur Schließung noch bestehender Lücken undzur fortlaufenden Ergänzung der Archivbestände

B E R I C H T E

Page 53: ZEITSCHRIFTFÜR SOZIALÖKONOMIE · Vo r w o r t 1 während der Fußballweltmeisterschaft mag eserlaubtseindaranzuerinnern,dassSilvio Gesell das Geld einmal als den „Fußball der

52 Berichte | Veranstaltungen | Mitwirkende

Zeitschrift für Sozialökonomie 149/2006

sind Zusendungen von älterer und neuerer Lite-ratur sowie von Fotos und Dokumenten jeder-zeit sehr willkommen, ebenso Hinweise aufthemenbezogene Neuerscheinungen und neuereZeitschriftenaufsätze.Kontakt:Werner Onken, Dipl.-ÖkonomSteenkamp 7, 26316 VareleMail: [email protected]

� Unterguggenberger-Institut inWörgl

Seit April 2006 befindet sich das Untergug-genberger Institut in Wörgl in dem Haus, das derfrühere Wörgler Bürgermeister und Initiator desWörgler Freigeldexperiments Michael Untergug-genberger aus den Jahren 1932/33 bewohnt hat.Nähere Informationen über das Institut gibt esauf der Website www.unterguggenberger.org

� Oikos-Konferenz in St. Gallen

Auf Initiative der studentischen Organisation„Oikos“ fand im Mai 2006 die 18. Oikos-Kon-ferenz „Die Zukunft des Geldes – In ZukunftInvestieren“ statt.Nähere Informationen darüber gibt es auf derWebsite www.oikos-konferenz.org

� Aktion Volksabstimmung

Ziel dieser im Sommer 2006 startenden Aktiondes „Omnibus für Direkte Demokratie“ ist dieEinführung eines bundesweiten dreistufigen Ab-stimmungsrechts. Im ersten Schritt, der Volks-initiative, soll ein Vorschlag mit 100.000 Unter-schriften zur Beratung in den Bundestag einge-bracht werden können. Im zweiten Schritt, demVolksbegehren, soll mit 1 Million Unterschriftenerwiesen werden, dass genügend Menschen denVorschlag für wert erachten, dass er allen Bür-gern zur Entscheidung vorgelegt wird. Im drittenSchritt, dem Volksentscheid, soll die Mehrheitder abgegebenen Stimmen entscheiden.Nähere Auskünfte:Omnibus für Direkte DemokratieGreifswalder Straße 4, 10405 BerlinFon: 030 – 42 80 43 90 | [email protected]

� Kontroverse um die Geldschöpfung

39. Mündener Gespräche am 23. und 24. Septem-ber 2006 in der Reinhardswaldschule in Fuldatal-Simmershausen bei Kassel.Nähere Auskünfte und Anmeldung:Dipl.-Volksw. Jörg Gude, SteinfurteMail: [email protected]:www.sozialwissenschaftliche–gesellschaft.de

VERANSTALTUNGEN

DIE MITWIRKENDEN DIESES HEFTS

Dipl.-Kfm. Ralf Beckerc/o Laurentiushof, Diemelstr. 334474 Diemelstadt-Wethen

Thomas FuchsFaberstr. 27c, 6230 BrixleggÖsterreich

Dr. Hugo Godschalk, c/o PaySysIm Uhrig 7, 60433 Frankfurt/M.

Dipl.-Umweltwiss. Muriel HermannGut Wienebüttel 1, 21339 Lüneburg

Josef HüweLudwigsfelder Str. 11, 14165 Berlin

Dr. Christof KarnerFelix-Iribauer-Str. 7-8, 3200 ObergrafendorfÖsterreich

Dr. Robert Musilc/o Institut für Stadt- und RegionalforschungÖsterreichische Akademie der WissenschaftenPostgasse 7/4/2, 1010 WienÖsterreich

Dipl.-Kfm. Henning OsmersSchlengstr. 8, 28309 Bremen

Dr. habil. Niko Paechc/o Carl-von-Ossietzky-Universität Fakultät IIAmmerländer Heerstr. 114-118, 26129 Oldenburg

Dipl.-Sozialpäd. (FH) Katharina SchwaigerZollernstr. 13, 86154 Augsburg


Top Related