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Page 1: ZehnkampfderanderenArt · 2016-10-24 · DasHausnenntsich Lisi (Living inspired by sustainable innovation) und wurdevon einemStudententeam –20vonderTUWien,viervonderFH Salzburg,

Das österreichische Haus Lisihat sich deutlich vonder Konkurrenz abgehoben.

Wort derWocheBEGRIFFE DER WISSENSCHAFT

Es ist ganz und gar keine »normale«Flüssigkeit, dasWasser. Innsbrucker Chemikerentdeckten nun eine neue Modifikation vonflüssigemWasser bei tiefen Temperaturen.

VON T HOMAS KRAMAR

Wasser ist ein ganz besonderer Saft; eszeigt zahlreiche Anomalien, u. a. diebekannte, dass seine flüssige Formdichter ist als seine feste Form, dasEis. Wobei es nicht nur eine Modifi-

kation von Eis gibt, sondern fast so viele wie Sortenin einem gut geführten Eissalon: 19 Modifikatio-nen, davon sind 16 kristallin und drei amorph, alsoohne kristalline, regelmäßige Struktur. Ein amor-pher Festkörper ist quasi eine erstarrte Form derFlüssigkeit, Glas ist ein typisches Beispiel.

Eine Form von amorphem Eis mit besondershoher Dichte hat das Team von Thomas Lörting(Physikalische Chemie, Uni Innsbruck) vor neunJahren entdeckt. Nun hat es herausgefunden, dassdieses sozusagen gläserne Eis bei –157 Grad Celsiusin einen flüssigen Zustand übergeht: „eine hochvis-kose Flüssigkeit, zäher als Honig“, wie Lörting er-klärt. Für diesen „Glasübergang“ ist allerdings einespezielle Vorbehandlung notwendig, damit das Eissich nicht – wie bisher immer beobachtet – in eineandere festeModifikation umwandelt.

Bisher kannte man flüssiges Wasser nur beiTemperaturen über null Grad Celsius – beziehungs-weise ein bisschen darunter, wenn der Druck hochist. Dass es flüssiges Wasser bei –157 Grad gibt, isteine Überraschung. Spannend wird es jetzt zu un-tersuchen, welche Struktur dieses zähflüssige Was-ser hat. Schon das „gewöhnliche“ Wasser ist ja vielstrukturierter, geordneter als die meisten anderenFlüssigkeiten. Dafür sorgen die Wasserstoffbrücken,die Moleküle miteinander verbinden, und das ist dieUrsache für die Anomalien des Wassers. Die Inns-brucker Chemiker werden auch ergründen, welchephysikalischen und chemischen Eigenschaften dieneue Wassermodifikation hat. Etwa wie sie als Lö-sungsmittel taugt. „Wir wollen wissen, wie sich an-dere Stoffe in diesemWasser lösen lassen“, sagt Lör-ting laut APA, „und wie die um ein Viertel höhereDichte die Reaktionsfähigkeit verändert.“

Während auf der Erde normalerweise nur dieuns bekannte Form von kristallinem Eis vorkommt(das hexagonale Eis Ih), ist das Eis im Weltall fastimmer amorph – und könnte sich also durch denvon Lörting und Kollegen entdeckten Glasübergangin das zähe flüssige Wasser umwandeln, bei Tem-peraturen, die für Leben, wie wir es kennen, viel zuniedrig sind. Man kann trotzdem darüber spekulie-ren, ob manche organische Verbindungen, dieBausteine des Lebens sind, etwa Aminosäuren, sichin diesem zähen, kalten Wasser bilden können.„Wenn Wasser bei sehr viel tieferen Temperaturenals bisher angenommen flüssig auftritt, wirft das einneues Licht auf die Entstehung organischer Verbin-dungen imWeltall“, sagt Lörting.

[email protected] diepresse.com/wortderwoche

E L E M E N T E

Human Brain Project:OffiziellerStartschuss ist gefallenAn der EPFL Lausanne ist diese Woche mit einem Mee-ting der offizielle Startschuss für das riesige EU-For-schungsvorhaben Human Brain Project gefallen. Darinkooperieren rund 80 europäische und internationaleForschungsorganisationen, die gemeinsam durch Simu-lationen auf Supercomputern die Funktionsweise desGehirns ergründen und Stück für Stück nachbilden wol-len. Einziger Österreicher imManagementteam des Pro-jekts ist Alois Saria (Med-Uni Innsbruck), der das Ausbil-dungsprogramm für 500 bis 1000 PhD-Studenten leitet.Mit an Bord ist auch der Informatiker Wolfgang Maass(TU Graz). Gestartet wurde zudem eine Ausschreibung,umweitere Partner in das Konsortium hineinzuholen.

Ausgezeichnete Ökonomen: VierNobelpreisträger bei Seminar in WienGary S. Becker, James J. Heckman, Finn E. Kydland undRoger B. Myerson sind die Stars beim achtenWiener No-belpreisträgerseminar. Die Laureaten treten vom 14. bis16. Oktober in sechs Veranstaltungen auf, das genaueProgramm findet sich unter http://nobelvienna.at.

24 WISSEN 0 13. OKTOBER 2013 //// DIEPRESSE.COM ////

Ein Haus namens Lisi: In sechs Containern aus Österreich angeliefert, innerhalb weniger Tage in Kalifornien aufgebaut. Solar Decathlon Team Austria,

ZehnkampfderanderenArtÖsterreichs Beitrag zum Solar Decathlon verband ein außergewöhnliches Design mitumweltfreundlichen Materialien und Technologie der Extraklasse. VON MART I N KUG L E R

E s ist ein ziemlich ungewöhnli-cher Anblick, wenn man überden Orange County Great Parkin Irvine (Kalifornien) spa-

ziert: Da steht z. B. ein Haus, das auszwei weißen Quadern besteht, die aufSchienen voneinander wegbewegtwerden können, sodass dazwischenein Innenhof entsteht. Oder ein Holz-gebäude, das einer futuristisch umge-formten Ostblock-Datscha ähnelt.Oder ein Haus, das mit der Optik vonStrohballen oder windschiefen Bretter-verschlägen spielt. Eines der 19 Häuserhebt sich dank klarer Linien und edlerProportionen stark von den anderen ab– und vor ihm steht immer die längsteSchlange: Es ist der österreichischeBeitrag zum Solar Decathlon, einer ArtWeltmeisterschaft für innovative Solar-häuser, die das US-Ministerium fürEnergie alle zwei Jahre ausschreibt.

Das Haus nennt sich Lisi (Livinginspired by sustainable innovation)und wurde von einem Studententeam– 20 von der TU Wien, vier von der FHSalzburg, fünf von der FH St. Pölten –unter der Leitung von Karin Stieldorf(TUWien) designt, geplant, gebaut undnun fast zwei Wochen bei demWettbe-werb in den USA betrieben.

Bei dem Forscherwettstreit gibt esPunkte in zehn Kategorien: von Kom-fort (das Haus muss immer 22,4 bis24,4 Grad haben) über die Funktionsfä-higkeit von Haustechnik und HomeEntertainment (die bei zwei Dinner-Partys und einer Movie-Night über-prüft wurde) bis hin zum Engineering(Effizienz und Funktionalität), der Prä-sentation oder derMarkttauglichkeit.

Lisi besteht aus zwei Quadern, indenen sich Schlafzimmer, Badezim-mer, Stauräume und eine Kochnischebefinden; dazwischen befindet sich eingroßer Wohnraum. Davor und dahin-ter liegen noch zwei Terrassen mitGlasschiebetüren, die sich vollständigöffnen lassen. Zur Beschattung – oderwennman sich zurückziehen will – gibtes rundherum große weiße Vorhänge.Das Haus besteht fast ausschließlichaus Holz – aus neun verschiedenen Ar-ten: Böden aus Eiche, Decke aus Weiß-tanne, Wände aus Thermoesche, Däm-mungmit Zellstofffasern, Sessel aus ge-presster Rinde etc. Es musste aberauch Metall eingesetzt werden – „um

die Erdbebensicherheit für Kalifornienzu gewährleisten“, erläutert Stieldorf.

Das Haus ist als Plus-Energie-Hauskonzipiert, es produziert also mehrEnergie, als es verbraucht. Anders alsviele Gebäude der US-Konkurrenten istLisi gut wärmegedämmt. Die nötigeEnergie kommt aus einer Solaranlageund einer Luftwärmepumpe. Geheiztbzw. gekühlt wird über einen „doppel-ten Distanzboden“: Zum einen wirdwarmes bzw. kaltes Wasser durchRohrschlangen im Boden verteilt. Zumanderen strömt temperierte Luft durchden Boden und wird unmittelbar beiden großen Schiebetüren ausgeblasen:Dadurch entsteht vor den Scheiben ein

Luftvorhang, im Raum zieht es nicht,es entsteht ein behagliches Raumkli-ma. Eingebaut sind zudem viele netteDetails: etwa ein Bio-Kühlschrank, beidem verdampfendes Wasser (ohnekünstliche Kühlung) dafür sorgt, dassObst und Gemüse frisch bleiben.

Lisi kam aber nicht nur beim Publi-kum gut an. In den täglich veröffent-lichten Zwischenwertungen lag dasWiener Haus meist zwischen Platz vierund sieben. In der Kategorie „marketappeal“ (Markttauglichkeit) gab esüberraschend einen zweiten Platz. „Da-mit hatten wir nicht gerechnet, weil un-ser Gebäude eines der teureren beimSolar Decathlon ist“, so Stieldorf. Lisiwurde nämlich nicht nur für das mildeKlima Kaliforniens konzipiert, sondernes soll auch im österreichischen Winterfunktionieren. Am vorletzten Tag setztesich Lisi durch den überlegenen Sieg inder Disziplin „Kommunikation“ sogaran die Spitze der Wertung – das Ender-gebnis stand zu Redaktionsschlussnoch nicht fest. Ein lokales ScienceCenter verlieh Lisi schon zuvor denPreis als „beste Innovation“.

Das Team bekam auch schon ei-nige Kaufangebote. Das Haus ist aberunverkäuflich, es wird nach dem Be-werb wieder abgebaut und in Öster-reich öffentlichkeitswirksam ausge-stellt: als Vorbild für weitere Öko-Ideen– und auch als Original, das die Her-stellerfirmen in Bälde in Serie produ-zieren wollen.

„Die Presse“ hat den Solar Decathlon inIrvine (Kalifornien) auf Einladung desForschungsrates besucht.

I N K Ü R Z E

LISIAus 130 Einreichungen zum SolarDecathlon konnte sich Lisi als einesvon zwei europäischen Projekten fürdas Finale der besten 19 qualifizieren.Die TU Wien kooperierte dabei mitden FH Salzburg und St. Pölten, demAustrian Institute of Technology (AIT)und der IG Passivhaus. Gefördertwurden Entwicklung und Bau von„Lisi“ von der Forschungsförderungs-gesellschaft (FFG) mit 900.000 Euro.Etwa 20 beteiligte Firmen brachtenSachspenden ein – sie arbeitetenvielfach zum Selbstkostenpreis.

www.solardecathlon.atDie Architektin Karin Stieldorf (TUWien) präsentierte stolz dasWerk ihres Teams. Kugler

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