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IRTSCHAFT
Treibstoff für Start-ups
Der Norden unterstützt innovative Neugründungen.
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Seit Jahren werden in Deutschland immer
weniger Unternehmen gegründet. Die gute
Konjunktur sorgt für mehr Arbeitsplätze, die viele Menschen
den Risiken, die mit dem Weg in die Selbstständigkeit einher-
gehen, vorziehen – auch in Schleswig-Holstein. Während laut
Angaben des Statistikamts Nord 2015 noch 20 601 Neugrün-
dungen erfolgten, waren es 2016 nur noch 19 965. Was kann
getan werden, damit mehr Start-ups im Norden entstehen?
Und: Warum sind Unternehmensgründungen so wichtig?
Mit 37,2 Prozent gab es 2016 die mit Abstand meisten
Neugründungen in Schleswig-Holstein im Dienstleistungs-
sektor. »Der Vorteil ist, dass hier häufig kein hoher Kapital-
einsatz nötig ist und eine Gründung erst einmal gut im
Nebenerwerb erfolgen kann. Die Risiken sind also über-
schaubar«, erklärt Nils Thoralf Jarck, Federführer im Bereich
Existenzgründung und Unternehmensförderung bei der
Industrie- und Handelskammer (IHK) Schleswig- Holstein.
Trotz der insgesamt rückläufigen Zahlen gibt es für ihn auch
eine positive Entwicklung. »In unseren Beratungen sehen
wir einen Anstieg von Gründern, die aus Überzeugung in die
Selbstständigkeit gehen, und einen Rückgang von Notgrün-
dern, die die Selbstständigkeit als einzige Alternative zur
Erwerbslosigkeit betrachten.« Ein gutes Zeichen, denn laut
einer Studie der Kreditanstalt für Wiederaudau (KfW) brin-
gen Chancengründer häufiger Innovationen auf den Markt,
beschäfigen öfer Mitarbeiter und bleiben länger bestehen
als Notgründer.
Dennoch ist es wichtig, Schleswig-
Holstein als Gründerland weiter voran-
zubringen. Existenzgründer sind ein
wichtiger Bestandteil der Wirtschaf. Sie
brechen alte Strukturen auf, sorgen für
Dynamik und Wachstum und schaffen
Arbeitsplätze. Gerade für Schleswig-
Holstein sei dies ein wichtiger Aspekt,
sagt Professor Dr. Dirk Ludewig vom
Dr. Werner Jackstädt-Zentrum Flens-
burg. »Viele junge Menschen kommen
zu uns, um hier zu studieren, gehen
nach dem Studium dann aber in grö-
ßere Städte. Gerade diese jungen, gut
ausgebildeten Leute brauchen wir aber
und müssen ihnen daher attraktive
Arbeitsplätze bieten.« Diese können aber
nur entstehen, wenn auch neue Unter-
nehmen entstehen. Nils Thoralf Jarck
spricht gar von einem »Image-Leck«,
wodurch Schleswig- Holstein nach wie vor häufig als schönes
Urlaubsland, nicht aber als guter Nährboden für Gründer
wahrgenommen wird.
Bei der Frage danach, wo man ansetzen könnte, um
attraktiver für Start-ups zu werden, hilf unter anderem ein
Blick auf die regionale Verteilung des Gründungsgesche-
hens. 3284 der insgesamt 10 650 Neugründungen entfielen
im ersten Halbjahr 2017 auf die Kreise Pinneberg, Segeberg
und Stormarn. Diese liegen allesamt im Speckgürtel von
Hamburg und haben durch die Nähe zur Hansestadt und die
gute Infrastruktur klare Standortvorteile. Auf die kreisfreien
Städte entfielen 2362 Anmeldungen, die meisten davon
auf die Universitätsstädte Flensburg, Kiel und Lübeck, wo
die Hochschulen bereits ein breites Beratungsangebot für
Gründer und Start-ups bereithalten. Doch wie können die
eher »gründungsschwachen« Kreise gestärkt werden? »Die
Initiativen für angehende Gründer müssen stärker in die
Fläche getragen werden«, sind sich Jarck und Ludewig einig.
Ein weiteres wichtiges Kriterium ist außerdem die Infra-
struktur. Gute Verkehrsanbindungen und schnelle Glasfaser-
verbindungen – beides wichtige Entscheidungskriterien für
einen Unternehmensstandort – sind gerade in den ländlichen
Regionen noch nicht überall gegeben.
Trotzdem hat das Bundesland jungen Gründern schon
jetzt eine Menge zu bieten. Eine hohe Lebensqualität, kurze
Wege zu Bürokratie und Politik sowie verhältnismäßig
niedrige Lohn-, Gebäude- und Lebenshaltungskosten sind
attraktive Standortfaktoren. IHKs, Handwerkskammern,
Wirtschafsförderungsgesellschafen, die Investitionsbank
Schleswig-Holstein, Gründungs- und Technologiezentren
sowie weitere Akteure halten ein breites Unterstützungs-
angebot vor. Auch die Hochschulen treiben das Grün-
dungsgeschehen voran. Das trägt Früchte. So stieg etwa die
Zahl derjenigen, die sich im Dr. Werner Jackstädt-Zentrum
TEXT Andrea Henkel ILLUSTRATION Eva Hartmann
»Viele junge
Menschen
kommen zu
uns, um hier
zu studieren,
gehen nach
dem Studium
dann aber
in größere
Städte.«
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Flensburg beraten lassen, in den letzten Jahren stark an:
Wurden 2013 gerade einmal 18 Projekte betreut, von denen
drei in einer Gründung mündeten, waren es 2016 bereits
43 Projekte und 13 Gründungen. Eine noch junge Kooperation
in Flensburg ist die Venture Werf. Ende 2016 schlossen sich
die Europa- Universität Flensburg, die
IHK und das Technologie zentrum
der Wirtschafsförderungs- und
Regionalentwicklungsgesellschaf
Flensburg / Schleswig (WiREG) zu-
sammen, um Gründer gemeinsam zu
unterstützen. Auch hier zeichnen sich
bereits erste Erfolge ab. »Während
wir in den Jahren 2011 bis 2015 bei
durchschnittlich 22 neuen Grün-
dungsprojekten im Jahr lagen, waren
es in 2016 und 2017 im Durchschnitt
bereits 47«, betont Dirk Ludewig.
Auch Dr. Anke Rasmus, Leiterin
des Zentrums für Entrepreneurship
an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, beobach-
tet ein steigendes Interesse am Gründen. Rasmus ist auch
Vorsitzende des Ende Juni 2017 gegründeten Vereins »StartUp
Schleswig-Holstein«. »Mit dem Verein wollen wir das
Thema noch sichtbarer machen und das Beratungsangebot
stärken«, betont sie. Für fünf Jahre stehen den 13 Projekt-
partnern 6,9 Millionen Euro für unterschiedliche Projekte zur
Verfügung. Erste Ergebnisse sollen auf einer gemeinsamen
Konferenz voraussichtlich in der zweiten Jahreshälfe 2018
präsentiert werden.
Doch auch wenn die Hochschulen sehr gute Arbeit leis-
ten: Erst hier anzusetzen, ist zu spät. In den Schulen, so sagt
auch Nils Thoralf Jarck, wird eine selbstständige Tätigkeit als
Alternative zum Angestelltenverhältnis noch zu wenig vermit-
telt. Erste Bemühungen seien hier, etwa auch von Seiten der
Wirtschafsjunioren, einem Zusammenschluss junger Unter-
nehmer und Führungskräfe, zwar bereits vorhanden, aber
dieser Bereich sei durchaus ausbaufähig, so der IHK-Experte.
Wichtig wäre es außerdem, mehr Frauen zu einer
Gründung zu bewegen. »Zwar machen sich immer mehr
Frauen selbstständig, aber es sind noch immer zu wenige«,
sagt Wirtschafsminister Dr. Bernd Buchholz. Nur knapp
30 Prozent aller Unternehmen wurden 2016 in Schleswig-
Holstein von Frauen gegründet. »Das Unternehmerbild ist
durch festgefahrene gesellschafliche
Vorstellungen noch immer sehr männlich
geprägt. Zudem gründen Frauen häufig
im Dienstleistungssektor oder im sozialen
Bereich, wo sie nur schwer an Fördergel-
der kommen«, so Kirsten Mikkelsen von
der Europa-Universität Flensburg. Sie
beschäfigt sich bereits seit 2011 mit dem
Thema Gründerinnen. Doch Gründun-
gen durch Frauen bergen viele Vorteile.
»Nie waren Frauen so gut gebildet wie
heute. Hier liegt also ein großes Potenzial
brach«, betont Iris Kronenbitter von der
bundesweiten gründerinnenagentur
(bga). »Zudem haben wir die Erfahrung
gemacht, dass Frauen deutlich besser vorbereitet in die
Selbstständigkeit gehen als Männer und ihre Unternehmen
länger am Markt bleiben.« Weiteres Optimierungspotenzial
sieht Professor Ludewig in der Betreuung nach der Grün-
dung. »Bis zur tatsächlichen Gründung gibt es in Schleswig-
Holstein jede Menge tolle Unterstützungsangebote. Doch was
kommt dann? Viele eigentlich großartige Start-ups kommen
nicht aus den Startlöchern. Ein Ansatz wäre es hier, Wachs-
tumszentren zu schaffen.«
Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass Schleswig-
Holstein in puncto Existenzgründungen bereits eine Menge
zu bieten hat. Mit neuen Initiativen und Zusammenschlüssen
wurde vieles angeschoben. Hierauf gilt es aufzubauen, um
den Norden weiter attraktiv für innovative Start-ups und eine
dynamische Wirtschaf zu machen. °
»Zwar machen sich
immer mehr Frauen
selbstständig, aber
es sind noch immer
zu wenige.«
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2015 gründete Aline Hock im Büsumer Gründerzentrum Maricube das Start-up Sustainable Food. Seitdem hat das Unternehmen mehrere Preise gewonnen, darunter den Green Economy-Preis im Rahmen des Ideenwettbewerbs Schleswig-Holstein.
INTERVIEW Andrea Henkel FOTOS Holger Stöhrmann
von der ersten Idee über den Businessplan und
Finanzierungsfragen bis hin zu konkreten Pro-
jektfragen wie Antragsstellungen oder Vertrags-
abschlüssen sehr geholfen. Dank vieler toller
Netzwerke habe ich Zugang zu bereits etablierten
Unternehmen, von deren Erfahrungen und Feed-
back ich ebenfalls profitiere.
Wie hat sich das Unternehmen seit der Grün-
dung entwickelt?
Ich habe zunächst mit kleineren Projekten und
Forschungskooperationen begonnen. Inzwischen
ist unser Team auf vier Mitarbeiter angewach-
sen, je nach Projekt kommen bei Bedarf weitere
54° NORD: Frau Hock, wie sind Sie auf Ihre
Geschäfs idee gekommen?
ALINE HOCK: Ich habe schon während meiner
Schulzeit für NGOs, also Nichtregierungsorgani-
sationen, gearbeitet und mich gefragt, wie wir die
Lebensmittelproduktion nachhaltiger gestalten
können. Später habe ich Umweltwissenschafen
und Marine Biodiversität studiert. Schließlich kam
ich nach Büsum, um hier meine Masterarbeit zu
schreiben. Da ich meine Forschungsergebnisse
in die Praxis umsetzen wollte, wagte ich nach
ersten spannenden Projekten und Anfragen von
namhafen Einzelhandelsketten den Weg in die
Selbstständigkeit.
Direkt nach dem Studium ein Unternehmen zu
gründen, ist ein mutiger Schritt. Warum haben Sie
sich dazu entschlossen?
Es hat mich gereizt, mein Wissen an Unter-
nehmen weiterzugeben und sie dabei zu unter-
stützen, ihre Ressourcen sinnvoll einzusetzen,
während sie sich weiter auf ihr Tagesgeschäf
konzentrieren können. Die Selbstständigkeit
war da für mich der geeignetste Weg. So kann
ich meine Ideen umsetzen, ohne erst Vorgesetzte
überzeugen zu müssen.
Welche Vorzüge hat für Sie Schleswig-Holstein als
Standort?
Ich habe den Eindruck, dass die Netzwerke hier
durchlässiger sind und der Kontakt zu Politik
und Geschäfspartnern sehr direkt ist. Die Ent-
wicklungsgesellschaf Brunsbüttel, die Uni Kiel,
die WT.SH und viele weitere Akteure haben mir
Kollegen dazu. Mittlerweile haben wir einen
zweiten Standort in Berlin, wo vor allem das
Marketing und der Vertrieb laufen. Wir wollen
nun einerseits lokale Projekte vorantreiben,
andererseits strecken wir unsere Fühler verstärkt
ins Ausland aus. Wir beteiligen uns an Projekten
in Kolumbien und Vietnam. Dort liegt im Bereich
der Garnelen-Produktion für uns ein großer
Zukunfsmarkt.
Was waren und sind für Sie die größten Heraus-
forderungen als Gründerin?
Ich habe gelernt, dass viele Dinge Zeit und Muße
erfordern. Während der Gründungsphase war
das zum Beispiel die Marktforschung. Auch
heute laufen manche Dinge nicht so, wie ich sie
mir vorstelle. Hier die nötige Geduld aufzubrin-
gen, ist nicht immer ganz einfach. Es ist wichtig,
sich immer wieder neu zu fokussieren und auch
mal sein Geschäfsmodell oder einzelne Pro-
dukte anzupassen.
Noch wagen deutlich weniger Frauen den Weg in
die Selbstständigkeit als Männer. Wie sehen Sie
sich als Gründerin wahrgenommen?
Wenn ich im ländlichen Raum zu Meetings gehe,
bin ich häufig eine von wenigen Frauen. Ich
habe allerdings nicht das Gefühl, dass meine
Gesprächspartner mich deswegen weniger ernst
nehmen. Für mich stehen immer das Projekt
und die Ziele der Kunden im Vordergrund. Ich
Erfolgsfaktor: Mut!54°nord im Gespräch mit Aline Hock, Gründerin und Geschäfsführerin von Sustainable Food
Sustainable Food
Sustainable Food ist ein Forschungs- und Dienstleistungsunternehmen,
das mittelständische Unternehmen aus dem Lebensmittelbereich und
NGOs zum Thema CO₂-Fußabdruck bei der Herstellung von Fischproduk-
ten berät. Dabei untersuchen die Mitarbeiter Wertschöpfungsketten,
ermitteln Potenziale zur Ressourcenoptimierung, beispielsweise in
der Wasser- und Energienutzung, beraten zu verschiedenen Umwelt-
labeln und erarbeiten sogenannte CSR-Strategien (Corporate Social
Responsibility), die den Betrieben helfen, ihrer gesellschaftlichen Ver-
antwortung gerecht zu werden.
werde eher auf Augenhöhe wahrgenommen, und
die Leute schätzen das Engagement, das hinter
meiner Gründung steckt.
Welche Tipps würden Sie anderen Gründern –
und vor allem Gründerinnen – mit auf den Weg
geben?
Mein wichtigster Tipp ist: Seid mutig und pro-
biert euch aus! Überlegt, wofür ihr euch engagie-
ren wollt, wo eure Stärken liegen und wie ihr sie
umsetzen könnt. Holt euch Feedback, vernetzt
euch, übt weniger Selbstkritik und steckt dafür
mehr Energie in die Umsetzung eurer Ideen.
Dabei darf man nie seine Nische aus den Augen
verlieren und sollte seine Ziele mit Leidenschaf
verfolgen. °
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