7/17/2019 WEISHEIT Der Leere - Dalai Lama
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Herausgeber dieser Reihe M ichae l rd e n
7/17/2019 WEISHEIT Der Leere - Dalai Lama
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D L I
L M
M I C H E l V O N B R f i a
W E I S H E I T
D E R L E E R E
WILHELM HEYNE VERL G
MN HEN
7/17/2019 WEISHEIT Der Leere - Dalai Lama
3/253
H E Y N E
E S O T E R IS C H E SW I S S E N
08/9614
i b i i ohek
Copyright
1989 by BenzigerVerlag
A G , Zrich
Genehmigte Taschenbuchausgabe
erschienenimWilhelm
Heyne
Verlag, Mlmchen
PrintedinGermany
1992
Umschlaggestaltung:
AtelierAdolfBachmann,
Reischach
Umschlagillustration:actionpress,Hamburg
Satz:
Layout Grafik
1000,
Mnchen
DruckundBindung:
Presse-Druck
Augsburg
ISBN
3-453-06093-8
7/17/2019 WEISHEIT Der Leere - Dalai Lama
4/253
D ie
bersetzungen derOriginaltexte
stammen
von
Margareta
von Borsig, Heinz Braun,
Michaelvon Brck, Torakazu Doi
und
Jampa
Panglung.
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Inhalt
V o r w o r t
v o n
T e n z i n
G y a t s o , dem XIV. D a l a i L a m a :
D a s Wesen des Mahyn a-Buddhis mus 11
E i n l e i t u n g
33
TeilI GlubigeVerehrung 51
A u s
dem Lotos -Stra
52
bersetzt von
Margareta
von Borsig
Einfhrung 52
1 . G l e i c h n i s v o n den Krutern ( K a p i t e l 5 )
6 9
Erluterungen 69
Text 71
2.
B o d h i s a t t v a
Sadparibhta
( K a p i t e l 2 0 )
80
Erluterungen 80
Text 82
TeilII MeditativerWeg 89
A u s dem Avatarn s aka-Stra 90
bersetzt vonTorakazuDo i
Einfhrung 90
1 . V e r h e r r l i c h u n g
des
B u d d h a 100
Erluterungen 100
Text
101
6
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2. S e l b s t a u f g a b e 128
Erluterungen 128
Text
130
3 .
H e r r l i c h k e i t
un d
L e e r e
144
Erluterungen 144
Text
145
4 . D e r B u d d h a als u n i v e r s a l e r Knig
d e r B a r m h e r z i g k e i t 154
Erluterungen 154
Text
155
Teil
III Erwachenzur
Weisheit
177
A u s
dem Prajn pramit-Stra
178
bersetzt von
HeinzBraun
Herz-Stra 178
bersetzt von Michael von Brck
Einfhrung
1 .
Prajnpramit-Stra:
D e r
E r l e u c h t u n g s g e d a n k e
( K a p i t e l
2)
187
Erluterungen 187
Text
188
2.H erz-Stra: D i e W e i s h e i t der L e e r e 206
Erluterungen 206
Text
210
7
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TeilIV Bewhru ng in der
Welt
213
A u s dem Vimalakirti-Stra 214
bersetzt von M icha el von Brck
und
Jampa
Panglung
Einfhrung 214
1 . V i m a l a k l r t i u n d d i e Mnche ( K a p i te l 3 ) 217
Erluterungen 217
Text
219
2.
D i e Gttin ( K a p i t e l 6)
225
Erluterungen 225
Text
226
3 . D a s D h a r m a - T o r der Nicht-Dualitt ( K a p i t e l 8) 238
Erluterungen 238
Text
238
Glossar 246
Literaturverzeichnis 259
8
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ZurAusspracheder
Sanskritbegriffe
Die Lngsstriche berden Vokalen ,Iundzeigen diegedehnte
Aussprache an;
e
und
o
werden immer lang ausgesprochen. Das
r
sonanswirdetwa wieriausgesprochen, also s a m v r i t ifr s a m v r t i .C
wirdals t s c h j als d s c h gesprochen. Die Lautesund entsprechen
dem deutschen
sch\
y
wird
wie das
deutsche
7
v wie w gesprochen.
Dasn entspricht italienischem g n , whrendmden vorangehenden
Vokalleicht nasaliert. A mEnde eines Wortesbedeutetheine leichte
Behauchung. Betont werden die langen Silben.
9
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Radder Lehre und Gazellen.
Symbolfr dieerstePredigt des Buddha
imGazellenhain beiSarnath.
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Vorwort
Das
Wesen
desMahyna-Buddhismus
Buddhisten
knnen
von
Nicht-Buddhisten aufgrund ihrer
philo
sophischen Grundhaltung unddurch ihre Praxis unterschieden
werden.
Was
die
philosophische Grundhaltung betrifft,
so
kann
der als
Buddhist betrachtet werden,der dieVie r SiegelderLehredes
Buddhaakzeptiert, da
nmlich
1.alles verunreinigte Dasein leid
voll
ist,
2.
alle zusammengesetzten Erscheinungen
vergnglich
sind,
3.
alle Erscheinungen
ohneinhrentes
Selbst sind und
4.nirvna
Friede
ist. Wer dies nicht
anerkennt,
kann nichtalsBuddhistbe
zeichnet werden.
Was
die Praxis betrifft, sogiltdie allgemeine Anschauung, da
jeder ein Buddhist ist, der die
Drei
Juwelen als seine
letztgltige
Z u
fluchtbetrachtet.Wer dies nichttut, istein
Nicht-Buddhist.
Diese
Drei
Juwelen sind Buddha, Dharma und Samgha.
W i l l
man die
Drei
Juwelen im Zusammenhang ihrer historischen
Tradition
erklren,
so
mu zuerst der Buddha
genannt
werden.
Er
berliefert
undspricht dasWort derLehren, diese bildenden
schriftlichfestgelegten Dharma. Indem sich nun die
Schler
auf das
DrehendesDharma-Rades durchdenBuddha
1
verlassen undden
Dharma wahrhaftig ben,entwickelnsie die
Verwirklichung
des
Dharma in ihrem eigenen
Bewutseinsstrom;
dies
versteht
man
unter
dem
verwirklichten Dharma.
So
gibt
es
zwei
Aspekte
des
Dharma: den
schriftlich festgelegten
und den
verwirklichten
Dharma.
E in Schler wchst
stufenweise in der
Verwirklichung
des
Dharma,
bis er endlich zurdirekten Einsicht in dieNaturder
1 Die
Verkndigung
des
Buddha, vor
allem
die
erste
Predigt
in
Benares.
(DieAnmerkungenundErluterungen/um VorwortstammenvomHerausgeberdiesesBandes).
11
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Wirklichkeit gelangt. Wer bt und diese Ebene erreicht hat, wird
rya s a m g h a
genannt, er ist ein Heiliger, der
hhere
spirituelle
Ebenenbetretenhat.
Das
erklrt,
wie die DreiJuwelen Buddha, Dharma und Samgha
als eine bestimmte geschichtliche Tradition
entstehen.
Wie
aber
er
reicht der einzelne bendedas fortgeschrittene Stadium der Drei
Juwelen, die Stufe nmlich, auf der ein
Schler
bt oder bereits
jenseitsder
bung
angelangtist?
Hier
mu
zuerst
der schriftlichfestgelegteDharmagenanntwer
den,nmlichder t r i p i t a k a oder die >DreiKrbeder Literatur^ Diese
Schriften
mu der
Schler
studieren und meditieren. Die drei
ent
scheidenden Themen dieser Schriften sind die Belehrungen
ber
Tugend ( s i l a ) , Meditation samdhi) und Weisheit (prajh). Die
Schler mssen
alle drei
ben
und in ihrem eigenen Bewutseins
strom lebendig werden lassen.
Tugend ist die Grundlage allerbung.A ufdieser Grundlage kul
tiviert
der
bende seine
Meditation in Einheit mit Weisheit oder
vereint
> s a m a t h a
und
vipasyanwahrenPfadwahres
Aufhrenwirklichen Samgha-Juwel< herangereift.
N un
fhrt
man fort, die
vielfltigen
und
tiefgrndigen
Methoden
des Dharma zu
ben,
die als die
Drei
Hheren
b u n g s w e g e
2
be
kannt sind, bis man schlielichalle Fehler und Befleckungen vom
eigenen Daseinsstrom, also der eigenen Existenz,
entfernt
hat. Ist
das erreicht und ein
letztgltiges
Stadium erlangt, in dem alle
Ver
blendungen berwundensind, gelangt man zur Erfahrung des nicht-
verweilenden n irvna. Damit ist die ErleuchtungeinesBodhisattva
2
Tugend s i l a ) , Meditation
(samdhi),
Weisheit (prajn).
12
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gemeint,derweder im weltlichen Daseinskreislauf samsra) noch
i m nirvna
verweilt. In diesem Moment
ist
man zu einem
benden
a u f
der Stufe
jenseits
aller
bung
geworden und hat die
Bud
dhaschaft
erreicht.
Diesbeschreibt, wie ein Individuum durch systematische Praxis
die verschiedenen Ebenen
der
Verwirklichung
des
Dharma durch
luft.
Wennderbendedenschriftlich festgelegten und verwirk
lichten
Dharma
anwendet, erzeugterallmhlich im
eigenen
Be
wutseinsstromdaswirklicheDharma-Juwel.
U n d
es istebendiese
Qualitt,
die
verwandelnde Kraft
hat und
einen Menschen
zuerst
z u m
rya s a m g h a unddann zueinem B u d d h a werden lt.Das
bedeutet,
da alle
Drei
Juwelen von jedem ganz normal
benden
erfahren undverwirklichtwerden
knnen.
W e r den
Pfad
auf
diese Weisegeht,gelangt Schritt
fr
Schritt
z u m
Stadiumder
vollstndigen
und vollkommenen Buddhaschaft.
Wenn
wir nun die Frage stellen, ob die Buddhas
vielleichtohne
Ur
sachen
b z w .
ohnebestimmte Bedingungenentstandenseien oder ob
sie immer anfangs-
und
bedingungslos existiert
htten,so ist die
Antwort
negativ. Buddhas sind nicht
ohne
Ursache da, sondernsie
entwickeln
sich in
Abhngigkeit
von bestimmten und
entsprechen
den Bedingungen.W eilalso Buddhaschaft in
Abhngigkeit
von be
stimmten Ursachen
und
Bedingungen entwickelt
wird,
kann
sie
auch immer wieder
neu
erlangt werden
- unerleuchtete
Wesen
knnen
somit die Erleuchtung
aus
sichheraus
verwirklichen.
Entscheidende Bedingungfr dieErleuchtungist dieEntwick
lungdes
Erleuchtungsgeistes
( b o d h i c i t t a ) , der
zwei Tendenzen
in
sichtrgt:einmal,das
Wohl
aller lebenden Wesenzusuchen,und
z u m anderendas
Streben nach Erleuchtung. Das
ist
die
Wurzelder
Buddhaschaft.
Wurzel
dieser
Wurzel
ist das
Bewutsein
der allumfassenden hei
lenden Hinwendung zu allen Wesen (mahkarun). Diesbezglich
hat
crya
Candraklrti
3
gesagt:Das,
was die Erleuchtung zuwege
bringt, ist dieVollkommenheitinallumfassender heilender Hin-
3Candraklrti(6.Jh. n. Chr.),wichtigsterMdhyamika-PhilosophnachNgrjunaund
ryadeva.
13
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W e n d u n g
Das
bedeutet,
da letztlich
nichts
anderesals ein
offenes
und mitfhlendes Herz voll
heilenderHinwendung
zu allen
Wesen
(karunn)
die Bedingung dafr ist, da man zur
allwissenden
Erleuchtung
gelangt.
Buddha
Dies wird
sichtbar
im Leben
unseresBuddha
Skyamuni und in den
Erzhlungen berseine frheren Leben, als er
noch
ein
Bodhisattva
auf den gewhnlichen
Ebenen
der bung war, wie sie in den
jtaka-
Geschichten
berliefert sind.
Zuerst
hat er ein
gutes
H erz
oder
die
edleHaltung
in sich
entwickelt,
die in dem
Wunschbesteht,anderen
hilfreich zusein.A u f
dieserGrundlageverrichtete
er
dann
die zahl
reichen einzelnen
bungen von
Methode (upya)
und Weisheit
(prajn),
die schlielich in den
Sechs
Vollkommenheiten
zusam
mengefat
worden
s ind.
4
Grundlage
war fr ihn die Motivation der
heilendenHinwendung
zu allen
Wesen,
der W unsch,
anderenbeizustehen.
So b te er sich in
den
SechsVollkommenheiten,
um schlielich in
spezifischer
Weise
die bungen der hheren Meditation und hheren Weisheit zu
meistern.
Um ein
vollkommener
Buddha
zu
werden,
hat er
also
systematisch
die Fnf
Pfade
5
und Zehn
spirituellenEbenen
6
gebt
und
erlangt.
D ie
Eigenschaften
einesBuddhasinddreifach: solche, die mit der
Erkenntnis zusammenhngen,
diejenigen
der heilenden Hinwen-
4 Die
Sechs
Vollkommenheiten
des Mahyna
(pramit)
sind:
u n e i g e n n t z i g e s
Geben
d a n a ) ,
tugendhaftes
Verhalten s i l a ) , Geduld (ksnti),Tatkraft v i r y a ) , Meditation(dhyna), Weisheit
(prajn).
5 Bei den FnfPfaden (mrga)
handelt
essich um dieAspektederPraxis, die ein
Bodhisattva
auf dem Weg zurBuddhaschaftnacheinander
meistern
mu: Anhufung von
positiven
Bewut
seinsformungen
(sambhra-marg), Anwendung(prayoga-marg), Einsicht (darsana-marg),
Meditation(bhvan-marg) und
Meisterschaft
(asaiksa-mrga).
6
Dies
sinddie bodhisattva-bhmi oder
Ebenen
bzw. GradederVerwirklichung:dieEbene der
Freude (pram udit), der
Reinheit
(vimal), des
Leuchtens
(prabhkari), des Strahlens a r c i s -
m a t i ) ,
der Unberwindbarkeit
(sudurjay),
des
Widerstehens
a b h i m u k h i ) ,
des
Weitreichens
(duramgam), der Unerschtterlichkeit (acal). der
heilsamen Intelligenz
s a d h u m a t i ) und der
Dharmawolke (dharmamegh).
14
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dungund solche,dieseine Macht ausdrcken. Hierbei sind die am
wichtigsten, die sich auf die heilendeHinwendung zu den Lebe
wesen beziehen.
DasWesendesBuddha
Was dieFrage
nach
Naturund
Wesen
einesBuddhabetrifft, so fin
den sich in den Schriften der Srvakas (dem Theravda-Kanon)
nochkeine
Hinweise auf diedrei kya (Buddha-Krper) ,sondern
nur Erzhlungen vom historischenBuddha, der inIndien
geboren
wurde.
D ie
erstenseiner
zwlf
grundlegendenTaten werden
als die
eines
gewhnlichen Menschenangesehen.Erst als er dann in der
Meditation pltzlich vom
Stadium
der
Vorbereitung
in das der
hchsten Vollendung gelangt war, erreichte er die tiefste Einsicht
und dieBuddhaschaft.DieserAnsichtzufolge war derBuddhaalso
zu Beginn
seines
Lebensein
ganz
gewhnlicher Mensch, underst
nachdem er zur
Erleuchtung
gekommen war, vollbrachte er die
>Taten eines
Buddha
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Buddha
in der Formeineshchsten nirmnakya, er
inkarnierte
sich
in der Welt fr das H e i l
derer,
die ihm auf dem bungsweg folgen
sollten. Anfangs gab er nur vor, ein unerleuchtetes Wesen und
gewhnlicher Mensch zusein. E r
entsagte
dem w eltlichen Leben,
wurde Mnch und btesechs
Jahre
lang
strengste
Askese, bis ei
schlielich seine vollkommene
Erleuchtung
bekanntmachte, das
Rad der Lehre zudrehen begann und
zuletzt seinen
Eingang ins
parinirvna offenkundigmachte.
Aber all
diese
Taten
inihrer Abfolge hat er nur zurBelehrung fr
die
anderen
vollbracht. InWahrheit war er whrend der
gesamten
Zeit vollkommen erleuchtet.
Einige der Srvaka-Schulen meinen, da der Bewutseinsstrom
einesBuddha aufhrt, nachdem er in das parinirvna
eingegangen
ist und das
mirvna ohne
RestEntstehensin
gegenseitiger
Abhngigkeit
ist vielmehr die falsche Vorstellung,
die wir uns von der Art und Weise der Existenz der Erscheinungen
machen. Um Unwissenheit zu berwinden,
mssen
wir zu einem
richtigenVerstndnisundunverflschten Bi ldder
Wirklichkeit
ge
langen. Das
heit,
da wir zu der Weisheit erwachen mssen,die in
der Einsicht in Nicht-Selbst und Selbstlosigkeit
antman)
besteht.
Das Objekt dieser Erkenntnis ist
dasselbe
wie das der
verflschten
Erkenntnis; die Weisheit widerspricht aber direkt der falschen
Wahrnehmungsweise, die zur Unwissenheit
gefhrt
hatte.Mit an
deren Worten:
Um
den Zustand der Freiheit von Verblendung zu er
langen,
bedrfen
wir der Weisheit der Einsicht in Nicht-Selbst, die
direkt dem widerspricht, wie wir im Zustand der Verblendung die
Dinge
wahrnehmen.
Sind
wir einmal zu diesem
Weisheitsbewut
sein gelangt,
mssen
wir uns immer weiter darin vertiefen, bis
schlielichdie Unwissenheitgnzlichgetilgt ist.
Das ist die Bedeutung der
zwlfGlieder
desEntstehensin gegen
seitiger
Abhngigkeit,
und zwar sowohl hinsichtlich der Art und
Weise,wie sich der Daseinskreislauf samsra)entwickelt, als auch
bezglich
der
Mglichkeit,
ihn zuberwinden.
21
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Etwas, das durch Ursachen und Bedingungenentstehtund wan
delbar ist, kann keine
unabhngige Entitt
oder Existenz sein.
Gbe
es etwas, das unabhngigeExistenz in sich selbst
htte,
drfte es
hinsichtlich
seiner Existenz nicht von anderen Faktoren abhngig
sein.
So wie die vorangehenden Glieder in der Kette Bedingungen
f r die folgenden sind, sogiltumgekehrt, da die folgenden durch
die vorangehenden verursacht
sind.
Infolgedessen ist ihnen allen der
Charakter gegenseitig abhngigen Entstehens gemeinsam. Weil
alles, was ins Dasein tritt, von anderen Faktorenabhngt,sagtman,
d a die Erscheinungen leer
snya)
undohne inhrenteExistenz
svabhva)
b z w .
Selbst-Natur
tman)
sind.
Leere
W a s nun uns Menschen, die wiruerenObjekten gegenbertreten,
betrifft, so sind es die fnf psychosomatischen Daseinsgruppen
( s k a n d h a s )
1 3
,
die in ihrer Gesamtheit die Basis
dafr
bilden,
da wir
dem Menschen bestimmte Eigenschaften zuschreiben. Schauen wir
uns
aber
die fnf Gruppen von der materiellen Form bis zum Be
wutsein genau an, so knnenwir keine in sich selbstgengsame
Wesenheit oder
>PersonPerson als dem Subjekt, das Gebrauch macht, und den >Da-
seinsgruppen als dem, von dem Gebrauch gemacht wirdPersonSelbstPersonPersonEntstehen
in gegenseiti
ger
Abhngigkeit
die, da die Person und so auch alle anderen Er
scheinungen leer und
ohne
inhrente
Eigennatur sind. Daher
ent
stehtjedesderzwlfGlieder des >Entstehensin gegenseitiger A b
hngigkeitinAbhngigkeitvon den anderen. Siemssenalleber
wunden werden, angefangen bei der Unwissenheit bis hin zu
A lter
undTod.Und indem man die Unwissenheit
berwindet,
kann man
den Zustand
e r l a n g e n ,
i n dem alle Leiden
vollstndig berwunden
sind.
23
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D i e
zweiWahrheitsebenen
Diese
zwlfGlieder sind also voneinander abhngig und beruhen
a u f
der Lehre von den
VierEdlen
Wahrheiten. Deshalb ist es mg
lich,
die Theorie der
zwlf
Glieder
so anzuwenden, da sie sowohl
z u r
Erklrung des fortdauernden Kreislaufs des samsra als auch
z u
dessen berwindungdienen kann. Die
Vier
Edlen Wahrheiten
wurzeln aber auch in der Lehre von den zwei Wahrheitsebenen
( s a t y a - d v a y a ) .
Normalerweise beurteilen wir den Charakter oder das Wesen
jeder Erscheinung danach, ob sie fr uns
ntzlich
oder
gefhrlich
ist. W i r tun dies aufgrund einer Wahrnehmungs- und Urteilsweise,
die den Objektenetwasauferlegt, dasheitnicht mit Bezug auf E i
genschaften, die in den Objekten selbst gegeben sind. Unser
Urteil
i s t
somit von der subjektiven Gestimmtheit des
Bewutseinsabhn
g i g ,
nicht von einer
tiefgrndigen
Analyse der Erscheinung selbst.
E s
handelt sich um die konventionelle Ebene der Wahrnehmung
v o n Wirklichkeit .
Deshalb
nennt
man dies die konventionelle (oder
relative) Wahrheit
( s a m v r t i - s a t y a ) .
Geben
wir unsabernicht mit der
bloen
Erscheinung der Dinge
zufrieden
und fragen
statt
dessen nach ihrem eigentlichen tieferen
Wesen,
werden wir zu einer Wahrnehmungsweise der
Dinge
gelan
gen, die der
Wirklichkeit
tatschlich entspricht. Dies nennen wir
auch das
Urteil
ber das Objekt, wie es einem Bewutsein er
scheint, das die letztgltige Wahrheitsebene analysiert
( p a r a m -
rtha-satya).
D i e Theorie von den zweiWahrheitsebenen ist die
Wurzel
der
buddhistischen Philosophie, und jede der vier philosophischen
Hauptschulen im Buddhismus hat ihre je spezifische Erluterung
dazu. In der
M dhyamika-Schule,
die
w i r
1 4
als die
hchste
betrach
ten, werden die
zwei
Wahrheitsebenen als Grundlage
betrachtet,
v o n
der die
VierEdlen
Wahrheiten abgeleitet werden.
A l s
der BuddhaSkyamunidas Erste Rad der Lehredrehteund
14 In dertibetischenGelugpa-Tradition.
24
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die VierEdlen Wahrheiten
verkndete,
sagteer: Diesist die edle
Wahrheit vom Leiden. Dies ist die edle Wahrheit von der Ursache
des Leidens. Dies ist die edle Wahrheit von der Beendigung des Le i
dens.
Und dies ist die edle Wahrheit vom Weg zur Beendigung des
Leidens.
Auf diese Weise
erluterte
er die
Vier
Wahrheiten in
einem ganz bestimmten Kontext.
Dann fuhr er fort und sprach: Leidenmu verstanden werden.
D ie Ursache des Leidens mu berwundenwerden. Die Beendi
gung des Leidens mu verwirklicht werden. Der Weg mu gegan
genwerden.Dies war der zweite Kontext.
Als
drittes
sagte
er:
Leiden,
das verstanden werden mu, ist
nicht verstanden. Die Ursache, die berwundenwerden mu, ist
nichtberwunden.Die Beendigung, die verwirklicht werden mu,
ist nicht
verwirklicht.
Und der Weg, dergegangenwerden
m u ,
ist
nichtgegangen.Dies war der dritte Kontext, und erbedeutet,da
auch die
Vier
Edlen Wahrheiten keine inhrente Existenz haben,
keine in sich selbst
bestehende
Natur. Denn die Ursache kann nicht
berwunden werden
unter
dem Gesichtspunkt des absoluten oder
letztgltigenWesens der Wirklichkeit (weil sie abhngig und das
heitrelativ ist). Das gilt auch fr dieanderendrei der
Vier
Edlen
Wahrheiten.
A lsder Buddha also das Erste Rad der Lehredrehteund die
V ier
Edlen
Wahrheiten lehrte,
errterte
er sie
zunchst
auf der Ebene der
relativen Erscheinungen und danach auf der Ebene derletztgltigen
absoluten Bedeutung.
Danach drehte er das Zweite Rad der Lehre (die Mahyna-
Stras)und zeigte dabei, wie alle Erscheinungen in gegenseitiger
Abhngigkeitentstehenund da dieseTatsachedie Wurzel fr die
Vier
Edlen Wahrheiten ist. Mit
anderen
Worten, bei der Zweiten
Drehung des Rades der Lehre gab er eine ausfhrliche Errterung
berdas
>Entstehen
in gegenseitiger Abhngigkeit undlegtedar,
dadie Erscheinungen leer oder
ohne
inhrenteExistenz sind, da
sie letztlich also auch nicht hervorgebracht sind, nichtaufhrenund
nichtbestehenknnen.Die Art und Weise, in der Erscheinungen
existieren, ist
ohne
Entstehen,
Aufhren
und Dauerhaftigkeit. Dies
25
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wird innerhalb des Mahyna-Buddhismus auf zweifache Weise
gedeutet:
Wrdenwir annehmen, da der Satz:DieErscheinungen haben
keineinhrenteExistenz oder keinSelbstbedeutensollte, da sie
berhaupt
keine
individuelle
Identitthtten,knnten
wir gar nicht
davon sprechen, da irgend
etwas
existierte. Die Folge davon wre,
d a die Erscheinungenvllignichtexistent
wren,
und eshttegar
keinen
Sinn,
etwa berdas Leiden zu meditieren. Warum sollten
w i r meditieren, wenn weder der Meditierende noch das, worber
meditiertwird,existieren? W i r knntennicht einmal sagen, d a dort
e i n
Meditierender meditiert, wenn es weder den Meditierenden
noch das Meditationsobjekt gibt. Diesen doch offensichtlichen Tat
sachen in solcher Weise zu widersprechen ist einfach unsinnig.
A u s
diesem Grund kann der Ausdruck
>ohneinhrente
Existenz
oder Selbst< nichtbedeuten,da damit den Objekten ihre
individu
ellen
Merkmale
oder ihreIdentittabgesprochen wrde.
Diesbezg
lich
lehrte der Buddha imSamdhinirmocana-stra b. m D o - s d e -
d g o n g s - g r e l )
die Unterscheidung von drei Aspekten der nicht
inhrentenNatur der Erscheinungen, um die Lehre von der Leere
deutlichzu machen. InhnlicherWeiseerklrteder Buddha auch in
denPrajnpramit-stras die Lehre von dernicht-inhrenten E x i
stenzunterden drei Aspekten der Leere. Danach haben dieErschei
nungen i njedem
Fall
ihreIdentitt,die sich aus ihren jeweils indivi
duellen
Merkmalenergibt. Der Buddha lehrteaberauch das System
der Nur-Bewutseinsschule
(cittamtra),
das die uereExistenz
der Objekte leugnet und
sagt,
da alle Erscheinungen im
Bewut
seinentstehen.
W e r
versteht,
wie die Dinge auf der Ebene
bloer
Erscheinung
existieren (der konventionellen oder relativen Wahrheitsebene) und
w i e sie nicht aus sich selbst oder inhrentexistieren (auf der letzt
gltigen oder absoluten Wahrheitsebene), wer also die
Kriterien
kennt, die zu der Unterscheidung von Existenz und Nichtexistenz
fhren,
kann die exakte Bedeutung der Lehre des Buddha von der
nicht-inhrenten
Natur der Erscheinungen, wie er sie
whrend
der
Zweiten
Drehung des Rades der
Lehre
erluterthat,richtigerfassen.
26
7/17/2019 WEISHEIT Der Leere - Dalai Lama
26/253
Schriften wie das Tathgatagarbha-stra (tib.b D e - g s h e g s s n y -
i n g - p o i - m d o )
messender Lehre von der reinen Natur aller Erschei
nungen
groe
Bedeutung zu. Sie
betonen,
da das eigentliche
WesenunseresBew utseinsmakellos, reine Klarheit und Bewut
heit, ist. Die Verunreinigungen des
Bewutseins knnen
also besei
tigt werden.
Zustzlich
zu diesen Drehungen des Rades der Lehre hat der
Buddha auch zahlreichetantrischeBelehrungengegeben.
B e i der E r s t e n Drehung des Rades der Lehre erluterte der
Buddha
die allgemeine Struktur des buddhistischen Pfades vor
allem
in
bezug auf
die
Methoden zur Erlangung
pers nlicher Befrei
ung. Bei der Z w e i t e n und
D r i t t e n
Drehung des Rades der Lehre
erluterte
er dann vorrangig die Lehre von der subtilen Leere
(snyat)
und die Methoden, zur vollkommenen allwissenden Er
leuchtung zu gelangen, indem die Verschmutzungen und negativen
Instinkte des
Bewutseins
von diesem selbst gereinigt werden. In
seinen tantrischen Lehren hat der Buddha die exklusiven
Y o g a -
Wege errtert,wo Methode und Weisheituntrennbar miteinander
verbunden werden, damit das Bewutsein gereinigt wird und der
bendeSchritt fr Schritt auf den Stufen zur Vollkommenheit vor
anschreiten kann.
Stufen zurVollkommenheit
Das
Mittel,
das die Befleckungen des Bewutseinswirksam besei
tigt, ist die hhere bungin der Weisheit der Leere (prajn) oder
des Nicht-Selbst
(antman ).
Diese Weisheitm ufestin der hheren
bung
der meditativen Konzentration auf einen Punkt (derunge
teilten meditativen Achtsamkeit) begrndet sein (samdhi). Dies
wiederum setztdie bung in hhererSelbstdisziplin und Tugend
voraus
( s i l a ) .
Durch die Praxis der drei
hheren bungen
werden
die negativen Eindrcke und Verdunklungen des Bewutseins
durch das Bewutsein selbst gereinigt.
Damitdieses
h a rm a
-Jliwel - ein Zustand des
Bewutseins,
in
dem alle Fehlerberwundensind - Gestalt gewinnen kann, mssen
27
7/17/2019 WEISHEIT Der Leere - Dalai Lama
27/253
Anfnger
zuerstdie Fehler, die auszumerzen sind, erkennen. Da
nachmssensie sichbemhen,dietatschlichenFehler zuberwin
den. Dazu ist eswichtig,die zur Aufgabe der Zehn negativen Hand
lungsweisen
15
erforderliche Diszipl inzu entwickeln und die jeweils
individuell
geeigneten
Gegenmittel gegen bestimmte negative Ei
genschaften und Hindernisse anzuwenden. So sollte der
bende
im
Anfangsstadium also die Zehn negativen Handlungsweisen genau
kennen und, damit er sie berwinden kann, ein Fundament an
Selbstdisziplin
aufbauen.
W e r sich der Zehn negativen Handlungen enthlt, indem er die
entsprechenden
Gegenmittel
einbt,
gewinnt damit nicht nur einen
Zuwachs an spirituellerbung,sondern erwirdauch in derGesell
schaft als kultivierter Mensch
anerkannt.
Deshalb haben
crya
N g r j u n a
1 6
und
andere
groe indische buddhistische Meister
immer hervorgehoben, da wir am Anfang die Selbstdisziplin zur
berwindung
der Zehn negativen Handlungsweisen
einben ms
sen und im Lebensstil kultivierter Menschen wetteifern sollen,
damit die karmischen Bedingungen fr eine
gnstige
Wiedergeburt
geschaffen werden. Ngrjuna
lehrte
weiter, da wir auf dieser
Grundlage dann die Einheit von meditativer Ruhe ( s a m a t h a ) und
hhererEinsicht vipasyan)
kultivieren
m ssen,
um Befreiung und
hchsteErleuchtung zu erlangen.
Tatschlich
sind fr
Anfnger zunchst
die
bungen
zur Erzeu
gung einer gnstigen Wiedergeburt von besonderer Bedeutung.
Dennsie dienen nicht nur einer
hheren
Wiedergeburt in der Zu
kunft, sonderntragenauch unmittelbar zum Wohlergehen in diesem
Lebenbei. Indem sie uns dabei helfen,bessereMenschen zu wer
den, vermehren sie
unser
inneres
Glck
und inspirieren uns, in der
Gesellschaft einentzlichereR ol lezu spielen.
D i e
Selbstdisziplin zurberwindungder Zehn negativen Hand
lungsweisen ist wie eine Rstung ,die ein
Kmpfer
in der Schlacht
15 Die Zehn
negativenHandlungsweisen oderSnden a k u s a l a ) sind:Tten;Stehlen,
sexuelles
Fehlverhalten, Lgen,grobeRede,
Verleumdung,
leichtfertigesG eschwtz ,Habsucht,Bosheit,
ble
Ansichten.
16 Ngrjuna,2. Jh. n. Chr.,
bedeutendsterPhilosoph
des Mahynain
Indien.
28
7/17/2019 WEISHEIT Der Leere - Dalai Lama
28/253
trgt.Solange wirunfhigsind, die grundlegenden Verblendungen
mit
den empfohlenen Gegenmitteln zubekmpfen,ist die Praxis des
Sich-Enthaltens von physischen und verbalen
Akten,
die aus der
Unwissenheit entstehen,wie eine Rs tung, die uns schtzen
soll.
Haben wir diese
bung
gemeistert,
knnen
wir uns der Praxis
meditativer Ruhe und hherer Einsicht zuwenden, durch die wir
die grundlegenden Verblendungen direkt
berwindenknn en.
Verblendung oder Unwissenheit ist der eigentliche Gegner, und
dieser befindet sich einzig und allein in uns selbst. Der tibetische
Begriff fr Unwissenheit, n y o n m o n g s ,bedeutet,
da
es sich hier um
einen geistigen Faktor handelt, der Unzufriedenheit und einen Zu
stand groer innerer Verwirrung stiftet, wenn er ein Bewutsein
trbt.A mAnfang,in derMitteund am Ende des geistigen Pfades ist
dies dertatschlicheGegner, der uns angreift undzerstrt.
E in
Mensch, der den Dharma bt,
bekmpft
diese Verblendung.
DerDharma ist das Mittel,das wir gebrauchen, um den Siegber
die Unwissenheit zu erlangen.
Grundstzlich knnen
wir
sagen:
Je
strker
die Gier (Anhaften) und der Ha (Widerwille)
bezglich
der Dinge und Lebewesen in einem Menschen sind,destogrer
sind
Unzufriedenheit und Disharmonie, die der Betreffende in der
Gesellschafterzeugt.Das leuchtet unmittelbar ein.
SovielzurErluterungder Zuflucht beim Dharma. Nun komme
ich
zur
Errterung ber
den Samgha.
Samgha
Das Schrifttum der Srvakas zhlt
acht
Gruppen von Mitgliedern
des Samgha auf: vier, die im
B egriff
sind, in die vier
hheren
Sta
dieneinzutreten, und vier, diebereitsin diesen Stadien verweilen.
Demgegenber zhlen die Bodhisattva-Schriften achtundvierzig
Gruppen von Samgha-Mitgliedern.
Betrachten wirdie Sache historisch, so wissenwir,daes zur Zeit
des Buddha vielebedeutendewSrvakaSamgha-Mitglieder gab, zum
Beispiel
Sriputra
und
Maudgalyyana.
Nachdem der Meister ins
29
7/17/2019 WEISHEIT Der Leere - Dalai Lama
29/253
parinirvna eingegangen war, bernahmen die Haupttrger des
Dharma die Fhrung des Samgha. Spter
traten
die groen
indi
schen Meister auf, die wir die
>Sechs
Ornamente und die Zwei
Hchstem nennen - Ngrjuna, Aryadeva, Asahga, Vasubandhu
und so weiter. Ebenso wirkten die groen Trger des
v i n a y a
(der
Mnchsregel) , die vollkommenen Weisen, und die Meister der
Schriften des b o d h i s a t t v a - p i t a k a oderdes Groen Fahrzeugs. Und
schlielichgab es dann noch die gewaltigen tantrischen Meister, die
alleblichenVorstellungen hinter sich lieen, indem sie die Yogas
v o n
untrennbarerWeisheit
prajn)
und Methode
upya)
mit dem
Geheimen Tantra-(Mantra-)Fahrzeug verbanden.
In Tibet, dem Land des Schnees, blhte der Buddhismus und
wurde in seiner vollstndigenForm gebt, nmlich Hlnayna und
Mahynazusammen mitV ajrayna.
V i n a y a ,
mit den dreiwesent
lichenmonastischen Riten, wurde in Tibet als Grundlage des Bud-
dha-Dharma
gebt.
Und so heit es: Ob der Buddha-Dharma weiter
existieren und gedeihen
wird,
hngt von der Praxis der monasti
schen
Disziplin
ab, denn
v i n a y a
ist die Grundlegung fr alles
wei
tere.
In Tibet nun wurde
v i n a y a
in Verbindung mit dem Geheimen
Mantra gebt. Bereits in Indien hatte es die Tradition dermah-
s i d d h a s gegeben,
und in Tibet
hatten
wir
dementsprechend
unsere
tantrischen Meister.
Seit den Zeitenunserer erstenbuddhistischen K n i g e
1 7
gibt es bei
uns zwei Arten von Samgha-Mitgliedern: die Ordinierten, die dun
kelrote Roben tragen, und die langhaarigen Laien-Adepten, die
weie Roben
tragen.
Beide Samgha-Traditionen existieren auch
heute.DieweigekleidetenSamgha-Mitgliederbeachtennicht die
zahlreichen Regeln und Gebote des v i n a y a , sondern sie sind Tantri-
ker und
beachten
demzufolge die tantrischen Verpflichtungen. Die
dunkelrot gekleideten Samgha-Mitgliedermssenjedochsmtliche
v i n a y a - R e g t l n einhalten. Anderen gegenber sollen sie sich in
demtigemVerhalten ben, wie es in den vmaya-Regeln beschrie-
17 Sngtsen
Gampo
620-648
n. Chr.)
gilt
als der
Knig,
der den
Buddhismus
in
Tibet
ein
gefhrt
hat.
30
7/17/2019 WEISHEIT Der Leere - Dalai Lama
30/253
ben
wird,
und in ihremBewutseinsollen sie die Sechs Vol lkom
menheiten
18
desMahyna
kultivieren.
Gleichzeitig
mit den bun
gen zur Erlangung aller Stufen des Bodhisattva-Fahrzeugs sollen sie
den Pfad des Geheimen Mantra gehen.
Ich
habe
die buddhistischen Grundlagen hier einzig und
allein
von
einem buddhistischen Standpunkt aus
erlutert,
und es ist meine
Hoffnung, da auf diese Weise die
Glubigen
andererReligionen
den Buddhismus, wie er von uns Buddhisten
tatschlich gebt
w ird,
besser
verstehen
knnen.
Und ich hoffe auch, da dieses
Buch,
das
Michael von
Brck
herausgegeben hat, zu einem besseren Ver
stndnis
zwischen Buddhisten und Menschen
anderer
Religionen,
ganzbesondersChristen,beitragen wird.
Dharamsala, im Januar 1988 Tenzin Gyatso
Der
X I V .
DalaiLama
18 Vgl. S. 14 Anmerkung 4.
31
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31/253
32
7/17/2019 WEISHEIT Der Leere - Dalai Lama
32/253
Einleitung
D ie
Begegnung mit dem Fremden ist ein Abenteuer, das die einan
der Begegnenden nichtunverndertlt.In der Begegnung mit an
deren Menschen werden wir uns der eigenenIdentittbewut,
aber
w ir
nehmen auch denMangelin bezug auf nicht entwickelte
M g
lichkeiten
der geistigen Entfaltung in uns selbst wahr, d. h., wir
beginnen zu lernen. Nur
in
Begegnungknnenw irreifen.
D ieGeschichte der Menschheit ist gekennzeichnet durch solche
Begegnungen verschiedener Kulturen und
Religionen.
Diegroen
Religionen
sind zu einer bestimmten Zeit und
unter
ganz spezifi
schen
kulturellen
Bedingungenentstanden- Buddhismus und
Chri
stentum als Bewegung innerhalb einer schon lange gewachsenen
Tradition,dort die brahmanische, hier dieisraelitischeR eligion,und
sowohlder Buddha als auchJesus
standen
in einer Geschichte, die
siegeprgt
hatte
und die sievernderten.Buddhismus undChristen
tum blieben
aber
nicht, was sie waren - beide
Religionen
machten
in
der Begegnung mit den Kulturen, auf die sie trafen, erhebliche
Wandlungen
durch. Sie assimilierten (meist in langen kulturge
schichtlichen
Prozessen und nur
in
seltenenFllen bewutgelenkt),
was dem >Geist< oder der Grundgestimmtheit der missionierenden
Religion entsprach, und sie berwandenvieles von dem, was im
krassen Gegensatz dazu stand.Dieheutige Gestalt des Christentums
- welche:dieeuropische,afrikanische, indische? - istebensoPro
dukt dieser Begegnungen wie die heutige Form des Buddhismus
- welche: die sdasiatische, japanische, amerikanische, europi
sche? - Indem ich die verschiedenen Formenaufzhle,
mchte
ich
deutlichmachen, da wir es auch innerhalb des Buddhismus mit
sehrunterschiedlichgeprgten Strmungenund Paradigmen geisti
gen und sozialen
L e b e n s
ZUtun haben, wassichin den ausgewhl
ten Texten widerspiegelt, obwohl sie
ausschlielich
dem Mah-
33
7/17/2019 WEISHEIT Der Leere - Dalai Lama
33/253
yna, und hier wiederum a l l e i n dem indischen ursprnglichen
Mahyna , entstammen.
N u r wer sich in der Begegnung auf den anderen einlt, Vorur
teileberwindetund bereit ist zu lernen, indem er das Selbstver
stndnis
des anderen
ernst
nimmt und partnerschaftlich auf ihn
zugeht, kann Nutzen aus der Begegnung ziehen und in dem Sinne
reifen,wie es
wnschenswert
ist.Dazuist es
unerllich,
diewich
tigsten Dokumente, die heiligen Texte der anderen
Rel igion,
nicht
nur zu lesen, sondern zu meditieren, sie auf sich wirken zu lassen,
u m zu erfahren, was ihrSinnseinknnte.Vorschnelles
Urteil
ver
stellt den
Blick,
denn wir
stehen
immer in dem
Dilemma,
Fremdes
durch die eigenen Vorurteile und Kategorien zu beurteilen, auf-
oder abzuwerten und damitechterBegegnung auszuweichen. Ver
suchen wir aber wirklich zu verstehen, werden wir nicht nur
Freunde gewinnen und zum Frieden in der Welt beitragen, sondern
unsere
eigene geistige Welt weitet sich, das Mysterium, das wir
>Gott< nennen,
wird
uns vertrauter und fremderzugleich,undange
sichts des Reichtums der Erkenntnis und Tiefe Gottes wird das
Kennenlernen anderer Religionen vielleicht zum Staunen und
schlielich
zu einer befreienden
Gewiheit fhren,
die
unsere
Brder und Schwestern aus den anderen Religioneneinschliet.
D i e Begegnung mit dem Buddhismus kann Christen in tiefere spiri
tuelle Erfahrung fhren, sie kann Glaubenserfahrungen neu zum
Leuchten
undvielleichtin ganzandererFormzur Sprache bringen.
Geschichtliches
D e r
Mahyna-Buddhismus
entstand
in Indien als
Rckbesinnung
a u f
die Tiefen spiritueller Erfahrung und Weisheit des Buddha, in
dessen einzigartiger Persnlichkeit und Meditationserfahrung die
Religion,
mit der wir es hier zu tun haben, grndet. Siddhrtha
Gautama Skyamuni(um 560-480 v. Chr.) wurde in einer frst
lichen Familie geboren, wuchs in allem erdenklichen Luxus der
damaligen Zeit auf und
entsagte
der
Welt,
als er
e r k a n n t e ,
da die
Oberflchlichkeiteiner materialistischen Geisteshaltung angesichts
34
7/17/2019 WEISHEIT Der Leere - Dalai Lama
34/253
v o n
Krankheit, Alter und Todunertrglich ist. Er unterzog sich
asketischen bungenund lernte bald, da nur ein mittlerer Weg
zwischenWeltlichkeit und Distanz von der Welt zum Zie l spiri
tueller Reife fhren kann. In einer tiefen und unbeschreiblichen
Meditationserfahrung erfuhr er, was das wahre Wesen der
W irklich
keitist, begann zu predigen undbegrndetejeneBewegung, die zu
einerWeltreligionwerden undzunchstfast ganz Indien, dann Sri
Lanka,
Sdostasien,Zentralasien,China,Tibet,
Korea,
Japan und
seit dem 19. Jahrhundert auchAmerika und Europa erfassen und
prgensollte.
I c h
mchte
hier nicht die Geschichte des
Mahyna
im einzelnen
erlutern,sondern dies an Hand derEinfhrungen in die
jeweiligen
Stra-Texte nachholen. Vielmehrmchte ich aufzeigen, da der
bergang vom frhen Buddhismus zumMahyna und dann die
Epochen
desMahynaselbst einer inneren
Logik
folgen, die para
digmatisch ist,
weil
Grundmodelle desgesamtenLebens- undH eil s
verstndnisses,
die bis
heute
prgend
sind, einander
ablsen
und
doch
immer wieder miteinander reagieren.
Das Mahyna unterscheidet sich nicht unerheblich vom Bud
dhismus der Theravdins,der uns imPli-Kanon berliefertist und
heute
vorallemin
S r i Lanka,
BurmaundThailandblht.
D e r
Thera-
vda-Buddhismus ist inerster
Linie
eine Mnchsreligion,die auf
Grundlage strikter Einhaltung der monastischen Regel einen
indivi
duellen Heilspfad lehrt. Philosophisch hat er eine Orthodoxieher
vorgebracht, die zur Zeit des Aufkommens desMahynaexklusiv
geworden war. Die soziale und auf das He i lbezogene Individuali
sierung spiegelt sich in der Philosophie so wider, da die letzten
Grundbausteine der Welt ( d h a r m a ) als real gelten, d. h., siebeste
henewiginPluralittund bringen i n ihren Wechselbeziehungen das
hervor, was wir Welt nennen. Diessteht aber in einer gewissen
Spannung zu der urbuddhistischen Intuition von der Impermanenz
(Pli a n i c c a ) aller Erscheinungen.
Mahyna sttzt
sich hingegen stark auf die
Laien,
lehrt im
B o d -
hisattva-Ideal
e i n e n u n i v e r s a l e n
Heilspfad und macht das auch in
seiner philosophischen Grundhaltungdeutlich:AlleErscheinungen
35
7/17/2019 WEISHEIT Der Leere - Dalai Lama
35/253
sind
leer in bezug auf Eigenexistenz(s n ya), sie s i n d nur im Wech
selspiel
mit allen anderen, d.h. B e z i e h u n g , nicht Substanz ist der
letzte Begriffder
Wirklichkeit.
Dies wirkt sich in der Heilslehre so
aus, d a der Bodhisattva zwar ebenfalls nach Erleuchtung b z w . dem
nirvna
strebt,
dies
aber
in ganz und gar
a l t r u i s t i s c h e r
Gesinnung
tut: Er gelobt, auf den
Genu
der
Frchteseines Strebens
so lange
z u
verzichten, bis alle anderen Wesen
i m Leid
des Daseinskreislaufs
z u r Befreiung gelangt
sind.Bloindividuelle
Befreiung kann es an
gesichts der
Grundintuition
der Leere und Beziehung aller
Erschei
nungen nicht geben.
Bereits etwa einhundert
Jahre
nach des Buddhas Tod
knnen
wir
erste
Anstze
fr die Entwicklungen zum
spteren Mahyna
fest
stellen, und man nimmt an, d a bestimmte Lehren (so etwa auch die
Lehre von der Leere,
snyat)
durchaus auf den Buddha selbst
zurckgehen knnten. Mahyna grndet
im
Pli-Kanon
und
erkennt diesen an,
geht
aberin Theorie und Praxis
darber
hinaus.
W i r werden an den Texten selbst diesen
bergang erlutern.
D e r Buddha widersprach mit seiner
fltftf#-(Nicht-Selbst)-Lehre
der Philosophie und Kastengesellschaft des Brahmanismus, in der
die Welt alsetwasobjektiv Existierendes begriffen worden war, das
man durch Opferkulte zu eigenen Gunsten beeinflussen konnte.
A l l
dies ist fr ihn nicht real, sondern konstruktive Projektion des
Men
schen, der dadurch unfrei wird, weilsich die Begriffe zu einer E i
genwelt verdichten und von derwirklichenWelt abheben, so da
die
W irklichkeit
in einen
Bereich
des Geistes und einen
Bereich
des
materiellen Lebens gespalten
wird,
ja das
Bewutsein
des
Men
schen selbst sich in dieser
Dualitt
von Subjekt und Objekt gespal
ten wiederfindet. Die Lehre vom Nicht-Selbst
wil l
die Projektion,
die Selbstentfremdung vermittels
abstrakter
Ideen,
berwinden
und
das
daraus
resultierende Leiden aufheben.
I m Buddhismus der
ersten
Jahrhunderte wurde dieser kritische
Ansatz
mit der
Entwicklung
der Orden und der Lehre ( a b h i d h a r m a )
wieder objektiviert. Die Kategorien bekamen Eigenexistenz, und
man
suchte
wieder nach verbal formulierten
Mastben,
um die Au
torittdes Samghasttzenzuknnen.
A u s
einer kritischen Theorie,
36
7/17/2019 WEISHEIT Der Leere - Dalai Lama
36/253
die ursprnglich in Meditationserfahrung begrndetwar und alle
uereund objektivierte Autorittabgelehnt hatte,war wieder eine
abgegrenzte Lehre und Position geworden. Dagegen wendet sich
das
Mahyna
mit seiner Lehre von der Leere, die ein fr allemal
m it
der Absolutsetzung jeder
Position
aufrumen
wollte.
Der Besen,
der das Bewutseinvon der Scheinwelt seiner eigenen Gedanken
konstruktionen reingefegt hat (also die Lehre von der Leere), darf
abernun selbst nicht
brigbleiben,
denn er ist ebenfalls nicht-sub
stantiell:
Das Denken selbst mu zum Schweigen kommen, damit
die
W irklichkeit
sprechen kann, d. h., auch die Lehre von der Leere
m u
immer wieder
entleert
werden,
sonst
hat man die Sache nicht
erfat.
Dochauch imMahynaentwickelte sich im Laufe der Jahrhun
derteeine
Scholastik.
Metaphysiker undLogikerrangen um den
rei
nen
Begriff
und meinten, damit den Dharma, die unbegreifliche
Wirklichkeit,erfatzu haben. Sie glaubten, inLehrstzenund logi
schen Ableitungen die
tatschliche
Erfahrung der transdualistischen
Einheiterfassen zuknnen.Lehrpositionen werden nun wieder fr
absolut gehalten, Begriffe werden >substantialisiert
7/17/2019 WEISHEIT Der Leere - Dalai Lama
37/253
Hierarchie von Werten, wenn nur der Symbolcharakter aller Er
scheinungen tatschlicherfahren
wird,
d. h., wenn sie auf die hinter,
in
und ber ihnen liegende Nicht-Dualitthinweisen. Dies ist der
entscheidendePunkt fr die ganzheitliche Praxis imMahyna,in
der die
Dualitt
der Skandhas, d. h. des
Materiellen,
der Empfindun
gen, desBewutseinsusw.berwunden
wird.
D ieGeschichte des Buddhismus ist also ein
stndiger
Wandel in
der Spirale zwischen Substantialismus oder Konstruktion der Welt
in
rationalenModellenund kritischer Dekonstruktion, die dieRela
tivitt und den Scheincharakter dieser Modelleerkennt. Whrend
dogmatische Positionen dazu neigen, Hierarchien aufzubauen, die
auch im sozialen Leben wirksam sind (die
Elitereligion
der Mn
che),bestehtdie Konsequenz des nicht-substantiellen Denkens in
der Betonung der Gleichwertigkeit aller Menschen - die Laien
konnten in gleicher Weise an dem Weg zur Befreiung teilhaben.
Trotz(odergerade
wegen) der
Relativitt
aller begrifflichen
Aus
sagen
versinkt das
Mahyna
nicht in Skeptizismus, sondern ver
weist auf die tiefste Erkenntnisquelle: die transrationale Erfahrung,
die durch direkte Einsicht, Meditation und leiblich-psychisch
mentaleReinigung
mglich
ist. Das meditative
Bewutsein
ber
windet die entfremdend-entzweiende Rationalitt,
ohne
dieselbe
zu
zerstren,denn in ihrem begrenzten, relativen,alltglichenBe
reich wird
das rationale Denken
durchaus
akzeptiert. Rationalitt
wird aber
gefhrlich, wenn sie absolut gesetzt
wird,
wenn der
Menschnicht mehr wei,da sie ein Werkzeug und nicht die Sache
selbst ist.
Grundbegriffe
In
seinemVorworthatTenzinGyatso, derX I V.
Dalai
Lama,
in
mei
sterhafter
Klarheit und
Krze
die Gesamtschau buddhistischer
Welterfahrung
dargelegt.
Seine Bemerkungen sind ein Kompen
dium
des
gesamten
Buddhismus, dem es nichts
hinzuzufgen gbe,
wenn nicht der Leser vielleicht doch einige
Verstndnisschwierig
keitenhtte,weilwir es hier mit einer ganz a n d e r e nGeisteswelt als
38
7/17/2019 WEISHEIT Der Leere - Dalai Lama
38/253
der christlich-abendlndischen zu tun
haben.
Um die technischen
Begriffe verstndlich zu
machen,habe
ich in Klammern und An
merkungen
Erluterungen hinzugefgt, viele Anschauungen und
Zusammenhnge
werden
sich
aber erst dann
allmhlich klren,
wenn
sich der
Leser
in die
Texte
der Stras
selbst
einfhlt und
nicht
nur miteinemvoreingenommenenVerstndnis bei der Lektre Be
kanntes wiederzuentdecken glaubt, sondern
gleichsam von
innen
her den Geist der Stras zu ersprenbeginnt.Zu viele Vorerklrun
gen knnten
hier
hinderlich sein. Um
abereinige Wegweiser
aufzu
richten,
mchte ich das UmfeldwenigerzentralerVorstellungen des
Mahyna-Buddhismus kurz
beschreiben.
Grundlage
des
Buddhismus
berhaupt sind, wie der Dalai Lama
dargelegt hat, die Vier Edlen
Wahrheiten
und der Achtfache Pfad
zur Befreiung aus dem Leiden, der inhaltlich mit dervierten Wahr
heit
identisch ist. Bei
diesen
vier
Wahrheitenhandelt
es sich um
eine Analyse des Leidens. Esgehtummehrals die selbstverstnd
liche Vorstellung, da
Schmerz
und Vergnglichkeit leidvoll sind.
Das Problembesteht
nach buddhistischer
Auffassung darin, da der
Mensch dem AugenblickDauerverleihenmchte, da erseinflch
tiges
Dasein bertnchen mchte,
indem
er sich an
etwasPerma
nentes,
einenfesten Grund hngt, der unabhngig ist vomWerden
undVergehen.Er mchte Dinge
besitzen,
um sich Halt zu
verschaf
fen, und
gaukelt
sich vor, das Ich sei
permanent,
indem es
seinen
Wunsch
nach
auen auf die Dinge projiziert. Dieser Versuch mi
lingt
aber,denn
die von den Wnschen des Ich
aufgebaute
Welt ist
eine Illusion. Dieses Milingen
ruft
eineFrustration
hervor,
die
darin
besteht,
da
unsere ichhaften
Wnsche und Vorstellungen
nicht
Wirklichkeit,
sondern
Projektionen
sind. Das Leiden an
dieser
Frustrationist d u h k h a .
Eine der
Ursachen
fr das Leiden ist k a r m a n ,d. h.
nicht
ein ber
uns verhngtes Schicksal,sondernder urschliche
Zusammenhang
allenGeschehens
nicht
nur in der ueren Welt,sondern
auch
im
moralischen
Bereich:
JederGedanke
und
jede
Tat hinterlt
E in
drcke im Bewutseinskontinuum, das
dadurch seinen eigenen
Charakter
formt. Diese Eindrcke verlieren sich
nach
buddhisti-
39
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scher Auffassung keineswegs mit dem Tode, sondern sind gleich
sam eineM atrix,nach deren Vorgaben eineneue
Einkrperung
die
ser
Bewutseinskrfte
vollzogenwird.DieandereUrsache fr das
Leiden
sind die leidverursachenden Emotionen
( k l e s a ) ,
die direkt
m i t
der
Illusion
eines permanenten Selbst
zusamm enhngen .
Wenn
nmlich
der Mensch um der
Strkung
und Aufrechterhaltung des
nur eingebildeten Ich willenseine
Wnsche
nach
auen
projiziert,
begehrter die Dinge oderanderePersonen, um sein Ich aufzubauen;
entspricht
aber
die
W irkl ichkeit
diesem Begehren
rga)
nicht, rea
giert er mit
H a
und
rger
( d v e s a ) . Begehren und
H a
sind nurzwei
Seiten der zugrunde liegenden Unwissenheit
( m o h a )
in bezug auf
das Nicht-Selbst
(Pli
an att), d. h. die nicht
unabhngige
Existenz
eines Ich.
I c h mchte
versuchen, dies an einem
Beispiel
zu verdeutlichen:
Eineder Hauptsorgen in
unserer
Gesellschaft sind Partnerprobleme,
die
entstehen,
weiljeder der Partner seine Erwartungen,
Wnsche
und vorgefertigten
Bilder
auf den anderen projiziert und eigentlich
dochnursichselbst sucht. Er nimmt den anderen nicht so wahr, wie
er ist. Daraus
entstehen zunchst
egozentrisches Begehren, dann
Frustration, weilder
andere
nicht dem Bi ld entspricht, schlielich
H a
und Gewalt, die wiederum karmische
Eindrcke
hinterlassen.
Somitwird
eine Spirale des
bels
in Gang
gesetzt,
die nach buddhi
stischer Auffassung nur dann zum Stillstand gebracht werden kann,
wenn die egozentrische Illusion,
d a
das Ich
i n
sich selbst
begrndet
existiert, aufgegeben wird.
W a s
aberist die Person, wenn sie kein
unabhngiges
>Ich
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(vijnna).
Wirknnendies nicht im einzelnen erlutern, sondern
wollen nur deutlich machen, da hierjede Verdinglichung ver
mieden
wird.
Individuen sindZustndeoder Momente imFludes
Geschehens, die sich gleichsam in >Punkten< kristallisiert haben.
W a s
allem zugrunde liegt, ist der Strom oder das Kontinuum des
Bewutse ins , das sich selbstverstndlich in stndigem Wandel
befindet. Individuen sind nichtirreal,die
Persnlichkeit
des M e n
schen ist nicht eine
Illusion,
wenn sie in diesem Zusammenhang
gesehen wird.Wir werden das in denEinfhrungen zu den Stras
weiter
erlutern. E s
kommt nun darauf
a n ,
auf
d e m
Achtfachen
Pfad
voranzuschreiten und das
Bewutsein
so zu
lutern,
da die
leid
verursachenden Emotionen verschwinden und wir dieW irklichkeit
so wahrnehmen knnen,wie sie ist.
D e r AchtfachePfad ist: g a n z h e i t l i c h e A n s c h a u u n g (dievol lkom
men nicht-dualistische Anschauung derBeziehungvonMotivation,
Handlung
undWirkung), u n g e t e i l t e r Entschlu (diese Einsicht an
zuwenden), u n t a d e l i g e Rede (die keine Ich-Projektionen auf die
Wirklichkeitzult), v o l l k o m m e n e s H a n d e l n i n
dem die
ersten
drei
Gliederkonkretgebtwerden),
gleichmige
A n s t r e n g u n g (in A n
spannung und Entspannung, so da Gelassenheit entsteht), g a n z
h e i t l i c h e
Lebensfhrung (bei der das
Heilige
i m
Alltag
verwirklicht
wird),
unablssige
A c h t s a m k e i t (durch die alle physischen, psychi
schen und geistigen
Vorgnge bewut
und kontrollierbar werden)
sowie
g a n z h e i t l i c h e E i n s w e r d u n g (aller Bewutseinsprozesse im
Grund
des Geistes).
I m Mahynaist dies die Voraussetzung fr die Praxis der Sechs
Vollkommenheiten
1
,
von denen in den Texten laufend die Rede ist,
weil
sie den geraden Weg des Bodhisattva zur Befreiung beschrei
ben.Durchdiese Praxis derBewutseinsformung prgtderbende
seinen Charakter, also die obenerwhntekarmischeMa trix, i n posi
tiverWeise aus. Dies meint derB egriff p u n y a , der meist mit >Ver-
dienstpositive Bew utseinsformungVerdienstbertragung
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die EinheitinderVielheiterkennt und damit Weg undZie laus dem
Leidenskreislaufhinausweiund weist.
2
E inwichtiger Unterschied zwischenfrhemBuddhismus und den
Mahyna-Schulen besteht in der Interpretation von Wesen und
Funktion
des Buddha. War er im
frhen
Buddhismus ein Mensch
und Lehrer des Weges, so
wird
er imMahynazu einem Wesen,
das die relative Welt von Raum und Zeit transzendiert. In
Bildern,
Vergleichen
und Lobeshymnen
wird
uns davon vor
allem
im Lotos-
Stra und im Avatamsaka-Stra ein starker Eindruck vermittelt.
Philosophisch hat sich dieser Wandel in der Lehre von den drei
Krpern
des Buddha
trikya)
niedergeschlagen, die der
Dalai
Lamain seinem Vorworterlutert.
3
Aus seinen Bemerkungen
wird
ersichtlich,
daes sich hierbei nicht um beziehungslose Spekulation
handelt, sondern da das Problem direkt mit der Frage nach der
B e f r e i u n g ,
also dem
Sinn
des buddhistischen Heilspfades
ber
haupt,verbunden ist: Das
Bewutseinskontinuum mu
fortbestehen
knnen,
wenn die Anstrengung der buddhistischen Praxis nicht
letztlichnichtig seinsoll,ja die Befreiungserfahrung selbst kann nur
aufdem Hintergrund eines von karmischenEindrckenfreien (und
damit Raum und Zeit transzendierenden) Bewutseinskontinuums
erklrtwerden.
D ie
Leere
snyat)
besteht geradedarin,dasie die
Durchdringung
aller Erscheinungen(einschlielichRaum und Zeit)
ermglicht,
wie wir
ausfhrlich
in den
Erluterungen
zur
Prajn-
pramit-Literatur
darlegen werden.
Weil
nun der
Mahyna-Bud-
dhismus keine idealistische Philosophie ist
4
, bleibt das Bewutsein
immer mit einersehrsubtilen >Trgerenergieleer
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ser Satz verneint, da sie insichselbstbestehendeine letztgltige
Wirklichkeitwre;
Leere ist das Wesen, nicht das Gegenteil der
E r
scheinungen, seien sie materieller oder auch geistiger
A r t .
Deshalb
spricht derMahyna-Buddhismusvon den subtilenKrpern eines
Buddha,d. h. eines jeden Wesens, das zur Reife der Buddhaschaft
gelangt ist. Die drei
Krper
beschreiben nicht nur den
e i n e n
Buddha,
sondern die Struktur der
Wirklichkeit ,
die wir an diesem
erleuchteten Wesen erkennen
knnen.
Z u r christlich-buddhistischen
Begegnung
Whrend
der letzten
Jahre
hat der
Dialog
zwischen Christen und
Buddhisten
ein
hohes
Ma an intellektueller
Klarheit
und existen
tieller
Tiefe erreicht. Zahlreiche Begegnungen von Theologen und
Philosophen
haben dazu beigetragen, auf beiden Seiten das
Ver
stndnis
fr die Anschauungen des anderen zu
schrfen. Kritische
Textausgaben und
Neubersetzungen
haben das Studium
wesent
lich
erleichtert.
V o r
allem
aber
ist es der Austausch zwischen
ben
den Adepten beider
Religionen,
der in die spirituelle Tiefe
fhrt.
Zahlreiche
Christen ben buddhistische Meditationsformen und
entdecken, da dadurch ihre christliche Glaubenserfahrung reicher
wird,
und Buddhisten lernen von der praktischen
Nchstenliebe
der
christlichen
Nachbarn. Enthusiasmus und Warnungen von beiden
Seiten treffen aufeinander, und
i n
einer solchen Situation ist es sinn
voll ,
innezuhalten und nach
Klarheit
zu streben, indem man die
ursprnglichen
Texte studiert. Wer die folgenden Texte liest, mu
nicht
darber
belehrt werden, wie unterschiedlich die christliche
u n d
die buddhistische Geisteswelt sind.
Hier
ein
Schpfergott,
dort
das
k a r m a n - G e s e t z ,
hier die
Einsicht
in die
Sndhaftigkeit,
dort der
Optimismus
der
Vernderbarkeit
und
Reinigungsfhigkeit
des
Menschen,
hier das Vertrauen in das geschichtlicheHeilswirken
Jesu
Christi ,
dort die geistige Erfahrung, die alles Geschichtliche
berwindet.
Weitere Unterschiede
lieen
sich
aufzhlen.
Gleichzeitig
aber
werden auch
hnlichkeiten
deutlich. Nikolaus
v o n
Kues,
Meister
Eckart,die
Wolke
desNichtwissens,Teresa von
44
7/17/2019 WEISHEIT Der Leere - Dalai Lama
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Avi la ,Johannes
vomKreuz,Angelus Silesius - sie alle (und viele
andere)sprechen von einer Tiefendimension mystischer Erfahrung,
die buddhistischen Aussagen verblffend hnlichist. ImVergleich
mit
buddhistischen Texten werden Aussagen
besonders
des Johan
nesevangeliums in
neuer
Weise lebendig, und offenbar
fhrt
die Be
gegnung mit dem Buddhismus zwangslufig in einen Bereich, in
dem
unsere
(wie auch die buddhistischen) theologisch-rationalen
Begriffe
>wie Stroh< erscheinen, um Thomas vonAquinzu zitieren,
der nach einer tiefen inneren Erfahrung am EndeseinesLebens sein
eindrucksvollestheologisches Werk auf diese Weise charakterisiert
haben
soll.
Dasbedeutetnicht, da die buddhistisch-christliche Begegnung
nur in schweigender Meditationsinnvoll wre. Gewi,dies ist der
Kern .
AberBuddhisten und Christen haben ihre Erfahrungen immer
wieder interpretiert, nicht nur um sie anderen zu vermitteln, sondern
um
sich ihrer bewut zu werden. Diese Interpretationen hngen
vom
religisen
Kontext ab, und sie
>frbenDreiKrb e derLiteratur bezeichnet,weil er sich in
drei
Abteilun
gen
gliedert:
die
Predigten
des
Buddha
(stra),
die
Verhaltensre
geln, vor allem die Mnchsregel ( v i n a y a ) , und die systematische
Darstellung
der
Lehre
( a b h i d h a r m a ) . Strabedeutet wrtlich >Fa-
den
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Lehre zum Tragen, der von der Gruppe, die sich umdiesesStra
gebildet
hatte,
frbesonderswichtig gehalten wurde.
DieTexte sind nicht nach ihrer zeitlichen Reihenfolge
angeordnet
(die Datierung lt sich ohnehin nicht genau angeben), sondern
nach der inneren
Logik,
die
jene
Zentralgedanken in einem Stufen
weg erscheinen
lt,
der den Weg des
Mahyna-Buddhisten
in sei
ner Dharma-Praxis selbst beschreibt. Da die Aspekte des Weges
gleichzeitiggebtwerden und einander durchdringen, htte gewi
auch die Prajnpramit-Literaturvor dem Avatamsaka-Stra
ste
hen knnen, denn der inneren Schau in die gegenseitige Durch
dringung aller Erscheinungen
geht
die Einsicht in die Leere voraus,
oderbesser:sie ist nur ein
anderer
Aspekt ein und derselben Sache.
Dennoch schien der Weg vonglubigerVerehrung berdie Suche
beiden Meistern auf einem Meditationspfad, der nach innen fhrt
und im Erwachen zur Weisheit gipfelt, sowohl dem buddhistischen
Selbstverstndnisambestenzuentsprechenals auch fr den
Chri
sten
am
ehesten
nachvollziehbar zu sein. Der buddhistische Weg
endet
freilichnicht in der Einheitsschau oder irgendeiner Art von
weltferner geistiger Erfahrung, sondern in der Bewhrung in der
Welt,wieVimalaklr t i ,der weise Familienvater und Lehrer, im V i -
malakirti-Straauch dieMnchehumorvoll undeindrcklichlehrt.
Dieses Straist spter
entstanden,
bringt
aber
die wichtige prakti
sche
Verwirklichung
des Dharma im
A ll tag
so deutlich zur Sprache,
daes als Abschluder Darstellung keinengeeigneterenText ge
ben kann:Hierwerden die Weisheit der Leere prajn) und die
Ver
wirklichung in allen Situationen des Lebens durch geeignete
Methoden upya) tatschlich in ihrer Einheit anschaulich dar
gestellt.
Leider
sind viele
Mahyna-Texte
nicht im Sanskritoriginal er
halten.A lsim 12. Jh. n. Chr. der Buddhismus in Indienverfiel,wur
den die groen Klosteruniversittenund Bibliotheken(Zerstrung
von Nland
1197, von Vikramasila 1203) von muslimisch-trki
schen Eroberern dem Erdboden gleichgemacht. Dies istabernicht
der einzige Grund fr den Untergang des Buddhismus in Indien: Er
war schon
lngst
kraftlos geworden,
weil
er trotz der Laienbewe-
48
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gungen im wesentlichen eine monastische Religion geblieben war
und
gleichzeitigviele seiner Lehren und Methoden in den
Hinduis
mus integriert werden konnten. Das System desAdvaita Vednta,
philosophischvertreten vor allem von Samkara, 788 - 850 n. Chr.,
ist
ein
Beispiel
dafr.
Nur Fragmente oder
sehr
spte
Manuskripte
sind
also in Sanskrit erhalten, whrenddiebersetzungenins
C h i
nesische und Tibetische als erstklassige Quellen des Mahyna
angesehenwerden
knnen,
die allerdings durch den Geist derber
setzer
modifiziert wurden.
Den hier abgedruckten Abschnitten aus dem Lotos-Stra Sad-
dharmapundanka-stra)
liegt die chinesische
bersetzung Kum-
rajivas zugrunde, der Text wurde aus dem Chinesischen von Dr.
Margareta von
Borsig
(Mnchen) bersetzt. Die Abschnitte aus
dem A v a t a m s a k a
- S t Y d i
wurden von Prof. Torakazu
Do i
(Kyoto,ge
storben 1971) aus dem Chinesischen ins Deutschebersetzt,einige
Hinweisezu dieserbersetzungfindensichin derEinfhrungzum
Tei l
II. Der Text aus dem
Pancavimsatishasrik-prajnpramit-
Stra wurde von Dr.Heinz Braun (Gttingen) aus dem Sanskrit
nach einem Text aus dem 5. Jh. n. Chr. ins Deutsche bertragen,
wobei
auch die kritische Ausgabe und die englische
bersetzung
Edward Conzes herangezogen wurden. Das
Prajnpramithr-
daya-Slvz wurde von mir aus dem Sanskrit nach der kritischen
Ausgabe von Edward Conze
bertragen.
Das
V i m a l a k i r t i - n i r d e s a -
Stra
wurde nach dem tibetischen Text
im
Kanjur
(bersetzung
von
Dharmatsllaaus dem 9. Jh.), den Sanskritfragmenten inSntidevas
Sikssamuccaya und CandraklrtisPrasannapad sowie den
ber
setzungen von Etienne Lamotte ins
Franzsische
und Robert
A .
F.
Thurman ins Englische von Dr. Jampa Panglung Rinpoche(Mn
chen) und mir
bersetzt,
wobei zur
berprfung
auch die von La
motte
angefhrten
Sanskritparallelen herangezogen wurden. Das
Vorwort
desDalaiLama wurde von mir aus dem Englischenber
tragen.Diebersetzungenversuchen,sichsogetreuwiemglichan
die Originaltexte zu halten, weshalb wir auch von dem
Versuch,
das
Versma der Texte wiederzugeben, weithin Abstand genommen
haben.
Gleichzeitig
mute
aber
die
Verstndlichkeit
fr den
reli-
49
7/17/2019 WEISHEIT Der Leere - Dalai Lama
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gionswissenschaftlich nicht geschulten Leser
oberstes
Prinzip sein,
das fr diebersetzungenselbst magebendwar. Wiederholungen
mutenoft weggelassen und Begriffe umschrieben werden. Die von
mir hinzugefgten Ergnzungen
in Klammern oder
Erluterungen
in
Funoten
dienen nur einer
ersten
Orientierung,
ohne
die der
Text oft unverstndlich bleiben wrde, sie beanspruchen aberin
keiner Weise, die Kriterieneineswissenschaftlichen Kommentars
zu erfllen.
Allenbersetzernsowie auch demMnchdes tibetischen Gaden-
Shartse-Klosters inSdindien,Ven .ChemeTsering,der die Vignet
ten gezeichnet hat,
mchte
ich
sehr
herzlich fr ihre Mitarbeit dan
ken. Besonderer Dank gilt S.H .dem X I V. DalaiLama fr das
Vor
wort und viele Stunden, in
denen
er mir imGesprchdie Geistes
welt des Mahyna-Buddhismus erschlossen hat. Herrn Dr. H e l l
muth Hecker von der Buddhistischen Religionsgemeinschaft in
Deutschland (Hamburg) sowie Geshe Thubten Ngawang und Chri
stoph Spitz vom Tibetisch-Buddhistischen Zentrum in Hamburg
mchte ich fr wertvolle Hinweise danken. Geshe Thubten hat
freundlicherweise auch die tibetischenKalligraphien geschrieben.
Mge dieser Band das Verstndnis zwischen Buddhisten und
Christen
frdern,undmgenchristliche Leser durch dieLektreer
mutigt werden, in der ihnengemenWeise undunterder Inspira
tion
durch
unsere
buddhistischen Partner den Weg zu dem
Ziel
zu
gehen, das uns allen gemeinsam bestimmt ist.
50
7/17/2019 WEISHEIT Der Leere - Dalai Lama
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Tei l l
GlubigeVerehrung
Lotosblume.
Symbol
der Reinheit und Vollkommenheit.
51
7/17/2019 WEISHEIT Der Leere - Dalai Lama
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Aus dem Lotos-Stra
bersetztvon Margareta vonBo rsig
Einfhrung
Das Lotos-Stra
oder, mit seinem
vollstndigen T i tel ,
S a d d h a r m a -
pundarika-stra
(>Stra
vom
weien
Lotos des wahren Dharmadie
Bibel Ostasiens< in
China
und Japan eine
Wir
kung
entfaltet hat, die bis
heute
unvermindert
anhlt,
sondern vor
allem, weiler einer der frhesten Texte ist, die Zeugnis von dem
neuen Geist ablegen, der den Buddhismus
wohl
bereits schon ein
Jahrhundert nach dem Tod des Buddha zu erfassen begann: dem
Geist
des Mahyna. Kaumein
anderer
Text erfreut sichin der ge
samten buddhistischen Welt bei Laien wie bei Mnchen derartig
groer
Beliebtheit.
Das
Lotos-Stra
wurde bereits im
Jahre
286 n.
Chr.von Dharmaraksa ins Chinesischeb ersetzt,und dasbedeutet,
dader Text schon lange vor diesem Zeitpunkt zusammengestellt
gewesen sein
mu ,
ja
da
die
m ndliche berlieferung wohl
einige
Jahrhunderte
zurckreichen knnte.Wahrscheinlichgehen die ein
drucksvollen
Gleichnisreden auf frheste buddhistische berliefe
rung
zurck,
und es ist
mglich,
da sie den Predigten des Buddha
selbst entnommen sind und in einer von den etablierten Mnchs
orden unabhngigen Laien-berlieferung aufbewahrt wurden. Die
meisten Indologen nehmen an,
da
der Text
im
1. Jh. n.
Chr .
schrift
lich fixiert war, wenn auch in einerForm,die immer wieder vern
dert
wurde, wiew iran den verschiedenen chinesischen bersetzun
gen aus dem Sanskrit ablesen
knnen.
Nehmen
w ir
das 1. Jh.
n.Chr.
als Entstehungszeit an, so
bedeutet
dies, da das
Stra
fast
gleich
zeitig mit dem Pli -Kanon, dem Tripitaka, niedergeschrieben
wurde, wobei diese Schriften
freilich
ebenfalls eine lange
mnd-
52
7/17/2019 WEISHEIT Der Leere - Dalai Lama
52/253
liehe
berlieferungsgeschichte
hinter sich
hatten,
bevor sie schrift
lichniedergelegt wurden. Jedenfalls kann man aus dieser
Chronolo
gieersehen,da vom
Alter
her gesehender Text des Lotos-Stra
nicht weniger authentisch ist als der
Pli-Kanon
der
Theravdins,
und es begegnen uns in beiden Schriftenreihen ganz verschiedene
Interpretationen der Lehre des Buddha, die man unterschiedliche
Paradigmen nennen kann, wei l sie die Gesamtheit der Ansichten
berdenKosmos,den Menschen, das Leben, den Heilspfad und die
Rolle
des Buddha betreffen.
KumrajlvasText
Der
hier
bersetzte
Text
beruht
auf der chinesischen
bersetzung
Kumrajlvasvon 406n. Chr.aus dem Sanskrit.Kumrajlvawar der
Sohn
eines indischen Brahmanen und einer zentralasiatischen Prin
zessin
aus Kucha.Er hat nicht nur dieses
Strabersetzt,
sondern
im
Auftrag des chinesischen Hofes von Ch'ang-an Hunderte von
buddhistischen Texten bertragen,nichtallein,sondern mit einem
Stab vonwohlbis zu eintausend Mitarbeitern.
Kumrajlva
kannte
nicht nur den Buchstaben, sondern auch den Geist der
R eligion,
die
er durch seine einzigartige Leistung inChinaverbreiten half, von
innen her. Aus diesem Grund und weil seine Sanskritvorlage
lter
istals die der
ersten
bersetzung
durch Dharmaraksa,
geniet
sein
Textbis
heute
besonderesAnsehen.
1
Der
Text desStrabestehtaus Versen gths) und Prosa, wobei
die Verse
lter
sind.Die Prosa wiederholt,
erlutert
und interpretiert
zum Tei lauch die Verse in
neuer
Weise.Dennoch sind beide For
men fast identisch, und man knnte jeweils einen Verstext und
einen Prosatext erstellen, wobei beide den
gesamten
geistigen Ge
halt desLotos-Strawiedergeben wrden.Einen Verfasser kennen
wir
nicht, und da es sich um die Sammlung von Texten aus alter
mndlicher
Tradition handelt, die von vermutlich mehreren Re-
1 Zur
WirkungsgeschichtC
d e s Lotos-Strain China undJapanund zur
Geschichte
der ber
setzungen
in
europische
Sprachen
seit
dem 19. Jh. vgl. M. v. Borsig,
Leben
aus der
Lotosblte
(s.
Literaturverzeichnis).
53
7/17/2019 WEISHEIT Der Leere - Dalai Lama
53/253
daktoren zusammengestellt wurden,
wre
e i n Verfasser auch gar
nicht zu benennen. Die endgltigeRedaktion des Sanskrittextes des
Stra,
wie erKumrajlva vorlag,knnteim 2. Jh. n. Chr. in Gan-
dhra
(Nordwestindien) erstellt worden sein.
Charakter desStra
Das
Lotos-Stra
ist ein Meisterwerk mytho-poetischer
Vision.
Es
ergeht
sich,
wie
sonst
in vielenMahyna-Strasder Fal l ,kaum in
lehrmigenDiskursen, sondern konzentriert sich ganz aufdie Per
son des Buddha. Wer ist dieser Erleuchtete? Ein
gewhnlicher
Mensch,dem es gelungen ist, das Seinaus denAngelnzuheben
(R .Guardini) und zu einer allesMenschlichesprengenden Erleuch
tung durchzubrechen, oder ein Gott in Menschengestalt? DieseFra
gen waren nicht neu,abersie werden imLotos-Strainbesonderer
Weisebeantwortet.
Das liegt an der
Tradition,
aus der es hervorge
gangen ist.
W ir
haben allen Grund anzunehmen,
da
das
Stra
nicht
inMnchskreisenentstanden
ist, sondern von und fr
Laien
berlie
fert wurde. Wie wir aus anderen Quellen wissen,
entstand
schon
kurznach dem Tode des Buddha eine
Laienfrmmigkeit,
die ihr
Zentrum in der Reliquienverehrung des Buddhahatteund als
B u d -
dhayna von KaiserAsoka(ca. 268-232 v. Chr.)gefrdert wurde.
Fr
die
Laienanhnger
des Buddha konnte weder die komplizierte
Mnchsregel
noch das intensive Studium der
Meditation
einen Weg
weisen. Was warnatrlicher,alsd aman
sich
- auch gegen die
aus
drcklicheEmpfehlung GautamaSkyamunisselbst - an dasGreif
bare
hielt und seine sterblichen
berreste
in den
stpa
brachte, der
als Reliquienschrein die dauernde Gegenwart des Erleuchteten
symbolisierenkonnte? Bedingungsloses Vertrauen
gegenber
dem
Buddha,
ja Verehrung undLiebe,das waren die Charakteristika die
ses >Fahrzeugs
7/17/2019 WEISHEIT Der Leere - Dalai Lama
54/253
eilen Krper rpa-kya) und dem absoluten, ungreifbaren und
unvorstellbaren Transzendenzkrper(dharma-kya), der zwar nicht
dem bloen sinnlichen Auge, wohl aber dem durch Glaube und
Liebegereinigten inneren Auge erscheinen konnte, das am Stpa
immerhineinen festen Anhaltspunkt
hatte.
Spter
nannte
man die
sen Aspekt denSeligkeitskrperdes Buddha
(s ambhoga-kya),
und
genau dies ist derBereich,in dem die theophanieartigen Manifesta
tionen und spirituell-symbolischen Imaginationen, von
denen
das
Lotos-Straerzhlt,anzusiedeln sind.
DasganzeLotos-Straist in diesem Sinn ein spirituelles Drama.
D e r
Buddha predigt, wie so oft, auf dem Geierberg bei Rajagrha,
einem Ort i nNordindien,der noch
heute
besuchtwerden kann. Aber
dieser Ort verwandelt sich gleich zu Beginn desStraund dann vor
allemim 1 1 . und 16.
Kapitel
in den Knotenpunkt der geistigen Welt.
E r ist die a x i s m u n d i , die alle irdischen und himmlischen Wesen
umkreisen, ja das Reine Land, ein Bereich der Seligen, in dem irdi
sches
Leid
und alle Versuchungen des Daseins so gering sind, da
die bung des Dharma
ohne
Schwierigkeiten vollzogen und im
Vertrauen auf den Buddha die Erleuchtung sofort erlangt werden
kann.
Vielleicht
reflektiert dieser Hinweis im Lotos-Stra eine
Frhformdes Buddhismus des Reinen Landes, der spterin China
und Japan dominierend wurde. Der Buddha ist hier umgeben von
vielen
anderen
Buddhas aus
anderen
Weltzeitaltern und
anderen
Welten. F r
den Buddhisten gibt es ja nicht nur einUniversum,son
dern unzhlige,undjedeshat seineeigenen Buddhas und Buddha-
Genealogien
( g o t r a ) ,
damit kein Bereich derunermelichenWelten
ohne
denrettendenErleuchtungsstrahl bleibt. Wie in den frhbud
dhistischen 7//:-Erzhlungen werden all diese vorherigen und
kommenden Wesen als
andere
Manifestationen ein und desselben
Buddhaangesehen,der hier und jetzt auf dem Geierberg spricht.
DasLotos-Straerhebtsich in seiner berweltlichenSchauber
alleraum-zeitlichen Schranken, die dem menschlichen Bewutsein
i m Normalzustandgesetztsind - alle diese Welten und Zeiten sind
f r den im meditativen Zustand verweilenden Buddha zu einer
groen Einheit zusammengeschmolzen, zu einer mythischen Iden-
55
7/17/2019 WEISHEIT Der Leere - Dalai Lama
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tittaller Wesen undZeiten,die die kosmische Harmonie offenbart.
I n
der schon
erwhnten groen
Visiondes 16.
Kapitelswirderzhlt,
d a
der Buddha
i m
Stpawahrhaft lebendig ist und mitten
unter
den
Glubigenweilt. Er teilt seinen Sitzmit dem Buddha des vorigen
Zeitalters und identifiziert sich also mit der Vergangenheit. Gegen
wart und Vergangenheit fallen zusammen, doch die Zukunftsteht
noch aus. Die jetzige Zeit gleicht einem apokalyptischen Schau
spiel,und esgilt,den Dharma im Vertrauen auf
seine
Wahrhaftig
keitgegen alle Anfeindungen von innen undauenzu verteidigen.
S o
schwelgt dasStranicht
i m
reinberw elt lichen,sondern hat ein
ganz konkretes, religionspolitisches
Z ie l :
Es
wi l l
das
e i n e
Fahrzeug
ekayna)lehren, das alleanderen i n sich aufnimmt, damit dieSpal
tungen in der buddhistischen Bewegung aufhren und die kosmi
sche
Ordnung auch in der Geschichte des Menschen Gestalt ge
winnt.Es istkein
Zu fall,
d a dasLotos-Straimmer wieder und bis
heute
politische Reformbewegungen im Buddhismus inspiriert hat,
allen
voran
Nichiren
(1222-1282) in Japan, der wie kein
anderer
den chiliastischen Geist
diesesStra
hervorgehoben hat.
DasgroeThema des Lotos-Straist also das
e i n e
Fahrzeug, in
dem alle zusammengefat werden
knnen.
Lehrunterschiede oder
Differenzen
in der Praxis
(Mnchsregel
und Meditation) sind se
kundr,wenn der Buddha inglubigemVertrauen angerufen
wird
und die Menschen sich als
seine
Shne
erkennen, die er
entspre
chend ihren jeweils unterschiedlichen Begabungen und Neigungen
beschenkt hat.
Al le
Lebewesen besitzen die Eigenschaften, die zur
Erlangung
der Buddhaschaft notwendig sind.
Das Wesen des Buddha
Hierfindet nun eine
interessante
Entwicklungstatt:Nach Auffas
sung der
frhbuddhistischen
Schulen,
besonders
der
Theravdins,
war der historische Buddha am EndeseinesLebens um Mitternacht
i n
einen Zustand tiefer meditativer Absorption versunken, bei Ta
gesanbruch
trat
er dann ins
parinirvna
ein und erlosch. Als der
Stpa-Kult
aufkam, wurde diese Zeitspanne auf
onen
ausge-
56
7/17/2019 WEISHEIT Der Leere - Dalai Lama
56/253
dehnt
- man glaubte, da der Erleuchtete im
Stpa
weiterlebt und
m i t Gtesowie wachsamen Auges dieGlubigenund diegesamte
Weltbeschtzt.
2
ImLotos-Stra erklrtder
Buddha,
d a er nach sei
nem Tod in einem anderen Bereich des Kosmos oder einer anderen
Welt
Buddha werden
w ird:
Sein
Bewutseinskontinuum
wirkt
dem
nach also in
anderer
inkarnierter Form fort. Im frhen Mahyna
spricht man von Buddha-Genealogien oder Buddha-Familien
( g o t r a ) , zu denen die Lebewesen gehren; wird sich ein Mensch
dieser Verwandtschaftbewut,d. h., erkennt er>seinenVater< an und tritt in Beziehung zu ihm, so ist der Weg zur Er
leuchtung
frei.
Es handelt sich um eine
Frmmigkeit
inniger
Bezie
hung, die im Glauben verw