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Leitsätze:
1. Ob die Voraussetzungen des als Ausnahmetatbestand eng auszulegenden § 100 Abs. 2 lit. d) GWB vorliegen, ist durch die Vergabekammer von Amts wegen zu prüfen.
2. Auch für eine zulässige Beanstandung der gewählten Verfahrensart fehlt die Antragsbefugnis, wenn der Antragsteller nicht darlegen kann, dass ihm durch diesen Umstand ein Schaden i.S.v. § 107 Abs. 2 Satz 2 GWB entstanden ist oder zu entstehen droht.
3. Es ist grundsätzlich allein Sache der Vergabestelle zu entscheiden, welche Leistung sie ausschreibt; sie ist auch nicht verpflichtet, ihren Bedarf so auszurichten, dass möglichst alle auf dem Markt agierenden Teilnehmer leistungs- und angebotsfähig sind. Die Vergabestelle ist auch nicht berechtigt und schon gar nicht verpflichtet, unabhängig von der konkreten Ausschreibung bestehende Wettbewerbsvorteile und -nachteile potentieller Bieter durch die Gestaltung der Vergabeunterlagen „auszugleichen“.
4. Vom Gebot der Produktneutralität darf dann abgewichen werden, wenn dies ausnahmsweise durch die Art der geforderten Leistung gerechtfertigt ist; zu einer solchen Rechtfertigung bedarf es dann objektiver, in der Sache selbst liegender Gründe, die sich zum Beispiel aus der besonderen Aufgabenstellung des Auftraggebers, aus technischen oder gestalterischen Anforderungen oder auch aus der Nutzung der Sache ergeben können.
5. Die Eignung eines Bieters kann – auch im Rahmen des § 7a Nr. 3 VOL/A – grundsätzlich nur im Rahmen einer Prognoseentscheidung beurteilt werden, für die der Vergabestelle ein Beurteilungsspielraum zuzubilligen ist, welcher von den Nachprüfungsinstanzen nur begrenzt überprüft werden kann.
6. Hinsichtlich des Nachweises seiner Eignung obliegt die Darlegungspflicht dem Bieter. Mangelnde Nachweise bzw. Erklärungen des Bieters können den Auftraggeber insoweit nicht in Beweisnot bringen.
BESCHLUSS Az.: VK-SH 25/06
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In dem Vergabenachprüfungsverfahren
der XXX,
- Antragstellerin (ASt) -
Verfahrensbevollmächtigte: XXX,
gegen
XXX,
- Antragsgegner (Agg) -
Verfahrensbevollmächtigte: XXX,
betreffend das Ausschreibungs- und Vergabeverfahren
„Lieferung eines flächendeckenden digitalen Alarmierungsnetzes nach Technischer
Richtlinie BOS ‚Geräte für die digitale Funkalarmierung’ im POCSAC-Standard für die
Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben in den Kreisen XXX, XXX und
XXX”
hat die Vergabekammer Schleswig-Holstein am 28.11.2006 ohne mündliche
Verhandlung durch die Vorsitzende Tahal, den hauptamtlichen Beisitzer
Frankenstein und den ehrenamtlichen Beisitzer Mann beschlossen:
1. Der Nachprüfungsantrag wird verworfen.
2. Akteneinsicht wird nicht gewährt.
3. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
4. Die Hinzuziehung von Verfahrensbevollmächtigten durch den Antragsgegner
wird für notwendig erklärt.
5. Für diese Entscheidung wird eine Gebühr in Höhe von 2.277,95 Euro
festgesetzt.
- 3 -
Die Gebühr ist mit Bestandskraft dieser Entscheidung fällig. Auf die Gebühr wird der
Kostenvorschuss in Höhe von 2.500,00 Euro angerechnet. Der überschüssige Betrag
in Höhe von 202,05 Euro wird nach der Bestandskraft dieser Entscheidung von der
Geschäftsstelle erstattet.
Gründe:
I.
Der Agg sowie die Kreise XXX und XXX (die drei Kreise nachfolgend
„Vergabestelle“) haben gemäß § 3 Abs. 1 des Brandschutzgesetzes vom 10.02.1996
(GVOBl. Schl.-H. S. 200), zuletzt geändert durch Gesetz vom 01.02.2005 (GVOBl.
Schl.-H. S. 57), die überörtlichen Aufgaben zur Sicherstellung des abwehrenden
Brandschutzes und der Technischen Hilfe als Selbstverwaltungsaufgabe
wahrzunehmen. Insbesondere sind sie dazu verpflichtet, die erforderlichen Anlagen
zur überörtlichen Alarmierung und Nachrichtenübermittlung für die Behörden und
Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BOS) einzurichten und zu unterhalten. Zu
diesem Zweck betreiben sie in eigener Regie aufgebaute Relaisfunkstellen, für deren
Betrieb ihnen in der Frequenzplanung des Landes Schleswig-Holstein auf Basis der
BOS-Funkrichtlinie drei bestimmte Kanäle im sog. „2-m-Band“ zugewiesen sind.
Die Vergabestelle entschied sich, das Netz und die Geräte der beteiligten Kreise,
welche bislang auf analoger Technik basieren, auf digitale Technik umzustellen. Im
Rahmen einer gemeinsamen Vorbesprechung am 09.01.2006 (vgl. Vergabeakte Bl. 1
ff.) wurde festgelegt, dass der Agg für die Vergabestelle „die notwendige
Detailplanung in Form einer Leistungsbeschreibung erstellen und auch das
Vergabeverfahren (…) durchführen“ sollte. Im Rahmen dieses Gespräches wurde
festgestellt, dass eine Systementscheidung zu treffen sei, „welche Lösung –
eigenständig betriebenes Digitalalarmnetz auf Grundlage der TR BOS und auf
Frequenzen der BOS-Funkrichtlinie oder Mietlösung auf Basis eines kommerziellen
Funk- oder Mobilfunknetzes (Stichwort: e*BOS-Alarm bzw. Telekom Alarmruf)
außerhalb der Frequenzen der BOS-Funkrichtlinie – geplant und ausgeschrieben
werden“ solle. Eine vorgeschaltete Systementscheidung sei insbesondere deshalb
notwendig, um die Leistungsbeschreibung so gestalten zu können, dass sie von allen
Bietern in gleicher Weise verstanden werden könne. Da beide Systeme technisch
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nicht miteinander vergleichbar seien, könne nur durch eine vorherige Festlegung
zuverlässig sichergestellt werden, dass die Versorgungssicherheit gewährleistet sei.
Zudem sei mit der Festlegung die notwendige Entscheidung verbunden, ob die
notwendigen Haushaltsmittel im Vermögens- oder im Verwaltungshaushalt
(Mietlösung) einzuplanen seien. Anhand der durch die Bedarfsträger definierten
Leistungsanforderungen sowie unter Berücksichtigung externer Vorgaben (z.B. des
Datenschutzes) beschrieb die Vergabestelle folgende Anforderungen an die zu
erbringenden Leistungen:
1. Größter Wert wird auf eine hohe Verfügbarkeit und Flächendeckung
(mindestens 90 bzw. 95 % Zeit- / Ort- Wahrscheinlichkeit des Netzes gelegt.
2. Hinsichtlich der Verfügbarkeit von 99,98 % sind alle wesentlichen
Anlagenkomponenten redundant auszulegen und zu überwachen.
3. Bezüglich der Flächendeckung ist durch eine ausschließliche Anordnung der
Standorte der Digitalen Alarmumsetzer (DAU) sicherzustellen, dass dort eine
möglichst hohe Versorgungsdichte erzielt wird.
4. An Rettungswachen- und Krankenhausstandorten ist ein deutlich erhöhter
Versorgungsgrad anzustreben.
5. Das Netz ist so engmaschig zu strukturieren, dass auch der Ausfall einer
Funkstelle im Sinne eines DAU die Anrufempfindlichkeit nur unwesentlich
beeinflussen darf; dies ist durch eine Überlappung von Aussendezonen
sicherzustellen.
6. Für die DAU selbst ist ein mobiler DAU mit Digital Alarmgeber (DAG) als
Ausfallreserve und zusätzliche Alarmierungsstelle bei Großveranstaltungen in
der Fläche vorzusehen.
7. Es werden zwei Ausweichalarmierungsstellen (AAS) mit eigenem
Einspeisepunkt am Standort der AAS in das Netz gefordert (Standorte sollen
nicht veröffentlicht werden).
8. Die zur Nachrichtenübertragung erforderlichen Funkverbindungen müssen
dem unmittelbaren Zugriff durch die drei betroffenen Kreise unterliegen und
auf absehbare Zeit (mindestens 15 Jahre) gesichert sein.
9. Nutzungsrechte für die Funkverbindung müssen transparent und den Kreisen
gegenüber durch die Frequenzkoordination des Landes zugeordnet sein.
10. Für die Nutzung der Frequenz dürfen keine Kosten anfallen.
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11. Die Anbindung der DAU an die Master DAU soll unbedingt auf eigenen
Leitungswegen erfolgen. Sollte dies in Ausnahmefällen nicht möglich sein, darf
eine Mietleitung in redundanter Form verwendet werden. Mieter der Leitung
muss die Integrierte Regionalleitstelle (IRLS) XXX sein. Eine Verwendung
verschiedener Leitungsanbieter auf einer Strecke ist unzulässig; der Ausfall
der Mietleitung darf nicht dazu führen, dass keine Alarmierung mehr möglich
ist.
12. An den DAU selbst muss eine Notauslöserichtung angebracht sein, die eine
fest vorgegebene Radio Identification Code (RIC) – Folge auslöst und über
den Folgering ausstrahlt. Der Zugang zu dieser Auslöseeinrichtung muss für
die örtlich zuständige Feuerwehr jederzeit möglich sein (Druckknopfmelder).
13. Die Kreise fordern eine lückenlose Kontrollmöglichkeit über den
Alarmdurchsatz vom Einsatzleitrechner (Timestamp 1) über den DAG
(Timestamp 2), die Aussendung durch den Master DAU (Timestamp 3) und
die DAU (Timestamp 4) bis zur Luftschnittstelle (Kontrolle der Alarmauslösung
durch Rückempfang – Timestamp 5).
14. Für den Rettungsdienst und Krankentransport wird eine Verschlüsselung des
Nachrichtentextes gefordert. Diese ist im DAG zu realisieren. Eine
Verschlüsselung im Einsatzleitrechner (ELR) ist nicht zulässig, damit die VS
auch im Havariebetrieb ohne ELR funktioniert.
15. Geheimschutzinteressen hinsichtlich der Standorte von DAU und AAS sind
zu wahren.
16. Größtmöglicher Wettbewerb muss gegeben sein (für Erstbeschaffung und
Folgebeschaffung von Endgeräten).
17. Die Kosten für das Gesamtnetz (Beschaffung) und für Endgeräte (DME,
DSE) müssen nach dem Finanzausgleichsgesetz (FAG) förderfähig sein.
Diesen Anforderungen wurden die entsprechenden Parameter der verschiedenen
Systeme, welche die Vergabestelle den ihr vorliegenden Herstellerinformationen
entnommen hatte, gegenübergestellt.
Eingedenk der aufgestellten Bedingungen verwarf die Vergabestelle die Nutzung des
Mobilfunknetzes (GSM), da die zu fordernde Netzverfügbarkeit (99,98 %) mit 97 %
nicht garantiert werden könne; ein theoretischer Ausfall des Alarmierungsnetzes für
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die Alarmierung von Feuerwehr, Rettungsdienst und Katastrophenschutz in dieser
Größenordnung sei nicht hinnehmbar. Zudem werde durch das Netz die geforderte
Ort- / Zeitwahrscheinlichkeit nicht erreicht.
Das von der ASt unter dem Namen XXX angebotene Produkt basiert nach den
Feststellungen der Vergabestelle auf dem ehemaligen Netz „XXX“ der XXX und sei
deutschlandweit bei zwei öffentlichen Anwendern im Einsatz. Das Netz werde über
ein Network Operation Center (NOC) in XXX gesteuert; die einzelnen Basisstationen
würden über Satellit angesteuert und das NOC an die Leitstelle über das Netz der
XXX angesteuert.
Die Vorteile dieses Systems seien:
- keine Investitionskosten (Mietlösung / Gebühren)
- Sendeleistung 100 Watt
- Schneller Netzaufbau (Standorte vorhanden)
- billige Endgeräte.
Die Nachteile der XXX-Alarmierung seien:
- keine Netzhoheit der Kreise (Technik / Infrastruktur)
- keine Frequenzhoheit der Kreise (Trägerfrequenz)
- lückenhafte Redundanzen (XXXnetz nach XXX / Satellit)
- nur ein NOC (Gefahr durch Feuer, Blitzschlag, Terroranschlag etc.)
- nur eine Trägerfrequenz (je mehr Nutzer, desto wahrscheinlicher ist Überlast)
- laufende Kosten für jedes Endgerät (z.B. auch Sirenen)
- Insolvenz des Netzbetreibers möglich (trotz ggf. Heimfallregelung kritisch)
- „grobmaschiges“ Netz (Qualitätseinbußen bei Ausfall einer Station)
- Einbuchung jedes Endgerätes verursache Einbuchungskosten von ca. 70
Euro (quasi Monopol)
- keine Verschlüsselung lieferbar (Datenschutz)
- kein Wettbewerb, da nur ein Anbieter (ASt)
- entspreche nicht dem IMK-Beschluss von 1976.
Die unter der Bezeichnung „Digitale Alarmierung“ von mehreren Herstellern
angebotene Lösung ist nach Einschätzung der Vergabestelle technisch
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standardisiert; der entsprechende Aufbau sei in der Technischen Richtlinie TR BOS
„Geräte für die digitale Funkalarmierung“ eindeutig beschrieben, so dass alle
Produkte untereinander technisch 1:1 vergleichbar seien; das System werde in der
Bundesrepublik mehrfach genutzt.
Die Vorteile der Digitalen Alarmierung nach TR BOS seien:
- alleinige Netzhoheit der Kreise
- Netz vollständig im Besitz der Kreise (keine Gefahr durch Insolvenz)
- Frequenzhoheit der Kreise durch Nutzung von Frequenzen aus der BOS-
Funkrichtlinie gegeben
- durchgängige Redundanzen
- saubere technische Beschreibung des Netzes (TR BOS)
- mehrere unabhängige Alarmauslösestellen (keine Gefahr bei Ausfall einer
Alarmierungsstelle)
- engmaschiges Standortnetz (Ausfall eines Standorts werde zuverlässig
kompensiert)
- endliche Kosten (keine Gebühren oder sonstige laufende Kosten für Netz
oder Endgeräte)
- entspreche dem IMK-Beschluss aus April 1976
- Verschlüsselung als systemintegrativer Bestandteil lieferbar
- echter Wettbewerb im Rahmen der aktuellen und zukünftiger
Ausschreibungen.
Die Nachteile der Digitalen Alarmierung nach TR BOS seien:
- erhöhter (technischer und zeitlicher) Aufwand bei der Einrichtung vieler
Standorte
- Wartungs- und Serviceaufwand für die Infrastruktur bei den Kreisen
- erforderliche Investitionen zu Beginn des Projekts.
Die kommerziellen Funkruf- und Mobiltelefonnetze (GSM und XXX-Alarmierung)
könnten die BOS-Technik nicht ersetzen, da sie den gestellten Anforderungen
bezüglich Schnelligkeit und Sicherheit der Alarmierung nicht entsprechen würden.
Problematisch sei vor allem der fremde Netzbetrieb mit der damit verbundenen
Organisation. Keiner der entsprechenden Anbieter könne eine Alarmierungszeit
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garantieren, nach welcher der Ruf spätestens erfolge. Dadurch, dass der
Vergabestelle auch keine Priorität gegenüber anderen Regionen eingeräumt werde,
sei eine schnelle Alarmierung – insbesondere bei flächendeckenden Ereignissen wie
Unwettern – nicht gesichert. Die Sicherheit des Netzbetriebes sei ebenfalls nicht im
erforderlichen Maße gegeben, da sich die Vergabestelle in eine problematische
Abhängigkeit zu einem Paging-Anbieter begeben würde. Bei Störungsfällen (z.B.
technische Probleme, Unwetter, Arbeitskampf oder Konkurs) unterliege der Anbieter
nicht dem Zwang, die Betriebsbereitschaft schnellstmöglich wieder herzustellen, wie
es für die Alarmierung von Hilfskräften unbedingt erforderlich sei. Dies könnte trotz
ggf. vorhandener vertraglicher Regelungen in der Praxis zu Problemen (mit der
Gefahr eines Organisationsverschuldens) führen.
Die Vergabestelle beschloss daher „nach einer eingehenden Systemanalyse“ unter
dem „Blickwinkel der Versorgungssicherheit in der Krisenkommunikation und der
begründeten Interessen der Kreise“ u.a. bezüglich des Geheimschutzes,
„- ein eigenes (Kauf eigener Infrastruktur),
- auf Frequenzen der BOS-Funkrichtlinie arbeitendes,
- der TR-BOS „Geräte zur digitalen Funkalarmierung“ entsprechendes
Netz zu beschaffen, einzurichten und zu unterhalten.“
Der Agg entschied sich dabei für ein „Nichtoffenes Verfahren mit öffentlichem
Teilnahmewettbewerb“ (vgl. S. 1 Vergabevermerk) und dokumentierte die
entsprechende Begründung in den Vergabeakten (Vermerk vom 13.01.2006, Bl. 21
bis 23). Danach soll das Alarmierungsnetz auf den BOS exklusiv zugewiesenen
Funkfrequenzen betrieben werden; nach der BOS-Funkrichtlinie seien hierfür nur
Funkanlagen zugelassen, welche dem zwingend einzuhaltenden Standard der TR
BOS entsprächen, was derzeit bei den Funkanlagen von drei deutschen und einem
österreichischen Hersteller der Fall sei. Im Rahmen des europaweiten Wettbewerbs
seien keine weiteren Hersteller von Anlagen zu erwarten, da mit deren Geräten kein
Funkbetrieb auf Frequenzen der BOS zulässig wäre, selbst wenn diese Anlagen
technisch gleichwertig seien. Da an die Errichterfirmen zudem ganz besondere
Anforderungen in Bezug auf Leistungsfähigkeit, Zuverlässigkeit und Fachkunde zu
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stellen seien, lägen die Voraussetzungen des § 3 Nr. 3 lit. a) VOL/A vor. Zudem sei
weder für die Vergabestelle noch für die Bewerber ein Vorteil durch ein Offenes
Verfahren erkennbar (§ 3 Nr. 3 lit. b] VOL/A): Eine Vielzahl unselektierter Angebote
könnte die Vergabestelle belasten; es würden unnötige Kosten für den Versand der
umfangreichen Verdingungsunterlagen sowie für Lizenzen des Digitalen
Geländemodells (DGM) anfallen; ungeeignete Bieter würden nicht mit vergeblichem
Aufwand für eine Angebotserstellung belastet. Weiterhin greife § 3 Nr. 3 lit. d) VOL/A,
da in den Verdingungsunterlagen umfangreiche Objektdaten enthalten seien, die
nach den Regelungen der mit den Besitzern (z.B. Bundeswehr) geschlossenen
Standortverträge Dritten nur in einem eng umschriebenen Rahmen zugänglich
gemacht werden dürften. Ein Offenes Verfahren mit einer eher ungerichteten
Verteilung der Unterlagen würde die Einhaltung dieser Regelungen ganz erheblich
erschweren bzw. verhindern. Auch sollten Details der einzurichtenden
Netzinfrastruktur (Standorte der Anlagen und AAS) aus Geheimschutzgründen nicht
öffentlich gemacht werden.
Dementsprechend veröffentlichte der Agg unter dem Datum der Absendung vom
XXX im Supplement zum Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften unter der
Nummer XXX eine Vergabebekanntmachung zum Kauf eines digitalen Alarmnetzes
„nach TR-BOS inkl. zusätzlicher Ende-zu-Ende-Verschlüsselung mit ca. 70 Digital-
Alarmumsetzern (DAU) inkl. Master- und Redundanz- DAU; Antennenbau; Einsatz-
Leitrechneranbindung; mindestens 150 digitale Endgeräte (DME).“ Als Schlusstermin
für den Eingang der Teilnahmeanträge wurde der 31.07.2006 bestimmt; der Agg
beabsichtigte, mindestens fünf Bewerber zur Angebotsabgabe aufzufordern. Als
Bedingungen für die Teilnahme hatte der Agg unter anderem formuliert (Ziffern III.2.1
bis III.2.3 der Vergabebekanntmachung):
• Referenz von mindestens drei erfolgreich durchgeführten gleichartigen
Installationen (gleicher technischer Ausbauzustand, Umfang mindestens 20
DAU in einem Kreisgebiet), die nicht älter als seit 2000 im Routinebetrieb sind,
mit Angaben zu:
- Anschrift mit Ansprechpartner und Telefonnummer,
- Anzahl Digital Alarmumsetzer,
- Rechnungswert (Lieferumfang des Bewerbers)
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• Erklärung des Bewerbers, welche geforderten Komponenten in den
Referenzprojekten nicht zum Einsatz kommen.
• Schriftliche Bestätigung des öffentlichen Auftraggebers, dass vom Bewerber
die geforderten Leistungen von Wartung /Service bei den Referenzobjekten
immer eingehalten wurden.
• Erklärung, dass der Bewerber eine Digitale Alarmierungs-Infrastruktur nach
TR-BOS „Geräte für die digitale Funkalarmierung" mit zusätzlicher Ende-zu-
Ende-Verschlüsselung anbieten kann.
Mit anwaltlichem Schreiben vom 25.07.2006 rügte die ASt die ausschließliche
Bezugnahme der Vergabebekanntmachung auf die TR BOS als Verstoß gegen das
Gleichbehandlungs- und Wettbewerbsgebot und das Gebot der Produktneutralität.
Die Vorgaben der TR BOS seien seit längerem technisch überholt, was letztlich zu
einer vergaberechtswidrigen Einengung des Wettbewerbs führe (§ 97 Abs. 1 GWB).
Unternehmen die mit ihren technischen Lösungen die Vergleichsparameter erfüllen,
würden entgegen § 97 Abs. 2 GWB diskriminiert. Weiterhin läge ein Verstoß gegen
§ 8 Nr. 3 Abs. 3 VOL/A vor: Eine allgemeine (durch Gesetz oder Verordnung
vorgeschriebene) Pflicht zur Beachtung der TR BOS gebe es nicht. Durch die
technische Weiterentwicklung seien nunmehr technisch und wirtschaftlich
mindestens gleichwertige Lösungen, wie z.B. die der ASt, auf dem Markt. Auch das
Innenministerium Schleswig-Holstein halte zur Vergleichbarkeit unterschiedlicher
technischer Systeme Vergleichsparameter (Zeitverhalten, Redundanzen, Kapazität,
Ausleuchtung) für maßgeblich, welche durch die ASt erfüllt würden. Jedenfalls
müsste eine Bezugnahme auf die TR BOS gemäß § 8 Nr. 3 Abs. 5 VOL/A mit dem
Zusatz „oder gleichwertig“ versehen werden. Weiterhin hätte die (exklusive)
Bezugnahme auf die TR BOS entgegen § 8 Nr. 3 Abs. 4 VOL/A die Wirkung, dass
bestimmte Erzeugnisse oder Hersteller bevorzugt würden. Daher seien auch alle
geforderten Eignungsnachweise, welche sich ausschließlich auf die TR BOS
beziehen, unzulässig; dies gelte insbesondere für die Forderung nach einer
„Erklärung, dass der Bewerber eine Digitale Alarmierungs-Infrastruktur nach TR-BOS
‚Geräte für die digitale Funkalarmierung’ mit zusätzlicher Ende-zu-Ende-
Verschlüsselung anbieten kann“ sowie für die geforderten „Referenzen von
mindestens drei erfolgreich durchgeführten gleichartigen Installationen“, sofern unter
gleichartigen Installationen nur solche der TR BOS verstanden würden. Zudem seien
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keine Gründe für die Wahl des Nichtoffenen Verfahrens ersichtlich; der
Ausnahmetatbestand nach § 3 Nr. 3 lit. a) VOL/A liege jedenfalls nicht vor, da eine
exklusive Bezugnahme auf die TR BOS, welche den Wettbewerb auf wenige
Unternehmen einschränke, gerade unzulässig sei.
Mit Antrag vom 26.07.2006 bewarb sich die ASt um Teilnahme am
streitgegenständlichen Vergabeverfahren. Als Referenzen wurden die Lieferung,
Inbetriebnahme und Leistung der XXX-Alarmierung an den Landkreis XXX, die XXX,
den Kreis XXX und die Stadt XXX benannt.
Unter dem Datum der Absendung vom XXX (veröffentlicht am XXX) korrigierte der
Agg unter der Nummer XXX seine Bekanntmachung zur Nummer XXX dergestalt,
dass die Bezeichnung des Auftrags durch den Auftraggeber unter Ziffer II.1.1 und
Ziffer II.1.5 sowie zum Lieferumfang unter Ziffer II.2.1 hinsichtlich der Angabe „TR
BOS“ ebenso um die Formulierung „oder gleichwertig“ ergänzt wurden wie die
Forderung nach einer Erklärung, dass der Bewerber eine Digitale Alarmierungs-
Infrastruktur nach TR-BOS „Geräte für die digitale Funkalarmierung" mit zusätzlicher
Ende-zu-Ende-Verschlüsselung anbieten kann (Ziffer III.2.3). Die Formulierung
„gleicher technischer Ausbauzustand, Umfang mindestens 20 DAU in einem
Kreisgebiet“ im Zusammenhang mit der Forderung nach Referenzen von mindestens
drei erfolgreich durchgeführten gleichartigen Installationen unter Ziffer III.2.3 wurde
gestrichen. Als neuen Termin für die Einreichung der Teilnahmeanträge bestimmte
der Agg den 14.08.2006
Nachdem dieser Umstand mit Schreiben vom 01.08.2006 allen Bewerbern mitgeteilt
worden war, informierte der Agg unter dem 10.08.2006 die
Verfahrensbevollmächtigten der ASt mit gesondertem Schreiben über die
vorgenommenen Änderungen an der Vergabebekanntmachung. Der Agg wies
zugleich darauf hin, dass die Vergabestelle ihre Verpflichtungen bislang durch die
Unterhaltung eines eigenen Funknetzes auf Basis der BOS-Funkrichtlinie erfülle; in
diesem Fall müssten jedoch auch zwingend Funkanlagen verwendet werden, die der
TR BOS entsprächen. Dies sei diversen Herstellern auch problemlos möglich;
jedenfalls sei deren Kreis größer als derjenige der Unternehmen, die – wie die ASt –
eine Nutzung ihrer kommerziellen Funkrufsysteme anböten; dem Agg sei insoweit
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nur die ASt bekannt. Die Entscheidung der Vergabestelle, für die Alarmierung ein
eigenes und exklusiv zur Verfügung stehendes Funknetz anzuschaffen, sei
vergaberechtlich nicht zu beanstanden, da es ureigenste Sache des Auftraggebers
sei, zu entscheiden, welche Liefer- bzw. Dienstleistungsaufgabe verwirklicht werden
solle, um den von ihm verfolgten Zweck zu erreichen. Die Frage, ob die BOS bereit
seien, die Verfügungsgewalt über ihr eigenes Netz aufzugeben, sei demnach
vergaberechtlich nicht zu beantworten. Im Übrigen schreibe die TR BOS „Geräte für
die digitale Funkalarmierung“ als bundesweit anerkannter und umgesetzter Standard
weder ein bestimmtes Produkt noch einen bestimmten Hersteller vor. Die Wahl des
Nichtoffenen Verfahrens sei gemäß § 3 Nr. 3 lit. a), b) und d) VOL/A gerechtfertigt.
Unter dem 10.08.2006 beanstandete die ASt weitere ihrer Ansicht nach gegebene
Vergaberechtsverstöße: So sei das ausgeschriebene digitale Alarmierungsnetz durch
die Vergabebekanntmachung in der Fassung vom XXX an verschiedenen Stellen
nachträglich erheblich eingeschränkt worden, da der Zusatz „2-m-Band der BOS“
aufgenommen worden sei. Dass die Vergabestelle den Ausbau eines eigenen
Funknetzes wolle, sei dem ursprünglichen Text der Ausschreibung nicht zweifelsfrei
zu entnehmen gewesen. Dieser „geheime Vorbehalt“ sei in Kenntnis des Angebotes
der ASt nachträglich aufgenommen worden, so dass die ASt mit ihrem Angebot
möglicherweise nicht berücksichtigt werden könnte. Dies sei selbstredend
vergaberechtswidrig, insbesondere weil es der ASt bis zum Ablauf der Teilnahmefrist
am 14.08.2006 nicht mehr möglich sei, ein entsprechendes Angebot abzugeben.
Zudem sei eine weitere Verkürzung der Vertragslaufzeit um 13 Tage vorgenommen
worden, was ebenfalls zu rügen sei.
(Auch) aufgrund der Rüge eines weiteren Bewerbers nahm der Agg unter dem
Datum der Absendung vom XXX (veröffentlicht am XXX) unter der Nummer XXX
eine weitere Korrektur an der Vergabebekanntmachung vor: Dadurch wurde u.a. der
Schlusstermin für den Eingang der Teilnahmeanträge auf den 20.09.2006
verschoben. Mit Schreiben vom 14.08.2006 wies der Agg alle Bewerber auf diesen
Umstand hin.
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Unter dem 15.09.2006 teilte die ASt dem Agg unter Bezugnahme auf dessen
Schreiben vom 14.08.2006 mit, dass der Teilnahmeantrag vom 26.07.2006
unverändert bestehen bleibe.
Mit Schreiben vom 22.09.2006 (Bl. 292 ff. der Vergabeakte) erkundigte sich der Agg
bei den Landkreisen XXX und XXX, bei der Stadt XXX sowie bei der XXX, welche im
Teilnahmeantrag der ASt als Referenzen genannt wurden, wer im Rahmen der dort
umgesetzten Konstellation Eigentümer der Alarmierungseinrichtung geworden sei.
Übereinstimmend wurde dem Agg mitgeteilt, dass es sich um reine Mietlösungen
(kein Invest) gehandelt habe. Bereits unter dem 01.08.2006 hatte der Agg beim
Unabhängigen Landeszentrum für Datenschutz Schleswig-Holstein (ULD) schriftlich
angefragt, inwieweit sich aus der Gesetzeslage ableiten lasse, dass die Übermittlung
personenbezogener Daten (z.B. Gesundheitsdaten und Verdachtsprognosen in
Verbindung mit Namen und Anschriften) auf dem Funkwege zu verschlüsseln sei.
Eine Codierung nach POCSAG-Protokoll im 2-m-Band der BOS ermögliche optional
mit vertretbarem Mehraufwand auch eine „Ende-zu-Ende-Verschlüsselung“ mit
einem anerkannten 128-Bit-Schlüssel. Mit Schreiben vom 14.08.2006 hatte das ULD
mitgeteilt, dass es eine „Ende-zu-Ende-Verschlüsselung“ als eine erforderliche und
angemessene Maßnahme i.S.v. § 5 Abs. 1 und 2 Landesdatenschutzgesetz ansehe.
Mit Schreiben vom 25.09.2006 wandte sich der Agg gemäß § 7a Nr. 2 Abs. 4 VOL/A
mit einer Frage an die ASt, welche er am 26.09.2006 wie folgt präzisierte: „Bieten Sie
uns im Rahmen der Ausschreibung die Netzkomponenten zum Kauf an (d.h. die
Kreise werden mit dem Tag der Abnahme Alleineigentümer der zentralen und
peripheren Komponenten des Netzes), oder stellt Ihr Teilnahmeantrag eine Lösung
vor, bei der die Kreise eine Pagingdienstleistung durch Zahlung einer regelmäßigen
oder einmaligen Netznutzungs- oder Dienstleistungsgebühr (sprich, einer Miete)
erhalten?“ Eine Antwort hierauf gab die ASt nicht.
Nach Abschluss der Durchsicht der sieben eingegangenen Teilnahmeanträge stellte
der Agg fest (vgl. Vergabevermerk, Bl. 4 f. der Vergabeakten), dass sich die
Referenzen der ASt ausnahmslos auf Projekte beziehen würden, die – anders als die
deutlich festgelegte Kaufabsicht in Ziffer II.1.2 der Vergabebekanntmachung
(„Lieferung“, „Kauf“) – als Pagingdienstleistungen erbracht worden seien. Damit
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könne allenfalls die Eignung als Netzbetreiber für Funkruf, nicht aber die als
Errichterfirma nachgewiesen werden. Ebenso sei die Gleichwertigkeit der von der
ASt vertriebenen Lösung aus Gründen der Versorgungssicherheit sowie unter
Berücksichtigung der regionalen Gefährdungseinschätzung und der damit
verbundenen Sicherheitsmaßnahmen bzw. Geheimschutzinteressen objektiv nicht
gegeben. Zudem sei dem Teilnahmeantrag der ASt keine vollständige Erklärung
beigefügt worden, welche der geforderten Komponenten in den Referenzprojekten
nicht zum Einsatz komme; der Hinweis auf prinzipiell bzw. theoretisch denkbare
Lösungen ersetze diese Erklärung nicht.
Der ASt wurde mit Schreiben des Agg vom 27.09.2006 daher mitgeteilt, dass ihr
Teilnahmeantrag abgelehnt worden sei und sie nicht zur Angebotsabgabe
aufgefordert würde. Unter dem 29.09.2006 rügte die ASt die Teilnehmerauswahl als
vergaberechtswidrig; die ASt müsse davon ausgehen, dass diese nicht nach den
Eignungskriterien Fachkunde, Leistungsfähigkeit und Zuverlässigkeit, sondern unter
Zugrundelegung vergabefremder Kriterien erfolgt sei. Die von der ASt vorgelegten
Referenzprojekte seien zweifelsfrei als Nachweis für Fachkunde und
Leistungsfähigkeit geeignet. Auf welcher wirtschaftlichen Grundlage diese Projekte
abgerechnet worden seien und die Frage der Eigentumslage habe keinen Einfluss
auf die Frage, ob die ASt die Eignung habe, entsprechende Lösungen zu erstellen;
der Agg spreche der ASt dies lediglich aufgrund von Vermutungen ab. Die Forderung
des Agg nach einer Erklärung hinsichtlich der bei Referenzprojekten nicht zum
Einsatz kommenden Komponenten (Ziffer III.2.3, 4. Spiegelstrich) werde vorsorglich
mangels hinreichender Bestimmtheit gerügt. Im Übrigen seien die entsprechenden
Angaben im Teilnahmeantrag enthalten.
Mit Schreiben vom 05.10.2006 teilte der Agg der ASt mit, dass es bei der
Entscheidung über die Auswahl der Bewerber bleibe. Die Referenzen der ASt
beschrieben nicht die Errichtung eines digitalen Alarmierungsnetzes durch die ASt
sondern deren Tätigkeit als Betreiberin eines Netzes für Funkruf. Gleiches gelte für
die weiteren Erklärungen und Nachweise der ASt, die nicht gleichwertig zur
ausgeschriebenen Maßnahme seien. Dies werde auch dadurch deutlich, dass die
ASt in ihrem Schreiben vom 10.08.2006 Änderungsbedarf an ihrem Teilnahmeantrag
reklamiert habe, nachdem sie erst aufgrund der korrigierten Bekanntmachung
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erkannt habe, das der Agg ein Netz kaufen wolle, und trotz Verlängerung der
Einreichungsfrist bis zum 20.09.2006 diesem selbst erkannten Änderungsbedarf
nicht Rechnung getragen habe. Die Auswahlentscheidung sei aufgrund sachlicher
Gesichtspunkte erfolgt; die Eignungsbewertung habe gerade nicht nur
unternehmens- sondern auch auftragsbezogen zu erfolgen. Die
Nichtberücksichtigung der ASt sei ermessensfehlerfrei erfolgt.
Unter dem 18.10.2006 hat die ASt einen Nachprüfungsantrag bei der erkennenden
Kammer gestellt; darin wiederholt und vertieft sie ihr bisheriges Vorbringen.
Die Wahl des Nichtoffenen Verfahrens durch den Agg sei nicht gerechtfertigt,
vielmehr müsse ein Offenes Verfahren durchgeführt werden. Die Ermächtigung des §
3 Nr. 3 lit. a) VOL/A sei als Ausnahmevorschrift eng auszulegen. Sie betreffe nur
ganz spezielle Leistungen, die objektiv nur von einem oder zumindest nur sehr
wenigen spezialisierten Unternehmen erbracht werden könnten. Bei sieben
Teilnahmeanträgen könne diese Begründung daher nicht überzeugen. Das Argument
des Agg, die für einen weit reichenden Versand der Verdingungsunterlagen
entstehenden Kosten ständen zum erreichbaren Wert der Leistung in einem
Missverhältnis i.S.v. § 3 Nr. 3 lit. a) VOL/A erscheine bei einem geschätzten
Auftragswert von 1 Mio. Euro abwegig; insbesondere im Vergleich von fünf zu
möglicherweise sechs Exemplaren. Das vom Agg geltend gemachte
Geheimhaltungsinteresse i.S.v. § 3 Nr. 3 lit. d) VOL/A bleibe unklar: Weshalb die
Daten einer Zahl von mindestens fünf Bewerbern zugänglich gemacht werden
dürften, einer darüber hinausgehenden Zahl jedoch nicht, bleibe ungeklärt. Der ASt
sei in den ihr bekannten Ausschreibungen zu Alarmierungsnetzen die Berufung auf
ein Geheimhaltungsbedürfnis bislang nicht begegnet. Ein Geheimhaltungsinteresse
des Agg durch Aufnahme produktdiskriminierender Vorgaben in die
Verdingungsunterlagen scheide aus.
In Bezug auf die technischen Beschränkungen der Ausschreibung würde die Abhilfe
des Agg nicht ausreichen: Der Zusatz „oder gleichwertig“ helfe der ASt nur dann
weiter, wenn eine funktionale Betrachtung zugrunde gelegt würde. Zudem wirke die
vom Agg nachträglich eingeführte Beschränkung auf das 2-m-Band behindernd
gegen die das 0,7-m-Band verwendende ASt. Bereits durch die Festlegung auf ein
- 16 -
Netz mit Frequenzen im 2-m-Band im Vermerk vom 09.10.2006 – also noch vor
Beginn der Ausschreibung – habe der Agg die Nutzung des ausschließlich für die
BOS gewidmeten 0,7-m-Bandes ausgeschlossen.
Sollte der Agg die Funknetzplanung durch eine bereits erfolgte Festlegung von
einzurichtenden Gerätestandorten, hinsichtlich örtlicher Lage, baulicher Höhe,
Qualität, Anzahl und Eigentumsverhältnissen bereits vorweggenommen haben, sei
dies ebenfalls ein vergaberechtswidriger Nachteil für die ASt.
Die Festlegung des Agg auf Frequenzen im 2-m-Band sei eine diskriminierende
Beschränkung ohne nachvollziehbare Begründung. Auch habe die ASt bei den
angeführten Referenzprojekten selbstverständlich die genannten Netze errichtet;
keinesfalls habe sie den Eindruck vermittelt, sie würde nur vorhandene
Alarmierungsnetze betreiben. Aus der Verwendung des Wortes „Kauf“ in der
Vergabebekanntmachung habe die ASt nicht entnehmen können, was im Einzelnen
gekauft werde, wie es ggfs. finanziert werde und wie eine aller Voraussicht nach
erforderliche technische Zusammenarbeit beim Betrieb des Netzes infolge seiner
Errichtung gestalten sein würde.
Die vom Agg vorgetragene „Kauf- / Mietproblematik“ stelle daher nur einen Vorwand
dar, die ASt nicht einmal bis zum Angebot kommen zu lassen. Ein Alarmierungsnetz
bestehe grundlegend aus den Komponenten Alarmierungsinfrastruktur (z.B.
Alarmgeber, Empfangs- und Sendeeinrichtungen, Standorte für Geräte und Anlagen,
Liegenschaften, …), Netzwerkkomponenten (z.B. Telekommunikationsleitungen,
Stromversorgungsleitungen und –einrichtungen, Frequenzen, …) und
Meldeempfängern (z.B. Meldeempfänger für Personen, Sirenensteuergeräte,
Schaltempänger, Zubehöre). Von diesem Komponenten stünden Liegenschaften und
Standorte, Netzwerkkomponenten (wie Telekommunikationsleitungen, welche im
Wesentlichen gemietet oder überlassen würden) und Frequenzen (deren Nutzung
durch die Bundesnetzagentur gegen Gebühr genehmigt werde) praktisch in keinem
Fall im Eigentum des Betreibers. Insofern sei es für den Nutzer eines
Alarmierungssystems praktisch nicht möglich, alle für den Betrieb erforderlichen
Komponenten zu erwerben sowie die erforderlichen Serviceleistungen zu erbringen.
Er könne sich nur entscheiden, welche der zum Erwerb zur Verfügung stehenden
- 17 -
Komponenten er erwerben bzw. durch sonstige Vertragsgestaltung nutzen wolle.
Auch der „Eigenbetrieb“ ende dort, wo technische Unterstützung von Firmen geleistet
werden müsse. Es sei für den Nutzer eines Alarmierungssystems nahezu unmöglich,
ohne jegliche Unterstützung von Drittfirmen auszukommen; dementsprechend sei in
den Teilnahmebedingungen auch der Nachweis der Wartungs- und
Serviceleistungen bei den Referenzprojekten zu erbringen gewesen.
Die Kaufentscheidung müsse aus differenzierten Vorgaben bestehen, welche
Bestandteile des Gesamtsystems auf welcher vertraglichen Grundlage beschafft
werden sollen. Diese Vorgaben seien mutmaßlich in den Verdingungsunterlagen
enthalten, welche der ASt jedoch nicht zur Verfügung gestellt würden.
Die vom Agg getroffene „Systementscheidung“ vermenge die Entscheidung über die
vertragliche Art und Weise der Beschaffung und die Entscheidung über die
technische Lösung. Tatsächliche gebe es aber keine vorgegebene Verknüpfung
zwischen Technik und vertraglicher Lösung. Diese werde vom Agg nur
vorgeschoben, um über die Möglichkeit der Bestimmung der vertraglichen Lösung
tatsächlich die technische Lösung vorzugeben. Überdies habe die ASt zu keinem
Zeitpunkt erklärt, sie würde nur eine Mietlösung anbieten, so dass der Agg insoweit
ausschließlich mit Mutmaßungen und Unterstellungen arbeite. Festzuhalten sei
daher, dass die vom Agg im Internet recherchierten Ausschnitte aus
Werbematerialien der ASt dazu verwendet worden seien, eine für die ASt
diskriminierende Vorentscheidung zu treffen, ohne diese dazu zu befragen. Es sei
nicht nachvollziehbar, woher der Agg die Erkenntnis nehme, die
Eigentumsübertragung der zentralen und peripheren Netzwerkkomponenten sei beim
System der ASt nicht möglich; dies entspreche nicht den Tatsachen. Das „Netz als
solches“ könne ohnehin nicht übertragen werden. Ebenso entspreche es nicht den
Tatsachen, dass die ASt der Vergabestelle keine Netzhoheit einräumen könne;
vermutlich sei auch dies eine reine Mutmaßung des Agg. Bei der gebotenen
Trennung von technischer und vertraglicher Lösung bestehe folglich kein Grund, der
eine Abweichung vom Gebot der Produktneutralität rechtfertigen könne. Die von der
Vergabestelle angenommenen Schwächen der technischen Lösung der ASt seien
zwar erst im Rahmen des Bewertungsverfahrens relevant; gleichwohl sei auch an
dieser Stelle darauf hinzuweisen, dass diese Beurteilung teils gravierende Fehler
- 18 -
enthalte. Mangels Angebot könne der Agg Details wie z.B. Versorgungslücken gar
nicht prüfen. Die Sorge, dass die von der ASt verwendete Frequenz der
Vergabestelle nicht exklusiv zur Verfügung stehe, sei grundlos, da diese
ausschließlich für Alarmierungszwecke im Bundesgebiet verwendet werden dürfe.
Das Frequenzband im 0,7-m-Band sei mindestens gleichwertig und biete sogar
Vorteile. Ohne Teilnahme am Bewertungsverfahren könne die ASt die Vorteile ihrer
Lösung aber nicht darstellen.
Für sämtliche Beanstandungen fehle der ASt auch nicht das Rechtsschutzinteresse;
sie habe ihr Interesse an dem Auftrag zweifelsfrei dargelegt und eine Verletzung in
ihren Rechten durch die Nichtbeachtung von Vergabevorschriften geltend gemacht;
den Anforderungen an die Schadensdarlegung sei damit Genüge getan. Der Agg
habe sein Ermessen hinsichtlich der Auswahlentscheidung daher fehlerhaft
ausgeübt.
Die ASt beantragt,
1. dem Agg aufzugeben, in dem EU-Vergabeverfahren XXX „Lieferung eines
flächendeckenden digitalen Alarmierungsnetzes nach Technischer Richtlinie
BOS Geräte für die digitale Funkalarmierung im POCSAC-Standard für die
Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben in den Kreisen XXX,
XXX und XXX“ vom XXX in der Fassung des Supplements XXX vom XXX und
der Wiederholung mit Berichtigung vom XXX nach Maßgabe und unter
Berücksichtigung der Rechtsauffassung der Vergabekammer zu verfahren,
2. die Beiziehung der Verfahrensbevollmächtigten der ASt für notwendig zu
erklären,
3. dem Agg die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen,
sowie Akteneinsicht.
Der Agg beantragt,
1. den Nachprüfungsantrag der ASt vom 18.10.2006 zurückzuweisen,
- 19 -
2. der ASt die Kosten des Verfahrens einschließlich der zur
zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Kosten des Agg
aufzuerlegen,
3. festzustellen, dass die Hinzuziehung von anwaltlichen Bevollmächtigten durch
den Agg notwendig war.
Der Agg hält den Nachprüfungsantrag für unzulässig, jedenfalls aber für
unbegründet. Zur Sachlage verweist er darauf, dass die ASt mit ihrem Produkt XXX-
Alarmierung statt der herkömmlichen Errichtung eines Netzes zum anschließenden
Betrieb durch den jeweiligen Landkreis anbiete, im Wege langfristiger Verträge das
Netz der XXX-Alarmierung zu nutzen. Damit müssten sich die BOS langfristig an die
ASt binden. Die Selbstdarstellung der ASt im Internet grenze ihr Lösungskonzept
ganz deutlich gegenüber dem Kauf, Aufbau und Betrieb eines insularen Netzes ab.
Die Vergabestelle habe sich eingehend mit den Vor- und Nachteilen der
verschiedenen Konzepte auseinandergesetzt und sich schließlich entschieden, ein
eigenes Netz zu beschaffen, einzurichten und zu unterhalten. Folge dieser
Entscheidung für ein eigenes Netz sei, dass die BOS-Funkrichtlinie einzuhalten sei.
Insbesondere deren Neufassung vom Mai 2006 verweise darauf, dass Funkanlagen
verwendet werden müssten, die den TR BOS entsprächen. Die nachträgliche
Aufnahme des Zusatzes „oder gleichwertig“ sei der unmittelbaren Anwendung der
Richtlinie 2004/18/EG geschuldet gewesen; durch den Zusatz „im 2-m-Band der
BOS“ sei aber zugleich klargestellt worden, dass es unverändert um die Beschaffung
eines (kreis-) eigenen Funknetzes gehe.
Der Nachprüfungsantrag sei unzulässig, da der ASt das erforderliche
Rechtsschutzinteresse i.S.v. § 107 Abs. 2 GWB fehle. Mit ihrem Vortrag habe die
ASt nicht geltend machen können, in ihren Rechten durch Nichtbeachtung von
Vergabevorschriften verletzt worden zu sein. Mit Ausnahme der Beanstandung der
Vergabeart würden sämtliche Beanstandungen auf ein und demselben Umstand
basieren, nämlich der Entscheidung der Vergabestelle, sich ein eigenes Netz zu
beschaffen, einzurichten und zu unterhalten. Letztlich reduzierten sich die
Beanstandungen darauf, dass die Vergabestelle ein eigenes Netz zur Nutzung der
ihr zugeteilten Frequenzen beschaffen wolle. Da sich die Erklärungen, Nachweise
und Referenzen der ASt ausschließlich auf die von ihr angebotene XXX-Lösung
- 20 -
beziehen würden und nicht auf die Errichtung eines Alarmierungsnetzes für einen
Dritten, sei der Teilnahmeantrag nicht zu berücksichtigen gewesen.
Die ASt verkenne, dass das Vergaberecht lediglich das „Wie?“ einer Beschaffung
regele, nicht aber das „Ob?“ oder das „Was?“. Es sei allein Sache des
Auftraggebers, zu entscheiden, welche Liefer- bzw. Dienstleistungsaufgabe
verwirklicht werden solle; insbesondere bestehe keine Verpflichtung, den Bedarf so
auszurichten, dass möglichst alle auf dem Markt agierenden Teilnehmer leistungs-
und angebotsfähig seien. § 97 GWB enthalte keine Parameter, nach denen die
Nachprüfungsinstanzen über das „Ob?“ und „Was?“ entscheiden könnten. Die
Entscheidung der Vergabestelle, ein eigenes Netz zu beschaffen, einzurichten und
zu betreiben, könne daher von der Vergabekammer (noch nicht einmal) daraufhin
untersucht werden, ob sie ermessensfehlerfrei zustande gekommen sei; dies sei
Aufgabe des jeweiligen Rechnungshofes.
Der ASt fehle das Rechtsschutzbedürfnis ebenfalls im Hinblick auf ihre
Beanstandung, die Begründung des Agg für die Wahl des Nichtoffenen Verfahrens
sei „nicht überzeugend“; ein vergaberechtlicher Anspruch auf eine „überzeugende
Begründung“ bestehe nicht. Selbst unterstellt, die ASt würde behaupten, die
Vergabeart sei falsch gewählt und unterstellt, diese Annahme sei zutreffend, sei nicht
ersichtlich, wie der ASt hierdurch ein Schaden entstanden wäre oder zu entstehen
drohe – die ASt habe nichts derartiges dargelegt, was jedoch erforderlich sei, wenn
bei der Rüge der falschen Vergabeart das Rechtsschutzbedürfnis des § 107 Abs. 2
GWB dargetan werden soll.
Auch fehle der ASt das gemäß § 107 Abs. 2 Satz 1 GWB erforderliche Interesse an
dem ausgeschriebenen Auftrag; sie sei nämlich nicht an diesem Auftrag interessiert,
sondern an einem anderen Auftrag, an welchem sich auch die ASt mit der von ihr
angebotenen Alarmierungslösung beteiligen könnte. Dieses Interesse werde aber
durch das Vergaberecht nicht geschützt.
Weiterhin fehle dem Nachprüfungsantrag ein bestimmtes Begehren i.S.v. § 108 Abs.
1 Satz 2 GWB.
- 21 -
Überdies sei der Nachprüfungsantrag auch unbegründet: Die Frage, was die
Vergabestelle beschaffen wolle, sei der vergaberechtlichen Nachprüfung nicht
zugänglich; zudem habe der Agg auch ermessensfehlerfrei über den Gegenstand der
Ausschreibung entschieden. Insbesondere liege kein Ermessensausfall vor, wie der
Vermerk vom 09.01.2006 zeige.
Die Entscheidung für das Nichtoffene Verfahren sei ebenfalls nicht zu beanstanden.
Leistungen der ausgeschriebenen Art würden unstreitig nur von einem beschränkten
Kreis von Unternehmen (maximal vier Gerätehersteller und etwas mehr als zehn
Dienstleister) angeboten, was auch die Zahl von sieben eingegangenen
Teilnahmeanträgen belege. Das Missverhältnis zum erreichbaren Vorteil eines
Offenen Verfahrens resultiere aus den dann zu versendenden großen Datenmengen
zur Erstellung des geforderten digitalen Geländemodells, für den Nutzung
Lizenzgebühren anfallen würden. Schließlich sei ein Offenes Verfahren auch deshalb
unzweckmäßig, weil damit ohne Not auf Schutzmaßnahmen verzichtet würde, um die
den sicherheitsrelevanten und sensiblen Daten angemessene Vertraulichkeit zu
wahren.
Die ASt habe schließlich auch keinen Anspruch, zur Angebotsabgabe aufgefordert zu
werden, da sie die auftragsbezogenen Eignungskriterien nicht erfülle. Die von der
ASt beigebrachten Referenzen belegten ausschließlich deren Funktion als
Netzbetreiberin der von ihr angebotenen Lösung XXX-Alarmierung. Dass die ASt –
wie vorliegend ausgeschrieben – schon einmal für einen Auftraggeber ein für diesen
eigenes Funknetz auf dessen Frequenz errichtet hätte, das dann durch diesen später
selbst betrieben wurde, sei nicht dargetan. Darauf, dass die Vergabestelle auch bei
der von ihr ausgeschriebenen Lösung kein Eigentum an Liegenschaften und
Standorten erwerbe, komme es schon gar nicht an.
Die ASt habe mit ihrem Teilnahmeantrag Gelegenheit gehabt, darzulegen und mit
Referenzen zu belegen, dass sie nicht nur ihre grundsätzlich anders gelagerte
Alarmierungslösung namens XXX-Alarmierung sondern auch die hier verlangte
„konventionelle“ Lösung anbieten könne. Diese Gelegenheit habe die ASt nicht
genutzt. Soweit die ASt moniere, dass der Agg nur mutmaße und ohne Faktenbasis
von Unterstellungen ausgehe, verkenne sie, wer darlegungspflichtig sei. Die
- 22 -
zurückhaltenden Informationen der ASt in Bezug auf ihre Alarmierungslösung
könnten jedenfalls den Agg nicht im Beweisnot bringen. Das Produkt der ASt
entspreche nicht der ausgeschriebenen Leistung; soweit die ASt nunmehr meine, sie
könne notfalls auch die ausgeschriebene Leistung erbringen, fehle es bereits an
entsprechenden Belegen in ihrem Teilnahmeantrag. Die Argumentation der ASt,
technische und vertragliche Lösung müssten strikt getrennt werden, bedeute unter
dem Mantel der Produktneutralität nichts anderes, als dass die Vergabestelle ihre
Ausschreibung den Möglichkeiten der ASt anzupassen hätte. Eine tragfähige
Begründung hierfür habe die ASt nicht geben können. Vielmehr grenze sie selbst ihr
Produkt („über langfristig laufende Verträge funktionierende Dienstleistung“) insoweit
gerade vom Kauf, Aufbau und Betrieb eines kreiseigenen Netzes ab.
Unter dem 03.11.2006 hat die Kammer den Beteiligten unter Beifügung des
Vermerks des Agg vom 09.01.2006 den rechtlichen Hinweis gegeben, dass der
Nachprüfungsantrag nach vorläufiger Einschätzung jedenfalls offensichtlich
unbegründet sei. Daher sei beabsichtigt, ohne mündliche Verhandlung zu
entscheiden. Während der Agg dem zustimmte, teilte die ASt unter dem 08.11.2006
mit, dass sie an dem Nachprüfungsantrag einschließlich des
Akteneinsichtsbegehrens unverändert festhalte und auch mit einem Verzicht auf die
mündliche Verhandlung nicht einverstanden sei.
Durch schriftliche Verfügung der Vorsitzenden vom 21.11.2006 ist die
Entscheidungsfrist der Kammer gemäß § 113 Abs. 1 Satz 2 und 3 GWB bis zum
28.11.2006 verlängert worden.
Wegen des sonstigen Sachverhalts und des weiteren Vortrags der Beteiligten wird
auf die beigezogenen Vergabeakten und die eingereichten Schriftsätze verwiesen
(vgl. § 117 Abs. 3 VwGO, § 313 Abs. 2 ZPO).
II.
Die ASt bleibt mit ihren Sach- und Verfahrensanträgen insgesamt erfolglos, da der
Nachprüfungsantrag teilweise unzulässig (1.) und im verbliebenen Umfang
offensichtlich unbegründet ist (2.). Diese Umstände rechtfertigen es, das
- 23 -
Akteneinsichtsbegehren der ASt zurückzuweisen (3.) und ohne mündliche
Verhandlung zu entscheiden (4.).
1. Der Antrag ist allerdings nicht bereits deshalb unzulässig, weil der 4. Teil des GWB
nebst seinen Bestimmungen über das vergaberechtliche Nachprüfungsverfahren auf
den vorliegenden Fall nicht anwendbar wäre (a). Der Antrag ist jedoch unzulässig,
soweit mit ihm die Wahl des Nichtoffenen Verfahrens beanstandet wird (b); im
Übrigen ist er zulässig (c).
a) Gemäß § 100 Abs. 2 lit. d) GWB (vgl. auch Art. 14 Richtlinie 2004/18/EG) gilt der
4. Teil des GWB nicht für solche Aufträge, die „in Übereinstimmung mit den Rechts-
und Verwaltungsvorschriften in der Bundesrepublik Deutschland für geheim erklärt
werden oder deren Ausführung nach diesen Vorschriften besondere
Sicherheitsmaßnahmen erfordert oder wenn der Schutz wesentlicher Interessen der
Sicherheit des Staates es gebietet“. Ein solcher Fall ist hier jedoch nicht gegeben.
Ob die Voraussetzungen dieses – eng auszulegenden – Ausnahmetatbestandes
vorliegen, ist durch die Vergabekammer von Amts wegen zu prüfen (vgl. Gass /
Ohle, ZfBR 2006, 655), da die Anwendung des Kartellvergaberechts nicht im
Belieben des Öffentlichen Auftraggebers steht (vgl. erkennende Kammer, Beschluss
vom 05.01.2006, VK-SH 31/05, m.w.N.). Liegt ein Ausnahmetatbestand des § 100
Abs. 2 GWB vor, ist das Vergabeverfahren einem Primärrechtsschutz der am
Verfahren beteiligten Bewerber insoweit – und dann auch insgesamt – entzogen, als
es um die Einhaltung der Bestimmungen über das Vergabeverfahren geht (vgl. OLG
Düsseldorf, Beschluss vom 20.12.2004, Verg 101/04, IBR 2005, 105). Hier käme
allein die 2. Variante (Aufträge, deren Ausführung nach diesen Vorschriften
besondere Sicherheitsmaßnahmen erfordern) in Betracht. Da diese Alternative (im
Gegensatz zu den Varianten 1 und 3) objektivierbar ist, kommt es für deren
Anwendbarkeit auch nicht darauf an, ob der Auftraggeber das Vorliegen des
Tatbestandes erkannt und eine Ausschreibung unterlassen hat oder in Unkenntnis
oder Verkennung der Anwendbarkeit eine Ausschreibung eingeleitet hat.
Dementsprechend führt das objektive Vorliegen des Erfordernisses besonderer
Sicherheitsmaßnahmen nach dem Sicherheitsüberprüfungsgesetz (SÜG) oder der
darauf basierenden Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum materiellen und
- 24 -
organisatorischen Schutz von Verschlusssachen (VSA) dazu, dass der 4. Teil des
GWB selbst dann nicht anwendbar ist, wenn sich der Auftraggeber – wie hier –
willentlich für dessen Anwendbarkeit entschieden hat (vgl. Gass / Ohle, a.a.O., 658
f., m.w.N.).
Hier enthalten allerdings weder die Vergabebekanntmachung noch die
Verdingungsunterlagen Hinweise darauf, dass im Rahmen der vorliegenden
Beschaffung etwa Sicherheitsüberprüfungen gemäß §§ 7 ff. SÜG vorgesehen wären.
Für die Kammer haben sich keine Anhaltspunkte ergeben, dass die Vergabestelle
damit rechtsfehlerhaft gehandelt hätte. Andere Rechts- oder
Verwaltungsvorschriften, nach denen die Ausführung des vorliegenden Auftrages
besondere Sicherheitsmaßnahmen erfordert, sind für die Kammer nicht ersichtlich
und – unabhängig davon, dass das Vorliegen der Voraussetzungen durch die
Kammer von Amts wegen zu prüfen sind – auch nicht vorgetragen. Ob durch
Kernkraftwerke, Industrieanlagen im Wirtschaftsraum XXX und Sturmfluten
möglicherweise eine als besonders einzuschätzende Gefährdungslage vorliegt, ist
aufgrund der Tatbestandsvoraussetzungen nicht an dieser Stelle sondern im
Rahmen des § 3 Nr. 3 lit. d) VOL/A zu prüfen.
Anders als in dem der Entscheidung des Bundeskartellamtes (Beschluss vom
14.07.2005, VK3 55/05) zugrunde liegenden Sachverhalt, in welchem die
Vergabekammer die Anwendbarkeit des § 100 Abs. 2 lit. d) GWB bejaht hat, geht es
vorliegend nicht um den Betrieb eines BOS-Digitalfunksystems, sondern um die
Errichtung eines digitalen Alarmierungsnetzes. Auch in dem der Entscheidung des
Bundeskartellamt zugrunde liegenden Fall wurde im Übrigen nach den
Bestimmungen des 4. Teils des GWB vergeben (vgl. Bekanntmachung 2006/S 212-
226629 vom 08.11.2006).
Die Ausnahmevorschrift des § 100 Abs. 2 lit. k) GWB, wonach der 4. Teil des GWB
u.a. nicht für den „Funkrufdienst“ gilt, ist ebenfalls nicht einschlägig, da sich für die
Kammer durch systematische Auslegung (Fernsprechdienstleistungen, Telexdienst,
beweglicher Telefondienst, Satellitenkommunikation) ergibt, dass durch § 100 Abs. 2
lit. k) GWB nur entsprechende Dienstleistungen, nicht jedoch Lieferaufträge der
vorliegenden Art (Kauf) umfasst sein dürften. Im Übrigen ist ohnehin fraglich, ob die
- 25 -
Bestimmung auf „Funkrufdienste“ überhaupt noch anwendbar ist, nachdem dieser
Freistellungstatbestand in der Richtlinie 2004/18/EG nicht mehr enthalten und die
Frist für deren Umsetzung am 31.01.2006 abgelaufen ist.
b) Für eine zulässige Beanstandung der ASt, dass der Agg den
streitgegenständlichen Auftrag im Nichtoffenen Verfahren (und nicht im Offenen
Verfahren) ausgeschrieben hat, fehlt die Antragsbefugnis, da die ASt nicht darlegen
konnte, dass ihr durch diesen Umstand ein Schaden i.S.v. § 107 Abs. 2 Satz 2 GWB
entstanden ist oder zu entstehen droht (vgl. erkennende Kammer, Beschluss vom
12.11.2004, VK-SH 30/04, m.w.N., IBR 2005, 51): Der ASt ist es nicht gelungen, die
Kammer davon zu überzeugen, dass sie im Falle eines Offenen Verfahrens ein
aussichtsreicheres Angebot vorgelegt hätte (vgl. nur Summa in: jurisPK-VergR, Rn.
74 zu § 107 GWB); die ASt hat aber die Darlegungs- und Beweislast dafür, inwieweit
durch die Wahl des Nichtoffenen Verfahrens anstelle eines Offenen Verfahrens mit
europaweiter Bekanntmachung ihre Leistungs- und Angebotsmöglichkeiten
eingeschränkt oder negativ beeinflusst worden sein könnten (vgl. OLG Düsseldorf,
Beschluss vom 16.02.2006, Verg 6/06, IBR 2006, 356). Der Agg hätte nämlich im
Rahmen eines Offenen Verfahrens anlässlich der 2. Wertungsstufe (§ 25 Nr. 2 Abs.
1 VOL/A) ebenfalls die Eignung der ASt überprüfen müssen. Die Kammer vermag
jedoch hinsichtlich des Schadens keinen Unterschied darin zu erkennen, ob eine
Bewerbung im Stadium der Teilnahmewettbewerbs eines Nichtoffenen Verfahrens
oder (erst) auf der 2. Wertungsstufe eines Offenen Verfahrens ausgeschieden wird.
Hier liegt auch gerade nicht der Fall eines Schadens vor, bei dem ein Teilnehmer an
einem Teilnahmewettbewerb, der einem (Verhandlungs-)Verfahren vorgeschaltet ist,
(zweifelsfrei) alle vom Auftraggeber geforderten Eignungsnachweise erbracht hat und
daher mit hoher Wahrscheinlichkeit in das Verhandlungsverfahren einzubeziehen
gewesen wäre (vgl. VK Brandenburg, Beschluss vom 30.07.2002, VK 38/02).
Zudem handelt ein Bieter nach Einschätzung der Kammer geradezu
rechtsmissbräuchlich, wenn er – wie hier die ASt – den Verzicht auf eine Offenes
Verfahren zwar rügt, sich gleichwohl am Nichtoffenen Verfahren beteiligt und sich auf
seine diesbezüglich Beanstandung erst dann wieder beruft, nach ihm mitgeteilt
wurde, dass sein Teilnahmeantrag erfolglos geblieben ist. Die Kammer ist davon
überzeugt, dass die ASt zur Meidung eines größeren Kreises von Mitbewerbern ihre
- 26 -
Beanstandung nicht aufrechterhalten bzw. wiederholt hätte, wenn sie zur
Angebotsabgabe aufgefordert oder gar für den Zuschlag vorgesehen worden wäre.
Ohne das es darauf noch entscheidend ankäme, ist außerdem darauf hinzuweisen,
dass auch die Lieferung, Installation, Konfiguration, Integration und Inbetriebnahme
der netzspezifischen Komponenten für ein bundesweit einheitliches digitales Sprech-
und Datenfunknetz für die BOS in der Bundesrepublik Deutschland durch das
Bundesministerium des Inneren ist im Nichtoffenen Verfahren vergeben worden ist
(vgl. Bekanntmachung 2006/S 212-226629 vom 08.11.2006).
c) Soweit die ASt mit ihrem Nachprüfungsantrag beanstandet, dass ein Verstoß
gegen das Gebot der Produktneutralität vorliege und dass der Agg sie aufgrund ihres
Teilnahmeantrages zu Unrecht nicht zur Angebotsabgabe aufgefordert hat, ist ihr
Vorbringen indes zulässig.
Bei dem streitgegenständlichen Beschaffungsvorhaben handelt es sich um einen
Öffentlichen (Liefer-) Auftrag (§ 99 Abs. 1, 2 GWB) eines Öffentlichen Auftraggebers
gemäß § 98 Nr. 1 GWB, welcher den – zum Zeitpunkt der Einleitung des Verfahrens
maßgeblichen – Schwellenwert von 200.000 Euro zweifelsfrei überschreitet (§ 2 Nr.
3, § 3 Abs. 10 VgV). Sämtliche ihrer Ansicht nach vorliegenden
Vergaberechtsverstöße hat die ASt auch unverzüglich i.S.v. § 107 Abs. 3 GWB
gerügt.
Die ASt ist im verbliebenen Umfang auch gemäß § 107 Abs. 2 Satz 1 GWB
antragsbefugt. Sie macht eine mögliche Verletzung in ihren Rechten nach § 97 Abs.
7 GWB durch die Nichtbeachtung von Vergabevorschriften in Gestalt des § 8 Nr. 3
VOL/A und des § 97 Abs. 1, 2 GWB geltend, ist ein erwerbswirtschaftliches
Kommunikationsdienstleistungsunternehmen und hat ein Interesse an dem
streitgegenständlichen Auftrag.
Das Interesse am Auftrag i.S.v. § 107 Abs. 2 Satz 1 GWB ist dabei weit auszulegen;
es liegt regelmäßig dann vor, wenn der Bieter – wie hier die ASt – vor Stellung des
Nachprüfungsantrages am Vergabeverfahren teilgenommen und einen
Vergabeverstoß ordnungsgemäß gerügt hat (vgl. BVerfG, Beschluss vom
- 27 -
29.07.2004, 2 BvR 2248/03, NZBau 2004, 564, 565; BGH, Beschluss vom
01.02.2005, X ZB 27/04, NZBau 2005, 290, 291); auf eine mangelnde Konvergenz
zwischen der ausgeschriebenen Leistung und einer potentiellen Antragstellerofferte
kommt es damit – entgegen der Auffassung des Agg – an dieser Stelle nicht an.
Ausreichend für das nach § 107 Abs. 2 Satz 1 GWB darzulegende Interesse ist im
vorliegenden Fall vielmehr die erklärte Beteiligung der ASt am Teilnahmewettbewerb
(vgl. OLG Düsseldorf, Urteil vom 13.04.1999, Verg 1/99, ZVgR 1999, 62, 68; VK
Brandenburg, Beschluss vom 17.09.2002, VK 50/02, IBR 2002, 716; Summa,
jurisPK-VergR, Rn. 39 f. zu § 107 GWB).
Soweit § 107 Abs. 2 Satz 2 GWB die Geltendmachung einer Verletzung der
Bestimmungen über das Vergabeverfahren fordert, genügt eine bestimmte
Behauptung des Antragstellers bzw. die Möglichkeit einer Rechtsverletzung; ob der
Rechtsverstoß tatsächlich vorliegt, ist eine Frage der Begründetheit (vgl. Summa,
a.a.O, Rn. 27 zu § 107 GWB; Reidt in: Reidt / Stickler / Glahs, Vergaberecht, 2.Aufl.,
Rn. 18 ff zu § 107 GWB). Dass die von der ASt herangezogenen Bestimmungen (§
97 Abs. 1, 2 GWB, § 8 Nr. 3 VOL/A) grundsätzlich bieterschützenden Charakter i.S.v.
§ 97 Abs. 7 GWB haben, ist zweifelsfrei.
Der ASt droht auch ein Schaden i.S.v. § 107 Abs. 2 Satz 2 GWB. An die
Schadensdarlegung sind nach höchstrichterlicher Rechtsprechung keine
überzogenen Anforderungen zu stellen. Sie muss lediglich schlüssig sein und ein
Schaden muss denkbar sein (vgl. BVerfG, Beschluss vom 29.07.2004, 2 BvR
2248/03). Alles andere ist eine Frage der Begründetheit des Antrags. Die Darlegung
oder gar der substantiierte Nachweis, dass der Antragsteller bei einem rechtmäßigen
Vergabeverfahren den Zuschlag erhalten hätte oder das er eine „echte Chance" auf
den Zuschlag gehabt hätte, sind somit nicht erforderlich, um den
Zulässigkeitsanforderungen an einen Nachprüfungsantrag zu genügen (vgl. BVerfG,
a.a.O.; BGH, Beschluss vom 18.05.2004, X ZB 7/04). Für die Zulässigkeit des
Nachprüfungsantrags ist daher erforderlich, aber auch ausreichend, dass der den
Nachprüfungsantrag stellende Bieter schlüssig behauptet, dass und welche
vergaberechtlichen Vorschriften im Verlauf des Vergabeverfahrens verletzt worden
sein sollen und dass er ohne die Rechtsverletzung eine Chance auf Erteilung des
Zuschlags (bzw. hier Teilnahme am Bieterwettbewerbhätte, so dass der behauptete
- 28 -
eingetretene oder drohende Schaden auf die Verletzung vergaberechtlicher
Vorschriften zurückzuführen ist. Diese Voraussetzungen liegen hier vor;
Ausschlussgründe in Bezug auf die Eignungsnachweise der ASt lassen deren
Antragsbefugnis daher nicht entfallen.
2. Der Nachprüfungsantrag ist jedoch – soweit er überhaupt zulässig ist –
offensichtlich unbegründet.
Entgegen der Auffassung der ASt liegt ein Verstoß der Vergabestelle gegen § 8 Nr. 3
VOL/A nicht vor (a.). Die Entscheidung des Agg, die ASt nicht zur Angabe eines
Angebotes aufzufordern, ist als Ermessensentscheidung der Vergabestelle durch die
Kammer nur auf das Vorliegen von Ermessensfehlern zu untersuchen; solche sind
indes nicht feststellbar (b.).
a) Soweit die ASt beanstandet, die Ausschreibungsbedingungen der Vergabestelle
würden durch technische und vertragliche Beschränkungen dem Grundsatz der
Produktneutralität sowie dem Wettbewerbs- und Gleichbehandlungsgebot
widersprechen, ist dem unter keinem Blickwinkel zu folgen.
aa) Allgemein anerkannt ist, dass die Entscheidung, welcher Gegenstand oder
welche Leistung mit welcher Beschaffenheit und mit welchen Eigenschaften im
Vergabeweg beschafft werden soll, der Vergabestelle obliegt. Die an einer
Auftragsvergabe interessierten Unternehmen sind im Rahmen eines
Vergabenachprüfungsverfahrens nicht dazu berufen, dem Auftraggeber eine von
seinen Vorstellungen abweichende Beschaffung von Waren oder Leistungen, d.h.
von solchen mit anderen Beschaffenheitsmerkmalen und Eigenschaften oder anderer
Art und Individualität, vorzuschreiben oder gar aufzudrängen. Vielmehr sind die
diesbezüglichen Anforderungen, die der Auftraggeber stellt, als zulässige
Vergabebedingungen von den am Auftrag interessierten Unternehmen grundsätzlich
hinzunehmen (vgl. nur OLG Düsseldorf, Beschluss vom 14.04.2005, Verg 93/04), da
als Ausfluss der Privatautonomie auch ein öffentlicher Auftraggeber grundsätzlich
darin frei ist, die Anforderungen an die Beschaffenheit der gewünschten Leistung zu
bestimmen (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 06.07.2005, Verg 26/05). Es ist
daher nicht Aufgabe der Vergabekammer, den tatsächlichen oder vermeintlichen
- 29 -
Bedarf einer Vergabestelle zu überprüfen, da das Vergaberecht nicht regelt, ob ein
öffentlicher Auftraggeber sich zu einer Beschaffung entschließt oder welchen
Gegenstand er beschafft (vgl. VK Münster, Beschluss vom 20.04.2005, VK 06/05).
Ebenso wenig gehört es zu den Aufgaben der Nachprüfungsinstanzen, darüber zu
befinden, ob Ausschreibungsmodalitäten zweckmäßig sind oder gar darüber zu
spekulieren, ob eine andere inhaltliche Gestaltung der Vergabeunterlagen zu
erheblichen Kosteneinsparungen führen könnte (vgl. OLG Koblenz, Beschluss vom
05.09.2002, 1 Verg 2/02, VergabeR 2002, 618).
Daher war und ist es allein Sache der Vergabestelle zu entscheiden, welche Leistung
sie ausschreibt (vgl. VK Lüneburg, Beschluss vom 18.06.2004, 203-VgK-29/2004;
OLG Koblenz, Beschluss vom 05.09.2002, 1 Verg 2/02); die Vergabestelle war auch
nicht verpflichtet, ihren Bedarf so auszurichten, dass möglichst alle auf dem Markt
agierenden Teilnehmer (einschließlich der ASt) leistungs- und angebotsfähig sind
(VK Münster, Beschluss vom 20.04.2005, VK 6/05). Eine spezialisierte
Leistungsabfrage wie im vorliegenden Fall bedingt zwangsläufig, dass der Kreis der
potenziellen Anbieter eingeschränkt wird (vgl. VK Rheinland-Pfalz, Beschluss vom
29.09.2004, VK 14/04).
bb) Die Vergabestelle war nicht berechtigt und schon gar nicht verpflichtet,
unabhängig von der konkreten Ausschreibung bestehende Wettbewerbsvorteile und -
nachteile potentieller Bieter durch die Gestaltung der Vergabeunterlagen
„auszugleichen“. Sie hat daher nicht gegen den in § 97 Abs. 2 GWB normierten
Gleichbehandlungsgrundsatz verstoßen, weil sie auf einen möglichen
Wettbewerbsnachteil der ASt (kein Verkauf) keine Rücksicht genommen sondern die
Ausschreibung innerhalb der vom Vergaberecht gezogenen Grenzen nach ihren
Vorstellungen gestaltet hat (vgl. OLG Koblenz, Beschluss vom 05.09.2002, 1 Verg
2/02). Letztlich zeigt auch das Ergebnis des Teilnahmewettbewerbs, dass die von der
ASt behauptete Verengung des Wettbewerbs objektiv nicht eingetreten ist. Immerhin
fünf Bewerber konnten sich für die Phase der Angebotsabgabe qualifizieren.
Die der Vergabestelle eröffneten Spielräume unterliegen zwar den Restriktionen des
§ 8 Nr. 3 VOL/A; eine über die Grenzen der Dispositionsfreiheit hinausgehende
vergaberechtliche Beeinträchtigung der Rechte der ASt vermag die Vergabekammer
- 30 -
jedoch nicht festzustellen. Insbesondere liegt kein Verstoß gegen § 8 Nr. 3 Abs. 1
VOL/A wegen ungewöhnlicher Anforderungen an die Beschaffenheit der Leistung
vor. Zum Zwecke der erforderlichen Vergleichbarkeit der (späteren) Angebote (vgl. §
8 Nr. 1 Abs. 1 VOL/A) war der Agg nicht nur berechtigt sondern geradezu
verpflichtet, sich im Vorfeld der Ausschreibung zu entscheiden, welche technischen
und kaufmännischen Anforderungen er an die zu erbringende Leistung stellt: Er hätte
vielmehr das Wettbewerbsprinzip und das Diskriminierungsverbot verletzt, wenn er
im Vorfeld der Ausschreibung nicht zumindest eigene strategische Ziele und
Leistungsanforderungen definiert hätte. In solchen Fällen ist der Auftraggeber
nämlich im Rahmen einer späteren Wertung der Angebote regelmäßig nicht in der
Lage, die für ihn wesentlichen Nutzen- und Kostenaspekte der einzelnen Angebote
zu analysieren. Er setzt sich der Gefahr aus, seine Zuschlagentscheidung letztlich
fremdbestimmt zu treffen (vgl. OLG Naumburg, Beschluss vom 16.09.2002, 1 Verg
2/02). Im Vermerk vom 09.01.2006 hat der Agg nachvollziehbar dokumentiert,
welche Gründe ihn dazu bewogen haben, ein eigenes, auf den Frequenzen der BOS-
Funkrichtlinie arbeitendes Netz zu beschaffen, einzurichten und zu unterhalten;
dafür, dass diese Einschätzungen der Vergabestelle nicht sachgerecht sein könnten,
fehlen Anhaltspunkte sowie jeglicher substantiierter Vortrag der ASt. Die
Vergabestelle konnte sich ohne Verstoß gegen vergaberechtliche Vorschriften unter
mehreren möglichen Lösungen, die alle technisch durchführbar und innerhalb einer
bestimmten Bandbreite sicher sind, entweder für die eher konservative, dafür aber
bewährte Lösung oder für die eher fortschrittliche, dafür aber aus Sicht der
Vergabestelle mit gewissen Risiken behaftete Lösung entscheiden. Dieser
Beurteilungsspielraum ist nur auf Beurteilungsfehler überprüfbar, also insbesondere
darauf, ob die Vergabestelle von einem zutreffend ermittelten Sachverhalt
ausgegangen ist, den ihr eingeräumten Beurteilungsspielraum zutreffend interpretiert
hat, und ob die Einschätzung auf unsachgemäßen bzw. willkürlichen Erwägungen
beruht (vgl. 2. VK Bund, Beschluss vom 08.10.2003, VK2-78/03 im Bereich der
VOB/A); Anhaltspunkte für derartige Beurteilungsfehler sind indes nicht erkennbar.
Demnach liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die Vergabestelle die an die zu
beschaffende Leistung gestellten Anforderungen deshalb so formuliert hätte, um
bestimmte Bewerber – insbesondere die ASt – vom Vergabeverfahren fernzuhalten.
Dies gilt umso mehr, als die ASt selbst vorgetragen hat, auch Leistungen der vom
- 31 -
Agg gewünschten Art grundsätzlich erbringen zu können. Indes hat sie es versäumt,
diese (erstmals im Nachprüfungsverfahren angebrachte) Behauptung zu belegen,
worauf im Rahmen der Entscheidung des Agg, die ASt nicht zur Angebotsabgabe
aufzufordern, noch einzugehen sein wird (vgl. unter b]).
cc) Auch der von der ASt monierte Verstoß gegen § 8 Nr. 3 Abs. 3 und 4 VOL/A liegt
nicht vor. Gemäß § 8 Nr. 3 Abs. 4 VOL/A darf die Beschreibung technischer
Merkmale durch den Auftraggeber nicht die Wirkung haben, dass bestimmte
Unternehmen oder Erzeugnisse bevorzugt oder ausgeschlossen werden, es sei
denn, dass eine solche Beschreibung durch die zu vergebende Leistung
gerechtfertigt ist. Ebenso dürfen bestimmte Erzeugnisse oder Verfahren nur dann
ausdrücklich vorgeschrieben werden, wenn dies durch die zu vergebende Leistung
gerechtfertigt ist (§ 8 Nr. 3 Abs. 3 VOL/A). Vom Gebot der Produktneutralität darf
allerdings ohnehin dann abgewichen werden, wenn dies ausnahmsweise durch die
Art der geforderten Leistung gerechtfertigt ist (vgl. OLG Frankfurt, Beschluss vom
28.10.2003, 11 Verg 9/03, IBR 2004, 90; OLG Saarbrücken, Beschluss vom
29.10.2003, 1 Verg 2/03, IBR 2004, 89). Zu einer solchen Rechtfertigung bedarf es
dann objektiver, in der Sache selbst liegender Gründe, die sich zum Beispiel aus der
besonderen Aufgabenstellung des Auftraggebers, aus technischen oder
gestalterischen Anforderungen oder auch aus der Nutzung der Sache ergeben
können (vgl. Zdzieblo in: Daub / Eberstein, VOL/A-Kommentar, 5. Aufl., Rn. 71 zu §
8). Das OLG Düsseldorf (Beschluss vom 14.03.2001, Verg 32/00, dem sich die
Kammer insoweit anschließt) hat diese Grundsätze präzisiert: Danach „genügt es,
dass sich die Forderung besonderer Merkmale, bezogen auf die Art der zu
vergebenden Leistung, rechtfertigen lässt, mithin sachlich vertretbar ist, womit dem
Umstand Rechnung zu tragen ist, dass in die (auch) kaufmännische Entscheidung
des Auftraggebers, welche Leistung mit welchen Merkmalen nachgefragt und
ausgeschrieben werden soll, regelmäßig eine Vielzahl von Gesichtspunkten einfließt,
die sich etwa daraus ergeben, dass sich die auf dem Markt angebotenen Leistungen
trotz grundsätzlicher Gleichartigkeit regelmäßig in einer Reihe von Eigenschaften
unterscheiden. Eine Differenzierung nach solchen Kriterien, soweit sie auf die Art der
zu vergebenden Leistung bezogen sind, kann dem Auftraggeber nicht verwehrt
werden, und nach welchen sachbezogenen Kriterien er seine Entscheidung
auszurichten hat, ist ihm im Nachprüfungsverfahren nicht vorzuschreiben.“
- 32 -
Der Wettbewerbsgrundsatz verpflichtet den Auftraggeber zwar, sich vor Festlegung
der Ausschreibungsbedingungen einen möglichst breiten Überblick über die in
Betracht kommenden Lösungen zu verschaffen und einzelne Lösungswege nicht von
vornherein auszublenden. Da der Auftraggeber den ihm hierbei eingeräumten
Beurteilungsspielraum auszuschöpfen hat, muss er prüfen und positiv festzustellen,
warum eine Lösungsvariante zur Verwirklichung des Beschaffungszwecks nicht
geeignet erscheint und diese Willensbildungs- und Entscheidungsprozesse sind in
den Vergabeakten zu dokumentieren (vgl. OLG Jena, Beschluss vom 26.06.2006, 9
Verg 2/06, NZBau 2006, 735, IBR 2006, 517, im Bereich der VOB/A). Auch diese
Voraussetzungen liegen hier vor.
Unter Berücksichtigung der vorgenannten Grundsätze hat die Vergabestelle in ihrem
Vermerk vom 09.01.2006 sowie im Vergabevermerk hinreichend dargelegt, dass ihre
Entscheidung auch unter Berücksichtigung von § 8 Nr. 3 Abs. 3, 4 VOL/A
gerechtfertigt ist. Gegen die in den Ziffern 1 bis 17 niedergelegten
Leistungsanforderungen hat die ASt keine stichhaltigen Argumente vorbringen
können. Insbesondere ist die Prämisse, wonach die Vergabestelle aus Gründen der
Versorgungssicherheit „ganz besonderen Wert auf ein eigenes, vollständig im Besitz
und in der alleinigen Verfügungsgewalt der Kreise befindliches Netz“ legt, nicht zu
beanstanden.
b) Gemäß § 97 Abs. 4 GWB und § 25 Nr. 2 Abs. 1 VOL/A werden Aufträge an
fachkundige, leistungsfähige und zuverlässige Unternehmen vergeben. Die
Eignungskriterien legen grundsätzlich fest, welche Anforderungen der Bieter erfüllen
muss, um sich an einem Wettbewerb um öffentliche Aufträge überhaupt beteiligen
können. Ein Bieter besitzt dann die erforderliche Fachkunde, wenn er Kenntnisse,
Erfahrungen und Fertigkeiten besitzt, die für die Ausführung der zu vergebenden
Leistungen erforderlich sind, um die jeweilige Leistung fachgerecht vorzubereiten und
auszuführen. Leistungsfähig ist, wer als Unternehmer über die personellen,
kaufmännischen, technischen und finanziellen Mittel verfügt, um den Auftrag fachlich
einwandfrei und fristgerecht ausführen zu können und in der Lage ist, seine
Verbindlichkeiten zu erfüllen. Ein Bieter ist zuverlässig, wenn er seinen gesetzlichen
Verpflichtungen nachgekommen ist – zu denen vor allem die Entrichtung von Steuern
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und sonstigen Abgaben gehören – und aufgrund der Erfüllung früherer Verträge eine
einwandfreie Ausführung erwarten lässt (vgl. erkennende Kammer, Beschluss vom
28.03.2006, VK-SH 01/06, m.w.N.). Ist – wie hier – ein Teilnahmewettbewerb
durchgeführt worden, so wählt der Auftraggeber gemäß § 7a Nr. 3 VOL/A anhand
der geforderten, mit dem Teilnahmeantrag vorgelegten Unterlagen unter den
Bewerbern, die den Anforderungen an Fachkunde, Leistungsfähigkeit und
Zuverlässigkeit entsprechen, diejenigen aus, die er gleichzeitig und unter Beifügen
der Verdingungsunterlagen schriftlich auffordert, ein Angebot einzureichen. Damit
sind zwei Schritte zu unterscheiden: Zunächst trennt der Auftraggeber die geeigneten
Bewerber von den nicht geeigneten Bewerbern. Anschließend wählt der
Auftraggeber unter den verbliebenen geeigneten Bewerbern diejenigen aus, die er
zur Angebotsabgabe auffordert. Dass der Agg die ASt in rechtswidriger Art und
Weise als nicht geeignet angesehen und deshalb zu Unrecht nicht zur
Angebotsabgabe aufgefordert hat, hat die Kammer nicht feststellen können;
insbesondere ist es nicht zu beanstanden, dass der Agg der ASt die für den
streitgegenständlichen Auftrag erforderliche Leistungsfähigkeit abgesprochen hat.
aa) Die Entscheidung des Auftraggebers, welche Bewerber er für geeignet hält, muss
auf sachlichen und nachvollziehbaren Erwägungen beruhen. Sind solche Gründe
nicht ersichtlich, insbesondere weder im Rahmen eines Vergabevermerks
dokumentiert noch im Verfahren dargelegt, hat der Auftraggeber sein
Auswahlermessen nicht ordnungsgemäß ausgeübt (vgl. BayObLG, Beschluss vom
20.04.2005, Verg 26/04, IBR 2005, 389). Die Vergabekammer ist bei der Beurteilung
der Rechtmäßigkeit der Entscheidung allerdings darauf beschränkt, ob das
Ermessen bei der Entscheidungsfindung rechtmäßig ausgeübt wurde (vgl. nur OLG
Düsseldorf, Beschluss vom 05.10.2005, Verg 55/05, IBR 2005, 1146); die Kammer
ist daher zur eigenen Ermessensausübung nicht befugt (vgl. Müller-Wrede, VOL/A-
Kommentar, 1, Aufl., Rn. 56 zu § 7a VOL/A). Die dem öffentlichen Auftraggeber
obliegende Eignungsbewertung hat überdies nicht nur unternehmensbezogen
sondern gerade auch auftragsbezogen zu erfolgen (vgl. OLG Düsseldorf, ebenda).
Die Eignung eines Bieters kann daher grundsätzlich nur im Rahmen einer
Prognoseentscheidung beurteilt werden, für die der Vergabestelle ein
Beurteilungsspielraum zuzubilligen ist, der von Nachprüfungsinstanzen nur begrenzt
überprüft werden kann. Dabei können auch Verdachtsmomente die
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Nichtberücksichtigung tragen, wenn die den Verdacht begründenden Informationen
aus einer sicheren Quelle stammen und eine gewisse Erhärtung erfahren haben.
Demnach wäre die Grenze erst dann überschritten, wenn sich die Vergabestelle auf
ungeprüfte Gerüchte verließe und eventuelle Informationen von Seiten Dritter nicht
selbst verifizieren würde (vgl. OLG Saarbrücken, Beschluss vom 08.07.2003, 5 Verg
5/02, IBR 2003, 626).
bb) Beurteilungsfehler im vorgenannten Sinne hat die Vergabekammer indes nicht
feststellen können. Der Vergabevermerk setzt sich in der gebotenen Ausführlichkeit
mit der Bewerbung der ASt auseinander und mündet in der Entscheidung, die ASt als
ungeeignet anzusehen und daher nicht zur Angebotsabgabe aufzufordern. Soweit
der Agg festgehalten hat, dass der Teilnahmeantrag der ASt auf dem Produkt XXX-
Alarmierung fußt, welches nicht den Rahmenbedingungen des Vermerks vom
09.01.2006 entspricht, hat die ASt diese Feststellung bislang nicht widerlegen
können. Dass die von der ASt beigebrachten Referenzen – so der Vergabevermerk
weiter – ausnahmslos Projekte beschreiben, in denen die XXX-Alarmierung in Form
von Pagingdienstleistungen gegen Miete bzw. Netznutzungsgebühr realisiert wurde,
hat die ASt nicht bestritten. Die Auffassung des Agg, wonach diese Referenzprojekte
nicht gleichartig zu der nachlesbaren Kaufabsicht der Vergabestelle sind, hat die ASt
nicht entkräften können. Dass sich die Errichtung eines Netzes zum anschließenden
Betrieb durch den Auftrageber von (langfristigen) Verträgen über die Nutzung des
Netzes der ASt in für den Auftraggeber bedeutsamer Weise unterscheidet, unterfällt
zur Überzeugung der Kammer dem vergaberechtlich zulässigen
Beurteilungsspielraum der Vergabestelle und ist daher nicht zu beanstanden.
Die ASt hat bis zum heutigen Tage auch jegliche klare Aussage vermieden, dass sie
das vom Agg klar beschriebene Produkt zum Kauf liefern kann, sondern sich darauf
beschränkt, dem Agg die Möglichkeit abzusprechen, aufgrund der bislang
gewonnenen Erkenntnisse zu der Einschätzung zu gelangen, die ASt sei für die
vorgesehene Leistung nicht geeignet. Der Agg weist zu Recht darauf hin, dass es der
ASt oblegen hätte, den Nachweis ihrer Eignung zu führen. Mangelnde Nachweise
bzw. Erklärungen des Bieters können den Auftraggeber zweifelsfrei nicht in
Beweisnot bringen.
- 35 -
Unabhängig von der Frage, ob die ASt anhand der Vergabebekanntmachung
erkennen konnte, dass die Vergabestelle ein digitales Alarmierungsnetz kaufen will
und unabhängig davon, ob die ASt überhaupt berechtigt gewesen wäre, ihren
Teilnahmeantrag hinsichtlich der Referenzen dementsprechend zu ergänzen, bleibt
festzuhalten, dass die ASt ihren Teilnahmeantrag nicht modifiziert hat. Der Agg durfte
daher zu Recht davon ausgehen, dass die ASt Referenzen für den (Ver-)Kauf eines
digitalen Alarmierungsnetzes nicht beibringen kann oder will und die Eignung der ASt
in Gestalt der Leistungsfähigkeit insoweit nicht gegeben ist.
Demnach kann dem Agg eine ermessensfehlerhafte Entscheidung hinsichtlich des
Teilnahmeantrags nicht vorgehalten werden: Die Dokumentation entspricht den
Erfordernissen; der Agg hat weiterhin Erkundigungen bei den als Referenzen
genannten Auftraggebern eingeholt und schließlich – ohne eine Antwort zu erhalten –
bei der ASt selbst versucht, Aufklärung darüber zu erlangen, ob diese auch den
gewünschten Kauf realisieren könnte. Mehr kann die Kammer im Lichte der
vorgenannten Auswahlgrundsätze vom Agg nicht fordern, ohne den ihm im Rahmen
des § 7a Nr. 3 VOL/A zustehenden Ermessensspielraum unzulässigerweise
einzuschränken.
cc) Der Agg wäre im Übrigen auch nicht verpflichtet gewesen, allen Bewerbern, die
die geforderten Unterlagen beigebracht haben und die die genannten
Eignungsmerkmale aufweisen, auch eine Angebotsaufforderung zukommen zu
lassen. Die Vorschrift des § 7a Nr. 3 VOL/A lässt der Vergabestelle vielmehr einen
gewissen Beurteilungs- und Entscheidungsspielraum; allerdings darf sie nicht
willkürlich verfahren und muss ihre Entscheidung nachvollziehbar begründen (vgl.
Zdzieblo in: Daub / Eberstein, a.a.O., Rn. 50 f. zu § 7a; Müller-Wrede, a.a.O., Rn. 53
ff. zu § 7a; Weyand, ibr-online-Kommentar Vergaberecht, Stand 27.04.2006, § 101
GWB, Rz. 826; Boesen, Vergaberecht, 1. Aufl., Rn. 35 zu § 101 GWB). Bestehen für
den Auftraggeber nach dem Teilnahmewettbewerb – wie hier – Zweifel an der
Leistungsfähigkeit eines Bewerbers, wäre aber gerade eine Aufforderung zur Abgabe
eines Angebotes ermessensfehlerhaft (vgl. Müller-Wrede, ebenda). Zudem stehen
nach den Feststellungen des Agg hinreichend geeignete Bewerber („mindestens“
fünf) zur Verfügung (vgl. § 3a Nr. 1 Abs. 2, § 7 Nr. 2 Abs. 2 VOL/A).
- 36 -
3. Das über den der ASt durch die Kammer zur Verfügung gestellten Vermerk des
Agg vom 09.01.2006 hinaus gehende Akteneinsichtsgesuch der ASt war
zurückzuweisen.
Das Recht auf Akteneinsicht besteht entgegen der Auffassung der
Rechtsmittelführerin nicht schrankenlos; vielmehr ist allgemein anerkannt, dass das §
111 GWB Rechte nur in dem Umfang vermittelt, in dem es zur Durchsetzung der
subjektiven Rechte des betroffenen Verfahrensbeteiligten aus § 97 Abs. 7 GWB
erforderlich ist (vgl. nur OLG Jena, Beschluss vom 16.12.2002, 6 Verg 10/02).
Insbesondere dient § 111 GWB nicht der Befriedigung allgemeiner
Informationsinteressen eines Bieters, sondern unterstützt nur eine in statthafter
Weise begründete verfahrensrechtliche Rechtsposition eines Beteiligten am
Nachprüfungsverfahren (vgl. OLG Dresden, Beschluss vom 12.09.2005, WVerg
5/05). Dies ist nach der Rechtsprechung der Obersten Landesgerichte und einer
Reihe von Vergabekammern bei einem unzulässigen Nachprüfungsantrag nicht der
Fall (vgl. erkennende Kammer, Beschluss vom 17.03.2006, VK-SH 02/06, m.w.N.).
Akteneinsicht wird grundsätzlich demjenigen nicht gewährt, dem das GWB gerade
das Nachprüfungsverfahren nicht eröffnet. Die Tatsache, dass der hier vorliegende
Nachprüfungsantrag zwar teilweise zulässig ist, führt zu keinem anderen Ergebnis,
da der Antrag im Übrigen offensichtlich unbegründet ist (vgl. Düsterdiek, NZBau
2004, 605, 606). Ein Rechtschutzinteresse der ASt, sich trotz des offensichtlich
unbegründeten Nachprüfungsantrags über die Teilnahmeanträge der anderen
Bewerber sowie über Einzelheiten der durch den Agg als geheim zu haltend
eingestuften Verdingungsunterlagen zu informieren, ist nicht ersichtlich. In der
Rechtsprechung und der Literatur ist allgemein anerkannt, dass das Recht auf
Akteneinsicht gemäß § 111 GWB nur in dem Umfang besteht, in dem es zur
Durchsetzung der subjektiven Rechte des betroffenen Verfahrensbeteiligten
erforderlich ist. Maßgeblich ist dabei die Entscheidungsrelevanz der Unterlagen,
deren Einsicht begehrt wird (vgl. OLG Naumburg, Beschluss vom 11.06.2003, 1 Verg
06/03, m.w.N.). Vor diesem Hintergrund hat die ASt keinen Anspruch auf
Einsichtnahme in die Angebote der Konkurrenten und die sonstigen Unterlagen des
Agg.
- 37 -
4. Die Zurückweisung eines Nachprüfungsantrag ohne mündliche Verhandlung als
„offensichtlich” unbegründet sollte zwar die Ausnahme bleiben (vgl. OLG Schleswig,
Beschluss vom 30.06.2005, 6 Verg 5/05); angesichts der eindeutigen Sach- und
Rechtslage sind die Voraussetzungen des § 112 Abs. 1 Satz 3 Alt. 2 und 3 GWB hier
jedoch gegeben.
Ob die Vergabekammer bei Vorliegen der in § 112 Abs. 1 Satz 3 GWB genannten
Voraussetzungen von einer mündlichen Verhandlung absieht, liegt in ihrem
pflichtgemäßen Ermessen; dabei hat sie auch zu berücksichtigen, ob von einer
mündlichen Verhandlung neue Erkenntnisse zu erwarten wären, die zu einer anderen
Bewertung führen können (vgl. BayObLG, Beschluss vom 20.8.2001, Verg 11/01)
Aufgrund der Sachlage und des bisherigen Vorbringens der Beteiligten ist die
Kammer davon überzeugt, dass dies nicht der Fall ist. Die ASt hatte in
ausreichendem Maß Gelegenheit, ihre Standpunkte in tatsächlicher und in rechtlicher
Hinsicht anzubringen, so dass der maßgebliche Sachverhalt aus Sicht der Kammer
hinreichend aufgeklärt ist und eine mündliche Verhandlung insofern keinen weiteren
Erkenntnisgewinn verspricht.
Die Kammer ist auch dem Untersuchungsgrundsatz des § 110 Abs. 1 GWB
hinreichend nachgekommen und hat den Sachverhalt hinlänglich erforscht. Nachdem
danach an der Richtigkeit der tatsächlichen Feststellungen vernünftigerweise kein
Zweifel mehr bestehen kann, nach dem Vorbringen der ASt für diese unter keinem
Gesichtspunkt Erfolgsaussichten bestehen und sich die Zurückweisung des Antrages
damit geradezu aufdrängt, kann der Antrag als offensichtlich unbegründet qualifiziert
werden (vgl. Boesen, GWB-Kommentar, 1. Aufl., Rn. 23 f. zu § 112; 2. VK Bund,
Beschluss vom 06.10.2003, VK 2-94/03).
Die Kammer ist ebenfalls überzeugt, der ASt im vorliegenden Nachprüfungsverfahren
hinreichend rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) gewährt zu haben. Zu
berücksichtigen ist weiterhin, dass der Grundsatz des rechtlichen Gehörs ohnehin
keinen Selbstzweck darstellt, sondern - wie § 321a Abs. 1 Nr. 1 ZPO zeigt - nur dann
berührt ist, wenn die selbst ohne hinreichende Gewährung rechtlichen Gehörs
getroffene Entscheidung nicht mehr in der Rechtsmittelinstanz anfechtbar ist und der
Verfahrensbeteiligte somit auch nachträglich kein Gehör findet (vgl. OLG Jena,
- 38 -
Beschluss vom 14.10.2003, 6 Verg 8/03), was hier nicht der Fall wäre. Auch ist die
ASt zu dem beabsichtigten Verzicht auf die mündliche Verhandlung angehört worden
(vgl. Reidt, a.a.O., § 112 GWB, Rn. 19). Wenn daher – wie im vorliegenden Fall –
nach Eingang der Akten und Austausch der Schriftsätze erkennbar ist, dass eine
mündliche Verhandlung keine rechtliche Verbesserung für den Antragsteller
erbringen kann, muss bei einer solchen Sach- und Rechtslage von einer
offensichtlichen Unbegründetheit des Antrages ausgegangen werden und eine
Entscheidung der Vergabekammer (nach Erteilung eines rechtlichen Hinweises)
nach Aktenlage auch dann zulässig sein, wenn einer der Beteiligten – hier die ASt –
einer solchen Entscheidung entgegentritt (vgl. VK Sachsen, Beschluss vom
14.02.2006, 1/SVK/5-06; VK Arnsberg, Beschluss vom 07.09.2005, VK 16/05).
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 128 Abs. 3, Abs. 4 GWB. Danach hat ein
Beteiligter die Kosten (Gebühren und Auslagen) der Vergabekammer zu tragen,
soweit er im Verfahren unterliegt (1.). Zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung
notwendige Kosten hat er zu erstatten, soweit die Anrufung der Vergabekammer
erfolgreich ist (2.). Im vorliegenden Fall ist die ASt als unterlegen anzusehen, da ihre
Anträge zurückgewiesen wurden.
1. Nachprüfungsverfahren nach § 107 ff. GWB sind gebührenpflichtig. Die Gebühr
beträgt mindestens 2.500,00 Euro und soll den Betrag von 25.000,00 Euro nicht
überschreiten (§ 128 Abs. 2 Satz 2 und 3 GWB).
Die Höhe der Gebühr bestimmt sich nach dem personellen und sachlichen Aufwand
der Vergabekammer unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Bedeutung des
Gegenstandes des Nachprüfungsverfahrens (§ 128 Abs. 2 Satz 1 GWB). Entspricht
die wirtschaftliche Bedeutung dem Durchschnitt, ist grundsätzlich eine mittlere
Gebühr angemessen. Zur Bemessung ihrer Gebühren wendet die Kammer eine
Gebührenstaffel an, wonach die in § 128 Abs. 2 GWB normierte Mindestgebühr von
2.500 Euro bei Auftragswerten bis zu 80.000 EUR anfällt, die gesetzliche
Höchstgebühr von 25.000 Euro bei Auftragswerten von 70 Mio. Euro und mehr
entsteht und bei der für die dazwischen liegenden Auftragswerte die jeweilige Gebühr
- 39 -
durch lineare Interpolation (Gebühr = 2.500 Euro + [25.000 Euro – 2.500 Euro] / [70
Mio. Euro – 80.000 Euro] x [Auftragsvolumen – 80.000 Euro]) ermittelt wird. Mit der
Anknüpfung an die jeweilige Auftragssumme wird nicht nur der wirtschaftlichen
Bedeutung der im Nachprüfungsverfahren zu kontrollierenden Auftragsvergabe
Rechnung getragen, sondern zugleich auch der personelle und sachliche Aufwand,
den die Vergabekammer zur Erledigung des Nachprüfungsbegehrens aufzuwenden
hat, in hinreichender Weise berücksichtigt. Denn in aller Regel steigt mit der Höhe
der Auftragsumme auch die Komplexität und Schwierigkeit des Streitfalles in
tatsächlicher und in rechtlicher Hinsicht und mithin auch der zur Bewältigung des
Nachprüfungsverfahrens erforderliche Aufwand der Vergabekammer. Lediglich dann,
wenn im Einzelfall der Sach- und Personalaufwand aus dem Rahmen dessen fällt,
was ein Nachprüfungsantrag der betreffenden wirtschaftlichen Größenordnung und
Bedeutung üblicherweise mit sich bringt, muss dem durch eine angemessene
Erhöhung oder Herabsetzung der in der Gebührenstaffel ausgewiesenen
Basisgebühr Rechnung getragen werden (vgl. nur OLG Düsseldorf, Beschluss vom
12.05.2004, Verg 28/04, m.w.N.).
Unter dieser Prämisse gilt hier Folgendes: Der Gegenstand des
Nachprüfungsverfahrens ist von hoher wirtschaftlicher Bedeutung für alle
Verfahrensbeteiligten. Das wird bereits durch das streitgegenständliche
Auftragsvolumen in Höhe von ca. 1,16 Mio. Euro brutto (geschätzte Auftragssumme;
vgl. S. 1 des Vergabevermerks und Ziffer II.2.1 der Vergabebekanntmachung)
deutlich. Der personelle und sachliche Aufwand bei der Vergabekammer ist als leicht
durchschnittlich anzusehen, da die Verfahrensbeteiligten im üblichen Rahmen
vorgetragen haben; der Umfang der von der Vergabekammer auszuwertenden
Vergabeakten war ebenfalls durchschnittlich. Von daher erscheint der Kammer
vorliegend eine Gebühr in Höhe von 2.847,44 Euro als angemessen. Indes waren
nach den Feststellungen der Kammer vorliegend Akteneinsichten der Beteiligten,
Beiladungen sowie eine mündliche Verhandlung nicht erforderlich, so dass eine
Ermäßigung der Gebühr auf vier Fünftel, mithin 2.277,95 Euro, veranlasst ist (vgl. §
128 Abs. 2 Satz 2 GWB).
Auslagen, welche nicht bereits durch die Gebühr abgegolten wären, sind nicht
angefallen.
- 40 -
2. Die Frage der Notwendigkeit der Hinzuziehung eines anwaltlichen
Bevollmächtigten durch die Vergabestelle ist auf den Einzelfall bezogen zu prüfen,
wobei sich die Entscheidung an folgenden Grundsätzen ausrichtet: In der Regel ist
die Beauftragung eines Rechtsanwaltes durch die Vergabestelle auch deshalb als
notwendig i.S.d. §§ 128 Abs. 4 Satz 3 GWB, 120 Abs. 3 Satz 2 LVwG anzuerkennen,
da eine Einschränkung auf in besonderem Maße schwierige und bedeutsame
Nachprüfungsverfahren weder geboten scheint noch praktisch brauchbar ist, sich
eine Grenze für Schwierigkeit oder Bedeutung solcher Verfahren kaum angeben
lässt und im Interesse einer zeitnahen Erfüllung von verfahrensrechtlichen
Mitwirkungspflichten der Vergabestelle Kleinlichkeit bei der Beurteilung der
Notwendigkeit nicht am Platze ist. Von daher ist es sachgerecht, auch auf Seiten der
Vergabestelle die Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im
Regelfall anzuerkennen und Ausnahmen im Einzelfall nur für einfache tatsächliche
oder ohne Weiteres zu beantwortende rechtliche Fragen vorzubehalten (vgl. nur OLG
Saarbrücken, Beschluss vom 29.09.2004, 1 Verg 5/04; OLG Schleswig, Beschluss
vom 15.07.2003, 6 Verg 6/03, m.w.N.).
Die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts seitens des Agg war aufgrund der hier
vorliegenden Bedingungen von daher notwendig und ist damit im Rahmen des § 128
Abs. 4 GWB erstattungsfähig.
Eine Streitwertfestsetzung durch die Vergabekammer hat zu unterbleiben (vgl. OLG
Düsseldorf, Beschluss vom 13.08.2004, VII - Verg 12 und 14/02; BayObLG,
Beschluss vom 12.03.2002, Verg 3/02).
Rechtsbehelfsbelehrung
Gemäß § 116 Abs. 1 GWB kann gegen diese Entscheidung sofortige Beschwerde
eingelegt werden. Sie wäre innerhalb einer Notfrist von 2 Wochen nach Zustellung
dieser Entscheidung schriftlich beim Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgericht,
Gottorfstraße 2, 24837 Schleswig, einzulegen. Die sofortige Beschwerde ist zugleich
mit ihrer Einlegung zu begründen. Die Beschwerdebegründung muss enthalten:
- 41 -
1. die Erklärung, inwieweit die Entscheidung der Vergabekammer angefochten und
eine abweichende Entscheidung beantragt wird,
2. die Angabe der Tatsachen und Beweismittel auf die sich die Beschwerde stützt.
Die Beschwerdeschrift muss durch einen bei einem deutschen Gericht zugelassenen
Rechtsanwalt unterzeichnet sein. Dies gilt nicht für Beschwerden von juristischen
Personen des öffentlichen Rechts.
Mit Einlegung der Beschwerde sind die anderen Beteiligten des Verfahrens vor der
Vergabekammer vom Beschwerdeführer durch Übermittlung einer Ausfertigung der
Beschwerdeschrift zu unterrichten (§ 117 Abs. 4 GWB).
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Tahal Frankenstein Mann