Unterschiedliche Methodologiender IB: Die Epistemologie einer
Wissenschaft (Kurzfassung)
Was ist eine Theorie ?
Theorie ist “…das Netz das wir auswerfen, um die Welt einzufangen – um sie zu rationali-sieren, zu erklären und zu beherrschen."
Karl Popper. Logik der Forschung, 6.Aufl. Tübingen 1976
Oder: Theorien helfen bei der Orientierung in einer komplexen Wirklichkeit
Kennzeichen von Theorie
Anspruch auf objektive Erkenntnis• Alltagspraxis: nur Behauptungen ohne weitergehende
Sicherheit• Theorie: Besonderer Geltungsanspruch macht
Begründung notwendig
Geltungsanspruch wird durch Meta-Theorie begründet (“Theorie über Theorie”) – das führt zur Erkenntnistheorie
Erkenntnistheorie: Wie und wieso wird etwas als “wahr” erkannt? Welche Kriterien besitzen wir zur Bestimmung der Gültigkeit unserer Aussagen ?
Erkenntnis (Schema)
grauen Himmel
bald regnet‘sRegenschirm mitnehmen
Erkenntnis-objekt
ErkennendesSubjekt
Erkenntnis
folgert
handelt danach
Menschsieht („erkennt“)
1. Generelle Unterschiede
Wissen-Wissen-schaft schaft
strebt nachstrebt nach
VerstehenEinsicht in die Zusammenhänge (vorgegebener) menschlicher Ordnung, ihrer Grundsätze und Ziele
ErklärenErkenntnis der Mechanismen und Prozesse menschlichen Zusammenlebens, ihrer Gesetze und deren Beeinflussung
1. Generelle Unterschiede
VerstehenVerstehen
GeltungsgrundGeltungsgrund: : Offenbarung;Offenbarung; dem Wissenschaftler enthüllen dem Wissenschaftler enthüllen sich die Seinswahrheiten alssich die Seinswahrheiten als
• den Dingen innewohnende den Dingen innewohnende Idee (Platon)Idee (Platon)• Göttlicher Wille Göttlicher Wille (Mittelalter)(Mittelalter)• Ausfluss der menschlichen Ausfluss der menschlichen NaturNatur
Ziel:Ziel: theoretische bzw. theoretische bzw. normative Orientierung des normative Orientierung des Menschen in seiner Welt Menschen in seiner Welt
ErklärenErklären
GeltungsgrundGeltungsgrund:: Nachprüfbarkeit Nachprüfbarkeit des methodischen Vorgehensdes methodischen Vorgehens
• i.d. Regel Sammlung i.d. Regel Sammlung empirischer Beobachtungen, empirischer Beobachtungen, Hypothesenbildung, Hypothesenbildung, Formulierung von auf nicht Formulierung von auf nicht falsifizierten Kausalaussagen falsifizierten Kausalaussagen beruhender Theorienberuhender Theorien
Ziel:Ziel: Rationalisierung, Erklärung, Rationalisierung, Erklärung, Beherrschung der WeltBeherrschung der Welt
2. Erkenntnisinteressen bei Habermas2. Erkenntnisinteressen bei Habermas
Forschungsprozesse lassen sich ordnen nach drei Kategorien, die jeweils von einem anthropologisch tiefsitzenden Erkenntnisinteresse geleitet werden und dem Interessenzusammenhang einer menschlichen Gattung entspringen, die sich über
Arbeit, Sprache und Herrschaft vergesellschaftet.
Technisches Erkenntnisinteresse der Erfahrungswissenschaften Erschliessen die Wirklichkeit unter dem Erkenntnisinteresse der Verwertbarkeit, dem
Interesse an zuverlässiger Voraussage und Kontrolle von Ereignissen in der Welt, um die materielle Reproduktion des Lebens sicherzustellen oder zu erweitern.
Praktisches Erkenntnisinteresse der historisch-hermeneutischen WissenschaftenErschliessen die Wirklichkeit unter dem Erkenntnisinteresse des Sinnverständnisses, der Herstellung/Bewahrung zuverlässiger Intersubjektivität, die erst gegenseitiges Verstehen und Selbstverständigung sicherstellt
Emanzipatorisches Erkenntnisinteresse der kritischen WissenschaftenErschliessen die Wirklichkeit unter dem Erkenntnisinteresse der (Selbst-) Befreiung der Menschen von den für naturwüchsig gehaltenen Zwängen undurchschaubarer Gewalten durch Selbstreflexion, Einsicht und Aufklärung.
Erkenntnistheoretische Grundpositionen
• • Realismus versus Idealismus
• • Empirismus versus Rationalismus
• • Skeptizismus
Grundpositionen 1
• RealismusWirklichkeit existiert unabhängig von uns, ist durch
Wahrnehmung bzw. Denken erfahrbar. Konsequenz: Theorie als Versuch der adäquaten
Wirklichkeitsabbildung
• Idealismusnur geistige Wirklichkeit ist gegeben; Erkennbarkeit einer
“äußeren” Wirklichkeit wird geleugnet, deren Existenz wird von extremen Vertretern des I. sogar bestritten.
Konsequenz: Theorie beschreibt nichts tatsächlich Existierendes; der Wert einer Theorie bestimmt sich ausschließlich aus ihrem (instrumentellem) Nutzen
Grundpositionen 2
• EmpirismusSinneserfahrung ist die alleinige oder zumindest wichtigste
Erkenntnisquelle.Konsequenz: Theorie stellt die Zusammenfassung der in Beobach-
tungen und Experimenten gesammelten, möglichst zuverlässigen Erfahrungen dar.
• RationalismusForm und Inhalt allen Wissens liegt primär in Verstand und Vernunftbegründet.Konsequenz: Theorie ist keine Sammlung voraussetzungsfreier
Erfahrungen, Primat der Theorie über die Erfahrung.
• Skeptizismusgenerelle oder teilweise Leugnung von ErkenntnismöglichkeitenKonsequenz: Ende wissenschaftlicher Aktivitäten als Erkenntnismittel
???
Literaturtipp
• Gerhard Schurz: Einführung in die Wissenschafts-theorie. Darmstadt: Wiss. Buchgesellschaft 2006
• Helmut Seiffert: Einführung in die Wissenschafts-theorie. 11. Aufl., 3 Bde., München: C.H.Beck 2006ff
Überprüfung wissenschaftlicher Aussagen
Es gibt keine »reinen« Tatsachen! Jede Tatsache, jede Beobachtung ist vielmehr immer schon geformt durch die Kenntnisse des Beobachters,durch die Sprache, in der Tatsachen erfasst und dargestellt werden. Oder anders: jegliche Erkenntnis ist theorieabhängig
Theoretische Aussagen
BeobachtungssätzeEmpirie
THEORIE
Erklärung• Im wissenschaftlichen wie im vorwissenschaftlichen Bereich ist die
Grundstruktur der Erklärung nichts anderes als die Rückführung von Unbekanntem auf Bekanntes. Ein Ereignis gilt in der vorwissen-schaftlichen Alltagserkenntnis bereits als erklärt, wenn ein in anderen Zusammenhängen bereits bekannter Gegenstand, Sachverhalt oder eine Handlung als unmittelbare, natürliche oder konkrete Ur-Sache angegeben werden kann.
• Die wissenschaftliche Erklärung unterscheidet sich davon lediglich durch ihre Allgemeingültigkeit, die durch das Aufstellen einer allgemeinen Gesetzesaussage gekennzeichnet ist, die nicht nur für ein bestimmtes Ereignis, sondern für den gesamten Ereignistypus gilt. Dadurch wird ein zufälliges Ereignis zu einem notwendigen oder wahrscheinlichen und ein unvorhersehbares Ereignis zu einem vorhersehbaren gemacht. In der wissenschaftlichen Erkenntnis heißt das, daß jede echte, d. h. korrekte Erklärung auch potentiell eine Prognose sein muß.
• Für die Korrektheit einer Erklärung ist in jedem Fall die genaue Beschreibung des Ereignisses entscheidend. Denn diese liefert erst das Material für die richtige Erklärung. Wird dieses Material nicht berücksichtigt, dann kommt es zu Scheinerklärungen. Beispiele sind das schlechte Horoskop des Autolenkers bei einem Verkehrsunfall oder Horoskope über den Ausgang von Feldzügen und Schlachten.
Positivist theory creation and testing
hypotheses
Prediction fulfilled,theory appears consistent with
the facts
predictionslogical
deduction
empirical observation
theory correct
theory discarded, new theory
needed
theory amendedPrediction not fulfilled,
theory appears inconsistent with
the factsor
either
Literaturtipp
• Scott Gordon: The History and Philosophy of Social Science. London: Routledge 1991
• Theodore M. Porter/Dorothy Ross (eds.): The Cambridge History of Science. Vol. 7: The Modern Social Sciences. Cambridge: Cambridge UP 2003
• http://plato.stanford.edu/entries/scientific-explanation/
• http://www.iep.utm.edu/e/explanat.htm
Logischer Empirismus• aus dem Wiener Kreis (u.a. Rudolf Carnap, Ernst Mach, Otto Neurath, Moritz
Schlick) entstanden, als Reaktion auf den stark spekulativ gefärbten Wissenschaftsbetrieb des 19. Jhs.; Vorbildwissenschaft: Physik
• Grundposition: alle wissenschaftlichen Aussagen sind entweder analytisch => gegenüber Erfahrung immun, oder synthetisch => wahr oder falsch gemäß Beobachtung
• synthetische Aussagen nur dann sinnvoll, wenn verifizierbar verifizierbar heißt: Aussage H läßt sich aus Protokollsätzen B logisch ableiten –
(B1 und B2 und ... und Bn) impliziert H
• Induktionsprinzip: – Der Forscher versucht, “aus ein- oder mehrmaliger Beobachtung eines gewissen Bedingungsverhältnisses auf seine allgemeine Gültigkeit zu schließen” (Carnap, 1926:8)
• neben dem Induktionsprinzip hohe Bedeutung der deduktiv-nomologischen Methodologie; Hypothesen werden deduktiv aus der Theorie abgeleitet
Literatur: Carnap, Rudolf: Physikalische Begriffsbildung. Karlsruhe 1926
Logischer Empirismus:Grundzüge• Basiselemente wissenschaftlicher Erkenntnis sind
sinnliche Beobachtungen• theoretische Begriffe werden nur zugelassen, wenn
sie aus Beobachtungen abgeleitet werden können; scharfe Trennung zwischen Beobachtung und Theorie
• Wissenschaft hat eine deduktiv-nomologische Struktur; alle Wissenschaften benutzen die gleiche Methode und können daher vereinheitlicht werden (Physik als Wurzel der Einheit)
• bei der Beurteilung wissenschaftlicher Produkte zählt nur der “context of justification” (Primat der Logik)
• Wissenschaft ist kumulativ; wissenschaftlicher Fortschritt nützt der Gesellschaft
Sir Karl Popper (1902-1994)und die Logik der Forschung
Karl Popper hat in seiner Logik der Forschung (1935) ein Modell der Wissenschaftsentwicklung entworfen, das von einer ständigen Verbesserung unseres Wissens durch empirische Forschung ausgeht.
Dabei werden aus Theorien Hypothesen abgeleitet; deren empirische Überprüfung führt zur Verbes-serung der Theorien, im negativen Fall zur Einschränkung ihres Geltungsbereiches oder gar zu ihrer Verwerfung.
Wissenschaft führt auf diese Weise zu einer kontinu-ierlichen Optimierung unseres Wissens.
Kumulatives Wissenschaftsverständnis
Literaturtipp
• Karl R. Popper: Die beiden Grundprobleme der Erkenntnistheorie. Hg. T.E. Hansen. Tübingen: Mohr/Siebeck 1979
• Karl R. Popper: Logik der Forschung. 10.verb.u.verm. Auflage Tübingen: Mohr/Siebeck 1994
• Nützliche Website: http://www.raffiniert.ch/spopper.html
Kritischer Rationalismus
• Falsifizierbarkeit als zentrales Kriterium: Aussagen einer Theorie müssen an der Empirie scheitern können
• Nach Popper besteht eine Asymmetrie zwischen der Verifikation und Falsifikation von wissenschaftlichen Hypothesen:
• Die Allgemeingültigkeit von naturwissenschaftlichen Hypothesen kann niemals definitiv bewiesen werden (Poppers Fallibilismus).
Man kann aber Hypothesen empirisch überprüfen und ggf. widerlegen, wenn empirische Daten im Widerspruch zu den Vorhersagen der Theorie stehen (Poppers Falsifikationismus)
• Zur Überprüfung von wiss. Hypothesen werden aus-schließlich deduktive, keine induktiven Methoden benötigt (Poppers Deduktivismus)
Wissenschaftliche Theorien und Hypothesen
Wissenschaftliche Theorien und Hypothesen
Poppers Modell der empirischen Überprüfung
Empirisch nachprüfbare Vorhersagen
Empirisch nachprüfbare Vorhersagen
BeobachtungMessung
Experiment
BeobachtungMessung
Experiment
Vorläufige Bestätigung der
Theorie
Vorläufige Bestätigung der
Theorie
Übereinstimmung
FalsifikationFalsifikation
Nicht-Übereinstimmung
Ggf. neue Theorie formulierenQuelle: Lauth/Sareiter: Wissenschftliche Erkenntnis, Paderborn 2002, S. 98
Poppers Überprüfungs-Modell (2)
• Wir überprüfen wissenschaftliche Theorien, indem wir empirisch nachprüfbare Vorhersagen aus der Theorie ableiten (1. Schritt).
• Die Vorhersagen müssen mit den Ergebnissen von entsprechenden Beobachtungen, Messungen und Experimenten verglichen werden (2. Schritt).
• Wenn die Versuchsergebnisse mit den Vorhersagen übereinstimmen, gilt die Theorie als vorläufig (!) bestätigt.
• Wenn die Versuchsergebnisse nicht mit den Vorhersagen übereinstimmen, gilt die Theorie als „falsifiziert“ und muss durch eine bessere Theorie ersetzt werden.
• Wir überprüfen wissenschaftliche Theorien, indem wir empirisch nachprüfbare Vorhersagen aus der Theorie ableiten (1. Schritt).
• Die Vorhersagen müssen mit den Ergebnissen von entsprechenden Beobachtungen, Messungen und Experimenten verglichen werden (2. Schritt).
• Wenn die Versuchsergebnisse mit den Vorhersagen übereinstimmen, gilt die Theorie als vorläufig (!) bestätigt.
• Wenn die Versuchsergebnisse nicht mit den Vorhersagen übereinstimmen, gilt die Theorie als „falsifiziert“ und muss durch eine bessere Theorie ersetzt werden.
Literaturtipp
• Lothar Schäfer: Karl R. Popper. München: C.H.Beck 1988
• Martin Morgenstern/Robert Zimmer: Karl Popper. München: dtv 2002
• Herbert Keuth: Die Philosophie Karl Poppers. Tübingen: Mohr/Siebeck 2000 [ UTB Wissenschaft]
• Paul Arthur Schilpp (ed.): The Philosophy of Karl Popper, 2 Bde., La Salle, Ill.: Open Court 1974
… schönen Abend noch…