Tierschutzfälle vor Gericht
Alsfeld 25.06.2015
„Vollzug des Tierschutzgesetzes
und gerichtsnahe Mediation“
Dr. Britt Friebertshäuser
FB Gesundheitsdienste, Veterinärwesen
und Verbraucherschutz
beim Landrat des Hochtaunuskreises
Ludwig-Erhard-Anlage 1-5
61352 Bad Homburg
Vollzug des Tierschutzgesetzes und
gerichtsnahe Mediation
• Landwirtschaftlicher Betrieb im Ortskern
ländlich geprägte Gemeinde < 10.000
Einwohner – 13 Rinderhalter
• Milchviehhaltung in Anbindung
• „Herdbuchzucht“
• „Vorzeigebetrieb“
• Jungtiere auf Gemeinschaftsweide in
Ortsrandlage
Vollzug des Tierschutzgesetzes
gerichtsnahe Mediation
Landwirtin, geb. 1957, ledig, keine
Kinder
Betriebsübernahme vor ca. 15 Jahren
Weitere Mitarbeiter im Betrieb:
keine
90 Rinder im Bestandsregister, davon
30 melkende Kühe + 8 Trockensteher
+ 52 Jungvieh
Vorgeschichte
2012/2013 • Schleichender Beginn
• Hoftierärztin bestätigt auf Nachfragen Situation nicht
• Tierhalterin versorgt alleine 90 Rinder und
pflegebedürftigen Vater (Pflegestufe III)
• Insgesamt 6 Kontrollen
• Gespräche schwierig, wenig Einsicht, einfache
Argumentationsketten
• Mitarbeiter werden vergrault
• Arbeitszeiten im Stall beginnen sich zu verschieben
• Ende 2013 rechtskräftige Verfügung (Fütterung)
• Zustand der Tiere bessert sich sichtlich
Zustand untragbar!?
• Telefonische Anzeige einer
niedergelassenen Tierärztin, die zur
Labmagen-OP vor Ort war:
• Zustände seien untragbar, erbittet
Kontrolle vor Ort und entsprechende
Maßnahmen
Vorbereitungen in der Behörde
vor der Vor-Ort-Begehung
Vorbereitung von Dokumentationsbögen für
Einzeltierdokumentation einschließlich der
Erfassung von Body Condition Scoring für jedes
Tier
Erfahrungen aus vergangenen Fällen
berücksichtigen!!!
Vorbereitungen in der
Behörde
Checkliste erstellen
Datenbanken abfragen
Viehhändler anrufen
SPDI informieren
Laufende Nr:______________________
Fotos:___________________________
LOM:____________________________
Standort Anbindung/Laufstall:___________________________________________
Signalement__________________________________________________________
_____________________________________________________________________
_____________________________________________________________________
_____________________________________________________________________
Verletzungen / Auffälligkeiten____________________________________________
_____________________________________________________________________
_____________________________________________________________________
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BCS-Konditionsbewertung
Dornfortsatz __________________
Dorn/Querfortsatz __________________
Querfortsatz __________________
Übergang Hungergrube __________________
Hüft- u. Sitzbeinhöcker __________________
Bereich zw. Hüfthöcker __________________
Beckenausgangsgrube __________________
Body condition scoring
Body Condition Scoring stellt eine subjektive
Methode dar (EDMONSON et al., 1989), den
Ernährungszustand mittels adspektorisch und
teils auch palpatorisch erfasster
Exterieurmerkmale zu beurteilen. Durch den
Vergleich mit einem Schema werden die
Beobachtungen bestimmten Noten zugeordnet.
Vor Ort
Vor-Ort-Kontrolle, 12 Uhr
Alle Futterrinnen und Futtertröge leer
Frau H beim Melken
Tiere haben das letzte Mal Futter am Vortag um 12 Uhr gehabt
Neugeborene Kälber ohne erkennbare Milchfütterung,
Milcheimer dreckig, mit Spinnweben besetzt
Vielzahl erheblich abgemagerter Milchkühe
Vielzahl von Klauenverbänden
Verletzungen im Bereich der Wirbelsäule
Frau H weist auf ihre Arbeitsbelastung hin (die ganze Nacht
durch)
Vor Ort
Vor Ort
Vor Ort
Vor Ort
Vor Ort
Vor Ort
Vor Ort
Vor Ort
Vor Ort
Maßnahmen vor Ort
Ausführliche Fotodokumentation
aller Tiere
Stallanlagen
Melkkammer
Nebenräume etc
Erstellung von Einzeltierprotokollen
Beurteilung von 38 Milchkühen gemäß BCS und
Dokumentation
Maßnahmen vor Ort
Mündliche Anhörung und Erteilung einer
Verfügung nach §16a TSchG:
Haltungs- und Betreuungsverbot von Rindern
im Sofortvollzug
Frau H hat Ihren Bestand aufzulösen und Tiere
aus dem Betrieb zu entfernen bis zum
18.07.2014 um 12:00 Uhr
Androhung der Durchführung in
Ersatzvornahme
Verfügung
nach mündlicher Anhörung
• Hiermit untersage ich Ihnen das Halten und die Betreuung von Rindern auf unbefristete
Dauer.
• Sie haben zu dulden, dass Herr T A die selbstständige und sachgerechte Fütterung Ihrer
sämtlichen Rinder uneingeschränkt bis zur Bestandsauflösung durchführt. Die
entstehenden Kosten von ca. 250.- Euro pro Tag werden Ihnen in Rechnung gestellt.
• Sie haben Ihren Bestand aufzulösen und die in Ihrem Besitz befindlichen 88 Rinder
innerhalb von einer Woche, spätestens jedoch bis zum 18. Juli 2014 um 12 Uhr, zu
verkaufen und aus Ihrem Betrieb zu entfernen.
• Für den Fall der nicht fristgerechten Ausführung der unter Ziffer III. getroffenen Anordnung
wird die Durchführung dieser Anordnung im Wege der Ersatzvornahme angedroht. Die
Kosten der Ersatzvornahme werden auf 2000.- Euro veranschlagt und sind von Ihnen zu
tragen. Das Recht auf Nachforderung bleibt unberührt, wenn die Ersatzvornahme einen
höheren Kostenaufwand verursacht. Überzahlte Beträge werden erstattet.
• Die sofortige Vollziehung der Ziffern I. und II. und III. des Bescheides werden angeordnet.
Der Tag danach
Persönliche Übergabe der Verfügung nach
§16a Nr. 2 Tierschutzgesetz
Weitere Fotodokumentation
Beauftragung eines sachkundigen LW mit
der bedarfsgerechten Fütterung der Tiere
(ZBH war noch am selben Tag ebenfalls im
Bestand)
Der Tag danach
behördenintern
• Auswertung und Zuordnung
Fotodokumentationen
• Auswertungen der BCS-Beurteilungen
• Abfrage und Auswertung bei der
Tierkörperbeseitigungsanstalt nach
Abgängen im vergangenen Jahr
• Auswertung der Schlachtdaten aus
dem HIT-Informationssystem
Auswertungen
Body Condition Scoring
38 Milchkühe wurden beurteilt, davon
18 Beurteilungen zwischen 1 und < 2
5 Beurteilungen 2
> Mehr als die Hälfte der beurteilten Tiere
waren hochgradig abgemagert, weitere Tiere
waren „nur“ mager
Auswertungen
Tierkörperbeseitigung
Zeitraum Sommer 2013 – Sommer 2014
• Vier Totgeburten von Kälbern
• Zwei Kälber bis zu drei Monate
• Zwei Rinder zwischen 12-24 Monate
• Acht Rinder > 24 Monate
• Gewicht der Rinder > 24 Monate zwischen
402 und 540 kg
• Insgesamt Verlust ca. 13% des Bestandes
Auswertungen
Schlachtdaten HIT
Zeitraum Sommer 2013 – Sommer 2014
Schlachtquote ca. 50% des Lebendgewichts
(600-650kg)
Abgabe von insgesamt 10 Tieren zur
Schlachtung
Überwiegend Altkühe; Schlachtgewichte
zwischen 200kg und 370 kg
Sechs Tiere mit Schlachtgewicht < 270 kg,
davon 2 x 200 kg
Auswertung
MLP vom Juli 2014
Ø 11kg/Tag
Ø ZZ 287000/ml bei
Ø Herdenleistung 5.000 L Milch pro Tier
Ø Zwischenkalbezeiten statt angestrebter
330 Tage bei z. T bis zu 600 Tagen
Ø Leistung war von Januar bis Juli von
15kg auf 11kg abgesunken
Nebenkriegsschauplatz
Zwei Tage nach Übergabe der Verfügung -
Hoftierärztin spricht im Veterinäramt vor:
Maßnahmen seien überzogen
Frau H könne sich danach im Ort nicht mehr
sehen lassen
Vorwurf an Amtstierärzte, diese seien durch
andere LW und „Stellen“ geschmiert, um an
Flächen von Frau H zu gelangen
Frau H habe Suizid-Absichten geäußert (keine
Bereitschaft, dies zu bezeugen)
Der Anwalt I
Widerspruch – Begründung
Sondersituation wegen Versorgung des
Vaters mit Pflegestufe III
Ermessensfehlerhaft mangels der Wahl
milderer Mittel und dadurch Verstoß
gegen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit
Der Anwalt II
Tierhaltungsverbot sei Berufsverbot und
damit Eingriff in Artikel 12 GG
…“geschütztes Grundrecht auf
Berufsfreiheit“
Frau H sei Landwirtin im Haupterwerb
Auflösung des Tierbestands nicht
notwendig, weil fraglich sei, ob Zustand
der Tiere Tatbestand des
Instrumentariums des §16a eröffnen
Der Anwalt III
• Nur erheblich vernachlässigte Tiere oder
Tiere mit schweren Verhaltensstörungen
dürften fortgenommen werden
• Frau H sei zeitlich überfordert, daher sei
eine Bestandsreduzierung als milderes
Mittel anzuwenden gewesen
• Frau H sei einsichtig und habe nun einen
Betriebshelfer
Der Anwalt IV
Antrag auf Anordnung der aufschiebenden
Wirkung des Widerspruchs vom 15.07.2014
beim zuständigen Verwaltungsgericht
Begründung: Siehe Widerspruch
Schwere des Eingriffs, Androhung
Ersatzvornahme, Schaffen nicht
umkehrbarer Fakten
Das Verwaltungsgericht
Anruf des zuständigen Richters beim Justitiar
des Hochtaunuskreises
Anfrage, ob Bereitschaft zum
Güterichterverfahren besteht
Güterichterverfahren wird auf den 24.07.2014
terminiert
Frau H wird krank geschrieben
Tiere sind in der Zwischenzeit durch
Betriebshelfer der landwirtschaftlichen
Alterskasse versorgt (21.07. – 29.08.2014)
Konfliktlösungen
bei Gericht
1. Prozess vor Gericht und Entscheidung
2. Vergleich vor Gericht (Streitschlichtung
durch gegenseitiges Nachgeben)
3. Gerichtsnahe Mediation (2004 VGe Hessen)
Suche nach der verborgenen Lösung
Gerichtsnahe Mediation
In einem Verwaltungsstreitverfahren kann
das Gericht die Durchführung eines Güte-
versuchs (Mediation) für eine geeignete
Möglichkeit zur Beilegung des
Rechtsstreits halten und daher die
Verweisung der Beteiligten vor den
Güterichter nach § 278 Abs. 5 ZPO
erwägen.
Gerichtsnahe Mediation
• Hintergründe des Konflikts und die Interessen der Beteiligten
herausarbeiten und berücksichtigen
• Keine Beschränkung auf den Streitgegenstand des
Verwaltungsstreitverfahrens
• Dritte, die am Konflikt, jedoch nicht am gerichtlichen Streitverfahren
beteiligt sind, können an der Mediation beteiligt werden.
• Die Beteiligten selbst erarbeiten die Lösung des Konflikts
eigenverantwortlich. So kann eine tragfähige Beziehung für die Zukunft
erhalten bzw. geschaffen werden.
• Die Mediation ist nicht öffentlich; alles, was während der Mediation
besprochen wird, kann der Vertraulichkeit unterworfen werden – eine
Protokollierung der Mediationsgespräche findet nur auf Wunsch und nach
Maßgabe des Wunsches der Beteiligten (auf deren übereinstimmende
Anträge hin) statt.
• Ein Termin bei der Güterichterin/ dem Güterichter steht zeitnah zur
Verfügung, so dass schnell eine Lösung gefunden werden kann.
Was kostet Mediation?
Was ist mit dem Verfahren?
Keine zusätzlichen Kosten
– bei erfolgreicher Mediation entsteht
Einigung; diese kann, wenn gewünscht
schriftlich und vollstreckbar vereinbart
werden (Vergleich) (geringer Kosten?)
– Klage kann zurück genommen werden
Wenn keine Einigung erfolgt, kann das
Gerichtsverfahren wieder aufgenommen
werden
Termin beim richterlichen
Mediator - 24.07.2014
Frau H erscheint in Begleitung ihres RA und dem
Geschäftsführer des Kreisbauernverbandes
HTK wird vertreten durch die beteiligten TÄe, TGA
und stellvertretenden Justitiarin
Vereinbarung:
Vorlage eines Betriebssanierungskonzept (Frist:
13.08.2014)
Veterinäramt wird Konzept prüfen
Vom Vet.-Amt eingesetzter LW zur Tierversorgung
wird durch Betriebshelfer ersetzt (Kosten!)
Wie es weiter ging
30.07.2014 – Rechtsanwalt legt Mandat
nieder wegen „geringer konstruktiver
Mitarbeit der Mandantin“
31.07.2014 - Kreisbauernverband
engagiert sich weiter
Konzept wird derzeit noch erarbeitet,
aber für die nächsten Tage avisiert
Wie es weiter ging II
13.08.2014 – Schreiben des
Kreisbauernverbandes:
• Betriebsanalyse wurde durchgeführt
• Suche nach weiterer Arbeitskraft läuft
• Abschluss Arbeitsvertrag steht unmittelbar
bevor
• Bitte um Fristverlängerung
• Betriebshelfer anwesend bis 29.08.2014
Wie es weiter ging III
28.08.2014 - Anruf Geschäftsführer KBV
• die vor dem VG getroffenen Vereinbarung ist
gescheitert
• Betriebshelfer hat am 29.08.2014 letzten
Arbeitstag
• Es fehlen ca. 1200 Arbeitsstunden pro Jahr
• Konzept kann wegen fehlender Mitwirkung von
Frau H nicht erstellt werden
• Vorstand des Kreisbauernverbandes entzieht
Unterstützung wegen Beratungsresistenz
• Frau H hat Suizid-Absichten erklärt
• Erneutes Füttern der Tiere in „Ersatzvornahme“
Verwaltungsgericht
12.09.2014 • Antrag vom 16.07.2014 auf aufschiebende
Wirkung des Widerspruchs wird abgelehnt
• Anordnung Sofortvollzug formell und materiell
rechtmäßig
• Sachverhalt zweifelsfrei
• Rechtsfehlerhaft: Auflösung der Haltung durch
Tierhalterin (pragmatisch, rechtlich aber andere
Lösungen besser, z.B. Halterübertragung )
• Auflösung an sich jedoch rechtmäßig
• Anordnungen sind verhältnismäßig
• Vollzug ist eilbedürftig
Neuer Rechtsanwalt
Neues Glück beim VGH?
Beschwerde stützt sich allein darauf, dass Gründe
für Sofortvollzug entfallen seien und die
Tierhaltung sich verbessert habe
Gegenargumentation HTK: Betriebshelfer
Verfügung hält!
12. November 2014 - Beschwerde gegen
Beschluss des VG wird zurückgewiesen
Vielen Dank für Ihre
Aufmerksamkeit !!!