Teil 1
Schwingungsspektroskopie
Dr. Christian Merten, Ruhr-Uni Bochum, WiSe 2017/18 www.ruhr-uni-bochum.de/chirality
MdS-1 | Schwingungsspektroskopie | Dr. C. Merten, WS 2017/18
Rückblick: Die Essentials der letzten Vorlesung
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Schwingung von Atomen kann im klassischen Bild als harmonische Schwingung (harmonischer Oszillator) gesehen werden.
Schwingungsfrequenz A-B-Streck hängt mit der (reduzierten) Masse µ der beteiligten Molekülfragmente und der Kraftkonstante k zusammen.
Kraftkonstante steigt mit Bindungsordnung (C≡C > C=C > C-C)
Harmonischer Oszillator vernachlässigt Abstoßung der Atome bei kleinem Abstand sowie dass die rückstellende Kraft bei großen Abständen nicht mehr so stark wirkt.
Besseres Modell: Anharmonischer Oszillator
∙
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Rückblick: Die Essentials der letzten Vorlesung
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Aufbau eines Spektrometers: Lichtquelle, Michselson-Interferometer, Detektor
Verschiedene Arten von Normalschwingungen: Streckschwingungen, Deformationsschwingungen
Schwingungen sind nur dann IR-aktiv, wenn sich bei der Schwingung das Dipolmoment ändert
Im Modell des anharmonischen Oszillators sind auch Obertöne und Kombinationsschwingungen möglich, die aber viel schwächer sind:
Obertöne: OT ≈ 21 mit , ,Kombinationsschw.: Kombi = 1 + 2
nicht IR-aktiv
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Schwingungsformen
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Symmetrische Streckschwingung
sym
Asymmetrische Streckschwingung
asym
Spreizschwingung sym(scissoring)
Pendelschwingung asym(rocking)
Valenzschwingungen
Deformationsschwingungen
Torsionsschwingung oop(twisting)
Kippschwingung oop(wagging)
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Beispiel: Dichlormethan
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CH2Cl2: N=5, 3*5-6 = 9 (Normal-)Schwingungen
4 Valenzschwingungen
… und 5 Deformationsschwingungen
sym(C-H)asym(C-H) sym(C-Cl)asym(C-Cl)
CH2- scissorring twisting wagging rocking CCl2-scissoring
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Konzept der Gruppenschwingung
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Problem: große Moleküle viele Schwingungsfreiheitsgrade (3N-6)
+ zahlreiche Schwingungen IR-inaktiv
+ Kombinationsschwingungen und Obertöne
= IR-Spektren werden schnell sehr komplex
Idealisierung: Einzelne Molekülschwingungen lassen sich auf Schwingungen
zwei- oder dreiatomiger Molekülteile (funktioneller Gruppen) zurückführen.
Empirische Zusammenhänge zwischen Struktur und Vorhandensein funk. Gruppen
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Konzept der Gruppenschwingung
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Vereinfacht gesagt können charakteristische Gruppenschwingungen zwischen
Kernen A und B immer dann beobachtet werden, wenn
a) die Kraftkonstanten deutlich unterschiedlich sind von Kraftkonstanten
zu benachbarten Gruppen (kAB und kAA >> kAX und kAY)
b) die Massen der Kerne deutlich unterschiedlich sind (> 2 : 1)
XA
Y
B
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Grobe Einteilung der Absorptionsbereiche
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„fingerprint“-Bereich
Weitere Deformations-Schwingungen
Sehr charakteristischer Bereichfür Molekülstruktur
νstrC=OC=CC=N
bendO-HN-H
νstrC ≡ CC ≡ NX=Y=Z
νstrC-HO-HN-H
Obertöne, Kombinationsschw.Übergang zum Nah-IR
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Gruppenschwingungen: C-H
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Gruppe Bereich / cm-1 Anmerkungen
2960-2850 (s)
2890-2880 (w)
1470-1430 (m) bend
1390-1370 (m) bend
~ 720 (w) rocking
~1000 Geringer bis kein diagnostischer Wert
CH2
CH
O
CCH3
O
CH2
CH2
Gruppe Bereich / cm-1 Anmerkungen
~3050 (w) X = C, O
2900-2700 (w) Zwei BandenSehr charakteristisch
2850-2810 (m)
2790-2770 (m)
2820-2780 (m)
1385-1365 (s)
1360-1355 (s)
Faustregel: > 3000 cm-1 aromatische C-H Valenzschwingung< 3000 cm-1 aliphatische C-H Valenzschwingung
Relative Intensitätsangaben: weak, medium, strong
Allgemeine Bereiche Einige speziellere Gruppen
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Beispiele: Pentan und Diethylether
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Gruppenschwingungen
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Gruppe Bereich / cm-1 Anmerkungen
~3300 (s)
3040-3010 (m)
3095-3075 (m)
Aryl-CH 3100-3000 (w)
2300-2100 (w)
Alkene: 1680-1620 (w)Aromaten: 1600-1500 (m)
970-960 (s)
730-675 (m)
mitunter durch intensivere aliphatische C-H überdeckt
oop: Kann durch Kopplungmit konjugiertemC=O verschoben werden
Gruppe Bereich / cm-1 Anmerkungen
H2O(liquid) 3710 sehr breit
Freies -OH 3650-3590 sehr scharf
-OHin H-Brücke 3600-3200 Brücke zu bspw.
Alkoholen
-OHin H-Brücke 3200-2500 Brücke zu bspw.
Carbonsäuren
1410-1260 δO−H
1150-1040 C−O
C CH
H
O-H GruppenAlkene und Alkine
C C
Viel mehr Daten auf Tabellen-Handout!
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Beispiele: Benzol und Toluol
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CH3
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Gruppenschwingungen: Carbonylgruppe
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Gruppe Struktur Bereich / cm-1
Keton 1725-1705
Aldehyd 1725-1720
Carbonsäure 1725-1700
Carbonsäure-ester 1750-1735
Carbonsäure-amid 1690-1650
Carbonsäure-chlorid 1815-1790
Carbonsäure-anhydrid 1850-18001790-1740
Carbonat 1610-1550
O
O R
O
O
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Gruppenschwingungen: Carbonylgruppe
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Warum sind die Bereiche (z.B. für eine C=O Gruppe) so breit gestreut?
Ursache: C=O Bindungsordnung in Keton ist höher als beim Säureamid.
R1
CNH2
O
R1
CNH2
O
>
>
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Benzoesäure-Derivate
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O
OH
O
OCH3
O
H
1702
1722
1725
17891726
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Benzoesäure-Anhydrid: Zwei Carbonylbanden?!
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O
O
O
Asymmetrische Streckschwingung
Symmetrische Streckschwingung
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Benzaldehyd: Die ominöse C-H Doppelbande
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Fermi-Resonanz: CH ≈ 2H-C=O
Haben eine Ober- oder Kombinationsschwingung und eine Normalschwingung zufällig die gleiche Schwingungsfrequenz, so rücken die beiden Banden auseinander und man beobachtet zwei Banden ähnlicher Intensität.
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Benzoesäure-Derivate
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O
OH
O
OCH3
O
H
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Gruppenschwingungen: Substitutionsmuster am Aromaten
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Aus: G. Socrates „Infrared and Raman Characteristic Group Frequencies“, 3rd Ed., 1994
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Beispiele: Benzol-h6 und Benzol-d6
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Übung: Isotopenmarkierung
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Die C-H-Streckschwingung von Chloroform (CHCl3) liegt bei 3024 cm-1. Schätzen Sie ab, zu welcher Wellenzahl sich die Absorptionsbande durch Isotopenaustausch (CDCl3) verschieben wird?
∙ μ
∙ μ
∙ μ ∙ μ
⇒ ∙μμ
μ∙
μ∙
μμ
∙∙ ∙
3024 => 2309 (exp.: 2255)
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Übung: Isotopenmarkierung
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CHCl33024 cm-1
CDCl32255 cm-1
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Messung von IR-Spektren
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IR-Spektren können mittels zwei verschiedener Verfahren aufgenommen werden:
Continuous wave Verfahren (CW-IR, veraltet)
Fourier-Transformations-Verfahren (FT-IR)
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IR-Transparenz von Materialien
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4000 – 500 cm-1 = 2.5 – 20 µm
800 cm-1 = 12.5 µm
Glas
BaF2
KBr
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Probenformen: Presslinge
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Verreibung von Feststoffen mit KBr Einfüllen in Pressvorrichtung Unter Vakuum mechanisch pressen (10 bar)
Kalter Fluss transparente Presslinge
Typisch: 1 mg auf 400 mg KBr
Vorteil: einfachst, geringer Substanzverbrauch
Nachteile: quantitativ geht nix KBr ist hygroskopisch Überlagerung von OH Banden durch H2O in KBr
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Probenformen: Flüssigkeiten und Lösungen
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Küvettenfenster aus IR-transparentem MaterialBspw: KBr, NaCl, CaF2, BaF2, ZnSe (selten)
Typische Schichtdicken:50-200 µm für org. LöMi5-15 µm für H2O
Links: normale Flüssigkeitszelle
Rechts:Vakuumdichte Fl.-Zelle
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Probenformen: Flüssigkeiten und Lösungen
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Einschränkungen bei Messungen in Lösung durch Lösungsmittelbanden
CHCl3CDCl3
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Probenformen: Flüssigkeiten und Lösungen
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H2O vs. D2O
Messungen in H2O nur bis 15 µm Schichtdicke sinnvoll.
In D2O sind Messungen bis 50 µm möglich
Aaaaber: H/D-Austausch möglich!
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Konzentrationsreihe 3-Methyl-1-Butanol
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Messung einer Konzentrationsreihe in Flüssigküvette
50 mM bei 500 µm100 mM bei 200 µm500 mM bei 50 µm4 M bei 15 µm
Transmissionsspektrum können nicht mit Lambert-Beer‘schem Gesetz bzgl. der Konzentration und Schichtdicke korrigiert werden…
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Vokabular
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Transmission einer Probe
Typischerweise angegeben in %: % 100 ∙
oder noch öfter als Extinktion E: log log
An der Abschwächung der
Lichtintensität beteiligte Prozesse:
Absorption
Streuung
Beugung
Reflexion
Lambert-Beer‘sches Gesetz
∙ ∙
mit : molekularer Extinktionskooeffizientc: Konzentrationd: Schichtdicke der Probe
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Konzentrationsreihe 3-Methyl-1-Butanol
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Messung einer Konzentrationsreihe in Flüssigküvette
Konvertieren in Absorbanz Anwenden von Lambert-Beer
Frage:
Warum ändern sich die Banden-intensitäten bei 3635 und 3335 cm-1, aber nicht die <3000 cm-1?
c↑
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Probenformen: Gase
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Gase haben naturgemäß eine niedrige optische Dichte
Wenig Material im Strahlengang
Pfadlängen/Schichtdicken zwischen 5 cm und 20 m
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Probenformen: Gase
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Mehr Details dazu in der PC…
Rotationsfreiheitsgrade
Spektren von Gasen deutlich komplizierter als
von flüssigen und festen Proben. Warum?
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Flüssig und Fest: ATR = Attenuated Total Reflexion
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zum DetektorIR-Strahl
Probe wird auf ATR-Kristall gepresstATR-Kristall(Si, Ge, ZnSe, AgCl, Diamant!)
Totalreflektion: sinα = n n
mit nATR > nProbe
Bei Totalabsorption entsteht hinter der Grenzfläche eine evaneszente Welle.
Die Eindringtiefe der Welle hängt vom Brechungsindex des Materials ab, beträgt aber i.d.R. 2-4 µm.
Abschwächung des Lichtsstrahls durch Wechselwirkung mit Material im evanzeszenten Feld.
Gute IR-Probenform, da keine Löslichkeiten oder andere Materialprobleme beachtet werden müssen
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Flüssig und Fest: ATR = Attenuated Total Reflexion
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Vergleich ATR und Lösung
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O
OCH3
Benzoesäure: Packungseffekt im festen Zustand Anderes H-Brücken-Netzwerk
Benzoesäuremethylester: Flüssigkeit: Sehr gute Benetzung des ATR Keine starken intermol. Ww.
Immer Probenform bei Dokumentation angeben!
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Mit ATR kann man alles IR-spektroskopieren…
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Pipettenspitze (Polyethylen)
Kork
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Probenformen: Matrix-Isolation
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Einbetten von Molekülen in feste Edelgase bei
sehr niedrigen Temperaturen (z. B. Tm(Ar)=83.85 K)
keine Wechselwirkungen mit Lösungsmitteln
Isolation reaktiver Intermediate (Radikale) Physikalische OC (Sander, Merten)
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Lösungsmitteleffekte
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Methylglycidat in verschiedenen Lösungsmitteln
von oben nach unten:
Argon-MatrixTetrachlorkohlenstoffChloroformMethanolTrifluorethanol
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Identifikation von einzelnen Konformeren
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A
B
Theoretische Spektren simuliert mit Gaussian 09 Rev D.01