19. Wahlperiode
Stenografischer Bericht – öffentliche Anhörung – (ohne Beschlussprotokoll)
19. Sitzung des Sozial- und Integrationspolitischen Ausschusses
16. Sitzung des Ausschuss für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Landesentwicklung
16. April2015, 14:05 bis 16:13 Uhr
Anwesend:
Sozial- und Integrationspolitischer Ausschuss: WVA:
Vors. Abg. Claudia Ravensburg (CDU) Vors. Abg. Clemens Reif (CDU)
CDU CDU
Abg. Lena Arnoldt Abg. Dr. Walter Arnold
Abg. Sabine Bächle-Scholz Abg. Ulrich Caspar
Abg. Dr. Ralf-Norbert Bartelt Abg. Heiko Kasseckert
Abg. Irmgard Klaff-Isselmann Abg. Dirk Landau
Abg. Michael Reul Abg. Günter Schork
Abg. Ismail Tipi Abg. Peter Stephan
Abg. Tobias Utter Abg. Karin Wolff
Abg. Bettina Wiesmann
SPD SPD
Abg. Wolfgang Decker Abg. Elke Barth
Abg. Corrado Di Benedetto Abg. Tobias Eckert
Abg. Karin Hartmann Abg. Uwe Frankenberger
Abg. Gerhard Merz Abg. Timon Gremmels
Abg. Ernst-Ewald Roth Abg. Stephan Grüger
Abg. Dr. Daniela Sommer Abg. Regine Müller (Schwalmstadt)
Abg. Marius Weiß
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Abg. Marcus Bocklet Abg. Eva Goldbach
Abg. Sigrid Erfurth Abg. Frank-Peter Kaufmann
Abg. Kai Klose
Abg. Karin Müller (Kassel)
DIE LINKE LINKE
Abg. Mariana Schott Abg. Hermann Schaus
FDP FDP
Abg. René Rock Abg. Jürgen Lenders
Sp/ms – 2 – SIA 19/19 – 16.04.2015
WVA 19/16 – 16.04.2015
Fraktionsassistentinnen und -assistenten:
Christian Richter-Ferenczi (Fraktion der CDU)
Hiltrud Wall (Fraktion der SPD)
Christiane Böhm (Fraktion DIE LINKE)
Tobias Kress (Fraktion der FDP)
Landesregierung, Rechnungshof, etc.:
Anwesenheitsliste der Anhörenden
Institution Name
Anwesenheit
bestätigen
Prof. Dr. Franz Segbers
Allianz für den freien Sonntag
Frankfurt am Main
Gewerkschaftssekretärin
Katja Deusser
Absage
Allianz für den freien Sonntag
Darmstadt
Gewerkschaftssekretär
Horst Gobrecht
Sp/ms – 3 – SIA 19/19 – 16.04.2015
WVA 19/16 – 16.04.2015
Institution Name
Anwesenheit
bestätigen
Arbeiterwohlfahrt
Hessen-Nord e. V.
Kassel
Vorsitzender
Fred Gieseler
Arbeiterwohlfahrt
Hessen-Süd e. V.
Frankfurt
Vorsitzender
Wilhelm Jost
Arbeitnehmerkirche Frankfurt und Katholische
Arbeitnehmerbewegung (KAB)
Bezirksverband Rhein-Main
Frankfurt am Main
Albert Seelbach
Arbeitsgemeinschaft der
Hessischen Handwerkskammern
Wiesbaden
Absage
Beauftragter der Evangelischen Kirchen in
Hessen am Sitz der Landesregierung
Wiesbaden
Kirchenrat
Jörn Dulige
Betriebsseelsorger für den Industriepark
Frankfurt-Höchst
Haus der Volksarbeit
Frankfurt am Main
Bernhard Czernek
City Management Kassel
Kassel
City Management Offenbach
Offenbach am Main
CityForum Pro Frankfurt
Frankfurt am Main
Dachverband Frankfurter
Gewerbevereine e. V. Franz Steul
Darmstadt Citymarketing e. V.
Darmstadt
Birgit Schäven
Der PARITÄTISCHE Wohlfahrtsverband
Landesverband Hessen e. V.
Frankfurt
Landesgeschäftsführer
Günter Woltering
Sp/ms – 4 – SIA 19/19 – 16.04.2015
WVA 19/16 – 16.04.2015
Institution Name
Anwesenheit
bestätigen
Deutscher Frauenring
Landesverband Hessen
Dillenburg
Absage
Deutsches Rotes Kreuz
Landesverband Hessen e. V.
Wiesbaden
Geschäftsführer
Thomas Klempp
DGB Bezirk Hessen-Thüringen
Frankfurt
Diakonisches Werk in Hessen und Nassau e. V.
Frankfurt
Herr Agim Kaptelli
(Leiter des Diakonischen
Werkes Wiesbaden)
Einzelhandelsverband Hessen-Nord e. V.
Kassel Michael Kullmann
Einzelhandelsverband Hessen-Nord e. V.
Marburg Michael Kullmann
Evangelisches Dekanat Darmstadt-Stadt
Darmstadt
Dekanin
Ulrike Schmidt-Hesse
Winfried Kändler
Evangelisches Dekanat Darmstadt-Stadt
Ober-Ramstadt Dekan
Arno Allmann
Fraport AG Frankfurt
Airport Services Worldwide
Frankfurt
Handelsverband Hessen-Süd e. V.
Geschäftsstelle Wiesbaden
Wiesbaden
Herr Kullmann
Hessen-Caritas
Geschäftsstelle Wiesbaden
Wiesbaden
Geschäftsstellenleiterin
Lisa Uphoff
Absage
(vertreten
durch
Komm. der
Katholischen
Bischöfe)
Hessischer Landkreistag
Wiesbaden
Sp/ms – 5 – SIA 19/19 – 16.04.2015
WVA 19/16 – 16.04.2015
Institution Name
Anwesenheit
bestätigen
Hessischer Städte- und Gemeindebund
Mühlheim Frau Siedenschnur
Hessischer Städtetag
Wiesbaden Anita Oegel
IHK Frankfurt
Standortpolitik
AG hessischer Industrie- und Handelskammern
Frankfurt
Stellv. Geschäftsführer
Hanns-Peter Laux
Innenministerium
Baden-Württemberg
Stuttgart
Absage
Katholische Arbeitnehmerbewegung (KAB)
Bezirksverband Rhein-Main
Frankfurt am Main
Rainer Petrak
Katholische Arbeitnehmerbewegung (KAB)
Bezirksverband Rhein-Main
Frankfurt am Main
Andreas Mengelkamp
Katholische Arbeitnehmerbewegung (KAB)
Bezirksverband Rhein-Main
Frankfurt am Main
Kolpingwerk
Landesverband Hessen
Offenbach am Main
Bernd Trost
Kommissariat der Katholischen Bischöfe im
Lande Hessen
Wiesbaden
Prof. Dr. Magdalene Kläver
LAG Frauen Rathaus
Wiesbaden Bärbel Scheid
Landesapothekerkammer Hessen
Frankfurt
LandesFrauenRat Hessen
Büro für staatsbürgerliche Frauenarbeit
Geschäftsstelle
Wiesbaden
Absage
Landessportbund Hessen e. V.
Frankfurt
Sp/ms – 6 – SIA 19/19 – 16.04.2015
WVA 19/16 – 16.04.2015
Institution Name
Anwesenheit
bestätigen
Liga der Freien Wohlfahrtspflege in
Hessen e.V.
Wiesbaden
Absage
Magistrat der Stadt Marburg
Marburg
Ministerium für Arbeit und Sozialordnung, Fami-
lie, Frauen und Senioren
Baden-Württemberg
Stuttgart
Absage
Regionalstelle für Arbeitnehmer/innen und
Betriebsseelsorge Rüsselsheim/ Bergstraße
Rüsselsheim
Ingrid Reidt
Theol. Ref. f. Wirtschafts- u. Sozialethik
Zentrum Gesell. Verantwortung der
Ev. Kirche Hessen und Nassau
Mainz am Rhein
Pfarrer Dr. Ralf Stroh
ver.di
Landesbezirk Hessen
Frankfurt
ver.di – Landesbezirk Hessen
Frankfurt Landesbezirksvorsitzender
Jürgen Bothner
ver.di – Landesbezirk Hessen
FB 12 Handel
Frankfurt
Bernhard Schiederig
Vereinigung der hessischen
Unternehmerverbände e. V.
Frankfurt am Main
Michael Kullmann
VLK-Hessen e. V.
Wiesbaden
1. Stadtrat Michael Schüler
(Stellv. Landesvorsitzender)
Wiesbaden Marketing GmbH
Wiesbaden Absage
Wirtschaftsförderung Frankfurt GmbH
Frankfurt am Main
Protokollführung: Monika Disser
RDir Dr. Spalt
Ds – 7 – SIA 19/19 – 16.04.2015
WVA 19/16 – 16.04.2015
Vors. Abg. Claudia Ravensburg: Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und
Kollegen, liebe Mitarbeiter der Ministerien! Ich darf Sie alle herzlich begrüßen zu einer
gemeinsamen öffentlichen Anhörung des Sozial- und Integrationspolitischen Ausschus-
ses und des Ausschusses für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Landesentwicklung. Ich
begrüße zunächst unseren Staatsminister Stefan Grüttner sowie Herrn Abteilungsleiter
Henkel aus dem Wirtschaftsministerium, der Staatsminister Al-Wazir heute fachkundig
vertreten wird. Ebenso begrüße ich alle Damen und Herren, die heute zur Anhörung
gekommen sind und die uns als Sachverständige Rede und Antwort stehen.
Ich begrüße Sie auch im Namen des Kollegen Ausschussvorsitzenden des Wirtschafts-
ausschusses, Herrn Clemens Reif, ganz herzlich. Ich werde die heutige Anhörung leiten,
denn der Sozial- und Integrationspolitische Ausschuss ist in diesem Fall federführend. Wir
treten in die Tagesordnung ein.
Öffentliche Anhörung
zu dem
Gesetzentwurf
der Fraktion der FDP für ein Gesetz zur Änderung des Hessischen
Ladenöffnungsgesetzes
– Drucks. 19/1196 –
hierzu:
Stellungnahmen der Anzuhörenden
– Ausschussvorlage SIA 19/30 –
– Ausschussvorlage WVA 19/11 –
(eingegangen im März/April 2015; verteilt: Teil 1 am 13.04.2015;
Teil 2 am 15.04.2015)
Vors. Abg. Claudia Ravensburg: Wie üblich beginnen wir die Anhörung mit den Beiträ-
gen des Landkreistags, des Städte- und Gemeindebunds und des Städtetags sowie
weiterer kommunaler Vertreter. Zunächst bitte ich den Städte- und Gemeindebund um
seine Stellungnahme.
Frau Siedenschnur: Sehr geehrte Frau Vorsitzende Ravensburg, sehr geehrte Damen
und Herren! Wir bedanken uns ganz herzlich dafür, zu dem Entwurf zur Änderung des
Ladenöffnungsgesetzes Stellung nehmen zu können. Aus Sicht unserer kreisangehörigen
Kommunen begrüßen wir eine Streichung des Anlassbezugs. Wir hatten in der Vergan-
genheit eine Vielzahl von Rechtsstreitigkeiten im Mitgliederbereich. Solche treten immer
wieder auf, in den letzten Jahren verstärkt. Es wird die Frage gestellt, aus welchen An-
lässen tatsächlich ein verkaufsoffener Sonntag durchgeführt werden darf.
Derzeit gibt es vier verkaufsoffene Sonntage, die durchgeführt werden können, nach
§ 6 Abs. 1 des Ladenöffnungsgesetzes jedoch anlässlich von Messen, Märkten oder
ähnlichen Veranstaltungen. Genau darum geht es. Bei den Streitigkeiten, die wir führen,
wird thematisiert: Was ist eine Veranstaltung, in welcher Gewichtung ist diese Veranstal-
Ds – 8 – SIA 19/19 – 16.04.2015
WVA 19/16 – 16.04.2015
tung zu sehen? Ist sie tatsächlich geeignet, einen entsprechenden Besucherstrom aus-
zulösen?
Die Rechtsprechung, die wir dazu haben, ist zum Teil unterschiedlich, also nicht unbe-
dingt einheitlich. Unsere Kommunen würden es sehr begrüßen, wenn sie eindeutig wäre
und wenn von den vier verkaufsoffenen Sonntagen einer ohne Anlassbezug freigege-
ben werden könnte. Das würde vieles an Aufwand in den Behörden und Kommunen
erleichtern.
Wir vertreten unsere Kommunen auch vor den Gerichten. Was immer noch eine Rolle
spielt: Wir haben letztlich immer sehr viele Eilverfahren, die zwei bis drei Wochen vor der
geplanten Durchführung eines verkaufsoffenen Sonntags stattfinden. Dann sind aber
meist schon Dispositionen getroffen worden, die Mitarbeiter sind involviert, die Geschäf-
te sind betroffen, es sind Ausgaben getätigt worden, Werbemaßnahmen, Werbekam-
pagnen sind durchgeführt worden. Es fehlt einfach an Planungssicherheit. Der Veran-
stalter möchte wissen: Findet es statt oder nicht? In welchem Umfang findet es statt?
Insofern ist es für den Veranstalter und für die Kommune einfach auch sicherer, im Vor-
feld zu wissen, ob und unter welchen Voraussetzungen durchgeführt werden kann.
Die Veranstalter stellen meist vier bis fünf Monate vorher einen Antrag auf einen ver-
kaufsoffenen Sonntag. Wenn dann halt erst zwei Wochen vorher ein entsprechender
Eilantrag vor Gericht eingeht, ist das natürlich kontraproduktiv und sehr ungewiss. Jüngs-
tes Beispiel war gerade Weiterstadt, die Weiterstädter Automobilausstellung. Das ist ge-
rade noch zwei Tage vor Durchführung der Veranstaltung vom Verwaltungsgerichtshof
genehmigt worden. Dies ist für alle Beteiligten eine sehr unschöne Situation und hat we-
nig mit Planungssicherheit zu tun. Deswegen würden wir es ausdrücklich begrüßen, zwar
nicht auf die maximal vier Sonntage zu verzichten, aber auf den Anlassbezug. Das be-
fürworten wir.
Nicht befürworten können wir allerdings die Ausnahme bzw. die Regelung in § 6 Abs. 2
des Entwurfs, wonach auf Ortsteile bezogen werden soll. Wir meinen schon, dass der
Feiertagsschutz ein derart hohes Gewicht genießt, dass die entsprechende Regelung
dann auch auf das gesamte Orts- oder Stadtgebiet begrenzt sein soll.
Frau Oegel: Auch der Hessische Städtetag unterstützt den Gesetzentwurf hinsichtlich
der anlassunabhängigen Freigabe von bis zu vier verkaufsoffenen Sonn- und Feiertagen
im Jahr. Wie meine Vorrednerin schon ausgeführt hat, bereitet das Tatbestandsmerkmal
„aus Anlass von Märkten, Messen, Ausstellungen etc.“ in der Praxis und anschließend
auch vor den Gerichten immer wieder Schwierigkeiten und führt zu unterschiedlichen
Auslegungen.
Im Hessischen Städtetag haben wir in zwei Sitzungen das Ladenöffnungsgesetz und die-
sen Anlassbezug erneut ausführlich diskutiert. Ausgangspunkt war die Gerichtsentschei-
dung zum Darmstädter Mustermarkt; das ist schon eine Zeitlang her. In Kenntnis der
Rechtsprechung wurde dieser Markt damals verboten, weil – Beispiel – 40 Aussteller ge-
werblicher Art als Beiwerk angesehen wurden und nicht als Hauptsache, die als Besu-
chermagnet Menschenströme anziehe und damit eine Öffnung der Verkaufsstellen
rechtfertige.
Es wurde auch ausgeführt, die Stadt habe es versäumt, Prognosen anzustellen, die er-
kennen ließen, dass die Marktveranstaltung als solche in Relation zur Größe der Stadt
Ds – 9 – SIA 19/19 – 16.04.2015
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eine so hohe Besucherzahl erreicht, dass sie als gewichtige Veranstaltung die Öffnung
der örtlichen Verkaufsstätten erlaube.
In diesem Punkt wollen die Städte und Gemeinden Klarheit haben. Es darf nicht sein,
dass von den Gerichten Prognosen hinsichtlich der Anzahl und Größe der Beschicker
sehr unterschiedlich ausgelegt werden, was dazu führt, dass Veranstaltungen kurzfristig
abgesagt werden müssen. Bekanntlich sind – ich will noch ein Beispiel nennen – die Be-
sucherströme auch vom Wetter abhängig. Wetterprognosen, die drei Monate im Vo-
raus verlässlich gestellt werden, sind mir nicht bekannt.
Zu § 6 Abs. 2: Gerade für den Städtetag besteht natürlich das Problem, dass es größere
Stadtteile gibt, die ebenfalls gerne öffnen möchten. Allerdings schließen wir eine Ent-
wicklung nicht aus, bei der aus Gründen der Gleichbehandlung von Stadtteilen und
dem Entgegentreten innerstädtischer Wettbewerbsverzerrungen im Hinblick auf den
grundgesetzlich bestehenden Sonntagsschutz mittelfristig eine kritische Ausweitung er-
folgen könnte.
Uns ist die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts natürlich bekannt, wie sie
2009 zu Berlin erging. Wir wissen, dass ein bloßes wirtschaftliches Umsatzinteresse der
Verkaufsstelleninhaber und ein alltägliches Erwerbs- oder Shoppinginteresse potenzieller
Käufer nicht genügen, um Ausnahmen vom Sonn- und Feiertagsschutz zu rechtfertigen.
Wir stehen auch dafür ein, dass Ausnahmen als solche für die Öffentlichkeit erkennbar
bleiben müssen und dass eine weitgehende Gleichstellung der sonn- und feiertäglichen
Verhältnisse nicht erfolgen soll.
Die Städte und Gemeinden sehen sich ebenso in der Pflicht wie der Staat als solcher:
Man hat eine gewisse Schutzpflicht, möchte Menschen vor einer weitgehenden Öko-
nomisierung schützen. Auch da vertritt der Städtetag bei der Abwägung zwischen La-
denöffnung und dem Schutz der Sonn- und Feiertagsruhe der Bürgerinnen und Bürger
die Haltung, dass wir unseren Kommunen, sollten Anfragen kommen, nahelegen, die-
sen gewichtigen Gesichtspunkt durchaus in die Abwägung mit einzubeziehen.
Frau Schäven: Mein Name ist Birgit Schäven, ich bin erste Vorsitzende des Darmstädter
Citymarketing-Vereins. Auch ich möchte mich recht herzlich dafür bedanken, dass ich
heute zum Änderungsentwurf des Hessischen Ladenöffnungsgesetzes Stellung nehmen
darf. Wir sind ein innerstädtischer Gewerbeverein und setzen uns für den Einzelhandels-
und Dienstleistungsort Darmstadt ein. Unsere Hauptaufgabe und Vision ist es natürlich,
lebendige Innenstädte zu erhalten und aktiv zu gestalten.
Unsere Mitglieder setzen sich aus verschiedenen Branchen zusammen: Hotellerie, Gast-
ronomie, aber überwiegend natürlich aus dem Handel. Der Handel hat von jeher eine
innerstädtische Funktion übernommen und ist Ausgangspunkt und Motor für wirtschaftli-
che Prosperität in der Innenstadt. Der stationäre Handel allerdings sieht sich vor tiefgrei-
fenden Veränderungen.
Neben dem demografischen Wandel, der einhergeht, stellt der boomende Onlinehan-
del eine bislang nie dagewesene Herausforderung dar. Er verzeichnet teilweise zweistel-
lige Umsatzwachstumsraten. Man geht davon aus, dass sich das bis 2020 noch auf 20 %
steigern kann. Das setzt natürlich vor allem mittelständische Handelsunternehmen
enorm unter Druck. Wir alle im Handel sind davon massiv betroffen.
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Insgesamt muss man sogar sagen, dass das gesamte Handelsvolumen in Deutschland
stagniert. Das Marktwachstum 2006 bis 2014 liegt sogar unter einem Prozent. Mit dieser
bedeutenden Entwicklung und dem Verdrängungswettbewerb haben wir natürlich
enorm zu kämpfen: Kaufkraftabfluss, Leerstände, Verödung der Innenstädte. Mit dem
Onlinehandel gehen natürlich auch massive Frequenzverluste in den Innenstädten ein-
her, die sich negativ auswirken. Daher ist es eine gemeinsame Anstrengung aller Akteu-
re in der Innenstadt, neben der Infrastruktur und dem städtebaulichen Umfeld ein akti-
ves Citymarketing zu betreiben.
Dazu zählen Landeswettbewerbe wie „Ab in die Mitte!“, gut besuchte Veranstaltungen
wie Weihnachtsmärkte oder lebendige Wochenmärkte, aber auch Kundenevents mit
Sonderöffnungen. Sie stellen eine enorme Belebung der Innenstädte dar. Verkaufsoffe-
ne Sonntage sind bei der Bevölkerung insgesamt sehr beliebt und publikumsstark und
aus unserer Sicht ein wichtiges Stadtmarketinginstrument. Sie bringen Frequenz und Um-
satz. Man darf auch nicht vergessen, dass sie das Einzugsgebiet erweitern und damit
auch der Neukundengewinnung dienen. Kombiniert mit einem Rahmenprogramm und
dem veränderten Kaufverhalten, dem Wunsch nach Erlebniseinkauf, kommt diesem
verkaufsoffenen Sonntag damit eine bedeutende Rolle zu. Gerade in kleinen und mitt-
leren Städten funktionieren verkaufsoffene Sonntage besonders gut.
Seit 2012 finden, wie auch die Kollegin eben berichtete, gerichtliche Auseinanderset-
zungen statt. Wir in Darmstadt sind davon enorm betroffen. Sie können sich vorstellen,
dass dies auch für unsere Mitarbeiter – und da spreche ich auch als Geschäftsführerin
der Galeria Kaufhof – alles andere als befriedigend ist. Das ist weder unseren Mitarbei-
tern noch unseren Kunden zuzumuten, geschweige denn dem Handel, der eine solche
Veranstaltung natürlich bereits im Vorfeld organisiert und Marketingmaßnahmen ergrif-
fen hat. Diese müssen dann entweder kurzfristig geändert werden oder die gesamte
Veranstaltung verläuft letztendlich im Sande.
Hinzu kommt, dass verkaufsoffene Sonntage – ja – als rechtswidrig eingestuft sind, wie
die Kollegin eben auch schon sagte. Man weiß nicht: Ist der Anlass stark genug? Sind 40
Stände ausreichend oder 20? Letztendlich führt das zu einem Wettbewerbsnachteil,
weil manche Anlässe, z. B. ein Ostermarkt, in manchen Kommunen durchgehen, wäh-
rend in anderen Kommunen eine Öffnung anlässlich des Ostermarkts nicht durchgeführt
werden durfte.
Wir wünschen uns generell, dass die Anlassbezogenheit aus dem Gesetz herausge-
nommen wird, deswegen begrüßen wir diesen Gesetzentwurf. Wir kämpfen in den In-
nenstädten letztendlich ums Überleben. In der jetzigen Fassung des Gesetzes sehen wir
einen erheblichen Wettbewerbsnachteil bzw. haben eben einfach keine Rechtssicher-
heit. Von daher wünschen wir uns, dass der Anlassbezug aus dem Gesetz herausge-
nommen wird. Wir wollen keine Erhöhung der Zahl verkaufsoffener Sonntage, sondern
plädieren für deren Erhalt. Doch der Anlassbezug sollte entfallen, sodass wir bei einem
entsprechenden Rahmenprogramm letztendlich frei entscheiden können.
In Darmstadt gibt es z. B. das Heinerfest und das Schlossgrabenfest, die als Anlässe si-
cherlich groß genug wären, um einen verkaufsoffenen Sonntag durchzuführen. Für den
Handel sind sie aber mehr als unattraktiv, weil die Kunden zu einem anderen Event
dorthin kommen und zu diesem Zeitpunkt nicht am Handel interessiert sind.
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WVA 19/16 – 16.04.2015
Herr Schüßler: Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die kommunalen Spitzenver-
bände haben argumentativ schon sehr viel ausgeführt. In der kommunalen Praxis ist es
tatsächlich so, dass das Ganze immer einer Abwägungsentscheidung der Kommune zu
unterliegen hat. Die Kommune hat sich nicht nur, wie in diesem gesetzlichen Regelungs-
fall, mit den Interessen des Gewerbes, des lokalen Einzelhandels und oftmals auch Ver-
einsinteressen auseinanderzusetzen, da Vereine häufig als Veranstalter von Festen,
Märkten und Veranstaltungen auftreten. Die Kommunen und gerade die Ordnungsäm-
ter haben andererseits gleichwohl auch den Sonntagsschutz und das Ruhebedürfnis
der Bürgerinnen und Bürger im Auge zu halten, sodass allein aus diesem Grund schon
begrüßt wird, dass mit der Beibehaltung der vier Sonntagsöffnungsmöglichkeiten das
Regel-Ausnahme-Prinzip beibehalten wird.
Fakt bei der momentanen Regelung ist aber auch ein Entscheidungsdilemma: Den
Kommunen wird nämlich eine Abwägung, eine Prognoseentscheidung übertragen, der
sie nur ganz schwer Rechnung tragen können: die Einschätzung, ob der Zweck eben
Anlass genug ist, um eine Ladenöffnung durchzuführen. Die Kommunen stehen dabei
letztlich immer zwischen den Interessen des lokalen Einzelhandels auf der einen Seite
sowie den Fest- bzw. Marktveranstaltern auf der anderen Seite und haben eine Ent-
scheidung herbeizuführen.
Diese Entscheidung wird in ganz, ganz vielen Kommunen – das dürfte die Regel sein –
vier Mal im Jahr getroffen, allerdings immer unter dem Dogma einer großen Rechtsunsi-
cherheit, und zwar auf beiden Seiten. Der Einzelhandel trifft Dispositionen oftmals lange
Zeit im Vorlauf, mindestens ein Viertel- oder ein halbes Jahr im Voraus, und muss dann
darauf warten und hoffen, dass das Fest auch in der gegebenen Form durchgeführt
werden und stattfinden kann. Es ist auch schon vorgekommen, dass beispielsweise Früh-
lingsfeste aufgrund desolater Wetterprognosen abgesagt wurden und dass sich dann
im Nachgang für die Kommune die Frage stellt, ob man den Einzelhandel, weil er Dis-
positionen finanzieller Art getroffen hat, den verkaufsoffenen Sonntag trotzdem durch-
führen lässt – mit der Möglichkeit, dies im einstweiligen Rechtsschutz untersagt zu be-
kommen – oder ob man den lokalen Einzelhandel letzten Endes mit in Haftung für die
Wetterkapriolen nimmt.
Vor diesem Hintergrund glauben wir der kommunalen Praxis dadurch Rechnung zu tra-
gen, dass man diese Konnexität letzen Endes kappt und den Kommunen die Möglich-
keit gibt, in ihrem Entscheidungsermessen vier Sonntage gemeinsam mit dem lokalen
Einzelhandel festzusetzen. Entsprechend ist ja keiner daran gehindert, dies auch im Zu-
sammenspiel mit lokalen Fest- oder Marktereignissen zu tun. Das heißt, es gibt hier ja
keine Kappung der Möglichkeit einer Zusammenlegung von Ereignissen.
Einen weiteren Vorteil sehen wir darin, weil sich die Festaktivitäten in vielen Städten und
Gemeinden momentan doch im Wesentlichen auf die sonnenreichen Monate fokussie-
ren, das heißt irgendwann im Frühjahr oder Sommer. Damit kommt es in der Regel zu
einer Häufung verkaufsoffener Sonntage. Wenn man, wie hier vorgeschlagen, die Zu-
sammenführung von Marktereignis und verkaufsoffenem Sonntag kappen würde,
ergäbe sich auch die Möglichkeit, eine breitere Verteilung im Jahreskalender herbeizu-
führen, sodass dadurch die einzelnen Intervalle zwischen den verkaufsoffenen Sonnta-
gen letzten Endes größer werden könnten.
Eine Verknappung von Schutzinteressen sehen wir nicht, weil diese vier verkaufsoffenen
Sonntage in den allermeisten Städten und Gemeinden auch heute schon geübte Praxis
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sind, allerdings unter dem Dogma des finanziellen und wirtschaftlichen Risikos. Ich glau-
be, dafür gibt es in der Zukunft kein Regelungsbedürfnis mehr.
Zu dem letztgenannten Absatz vielleicht noch: Viele Festereignisse haben doch gerade
in kleineren Kommunen einen Stadtteilbezug, besonders wenn sie vereinsveranstaltet
werden. Vor diesem Hintergrund ist es, denke ich, auch sinnvoll, es in das Einschät-
zungsermessen der Kommunen zu stellen, ob sich in diesem Fall ein verkaufsoffener
Sonntag denn für das gesamte Stadtgebiet eignet oder ob dieser einen stadtteilbezo-
genen Geltungsbereich haben sollte.
Ich glaube, unsere Städte und Gemeinden in Hessen sind klug genug, um im Einver-
nehmen mit ihren Bürgerinnen und Bürgern eine Entscheidung herbeizuführen, ohne
dass es dieser unbedingten Kopplung auf dem Gesetzeswege bedarf. Deswegen be-
grüßen wir, die Vereinigung Liberaler Kommunalpolitiker Hessen, den vorgelegten Ge-
setzesvorschlag ausdrücklich.
Vors. Abg. Claudia Ravensburg: Ich eröffne nun die erste Frage- und Antwortrunde.
Abg. Jürgen Lenders: Den Anzuhörenden für ihre Stellungnahmen vielen Dank! Was
mich vor allem interessiert: Von den kommunalen Vertretern wurde die Entkopplung
von einem Anlass jetzt ja durch die Bank begrüßt. Ein bisschen Kritik kam bezüglich der
Regelung, dass mit unserem Gesetzentwurf im Grunde Stadtteilsonntage ermöglicht
werden.
An die Vertreterinnen des Städtetags und des Städte- und Gemeindebunds die Frage:
Wie haben das Städte wie Frankfurt, Wiesbaden, Darmstadt oder Kassel in der Vergan-
genheit gelöst? Ich nehme einmal das Beispiel Frankfurt-Höchst. Wenn Frankfurt-Höchst
die Genehmigung bekommt, seine Geschäfte zu öffnen, wenn auch die Innenstadt von
Frankfurt öffnet, dann glaube ich nicht, dass das für Höchst noch sonderlich attraktiv ist.
Für die Dortigen wäre es richtiger, einen eigenständigen verkaufsoffenen Sonntag
durchführen zu können. Wie ist das in der Vergangenheit gelaufen?
Genau in diese Richtung geht auch meine nächste Frage. Wir möchten ja eine Öff-
nung, wir wollen den Kommunen die Entscheidungsmöglichkeit zu geben, das stadtteil-
bezogen mit dem Einzelhandel abzustimmen. Glauben Sie nicht, dass diese Abstim-
mung in der kommunalen Familie, in den Städten und Gemeinden möglich ist? Es gibt
z. B. eine Stellungnahme von Frauenverbänden, die sagen, überlasst das doch einfach
mal den Tarifpartnern, die werden schon eine Einigung finden. Das ist ganz nett. Ich
glaube, dass es in der Praxis bisher doch immer Abstimmungen gab.
Des Weiteren: Hat es in der Vergangenheit Probleme bei den Städte und Gemeinden
gegeben, wenn es um Messen, Veranstaltungen, Feste ging, die in der Regel ja eine
Tradition haben? Musste man, wenn es konkurrierende Veranstaltungen gab, dann auf
kommunaler Ebene, beim Magistrat einen neuen Termin für ein traditionelles Fest festle-
gen, um nicht in einen Wettbewerb mit der Nachbargemeinde zu kommen? Würde da
nicht auch die Regelung, die wir treffen möchten – dass das eher stadtteilbezogen läuft
– Ihnen entgegenkommen?
Ds – 13 – SIA 19/19 – 16.04.2015
WVA 19/16 – 16.04.2015
Abg. Tobias Utter: Ich habe eine Frage an die Vertreterin des Städtetags. Sie haben in
Ihrer Begründung die zwei Teile ja unterschiedlich bewertet. Im ersten Teil, als Sie sagten,
Sie könnten sich vorstellen, den Anlassbezug zu streichen, haben Sie keine Bedenken
gesehen, was das Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 2009 angeht, beim zweiten
Teil aber sehr wohl. Woher nehmen Sie die Sicherheit, davon auszugehen, dass unser
Gesetz durch eine Streichung des Anlassbezugs überhaupt noch vor dem Bundesver-
fassungsgericht bestehen könnte?
Das Bundesverfassungsgericht hat ja deutlich gemacht, dass die Begründung der Aus-
nahme entscheidend dafür ist, dass eine Öffnung am Sonntag überhaupt zulässig ist.
Besteht nicht die Gefahr, dass bei einer Streichung des Anlassbezugs das gesamte Ge-
setz verfassungswidrig wird?
Abg. Tobias Eckert: Ich habe eine Frage an die Vertreterinnen des Städte- und Ge-
meindebunds und des Städtetags. Sie haben jeweils beschrieben, dass es enorme Fälle
und erhebliche Unsicherheiten gebe, dass es auf der zeitlichen Schiene aufgrund der
Kurzfristigkeit teilweise Probleme gebe und dass dies eine enorme Belastung darstelle.
Könnten Sie das einmal quantifizieren? Sie haben ein Beispiel genannt, bei dem der
Antrag fünf Monate vorher gestellt wurde und bei dem es wahrscheinlich aufgrund der
späten Genehmigung zu einem Eilantrag kam. Können Sie einfach einmal sagen, wie
viele solche Fälle es in den letzten Jahren insgesamt gab?
Abg. Hermann Schaus: Ich habe eine Frage an die Vertreterin von Citymarketing Dar-
mstadt. Sie haben vorhin ausgeführt, dass es im Einzelhandel kaum Umsatzsteigerungen
gebe. Wenn Sie jetzt an bestimmten Orten sonntags öffnen, führt das Ihrer Meinung
nach zu Umsatzsteigerungen insgesamt oder nur zu einer Verlagerung des Umsatzes? Ist
das also eine Bevorteilung derjenigen, die sonntags öffnen?
Frau Siedenschnur: Zu den großen Städten werde ich nichts sagen; das überlasse ich
Frau Oegel. – Zu den Stadtteilen, den Ortsteilen: Das ist bei unseren Kommunen eher
nicht das Thema; das war auch nie groß ein Problem. Wenn ein verkaufsoffener Sonn-
tag festgesetzt wurde, dann galt er für den gesamten Ort bzw. je nachdem, welche
Einschränkung galt. Vom Verwaltungsgerichtshof in Kassel haben wir auch Einschrän-
kungen auf die Örtlichkeit der Veranstaltung vorgegeben bekommen. Das findet zum
Teil schon statt, führt aber nicht unbedingt dazu, dass vor Ort nun unbedingt ein Mehr-
bedarf gesehen würde. Das betrifft unsere Kommunen eher weniger.
Aus Sicht des Städtetages mag das vielleicht anders sein, aber bei unseren Kommunen
ist das eher nicht der Fall. Wenn es einen verkaufsoffenen Sonntag gibt, gilt er komplett
für den gesamten Ort. Deswegen sehen wir nicht das Bedürfnis, das noch auszuweiten.
Damals beim Bundesladenschlussgesetz war das durchaus möglich, da konnte man
das ortsteil- oder stadtteilbezogen auslegen. Aber auch da haben wir eigentlich nicht
die Erfahrung gemacht, dass das dermaßen ausgeufert wäre oder es zu viel mehr Ver-
anstaltungen gekommen wäre.
Das Thema Traditionsveranstaltungen oder konkurrierenden Veranstaltungen wird tat-
sächlich immer wieder problematisiert. Ist auch eine Traditionsveranstaltung, die im Ort
verankert ist, ausreichender Anlass, um einen verkaufsoffenen Sonntag durchführen zu
lassen? Beispielsweise hat die Gemeinde Sulzbach – das steht auch in unserer Stellung-
Ds – 14 – SIA 19/19 – 16.04.2015
WVA 19/16 – 16.04.2015
nahme – als relativ kleine, überschaubare Gemeinde das große Main-Taunus-Zentrum in
unmittelbarer Nachbarschaft. Wenn Sulzbach eine Kerb durchführt, wird diese Kerb
nicht als Traditionsveranstaltung oder als Veranstaltung im Sinne des § 6 Abs. 1 gesehen.
Das ist für die Kommunen zum Teil schwer nachzuvollziehen. Da wird verglichen und
festgestellt, dass diese Kerb vielleicht nicht den Besucherstrom anzieht, mit dem andere
rechnen können.
Aber da muss man dann eben auch die Größenordnung sehen: Wie groß sind die
Kommunen, was kann man erwarten? Sicherlich hat Frankfurt mit seinen Veranstaltun-
gen ein ganz anderes Gewicht. Gerade kleinere Kommunen mit örtlich verankerten
Veranstaltungen, die oftmals nur die Örtlichen oder vielleicht noch Leute aus den
Nachbarkommunen anziehen, haben natürlich ein kleineres Gewicht. Dann ist es natür-
lich immer problematisch, wenn die Verwaltungsgerichte entscheiden, ob das Anlass
genug ist und einen entsprechenden Besucherstrom auslöst. Das ist bei uns definitiv ein
Problem.
Was konkurrierende Veranstaltungen anbelangt – wenn es jetzt beispielsweise um den
Gewerbeverein und noch einen anderen Verein geht –, findet sich bei uns in den
Kommunen meistens eine Lösung.
Wie viele Fälle gibt es? Gut, es sind im Jahr vier verkaufsoffene Sonntage möglich, was
bedeutet, pro Jahr könnten pro Kommune durchaus vier Streitigkeiten aufschlagen. Es
gibt prädestinierte Kommunen, das muss man auch sagen: Das sind in der Regel die
Kommunen mit den großen Einkaufszentren, die dahinterstehen. Das betrifft in der Re-
gel nicht die kleineren Kommunen. Dort finden verkaufsoffene Sonntage unabhängig
davon statt, welcher Markt, welche Veranstaltung durchgeführt wird. Da wird eigentlich
keine Rechtsstreitigkeit vom Zaun gebrochen.
Verfahren haben wir in den letzten vier bis fünf Jahren zu verzeichnen. Letztlich ist es so:
Es sind vier oder fünf Kommunen, die es tatsächlich betrifft, aber die mit Regelmäßig-
keit, das muss man schon sagen. Dann kann es durchaus auch vier Mal im Jahr ein strei-
tiges Verfahren geben.
Das liegt nicht daran, dass das Vorhaben kurzfristig angeleiert wird, sondern die Anträ-
ge werden tatsächlich vier bis fünf Monate vorher gestellt. Es wird entschieden; dann
wird Widerspruch eingelegt. Darüber wird in der Regel eben nicht so schnell entschie-
den, weil das die nächsthöhere Behörde zu entscheiden hat, nicht die Kommune. Da-
mit kommen wir in Zugzwang und nähern uns immer mehr dem Termin des geplanten
verkaufsoffenen Sonntags. Zwei, drei Wochen vorher gibt es dann meist ein Eilverfahren,
um Rechtsklarheit zu finden. Die Zahl dieser Verfahren nimmt zu – bei uns in der Ge-
schäftsstelle und in den Kommunen.
Frau Oegel: Herr Lenders fragte, wie große Städte das organisiert haben, etwa Frankfurt
mit 43 Ortsteilen. Wenn man uns, den Hessischen Städtetag, fragt, geben wir auf der
Grundlage der richtungweisenden Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts
Auskunft. Danach darf auch Frankfurt nur vier verkaufsoffene Sonntage haben, und das
auch nur dort, wo die betreffende Veranstaltung stattfindet. Darüber, in welchem Um-
kreis das noch gilt, kann man ebenfalls streiten.
Innerstädtisch ist das ist ein Stück weit wettbewerbsverzerrend. Doch würden anderer-
seits alle 43 Stadtteile in Frankfurt an vier Sonntagen im Jahr öffnen, bestünde dort fak-
Ds – 15 – SIA 19/19 – 16.04.2015
WVA 19/16 – 16.04.2015
tisch jeden Sonntag die Möglichkeit, einkaufen zu gehen. Vor dem Hintergrund der
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts habe ich tatsächlich Sorge, dass das
Hessische Ladenöffnungsgesetz dann kippen könnte. Vor dem Hintergrund von Arti-
kel 140 GG, dem Schutz der Sonn- und Feiertagsruhe, wäre das eine derart weite Aus-
legung, dass wir dann nicht mehr guten Gewissens sagen könnten: Dieses Gesetz fußt
auf dem Grundgesetz.
Wir müssen eine Abwägung vornehmen. Natürlich berücksichtigen wir auch die Interes-
sen des stationären, örtlichen Einzelhandels sowie der Arbeitnehmerinnen und Arbeit-
nehmer. Aber eine solche Ausweitung, würde ich sagen, dürfen wir als Hessischer Städ-
tetag in Anlehnung an die bekannte Rechtsprechung nicht fordern.
Zu den Traditionsveranstaltungen: Klar ist, dass wir nicht unbedingt eine Traditionsveran-
staltung brauchen, um Ladenöffnung zu ermöglichen. Es kann auch eine neue Tradition
begründet werden, wenn sie als solche geeignet ist, ein Besuchermagnet zu sein.
Ob beim Wettbewerb mit benachbarten Kommunen eine Abstimmung stattfindet? So-
weit ich das einschätze, eher nein. In der Regel ist es der örtliche Handel, der auf die
Kommunen zukommt und die Läden öffnen möchte. Ich denke, grundsätzlich sind die
Kommunen durchaus bereit, neue Veranstaltungen mitzutragen. Aber dass man nun
besonders große Rücksicht darauf nähme, wann die Nachbarkommune ihre Läden öff-
net, scheint eher nicht der Fall zu sein.
Herrn Utters Frage habe ich zum Teil schon beantwortet. Wir wollen eine anlassunab-
hängige Freigabe. Gleichwohl wissen wir, dass der Anlass das Korrektiv ist, um Artikel 140
GG Rechnung zu tragen. Ich glaube nicht, dass ein Landes-Ladenöffnungsgesetz, das
eine Freigabe ohne ein besonderes öffentliches Interesse nur aus verkaufswirtschaftli-
chen Gründen vorsähe, vor dem Bundesverfassungsgericht standhalten würde. Wir ha-
ben schon auf Rheinland-Pfalz verwiesen. Auch die Ladenöffnungsgesetze anderer
Bundesländer enthalten durchaus Korrektive.
Wegen der Nähe zu Rheinland-Pfalz haben wir auf die dortige Regelung verwiesen.
Aber auch dort muss eine sorgfältige Abwägung erfolgen, muss mit den Betroffenen
gesprochen werden, muss ein öffentliches Interesse vorliegen. Es muss kein Anlass vor-
liegen wie in Hessen. Hier in Hessen haben wir die Möglichkeit, mit einer Allgemeinver-
fügung die Sonntagsöffnung freizugeben. In Rheinland-Pfalz ist eine Rechtsverordnung
erforderlich. Der Aufwand, der mit einer solchen verbunden ist, wäre für unsere Kom-
munen sehr, sehr hoch. Davor schrecken die hessischen Kommunen zurück, soweit uns
das mitgeteilt wurde.
Zur Quantifizierung: Ich denke, dazu konnte Frau Siedenschnur mehr sagen. Der Hessi-
sche Städtetag geht nur bei grundsätzlichen Angelegenheiten mit vor Gericht. Das ge-
hört nicht zu unseren satzungsmäßigen Aufgaben. Gleichwohl erfahren wir natürlich
von größeren Städten, wenn es bei ihren Ladenöffnungen gerichtliche Verfahren ge-
geben hat. Ich will es einmal ganz salopp ausdrücken: Wen hat es erwischt? Wo kamen
die Kirchen, wo kam ver.di? Wo wurde prozessiert? Ich glaube, zuletzt war das in Offen-
bach. Doch ansonsten kann ich eine Quantifizierung für Hessen nicht vornehmen. Wie
gesagt, wir haben nur die größeren Städte im Blick.
Frau Schäven: Sie sprachen das Thema Umsatzverlagerung an. Sicherlich sind Sonntage
dazu da, Frequenzen und Umsätze zu erzielen. Nichtsdestotrotz ist ein besonderer Anlass
Ds – 16 – SIA 19/19 – 16.04.2015
WVA 19/16 – 16.04.2015
für diesen Sonntag ja auch, neue Kunden zu gewinnen. Ich glaube, gerade verkaufsof-
fene Sonntage tragen dazu bei, dass Kunden aus einem erweiterten Einzugsgebiet die
Innenstädte besuchen. Damit dienen diese Sonntage letztendlich auch der Neukun-
dengewinnung.
Vors. Abg. Claudia Ravensburg: Herr Schüßler, Sie waren nicht direkt angesprochen.
Wollen Sie trotzdem noch etwas beitragen?
Herr Schüßler: Die Argumente sind ausgetauscht.
Vors. Abg. Claudia Ravensburg: Gut. Nachdem es zu diesem Block keine weiteren Mel-
dungen gibt, kommen wir jetzt zu den Vertretern der Kirchen und der kirchlichen Ver-
bände.
Frau Prof. Dr. Kläver: Sehr geehrter Herr Minister, sehr geehrte Frau Ravensburg, sehr ge-
ehrte Damen und Herren! Ich danke herzlich für die Möglichkeit, zu dem Gesetzentwurf
eine Stellungnahme abgeben zu können. Die katholischen Bistümer in Hessen halten die
vorgeschlagenen Änderungen für nicht verfassungskonform und lehnen sie deshalb ab.
Der grundrechtlich abgesicherte Sonn- und Feiertagsschutz hat für die Kirchen natürlich
eine besondere Bedeutung, denn er ermöglicht ja die Ausübung der Religionsfreiheit.
Darüber hinaus dient der Sonn- und Feiertagsschutz aber auch Ehe und Familie. Fami-
lien können auf diese Art einen gemeinsamen Tag frei von allen anderen Verpflichtun-
gen verbringen. Außerdem dient der Sonn- und Feiertagsschutz der Erholung und der
Erhaltung der Gesundheit, wenn man zur Ruhe kommt, weil eben das gesamte werk-
tägliche Leben zum Erliegen kommt. Ebenso lassen sich die Vereinigungsfreiheit und
etwa die Wahrnehmung von Sportveranstaltungen erst dadurch ermöglichen, dass alle
Menschen am selben Tag frei haben. Und schließlich – ganz wichtig – dient der Sonn-
und Feiertagsschutz der Menschenwürde, weil er dem ökonomischen Denken eine
Grenze setzt und weil nur auf den Menschen selbst geschaut wird.
Aus genau diesen Gründen hat das Bundesverfassungsgericht die besondere Bedeu-
tung des Sonn- und Feiertagsschutzes hervorgehoben und betont, dass durch den
Sonn- und Feiertagsschutz ein Regel-Ausnahme-Verhältnis festgelegt wird. Der Sonntag
soll grundsätzlich ein Tag der Arbeitsruhe sein. Nur ein besonderer Anlass kann eine Öff-
nung rechtfertigen. Genau deshalb ist der Anlassbezug im Hessischen Ladenöffnungs-
gesetz unverzichtbar. Das ist gefestigte Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts,
aber ebenso auch des Bundesverwaltungsgerichts und des Hessischen Verwaltungsge-
richtshofs. Der vorliegende Gesetzentwurf missachtet nach unserer Auffassung diese
Vorgaben.
In unserer schriftlichen Stellungnahme habe ich genaue Zahlen angegeben, die bele-
gen, in welchem Ausmaß psychische Erkrankungen in den letzten Jahren in die Höhe
geschnellt sind. Besonders vor diesem Hintergrund ist der Schutz der seelischen Erhe-
bung und damit verbunden die psychische und physische Regeneration, die durch den
Sonntagsschutz gewährt werden soll, umso wichtiger. Dies entspricht sogar dem Interes-
se von Unternehmen, Fehltage von Arbeitnehmern zu verringern.
Ds – 17 – SIA 19/19 – 16.04.2015
WVA 19/16 – 16.04.2015
Aus diesen Gründen ist auch die im Entwurf vorgesehene Regelung abzulehnen, den
Kommunen die Möglichkeit einzuräumen, Sonn- und Feiertagsöffnungen lokal zu be-
grenzen, ohne dass dies zu einem Verbrauch der maximal vier Tage im Jahr für das üb-
rige Stadtgebiet führt. Das Beispiel der Großstadt Frankfurt mit 46 Stadtteilen wurde
eben schon angeführt. Wenn wir jedem Stadtteil vier verkaufsoffene Sonntage zubilli-
gen würden, kämen wir auf 184 verkaufsoffene Sonntage. Ich finde, das ist ein eindeu-
tiger Verstoß gegen das Regel-Ausnahme-Verhältnis.
Zum Abschluss eine Anregung: Wenn das Ladenöffnungsgesetz zu ändern wäre, dann
sollte das vielmehr dahin gehen, die grundsätzlich zulässige Ladenöffnung an Werkta-
gen von 0 bis 24 Uhr zu ändern. Denn mit der Gestaltung einer Gesellschaft, in der es
möglich ist, Geschäfte den ganzen Tag über zu öffnen, respektiert man weder für die
Verbraucher noch für die Arbeitnehmer im Einzelhandel die notwendigen Phasen für
Ruhe, Erholung und Zeit für die Familie sowie auch für kulturelle Aktivitäten. Deshalb re-
gen wir an, die Ladenöffnung auf 20 Uhr, höchstens 22 Uhr zu begrenzen.
Herr Dulige: Meine Damen und Herren! Die Evangelischen Kirchen in Hessen haben eine
schriftliche Stellungnahme abgegeben. Wir haben uns schon immer sehr entschieden
für einen klaren Sonntagsschutz eingesetzt. Ich möchte in dieser Frage jetzt keine recht-
lichen Argumente ins Feld führen, sondern will uns allen nur einmal vergegenwärtigen,
was die Kirchen in dieser Frage eigentlich leitet.
Den Sonntagsschutz können Sie in einem langen Traditionsstrom sehen, beginnend im
Alten Testament bis hin zur aktuellen Situation. Damit wir uns das einmal vergegenwärti-
gen, hören wir einfach einmal, was im Alten Testament steht, im Buch Mose, Exodus 20:
Gedenke des Sabbats, halte ihn heilig! Sechs Tage darfst du schaffen und jede
Arbeit tun. Der siebte Tag ist ein Ruhetag, dem Herrn, deinem Gott, geweiht. An
ihm darfst du keine Arbeit tun: du, dein Sohn und deine Tochter, dein Sklave und
deine Sklavin, dein Vieh und der Fremde, der in deinen Stadtbereichen Wohn-
recht hat. Denn in sechs Tagen hat der Herr Himmel, Erde, Meer gemacht und al-
les, was dazugehört. Am siebten Tag ruhte er. Darum hat der Herr den Sabbat-
tag gesegnet und ihn für heilig erklärt.
Das ist im Prinzip eine formulierte Wurzel unseres langen Traditionsstroms, in dem wir bis
heute stehen. Das können Sie im Neuen Testament weiterverfolgen und, und, und.
Übrigens hat auch die wichtige soziale und kulturelle Bedeutung des Sonntags einen
langen Traditionsstrom. Im Jahr 321 verordnete Kaiser Konstantin den Sonntag als staat-
lichen Ruhetag. Im Gefolge dieses Traditionsstroms hat die Französische Revolution ver-
sucht, den Sonntag abzuschaffen. Die Oktoberrevolution in Russland hat das auch ver-
sucht. Beide hatten damit keinen Erfolg.
Wenn Sie sich diesen Traditionsstrom vergegenwärtigen – und deswegen habe ich das
einfach einmal vorgelesen, damit uns das ein bisschen aktueller in den Sinn kommt –,
stellen Sie fest, dass Art. 140 des Grundgesetzes sozusagen eine logische Folgerung ist.
Das etwas antiquiert daherkommende Stichwort „seelische Erhebung“ ist in diesem Sinn
ja nicht nur innerkirchlich oder religiös gemeint, sondern weit umfassend, es beinhaltet
soziale, kulturelle und viele andere Segmente.
Ds – 18 – SIA 19/19 – 16.04.2015
WVA 19/16 – 16.04.2015
Vor diesem Hintergrund finden wir alle gerichtlichen Entscheidungen – Frau Prof. Dr.
Kläver hat vorhin das Bundesverfassungsgericht genannt, Herr Utter ebenfalls – hilfreich
und stabilisierend, um diesen langen Traditionsstrom deutlich zu machen. Vor diesem
Hintergrund kommen die Evangelischen Kirchen in Hessen zu ihrer Stellungnahme, die
so zusammenzufassen ist: Eine restriktive Genehmigungspraxis führt im Prinzip zur Klarheit
für den Sonntagsschutz. Wir sind für die Beibehaltung der Kopplung des Sonderereignis-
ses und der Ladenöffnung am Sonntag. Wir sind auch für die Beibehaltung der Öff-
nungsmöglichkeit auf der Ebene der gesamten Kommune und nicht für die Freigabe in
einzelne Bezirke. Die Szenarien haben wir vorhin ja schon von anderer Seite gehört.
Herr Trost: Frau Ravensburg, meine Damen und Herren, vielen Dank, dass uns die Mög-
lichkeit eingeräumt wird, uns zu diesem Gesetzentwurf zu äußern! Dem Kolpingwerk als
katholischem Sozialverband ist der Schutz der Familie in seiner ganzen langen Tradition
ein besonderes Anliegen – Familie hier bewusst gemeint in jedweder Form, gleich, wie
wir sie in einer heutigen pluralen Gesellschaft soziologisch oder auch formaljuristisch de-
finieren.
Der Schutz der Familie ist uns besonderes Anliegen und zentrales Thema in unserer Ar-
beit in dieser Gesellschaft. Die Möglichkeit, Familie als geschützten Ort, als Lebensge-
meinschaft, als Ort der Wertevermittlung und auch als Ort der Beziehungsfähigkeitsein-
übung zu erfahren, diese Möglichkeit ist für Familien heute bereits mehr als einge-
schränkt. Ich erinnere an lange Pendlerzeiten, an Schichtarbeit der Ehepartner, die
kaum synchronisiert werden kann, und vieles andere. Eingedenk dieser Einschränkun-
gen verbleibt für Familien – wenn überhaupt – oft nur der Sonntag als gemeinsamer
Zeit- und Lebensraum.
Deshalb meinen wir: Statt über eine weitere Liberalisierung der Ladenöffnungszeiten am
Sonntag zu diskutieren, sollte eine gesamtgesellschaftliche Diskussion und Bewusstseins-
bildung über das dahinterliegende Konsumverhalten und noch viel mehr über die die-
ses Konsumverhalten leitenden wirtschaftlichen Interessen in Gang gesetzt werden. Ist
es denn wirklich nötig, Ladenöffnungszeiten am Sonntag immer mehr auszuweiten und
auszuhöhlen? Oder ist es nur opportun?
Wenn wir diese Diskussion führen und wenn es gesellschaftliche Mehrheiten geben soll-
te, die eine weitere Aushöhlung des Sonntagsschutzes befürworten, dann muss dabei
überlegt werden, um welchen Preis das geschieht. Um welchen Preis geschieht es im
Hinblick auf die weitere Zergliederung von Familienstrukturen und deren gesellschaftli-
che Folgen? Die Vorredner haben auf diese Themen bereits hingewiesen.
Ganz kurz zum Entwurf selbst. Der Entwurf, auch das wurde eben bereits diskutiert, sieht
– wenn auch im Umfang weiter reglementiert – eine regelhafte statt wie bisher anlass-
bezogene Ladenöffnung am Sonntag vor. Aus unserer Sicht würde eine solche Rege-
lung einer verfassungsrechtlichen Überprüfung in keiner Weise standhalten.
Des Weiteren: Der Kunstgriff, eine Begrenzung der Sonntagsöffnung auf bestimmte Be-
zirke oder Stadtteile vorzusehen, ohne damit die vier Sonntage für die ganze Gemeinde
zu verbrauchen, ist aus unserer Sicht zwar ein geschickter und subtiler, aber dennoch
sehr massiver Versuch einer weiteren Aushöhlung. Damit würde es in größeren Kommu-
nen zukünftig nicht vier, sondern „vier mal x“ verkaufsoffene Sonntage geben – in Groß-
kommunen eben jeden Sonntag.
Ds – 19 – SIA 19/19 – 16.04.2015
WVA 19/16 – 16.04.2015
Aus dem Vorgenannten folgt: Seitens des Kolpingwerks im Land Hessen sehen wir, dass
dieser Gesetzentwurf in allen Punkten abzulehnen ist.
Herr Mengelkamp: Ich werde kurz etwas zur juristischen Seite sagen; Pfarrer Petrak wird
noch einige Punkte ergänzen. – Die juristischen Aspekte sind hier sehr deutlich benannt
worden, insbesondere mit Blick auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das Aus-
nahmen von der Sonn- und Feiertagsruhe nur dann zulässt, wenn es um die Wahrung
höherer und gleichwertiger Rechtsgüter geht. In dem Gesetzentwurf scheint aber die
Meinung vertreten zu werden, dass die Vermeidung von juristischen Streitigkeiten ein
ähnlich hohes Rechtsgut sei wie der Sonntagsschutz selbst. Dem kann man nicht zu-
stimmen.
Des Weiteren ist das Bundesverfassungsgericht bezüglich der vier voraussetzungslosen
verkaufsoffenen Adventssonntage zu der Entscheidung gekommen, dass diese Rege-
lung verfassungswidrig sei. Umso deutlicher ist das, was hier vorgelegt wurde, genau in
dieser Richtung zu bewerten. Deswegen wäre es unklug, eine solche Regelung in das
hessische Gesetz zu bringen, das sich bis jetzt als verfassungskonform erwiesen hat.
Ich möchte einen weiteren Hinweis geben. In der Tat, das Land Rheinland-Pfalz kennt
keinen Anlassbezug. Das Oberverwaltungsgericht des Landes Rheinland-Pfalz hat in
einem Urteil vom 20. Mai 2014 aber die unbedingte Notwendigkeit hervorgehoben, bei
einer Freigabeentscheidung einschränkende Voraussetzungen festzulegen. Das ist in
Rheinland-Pfalz durch ein Anhörungsverfahren geregelt, das für richtig gehalten wird.
Darüber kann man nun diskutieren, doch ist hier ja auch schon angesprochen worden,
dass so etwas aufwendiger und sicherlich nicht viel transparenter und gerichtsfester ist.
Deswegen haben wir erhebliche Bedenken, ob die rechtlichen Rahmenbedingungen,
die verändert werden sollen, das Gesetz noch verfassungskonform halten. Die meisten
vorgetragenen Gründe sind eher in der Richtung zu sehen, dass es um eine wirtschaftli-
che Optimierung des Sonntagsgeschäfts geht. Aber gerade diese wirtschaftlichen Inte-
ressen sind doch offensichtlich nicht derart gewichtig, dass es, wie das Bundesverfas-
sungsgericht gefordert hat, gleichwertige Rechtsgüter wären.
Dieses hessische Gesetz ist ein Ladenöffnungsgesetz und kein Gesetz, das die Märkte
steuern soll. Ich glaube, das hat der Gesetzgeber hier zu bedenken.
Herr Petrak: Ich möchte gern zusammenfassen und ergänzen – auch aus dem, was ich
in meiner schriftlichen Stellungnahme geäußert habe und was ich den anderen Stel-
lungnahmen entnehme, die dem zustimmen. Die Begründung des Gesetzentwurfs
macht deutlich, dass die eigentliche Absicht, nämlich den Sonntagsschutz abzubauen,
verschleiert werden soll. Das geschieht durch ein Jonglieren mit Irreführungen, Phanta-
sielosigkeiten, Fehleinschätzungen, Umdeutungen – etwa in Sachen Onlinekonkurrenz,
Stadtmarketing oder im Umgang mit dem Begriff der Rechtsunsicherheit.
Nur ein Beispiel: Die Arbeitsgemeinschaft hessischer Industrie- und Handelskammern
geht sogar so weit, zu sagen, die Verwaltungsgerichte hätten die Anforderungen an
die Veranstaltungen jenseits der Regelungen im Hessischen Ladenöffnungsgesetz deut-
lich verschärft. Nach meinem juristischen Halbwissen wird den Gerichten damit doch
eigentlich ein Rechtsbruch vorgeworfen, denn das dürften sie ja gar nicht tun. Meines
Ds – 20 – SIA 19/19 – 16.04.2015
WVA 19/16 – 16.04.2015
Erachtens wird hier von den Gerichten vielmehr dem Ignorieren der Legalität ein Riegel
vorgeschoben.
Bei der IHK heißt es weiter, die Konsequenz sei, dass viele Kommunen nicht in der Lage
seien, rechtskonform verkaufsoffene Sonntage zu genehmigen, da es ihnen an geeig-
neten Veranstaltungen fehle. Na also! Wenn man das jetzt eingesehen hat, ist das doch
ein erster Lernerfolg dank der Gerichte.
Ein Zweites zu diesem Jonglieren, das nur verschleiern soll, was der Gesetzentwurf in der
politischen Realität bewirken würde. In ihrer Begründung zu Art. 1 Nr. 1 des Gesetzent-
wurfs nennt die FDP angeblich nachvollziehbare Kriterien. Das ist genauso nachvoll-
ziehbar, als wolle man – ich verwende die Sprache der FDP – aufgrund des geänderten
Sozialverhaltens der Arbeitgeber und des wirtschaftlichen Drucks am Arbeitsplatz Aus-
nahmen fordern von der üblichen Regel und deswegen mit 100 Sachen durch die Stadt
fahren dürfen – nur vier Mal im Jahr, bitte –, weil der Zeitdruck so groß geworden ist und
die Arbeitsbedingungen uns so unter Druck setzen, dass wir es einfach nötig haben,
schneller zu fahren. Wenn das doch nur vier Mal jährlich vorkommt, dann ist der Aner-
kennung der Regel, dass man nur 50 km/h fahren darf, ja kein Schaden zugefügt. –
Ebenso nachvollziehbar ist auch die Argumentation im FDP-Gesetzentwurf.
Das Gleiche wäre, wenn ich nur vier Mal im Jahr ausnahmsweise Steuern hinterziehen
dürfte. Dabei ist doch jedem völlig klar: Steuerhinterziehung ist nicht erlaubt. Aber es
gibt natürlich besondere Ausnahmen, warum man das zu versteuernde Einkommen
reduzieren darf, vor der Versteuerung. Es müssen immer ganz besondere Ausnahmen
sein.
(Zuruf von der FDP)
Nur wer hoheitliche Aufgaben erfüllt oder lebensrettende Maßnahmen vornimmt, darf
mit 100 km/h durch die Stadt rasen, nämlich mit Blaulicht und Martinshorn. – Diesen Stil
der Argumentation finde ich beschämend für eine demokratische Partei, möchte ich
nur sagen.
(Unruhe – Zuruf von der CDU: Man kann das kritisieren – aber nicht so!)
Ich möchte darauf aufmerksam machen, dass es hier um eine pure Verschleierung – –
Vors. Abg. Claudia Ravensburg: Ich darf Sie bitten, ein wenig sachlicher zu werden und
keine Anwürfe gegenüber Fraktionen vorzunehmen, die hier Gesetzentwürfe vorlegen.
Bitte halten Sie sich ein bisschen an den üblichen Stil. Das wäre nett.
Herr Petrak: Okay. Dann möchte ich nur noch einen Satz anfügen: Die Absicht, den
Sonntagsschutz abzubauen, muss man als rechtswidrig anerkennen.
Ich möchte mich gern der Stellungnahme der katholischen Bischöfe anschließen, die
nahelegen, das Gesetz genau in die andere Richtung zu ändern. Wenn schon die IHK
Frankfurt sagt, es sei ein Anachronismus, dass man Läden öffnet, weil der Besucherstrom
bei einer Messe diesen Bedarf angeblich auslöse, und wenn Herr Stoll und andere aus
der IHK Frankfurt argumentieren, das stamme aus einer Zeit, in der die Veranstalter von
Messen noch gar nicht selbst für die Versorgung der Besucher gesorgt hätten, dann,
Ds – 21 – SIA 19/19 – 16.04.2015
WVA 19/16 – 16.04.2015
bitte sehr, könnte es doch auf leichtem Wege möglich sein, einen Konsens in der Weise
herbeizuführen, dass man diesen Paragrafen – wenn anlassbedingte Ladenöffnung
überhaupt sinnlos ist – gänzlich streicht.
Herr Kaptelli: Ich möchte kurz darauf hinweisen, dass auch wir vom Diakonischen Werk
in diesem Gesetzentwurf eine Aufweichung des Sonntagsschutzes sehen. Wie auch die
Kirchen lehnen wir von der Diakonie dies ab. Ich weise darauf hin, dass wir in unserer
Beratungsarbeit zunehmend feststellen, dass immer mehr Menschen zu uns kommen,
die aufgrund der Bedingungen, unter denen sie arbeiten, sehr gestresst sind, überfor-
dert sind. Wir sehen, dass wir diese Menschen schützen müssen.
Im Sonntag sehen wir einen besonderen Schutz. Diesen Schutz wollen wir auf jeden Fall
sichergestellt wissen, damit es im Ablauf der Woche tatsächlich einen Tag gibt, an dem
das Werken, das Wirken unterbrochen wird, damit es einen Raum der Ruhe und der
Förderung sozialer Kontakte gibt. Wir glauben, dass das für eine offene und soziale Ge-
sellschaft von allergrößter Bedeutung ist und dass man das nicht einer vollumfänglichen
Ökonomisierung preisgeben darf. Das ist die Position der Diakonie.
Herr Kändler: Der Sonntag ist für den Menschen da; der Sonntag ist nicht für den Kon-
sum da. Das ist eine kleine Abwandlung eines Spruchs aus dem Neuen Testament. Herr
Dulige hatte ja schon die lange Tradition des Sonntagsschutzes oder zuvor des Sabbat-
schutzes angesprochen, im Alten Testament begründet durch die Schöpfung. Es gibt
noch eine andere Begründung im Fünften Buch Mose, wo der freie Sabbat durch die
Freiheit begründet wird: Israel wurde durch Gott aus Ägypten geführt, wurde befreit.
Deshalb soll Israel am Sabbat ruhen – also der Sabbat als Gewährleistung für Freiheit.
Aber genauso alt ist auch der Widerstand gegen den freien Sonntag. Der Prophet
Amos regt sich über Händler auf, die am Sabbat schon ihre Kornsäcke öffnen wollen,
um Sachen verkaufen zu können. Dieser Streit hat also schon eine lange Tradition.
Das Dekanat Darmstadt-Stadt lehnt den vorliegenden Gesetzentwurf ab. Es wurden
schon viele Begründungen genannt; ich möchte ähnlich wie Herr Dulige zunächst auf
etwas Grundlegendes und danach noch auf einen anderen Aspekt eingehen.
Der Sonntag hat für eine Gesellschaft eine grundsätzliche Bedeutung. Im Entwurf der
FDP ist nur von wirtschaftlichen Interessen die Rede: Interessen des Einzelhandels, insge-
samt wirtschaftliche Interessen. Ausgeblendet wird völlig, welche Bedeutung der Sonn-
tag auf vielen anderen Ebenen hat. Religiöse, kulturelle, familiäre, persönliche, gemein-
schaftsfördernde Perspektiven fehlen einfach. Es geht im Leben aber um sehr viel mehr
als nur um das Arbeiten, Wirtschaften und Verkaufen.
Der Sonntag ist für uns eine regelmäßige Erinnerung daran, dass für das Leben ganz
andere Inhalte konstitutiv sind. Für viele Menschen ist es Gott, für viele sind es aber auch
menschliche Beziehungen, Freundinnen, Freunde, Familie, freie Tätigkeiten und Besin-
nung. Der Sonntag erinnert uns immer daran, dass wir ohne verlässliche gemeinschaftli-
che Ruhezeiten dem Leben einfach nicht standhalten können, dem Leben nicht ge-
wachsen sind. Diese Verlässlichkeit, dass fast alle an einem bestimmten Tag freihaben,
ist, glaube ich, ganz wichtig.
Ds – 22 – SIA 19/19 – 16.04.2015
WVA 19/16 – 16.04.2015
Gut, man kann natürlich sagen: Mit so einer Meinung ist man angesichts einer globali-
sierten Welt nicht auf der Höhe der Zeit. Ich glaube jedoch, dass gerade das Gegenteil
der Fall ist. Krankheitsbilder wurden schon angesprochen, Depressionen, Burnout. Der
Druck, das Tempo des Lebens nimmt immer mehr zu. Darum ist ein Ruhetag, sind Ruhe-
zeiten einfach überlebensnotwendig. Eine Aufweichung des Sonntagsschutzes rechtfer-
tigen diese Entwicklungen gerade nicht, sondern eher vielleicht sogar eine restriktivere
Handhabung des Sonntagsschutzes.
Als Aufgabe der Kirchen, politischer Parteien und anderer gesellschaftlicher Gruppen
und Organisationen sehen wir es eher, eine Debatte darüber zu fördern, wie wir leben
wollen, welche Bedeutung Arbeit und Konsumieren in unserem Leben haben. Es geht
dabei um ein gutes Leben, um Werte, um Leitbilder, die unser Zusammenleben fördern
und auch der Ökonomisierung entgegenwirken. Wir müssen attraktive Alternativen
entwickeln, um eine neue Sonntagskultur jenseits von Konsum und Kommerz entwickeln
zu können.
Ein zweiter Aspekt, noch ganz kurz: der Aspekt der Chancengleichheit. Im Entwurf der
Fraktion der FDP wurde gesagt, dass die vorgeschlagene Gesetzesänderung keine
Auswirkungen auf diesen Punkt habe. Frauen sind im Handel überdurchschnittlich häu-
fig beschäftigt, 70 % sind Frauen. Wenn der Sonntagsschutz aufgeweicht wird, hat das
natürlich auch Auswirkungen; das betrifft dann insbesondere wieder Frauen. Konse-
quenzen hat das für die gesamte Familie. Man muss die Betreuung von Kindern organi-
sieren. Besonders für Alleinerziehende – eine Gruppe, die immer größer wird – ist das
eine wichtige Sache. Eine verlässliche gemeinsame Zeit in der Familie ist nicht mehr
gewährleistet. Flexible Arbeitszeiten erschweren die Abstimmung gemeinsamer Aktivitä-
ten; das wurde schon mehrmals angesprochen.
Aus diesen Gründen und den anderen Gründen, die wir in der schriftlichen Stellung-
nahme dargelegt haben, lehnt das Dekanat Darmstadt-Stadt den Gesetzentwurf ab.
Herr Allmann: Ich schließe mich den Ausführungen von Herrn Kändler vollumfänglich an.
Herr Dr. Stroh: Mein Name ist Ralf Stroh, ich bin als Pfarrer theologischer Referent für Wirt-
schafts- und Sozialethik am Zentrum Gesellschaftliche Verantwortung der EKHN. In mei-
ner mündlichen Stellungnahme möchte ich einen Punkt aus der schriftlichen Stellung-
nahme herausgreifen, der so bisher noch nicht beleuchtet worden ist.
Ich möchte Sie nämlich darauf aufmerksam machen, dass die Streichung des Anlass-
bezugs in vielen Fällen faktisch die Streichung der Anlässe, der gewachsenen Traditio-
nen an Festen zur Folge haben wird, die in der Nachbarschaft stattfinden. Sie werden
aufgrund der Konkurrenz durch verkaufsoffene Sonn- und Feiertage in der Nachbar-
schaft nicht mehr stattfinden und aussterben. Es wurde eben ja auch schon explizit
ausgesprochen, dass es der Wunsch ist, neue Kreise zu erschließen, andere Personen in
die Stadt hineinzuziehen. Die Nachbarschaft wird darunter natürlich leiden.
Die Ermöglichung verkaufsoffener Sonn- und Feiertage ohne Anlassbezug gefährdet
unmittelbar die vom Gesetz genannten gesellschaftlichen Ereignisse: Märkte, Messen,
örtliche Feste oder ähnliche Veranstaltungen in der Nachbarschaft. Wieso und warum?
Märkte, Messen, örtliche Feste oder ähnliche Veranstaltungen geraten genau dort im-
mer stärker unter Druck oder werden sogar ganz aufgegeben, wie Beispiele beweisen,
Ds – 23 – SIA 19/19 – 16.04.2015
WVA 19/16 – 16.04.2015
wo in der Nähe verkaufsoffene Sonn- und Feiertage stattfinden. Angesichts der heuti-
gen Mobilität ist „in der Nähe“ unter Umständen ein durchaus großer Radius.
Die nachlassende Resonanz auf diese Feste aufgrund verkaufsoffener Sonn- und Feier-
tage in benachbarten Städten oder Gemeinden demotiviert die hier engagierten Per-
sonen, nicht zuletzt, weil die für diese Feste nötigen Einkünfte zur Deckung der Unkosten
gar nicht mehr generiert werden können, geschweige denn Erlöse erwirtschaftet wer-
den, die von den beteiligten Vereinen oftmals bereits fest in ihr Jahresbudget einkalku-
liert wurden und zur Aufrechterhaltung des Vereinslebens dringend benötigt werden.
Als Beauftragter des Kirchlichen Dienstes in der Arbeitswelt für die Sonntagsallianzen auf
Bundesebene bereite ich derzeit eine Erhebung vor, die diesen Befund dokumentieren
und auf die damit einhergehende Verarmung des gesellschaftlichen Lebens aufmerk-
sam machen soll.
Die Gefährdung der traditionellen Feste durch die Zulassung verkaufsoffener Sonn- und
Feiertage ohne jeglichen Anlassbezug ist aus meiner Sicht als Sozialethiker ein großer
gesellschaftlicher Schaden. Warum und inwiefern? Die traditionellen Feste, die übli-
cherweise als Anlass für die Zulassung von verkaufsoffenen Sonn- und Feiertagen her-
angezogen werden, werden in kleinen Kommunen wesentlich durch ehrenamtliches
Engagement getragen und sind durchweg durch die intensive Kooperation verschie-
denster kommunaler Akteure – Politik, Verwaltung, Wirtschaft, Kultur, Vereine und Kir-
chen – organisiert.
Weinfeste, Spargelfeste, Apfelblütenfeste, lokale Adventsmärkte, Kirchweihfeste, regio-
nale Landwirtschaftsmessen, Frühlings- oder Herbstmärkte und andere Feste sind keine
überlebten Formen hessischer Folklore, sondern Orte der Identifikation mit dem Wohnort
und oft Stätten intensiven ehrenamtlichen Engagements, aus denen sich Gemein-
schaftsgefühl und die Fähigkeit zur Integration speisen wie sonst nur noch selten in unse-
rer Gesellschaft. Das Miteinander in der Vorbereitung und Durchführung solcher Ereig-
nisse stellt eine unersetzbare Gelegenheit dar, um das kommunale Miteinander nicht
nur reduziert auf ökonomische Belange zu erleben und zu gestalten.
Im Rahmen solcher Feste finden fast immer Veranstaltungen für Senioren statt, deren
Programm durch lokale Vereine, Musikgruppen, kirchliche Gruppen, Landfrauen, Arbei-
terwohlfahrt und weitere örtliche Personengruppen bestritten werden. Es gibt fast immer
spezielle Programme für Kinder, die in gleicher Weise von den örtlichen Gruppen und
Vereinen organisiert und durchgeführt werden. Fast immer besteht für lokale Pflege-
heime die Möglichkeit, mit den in ihnen lebenden Menschen an diesen Festen teilzu-
nehmen, ebenfalls fast immer ehrenamtlich organisiert im Zusammenspiel ganz unter-
schiedlicher örtlicher Gruppen.
Kinder erleben an solchen Tagen, dass sich Erwachsene an Getränkeständen oder Im-
bissstuben ehrenamtlich engagieren, und gehören zum Teil selbst einer Gruppe an –
etwa eines Kindergartens oder eines Sportvereins, einer Musikgruppe oder einer Schul-
klasse –, die im Rahmen solcher Feste einen Auftritt hat.
Vors. Abg. Claudia Ravensburg: Herr Dr. Stroh, ich darf kurz unterbrechen. Ich muss ein
bisschen auf die Uhr schauen und bitte daher, sich heute auf den Gesetzentwurf zu
konzentrieren.
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WVA 19/16 – 16.04.2015
Herr Dr. Stroh: Ja. Doch aus genau diesem Grund, weil der Gesetzentwurf solche Soziali-
sationsmöglichkeiten und Erlebnispotenziale gefährdet und infrage stellt, sind wir aus
sozialethischer Sicht strikt dagegen, diesen Anlassbezug aufzuheben. Damit geraten
nämlich auch die Anlässe in Gefahr. Die im Anlassbezug genannten Feste bieten Parti-
zipations- und Kooperationsmöglichkeiten, die nicht aus finanziellen Möglichkeiten al-
lein erwachsen, sondern das breite Spektrum an Talenten und Fertigkeiten vor Augen
führen, die für ein gutes Zusammenleben vor Ort nötig sind.
All dies ist umso wichtiger, als die von mir in ihrer gesellschaftlichen Bedeutung so her-
ausgehobenen lokalen Feste schon jetzt – ohne dass in der Nachbarschaft verkaufsof-
fene Sonn- oder Feiertage stattfinden – unter großem Druck stehen. Dieses Erlebnispo-
tenzial würde noch zusätzlich gefährdet und infrage gestellt. Das wurde ja auch zuvor
schon gesagt.
Vors. Abg. Claudia Ravensburg: Ich muss noch einmal auf die Uhrzeit hinweisen, weil wir
ja noch mehr Anzuhörende haben. Ich glaube, Herr Dr. Stroh, Ihr Anliegen ist allen Ab-
geordneten klar geworden.
Frau Reidt: Auch ich danke, dass ich Stellung beziehen darf. Ich bin Mitarbeiterin des
Bistums Mainz in der Arbeitnehmer- und Betriebsseelsorge. Wie ich auch in meiner kur-
zen Stellungnahme geschrieben habe, schließe ich mich der Stellungnahme des Kom-
missariats der Bischöfe an und lehne diesen Gesetzentwurf ab. Mir ist es wichtig, noch
einmal aus der Perspektive meiner Tätigkeit und Funktion als Betriebsseelsorgerin einige
Aspekte zu verstärken und zu ergänzen.
Bezüglich des Gesetzentwurfs der FDP ist mir aufgefallen, dass als Problem die Anlassbe-
zogenheit benannt wurde und die daraus folgenden juristischen Prozesse. Ursprünglich
war es aber so, dass der Anlass eigentlich die Grundlage dafür war, dass überhaupt
geöffnet werden darf. Man hat gesagt: Aufgrund der Besucherströme, die durch diesen
Anlass entstehen, darf man öffnen. Es ist eine Verkehrung der Argumentation, wenn
jetzt der Anlass selbst als Problem dargestellt wird.
Ich möchte den Problemen, die im Antrag genannt sind – unter anderem das Konsum-
verhalten, der Onlinekonsum und auch die Wettbewerbsfähigkeit –, ein anderes Prob-
lem entgegenstellen. Es wurde schon mehrmals genannt. Bei meiner Tätigkeit bin ich
immer wieder in Betrieben. Die Arbeitswelt und die Gesellschaft sind geprägt von die-
sem globalen, liberalisierten Markt, von einem massiven Wettbewerbsdruck, Arbeitsver-
dichtung, Flexibilität – all den Themen, die bereits angeführt wurden. Dies führt in allen
Branchen sichtbar zu physischer und psychischer Belastung.
Zu mir als Seelsorgerin kommen immer wieder Personen, die von Erschöpfungssympto-
men betroffen sind. Auch innerhalb der Betriebe finden Bemühungen statt, werden Ge-
fährdungsanalysen bezüglich der wachsenden Krankenstände aufgrund psychischer
Belastung durchgeführt. Schlichtweg muss man branchenübergreifend sagen: Die Welt
schreit nach Ruhe, nach Entschleunigung, nach Unterbrechungen angesichts der An-
strengungen, die den Menschen in der Arbeitswelt abverlangt werden.
Gleichzeitig wird das Rad weiter angetrieben, auch durch die Aufweichung des Sonn-
tagsschutzes, die insofern ebenfalls kontraproduktiv ist, auch wenn zunächst der Ein-
druck entsteht, der Sonntag als Tag für Freizeitgestaltung und Konsum bringe Entspan-
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nung. Gerade im Hinblick auf die erforderliche Entlastung der Menschen glaube ich,
dass dieses Rad zu weit gedreht wird.
Ein Zweites, mit Blick auf die Beschäftigten im Einzelhandel: Wir alle wissen, dass die Be-
schäftigung im Einzelhandel oft prekär ist. Selbst wenn man gefragt wird, ob man freiwil-
lig am Sonntag arbeiten möchte, geht es manchmal schlichtweg darum, noch den
letzten Cent zusammenzukratzen, weil die Menschen dieses Geld brauchen. Auch da-
für stehe ich mit der Option als Betriebsseelsorgerin.
Immer wieder wird das Argument angeführt, Sonntagsöffnung sei wichtig, weil man
während der Woche keine Zeit zum Einkaufen habe. Da wird der Teufel mit dem Beel-
zebub ausgetrieben. Eigentlich muss eine Debatte darüber geführt werden, dass die
Entgrenzung der Arbeitszeiten insgesamt schon so weit fortgeschritten ist, dass es not-
wendig scheint, selbst den Sonntag mit einzubeziehen.
Ein Letztes zum Thema „Wettbewerbsfähigkeit erhalten“, da auch angeführt wurde,
dass andere Bundesländer lockerere Öffnungszeiten bzw. keinen Anlassbezug haben.
Meine Erfahrung mit dem Wettbewerbsdruck ist folgende: Wenn man nachzieht, be-
deutet das nur scheinbar eine Erleichterung, weil die nächste Gelegenheit kommt und
wieder einer nachlegt. Wir hatten das bei den Öffnungszeiten: Es begann mit einer
Ausweitung auf 20 Uhr, 22 Uhr, 0 Uhr. Der Druck des Wettbewerbs wird immer stärker.
Wenn man den Anlass jetzt herausnimmt, wird es in zwei Jahren wieder irgendetwas
geben, was es notwendig macht, das wieder neu zu diskutieren, und die Aufweichung
findet weiter statt.
Vielleicht noch ein Letztes, auch dieses Argument hatten wir noch nicht: Als Betriebs-
seelsorgerin habe ich auch mit Beschäftigten in Pflegeberufen und medizinischen Beru-
fen zu tun. Da geht es um notwendige Sonntagsarbeit, die nicht wegzudenken sind.
Nimmt man den Anlass aus dem Gesetz heraus, dann stellt man den Konsum und wirt-
schaftliches Interesse quasi gleichbedeutend neben diese Tätigkeiten, die unbedingt
erbracht werden müssen. Offensichtlich ist es überhaupt nicht mehr im Blick, dass Sonn-
tagsarbeit eigentlich für wichtige Bedarfe und Notwendigkeiten gedacht war. Man
würde diese beiden Bereiche dann gleichsetzen.
Ich glaube, dass mit einer Entscheidung, den Anlass aus dem Gesetz herauszunehmen –
was am Anfang als pragmatisch bezeichnet wurde –, nicht eine pragmatische Einzel-
entscheidung getroffen würde, sondern eine grundsätzliche Entscheidung, die den
Sonntagsschutz noch einmal ganz massiv gesellschaftlich auflöst.
Abg. Jürgen Lenders: Meine Fragen richten sich an das Kommissariat der Katholischen
Bischöfe und an die Beauftragte der Evangelischen Kirchen.
Ganz konkret: Von einigen Anzuhörenden wurde hier ja vertreten, dass man sich im
Grunde sogar für eine stärkere Regulierung der geltenden Gesetzgebung ausspreche.
Das habe ich bei Ihnen jetzt nicht so vernommen. Sprechen Sie sich also dafür aus, dass
es bei der jetzigen Gesetzesregelung bleiben soll?
Hier wurden eben sogenannte Erlebnispotenziale genannt, sprich Theater, Kino, Kirmes,
Messen usw. Würden Sie das genauso einschätzen? Auch Sportveranstaltungen wurden
angeführt. Sehen Sie in einem sonntäglichen Formel-1-Rennen am Hockenheimring die
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Gelegenheit zur seelischen Erhebung? Sehen Sie bei einem Besuch im Freizeitpark einen
Unterschied zu einem verkaufsoffenen Sonntag?
Letzte Frage: Liegen der Erhalt und die Förderung der Urbanität der hessischen Innen-
städte nicht auch im öffentlichen Interesse?
Abg. Hermann Schaus: Ich habe insgesamt vier Fragen. Zunächst würde ich Frau Prof.
Dr. Kläver von der katholischen Kirche bitten, noch einmal zu erläutern, wieso sie sich für
eine Reduzierung, eine Reglementierung der verkaufsoffenen Zeit ausspricht. Sie spra-
chen ja von 20 Uhr, maximal 22 Uhr. Wie sehen Ihre Erfahrungen dazu aus?
Meine nächste Frage richtet sich an Herrn Pfarrer Petrak von der KAB. Sie haben in Ih-
rem Beitrag die Versorgung der Bevölkerung angesprochen und erwähnten, dass es bei
Messen und Märkten historisch so war, dass deshalb geöffnet wurde, weil eine Versor-
gungssituation entstand. Ist es aus Ihrer Sicht und aus diesem historischen Grund denn
nach wie vor gerechtfertigt – nachdem die Versorgung inzwischen ja quasi direkt vor
Ort vorgenommen wird –, dass beispielsweise auch Möbelgeschäfte oder andere nicht
der Versorgung dienende Geschäfte öffnen?
Meine dritte Frage geht an Herrn Pfarrer Stroh. Sie haben die Wechselbeziehungen zwi-
schen großen und kleinen Gemeinden angesprochen und die gesellschaftliche Bedeu-
tung. Da geht es mir darum, ob Sie aufgrund Ihrer Arbeit Erfahrungen gemacht haben,
inwieweit eine Konkurrenzsituation entsteht zwischen großen Einrichtungen, die ein grö-
ßeres Interesse haben, sonntags zu öffnen, und kleinen? Ich habe das so verstanden;
deswegen meine Nachfrage. Führt das aus Ihrer Sicht dann auch zu einer Wettbe-
werbsverzerrung?
Die letzte Frage geht an Frau Reidt: Sie haben den Bezug zur Arbeitswelt hergestellt und
Ihre Erfahrung als Betriebsseelsorgerin angeführt. Gerade im Einzelhandel sind ja viele
Frauen betroffen. Ich wüsste ganz gern, wie Ihre Erfahrungen aus der Betriebsseelsorge
im Hinblick auf die Auswirkungen von Sonntagsarbeit auf Frauen aussehen, Stichwort:
Doppelbelastung, familiäre Situation.
Herr Dulige: Ich will nicht sagen, dass die Evangelischen Kirchen in Hessen mit dem vor-
liegenden Ladenöffnungsgesetz zufrieden sind, aber sie sehen keinen Novellierungsbe-
darf. Wir unterstreichen immer wieder, dass es sich um maximal vier offene Sonntage
handelt, und sind für jede Kommune dankbar, die diese Zahl unterschreitet.
Von daher sind wir mit dem derzeit geltenden Ladenöffnungsgesetz einverstanden, be-
sonders – daran habe ich gerade gedacht, deswegen will ich es noch zu Protokoll ge-
ben – seit der letzten Novellierung in der vorangegangenen Legislaturperiode, als die
Ladenöffnungszeiten am Gründonnerstag bis 20 Uhr festgesetzt wurden. Im Gegenzug
bekam die FDP zugestanden, Videotheken am Sonntag öffnen zu lassen. Mit dieser No-
vellierung des Ladenöffnungsgesetzes sind wir einverstanden und würden keine weite-
ren Regelungen vorsehen wollen.
Zweitens: Gibt es Unterschiede in der Art und Weise der Aufnahme? Ich habe vorhin ja
stark auf die Tradition abgehoben. Bei dem Verbot der Sonntagsarbeit waren, wenn Sie
auf die Tradition schauen, schon immer auch Ausnahmen mit im Spiel. Nicht unter das
Sonntagsgebot fielen immer schon die üblichen Hausarbeiten, ebenso die notwendi-
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gen Stallarbeiten. Sonntagsarbeit war erlaubt, wo immer es galt, einen akuten Notstand
zu beheben. Kranke Menschen müssen auch am Sonntag versorgt werden, Kranken-
häuser, Heime usw. Da kann man schon auch eine Traditionsreihe sehen. Nie die Rede
war allerdings von ökonomisierten Shoppingerlebnissen, die davon schon deutlich zu
trennen sind.
Drittens zur Frage von Herrn Lenders und der Ankurbelung der Urbanität: Ich glaube,
man kann da noch viel phantasievoller sein – auch mit einem restriktiv gehandhabten
Ladenöffnungsgesetz –, um Urbanität und eine Belebung der Innenstadt auch am Wo-
chenende zu kreieren. Da sind wir mit dem Latein noch lange nicht am Ende.
Frau Prof. Dr. Kläver: Ich kann mich den Ausführungen von Herrn Dulige anschließen.
Zum einen halten wir das Ladenöffnungsgesetz in seiner jetzigen Form mit vier anlassbe-
zogenen Sonntagen für hinnehmbar. Was ich zum Schluss als Anregung erwähnt habe,
ging dahin: Wenn wir es denn ändern würden, dann würde ich es für viel notwendiger
erachten, die mögliche 24-Stunden-Öffnung von Läden anzugehen, weil sich in der
Praxis, wie ich glaube, auch gezeigt hat, dass das kaum wahrgenommen wird. Grund-
sätzlich denke ich aber, dass wir gut daran tun, wenn wir das Ladenöffnungsgesetz las-
sen, wie es ist. Es hat sich im Großen und Ganzen so bewährt.
Zur Frage von Herrn Lenders zu den Sportveranstaltungen: Meine Ausführungen bezo-
gen sich auf Sportveranstaltungen, die das Vereinsleben betreffen, etwa Fußballveran-
staltungen und dergleichen. Ein Formel-1-Rennen, wie Sie es als Beispiel angeführt ha-
ben, fällt meines Wissens nicht unter das Ladenöffnungsgesetz, sondern ist eine Frage
des Feiertagsgesetzes, in dem ausdrücklich aufgeführt ist, welche Art von Veranstaltun-
gen an Sonn- und Feiertagen möglich sind.
Auch beim Stichwort Urbanität der Innenstädte möchte ich mich den Ausführungen
von Herrn Dulige anschließen. Ich glaube, es kann nicht der richtige Weg sein, Verfas-
sungsgrundsätze aufzuweichen, um die Urbanität der Innenstädte zu steigern. Dafür
müssen andere Konzepte neu gedacht werden.
Ich glaube, mit meinen Ausführungen habe ich auch schon die Frage von Herrn Schaus
beantwortet, der ja anfragte, wie ich mir eine solche Öffnung vorstelle.
(Abg. Hermann Schaus: Ja!)
Herr Petrak: Zum Versorgungsbedürfnis der Bevölkerung: Das Hessische Ladenöffnungs-
gesetz hat verschiedene Stellen, in denen von Reisebedarf oder in anderen Zusam-
menhängen von Waren des täglichen Gebrauchs die Rede ist. Auch in § 6 Abs. 2 wird
erwähnt, dass sich die Freigabe der Offenhaltung auf bestimmte Bezirke und Handels-
zweige beschränken kann. Das Gesetz kennt also sehr wohl eine Differenzierung des
Bedarfs.
Darin steckt eine Logik, die zum Wesen eines Anlasses gehört, nämlich dass es „erhebli-
che Besucherströme mit dringenden Bedürfnissen“ gibt – in diesem Sinne formulieren es
das Bundesverwaltungsgericht und der Hessische Verwaltungsgerichtshof. Diese Be-
dürfnisse müssen sozusagen hier und jetzt befriedigt werden. Natürlich ergibt sich da-
raus die Frage: Inwieweit muss man jetzt Läden öffnen, in welchen Handelszweigen, in
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welchen Bezirken, damit diesem prognostizierten Bedürfnis des zu erwartenden Besu-
cherstroms Abhilfe geleistet werden kann?
Nach meiner Beobachtung, nach meiner Wahrnehmung berücksichtigt die Praxis diese
Fragen überhaupt nicht. Das ist ein Fehler in den Genehmigungsverfahren. Es zeigt
auch auf, dass die antragstellenden Organisationen das überhaupt nicht im Blick ha-
ben. Meine mindeste Erwartung wäre, dass das stärker berücksichtigt wird, übrigens im
Sinne der Rechtssicherheit.
Herr Dr. Stroh: Die Konkurrenzsituation gibt es tatsächlich. Es gibt ja schon immer eine
gewachsene Tradition von Konkurrenz bei Kirmesfesten oder Winzerfesten zwischen be-
nachbarten Gemeinden. Da gibt es einen gewissen sportlichen Ehrgeiz, sich gegensei-
tig doch noch irgendwie zu übertrumpfen. Durch die Streichung des Anlassbezugs und
die Möglichkeit zur Ladenöffnung an Sonn- und Feiertagen wird das jetzt aber unfair.
Was das bedeuten kann, kenne ich aus der rheinland-pfälzischen Gemeinde, in der ich
zehn Jahre lang Gemeindepfarrer gewesen bin. Da mussten ein Winzerfest und ein Ad-
ventsmarkt ausfallen, weil sie sich für das ehrenamtliche Engagement einfach nicht
mehr rechneten. Das ist ein großer Schaden. Wir haben das hier in der Diskussion bisher
nicht so im Blick. Es geht mehr oder weniger immer um die großen Kommunen. Aber die
Auswirkungen einer solchen Gesetzesänderung auf kleine Kommunen und Stadtteile
mit ihren Festen ist, glaube ich, wirklich nicht zu unterschätzen.
Frau Reidt: Zur Situation der Beschäftigten im Einzelhandel: Ja, mein Eindruck aus den
letzten acht Jahren ist, dass der Einzelhandel einen großen Bereich prekärer Beschäfti-
gung hat. Wir haben es längst nicht mehr nur mit „Zuverdienerinnen“ zu tun, die das
Beibrot zum Verdienst des Mannes nach Hause bringen. Viele sind von diesem Verdienst
abhängig, und die Tarifbindung im Einzelhandel schwindet zunehmend.
Häufig haben wir es mit Frauen zu tun, die Kinder und Familien zu Hause haben. Sie
werden zwar vielleicht gefragt, ob sie freiwillig sonntags arbeiten möchten, haben im
Grunde aber keine Wahlfreiheit, weil sie schlichtweg auf jeden Cent angewiesen sind.
Die Sorge um diese Frauen und Familien ist berechtigt. Ob nun Anlass oder nicht, es
läuft auf das Gleiche hinaus: Die Sonntagsarbeit trifft die Beschäftigten, die sowieso
schon unten stehen. Die prekäre Beschäftigung wird in diesem Bereich nicht besser,
sondern eher schlechter. Daher möchte ich mich für diese Gruppe einfach einmal stark
machen, auch als Betriebsseelsorgerin und auch unter dem christlichen Aspekt.
Vors. Abg. Claudia Ravensburg: Damit ist die zweite Runde abgeschlossen. Als dritte
Gruppe sind die Gewerkschaften sowie die Handelsverbände gefragt.
Herr Bothner: Sehr geehrte Frau Vorsitzende Ravensburg, meine Damen und Herren! Die
jetzige Verfassung ist eindeutig, wurde heute hier im Raum schon gesagt. Dementspre-
chend ist Sonntagsarbeit, egal in welcher Form, die Ausnahme. Beim Ladenöffnungsge-
setz reden wir ja ohnehin schon von einer Ausnahme. Alle anderen Branchen haben,
wenn sie sonntags arbeiten wollen, dies entsprechend dem Arbeitszeitgesetz bzw. der
Bedarfsgewerbeverordnung – ein interessantes Stichwort hier in Hessen – genehmigen
zu lassen. Nur an dieser Stelle, beim Ladenöffnungsgesetz, ist es die Kommune, die da-
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rauf zu schauen hat, dass die Anlassbezogenheit, die das Gesetz ja vorsieht, dann auch
tatsächlich gewahrt bleibt.
Jetzt wissen wir – auch aus dem Urteil zur Bedarfsgewerbeverordnung hier in Hessen –,
und das kann man nicht oft genug wiederholen: Die Arbeitsruhe am Sonntag ist zu-
nächst die Regel. Ausnahmen davon brauchen einen „Sachzwang von Verfassungs-
rang“. Die Stärkung der Urbanität gehört dazu nicht. Im Urteil zur Bedarfsgewerbever-
ordnung kann man wortwörtlich nachlesen: Dabei können rein wirtschaftliche Interes-
sen von Unternehmen oder alltägliche Interessen der Kunden solche Ausnahmen nicht
rechtfertigen – nämlich sonntags zu öffnen. So das Bundesverfassungsgericht.
Von daher ist natürlich klar: Tätigkeiten, die an einem Werktag ausgeübt werden kön-
nen, sollen auch an einem Werktag getätigt werden. Einkaufen kann man an einem
Werktag. Von daher reden wir, wie gesagt, ohnehin schon von einer Ausnahme von
dieser allgemeinen Regel. Wenn dieser Ausnahme dann auch noch die Ausnahme ge-
nommen wird – nämlich die Anlassbezogenheit –, dann wird Sonntagsarbeit beliebig.
Wenn es dann nämlich ganz normal ist, dass man an vier Sonntagen ohne Anlassbezug
arbeiten kann, wird sich jede andere Branche ja ebenfalls fragen, warum das nicht
auch in ihrem Bereich möglich ist. Das kommt dann als Nächstes. Wir öffnen hier quasi
Tür und Tor und können die ganze Geschichte nicht mehr aufhalten.
Es wurde schon gesagt: In einer Stadt wie Frankfurt könnte dann in 43 Stadtteilen jeweils
vier Mal geöffnet werden, also praktisch jeden Sonntag. Das würde auch eine größere
Anforderung an die öffentliche Infrastruktur bedeuten, weil der Sonntag ja mehr oder
weniger zu einem Werktag würde. Dadurch verlöre auch in weiten anderen Bereichen
die Sonntagsruhe an Bedeutung: Der Sonntag würde zum Werktag, insbesondere in
größeren Städten.
Interessant ist auch: Eine wirtschaftliche Belebung des Einzelhandels ist durch die Sonn-
tagsöffnung ja gar nicht gegeben. Das müsste dann der Logik folgen: Wenn man sonn-
tags aufmacht, steigt zwangsläufig der Umsatz. Dem ist nicht so.
Gerade in Hessen, wo unter der Woche schon von 0 bis 24 Uhr geöffnet werden kann,
stellen wir fest, dass nicht mehr Umsatz generiert wird, sondern dass im Gegenteil viele
Einzelhändler gar nicht mehr mitkommen. Wenn sie mit Größeren konkurrieren wollen,
brauchen sie entsprechend mehr Personal und zahlen mehr Nebenkosten, Heizkosten
usw. Das funktioniert hinten und vorne nicht. Interessanterweise wird gerade in Ländern
wie Bayern oder dem Saarland, die unter der Woche etwas eingeschränktere Öff-
nungszeiten haben, mehr Umsatz generiert als hier in diesem Lande. Das sollte man ent-
sprechend berücksichtigen.
Ich möchte jetzt eingedenk der Zeit nicht mehr auf die physischen und psychischen
Belastungen der am Sonntag Arbeitenden eingehen. Sonntagsarbeit soll, wie gesagt,
nur ausnahmsweise erfolgen, so es für unsere Gesellschaft notwendig ist, weil jede Form
von Sonntagsarbeit mit physischen und psychischen Belastungen einhergeht. Dies ist zu
verhindern. Die Sonntagsruhe soll darüber hinaus der geistigen Erbauung und zum Aus-
ruhen dienen; das ist gerade angesichts einer 24-Stunden-Gesellschaft wichtig.
Von daher ist der Gesetzentwurf aus unserer Sicht vollumfänglich abzulehnen. Ich wage
einmal eine Prognose: Sollte der Gesetzentwurf in Hessen tatsächlich umgesetzt wer-
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den, na ja, dann müsste man wieder von den Gerichten klären lassen, ob der Anlass-
bezug in Hessen dann nach wie vor noch Gültigkeit hätte oder nicht.
Herr Laux: Frau Vorsitzende, meine Damen und Herren! Zunächst noch eine kleine Er-
gänzung: Ich spreche nicht nur für die IHK Frankfurt, sondern auch für hessischen Indust-
rie- und Handelskammern. – Seit 2006, als der erste Entwurf des Hessischen Ladenöff-
nungsgesetzes auf dem Tisch lag, haben wir zwei wesentliche Anliegen.
Eines davon ist, dass der Anlassbezug gestrichen werden soll. Der Anlassbezug entbehrt
unserer Auffassung nach eines Sinns. Die Veranstaltungen, aus deren Anlass heraus ver-
kaufsoffene Sonntage durchgeführt werden dürfen, bedürfen dieser Versorgung durch
den Einzelhandel, die historisch dahintersteht, nicht mehr. Es ist heute völliger Standard,
dass bei jeder Großveranstaltung die Besucher vom Veranstalter versorgt werden, so-
dass der Einzelhandel an der Stelle nicht erforderlich ist.
Umgekehrt führt dieser Anlassbezug aber dazu – ein Beispiel ist da Frankfurt –, dass hän-
deringend nach entsprechend großen Veranstaltungen gesucht werden muss. Das ge-
lingt in einer Kommune wie Frankfurt noch, nämlich häufig eben durch Großmessen.
Doch viele kleine Kommunen finden zum Teil überhaupt keinen geeigneten Termin
mehr, weil sie gar keine entsprechend großen Veranstaltungen haben.
Oder aber wir haben das gemeinsame Problem, dass die Termine ungeeignet sind. Das
führt vielfach dazu, dass wir am Gehaltsmonatsende einen verkaufsoffenen Sonntag
durchführen müssen oder in den Ferien oder aber zu Jahreszeiten, in denen das Wetter
üblicherweise nicht mehr das beste ist, wodurch die Menschen auch nicht so gerne auf
die Straße gehen. Dies ergibt Konstellationen, die eigentlich keinem dienen.
An dieser Stelle muss man, glaube ich, auch einmal anmerken: Bei aller Kritik, die hier
geäußert worden ist, muss man doch sehen, dass verkaufsoffene Sonntage auch einen
gewissen gesellschaftlichen Konsens haben. Dafür spricht, wie viele Menschen zu die-
sen verkaufsoffenen Sonntagen gehen, wenn sie denn durchgeführt werden.
Es wurde jetzt ja viel über Kommerz usw. gesprochen. Das steht heute eigentlich gar
nicht mehr im Vordergrund, wenn der Einzelhandel über verkaufsoffene Sonntage
spricht. Es geht eigentlich um etwas ganz anderes.
Ich darf an dieser Stelle vielleicht ergänzen: Die IHK Frankfurt hat Ende letzten Jahres
eine Passantenbefragung in der Frankfurter Innenstadt durchgeführt. Eines der interes-
santen Ergebnisse war, dass etwa ein Viertel der Befragten geantwortet hat, dass sie
seltener in die Innenstadt gehen, weil sie zunehmend online einkaufen. Das spricht
schon für sich.
Ich kann Ihnen aber auch Weiteres berichten. Die Frankfurter Innenstadt gehört hes-
senweit gesehen sicher zu den attraktivsten Einkaufsbereichen, die unser Bundesland
hat. Es mehren sich aber auch auf der Zeil die Stimmen von Händlern, die über Fre-
quenzrückgänge klagen.
(Zuruf von der SPD: Geldmangel!)
Jetzt mögen Sie einwenden: Die klagen auf hohem Niveau. Damit werden Sie nicht
ganz Unrecht haben. Dennoch ist das ein Alarmsignal. Ich glaube, es hat wenig Sinn, zu
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warten, bis auch in den attraktiven Einkaufsstraßen von Mittelstädten, größeren Städten
und Großstädten erste Leerstände zu erkennen sind. Erfahrungsgemäß ist es dann,
wenn wir so weit sind, zu spät; dann drehen Sie das Rad nicht mehr zurück.
Das heißt, wir müssen uns angesichts des Strukturwandels im Einzelhandel, der uns schon
seit Jahren begleitet und der gerade in kleinen Kommunen bis hin zu mittleren Kommu-
nen sehr, sehr deutlich erkennbar ist – jetzt noch ergänzt durch die neue Komponente
des Onlinehandels –, rechtzeitig überlegen, wie wir den Einzelhandel befördern können.
Ich glaube, das ist unstrittig: Der Einzelhandel ist für die Attraktivität der Innenstädte der
Magnet. Die Attraktivität unserer europäischen Innenstädte, auf die wir zu Recht stolz
sind, macht aus, dass sie multifunktional sind. Primär gibt es natürlich Einzelhandel, das
ist klar, aber es gibt daneben viele andere Gewerbetreibende, seien es nun gastrono-
mische Betriebe, die Unterhaltungsbranche, Dienstleister, Freiberufler oder wer auch
immer. Dieser Mix macht es aus. Wenn wir an dieser Stelle zulassen, dass der Einzelhan-
del geschwächt wird, hat das bisweilen ganz fatale Folgen für den Rest der Gewerbe-
treibenden in diesen Innenstädten. In den Kleinstädten können Sie sich das Ergebnis
anschauen.
Deswegen ist unser Petitum: Wir wollen nicht, dass irgendein Händler in Hessen öfter als
vier Mal im Jahr an einem Sonn- oder Feiertag öffnen kann. Das ist ganz klar; das ist
auch Konsens. Neben mir sitzt Herr Kullmann vom Einzelhandelsverband. Da gibt es
überhaupt keine unterschiedlichen Meinungen. Mehr soll es nicht geben.
Aber wir haben einen anderen Punkt, und das ist die zweite Forderung, die wir seit 2006
immer wieder formuliert haben: Wir sehen die besonderen Probleme der Stadtteile,
auch in Frankfurt. Es wurde wiederholt hier in die Diskussion eingeführt, dass Frankfurt 43
Stadtteile hat; das ist richtig. Es wurde dann der Eindruck erweckt, dass wir plötzlich 43
und mehr verkaufsoffene Sonntage in Frankfurt haben, wenn man für die Stadtteile se-
parate Termine vorsieht. Ich kann Ihnen nur eines sagen: Das ist blanke Theorie. Blanke
Theorie schon deswegen, weil in den meisten Frankfurter Stadtteilen kaum noch Einzel-
handel anzutreffen ist.
Da schließt sich der Kreis meiner Argumentation: Das müssen wir verhindern. Planungs-
wille der Stadt Frankfurt ist eine Stärkung der Nahversorgung in den Stadtteilen. Ich
glaube, es gibt hier im Raum Konsens, dass das ein gutes Ziel ist. Dann müssen wir aber
auch Grundlagen schaffen, um das zu ermöglichen. Neben mir sitzt auch Herr Steul, er
ist Vorsitzender des Dachverbands der Frankfurter Gewerbevereine. Zentrale Aufgabe
dieses Dachverbands ist, in den Stadtteilen einen verkaufsoffenen Sonntag zu organisie-
ren, der exklusiv den Frankfurter Stadtteilen vorbehalten ist. Herr Steul, wie viele Stadttei-
le machen mit?
(Herr Steul: 15!)
Sie sehen, die Zahlen, die im Raum stehen, entbehren jeglicher sachlicher Grundlage.
Wir sprechen über 15 Stadtteile. Darunter sind einige, in denen es kaum Einzelhandel
gibt. Diejenigen, die da mitmachen, sind schon wirklich tapfer. Wenn diese Stadtteile
an Sonn- oder Feiertagen öffnen, haben sie nur dann eine Chance, bei ihren Kunden
überhaupt wahrgenommen zu werden, wenn zu dieser Zeit die Innenstadt von Frankfurt
geschlossen hat. Nur dann funktioniert es; das ist völlig klar. Wenn die Frankfurter Innen-
stadt öffnet – ich erwähne jetzt immer das Beispiel Frankfurt, weil ich das am besten
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kenne; das gilt für viele andere Städte in Hessen aber auch –, brauchen die Einzelhänd-
ler in den Stadtteilen nicht mehr zu öffnen, weil dort kein Mensch sein wird.
Die Stadt Frankfurt, die das Problem natürlich erkannte, hat sich aufgrund der aktuell
geltenden Rechtslage damit beholfen, einen der vier verkaufsoffenen Sonntage den
Stadtteilen vorzubehalten. Sie können sich vorstellen, dass das nicht auf ungeteilte Lie-
be gestoßen ist, denn der Innenstadt fehlt eben ein verkaufsoffener Sonntag. Das kön-
nen Sie jetzt als Kommerz abtun. Das würde ich aber nicht empfehlen, denn von die-
sem Kommerz, der hier immer despektierlich so bezeichnet wird, leben wir nun einmal
alle.
Unser Vorschlag weicht geringfügig von dem vorliegenden Änderungsentwurf ab. Wir
glauben nicht, dass es zwingend notwendig ist, allen Stadtteilen separate Termine für
verkaufsoffene Sonntage einzuräumen, weil diese nicht in Anspruch genommen wer-
den würden. Unser Vorschlag geht dahin, dass wir einen dieser vier verkaufsoffenen
Sonntage zu zwei unterschiedlichen Terminen ermöglichen, nämlich einmal für die
Stadtteile und einen Termin als vierten Termin für die jeweiligen Innenstädte.
(Abg. Frank-Peter Kaufmann: Sie wollen also einen fünften Termin!)
Ich will kurz noch auf die verfassungsrechtlichen Bedenken eingehen. Hier wird immer
wieder die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über das Berliner Ladenöff-
nungsgesetz zitiert. Ich glaube nicht, dass Ihre Lesart richtig ist, wenn Sie aus dieser Ent-
scheidung herauslesen, dass ein Gesetz nur dann verfassungskonform sei, wenn es die-
sen Anlassbezug beinhaltete. Sie müssen sich nur einmal vor Augen halten, dass Berlin
auch nach dieser Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts noch zehn verkaufsof-
fene Sonntage hat. Unter diesen zehn verkaufsoffenen Sonntagen sind zwei, die jedes
einzelne Geschäft selbst wählen kann.
Ich glaube daher, dass die Argumentation, die wir heute wiederholt hier gehört haben,
nicht sehr tragfähig ist. Darüber hinaus ist zu erwähnen, dass es vier Bundesländer gibt,
die schon derzeit keinen Anlassbezug in ihren Gesetzen haben. Auch das spricht dafür,
dass es vielleicht auch so geht.
Vors. Abg. Claudia Ravensburg: Vom Einzelhandelsverband ist Herr Kullmann anwe-
send. Ich darf informieren, dass heute Ihre verspätet eingetroffene schriftliche Stellung-
nahme an die Abgeordneten verteilt worden ist, sodass Sie den Inhalt nicht zu wieder-
holen brauchen, sondern Ihre zusätzlichen Aspekte mündlich einbringen können.
Herr Kullmann: Frau Vorsitzende, meine Damen und Herren! Ich kann mich im Wesentli-
chen dem anschließen, was der Kollege Laux gesagt hat. Ich will aber unsere gemein-
same Stellungnahme für die Einzelhandelsverbände Hessen Nord und Süd sowie für die
Vereinigung der hessischen Unternehmerverbände abgeben. Wir begrüßen den Ge-
setzentwurf der FDP-Fraktion, fügen aber gleich hinzu, dass es uns nicht darauf an-
kommt, das Ladenöffnungsgesetz zu erweitern. Wir wollen lediglich den Anlassbezug für
die vier verkaufsoffenen Sonntage wegfallen lassen.
Wir gehen davon aus, dass eine solche Gesetzesänderung dazu führen würde, gleiche
Wettbewerbsbedingungen für Sonntagsöffnung in allen Gemeinden zu schaffen und
Standortnachteile zu beseitigen. Verbraucher und Handel erhielten Planungssicherheit,
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damit nicht Situationen wie in diesem bzw. dem vergangenen Jahr eintreten, bei de-
nen der Verwaltungsgerichtshof die eine oder andere Entscheidung oder den einen
oder anderen verkaufsoffenen Sonntag kippte.
Weiterhin gehen wir davon aus, dass mit diesen Vorschlägen auch nicht gegen die Ent-
scheidung des Bundesverfassungsgerichts zu den Berliner Ladenöffnungszeiten versto-
ßen wird. Das Bundesverfassungsgericht hat ja nur die Massivität der Öffnungszeiten im
Dezember beanstandet. Der Kollege Laux hat vorgetragen, dass in Berlin nach wie vor
mehr als vier verkaufsoffene Sonntage stattfinden und genehmigt werden.
Ferner ist anzumerken, dass die Beschäftigung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern an
den genehmigten Sonntagen bereits jetzt auf freiwilliger Basis erfolgt. Daran würde sich
aufgrund der von uns vorgeschlagenen Änderung nichts ändern. Der Arbeitnehmer-
schutz wird damit gewahrt.
Der Umstand, dass nur zu bestimmten Anlässen an Sonntagen geöffnet werden kann –
bis zu vier Sonntage –, hat hessenweit dazu geführt, so lauten jedenfalls die Mitteilungen
vieler Mitgliedsbetriebe, dass in einigen Gemeinden keine verkaufsoffenen Sonntage
stattfinden können, in anderen Gemeinden nicht die gewünschte Zahl oder zu unge-
eigneten Terminen. In einigen Gemeinden ist die Genehmigungspraxis sehr liberal, in
anderen sehr eng. Dies alles wurde verschärft durch einige Verwaltungsgerichtsverfah-
ren im Jahr 2012. Die Vorgaben werden inzwischen in der Tat sehr eng ausgelegt.
Für den Handel als solchen sind die vier verkaufsoffenen Sonntage ohne Anlassbezug
auch ein Stadtmarketinginstrument und dienen natürlich auch der Standortsicherung
der Innenstadt. Die Diskussion zum Onlinehandel kennen Sie alle. Wir haben im vergan-
genen Jahr eine Umfrage durchgeführt, wobei sich herausgestellt hat, dass auch in
Hessen insbesondere an den Sonntagen verstärkt im Onlinehandel eingekauft wird. In-
soweit brauchen wir im Handel dieses Standortmarketinginstrument.
Wir gehen weiterhin davon aus, dass durch diese Regelung der gesetzliche Feiertag
geschützt bleibt. Das steht außer Frage. Ich weise abschließend aber darauf hin, dass
es genügend andere Dienstleister gibt, die bereits sonntags geöffnet haben, und zwar
regelmäßig. In unserem Fall stehen insgesamt nur 20 Stunden im Jahr zur Diskussion.
Herr Steul: Ich bin selbst Einzelhändler in Frankfurt und habe ein Spielwarengeschäft. Ich
bin Gewerbevereinsvorsitzender von Frankfurt-Bornheim; die Berger Straße ist vielleicht
bekannt. Zugleich bin ich seit einem Jahr Vorsitzender des Dachverbands Frankfurter
Gewerbevereine.
Ich hatte etwas vorbereitet, aber das brauche ich eigentlich nicht mehr komplett vorzu-
tragen – meine Ansprache hätte vielleicht besser am Anfang gepasst. Ich bedanke
mich aber bei Herrn Laux, der sich für die Stadtteile starkgemacht hat. Beispielsweise
die Berger Straße hat immer versucht, an den vier Sonntagen teilzunehmen, damit wir
im Umfeld noch erkannt werden.
Sie müssen sich das so vorstellen: Viele Familien sehen sich nur sonntags; das wurde hier
intensiv ausgebreitet. Dann machen sie einen Ausflug – mal ins Sportcenter, zum Fuß-
ball, oder sie gehen morgens in die Kirche – wir öffnen die Geschäfte ja auch erst um
13 Uhr. Wenn die Leute in Frankfurt-Bornheim wohnen, gehen sie unter Umständen auch
einmal in die Berger Straße. Die Struktur der Menschen, die an diesen Tagen kommen,
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ist eine ganz andere als die Woche über: Da kommen Großvater, Mutter, Großmutter,
Tante usw. Sie strömen durch die Geschäfte und kaufen eigentlich gar nicht so viel,
aber ich kann sagen: Wir brauchen das, denn wir wollen uns präsentieren: Hier sind wir!
Beispielsweise mein Geschäft ist 1876 gegründet worden, von meinem Urgroßvater.
Wir brauchen diese Sonntage. Wenn die Innenstadt aufmacht – da kann ich dem nur
beipflichten, was Herr Laux gesagt hat –, dann ist die Berger Straße tot. Aus eigener Er-
fahrung kann ich am besten von unserer Straße sprechen. Mittlerweile war es so weit,
dass ich keinen Kollegen mehr aktivieren konnte, wieder zu öffnen.
Im letzten Jahr hatten wir zum zweiten Mal eine richtig gute Organisation für diesen
Stadtteilsonntag – so nennt er sich bei uns. Natürlich haben wir auch die Vereine dabei.
Vorhin klang ja an, dass die Vereine sehr zu kämpfen haben. Wir haben das so gelöst,
dass wir die Vereine zu uns einladen. Wir haben in Bornheim 72 Vereine. Davon treten
z. B. in diesem Jahr 25 Vereine auf einem Abschnitt der Straße auf und können sich dort
präsentieren. Das ist eine Lösung, die man dann suchen muss. Jedenfalls ist an diesem
Stadtteilsonntag, den wir eigentlich Herrn Frank zu verdanken haben und an dem nicht
die Innenstadt, sondern nur die Stadtteile teilnehmen dürfen, in den Stadtteilen richtig
etwas los.
Deshalb bitte ich Sie, die Gesetzgebung möglichst so zu gestalten, dass die Rechtssi-
cherheit erhalten bleibt – das steht auch in meiner Stellungnahme. Das ist das Wichtigs-
te. Sie müssen sich vorstellen: Sie planen einen Sonntag, organisieren Hüpfburg und Ka-
russell, und dann wartet man bis zum letzten Tag. Jedenfalls in Frankfurt war das so, als
einmal ein Sonntag storniert wurde. Es kam erst drei, vier Tage vorher heraus, dass die
Sache abgeblasen war. Das gibt es jetzt zum Glück nicht mehr, weil wir im Moment na-
türlich schauen, dass wir Großveranstaltungen im Hintergrund haben.
Vors. Abg. Claudia Ravensburg: Ich sehe jetzt keine Wortmeldungen von Abgeordne-
ten mehr. Dann frage ich die Anzuhörenden: Es gab noch eine Gruppe der Frauenver-
bände; ist noch ein Sprecher hier im Raum? Wenn das nicht der Fall ist, haben wir nun
alle Sachverständigen angehört.
(Abg. Hermann Schaus: Hier auf meiner Liste habe ich noch die Allianz für den
freien Sonntag als anzuhörenden Verband!)
– Von diesem Verband haben wir eine Absage notiert. Ist denn ein Vertreter hier? – Gut,
dann können Sie selbstverständlich noch Ihre Stellungnahme abgeben.
Herr Gobrecht: Wir hatten nicht abgesagt, sondern uns explizit angemeldet. – Die hessi-
sche Allianz für den freien Sonntag kooperiert seit 2010 mit Kirchen – der evangelischen
und der katholischen Seite –, mit Gewerkschaften und mit vielen anderen Sozialver-
bänden. Wir sind gegen jeden verkaufsoffenen Sonntag in Hessen, wie unsere Allianz
auch bundesweit gegen jeden verkaufsoffenen Sonntag auftritt.
Ich will nur einige Anmerkungen zum Gesetzentwurf machen und sehe schon heute,
dass das bestehende und gar nicht einmal so restriktiv gehandhabte Hessische Laden-
öffnungsgesetz verballhornt wird. Ich will ein aktuelles Beispiel nennen. In Weiterstadt soll
am 3. Mai ein verkaufsoffener Sonntag stattfinden. Anlass ist das „Spargel- und Grillfesti-
val“. Es wird nicht von der Stadt Weiterstadt ausgerichtet, sondern von Spargelbauer
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Lipp und der Großmetzgerei Hamm veranstaltet. Wenn diese Form, die Rechtsprechung
und auch das Ladenöffnungsgesetz zu unterlaufen und inflationär Anlassbezüge zu
schaffen, nicht gestoppt wird, wird das über kurz oder lang darauf hinauslaufen, dass
der 90. Geburtstag von Segmüller in Weiterstadt zu einem Fest genutzt wird, das man
dann als Anlassbezug für einen verkaufsoffenen Sonntag nimmt. Dagegen müssen wir
uns wehren.
Ich will auf etwas hinweisen, was Herr Sozialminister Grüttner im Sommer letzten Jahres
auf eine Anfrage des Hessischen Städtetags zum Anlassbezug gesagt hat. Er hat festge-
stellt, und das ist vom Städtetag auch entsprechend veröffentlicht worden, dass durch
den Anlassbezug die Besonderheit der Sonntagsöffnung unterstrichen werde, während
die Gewährleistung der Sonn- und Feiertagsruhe die Regel sein müsse, sodass eine Aus-
nahme hiervon eines Sachgrundes bedürfe.
Dies entspricht – egal was Herr Laux vorträgt – exakt der Rechtsprechung des Bundes-
verfassungsgerichts. Ich weiß nicht, wer diese Rechtsprechung liest. Dort steht im Urteil
vom 1. Dezember 2009: Eine ausnahmsweise Öffnung an Sonntagen ist nur zulässig,
wenn dafür ein dem Sonntagsschutz gerecht werdender Sachgrund besteht. Die An-
forderungen an den Sachgrund steigen mit dem räumlichen und zeitlichen Umfang der
Öffnungsmöglichkeiten. Je umfangreicher die Öffnungsmöglichkeiten an Werktagen
sind, umso geringer ist das Bedürfnis für Sonntagsöffnungen.
Das Hessische Ladenöffnungsgesetz erlaubt Ladenöffnungen von Montag 0 Uhr bis
Samstag 24 Uhr. Wann soll da an Werktagen noch weiter geöffnet werden? Das Bun-
desverfassungsgericht hat das entsprechend unterstrichen. Sonntagsöffnung ist für Hes-
sen eigentlich völlig unnötig, weil schon sonst, unter der Woche, immer geöffnet wer-
den darf.
Diese Rechtsprechung wird auch unterstützt vom Oberverwaltungsgericht in Bautzen
mit einem Urteil von 2010 und vom Verwaltungsgerichtshof München, die eindeutig sa-
gen, dass der Anlassbezug ein Bestimmungsgrundsatz der Ladenöffnungsgesetze sein
muss.
Zu dem immer genannten Beispiel Rheinland-Pfalz, wo es im Ladenöffnungsgesetz kei-
nen Anlassbezug gibt: Auch dort spricht das Oberverwaltungsgericht in seinem Urteil
vom Mai 2014 davon, dass es verfassungsgemäß sei, wenn es keinen Anlassbezug im
Ladenöffnungsgesetz gebe, da sich bereits aus der Landesverfassung und dem Grund-
gesetz ergibt, dass eine Sonntagsöffnung nur beim Vorliegen eines Sachgrundes zuläs-
sig ist. Eindeutiger kann man das selbst aus Rheinland-Pfalz nicht erfahren.
Insofern halten wir, die Allianz für den freien Sonntag Hessen, den Gesetzentwurf für ver-
fassungswidrig und für rechtswidrig, so wie viele verkaufsoffene Sonntage, die in Hessen
veranstaltet werden und wozu eigens Anlässe kreiert werden.
Ein letzter Punkt, den ich noch benennen will: Wenn ständig der Verdrängungswettbe-
werb im Einzelhandel als Ursache, als Begründung für verkaufsoffene Sonntage heran-
gezogen wird, dann müssten sich diejenigen, die das immer vortragen, an die eigene
Nase packen. Denn der Verdrängungswettbewerb kommt ja nicht wie der Regen von
oben – und auch der hat Ursachen; wenn es saurer Regen ist, wissen wir auch, welche.
Der Verdrängungswettbewerb wird von denjenigen entfacht, angeheizt und weiterge-
trieben, die auch immer für verkaufsoffene Sonntage eintreten. Insofern ist er selbstge-
macht.
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Ein Zurücknehmen der Auseinandersetzung würde vielleicht dazu führen, dass die La-
denöffnungszeiten werktags auf 20 Uhr zurückgefahren werden könnten und die Um-
sätze trotzdem generiert würden – in einer geringeren Zeit, denn die Umsätze stagnie-
ren, wie Frau Schäven sagte, ja tatsächlich seit Jahren.
Was den Onlinehandel im Internet betrifft, nur eine Anmerkung. Fast alle Großen und
viele Kleine sind mittlerweile im Onlinehandel aktiv. Insofern machen sie sich selbst Kon-
kurrenz. Ich verweise als Beispiel auf eine Online-Anzeige der Galeria Kaufhof zum
1. Advent, der nicht verkaufsoffen sein darf, wie das Ladenöffnungsgesetz sagt. In die-
ser Anzeige wird geworben mit den Adventsangeboten von Kaufhof: „bis zu 37 % Ra-
batt“.
Ich kann nur sagen: Diejenigen, die hier für den verkaufsoffenen Sonntag plädieren und
vehement für die Streichung des Anlassbezugs eintreten, sind auch diejenigen, die letzt-
lich davon profitieren.
Von einer Freiwilligkeit des Einsatzes der Beschäftigten kann dabei nicht die Rede sein,
zumindest nicht flächendeckend. Viele Kolleginnen und Kollegen aus dem Einzelhandel
kommen zu uns und sagen uns: Die Freiwilligkeit meines Einsatzes besteht darin, dass mir
gesagt wird, du fliegst raus, wenn du sonntags nicht arbeitest. – Das ist der Hintergrund.
Deswegen wird hier, wie Rainer Petrak schon sagte, mit Beschwichtigungen und mit
falschen Argumenten gehandelt. Das lehnen wir ab – wie den verkaufsoffenen Sonntag
grundsätzlich.
Vors. Abg. Claudia Ravensburg: Es tut mir leid, Herr Gobrecht. Mir war signalisiert wor-
den, dass der Verband abgesagt habe. Ich frage die Kollegen, ob es Nachfragen an
Herrn Gobrecht gibt? – Das ist nicht der Fall.
Dann darf ich mich bei den Anzuhörenden für ihre sach- und fachkundigen Beiträge
bedanken und Ihnen allen einen schönen Nachhauseweg wünschen. Das Gleiche gilt
für die Kollegen und den Vorsitzenden des Ausschusses für Wirtschaft und Verkehr. Ich
bedanke mich für die Beteiligung an unserer gemeinsamen Anhörung.
Die Mitglieder des Sozial- und Integrationspolitischen Ausschusses bitte ich, hier im Raum
zu bleiben, damit wir im Anschluss mit unserer nächsten Sitzung fortfahren können.