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Seminarkurs im Schuljahr 2012 2013

2. Reihe v.l.n.r.: Lioba Spinner, Katharina Renner, Sophia Steinhäuser, Anna Arbinger, Ezgi Aksoy, Sofia Schulz. Niclas Frericks, Johannes Dürr, Lorenz Retzbach, Philipp Engert 1.Reihe v.l.n.r.: StR Stefan Nagelstutz, Miriam Sommer, Lukas Weißenberger, Leonard Schwägerl, Johannes Nitschke , StR'in Sabrina Krebs

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Seminarkurs im Schuljahr 2012 / 2013,

Martin - Schleyer - Gymnasium in Lauda Königshofen

Schleyer und Volapük - Geschichte und Linguistik

Seminararbeiten aus dem Schuljahr 2012 / 2013

© 2013 Philipp Engert, Leonard Schwägerl

Herausgeber Philipp Engert und Leonard Schwägerl

Autoren Ezgi Aksoy, Anna Arbinger, Johannes Dürr, Niclas Frericks, Johannes

Nitschke, Katharina Renner, Lorenz Retzbach, Sofia Schulz, Miriam Sommer, Lioba

Spinner, Sophia Steinhäuser und Lukas Weißenberger

Lektorat, Korrektorat StR Stefan Nagelstutz und StR'in Sabrina Krebs

Gestaltung Leonard Schwägerl

Verlag tredition GmbH, Hamburg

ISBN: 978-3-8495-7238-9

Alle Rechte vorbehalten!

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Gliederung

1. Vorwort der Herausgeber

2. Vorwort der betreuenden Lehrkräfte

3. Reinhard Haupenthals Vortrag über Johann-Martin-Schleyer und Volapük

4. Seminararbeiten der Schüler des Johann-Martin-Schleyer – Gymnasiums über

„Schleyer und Volapük, Geschichte und Linguistik“

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Wolfgang BrejschkaArbeitsrecht / Handelsvertreterrecht / Wettbewerbsrecht / Strafrecht

Karl Schwägerl auch Fachanwalt für VerkehrsrechtVerkehrsunfallrecht / Verkehrsstraf- und OWI-Recht / Versicherungsrecht / Führerscheinrecht

Dr. Claus BohnenbergerRecht der Kapitalanlagen / Bankrecht / privates Baurecht / Architektenrecht / Grundstücks- und Immobilienrecht

Dr. Alexander Grün auch Fachanwalt für Erbrecht, für FamilienrechtErbrecht / Vermögensnachfolge / Familienrecht / Jagd- und Waffenrecht

Dr. Rüdiger Herzog auch Fachanwalt für Arbeitsrecht, für Handels- und GesellschaftsrechtArbeitsrecht / Handels- und Gesellschaftsrecht / Wirtschaftsrecht / Unternehmensbetreuung und -beratung

Mario Aulbach auch Fachanwalt für ArbeitsrechtArbeitsrecht / Recht des öffentlichen Dienstes / Verkehrsrecht / OWI-Recht / Vertragsrecht

Dr. Susanne Werner-Eschenbach auch Fachanwältin für Bank- und Kapitalmarktrecht Recht der Kapitalanlagen / Bankrecht / Allgemeines Vertragsrecht

Daniela Naumann auch Fachanwältin für Medizinrecht, für SozialrechtMedizinrecht / Arzthaftungsrecht / Berufsrecht der Heilberufe / Allg. Vertragsrecht / Sozialrecht / Reiserecht

Nikolaus Hantke auch Fachanwalt für Miet- und WohnungseigentumsrechtMietrecht / Wohnungseigentumsrecht / AGB-Recht / privates Baurecht / Architektenrecht

Julia Scheuermann auch Fachanwältin für VersicherungsrechtVersicherungsrecht / Mietrecht / Öffentliches Recht / Allgemeines Zivilrecht

Bernd BorchardtIT-Recht / Versicherungsrecht / Urheberrecht / Medizinrecht / Sozialrecht

Dr. Stephan WilmsFamilienrecht / Erbrecht / Allgemeines Zivilrecht / Arbeitsrecht

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Verkehrsunfallfolgen ?

Vermögensnachfolge ?

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1. Vorwort der Herausgeber

Der 100. Geburtstag des Namensgebers unserer Schule, Johann Martin Schleyer,

war ein passender Anlass, um sich im Rahmen eines Seminarkurses mit dem Thema

"Schleyer und Volapük - Geschichte und Linguistik" zu beschäftigen. Auf Grund der

intensiven Auseinandersetzung mit diesem für unser Gymnasium bedeutsamen

Thema, erschien es allen Beteiligten wichtig, die entstandenen Seminararbeiten nicht

nur als Einzelwerke, sondern als Gesamtwerk in Buchform zu veröffentlichen. Die in

diesem Buch gedruckten Seminararbeiten befassen sich mit dem Leben und Wirken

Schleyers sowie mit seiner Weltplansprache Volapük. Die Arbeiten entstanden über

das gesamte Schuljahr 2012/2013.

Unser Dank geht in erster Linie an die Autoren der Seminararbeiten, die durch

Geduld und Fleiß interessante und lesenswerte Aufsätze verfasst haben.

Wir möchten auch den Sponsoren danken, denn ohne deren Unterstützung wäre

unser Vorhaben, die Sammlung der Seminararbeiten als Buch zu drucken, nicht

möglich gewesen.

Ein besonderer Dank geht an die Schulleitung des Martin-Schleyer-Gymnasiums,

Herrn Dr. Jürgen Gernert und Herrn Harald Bähr sowie an die Lehrkräfte Frau Krebs

und Herrn Nagelstutz, die den Seminarkurs leiteten und für Fragen und Rat jederzeit

zur Verfügung standen.

Mit herzlichstem Dank,

Philipp Engert und Leonard Schwägerl

(Herausgeber)

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2. -Einer Menschheit eine Sprache: Johann Martin

Schleyer und die Weltplansprache Volapük

Am 16. August 2012 jährte sich zum hundertsten Mal der Todestag von Johann

Martin Schleyer, dem Namengeber des Martin-Schleyer-Gymnasiums in Lauda-

Königshofen. Grund und Anlass genug, um sich mit Johann Martin Schleyer und

seinem Wirken zu befassen. Viele, die den Namen hören, denken zunächst an den

ehemaligen Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer, der von der RAF entführt

und ermordet wurde. Überraschend ist es dann zu erfahren, dass das Gymnasium

jedoch nach Johann Martin Schleyer (geboren 1831 in Oberlauda) benannt ist, einem

Priester, Dichter und Linguisten, der nur insoweit mit Hanns Martin Schleyer in

Verbindung zu bringen ist, dass er dessen Großonkel war.

Warum hat man nun aber unser Gymnasium nach Johann Martin Schleyer benannt?

Wer sich kundig macht, erfährt, dass Schleyers größtes Verdienst die Entwicklung

künstliche und daher geplante Sprache, die den Menschen weltweit als einfaches

Kommunikationsmittel über alle Sprachgrenzen hinweg dienen sollte. Das Besondere

an Volapük war, dass diese Plansprache praktische Anwendung fand und sich recht

schnell verbreitete, sodass bis zum Jahr 1888 die Zahl der Volapük-Anhänger

weltweit auf über eine Million gestiegen war. Kurse wurden an über 270 Orten erteilt

und es soll mehr als 250 Vereine gegeben haben, die sich für Volapük engagierten.

Bereits kurze Zeit später ging die Epoche der Plansprache Volapük allerdings schon

wieder zu Ende. Dennoch ist man dem alten Menschheitstraum, eine Sprache für die

gesamte Menschheit zu entwickeln, einen Schritt näher gekommen.

(sprach-)philosophischen und linguistischen Fragestellungen mit der

Weltplansprache Volapük, mit dessen Schöpfer Johann Martin Schleyer sowie mit

historischen und neuzeitlichen Welt(plan)sprachen im Allgemeinen. Die Arbeiten der

Kursteilnehmer/-innen liegen nun in dieser Veröffentlichung gesammelt vor.

Wir danken allen an der Entstehung dieses Buches Beteiligten. Ein besonderer Dank

gilt den beiden Herausgebern Philipp Engert und Leonard Schwägerl!

StR`in Sabrina Krebs und StR Stefan Nagelstutz Lauda, den 09.09.2013

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3. REINHARD HAUPENTHAL

PRÄLAT JOHANN MARTIN SCHLEYER

(1831-1912)

LEBEN, WIRKEN UND WERK

FESTVORTRAG ANLÄSSLICH SEINES 100. TODESTAGES

GEHALTEN AM MARTIN-SCHLEYER-GYMNASIUM,

LAUDA-KÖNIGSHOFEN, AM 4. OKTOBER 2012

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Liebe Schülerinnen und Schüler des Martin-Schleyer-Gymnasiums,

sehr geehrter Herr Oberstudiendirektor Dr. Gernert,

sehr geehrter Herr Bürgermeister Maertens,

verehrte Kolleginnen und Kollegen,

meine sehr verehrten Damen und Herren.

Es sind 31 Jahre ins Land gezogen, seit ich schon einmal, am 17.

Oktober 1981, das Vergnügen und die Ehre hatte, an dieser Stelle

aus Anlaß seines 150. Geburtstages, den Namengeber Ihrer Schule

in einem Festakt zu würdigen.1

Damals war ich überzeugt, das Thema für mich erledigt zu haben.

Nicht im Traume hätte ich gedacht, daß es anders kommen soll,

nämlich daß mich die Persönlichkeit Johann Martin Schleyers nicht

mehr aus ihrem Banne läßt, daß weite Teile meines publizistischen

Wirkens ihm, seiner Plansprachen Volapük und der durch sie

ausgelösten sozialen Wirklichkeit und sprachwissenschaftlichen

Auseinandersetzung gewidmet sein würden.

Wie Sie wissen, wurde Prälat Schleyer im Jahre 2001 dem

Freiburger Erzbischof zur Seligsprechung vorgeschlagen, bis 2008

wirkte das Prälat-Schleyer-Komitee2, und im Sommer dieses Jahres

widmete die Bayerische Staatsbibliothek aus Anlaß des 100.

Todestages von Prälat Schleyer diesem und dem Volapük eine

Ausstellung.3

1 Vgl. HAUPENTHAL 1982 b (2. Aufl. 2005 c), 1982 c. 2 Vgl. HAUPENTHAL 2008. 3 Vgl. Zwischen Utopie…

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Goethes Satz „Wohl dem, der seiner Väter gern gedenkt“4 gilt im

übertragenen Sinne natürlich auch für bekannte Persönlichkeiten,

deren Gedächtnis fortlebt in Straßennamen oder anderen nach

ihnen benannten Objekten. Zu diesen Persönlichkeiten zählt hier in

Lauda-Königshofen und in Konstanz Prälat Schleyer, mit dessen

Leben und Werk wir uns am heutigen Abend befassen wollen.

Wer war dieser Johann Martin Schleyer; was hat er bewirkt und

worin gründet sein Nachruhm?

Wenden wir uns zunächst Schleyers Kindheit, seinen Schul- und

Studienjahren und den Anfängen seines priesterlichen Wirkens zu.

Stationen in Schleyers Leben

Johann Martin Schleyer wurde am 18. Juli 1831 in Oberlauda

(heute: Lauda-Königshofen)5 in einer Lehrerfamilie geboren. Erste

schulische Ausbildung erhielt er durch seinen Onkel Franz Martin

Schleyer (1808-1871) in Königheim, der auch seine weitere Schul-

bildung gegen den ursprünglichen Willen seiner Eltern durchsetzte:

am Gymnasium zu Tauberbischofsheim6 und am Lyzeum zu

4 Iphigenie auf Tauris I, 3. 5 Zu Lauda-Königshofen vgl. SCHIFFERDECKER, zu Oberlauda OEH-

MANN. Die Stadt Lauda-Königshofen hat sein Gedächtnis festgehalten in einer nach ihm benannten Straße und dem Volapükplatz im Ortsteil Oberlauda, einer Gedenktafel und einer Büste am Geburtshaus sowie im Martin-Schleyer-Gymnasium.

6 Zu Schleyers Tauberbischofsheimer Gymnasialzeit vgl. Programm … Tau-berbischofsheim 1847, 1848, 1850; außerdem BREITHAUPT 1931 a, 1931 b.

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Karlsruhe7. Anschließend bezog Schleyer die Universität Freiburg,

wo er Theologie studierte, sich aber auch mit Philologie, Dichtung

und Musik befaßte. Zu seinen Hochschullehrern gehörte u. a. der

Moral- und Pastoraltheologe Johann Baptist von Hirscher (1788-

1865).8 Am 5. August 1856 erteilte ihm Erzbischof Hermann von

Vicari (1773-1868)9 die Priesterweihe. Alsbald begannen für

Schleyer pastorale Lehr- und Wanderjahre, die ihn in fünf Pfarreien

des Erzbistums führen, ehe er 1867 seine erste eigene Pfarrei in

Krumbach (heute: Sauldorf-Krumbach)10 übernahm:

1. Vom 2. September 1856 bis 17. Oktober 1857 sehen wir ihn in

St. Marien zu Sinzheim.11

2. Von dort wechselte er an die Stiftskirche (Pfarrei Liebfrauen) zu

Baden-Baden: er atmet Weltstadtflair.

3. Vom Oktober 1858 bis 30. Januar 1860 war Schleyer als Pfarr-

verweser in Kronau bei Bruchsal (Pfarrei St. Laurentius) tätig,

wo er mit seiner lateinischen Psalmendichtung begann, die

aber erst 1897 in Konstanz im Druck erschien.12

4. Von 1860 bis 1862 wirkte Schleyer in der Pfarrei St. Venantius

in Wertheim. Dort knüpfte er Kontakte zum Hof des portu-

7 Schleyer ist infolgenden Schulschriften erwähnt: Programm … Carlsruhe

1851, 1852, 1863. Zur Geschichte des Gymnasiums vgl. SILBER, STAFF-HORST.

8 Zu Hirscher vgl. BadBiogr 1. 1875, S. 372-377; LThK 5, Sp. 383-384; KÖSTER. 9 Zu von Vicari vgl. ADB 55. 1910, S. 641-659; BadBiogr 2. 1875, S. 387-403;

BRAUN. Zur badischen Kirchengeschichte unter Vicari vgl. MAAS, SCHMIDER, S. 64-71.

10 Die Gemeinde Sauldorf hat im Ortsteil Krumbach eine Johann-Martin-Schleyer-Straße.

11 Zur Geschichte der Pfarrkirche vgl. COENEN/LIENHARDT. 12 Vgl. SCHLEYER 1897.

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giesischen Exkönigs Dom Miguel de Bragança13 sowie zu den

Literaten Gräfin Ida von Hahn-Hahn14, Alexander Kaufmann15

sowie dessen Frau Mathilde16, die unter dem Pseudonym

Amara George publizierte.

5. Es folgten fünf Jahre (1862-1867) im „badischen Geniewinkel“

Meßkirch, wo damals der badische Kulturkampf eine seiner

Hochburgen hatte.17

Wenige Wochen nach seiner Ankunft in Meßkirch begann Schleyer

am 23. Januar 1863 mit regelmäßigen Tagebuchaufzeichnungen,

die er bis zum Ende seines Lebens fortführte. Allerdings sind diese

Aufzeichnungen bislang erst für seine Litzelstetter Zeit (1875-1885)

systematisch ausgewertet worden.18

Sie werden nach ihrer Digitalisierung durch sie Bayerische Staats-

bibliothek für die Schleyer-Forschung eine unverzichtbare Grund-

lage sein, ja diese eigentlich erst ermöglichen.

13 Dom Miguel de Bragança, Exkönig von Portugal: * 1802-10-26 Lissabon,

† 1866-11-14 Bronnbach. Vgl. KUHN. 14 Ida Gräfin von Hahn-Hahn (1805-1880). Vgl. ADB 49. 1904, S. 711-718; LThK

4, Sp. 1322-1323; BRINKER-GABLER/LUDWIG/WÖLTEN. 15 Alexander Kaufmann (1817-1893). Vgl. LANGGUTH; ADB 51. 1906, S. 75-

81; BadBiogr 5. 1906, S. 369-371. – Briefe Schleyers an das Ehepaar Kaufmann lagern im Staatsarchiv zu Wertheim.

16 Mathilde Kaufmann geb. Binder (1835-1907), Ehefrau von Alexander Kaufmann, schrieb unter dem Pseudonym Amara George. Vgl. ADB 51. 1906, S. 77-78.

17 Zu Schleyers Meßkircher Zeit vgl. HAUPENTHAL 2006, 2007 a. 18 Zu Schleyers Litzelstetter Zeit vgl. HAUPENTHAL 2005 b.

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Krumbach, Kulturkampf, Kerker

Als Schleyer dann 1867 in Krumbach (Pfarrei St. Johann) als Pfarrer

investiert wurde, folgten für ihn schwierige Zeiten. Kirchenpolitisch

war die Lage gekennzeichnet durch das Pontifikat (1846-1878) Pius

IX. und das erste Vaticanum mit dem Dogma der päpstlichen Un-

fehlbarkeit, das die Abspaltung der Altkatholiken zur Folge hatte.

Dies blieb nicht ohne Konsequenzen im kirchlich-politischen Be-

reich: in Baden loderte die liberale Flamme des Kulturkampfes mit

einer restriktiven Haltung der Kirche gegenüber. Außenpolitisch war

die Lage gekennzeichnet durch die Kriegsjahre 1870/71 und die

damit verbundene Franzosenfeindlichkeit. Schleyer nahm eine

deutsch-nationale Haltung ein, die sich am deutlichsten in seinem

Gedichtband widerspiegelt.19 Der

Kanzelparagraph des Kulturkampfes sollte Schleyer zum Verhän-

gnis werden. Wegen einer Predigtäußerung über den Sozialismus

zeigten ihn seine altkatholischen Gegner an, denen er bei Beerdi-

gungen das Geläute verweigert hatte, und konnten erreichen, daß er

in zweiter Instanz zu vier Monaten Festungshaft in Rastatt verurteilt

wurde.20 Ehe er diese vom 19. Juli bis 19. November 1875 absaß,

trat er eine längere Italienreise an (9. April bis 3. Mai 1875), die in

einer Audienz bei Pius IX. gipfelte. Von ihm erbat er den Segen für

seine Zeitschrift 21 deren Herausgabe er gleich zu

Anfang seiner Litzelstetter Zeit (Januar 1876) begann.

19 Vgl. SCHLEYER 1871. 20 Die Prozeßakten lagern im Generallandesarchiv zu Karlsruhe. 21 Vgl. Sionsharfe.

16

Schleyer nutzte die Zeit seiner Festungshaft für weitere Dichtungen:

(lateinisch und deutsch) sowie

,22 deren Vorwort auf September 1875 „in

Rastatt, Schloßzelle 7“ datiert ist und wofür der spätere

Diözesanbischof Lothar von Kübel (1823-1881)23 1875-11-04 das

Imprimatur erteilte.

Erst während seiner Festungshaft ließ Schleyer sich den Bart

wachsen - wir kennen ihn so von den bisher bekannt gewordenen

Bildnissen. Mit neuem Outfit und in Zivil begab er sich kurz vor

seinem Amtsantritt inkognito nach Litzelstetten, um Pfarrhaus und

Kirche in Augenschein zu nehmen.

Obwohl er bis zum Ende seines aktiven Pfarrdienstes (1885) ein

kleiner Dorfpfarrer auf der untersten Sprosse der hierarchischen

Stufenleiter blieb, wird man sagen können, daß die Litzelstetter Zeit

für Schleyer äußerst fruchtbar war und ihm Weltruf einbrachte.

22 Vgl. SCHLEYER 1891 b, 1892 a. 23 Lothar von Kübel: * 1823-04-22 Sinzheim, † 1881-08-03 St. Peter. Vgl. ADB

17. 1883, S. 283-284; BadBiogr 4. 1891, S. 230-241; SCHMIDER, S. 74-82.

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Die Zeit in Litzelstetten und Konstanz

Fassen wir kurz zusammen, worin Schleyers Litzelstetter Tätigkeit

bestand.24 Feste der Familie Schleyer - bis 1877 lebte die Mutter im

Pfarrhaus, der Vater starb 92jährig 1894 in der Schottenstraße in

Konstanz - gestalteten sich auch zu Highlights im Leben der Pfarrei:

so die goldene Hochzeit der Eltern 1877 und Schleyers 50.

Geburtstag 1881, zu dem Mitarbeiter der ihm eine

goldene Harfe schenkten, die heute im Heimatmuseum in Lauda-

Königshofen aufbewahrt wird. Er konnte gleichzeitig sein silbernes

Priesterjubiläum begehen. Es gab glanzvolle Höhepunkte im Leben

der Pfarrei: die Aufführung des „Theodrama“ (eine Art Passions-

spiel) 1876 in der Pfarrkirche und die beiden Deklamationsfeste

(1881, 1883) zu St. Katharina im Walde25, zu denen auch viele

auswärtige Gäste kamen. Im Mittelpunkt des Jahres 1878 stand der

Besuch von Bischof Lothar von Kübel, der 110 Firmlingen aus

Dingelsdorf, Dettingen und Litzelstetten das Sakrament spendete.

Da zu Schleyers Aufgaben auch die Pastorierung der Mainau

gehörte, kam es, daß er in regelmäßigem Kontakt zur großherzog-

lichen Familie stand und desöftern zur großherzoglichen und gar zur

kaiserlichen Hoftafel gezogen wurde. Mit den Kindern seiner Pfarrei

singt, musiziert und deklamiert er (auch auf Volapük) vor den

Herrschaften. Seine Verhandlungen mit Großherzog Friedrich

24 Vgl. Anm. 17. Schleyers Gedächtnis ist in Konstanz wie folgt festgehalten:

in Litzelstetten mit zwei Gedenktafeln am Pfarrhaus, dem Volapükweg, der Martin-Schleyer-Straße, dem Hotel Volapük; in Konstanz mit der Martin-Schleyer-Straße und einer Gedenktafel am Haus Schottenstr. 37. Auf dem Hauptfriedhof befindet sich die 2003 renovierte historische Grabstätte.

25 Vgl. hierzu HAUPENTHAL 1990.

18

führten dazu, daß die Kirche drei neue Glocken erhielt, deren

Kosten schließlich das Haus Baden übernahm.

Am 20. Januar 1884 starb in Oberlauda Schleyers einziger Bruder

Anton (der Urgroßvater des Arbeitgeberpräsidenten Hanns-Martin

Schleyer, 1915-197726) im Alter von 55 Jahren (* 1829). Seit jener

Zeit kränkelte auch Schleyer, der offensichtlich schon seit langem

brustleidend war und durch die Rastatter Festungshaft weiter

gesundheitlich angeschlagen wurde. Am 5. Januar 1885 richtete er

an Erzbischof Johann Baptist Orbin (1806-1886)27 die Bitte um

Pensionierung, im März ging Schleyers Amtszeit in Litzelstetten zu

Ende, er übersiedelte nach Konstanz, wo er ab 1889 in der

Schottenstraße ein eigenes Haus bewohnte. Obwohl er am 21.

Dezember 1885 und am 30. August 1888 von Pfarrer Ludwig

Bundschuh (1828-1893) versehen werden mußte, wurde Schleyer

alt: er starb 81jährig am 16. August 1912.

Der Autor der Plansprache Volapük

Wir kommen nun zu einem Aspekt von Schleyers Aktivitäten, der

ihm bis in die Gegenwart Nachruhm verleiht: er ist der Autor der

Plansprache Volapük. Mit seiner Weltsprache ist er weit über die

Grenzen seiner Heimat bekannt geworden, sein Name ist in des

Wortes wahrstem Sinne bis an die Grenzen der Erde vorgedrungen.

In diesem Rahmen ist es nicht möglich, den Aufstieg und Fall des

26 Vgl. HACHMEISTER. 27 Zu Orbin vgl. SCHMIDER, S. 83-90.

19

Volapük nachzuzeichnen.28 Ich werde daher nur einige ent-

scheidende Aspekte herausgreifen.

Schleyer hat selbst in der Retrospektive des Jahres 1888 die

Entstehung des Volapük wie folgt beschrieben:

„In einer mir selber räthselhaften, ja geheimnisvollen Weise, in

dunkler Nacht in Pfarrhause zu Litzelstetten bei Konstanz, im

Eckzimmer des zweiten Stockes, das in den Pfarrgarten hinaus-

schaut, als ich lebhaft über alle Thorheiten, Mißstände, Gebrechen

und Jämmerlichkeiten unserer Zeit nachdachte, stand plötzlich das

Gebäude meiner Weltsprache als ein Ganzes leuchtend vor meinem

geistigen Auge. Um der Wahrheit Zeugnis zu geben, und offen zu

gestehen, wie mir in jener seltsamen Nacht des März 1879 zu

Muthe war, so kann ich in aller Dankbarkeit und Demuth nur sagen:

Meinem guten Genius verdanke ich das ganze System der

Weltsprache Volapük. – Am 31. März 1879 stellte ich dann zum

ersten Male die Hauptgrundzüge meiner Grammatik schriftlich

zusammen.“29

Trotz der Spontaneität, mit der 1879 die Volapük-Grammatik

erarbeitet wurde, hat die Idee einer Weltsprache offensichtlich in

Schleyers Geist schon vorher gewirkt. Vorausgegangen war ein sog.

Weltalphabet, das er am 18. Januar 1878 ausarbeitete und inter-

national verschickte.

28 Zur Geschichte des Volapük vgl. HAUPENTHAL 1984, KNIELE 1986, 1989,

SCHMIDT 1998, auch die Schleyer-Biographien von KNIELE 2007, SCHLEYER 2007, 2008 und SLEUMER.

29 Vgl. SCHLEYER 1888.

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