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Martin Pesendorfer Dr. Andrea Gnama0504681 SE Über Fotografie Sprechen und Schreiben
WS 2010/11
Seminararbeit zum Thema „Die Agentur Magnum“
1. Einleitung
2. Magnum Photos, Inc.
1. Was ist Magnum?
2. Geschichtlicher Überblick zur Fotografie
3. Theorie und Ethos oder le moment décisif
4. Was ist ein Magnum-Foto?
5. Fotoikonen
3. World Press Photo
4. Fotojournalismus & Pressefotografie
5. Quellenverzeichnis
Wichtige Anmerkung: alle in dieser Seminararbeit verwendeten Bezeichnungen
(Reporter, Fotograf,...) sind für alle gender mitgedacht.
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Martin Pesendorfer Dr. Andrea Gnama0504681 SE Über Fotografie Sprechen und Schreiben
WS 2010/11
1. Einleitung
„Viele meinen, die dokumentarische Eigenheit der Photographie liege darin, daß sie ein
Medium exemplarischer Wahrhaftigkeit und untrüglicher, weil mechanischer Transparenz
ist. Die Kamera lügt nie, sie zeichnet im Detail und mit absoluter Objektivität auf, was sich
vor dem Objektiv abspielt. […] Wenn dem so wäre, würde Magnum nicht existieren, denn
diese Ansicht negiert sowohl die Komplexität der Photographie als Medium der
Interpretation, wie auch die enormen individuellen Unterschiede zwischen den einzelnen
Photographen.“1
Viele Theoretiker der Fotografie gehen davon aus, dass die Art und Weise, wie etwas
portraitiert wird, die Bedeutung dessen verändert, was portraitiert wird.
Ausserdem, dass Bildern in den Massenmedien meist noch die Subjektivität der jeweiligen
Redakteure und Verleger anhaftet, indem sie die Bilder auf gewisse Weise anordnen
(framing ), sie mit bestimmten Titeln versehen, oder auf andere Art und Weise
Bedeutungszusammenhänge mit diesen herstellen.
Die Agentur Magnum wurde in erster Linie gegründet, um diesen Sachverhalten
entgegenzuwirken. An oberster Stelle stehen die Freiheiten des Fotografen, über seine
Werke zu verfügen und seine Urheberrechte nach individueller Beurteilung zu vergeben,
ausserdem sich seine Arbeit selbst zu organisieren und über das zu berichten, was er für
wichtig und publikationsreif erachtet.
Bei Magnum Photos, Inc. handelt es sich um ein Kollektiv freier Journalisten und Reporter,
die sich nach dem zweiten Weltkrieg zusammenschlossen, um sich gegenseitig den
Rücken zu stärken. Sie schufen sich eine unabhängige Basis, in der kollegiale Solidarität
miteinander, ein gewisser Rückhalt und eine vom Mut zur Wahrheit geprägten Tradition
herrschten.
„Bewußt von der herkömmlichen Praxis abweichend und mit dem erklärten Ziel, die
Freiheiten der Photographen zu wahren, wurde Magnum als Kooperative aufgebaut. Die
1 Ritchin, Fred. Was ist Magnum? In: Manchester, William. Zeitblende: 5 Jahrzehnte Magnum-Photographie.Schirmer-Mosel: München, 1989. S 417.
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Photographen sollten die Entscheidungen treffen und die ihnen assistierenden Mitarbeiter
selbst einstellen, statt im Auftrag von Agenturleitern zu arbeiten, die ihrerseits den
Zwängen des Marktes ausgeliefert sind.“2
In meiner Arbeit werde ich zuerst die Agentur Magnum und ihr Arbeitsgebiet vorstellen, um
danach einen kurzen historischen Überblick zur Entwicklung der Fotografie zu geben.
Ich werde auf folgende Fragen im Speziellen eingehen: In welchen historischen Kontext ist
die Gründung der Agentur Magnum einzubinden? Welche Ziele verfolgen die Mitglieder
dieses Kollektivs? Was ist ihr Ethos oder die Idee dahinter? Welche Probleme stellen sich
bei der Arbeit als Pressefotograf?
Anschließend stelle ich Henri-Cartier Bressons Theorie des „entscheidenden Augenblicks“
- des „moment décisif“ vor – die man als Basisgedanken, die die Fotografien dieser
herausragenden Fotoreporter beeinflusst haben.
Nach diesem theoretischen Teil versuche ich aufzuzeigen, wie diese Theorie in Praxis
gesetzt wurde, was Magnum-Fotografien auszeichnet und ihren unverkennbaren Stil
ausmacht. Die Genialität hinter den Arbeiten dieser Agentur liegt zumeist in den starken
Persönlichkeiten der Fotografen, welche ich in diesem Teil auch vorstellen werde.
Im dritten Teil dieser Seminararbeit beschäftige ich mich mit World Press Photo, dem
jährlichen Fotowettbewerb, bei dem die besten Pressefotos des aktuellen Jahres
ausgezeichnet und in Folge weltweit ausgestellt werden. Dazu werde ich zwei Gewinner
des World Press Photo Award '10 vorstellen, um ein Bild der aktuellen Spitzenreiter der
Pressefotografie zu geben.
Abschließen möchte ich diese Arbeit mit einem etwas freieren Teil über Fotojournalismus,
in dem ich mich mit der im Informationszeitalter wohl wichtigsten Machtkonstante - der
Aufmerksamkeit - widmen möchte. Die letzten eingefügten Fotografien liefern Eindrücke
der Magnum-Fotografie.
2 Ritchin, Fred. Was ist Magnum? In: Manchester, William. Zeitblende: 5 Jahrzehnte Magnum-Photographie.Schirmer-Mosel: München, 1989.
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2. Magnum Photos, Inc.
Die Agentur Magnum wurde 1947 gegründet und ihr eilt bis heute weltweit der Ruf als
„renommiertestes Kollektiv von Photographen“3 vorraus. Zu den Gründungsmitgliedern
zählen sich namhafte Fotografen und Reporter wie Henri Cartier-Bresson, Robert Capa,
Maria Eisner, David Seymour, George Rodger, William und Rita Vandivert.
Eve Arnold, Mitglied seit 1951, schrieb: „Es ist, als gehöre man zu einer Familie. Man liebt
sie alle, aber man mag nicht jeden einzelnen von ihnen. Es ist etwas Organisches.“4
2.1. Was ist Magnum?
Robert Capa, geboren Endre Ernő Friedmann, in eine gutbürgerliche jüdische Familie in
Budapest, war zur Gründungszeit der wohl wichtigste Akteur in der Agentur Magnum. Er
trug schon, seit er begann für die Presse fotografische Berichte zu liefern, den einen
Kerngedanken, der sich später zum Grundsatz vieler berühmter Redakteure entwickeln
sollte, mit sich: erst die Eigenständigkeit und Unabhängigkeit schafft den authentischen
Reporter.
Die Aufgabe oder das Ziel von Magnum war vorrangig der Schutz des Eigentumsrechts an
Fotonegativen, sowie die Kontrolle der Verwertung der Fotografien. „Capa hatte eine fixe
Idee, die sich als vernünftigster Gedanke in der Geschichte der Photographie
herausstellen sollte: daß der Journalist nichts ist, wenn er nicht die Rechte an seinen
Negativen besitzt. Die Kooperative war die beste Form, diese Rechte zu sichern und die
Handlungsfreiheit eines jeden Photoreporters zu garantieren. Kurz gesagt, Capa und
seine Freunde haben das Urheberrecht in der Photographie erfunden. Selbst wenn sie
sonst nichts erreicht hätten, sie haben ihrem Metier die Freiheit gebracht und abhängige
Photographen in freie Künstler verwandelt.“5
3 Manchester, William. Zeitblende: 5 Jahrzehnte Magnum-Photographie. Schirmer-Mosel: München, 1989. S 7.4 Lardinois, Brigitte. Magnum. Schirmer-Mosel: München, 2009. S 7.
5 Lacouture, Jean. Die Gründer . In: Zeitblende: 5 Jahrzehnte Magnum-Photographie. Schirmer-Mosel, München1989. S 47.
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Es war den beteiligten Fotografen frei gestellt, welche Reportagen sie realisieren würden.
Die „Tyrannei der Bosse großer Zeitschriften und Agenturen“6 sollte somit kurz nach dem
zweiten Weltkrieg, der von einseitiger Propaganda und Volksverhetzung geprägt war,
vorbei sein. Es herrschte ein Bedürfnis nach Aufklärung, nach Mitbestimmung und
Freiheit. Der Schrecken der frühen 40er-Jahre hatte viele Kriegsfotografen auf den Plan
gerufen, die Zeugen des Unaussprechlichen wurden, es mit der Kamera einfingen und
jetzt der Bevölkerung vor Augen hielten. War man sich zuvor sicher, der Krieg würde weit
von zu Hause weg stattfinden, so konnte man nun sehen, was sich in dieser Ferne
abgespielt hatte.
Die Anfänge der Magnum-Fotografie vor der Gründung der Agentur reichen jedoch bis ins
Jahr 1932 zurück, als Robert Capa sein berühmtes Portrait von Trotzki in Kopenhagen
veröffentlichte. Ab diesem Zeitpunkt findet man von den wichtigsten Ereignissen der
Weltgeschichte Fotos, die der Agentur Magnum zuzuschreiben sind. Sei es die Krönung
Georgs VI in London 1937 (Cartier-Bresson), die Landung der Alliierten in der Normandie
1944 (Capa), Hiroshima nach dem Abwurf der Atombombe 1945 (Miller) oder ein Portrait
von Joseph McCarthy 1954 (Arnold). Seien es Fotografien berühmter Schauspieler,
Musiker, Maler oder auch atemberaubende Landschaftsaufnahmen und nicht zuletzt
Kriegsbilder.
Alle diese Arbeiten sprechen eine aussagekräftige Sprache und tradieren ihre Geschichte
aus der Vergangenheit in die Gegenwart. Bei der Betrachtung fühlt man sich in den
Moment des Auslösens hineingezogen, es ist als ob man einen Blick zurück in die Zeit
erhaschen kann.
Die FAZ-online schreibt im Nachruf auf Henri Cartier-Bresson, den sie als den Meister des
moment décisif, des entscheidenden Augenblicks, bezeichnet: er „war zur Stelle, als
Ghandi ermordet und eingeäschert wurde. Als die DDR die Berliner Mauer hochzog. War
in Kaschmir, in Schanghai, in Leningrad, in der Bretagne, in Mexiko, auf der ganzen Welt.
Dabei kam dem Franzosen stets zugute, sich unauffällig bewegen und der
Aufmerksamkeit damit weitgehend entziehen zu können.“7
6 Ebd. S 47.7 http://www.faz.net/ Zugriff am 28.11.2010, 15:00.
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2.2. Geschichtlicher Überblick zur Fotografie
Als 1839 Louis Jaques Mandé Daguerre es schaffte, die Bilder der camera obscura in
einem Entwicklungsverfahren auf lichtempfindlichem Material festzuhalten, sowie es auch
Henry Fox Talbot ungefähr gleichzeitig in England vollbrachte, bestand die Faszination
dieses neuen Mediums vorrangig darin, dass es die Welt allem Anschein nach punktgenau
so abbildete, wie sie in Wirklichkeit aussah. Noch nie zuvor war es möglich, ohne
zeichnerische Begabung eine Momentaufnahme so nahe an der Realität abzubilden, wie
dieses Verfahren es zuließ.
Zu dieser Zeit waren die Verfahren des Fotografierens zeitlich und finanziell noch sehr
aufwendig. Das Berufsbild beschränkte sich auf wohlhabende Menschen, die den
Wochenlohn eines Arbeiters für ihre Fotoplatten investieren konnten. Ausserdem dauerte
der Prozess des Belichtens zu dieser Zeit noch mehrere Stunden, in denen die
Portraitierten ruhig sitzen oder stehen mussten. Es sollte aber nicht lange dauern, bis die
Entwickler von Daguerre bis George Eastman immer leichtere und flexbilere Geräte auf
den Markt brachten, die später auch für die breite Masse zugänglich wurden.
Auch das Rezeptionsverhalten beim Betrachten von Fotografien sollte sich verändern. Aus
einer anfänglichen Faszination für die Realitätstreue dieser Erfindung wurde mit der
Entstehung von Bearbeitungs- und Manipulationsmöglichkeiten eine gewisse Skepsis und
weit später eine Überladung und Abstumpfung des Rezipienten von den Bildern, die auch
ihren Weg in die Massenmedien fanden.
Gegen Ende des 19. Jahrhunderts stellte es jedoch noch keinen Skandal dar, wenn ein
Kriegsfotograf wie Roger Fenton seine Aufnahmen nicht dem Zufall überließ, sondern
seine Motive und die Soldaten die er abbildete, wie ein Theaterstück inszenierte.
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Roger Fenton – The Crimean War
Zur selben Zeit waren aber auch andere Fotografen in Kriegsgebieten unterwegs – wie
zum Beispiel Mathew Brady. Ihm ging es darum, die von der Realität losgelöste
Kriegsbegeisterung einzudämmen, die im Amerika der 1860er-Jahre herrschte. Die New
York Times schrieb am 20. Oktober 1862: „Mit seinen Aufnahmen ist es Brady gelungen,
uns die schreckliche Realität und die Ernsthaftigkeit des Krieges nahezubringen.“8
Während sich vor der Erfindung der Fotografie das geschichtliche Gedächtnis auf
Erzählungen von Zeitzeugen und Berichten in Form von Schrift beschränkte, so hatte sich
nun eine neue Art der Geschichtsschreibung entwickelt, die es zuließ, ohne subjektiven
Kommentar dem Rezipienten ein realitätsgetreues Bild der Vergangenheit zu vermitteln.
Hier lässt sich die Geburt des Fotojournalismus historisch verorten.
Wenn man zuvor von Geschehnissen nur hörte oder las, so bekam man sie nun
tatsächlich zu Gesicht. „Mit seinen Bildern erreichte Rodger (Magnum, Anm.), daß die
Leser in weit entfernten Ländern zum ersten Mal das Leiden einer durch den Krieg
heimgesuchten Zivilbevölkerung nachvollziehen konnten.“9
8 Manchester, William. Zeitblende: 5 Jahrzehnte Magnum-Photographie. Schirmer-Mosel: München, 1989. S 13.9 Manchester, William. Zeitblende: 5 Jahrzehnte Magnum-Photographie. Schirmer-Mosel: München, 1989. S 19.
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Die Fotografie wurde zum gesellschaftlichen, politischen und geschichtlichen Medium.
Robert Capa – Tod eines Milizionärs (1936)
William Raymond Manchester, der Verfasser einer umfassenden Chronologie der
Magnum-Fotografie, schreibt: „Dieses Photo lädt nicht wie ein Gemälde zu kontemplativer
Betrachtung ein. Es läßt einem keine Distanz, keine Zeit zum Nachdenken. Man ist
unmittelbar mit ihm und seiner potentiellen Bedrohung konfrontiert.“10
Die Fotografie fand durch ihren authentisch anmutenden Charakter den Weg in die
Massenmedien. Durch eine Momentaufnahme dessen, worüber der Redakteur in seinem
Artikel schreibt, stellt der Rezipient automatisch einen engeren Bezug zum Thema her.
Man sieht, was gemeint ist. Selbst Qualitätsblätter, aus deren Warte Boulevardmedien nur
Bilderbücher sind, kommen nicht ohne sie aus. Der Effekt, dessen sich die Berichterstatter
mittels des Fotos bedienen, ist die der Kamera anheftende Wahrhaftigkeit. Der Blick der
10 Manchester, William. Zeitblende: 5 Jahrzehnte Magnum-Photographie. Schirmer-Mosel: München, 1989. S 19.
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Linse weist Ähnlichkeiten zum Blick des Auges auf, der Mensch ist an diese Perspektive
gewohnt.
Ralph Waldo Emerson meint: „Die Photographie […] zeichnet sich durch ihre
Unmittelbarkeit, ihre Authentizität sowie durch die bemerkenswerte Tatsache aus, dass ihr
Auge mehr sieht als das menschliche Auge. Die Kamera zeigt alles.“11
Man kann die Kamera als mechanisches Auge bezeichnen, das sich im Moment des
Belichtens auf alles in ihrem Blickwinkel gleichzeitig konzentriert. Das menschliche Auge,
oder besser gesagt, das menschliche Gehirn, hat nicht die Fähigkeit, die vielen
gleichzeitigen Sinneseindrücke auf einmal zu einem Ganzen zu verarbeiten. Der Fokus
liegt immer auf einem Ausschnitt des Blickwinkels. Somit könnte man die Kamera als ein
technisch hochwertigeres Auge betrachten. Dieses Weglassen gewisser Teile der
Rezeption des Auges im Gehirn beschreibt William Henry Fox Talbot in seinen Notizen zur
Daguerrotypie: „Häufig kommt es vor […] dass der Operateur – vielleicht erst sehr viel
später – feststellt, dass er Dinge abgelichtet hat, die ihm zum Zeitpunkt des Aufnehmens
überhaupt nicht aufgefallen waren. Manchmal entdeckt er Inschriften und Daten an
Gebäuden, oder es finden sich höchst irrelevante Maueranschläge auf Hauswänden;
manchmal ist in der Ferne auch ein Ziffernblatt zu erkennen, das unbewußt mit aufs Bild
kam und anhand dessen sich rekonstruieren läßt, zu welcher Uhrzeit des Tages die
Aufnahme gemacht wurde.“12
Der Amateur, der erst sehr viel später in der Geschichte der Fotografie, als zum Beispiel
die so genannte „Brownie“ Kodak von George Eastman um 1900 auf den Markt kam – ein
leistbares Produkt auch für die breite Masse, ausserdem leicht zu bedienen wie Eastman
anmerkt („You click, we do the rest.“) - zum Vorschein kommt, bedient die Kamera von
Grund auf anders als der professionelle Fotograf. Das so genannte „knipsen“ ist seine
Lieblingsbeschäftigung. Bis heute hat sich die Amateurfotografie jedoch ebenfalls
weiterentwickelt, und so ist es mit heutigen digitalen Spiegelreflexkameras ein Leichtes,
ohne großes Vorwissen eine gute Komposition zu verwirklichen.
11 Manchester, William. Zeitblende: 5 Jahrzehnte Magnum-Photographie. Schirmer-Mosel: München, 1989. S 12.12 Manchester, William. Zeitblende: 5 Jahrzehnte Magnum-Photographie. Schirmer-Mosel: München, 1989. S 12.
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Doch gehen wir weiter mit der professionellen Pressefotografie und ihrem
zugeschriebenen Wahrheitsmoment. Der Kamera wird eine gewisse Unfehlbarkeit
zugesprochen, frei von manipulativen Elementen und immer bereit die Wahrheit
abzubilden. Dies ist nicht so hinzunehmen, auch wenn es im Prinzip und von den
Möglichkeiten des Mediums her richtig sein mag. Doch mit der Zeit kamen die Fotografen
auch dahinter, wie man bereits entwickelte Fotos manipulieren kann, oder sie auf gewisse
Weise entwickelt, damit sie von vornherein anders gedeutet werden, als es vielleicht in
Realität ausgesehen haben mag. Im heutigen Informationszeitalter spielt diese Diskrepanz
oder Unsicherheit im Bezug auf die Echtheit von Bildmaterial eine große Rolle. Da sich
heute auch die Rezipienten bewusst sind, welche Manipulationen möglich sind, hat der
Authentizitätscharakter einiges eingebüßt. Man muss sich immer im Hinterkopf behalten,
dass betrachtete Fotografien, so echt sie auch scheinen mögen, immer die Möglichkeiten
inne haben, gefälscht zu sein.
Oftmals ist es in den Medien schon vorgekommen, dass gefälschtes Bildmaterial zu
Skandalen oder Rufschädigungen führte. Ein aktuelles Beispiel dazu ist der Streit um eine
Aufnahme des ORF (wohlgemerkt eine Videoaufnahme), in der drei jugendliche Neonazis
bei einem Interviewtermin mit Heinz Christian Strache (Bundesvorstand der
rechtsgerichteten FPÖ) den Hitlergruß mit den Worten „Heil Hitler“ in seine Richtung
machen. Er dementierte den Fernsehbericht darüber als Fälschung in der Hinsicht, dass
der ORF diesen Jugendlichen Geld gegeben hätte, um ihn anzuschwärzen. In der
Verhandlung kam jedoch heraus, dass es solche Abmachungen nicht gegeben hat, und es
im Prinzip usus ist, dass Rechtsradikale bei Strache-Auftritten die öffentliche Bühne
betreten.
Es gibt viele populäre Beispiele für gefälschtes Bildmaterial, da es sich von eben dieser
anheftenden Unfehlbarkeit her anbietet, es für Propaganda und Meinungsbildung zu
benutzen.
Kommen wir nun jedoch wieder zurück auf die Agentur Magnum, die sich gerade dem
Vorsatz der Authentizität und des unverfälschten Darstellens polarisierender Sachverhalte
in der Welt widmet.
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2.3. Theorie und Ethos oder le moment décisif
Eine Fotografie ist die Verkürzung eines ganzen Ereignisses, es ist ein Ausschnitt, der
über sich selbst hinausweisen und den Rezepienten mehr als das Abgebildete zeigen soll.
Eine Momentaufnahme aus dem Krieg in Vietnam kann ausreichen, um zumindest eine
Ahnung von dem verursachten Leid zu bekommen.
„Dem Schriftsteller bleibt die Zeit zum überlegen, ehe sich sein Satz geformt hat, ehe er
ihn zu Papier bringt; er hat auch immer die Möglichkeit, mehrere Elemente miteinander zu
verbinden. Es kann für ihn auch ruhig einen Augenblick geben, in dem das Gehirn
aussetzt, eine kleine Stauung des Stoffes. Für einen Photographen hingegen gilt: Was
vorbei ist, ist unwiederbringlich.“13 So schreibt Henri Cartier-Bresson in seinem wichtigsten
Werk zur Fotografie. Weiters notiert er: „Von allen erdenklichen Ausdrucksmitteln fixiert
allein die Photographie einen bestimmten Augenblick. Wir beschäftigen uns mit Dingen,
die wieder verschwinden und die man, wenn sie erst verschwunden sind, unmöglich
wieder zum Leben erwecken kann.“14
Es geht hier demnach um die Vergänglichkeit, gegen die der Fotograf anzugehen
versucht. Diese Philosophie spiegelt sich klar im Ethos hinter der Agentur Magnum wieder.
Wenn etwas aufgezeigt werden soll, das nicht in Vergessenheit geraten darf, wenn etwas
passiert, das etwas über die Welt aussagt, ist immer ein Magnum-Reporter vor Ort und
fängt den Moment, den entscheidenden Augenblick, mit seinem Apparat ein. Das gilt 1932
wie heute. Eines der World Press Photo Award Gewinnerfotos – über diese Auszeichnung
schreibe ich später noch – zeigt die Aktualität der Magnum-Fotografie sehr deutlich:
13 Cartier-Bresson, Henri. Der entscheidende Augenblick . In: Stiegler, Bernd. Texte zur Theorie der Fotografie.
Reclam, Stuttgart 2010. S 199.
14 Cartier-Bresson, Henri. Der entscheidende Augenblick . In: Stiegler, Bernd. Texte zur Theorie der Fotografie.Reclam, Stuttgart 2010. S 201.
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Charles Ommanney 2009
Die Angelobigung Präsident Obamas war ein weltbewegendes Ereignis, und Charles
Ommanney wählte bei der Dokumentation des Ereignisses diesen Moment kurz vor der
Angelobungsrede Obamas, als er noch einmal in sich kehrt und fast wie in Kontemplation
wirkt. Man kann sich in den Augenblick einfühlen, sich vorstellen wie Obama gleich das
erste Mal als Präsident von Millionen Menschen belauscht wird. Das erste Mal in der
Geschichte, dass ein farbiger Mensch amerikanisches Oberhaupt wird – ein nicht-
wiederholbares Ereignis.Cartier-Bresson schreibt weiter: „Photographieren heißt, in der realen Welt den Rhythmus
erkennen. […] Der Photographie erwächst aus den vergänglichen Linien, die durch die
Bewegung des Sujets entstehen, ihre eigene Bildhaftigkeit. Wir arbeiten im Einklang mit
der Bewegung, als würde sie uns das Gesetz des Lebens enthüllen. Doch innerhalb der
Bewegung gibt es einen Moment, in dem sich alle Elemente in Harmonie befinden. Diesen
Moment muß die Photographie erfassen und seine Balance für immer festhalten.“15
15 Cartier-Bresson, Henri. Der entscheidende Augenblick . In: Stiegler, Bernd. Texte zur Theorie der Fotografie.Reclam, Stuttgart 2010. S 203.
12
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Für ihn sind Intellekt, Auge und Herz die Handwerke des Fotografen, oder anders gesagt -
psychologisches Gespür, der entscheidende Moment und der richtige Kamerastandort.
Ein schönes Zitat Cezannes zum Thema: „Die Bilder verschwinden, man muss sich
beeilen, sie zu sehen.“ Und es obliegt dem Fotografen, die Bilder einzufangen und sie von
Geschehenem zu historisch dokumentierten Artefakten zu machen. Er entscheidet in
letzter Instanz, welche Momente die Rezipienten nachempfinden können, und welche
nicht. Wäre Robert Capa nicht an der Stelle gewesen, als der Soldat im Krieg fiel, wäre er
als einer unter Tausenden, und nicht als Sinnbild für den Krieg, gestorben.
Walter Benjamin schlägt in eine ähnliche Kerbe, wenn er vom „optisch Unbewussten“
spricht. In dieser Hinsicht sieht er die Geschichte vergleichbar mit einem Menschenleben,
und die Fotografie als einen Psychoanalytiker, der gewisse Momente festhält oder
behandelt. Der Psychoanalytiker kann Dinge, die dem Patienten unbewusst sind, zum
Vorschein bringen. So kann es auch die Kamera, denn sie fängt Dinge ein, die dem Auge
sonst vielleicht unbewusst entgangen wären. „So wird handgreiflich, daß es eine andere
Natur ist, die zu der Kamera als die zum Auge spricht. Anders vor allem dadurch, daß an
die Stelle eines vom Menschen mit Bewußtsein durchwirkten Raums ein unbewußt
durchwirkter tritt.“16
Weiters beschreibt Benjamin dann den Begriff der Aura, die Kunstwerke umgibt, und die
sie durch ihre technische Reproduzierbarkeit einbüßen müssen. Ich denke man kann
diesen Aurabegriff in Verbindung bringen mit dem moment décisif von Cartier-Bresson.
„Was ist eigentlich Aura? Ein sonderbares Gespinst von Raum und Zeit: einmalige
Erscheinung einer Ferne, so nah sie sein mag. An einem Sommermittag ruhend einem
Gebirgszug am Horizont oder einem Zweig folgen, der seinen Schatten auf den Betrachter
wirft, bis der Augenblick oder die Stunde Teil an ihrer Erscheinung hat – das heißt die Aura
dieser Berge, dieses Zweiges atmen.“17
16 Benjamin, Walter. Medienästhetische Schriften. Suhrkamp, Frankfurt a. M. 2002. S 303.
17 Benjamin, Walter. Kleine Geschichte der Photographie. In: Stiegler, Bernd. Texte zur Theorie der Fotografie.Reclam, Stuttgart 2010. S 261.
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Vielleicht ist es dieser auratische Moment, den auch die Fotografen der Agentur Magnum
versuchen einzufangen. Das verbindende Element zwischen Vergangenheit, der
Gegenwart des Auslösens und dem Moment der Betrachtung in der Zukunft.
Ich möchte nun genauer auf die Magnum-Fotografie eingehen, und das verbindende
Element hinter ihrer Schöpfer darstellen.
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2.4. Was ist ein Magnum-Foto?
„Magnum-Photographien wirken häufig provokativ, einfach weil unsere Zeit provokativ ist.“18
Bevor ich nun versuche zu beschreiben, welche Attribute eine Magnum-Fotografie
ausmachen, welche Gemeinsamkeiten sich finden lassen und wie man diese Bilder lesen
kann, möchte ich in einem kurzen Exkurs Platons Höhlengleichnis skizzieren:
Platon beschreibt in seiner Politeia eine Metapher, die sich in der Rezeption und
Bewertung von Magnum-Fotografien in abgeschwächter Form wiederfinden lässt. In einer
Höhle angekettet, sodass sie sich weder bewegen noch gegenseitig ansehen können,
leben die Menschen ohne sich gegenseitig zu kennen. Hinter ihnen befindet sich eine
kleine Mauer, hinter der andere Menschen Artefakte vorbeitragen, die durch einen
Flammenschein Schatten an die Wand vor den Gefangenen werfen. Dies ist das Einzige,
was diese Menschen von der Welt sehen. Einer der Gefangenen wird eines Tages von
seinen Fesseln befreit, wendet sich um und verlässt die Höhle, um die „wirkliche“ Welt zu
Gesicht zu bekommen. Er erkennt die wahre Natur seiner Umgebung und hat Mitleid mit
den Angeketteten in der Höhle. Wenn er jedoch zurück kommt, um ihnen die Augen zu
öffnen, würden sie ihn umbringen, da sie nicht fassen können, dass die „reale“ Welt eine
bessere sein könnte.
Nimmt man nun die von den Magnum-Fotografen abgebildeten Zustände der Welt und
vergleicht sie mit dem Befreiten, der die Wirklichkeit mit seinen Augen einfängt, und nimmt
man die wohl behüteten Bewohner der bürgerlichen Welt, die nicht über diese Zustände
bescheid wissen und vergleicht diese mit den Gefangenen, so werden die Fotografien in
den Bürgern wohl ein ähnliches Unbehagen auslösen, wie die Schilderung des Befreiten.
Diese Fotografien stellen kompromisslos das Gegenteil dessen dar, was ich als die heile
Welt der Konsumgesellschaft bezeichnen möchte.
18 Manchester, William. Zeitblende: 5 Jahrzehnte Magnum-Photographie. Schirmer-Mosel: München, 1989. S 39.
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Als Robert Capa nach dem Zweiten Weltkrieg nach Europa zurück kommt, empfindet er
den Anblick von toten Kindern in zu kleinen Särgen weitaus realer, als die hysterische
Willkommensbegeisterung der Menschen am Straßenrand, die kurz davor noch dem
Führer zugejubelt hatten.
Realität, das umfasst auch zehnjährige iranische Kindersoldaten, die panisch und mit
tränenüberflossenen Augen an die Front geschickt werden; Kinder, die nach einem
Bombenanschlag auf Beirut traumatisiert in einer Nervenklinik umherirren; oder ein
ausgehungertes Kind in der Sahel-Zone als Sinnbild für die chronische Hungersnot in den
benachteiligten Teilen der Erde. Wer diese Tatsachen nicht in sein Konzept von Realität
einbindet, starrt die Schatten an der Wand an, wer sich in seiner stolzen Apathie
vorträumt, das Leben sei gerecht und fair, der wird wahrscheinlich in seinem Alltag nicht
nur die falschen Maßstäbe bei der Beurteilung seiner Realität anwenden, sondern hat das
Leben als Illusion verkannt.
Es bleibt hier vielleicht noch zu sagen, dass nicht jeder Mensch Zeuge des
unaussprechlich Grausamen wird. Ich denke, dass dieses direkte Erleben den Menschen
weitaus mehr prägt, als eine Flut von Bildern in den Medien, die im Endeffekt doch nur zu
dem Ergebnis führen, abgestumpft zu werden. Wie sollte man sonst tatkräftig durchs
Leben schreiten, ist man sich doch der Brutalität in der Welt bewusst und spürt sie täglich
in seinem Magen. Ein bewusster Lebensstil, der heutzutage so gut und teuer verkauft
wird, dass sich die wohlhabende Bevölkerungsschicht ihr Gewissen rein kaufen kann,
verändert die Verhältnisse in der Realität wenn überhaupt nur marginal.
Betrachtet man die Fülle an dokumentarischem Material, das Ungerechtigkeiten aufzeigt,
wie in den letzten Jahren zum Beispiel die Filme von Erwin Wagenhofer, kommt man nicht
an der Frage vorbei, wie diese Zustände bei gleichzeitigem Vorhandensein von
demokratischen Supermächten möglich sind. Oft hört man, die Länder in denen diese
Zustände herrschen, seien ja totalitär geführt oder weisen sonstige Unterschiede zur
heilen westlichen Welt auf. Die Paradoxie dahinter: wir haben starke demokratische
Strukturen, die es nicht zustande bringen, armen, schwachen und korrupten Ländern
Entwicklungshilfe zu leisten.
Aus dieser Warte kann man Kritik anbringen: erstens, warum entscheidet man sich nicht
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demokratisch für mehr Entwicklungshilfe und Ausmärzung von Ungerechtigkeit durch
Bildungsprojekte, Einführung demokratischer Strukturen und weiteren Hilfestellungen?
Liegt es nicht im Sinne der wohlhabenden Bevölkerung der Erde, diesen Zustand
auszuweiten? Oder wird die Aufmerksamkeit einfach von diesen Tatsachen weggelenkt,
da sie auf eine gewisse Weise den Wohlstand aufrecht erhalten?
Meine Theorie, warum diese Parodoxie – einerseits Dokumentation sprich Wissen über
Grausamkeit, andererseits keine oder unausreichende Maßnahmen zur Bekämpfung –
liegt in der Steuerung von Interessen durch Aufmerksamkeit. Darauf werde ich später noch
weiter eingehen.
So viel zum politischen Hintergrund der Magnum-Fotografie, kommen wir nun zum Stil der
Magnum-Fotos und den schaffenden Fotografen.
„Am Anfang waren es zwei Stile. Bei Capa war nahezu alles Instinkt. Cartier-Bressons
Bilder waren strukturierter, strenger konstruiert. Bei Capa war alles extrovertiert, bei
Bresson alles introvertiert. War es die unwahrscheinliche Synthese aus diesen beiden
Temperamenten, diesen beiden Visionen, die den Magnum Stil schuf, den Stil eines
Bischof und einer Morath, einer Arnold, eines Erwitt, Riboud, Davidson, Griffith, einer
Meiselas und eines Salgado?“19
Der Stil der Magnum-Fotografien lässt immer einen gewissen Rückbezug auf deren
Fotografen schließen. So liest man über Henri-Cartier Bresson, er wäre geradezu davon
besessen gewesen, den Augenblick einzufangen, festzuhalten, in flagranti zu ertappen. Er
hatte großen Willen zur Auflehnung gegen die Zustände in der Welt, nicht zuletzt da er die
Schreckensherrschaft der Nazis miterleben musste. Cartier-Bresson war ausserdem ein
hervorragender Zeichner. „Das Foto à la Bresson ist vor allem Anordnung im Raum oder
Formgebung. Architektonisch vor allem, wie bei Chirico. Geometrisch in erster Linie, wie
bei Leonardo.“20
19 Lacouture, Jean. Die Gründer . In: Zeitblende: 5 Jahrzehnte Magnum-Photographie. Schirmer-Mosel, München1989. S 48.
20 Lacouture, Jean. Die Gründer . In: Zeitblende: 5 Jahrzehnte Magnum-Photographie. Schirmer-Mosel, München1989. S 53.
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Er selbst schreibt über seinen Stil: „Ich erkenne die Existenz einer plastischen Ordnung
an, die uns vor der Auflösung durch Banalität, Chaos und Vergessen bewahrt.“21
Seine Ansicht war es, wenn er fotografierte, dass es eine auffallende Übereinstimmung
zwischen den fragmentarischen Wahrnehmungsmomenten, eine organische Koordination
der vom Auge registrierten Elemente, gibt. Cartier-Bressons Bilder zeigen eine bildhafte
Geometrie ohne jegliches erzählerische Moment. Die von ihm besagte plastische Ordnung
der Dinge ergibt sich für ihn aus „einer Zufallskonstellation von Linien, die durch die
Bewegungen des Objekts zustande kommt. Wir arbeiten im Einklang mit diesen
Bewegungen, als wären sie das sich entfaltende Leben selbst. Aber im Innern der
Bewegung gibt es einen Augenblick, in dem sich die Elemente in Gleichgewicht befinden.
Die Photographie muß sich dieses Moments bemächtigen, seine befristete Harmonie
einfrieren und festhalten.“ Hinter dieser Aussage findet sich Henri Cartier-Bressons
Theorie des entscheidenden Moments, des moment décisif.
Robert Capa im Gegensatz dazu war ein impulsiverer Typ, über den das Time-Magazine
schrieb, er beschäftige sich ernsthaft und ausschließlich damit, seine Kamera jede
konzentrierte Wahrheit wiedergeben zu lassen, die sie nur finden konnte.
Die beiden wichtigsten Fotografen der Gründungszeit von Magnum unterscheidet in der
Technik, wie sie ihre Fotos einfangen, dass Capa mehr der ethische Abenteurer, Cartier-
Bresson mehr der ästhetische Abenteurer, war.
Magnums genereller Stil könnte als Mischung aus Ästhetizismus, Surrealismus und
Realismus bezeichnet werden. Fred Ritchin schreibt, der Magnum-Stil sei realistisch und
unmittelbar, exotisch und fremd. Henry Luces vom Life-Magazin, das viele Magnum-Bilder
veröffentlichte, schreibt: „Das Leben sehen; die Welt sehen; Zeuge großer Ereignisse sein;
die Gesichter der Armut und die Gestern der Stolzen betrachten; fremde Dinge sehen –
Maschinen, Armeen, Massen, Schatten im Dschungel und auf dem Mond... sehen und
Spaß am Sehen haben; sehen und erstaunt sein; sehen und lernen.“22
21 Lacouture, Jean. Die Gründer . In: Zeitblende: 5 Jahrzehnte Magnum-Photographie. Schirmer-Mosel, München1989 S 54.
22 Ritchin, Fred. Was ist Magnum? In: Manchester, William. Zeitblende: 5 Jahrzehnte Magnum-Photographie.Schirmer-Mosel: München, 1989.
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2.5. Fotoikonen
„Der Unterschied zwischen einem Familienschnappschuss und einer großen Photographie
sticht sofort ins Auge. Ersteren kann man betrachten und dabei völlig passiv bleiben.
Kunst hingegen reduziert sich nie auf ein rein vordergründiges Betrachten. Sie nimmt
einen in Anspruch.“23
Bernhard Schragl gibt in seiner Diplomarbeit 1997 eine gute Definition des Begriffs der
Fotoikone, den ich hier ebenfalls so verwenden will. Er stellt fest, dass eine Fotoikone sich
hauptsächlich durch zwei Merkmale ergibt: erstens, sie verfügt über einen
außerordentlichen Bekanntheitsgrad und zweitens, sie weist über ihre Bedeutung hinaus.
Demnach ist zum Beispiel das Testbild im Fernsehen, dass zwar jeder kennt, das jedoch
nicht über sich selbst hinausweist, da es nur als Testbild funktioniert, keine Fotoikone.
Das Portrait von Che Guevara, auch heute noch auf T-Shirts, Stickern und so weiter zu
finden, hat sowohl einen hohen Bekanntheitsgrad, als es auch über sich insofern
hinausweist, dass es zum Symbol von Jugendkultur und linkem Gedankengut geworden
ist.24
Weiters finden diese Fotoikonen Zugang in das gesellschaftliche „Bildgedächtnis“25. Es
haben natürlich verschiedene Kulturen und auch soziale Schichten unterschiedliche
Bildgedächtnisse, in der westlichen Welt könnte man zum Beispiel die Aufnahme Marilyn
Monroes, als ihr der Rock hochgeblasen wird, als ein solches Bild bezeichnen.
Ich wollte diesen Begriff nur erwähnt haben, da es viele Bilder aus den Archiven von
Magnum Photos, Inc. zu Fotoikonen geschafft haben. Blättert man in deren Fotobänden,
finden sich viele Geschehnisse, die man aus der Geschichte kennt, und auch viele Bilder,
die im allgemeinen Bildgedächtnis verankert sind.
23 Manchester, William. Zeitblende: 5 Jahrzehnte Magnum-Photographie. Schirmer-Mosel: München, 1989. S 44.
24 Schragl, Bernhard. Ikonen der Pressefotografie. Diplomarbeit, Wien 1993. S 3.25 Schragl, Bernhard. Ikonen der Pressefotografie. Diplomarbeit, Wien 1993. S 8.
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3. World Press Photo
Bevor ich nun zum letzten theoretischen Teil über Fotojournalismus generell komme,
möchte ich noch die jährliche Ausstellung vorstellen, die meiner Meinung nach ebenso den
Ethos der Magnum-Fotografie in sich trägt: World Press Photo.
„Der amerikanische Fotograf Edward Steichen erhielt 1951 den Auftrag vom Metropolitan
Museum of Modern Art in New York, eine Pressefoto-Ausstellung zusammenzustellen, die
die ganze Welt umfasst und das tägliche Leben des Menschen zeigt.“26
Berufsfotografen der ganzen Welt schicken ihre Bilder zur Teilnahme ein, unterteilt wird in
den Kategorien General News, Spot News, People in the News, Sports Action, Sport
Features, Contemporary Issues, Daily Life, Portraits, Arts and Entertainment und Nature.
Die eingeschickten Fotos werden von einer internationalen Jury bewertet und danach zieht
eine Ausstellung der Gewinnerfotos um den Globus.
Obwohl es Kritik an dem Bewerb zu üben gibt, sehe ich ihn als Repräsentation von
investigativem Journalismus. In dieser Ausstellung bekommt der Besucher Bilder zu
sehen, die ihm seine Umgebung und die Welt in der er lebt näher bringen sollen.
Viele Kritiker bemängeln die Auswahl der gezeigten Bilder, sie seien Stereotypien die
bedient werden und ein vorrangig westlich geprägtes Bild der Kultur transportieren.
„Jeder Jahr wieder ist das gewinnende Foto eine Variante des selben Themas. Das
gewinnende Foto ist immer ein Foto mit einem Individuum darauf, weil du dich als
Betrachter mit einem Individuum identifizieren kannst. Der Gewinner ist immer ein
Kriegsfotograf. Und das gewinnende Foto zeigt immer Opfer des Krieges.“27
Ich denke nicht, dass dieser Kritik viel Aufmerksamkeit gebührt, da meine Ansicht der
World Press Photo Ausstellung ist, dass sie ohne Rücksicht auf Tabus oder Richtlinien
unzensiert zeigt, welche Misstände, aber auch welche Wunder, in der Welt zu finden sind.
26 Pissermayr, Michaela. World Press Photo: Die Welt durch das Auge der Kamera. Diplomarbeit: Wien 2004. S 72.27 De Standaard zitiert nach Claeys 2002, S 22.
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Die folgenden beiden Fotografien haben beim World Press Photo '10 Award im Bereich
Reportagen gewonnen:
Farah Abdi Warsameh
„Mohamed Abukar Ibrahim, 48, wird am 13. Dezember in Afgoye, 30km von der Haupstadt Mogadischu
entfernt von Mitgliedern des Hizbul Islam, einer Gruppe somalischer islamitischer Aufständischer, gesteinigt.
Ibrahim wurde von einem lokalen Sharia-Gericht des Ehebruchs für schuldig erklärt.“
Eugene Richards – Opfer des Irakkrieges
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4. Fotojournalismus & Pressefotografie
„Obwohl Photojournalismus tatsächlich nicht mit offizieller Propaganda verwechselt
werden sollte, enthält diese Aussage doch eine gewaltige, aber durchaus typische
Vereinfachung; sie vergißt, daß zum Wesen des Photojournalismus – wie jedem anderen
Kommunikationsmediums auch – die Abhängigkeit vom Autor gehört.“
In jeder Berichterstattung fließt immer auch der Blickwinkel des Verfassers mit ein, gleich
wieviel Objektivität angestrebt oder anscheinend auch ausgedrückt wird. Dies ist eine
Tatsache, der nicht entgangen werden kann, denn immer wenn zwei verschiedene Medien
oder Redakteure über dasselbe Thema schreiben, werden sie unterschiedliche Arten der
Schilderung und des Ausdrucks wählen, zumindest werden sich ihre Wortlaute
unterscheiden. Hinzu kommen meist noch der politische Hintergrund des jeweiligen
Mediums selbst, oder zum Beispiel wenn es um abgedruckte Fotografien geht, auch die
Betitelung dieser vom Fotografen selbst. Ein Beispiel hierzu: wäre die berühmte Fotografie
von Robert Capa, die einen fallenden Soldaten abbildet, anstatt mit „Tod eines Milizionärs“
vielleicht mit „Ein Milizionär, der während einer Übung ausrutscht“ betitelt, würde dies die
Rezeption von Grund auf verändern. Woher weiß der Betrachter, dass dieser Soldat
wirklich in dem Moment des Auslösens angeschossen wurde? Er kann es nicht wissen.
Andererseits, da dieses Foto im Originalabdruck des Life-Magazins mit „Der Augenblick, in
dem er von einer Kugel in den Kopf getroffen wird“ untertitelt ist, zeigt es über sich hinaus
und wird zum Symbol für den Widerstand gegen das faschistische System, oder um weiter
zu gehen, ein Zeichen gegen rechtsgerichtete Strukturen.
Die Macht oder Entscheidung darüber, wie ein Thema in den Medien dargestellt und somit
auch zum Teil, was über ein Thema gewusst wird, liegt zum großen Teil in der Hand der
Autoren. Es ist ein Privileg, Aussagen zu treffen, die als Kommentar oder Beschreibung
der Gesellschaft angesehen werden.
Unter Journalisten existiert natürlich ein unausgesprochener Eid zur „Wahrheit“, doch
angesichts der vielen ökonomischen, politischen, ideologischen oder auch privaten
Interessen, mit denen öffentliche Berichterstattung konfrontiert ist, lautet auch in diesem
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Bereich eine ungeschriebene Regel „wo kein Richter, da kein Henker“. Robert Capa
merkte an, dass die Wahrheit das beste Bild und zugleich die beste Propaganda sei.
Um über Fotojournalismus und Pressefotografie zu sprechen, erfordert es abermals einer
Definition. Michaela Pissermayr gibt in ihrer Diplomarbeit folgende vier Punkte zur
Festlegung an: erstens, der Zweck der Pressefotografie liegt in der Veröffentlichung;
zweitens, ein Pressefoto wird immer aus einem bestimmten Anlass gemacht, es ist
zweckbestimmt, gekoppelt mit einer Nachricht, einem Bericht oder dergleichen; drittens,
die fünf journalistischen W-s müssen auch im Pressefoto enthalten sein – was hat wer,
wann, wie und wo gemacht; und viertens, dient ein Pressefoto immer zur Werbung oder
Aufmerksamkeitserregung – der Rezipient soll zum Lesen angeregt werden. In einem Zitat
schön zusammengefasst: „In the end, photojournalists are visual reporters who interpret
the news with cameras rather than pens.“28
Nimmt man diese vier Punkte auseinander und filtert das Hauptaugenmerk der
Pressefotografie heraus: Aufmerksamkeit für aktuelle Geschehnisse zu erregen. Doch was
bedeutet Aufmerksamkeit eigentlich? Auf Wikipedia kann man folgende Definition
nachlesen: „Aufmerksamkeit ist die Zuweisung von (beschränkten)
Bewusstseinsressourcen auf Bewusstseinsinhalte, beispielsweise auf Wahrnehmungen
der Umwelt oder des eigenen Verhaltens und Handelns, sowie Gedanken und Gefühle. Als
Maß für die Intensität der Aufmerksamkeit gilt die Konzentration (Bleuler 1916/1983).“29
Man kann somit sagen, Pressefotografen haben in unserer Zeit die Aufgabe, unsere von
einem Überangebot an Reizen penetrierte Aufmerksamkeit auf bestimmte Ereignisse,
Sachverhalte, Handlungen zu lenken. Sie erreichen damit, dass wir uns über bestimmte
Dinge Gedanken machen, in gewisser Weise auch wie wir uns diese Gedanken machen,
und oftmals auch welche Einstellung oder gefühlsmäßige Rezeption wir von der Realität
haben.
28 Kobre, Kenneth. Photojournalism. Focal Press: Boston, 1996. S viii.29 de.wikipedia.org/wiki/Aufmerksamkeit. Zugriff: 10.11.2010 um 14:20.
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Eine These, die ich in Verbindung dessen aufstellen möchte ist, dass was nicht in den
Massenmedien behandelt wird, somit keine Aufmerksamkeit bekommt, ignoriert wird. Oder
andersrum ausgedrückt, dass nur was in den Massenmedien vorkommt, als allgemein
relevant anerkannt und in der Gesellschaft thematisiert wird. Die Lenkung von
Aufmerksamkeit ist das stärkste Mittel, Menschen zu beeinflussen.
Geht man nun weiter in dieser Annahme, stellen sich mir zwei Fragen: erstens, spiegeln
die Massenmedien unsere Wahrnehmung der Welt wieder, oder konstruieren sie diese;
zweitens, was geschieht dort, wo die Massenmedien einen „Schatten“ hinwerfen – das
worüber sie nicht berichten. Ich möchte sogar so weit gehen, zu behaupten, die
Massenmedien konstruieren unseren Ausschnitt der Wahrnehmung der Welt rund um uns,
und schaffen dort, wo sie aus politischen, ökonomischen oder privaten Interessen einen
Leerraum lassen, einen „Zwischenraum“ den man das „gesellschaftlich Unbewusste“
nennen kann. Was dort geschieht, lässt mich zu meinem vorletzten Zitat kommen, einem
Text der Industrial-Band Nine Inch Nails names „Right where it belongs“, indem sie über
Realitätskonzeption philosophieren:
„See the animal in his cage that you built / Are you sure what side you're on?
Better not look him too closely in the eye / Are you sure what side of the glass you are on?
See the safety of the life you have built / Everything where it belongs
Feel the hollowness inside of your heart / And it's all...
Right where it belongs
What if everything around you
Isn't quite as it seems?What if all the world you think you know
Is an elaborate dream?
And if you look at your reflection
Is it all you want it to be?
What if you could look right through the cracks?
Would you find yourself...
Find yourself afraid to see?
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5. Quellenverzeichnis
Literaturquellen:
Benjamin, Walter. Kleine Geschichte der Photographie. In: Stiegler, Bernd. Texte zur
Theorie der Fotografie. Reclam: Stuttgart 2010.
Benjamin, Walter. Medienästhetische Schriften. Suhrkamp: Frankfurt a. M. 2002.
Cartier-Bresson, Henri. Der entscheidende Augenblick . In: Stiegler, Bernd. Texte zur
Theorie der Fotografie. Reclam: Stuttgart 2010.
Kobre, Kenneth. Photojournalism. Focal Press: Boston, 1996.
Lacouture, Jean. Die Gründer . In: Zeitblende: 5 Jahrzehnte Magnum-Photographie.
Schirmer-Mosel: München 1989.
Lardinois, Brigitte. Magnum. Schirmer-Mosel: München, 2009.
Pissermayr, Michaela. World Press Photo: Die Welt durch das Auge der Kamera.
Diplomarbeit: Wien 2004.
Ritchin, Fred. Was ist Magnum? In: Manchester, William. Zeitblende: 5 Jahrzehnte
Magnum-Photographie . Schirmer-Mosel: München, 1989.
Schragl, Bernhard. Ikonen der Pressefotografie. Diplomarbeit: Wien 1993.
Internetquellen:
de.wikipedia.org/wiki/Aufmerksamkeit. Zugriff: 10.11.2010 um 14:20.
http://www.faz.net/s/RubEBED639C476B407798B1CE808F1F6632/Doc~E8EC516F5C77
748D39263E2F91748CDF6~ATpl~Ecommon~Scontent.html , Zugriff: 28.11.2010, 15:00.
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Marc Riboud
René Burri
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WS 2010/11
James Nachtwey
Dennis Stock
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Brian Brake
„Drei Magnum-Fotografen sind an der Kamerafront gefallen. Im November 1956 wurde
Chim, während er über die Suez-Kämpfe berichtete, von einem ägyptischen MG-Schützen
erschossen. Robert Capa starb auf dem Höhepunkt seines bemerkenswerten Schaffens,
als er am 26. Mai 1954 in Indochina von einer Tretmine zerrissen wurde. Nicht einmal zwei
Wochen zuvor hatte sich Werner Bischof mit seinem Landrover auf einer Paßstraße in den
peruanischen Anden überschlagen und war auf der Stelle tot.“
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