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Rothirsch, Haselmaus, Laufkäfer & Co. –Anforderungen an Verkehrswegequerungen für Wildtiere
Dr. Bertram Georgii
Möhnetalviadukt an der
A7. Solche Bauwerke sind
in der Regel ausgezeichne-
te Wildtierpassagen,
Einschränkung siehe
nächste Seite.
Foto
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Einleitung
Die zunehmende Zerschneidung der Landschaft durch Überbauung mit Siedlungen und Verkehrsin-frastrukturen während der letzten fünf Jahrzehnte hat Natur und tierlebensräume in einem Maße zerstückelt, dass die freie Beweglichkeit von Wild-tieren vielfach nicht mehr gewährleistet ist. Das wurde schon 1993 von der Ministerkonferenz für raumordnung zum Anlass für folgende Forderung genommen: „Bei höher belasteten Verkehrswe-gen sollte zur Verminderung ihrer Barrierewirkung eine kreuzungsfreie Verbindung der ökologischen Verbundsysteme in einer den spezifischen ökolo-gischen Notwendigkeiten entsprechenden Brei-te gefordert werden“ (GMBi 1993). im neuen § 3 des Bundesnaturschutzgesetzes vom März 2002 haben die besonderen Anforderungen des Biotopverbundes auch eine rechtliche Grundlage
erhalten. in Zusammenhang mit Straßenneu- oder -ausbauvorhaben sind Zerschneidungen und Barri-erewirkungen wirksam zu verhindern oder wieder aufzuheben, zum Beispiel durch tierquerungshil-fen. Darüber hinaus können tierquerungshilfen auch dort bessere Durchlässigkeit von Verkehrs-trägern schaffen, wo das über die Linienführung nicht möglich ist.
im Folgenden soll ein Schwerpunkt auf größe-re tierquerungshilfen gelegt werden, nicht zu-letzt vor dem Hintergrund der Kritik an solchen Bauwerken durch den Bundesrechnungshof und den Bund der Steuerzahler. Gleichzeitig sei der Blick einmal verstärkt auch auf kleinere tierarten gelenkt, nachdem für die Begründung solcher Bauwerke häufig und nicht immer zu recht fast ausschließlich die größeren freilebenden jagd-baren Säugetiere herangezogen werden. erfolgs-kontrollen an tierquerungshilfen sind noch immer
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Grünbrücke über die
A36 im Elsass mit für
viele französische
Wildbrücken charakteris-
tischer „Sanduhrform“.
Mittenbreite 9 Meter
Grünbrücke Buchwald an der A96 im Allgäu, Waldrandlage und
weitgehend unbestockt. Breite 36 Meter
Grünbrücke Aichelberg an der A8 mit abwechslungsreicher
Gebüschvegetation. Breite 53 Meter
Grünbrücke Hochbergfeld an der L1100 bei
Großbottwar mit geradezu optimaler Einpassung in die
Landschaft. Breite 210 Meter
Grünbrücke im Tiroler Lechtal mit extrem steiler Anrampung,
aber trotzdem außerordentlich guter Frequentierung durch
Wildsäuger, gerade auch Rotwild. Breite 23 Meter
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Anforderungen an Verkehrswegequerungen für Wildtiere
eine Grünbrücke an der B31neu am Boden-see, die zwei von Bilchen besiedelte Wälder, die von der Straße zerschnitten wurden, wieder mit-einander verbinden sollte, hat das im rahmen von zehn Jahre auseinander liegenden Untersu-chungen (MÜLLer-StieSS & HerrMANN 1994 und MÜLLer-StieSS 2002) deutlich werden las-sen. Haselmaus (Muscardinus avellanarius) und Siebenschläfer (Glis glis) sind Arten, die eng an Gehölzlebensräume angepasst sind und deshalb nur ungern über gehölzfreie Flächen laufen. Die 1994 erst mit lückig stehenden kleinen und we-nigen größeren Gehölzen bestockte Grünbrücke wurde von den beiden Arten total gemieden (Abb. 2, S. 23). 2004 aber konnten in der inzwi-schen bis zu acht Meter hoch aufgewachsenen Gehölzvegetation zahlreiche individuen der bei-den Arten gefangen werden. Anscheinend sind die beiden im Luftbild erkennbaren Gemeindever-bindungsstraßen aber nach wie vor Barrieren.
Möhnetalviadukt an
der A7. Der Rohboden-
streifen ist für viele
kleinere Tierarten eine
erhebliche Barriere.
Mangelware. eine erste große im Auftrag des Bundesverkehrsministeriums steht kurz vor dem Abschluss (GeorGii et. al. 2006). Dennoch gibt es zu so manchen im rahmen von Planfeststellungs-verfahren entscheidungserheblichen Aspekten durchaus gesicherte erkenntnisse.
Tierquerungshilfen und Lebensraumansprüche von Tierarten
Schon bevor Grünbrücken im rahmen der Diskus-sion um mehr Durchlässigkeit von Verkehrsträgern zu einer Art Wunderwaffe hochstilisiert worden sind, ist das Straßennetz durch die unterschied-lichsten Bauwerke seit jeher an vielen Stellen für Wildtiere durchlässig gewesen.
eine besonders hohe Frequentierung durch die größeren Wildsäuger zeigen dabei Viadukte, also Grünunterführungen (vgl. FGSV 2005), weil sich unter ihnen häufig vergleichsweise naturnahe Ve-getationsstrukturen befinden. Bei näherem Hinse-hen zeigt sich aber, dass sich unter vielen von ih-nen in Folge von trockenheit und Lichtmangel ein mehr oder weniger breiter Streifen aus rohboden erstreckt, der für viele Kleinsäugerarten und Wir-bellose die gleiche Barrierewirkung haben kann wie eine Straße. So sinkt beispielsweise mit abneh-mender Vegetationsdichte von den angrenzenden Lebensräumen bis unter ein solches Viadukt die Aktivitätsdichte von manchen „Maus“-Arten, für die Gehölze eine wichtige Lebensraumrequisite sind, fast bis auf Null (Abb. 1). Unter Bauwerken mit ausreichender Wasserversorgung, zum Bei-spiel durch hohen Grundwasserstand, sieht das in der regel wesentlich besser aus (s. S. 22). Auf dem Photo auf S. 22 ist zu erkennen, dass es sich um eine Konstruktion mit gespreizten Fahrbahnen handelt, wodurch auch mittig Niederschlag und Licht unter das Bauwerk gelangen können.
ein wesentlicher Pluspunkt für Grünbrücken ist, dass sich dieses Problem bei ihnen nicht stellt. regen und Licht erlauben, auf ihnen eine nahezu unbegrenzte Vielfalt von Lebensräumen zu gestal-ten (Fotos S. 20). ein weiterer Pluspunkt ist ihre flexible Positionierbarkeit, da sie sich weitgehend unabhängig von Geländegegebenheiten realisie-ren lassen. Auch eine steile Anrampung, wie sie im Flachland notwendig sein kann, schränkt die Annahme durch Wildtiere nicht ein.
Nichtsdestotrotz muss auch auf Grünbrücken der Lebensraum stimmen, wenn sie nicht nur für Wild-, sondern auch für Kleinsäuger und flugun-fähige Wirbellose eine geeignete Querungshilfe sein sollen.
Abb. 1: Aktivitätsdichten von vier „Maus“-Arten in Abhän-
gigkeit von dem sich Richtung unter die Brücke (gestrichelte
Linien) zunehmend verändernden Lebensraummilieu Foto
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eine vergleichbare empfindlichkeit gegenüber nicht passenden Lebensraumbedingungen zeigen auch viele Wirbellosenarten. So fand über eine Kontrollfläche an anderer Stelle der noch nicht gebauten B31neu ein reger Austausch von Lauf-käfern der Art Carabus cancelatus statt (Abb. 3, linker teil). Noch fünf Jahre später erfolgte der in-dividuenaustausch über eine an gleicher Stelle ge-baute Grünbrücke aber nur sehr sporadisch (Abb. 3, rechter teil), und zwar wegen der gegenüber früher veränderten Lebensraumbedingungen. Aber immerhin: Während der Anteil der tiere, die über die Straße zu gelangen versuchten, um 92
Prozent gesunken war, hatte sich der Anteil der die Straße via Grünbrücke querender individu-en nur um 32 Prozent verringert (rietZe 2002). Dabei haben die tiere Distanzen von bis zu 450 Metern bewältigt.
Das dokumentiert noch einen anderen Aspekt, der insbesondere für die Lagebestimmung einer tierquerungshilfe von großer Bedeutung sein kann: Je nach Aktionsradius einer tierart ist näm-lich die erreichbarkeit eines Bauwerkes, also die Auftreffwahrscheinlichkeit, sehr unterschiedlich. im Vergleich zu raubsäugern, die aufgrund ihrer ernährungsweise große Aktionsräume belaufen, sind diese bei Pflanzenfressern wegen der besse-ren Verfügbarkeit ihrer Nahrung wesentlich klei-ner (Abb. 4). eine Maus oder ein Käfer haben aber praktisch nur eine Chance, an eine tierquerungs-hilfe zu gelangen, wenn sie in deren unmittelbarer Nähe zuhause sind.
Das völlige Fehlen artgerechter Lebensraum-strukturen macht im Übrigen fast alle anderen Bauwerke an Straßen, wie die vielerorts vorhan-denen Über- und Unterführungen für Bahnlinien, Straßen, Feld- und Forstwege als Querungshilfen für Wildtiere nahezu untauglich (oLBriCH 1984, FeHLBerG et al. 1993). in begründeten Fällen mag aber ihre Aufwertung durch ergänzung um einen Streifen mit Begrünung Sinn machen.
So kann beispielsweise eine in ganzer Länge über eine Forstwegebrücke mitgeführte Gehölz-reihe eine wichtige Leitlinie für Fledermäuse sein, von denen viele Arten bodennah und an linien-haften Geländestrukturen orientiert fliegen. Stra-ßen werden nämlich deshalb für sie zu Barrieren, weil dort solche Leitlinien abreißen (BACH & MÜL-Ler-StieSS 2005).
Planungsdefizite – trotz hoher Kosten
es besteht kein Zweifel, dass manche Grünbrü-cken nicht so funktionieren, wie das nicht zuletzt aufgrund der hohen Kosten, die sie dem Straßen-bau verursachen, sein sollte. Grund sind fast im-mer Versäumnisse in der Planung:• Fehlende einsicht in die Notwendigkeit groß-
räumiger Verbundplanungen (erhalt der Mög-lichkeiten zu weiträumigen Wanderungen und der Wieder- oder Neubesiedelung von Lebens-räumen)
• Beschränkung auf den traditionellen Untersu-chungsansatz von UVS und LBP, nämlich auf nur wenige 100 Meter breite Bänder beider-seits einer trasse. Auch die FFH-Verträglich-keitsstudien fokussieren oft viel zu sehr auf schutzwürdige Gebiete anstatt auf das Netz Natura 2000.
• Defizite im methodischen Vorgehen, zum Bei-spiel einsatz unzureichender Methodensets
• Mangelhafte Wirkungsprognosen bezüglich in-tensität, reichweite und Wirkungsdauer eines eingriffs als eine der wesentlichsten Voraus-setzungen für die Ableitung geeigneter Kom-pensationsmaßnahmen (vgl. rASSMUS et al. 2003).
im vorliegenden Kontext hat das immer wie-der zur Folge, dass großräumige Funktionsbe-ziehungen und Verbundachsen nicht entdeckt werden. Dadurch kann eine ausreichende Durch-lässigkeit von Landschaft und Verkehrswegenetz nicht gesichert werden, oder tierquerungshilfen stehen unter Umständen nicht dort, wo sie wirk-lich gebraucht würden.
Autobahnbrücke mit gespreizten Fahrbahnen. Dadurch
und durch den hohen Grundwasserspiegel wächst unter dem
Bauwerk Vegetation.
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Abb. 2: Aktionsräume
von sendermarkierten
Haselmäusen und
Siebenschläfern im
Bereich der Grünbrücke
„Schwarzgraben“ an der
B31neu (bunte Flächen
im unteren Bild). Im Jahr
1994 haben die Tiere die
noch junge Grünbrü-
cke gemieden (grüne
Flächen). Im Jahr 2005
wurde das mittlerweile
dicht und bis acht Meter
hoch bestockte Bauwerk
aber wieder von beiden
Arten genutzt (braune
Flächen).
Abb. 3: Fallenreihen (unterschiedlich große schwarze Punkte)
auf einer Kontrollfläche an der B31neu vor Bau der Straße
(links), und „dieselbe“ Fläche auf der Grünbrücke über der
neuen Straße (rechts). Die in den Bodenfallen gefangenen
Tiere wurden individuell markiert. Durch Wiederfang vieler
markierter Individuen konnten deren Ortswechsel dokumen-
tiert werden (dünne graue Linien), aus RIETZE (2002).
Abb. 4: Die Erreichbarkeit
von Tierquerungshilfen ist
sehr von der Größe der
Aktionsräume jeder Art
abhängig. Deshalb ist vie-
len Tierarten mit kleinen
Lösungen in geringeren
Abständen besser gehol-
fen als etwa mit Grünbrü-
cken in großen Abständen.
Dem Dachs beispielsweise
genügen dachsbauähnlich
große Röhren.
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Notwendigkeit für größere Tierquerungshilfen
Mit der initiativskizze „Lebensraumkorridore für Mensch und Natur“ (reCK et al. 2004) und ihrer Verschneidung mit dem übergeordneten Verkehrs-wegenetz wurde erstmals eine orientierungshilfe für den Straßenbau bereitgestellt, die zeigt, wo im rahmen von Straßenneu- oder -ausbauvorhaben, anlässlich derer durchaus manches Versäumnis der Vergangenheit repariert werden könnte, Vor-sicht geboten ist:• bei eingriffen in regional-überregionale Ver-
bundbeziehungen von Wildtieren, also Mi-grationsachsen und Ausbreitungswegen zur Wieder- oder Neubesiedlung von Gebieten
• bei Zerschneidung von Metapopulationsgefü-gen, also der Abtrennung und isolation ein-zelner teilvorkommen einer Metapopulation
Beides sind Situationen, in denen größere tierquerungshilfen, wie Grünbrücken oder Via-dukte, schon deshalb Sinn machen, weil sie von anwandernden tieren leichter gefunden und eher angenommen werden. Aber auch im Fall der • Zerschneidung eines völlig isoliert in der
Landschaft liegenden tiervorkommens
durch einen Straßenneubau, weil eine ande-re Linienführung nicht in Frage kommt, können größere tierquerungshilfen erforderlich sein. Wenn ein solches Vorkommen nämlich nur da-durch gesichert werden kann, dass seine beiden teile möglichst nahtlos wieder zusammengefügt
werden, muss auf oder unter den Querungs-bauwerken im Zweifelsfall der gleiche Lebens-raum wie links und rechts der trasse installiert werden, und dazu braucht es in der regel viel Fläche.
Diese Voraborientierung kann aber eine ge-wissenhafte Analyse jedes einzelfalles nicht er-setzen. Umgekehrt sollte in vielen Situationen geprüft werden, ob es nicht auch kleinere Lö-sungen tun, sofern sie hinsichtlich ihrer Aus-maße und Funktionalität einen sinnvollen Kom-promiss darstellen. Wildwechsel und selbst Wildunfallschwerpunkte an Straßen reichen zur Begründung so teurer Bauwerke nicht aus. Da-für gibt es effektive preiswertere Lösungen.
Fazit
Die ausführenden Behörden als Auftraggeber von Planungen sind gefordert, dem neuen Ver-ständnis von eingriffsregelung, Biotopverbund und Artenschutz mehr rechnung zu tragen und für eine entsprechende Modifizierung und räumliche Ausweitung des Untersuchungsrah-mens von UVS, LBP und FFH zu sorgen. Außer-dem müssen sie Partner für die Planung heran-ziehen, die speziell mit dieser thematik vertraut sind. Nicht zuletzt zeigt die erfahrung, dass gute Lösungen oft weitgehend von einsicht, engage-ment und Durchsetzungsvermögen einzelner Behördenvertreter abhängen.
Oben: Wirtschaftsweg-
überführung. Solche
Bauwerke werden nur
von „unempfindlichen“
Tierarten, wie Fuchs,
Dachs oder Steinmar-
der genutzt, die auch
mit Siedlungen keine
Probleme haben.
Rechts: Wirtschaftsweg-
unterführung. Es gilt das
Gleiche wie für das Bild
oben: Weltweit hat sich
gezeigt, dass Raubsäuger
solche Bauwerke
viel eher nutzen als
Schalenwild.
Foto
S: B
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rGii
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Anforderungen an Verkehrswegequerungen für Wildtiere
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Anschrift des Verfassers:Dr. Bertram Georgii, VAUNALudwig-Lang-Straße 12D-82487 Oberammergau
Foto
S: B
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