Ein Gespräch mit Rem Koolhaas
Die Bitterkeit schlechter Qualität , überdauert bei weitem 1 die Süßigkeit niedriger Kosten.
Rem Koolhaas
Der Blick aus den Fenstern des" Ojjlcefor Metropaliton Architecture"- OMA -auf die Maasbrücken und den geschäjtigen Fh!ß drängt die Frage auf, wieso das Büro sich Rotterdam als Standort gewählt hat. Gibt es Zusammenhänge zwischen der Wahl des Ortes und den architektonischen und städtebaulichen Interessen von OMA?
Rotterdam ist noch offen für Ideen. Die Stadt bietet noch schöpferische Lücken, regt an; anders als Amsterdam, welches viel intakter ist. Dennoch basiert eine solche Entscheidung natürlich auch auf einer Reihe von Zufalligkeiten. Ich habe nie mit einem aufgeschlagenen Atlas dagesessen, auf der Suche nach einem Ort. Zuerst habe ich als Journalist und Drehbuchautor gearbeitet. Mit vierundzwanzig wollte ich Architekt werden und habe mir überlegt: wo? Damals war die "Architectural Association" in London eine "modische" Ausbildungsstätte. Peter Cook hatte einen Namen und eine besondere Ausstrahlung. Das hat mich angesprochen. Und so bin ich nach London gegangen. Man kann nicht sagen, daß ich in den ersten vier Jahren von der Stadt begeistert war. Eigentlich habe ich mich eher gegen London gesträubt. Dennoch hatte es eine äußerst stimulierende Atmosphäre. Allein die Tatsache der Größe mit all ihren Vor- und Nachteilen hat mich fasziniert. In jener Zeit habe ich eine vage Vorstellung von der Anziehungskraft New Yorks entwickelt. New York zu entdeckenwohl wissend, daß ich nicht der erste bin -, schien mir plötzlich eine große Herausforderung. So bin ich von London nach New York gegangen.
Nicht nur aus der Namensgebung des Büros, sondern auch aus Deiner Biographie läßt
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... immer wieder eine Mischung von Verführung und Ungenießbarkeit ins Spiel bringen
sich eine besondere Vorliebe für die große Stadt und im besonderen die Metropole herauslesen. Beruht für Dich die Attraktivität der Metropole auch a4der ihr immanenten Anonymität und dem daraus resultierenden Freiraum, um zu experimenten. Einem Freiraum, den kleine Städte, gefangen im Netz ihrer planerischen und sozialen Kontrolle, nicht haben?
Ja, vor allem die Freiräume, eine spezifische Form von Freiheit. Zum ersten Mal ist mir das, da war ich vier Jahre alt, in Djakarta bewußt geworden. Das war für mich die erste Konfrontation mit Menschenmassen. Zehn bis fünfzehn Millionen glaube ich. Verrückt viel. Der plötzliche Wechsel von Amsterdam nach Djakarta, die Entdeckung anderer Lebenszusammenhänge, die Wahrnehmung eines bis dahin unvorstellbaren Lebens voller Kontraste und Klischees hat mich so nachhaltig beeindruckt, daß ich seitdem meine Aufmerksamkeit von diesen Phänomenen nicht mehr weglenken konnte.
Um noch einmal auf den Namen des Büros zurückzukommen: Soll er das Besondere großstädtischer Architektur ausdrücken, z. B. die von Dir angesprochene Freiheit? Was wären dann die besonderen Qualitäten, was die besonderen Eigenschaften jener Architektur der Metropole im Vergleich zu der "normalen" Architektur?
Sicher war ich nicht gerade bescheiden. Mir ist klar, daß wir einen megalomanen Namen gewählt haben. Aber wir leben in einer "realen", sehr komplexen Welt. Jedes Mal, was wir auch tun, können wir nur einen Teilaspekt dieser ambitiösen Totalität bedenken. Wir haben von Anfang an auch ganz offen zugegeben, daß wir nicht das gesamte Spektrum in unsere Arbeit einbeziehen kön-
Rem Koofhaas in seinem Atelier über den Rotterdamer Maasbriicken. Foto: Michel Boesvefd, Amsferdam
nen. Wir wollten es auch gar nicht. Wir wollen Großstadt-Architektur entwerfen. Das gelingt uns natürlich nur bedingt. Einmal mehr, einmal weniger. Aber das ist weiter nicht problematisch. So haben wir uns in Amsterdam-Nord mit großer Sorgfalt auf gartenstädtische Aspekte konzentriert. Es lag ja auf der Hand, daß großstädtische Architektur an diesem konkreten Ort unpassend gewesen wäre. Gleichzeitig mit solchen Aufträgen haben wir unser Denken auf Projekte wie "La Villette" und danach die "Expo 89" zugespitzt. Unserem Interesse an der reinen Form wurde hier viel mehr Rechnung getragen. Gleichzeitig war da auch eine Art Referenz in Bezug auf die eigene Arbeit. Der Prozeß der Umsetzung vom Konzept in die reine Form beschäftigt uns. Wir sehen hierin eine Art permanenter Verifikation unseres Schaffens.
Geht es bei dieser, wie Du sagst, Ver(/ikation um das Messen der eigenen Arbeit an theoretischen Zielen? Welche Rolle spielt für Dich die theoretische Auseinandersetzung und damit auch das Schreiben über Architektur? Welchen Wert mißt Du der Veröffentlichung, der Bekanntmachung Deiner Arbeit bei?
Das sind zwei Fragen. Erstens finde ich es äußerst wichtig, daß die Arbeit eine intellektuelle Dimension hat. Ich kann mir nichts anderes vorstellen. Sie muß einen ideologischen Anspruch haben. In dieser Beziehung sind die Ziele, die wir setzen, mitunter auch schwer zu verwirklichen. Dennoch meine ich, daß wir ein ideologisches Manifest formulieren müssen, ehe wir versuchen, ihm zu entsprechen. Ich bin überzeugt, daß das so bleiben wird und daß wir nicht abstumpfen und degenerieren zu normalen Architekten, die nur bauen. Deshalb ha0en Aufgaben wie
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"La Villette" auch eine so große Bedeutung. Sie sind sozusagen lebensnotwendig. Ein Nährboden, um das angesprochene Niveau zu halten. Sie haben eine provokative Dimension. Und zur zweiten Frage, der nach der Publizität: Nicht, daß wir besessen wären auf Bekanntheit. Aber in den letzten zehn Jahren ist es uns gelungen, eine spezifische Botschaft zu lancieren. Einerseits mit der Hoffnung, entsprechende Aufträge zu bekommen, andererseits mit dem Wunsch, Menschen zu aktivieren, die vor gleichen Problemen stehen wie den von uns als essentiell formulierten.
Wäre Eure Arbeit auf einen ideologischen Nenner zu bringen? Könnte man Sie in einer Formel zusammenfassen wie: "Ornament und Verbrechen" oder "Form fol/ows function "?
Auf keinen Fall. Ich versuche, im Zusammenhang mit unserer Arbeit auch eine Atmosphäre zu vermitteln, die die enge Definition von Architektur untergräbt oder zu-
Office for Metropolitan Architecture (O.M.A.): Projekt für den "Parc de Ia Vi/lette", Paris, nach Osten gesehen
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mindest relativiert. Bislang hat deshalb noch niemand unsere Arbeit auf einen so eng umrissenen Nenner gebracht. Unsere Intentionen lassen sich schwieriger fassen und destillieren als die, die normalerweise den Beruf des Architekten charakterisieren. Und ich beabsichtige ganz ernsthaft, das auch weiter so zu handhaben: Jederzeit diese Mischung aus Verführung und Ungenießbarheit wieder ins Spiel zu bringen.
Das befriedigt ein bißchen meine Neugierde aufDeine Haltung in Bezug aufBegriffe wie Postmodernismus. Im Sinne der Avantgarde scheint Euer Ziel zu sein: /{sthetik als Provokation des gesamten architektonischen Geschehens und nicht als ein missionarisches Muß, eine in sich abgeschlossene Ideologie.
... oder strenger Gesetze. nein, das wäre schon vom Aufbau unseres Büros her undenkbar, in dem eine ständige Fluktuation von Menschen herrscht, die zudem auch noch einen großen Einfluß haben. Es handelt sich um eine ständige Analyse, um Neu-
definition, manchmal auch das vollständige Verwerfen von Ideen.
Also kein traditionelles Arbeiten mit einem Bürochefund keine eng umgrenzte Definition von Architektur. Wie muß ich das einordnen, wenn ich davon ausgehe, daß ein Architekt nach gesel/schaftlichen,)isthetischen und wirtschaftlichen Lösungen sucht?
Dies zu erklären, scheint mir schwierig. Es wäre einfacher, es an Beispielen statt an. band einer abgehobenen Theorie zu erläutern. Deshalb habe ich "Delirious New York" auch über New York und nicht über eine abstrakte Theorie geschrieben. Meiner Meinung nach ist es nahezu unmöglich, sich der Architektur theoretisch zu nähern. Es handelt sich um eine äußerst konkrete Welt in der jede Theorie falsch am Platze zu s~in scheint. Und so habe ich ein Buch geschrieben, in dem wortwörtlich architektonische Kriterien fehlen. Kein einziges Mal ist die Rede von schön, häßl.~ch, hoch, niedrig, weiß ... Nichts über das Außere. Schlankweg
O.M.A.: Projekt jiir den .,Parc de Ia Villelle", Paris. \Iode// von Süden
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· .. iA!t~ __ die vollständige Mißachtung dieser Aspekte der Architektur. So meine ich, war es mir möglich, das herauszukristallisieren, was dann üb r'g bleibt, und das andere vollkommen außer acht zu lassen. Die Rekonstruktion dessen, was wir als wesentlich erachten, dient gleichzeitig der Rechtfertigung unseres besonderen Intereses der Architektur der Metropole. Es geht
um das Begreifen der Komplexität, dessen, was geschieht, des Programmatischen, der gesamten Kultur. Es geht um die Frage, auf welche Art und Weise Architektur auch Träger von Kultur ist und nicht nur auf eine Selbstdefinition gerichtet ist.
Die Faszination der Vielfalt, der Komplexität hast Du in den Metropolen gefunden. Du bist in Djakarta aufgewachsen, hast in London und New York gearbeitet und bist nun wieder zurück in den Niederlanden. Zweifelsohne hat die Großstadtkultur Dich beeinjlußt. Meinst Du, daß nicht auch die holländische Bautradition- die .,De/fter Schule", die .,Amsterdamer Schule", .,de Stijl", die architektonische Kultur der Niederlande allgemein - Einfluß hatten?
Du willst wissen, welche Rolle sie in meiner Arbeit spielen. Willst Du wissen, wie holländisch ich bin?
Mich interessiert, woran Du Deine Arbeit relativierst. Es gibt internationale und nationale Strömungen. Es gibt anerkannte kulturelle Traditionen. Mich interessiert, ob Du Deine Entwüife in Beziehung setzt zu denen - zum Beispiel- von Oud, van Eesteren, Quist oder Hertzberger?
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Selbstverständlich. Ich denke, daß ein Teil meiner als holländisch zu interpretierenden Eigenschaften meine Beschäftigung mit dem Künstlichen ist. Künstlichkeit scheint mir etwas typisch Holländisches zu sein. Zumindest bekommt die holländische Kultur hier einen prinzipiellen Charakter. Auch wenn man sich vielleicht nicht mehr so genau daran erinnert oder die Tatsache nicht im Vordergrund steht: Seit dem "gouden eeuw" liegt eine besondere Stärke der holländischen Kultur in ihrer Unnatürlichkeit, im Artifiziellen. Deshalb kann man den Plan ftir "La Villette" auch als eine Interpretation oder sogar eine Widerspiegelung der holländischen Landschaft sehen. In den Niederlanden gibt es eigentlich keine Natur, nichts unbelassen Natürliches. Wobei ich nicht nur an die Gewächshäuser, sondern an die gesamte Aufund Einteilung des Landes denke. Das spielt bei meinen Arbeiten eine große Rolle. Für mich ist auch "de Stijl" nicht anderes als ein außerordentlicher Lobgesang auf das Synthetische und das vollkommen Unnatürliche.
Du hebst die Künstlichkeil hervor. Nicht die Kunst. Da es Dir anscheinend nicht darum geht, eine Fassade vor die Realität zu setzen: Inwieweit ist dann Dein Hantieren mit dem Künstlichen auch eine Entschlüssehmg, eine Dekodierung gesellschaftlicher, kultureller und ökonomischer Zustände?
Unzweifelhaft handelt es sich bei der Entschlüsslung um einen motivierenden Anstoß. Wir verfügen über analytische und
systematisierende Fähigkeiten, die uns eine derartige Dekodierung ermöglichen. Vielleicht hört sich das jetzt arrogant an. Aber ich meine, daß wir zu den wenigen gehören, bei denen der analytische Prozeß auch zugleich ein schöpferischer ist. Das heißt, Dinge so analysieren, daß sie während der Analyse schon ein neues, selbständiges Produkt werden. Wenn ich mit anderen zusammenarbeite, empfinde ich das als eine besondere Fähigkeit.
Was mich neben diesen, sagen wir mal: Praxiseifahrungen noch interessiert, ist Deine Meinung überdie Ausbildung von Architekten. Wie schätzt Du die Ausbildungsmöglichkeiten heute ein?
Je älter ich werde, um so undeutlicher werden ftir mich Ausbildungsmodelle. Ich persönlich habe von den unterschiedlichen Aufenthaltsorten und auch von den Personen, die mich unterrichtet haben, profitiert. Vielleicht hört sich das Letzte altmodisch an. Aber Menschen wie Cook, Jencks, Ungers und Eisenman haben mich unzweifelhaft beeinflußt. Ich habe das Gefühl, daß diese Menschen mich befähigt haben, ein Instrumentarium aufzubauen, mit dem ich weiter kann. Dem Aufstellen von Studiengängen stehe ich äußerst argwöhnisch gegenüber, vor allem denjenigen, die alles vorschreiben und bis ins Detail regeln. Ich auf jeden Fall habe mich dieser Programmierung entzogen.
Gehst Du davon aus, daß es charismatische Menschen, Vorbilder geben muß?
Das hast Du gesagt.
Ich meine damit nicht ausschließlich zustimmende Haltungen, sondern auch kritische Positionen gegenüber exponierteren Persönlichkeiten.
Ja, genau das ist wichtig. Eine kritische Haltung ist heute eine nahezu vernachlässigte Befähigung an den Ausbildungsstätten. Die falsche, unreflektierte Achtung der Studenten gegenüber den Dozenten, das ist ein Bild, welches ich nicht gern vor mir sehe. Ich erinnere mich, daß ablehnende Haltungen, Abneigung bei mir eine ebenso wichtige Rolle gespielt haben wie Enthusiasmus. Eine solche Enstellung kann Klarheit verschaffen. Sie kann einem verdeutlichen, was man vermeiden will, und ist somit unverzichtbar bei der Entscheidung ftlr das Angestrebte.
Das betrifft Deine eigene Entscheidungsfindung. Wie aber denkst Du über die Entscheidungen anderer, über ihre Auswahlkriterien zum Beispiel, wenn es um die Beurteilung von Architektur geht? Hältst Du Wettbewerbe
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für ein geeignetes Mittel, die beste Lösung zu finden, oder meinst Du, daß in den Preisgerichten unter Umständen eine gewisse Parteilichkeit zum Tragen kommt?
Um Komplikationen aus dem Weg zu gehen, habe ich bisher vermieden, an Preisgerichten teilzunehmen. Im Grunde genommen bin ich nicht von dieser Möglichkeit der Beurteilung überzeugt. Selber habe ich mich an vielen Wettbewerben beteiligt. Dabei habe ich realisiert, daß die Parteilichkeit doch nicht eine so wesentliche Rolle spielt. Es gab Wettbewerbe, von denen ich dachte, hier muß ich unbedingt teilnehmen, denn meine besten Freunde sitzen im Preisgericht. Andere Male wiederum dachte ich, daß ich überhaupt keine Chancen hätte, weil ich vermeintliche Feinde unter den Juroren sah. Eigentlich hat sich das aber jeweils als Fehlinterpretation herausgestellt. Es klingt fast wie Ironie, aber in alldem Gerangel und Geklüngel scheint doch noch so etwas wie eine biologische Kraft, ein Naturphänomen zu stekken. So bin ich immer wieder von neuem über die Entscheidungen, die Ergebnisse er-
O.M.A.: Projektfür die Bebauung Bijlmermeer, Amsterdam. Phase 1
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staunt. Bei "La Villette" haben wir uns zum Beispiel mit einer recht ungewöhnlichen Einsendung beteiligt. Dennoch hat man unsere Arbeit unter den siebenhundert anderen entdeckt. Das hat mich sehr beeindruckt. Wettbewerbe sind nicht ideal, aber sie gehören doch zu den optimaleren Auswahlsystemen.
Welche Möglichkeiten siehst Du sonst noch, um Aufträge zu bekommen. Weist Du auf Defizite hin und bietest dafür Antworten an?
Ich habe schon darüber gesprochen, daß wir versuchen, Signale auszusenden; in der Hoffnung, daß siejemand empfängt. Obwohl jeder von ihrer Unmenschlichkeit überzeugt zu sein schien, war der Ausgangspunkt unseres Interesses die Metropole. Dieses Interesse hat sich im Laufe der Zeit nuanciert, und wir haben es mit Argumenten angereichert. Dies ist eine Methode, um Aufträge zu bekommen. Die klassische und lukrativste ist natürlich, daß jemand mit einem Wunsch an einen herantritt. Schlimm jedoch ist, daß es keine echten Bauherren mehr gibt. Es han-
delt sich bei den Auftraggebern mehr und mehr u~ vag~, anonyr:te Gruppen mit Hypertrophien, d1e mcht e111zukalkulieren sind aber auch keine Inspirationsquelle dar: stellen.
Du meinst, daß der Architekt nur noch "VeJwaftungsgrüppchen" gegenübersteht und nicht mehr, wie in der Vergangenheit, einem Bauherrn, mit dem er eine aufbauende und animierende Diskussionführen kann.
Ja, das ist in der Tat katastrophal und gleichzeitig auch die Ursache schlechter Qualität. Weil es kein "Dazwischen" mehr gibt: Entweder nahezu esoterische Aussprüche von Architekten, so "rein", daß darin schon etwas von Lappalien liegt, oder eine Art verwirrter, wertloser Kompromiß. Etwas was wirklich als Ergebnis einer Zusammen: arbeit, eines Dialogs oder einer Konfrontation entsteht, gibt es nicht mehr.
Können nicht die Nutzer als Partner im Diafog auftreten? Können sie nicht inspirirend wirken, wenn man sich informiert, wie sie mit dem architektonischen Angebot, das man ihnen offeriert hat, umgehen?
Das Amsterdamer Y-plein-Projekt haben wir regelmäßig alle zwei Monate in Augenschein genommen. Es ist das einzige von dem, was wir gebaut haben, wo sich eine Art feed-back eingestellt hat. Wir wollten wissen, wie und warum sich die Dinge dort so entwickelten, wie sie es taten. Das ist etwas, was mich ganz ernsthaft interessiert.
Hat es beim Y-pfein-Projekt die Möglichkeit zu einer kritischen Diskussion mit den Nutzern gegeben, die mit dem tatsächlichen Auftraggeber, der Gemeinde, nicht möglich war?
Unsere ersten Gespräche haben wir mit einer Arbeitsgruppe von "theoretischen Bewohnern" geführt. Danach waren es Menschen, die beabsichtigten einzuziehen. Zuletzt und jetzt noch haben wir Kontakte zu den tatsächlichen Nutzern. Das war eine Auseinandersetzung mit drei vollkommen unterschiedlichen Interessengruppen. Da wir auch die Straßen- und Platzanordnung zu bedenken hatten, haben wir von den verschiedenen Kommentaren in diesem Fall profitiert.
Ist die große Bereitschaft der Bewohner mitzureden ein typisch hofländisches Phänomen, dem Du in London und New Yorkoderin Deutschfand nicht in dem Maße begegnet bist?
Diese Bereitschaft gibt es überall. Aber irgendwie hat man sie so kultiviert, so institutionalisiert, daß diese Institutionalisierung die Bürgerbeteiligung zu einer überspannten
O.M.A.: Wohnhäuser Y-p/ein, Amsterdam-Nord. Foto: Architext, Haarlem
O.M.A.: .. Panopticon"-Gefängnis Arnheim
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kulturellen Erscheinungsform hat werden lassen. Deshalb ist sie in den meisten Fällen auch kein produktives Instrument mehr.
Sowohl in Bezug auf die Rolle des Bauherrn als auch in Bezug auf die lnstitutionalisierung der Bü1gerbeteiligung meldest Du Kritik an. Wärst Du lieber in einer anderen Z eit Architekt gewesen ?
Manchmal empfinde ich es als einen Fluch, ist es mir unglaublich schwierig, diesen Beruf auszuüben. Mit der Jetztzeit bin ich schon einverstanden . Aber das Zusammenfallen von Zeit und Beruf ist nicht so ideal.
Dann bleibt die Frage nach einem anderen Berufoder nach einer anderen Zeit, die Du bevorzugen würdest.
Beide Fragen habe ich mir schon oft gestellt. Wenn ich nur an die Möglichkeiten denke, die Mies van der Rohe in den dreißiger Jahren hatte oder die noch in den vierziger und fünfziger Jahren in ew York bestanden, kann ich eine Affinität für diese
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Zeit nicht leugnen. Meine Gefühle sind in Bezug auf die Gegenwart gemischt. Ich sehe auch die Chancen, die ich heute habe. Dem stehen der Untergang des traditionellen Bauherrn, der Primat des Geldes, die Verluderung des Bauprozesses gegenüber. Auch des Bauhandwerks, auch der Materialien.
Du hat eingangs gesagt, daß eine kritische Haltung auch ein außerordentliches Stimulans sein kann. Wie übelwindest Du die Diskrepanz zwischen konkreter Behinderung und ideeller Vorstellung? Probierst Du, zukünftige Entwicklungen in Dein Entwwfsdenken miteinzubeziehen, z. B. die Veränderung des Verhältnisses von Arbeit und Freizeit, die fortschreitende Technologisierung usw.?
Selbst wenn man sich davon ein Bild machen kann, und sollte dieses auch noch so inspirierend sein - man ist von Aufträgen abhängig. Auch wenn vorauszusehen wäre, daß die Menschen zu Hause arbeiten könnten, würde ich den Auftrag für ein Bürogebäude annehmen. Es bleibt eine ambivalente Situation. Die Ausübung des Berufs beinhaltet, daß man auch an Aufträgen arbeitet, mit deren Aufgabenstellung man nicht vollkommen übereinstimmt. Aber wir persönlich sind in unserem Büro gleichzeitig auch auf der Suche nach neuen Wegen und Möglichkeiten. Vielleicht hört es sich ironisch an: Aber in unserem Büro gibt es ein Ressort, welches sich nicht der Architektur widmet. Hier werden Szenarien entwickelt.
O.M.A.: Parc Citroen-Cevennes, Paris. Modell des WettbewerbsentwU!fs
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"La Villette" war ein erstes Beispiel. Da haben wir für uns ein Arbeitsfeld entdeckt, ein sogenanntes Freigehege, eine architektonische Betätigung, deren Endprodukt nicht die Architektur ist. Diese Arbeitsweise läßt sich vielleicht anband eines Beispiels, der Organisation einer Wallfahrt, verdeutlichen: Etwa 300 000 Menschen pilgern einmal im Jahr zu einer griechischen Insel, auf der die sterblichen Überreste eines Heiligen liegen. Das ist eine Welle des Kommens und Gehens. Die szenarische Leistung wäre, eine Struktur zu bedenken, die dem Ansturm genügt und dennoch keine eingreifenden Spuren hinterläßt.
Das würde man sichfür manchen Wintersportort oder manches Seebad wünschen!
In Griechenland ist es Teil eines Landschaftsplanes. Zusammen mit Ingenieuren versuchen wir, die Strand- und Wasserverschmutzung zu bekämpfen und einen langgestreckten Park in einer Bucht anzulegen. Das hat nichts mit Architektur im engsten Sinne zu tun. In solchen Aufträgen liegt die Chance einer vielschichtigen Interpretation freier Räume. Deshalb vielleicht auch meine Vorliebe für Rotterdam. Rotterdam ist eine leere Stadt: von großstädtischer Verdichtung, von räumlicher Geschlossenheit kann man hier nicht sprechen. Die Freiräume zwischen den bebauten Flächen verleiten dazu, über das Anfüllen, über die "Stadtreparatur" nachzuden-
O.M.A.: Projekt für die Friedrichstadt, Berlin, 1981. Gesamtplan
ken. "Hier könnte man noch etwas ergänzen und dort noch etwas verschönern", denkt so mancher Politiker und Architekt. Wir sind, im Gegensatz dazu, der Meinung, daß die leeren Flächen eine besondere Qualität haben, daß sich dort Prozesse abspielen, die dem Architektenauge normalerweise verborgen bleiben. Wenn man genauer hinsieht, haben diese Prozesse auch eine Funktion und eine Bedeutung. Sie sind, wenn man sie erkannt hat, inspirierend. Denn sie stellen einen vor die Frage der Deutung und Einordnung.
Unverkennbar ist der konkrete Ort für Dich eine Quellefür Eingebungen und Einfälle. Aber wenn ich den Planfür die griechische Insel ansehe, assoziiere ich unmittelbar: Le Notre. Welche Anregungen gehenfür Dich von der Geschichte, konkreter gesagt, von arch!lekturhistorischen Vorbildern aus?
Ohne Zweifel bin ich ein begieriger Benutzer von Inspirationsquellen. Doch die meisten gehören nicht zum Menü des n~~malen Architekten. Eigentlich spielen fur mich die Populärkultur und der Film eine wichtigere Rolle als die Architekturge-
schichte. Als ich jedoch noch in London studierte, ging auch ich jeden Sommer drei Monate nach Italien, um die römische Architektur zu sehen. In Pompeji und Herculaneum habe ich entdeckt, daß von dem Wenigen, d. h. den Mauerresten, eine enorme Wirkung ausgeht. Einem Minimum an Mitteln gelingt es hier, den Eindruck von einer komplexen Realität zu vermitteln. Ja, ich meine sogar, daß darin noch immer das "märchenhafte" Gleichgewicht der römischen Kultur zwischen Egoismus oder Privatisierung und dem Kollektiven Leben zum Ausdruck kommt. Diese Erfahrungen von damals haben noch heute ihren Einfluß. Unserem Plan flir die Friedrichstraße in Berlin könnte man auch mit einem heutigen Pompeji vergleichen, aber er könnte genausogut die Zeit eines Mies van der Rohe dokumentieren.
Aber das sind doch zwei vollkommen unterschiedliche historische Perioden mit ihren eigenen spezifischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Bedingungen. Kann der heutige postindustrielle Mensch sich überhaupt in eine solche Struktur eindenken und sie nutzen?
Es geht uns nicht um eine unkritische Kopie. Unsere Projekte basieren auf einem Verfremdungseffekt Da nichts beim Alten bleibt, s1ch alles verändert- ja, mitunter die neue Bedeutung auch als schmerzhaft, als eine psychische Qual empfunden wird, muß unsere Aufgabe die Neuprägung sein. Was ich mit psychischer Konfrontation meine,
Friedrichstadt-Projekt Berlin. Ausschnitt
Fotos: O.M.A., Rotterdam
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Friedrichstadt-Projekt Berlin. Axonomie des Gesamtkonzepts
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läßt sich vielleicht am Beispiel der Berliner Mauer erklären. Es war flir mich äußerst merkwürdig zu konstatieren, was für eine bizarre, spontane Bedeutung und Glaubwürdigkeit von diesem Ort ausgeht. So gesehen hat das Unterbewußtsein durchschlagende Kraft; soviel wir auch immer reden mögen.
Das Charakteristische Eurer Arbeit ist, daß Eure Analyse genauso wie auf Vorbilder auf die politische und soziale Realität gerichtet ist. Darüberhinaus sucht Ihr, die authentische Atmosphäre eines Ortes zu begreifen. Du hast selber gelegentlich gesagt, daß Du lieber zu 99 Prozent unoriginell bist und nur zu I Prozent originell, als unbedingt immer zu 80 Prozent originell zu sein. Vielleicht kannst Du am
Beispiel von Berlin noch einmal das Besondere Eurer Arbeitsweise verdeutlichen?
Bei meinen Spaziergängen in Berlin traf ich einerseits auf eine mich zerschmetternde Atmosphäre - ob das mit der Isolation Berlins, der Mauer etc. zu tun hatte, kann ich nicht sagen. Andererseits habe ich auf den verwahrlosten "terrains vagues", diesen unglaublichen Freiflächen, die dort den Stadtraum charakterisieren, viele kleine Objekte entdeckt, die dort mit großer Selbstverständlichkeit an ihrem Platz standen: Gestrandete Wohnwagen, kleine Lagerschuppen, Aussichtsplattformen für den "Blick nach drüben". Diese Beobachtung flößte mir unmittelbar die Einsicht ein: Hände weg von großmaßstäblichen Plänen. Sie würden nur die Atmosphäre zerstören. Ich wollte diesen besonderen Charakter bewahren und hervorheben. Das schien mir nur auf einem Niveau möglich zu sein, welches mit dem Wort Strandgut treffend zu umschreiben ist.
Schlußworte oder Schlußfragen haben immer etwas Zwanghaftes: Dennoch könnte man sagen, daß Architektur für Euch nicht nur eine kulturelle, künstlerische, sondern auch eine soziale Aufgabe hat.
Ja, und sie ist noch mehr: Eine kritische Disziplin, eine literarische Betätigung und eine Art von Kommentar.
Das Gespräch mit Rem Koolhaas führte Franziska Bollerey im Sommer 1986.
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