Psychologische Schutz- und Risikofaktoren
Jürgen Bengel & Lisa Lyssenko Abteilung für Rehabilitationspsychologie und Psychotherapie Institut für Psychologie, Universität Freiburg
Symposium Reha 2020: Lebensstil und gesundheitliches Risiko Freiburg, 10.-11.2.2012
Beispiele für Risikofaktorenmodelle
Risikofaktoren der Koronaren Herzerkrankung
u.a. Hypercholesterin, Rauchen, Hypertonie,
Übergewicht, Depression
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Risikofaktoren für Entwicklungsstörungen
u.a. unerwünschte Schwangerschaft, mangelnde soziale
Integration, ausgeprägte chronische Schwierigkeiten,
psychischen Störungen der Eltern
Psychologische Risikofaktoren - Stressoren
Kritische Lebensereignisse, z.B. Tod einer nahestehenden Person
Traumatische Ereignisse, z.B. schwerer Unfall
Andauernde Stressoren, z.B. Probleme am Arbeitsplatz
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Psychologische Risikofaktoren - Risikoverhalten
Rauchen
Alkohol- und Drogenkonsum
Übermäßiges Essen und Fehlernährung
Bewegungsmangel, Inaktivität
Dysfunktionale Belastungsverarbeitung
Sexuelles Risikoverhalten
Unangemessenes Verhalten beim Autofahren, Rasen
Sonnenbaden
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Psychologische Risikofaktoren - Dispositionen
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Ängstlichkeit, Angst
Depressivität, Depression
Ärger, Feindseligkeit, Aggression
(Typ-A, Typ-C)
Negative Emotion, Neurotizismus, Typ-D
Psychophysische Reaktion
(kardiovaskulär/immunologisch)
Verhaltenskonsequenz – riskantes Verhalten
Spannkraft, Elastizität, Strapazierfähigkeit
Resilienzforschung
Resilienz bei Kindern und
Jugendlichen: Günstige / normale
Entwicklung trotz ernsthafter
Gefährdungen und Probleme
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Resilienz im Erwachsenenalter: Psychische
Widerstandskraft angesichts belastender Lebensereignisse
Risikokinder auf Kauai (Werner & Smith, 2001)
Identifizierung von Risiko- und Schutzfaktoren für die Entwicklung
Kohorte aller 1955 auf Kauai geb. Kinder (n=698)
Längsschnittstudie über 40 Jahre
Von 201 Hochrisikokindern zeigten 72 als
junge Erwachsene gute Entwicklungs-
ergebnisse und Kompetenzen
„vulnerable but invincible“
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Modell der Salutogenese (Antonovsky, 1979)
Kohärenzgefühl (SOC):
- Verstehbarkeit
- Handhabbarkeit
- Sinnhaftigkeit bzw. Bedeutsamkeit
Aaron Antonovsky (1923, USA – 1994, Israel)
Studie zu Auswirkungen der Menopause bei Frauen, geb. 1914 – 1923
29% trotz traumatischer Erfahrung mit guter psychischer Gesundheit
„Wie bleiben bzw. werden Menschen – trotz vieler potentiell gesundheitsgefährdender Einflüsse – (wieder) gesund?“
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Potentielle Schutzfaktoren im Erwachsenenalter
Kognitive Schutzfaktoren
Optimismus, Hoffnung
Selbstwirksamkeitserwartung
Internale Kontrollüberzeugungen
Kohärenzgefühl, Hardiness
Religiosität
Emotionale Schutzfaktoren
Selbstwertgefühl
Positive Emotionen
Interaktionale Schutzfaktoren
Aktive Bewältigungsstrategien
Soziale Unterstützung
Bengel & Lyssenko (2012, in Vorb.)
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Selbstwirksamkeit(serwartung)
konsistent protektiv bei einer Vielzahl von Stressoren
Subjektive Erwartung, Anforderungssituationen aus
eigener Kraft bewältigen zu können (Bandura, 1977)
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Wirkmechanismen
Geringere Vulnerabilität und geringere wahrgenommene Bedrohung
Tendenz, zu aktiven, problemorientierten Bewältigungsstrategien
Größeres Durchhaltevermögen bei Rückschlägen
Günstigere Bewertung der eigenen Bewältigungsanstrengungen
Erhöhte Motivation zur Verhaltensänderung
(Benight & Bandura, 2004)
Probleme bei der Operationalisierung
Inkonsistente Befunde
Religiosität
(Zwingmann & Moosbrugger, 2004)
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Erklärungsansätze:
Wechselwirkung mit sozialer Unterstützung
Differentielle Wirkung je nach Stressor und
Lebensumständen kann zum Risikofaktor werden
Religiöse Copingstile (Pargament & Cummings, 2010)
• „passives religiöses Coping“
• „kooperatives religiöses Coping“
• „religiöses Selbstmanagement“
Selbstwertgefühl (self-esteem)
Begriffsunklarheit im Deutschen: Selbstvertrauen,
Selbstbewusstsein, Selbstwert(gefühl)
80er Jahre (USA): Allheilmittel gegen psychische Erkrankungen,
Substanzmissbrauch und Verhaltensauffälligkeiten sowie
Garantie für beruflichen Erfolg und soziale Integration
Inkonsistente Befunde
Niedriges Selbstwertgefühl deutlicher Risikofaktor
Personen mit hohem Selbstwertgefühl berichten höhere
Lebenszufriedenheit
Kein protektiver Effekt eines hohen Selbstwertgefühls
Affektive und evaluative Komponente der bewussten
Selbstwahrnehmung Baumeister et al., 2003
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Positive Emotionen haben vielfältige günstige „Nebenwirkungen“,
wirken allgemein protektiv
Unterschied zwischen Alltag und Belastungssituation*:
Alltag: Negative und positive Emotionen unabhängig voneinander
Belastung: Kontinuum der Emotionen negative Emotionen
überwiegen
Resiliente Personen können auch bei schweren Belastungs-
situationen sowohl positive als auch negative Emotionen empfinden
Positive Emotionen
*„Dynamic Model of Affect“
Reich, Zautra & Davis (2003)
Positive Gefühle und Stimmungen wie Freude, Stolz,
Zufriedenheit, Zuversicht, Fröhlichkeit, Wohlbehagen
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Soziale Unterstützung
Empirisch sehr gut abgesicherter Schutzfaktor
Differenzierung in wahrgenommene und tatsächlich
erhaltene soziale Unterstützung
Soziales Netz ≠ Soziale Unterstützung
KHK-Risiko bei verheirateten Männer 9%, bei geschiedenen
Männern 20% (Rosengren et al. 1989; Malcolm & Dobson 1989)
KHK-Mortalitätsrate von Witwern im ersten halben Jahr nach Tod der
Frau um 40% höher (Broken Heart Study, Parkes et al. 1969)
Krankheitsverlauf günstiger bei Männern in Partnerschaft (siehe Titscher &
Schöppl 2000)
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Präventiv
Gesundheitsverhalten
Geringeres Risiko für kritische Ereignisse
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Wirkungsweise der Schutzfaktoren
Nach kritischen Situationen
& bei chronischen Stressoren
Adäquate Copingstrategien
Höheres Durchhaltevermögen
In kritischen Situationen
Geringere Bedrohungswahrnehmung
Puffern der Belastung
Fazit
Schutzfaktoren entfalten ihre Wirkung in Abhängigkeit von …
… der Art des Stressors bzw. der Risikobedingungen
… vom zeitlichen Verlauf
… der Interaktion von Mensch und Umwelt
… der Wechselwirkung mit anderen Faktoren
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Salutogenese wirkt als Idee nach, aber…
Forschung hat sich von Antonovsky‘s Modell gelöst
Resilienz als neuer „Hype“
Gemeinsame Grundfrage:
Was hält Menschen gesund?
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Prävention und Rehabilitation
Was sind resilienzfördernde Maßnahmen?
Welche Schutzfaktoren sollten
gestärkt werden?
Programme zur Resilienzförderung
Informationsbasierte Webseiten
Zielgruppenorientierte Angebote
Mehrebenenprogramme
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„30 Minuten für das Wohlergehen“
„Ein gesunder Lebensstil ist nicht nur etwas für Asketen und Sportskanonen. Oft reicht schon eine halbe Stunde täglich aus, um die Gesundheit nachweislich zu verbessern...“ (Focus Online, 15.04.2011)
Focus Online empfiehlt:
Täglich jeweils 30 min…
länger schlafen
länger im Bad bleiben
Kaffeepause machen
selbst eine gesunde Mahlzeit zubereiten
mit Freunden telefonieren
Licht tanken
nicht fernsehen
10 Ways to create resilience
1. Bemühen Sie sich um soziale Beziehungen.
2. Betrachten Sie Krisen als überwindbare Probleme.
3. Akzeptieren Sie, dass Veränderung Teil des Lebens ist.
4. Streben Sie danach, Ihre Ziele zu erreichen.
5. Entschließen Sie sich zum Handeln.
6. Suchen Sie nach Möglichkeiten, um „sich selbst zu finden“.
7. Fördern Sie ein positives Selbstbild.
8. Betrachten Sie Situationen nüchtern.
9. Behalten Sie eine optimistische Erwartungshaltung bei.
10. Sorgen Sie für sich selbst.
Website der American Psychological Association
http://www.apa.org/helpcenter/road-resilience.aspx#
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Zielgruppenorientierte Angebote
Stress am Arbeitsplatz (Australien): READY
- Schutzfaktoren: positive Emotionen, kognitive Flexibilität,
soziale Unterstützung, Lebenssinn, aktive Bewältigung
- Interventionen: Psychoedukation, Gruppendiskussionen,
Verhaltensexperimente, Hausaufgaben (Nurton, Pakenham & Brown, 2009)
Polizeianwärter (USA): Trauma Resilience Training
- Imaginations- und Fertigkeiten-Training zum Umgang mit
potentiell traumatischen Situationen (Arnetz et al., 2009)
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Mehrebenenprogramm
Internetbasiertes Assessment
Allgemeines Resilienztraining (physisch, emotional, sozial, familiär, spirituell)
Vertiefende Kursmodule
Verbreitung einer „Resilienzkultur“ durch die Befehlshaber
Enge Zusammenarbeit mit der Forschung
In Teilen implementiert und evaluiert
(Casey, 2011)
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Bengel, J., Strittmatter, R. & Willmann, H. (2001). Was erhält Menschen
gesund? Antonovskys Modell der Salutogenese – Diskussionsstand und
Stellenwert (erweiterte Aufl.). Köln: BZgA.
Bengel, J., Meinders-Lücking, F. & Rottmann, N. (2009). Schutzfaktoren bei
Kindern und Jugendlichen – Stand der Forschung zu psychosozialen
Schutzfaktoren für Gesundheit. Köln: BzGA.
Bengel, J. & Lyssenko, L. (2012, in Vorbereitung). Resilienz und
psychosoziale Schutzfaktoren im Erwachsenenalter. Köln: BZgA.
Systematische Reviews - Schutzfaktoren
Gefördert von der
Bundeszentrale für
gesundheitliche
Aufklärung, Köln
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