Prof. Dr. Thomas Fetzer, LL.M. www.taxlaw.uni-mannheim.deSeite 1
Examensklausurenkurs Frühjahrssemester 2014
Öffentliches Recht
Prof. Dr. Thomas Fetzer, LL.M. www.taxlaw.uni-mannheim.deSeite 2
Aufgabe 1
A. Zulässigkeit der Klage
I. Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs, § 40 I VwGO
Eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit liegt vor, wenn der Streitgegenstand nach Normen des öffentlichen Rechts entschieden wird.
Hier:
• Leistungsverwaltung Zweistufentheorie
Die Frage nach dem „Ob“ einer Förderung ist zwingend öffentlich-rechtlich, allenfalls die Ausgestaltung der Subvention („Wie“) kann privatrechtlich erfolgen.
L begehrt Bewilligung einer weiteren Subvention, somit ist das „Ob“ einer Förderung betroffen.
• I.Ü.: Handeln der Behörde durch Bescheid
Prof. Dr. Thomas Fetzer, LL.M. www.taxlaw.uni-mannheim.deSeite 3
Aufgabe 1
II. Statthafte Klageart
Richtet sich nach dem Klägerbegehren, § 88 VwGO
Hier: Auszahlung an sich zwar Realakt; der Auszahlung ist aber positive Bescheidung des Förderantrags vorgeschaltet
Verpflichtungsklage statthaft
Prof. Dr. Thomas Fetzer, LL.M. www.taxlaw.uni-mannheim.deSeite 4
Aufgabe 1
III. Klagebefugnis, § 42 Abs. 2 VwGODer Kläger muss ein mögliches subjektiv-öffentliches Recht auf Erlass
glaubhaft machen.Hier:
• Keine einfachgesetzliche Norm ersichtlich
• Richtlinien des Ministeriums Wohl nur Verwaltungsvorschrift, daher keine subjektiven Rechte des Bürgers ableitbar (vgl. Begründetheit)
• Anspruch aus den Grundrechten
Selbstbindung der Verwaltung aus Art. 3 Abs. 1 GG
L zählt zum Personenkreis der Begünstigten und hat daher einen möglichen Anspruch
Prof. Dr. Thomas Fetzer, LL.M. www.taxlaw.uni-mannheim.deSeite 5
Aufgabe 1
IV. Klagegegner, § 78 Abs. 1 Nr. 1 VwGO• Das Ministerium steht in der Rechtsträgerschaft des Landes
• Passiv prozessführungsbefugt ist somit das Land Baden-Württemberg
V. Vorverfahren, § 68 Abs. 2 VwGO• Entbehrlich gem. § 68 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VwGO
VI. Form und Frist, § 74 Abs. 2 iVm. Abs. 1 S. 2 VwGO (+)VII. Beteiligtenfähigkeit/Prozessführungsbefugnis, §§ 61, 62 VwGO
• L ist als natürliche Person gemäß § 61 Nr. 1 VwGO beteiligtenfähig und gemäß § 62 Abs. 1 Nr. 1 VwGO prozessfähig. Das Land wird gemäß § 62 Abs. 3 VwGO vertreten.
VIII. Zwischenergebnis: Die Klage ist zulässig
Prof. Dr. Thomas Fetzer, LL.M. www.taxlaw.uni-mannheim.deSeite 6
Aufgabe 1
B. Begründetheit der KlageDie Klage des L ist begründet, wenn er einen Anspruch auf Erlass des begehrten
Verwaltungsaktes hat und die Sache spruchreif ist, § 113 Abs. 5 S. 1 VwGO.
Ist die Ablehnung zwar rechtswidrig, die Sache aber nicht spruchreif, so wird gemäß
§ 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO der Ausgangsbescheid aufgehoben und die Verwaltung
verpflichtet, die Kläger nach der Auffassung des Gerichts zu bescheiden.
Prof. Dr. Thomas Fetzer, LL.M. www.taxlaw.uni-mannheim.deSeite 7
Aufgabe 1
I. Anspruch des L auf Erlass eines positiven Subventionsbescheids1. Keine gesetzliche Ermächtigungsgrundlage
P! Leistungsverwaltung und Vorbehalt des Gesetzes (str.)a. Früher: Gesetzesvorbehalt nur bei Eingriffsverwaltung
Kritik: Demokratieprinzip; Bedeutung der Leistungsverwaltung; verfassungsrechtliche Durchdringung allen staatlichen Handelns durch das Grundgesetz über Art. 1 Abs. 3 GG
b. Lehre vom Totalvorbehalt: Jegliches Verwaltungshandeln bedarf gesetzlicher Ermächtigungsgrundlage
Arg.: Art. 20 Abs. 3 GG; begünstigende Maßnahme kann für den Bürger im Einzelfall ebenso schwerwiegend sein wie ein Eingriff in Freiheit oder Eigentum.
Kritik: Verwaltung muss im Einzelfall flexibel handeln können (atypische Einzelfälle); Überforderung des parlamentarischen Gesetzgebers; Gewaltenteilungsprinzip, Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG – Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung
Prof. Dr. Thomas Fetzer, LL.M. www.taxlaw.uni-mannheim.deSeite 8
Aufgabe 1
c. Vorzugswürdig daher: differenzierte Betrachtungsweise (h.M.)
Grds. keine formell-gesetzliche EGL; Legitimation über irgendeine Willensäußerung des Parlaments genügt, z.B. Parlamentsbeschluss oder Bereitstellung der Mittel im Haushaltsplan
Ausnahme: Bei grundlegenden Fragen; Entscheidungen, die den grundrechtsrelevanten Bereich betreffen und die im Hinblick auf die Verwirklichung von Grundrechten wesentlich sind, muss der parlamentarische Gesetzgeber selbst alle wesentlichen Entscheidungen treffen (Wesentlichkeitslehre)
Hier: Subventionen als Leistungsverwaltung i.d.R. vom Parlamentsvorbehalt freigestellt; grundrechtsrelevanter Bereich ist nicht betroffen; Art. 12 GG ist erst berührt, wenn Subventionen an den Konkurrenten gewichtige Lenkungsintensität aufweisen, wovon hier nicht auszugehen ist (kein Schutz vor Konkurrenz)
Mithin steht der Vorbehalt des Gesetzes einer Förderung nicht entgegen
Prof. Dr. Thomas Fetzer, LL.M. www.taxlaw.uni-mannheim.deSeite 9
Aufgabe 1
2. Anspruch aus den Richtlinien des MinisteriumsDiese Richtlinien sind als Verwaltungsvorschriften einzuordnen. Verwaltungsvorschriften sind abstrakt-generelle Anordnungen einer Behörde an nachgeordnete Behörden. Sie zeitigen i.d.R. keine Außenwirkung. Somit kann L keinen Anspruch direkt aus den Richtlinien ableiten
3. Anspruch aus den Richtlinien i.Vm. Selbstbindung der Verwaltunga. Herleitung
Der Bürger kann zwar nicht die Verletzung der nur intern wirkenden Verwaltungsvorschrift rügen. Er kann jedoch geltend machen, dass die Verwaltung gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstoßen hat, weil sie in seinem Fall ohne sachlichen Grund die sonst praktizierte Verwaltungsvorschrift nicht eingehalten hat Folge: Anspruch auf Einhaltung der bisherigen Subventionspraxis
b. Inhalt eines eventuellen Anspruch
Hier: L hat nur einen Anspruch auf Gleichbehandlung; Rapsbauern bekommen aber bisher nur 100.000 Euro; ein solcher Anspruch wäre nicht zielführend, weil er weitere 100.000 Euro verlangt
Prof. Dr. Thomas Fetzer, LL.M. www.taxlaw.uni-mannheim.deSeite 10
Aufgabe 1
4. Anspruch aus Art. 3 Abs. 1 GG aufgrund der rechtswidrigen Subventionspraxis a. Rechtswidrige Vergabepraxis
L rügt gerade die bisherige Subventionspraxis als rechtswidrig.
Art. 3 Abs. 1 GG verbietet es, dass eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu einer
anderen Gruppe von Normadressaten ohne sachlichen Grund anders behandelt wird. Es ist
kein Grund ersichtlich, warum die Förderung um die Hälfte gekürzt wird, wenn Raps statt
Rübenzucker angebaut wird.
Somit stellt sich die in den Richtlinien konkretisierte Verwaltungspraxis als gleichheitswidriges
Unterlassen dar.
Prof. Dr. Thomas Fetzer, LL.M. www.taxlaw.uni-mannheim.deSeite 11
Aufgabe 1
b. Rechtsfolge/ Lösung der Fälle von gleichheitswidrigem Unterlassen Abstellen auf „keine Gleichheit im Unrecht“ würde dazu führen, dass niemand – also auch nicht L –
einen Anspruch auf die Begünstigung hätte, da die Vergabepraxis an sich gleichheitswidrig war (s.o.).
Dies ist nicht sachgerecht. Liegt die Gleichheitswidrigkeit in einer Verkürzung des Leistungsanspruchs, kann durch eine Erstreckung
der Förderung geholfen werden; das gleichheitswidrige „Mehr“ der Rübenbauern würde so kompensiert. Allerdings steht der Behörde grundsätzlich ein Gestaltungsspielraum zu, wie sie den Gleichheitsverstoß
kompensiert (z.B. dass alle Landwirte in gleicher Weise in Höhe von 100.000, 150.000 oder 200.000 Euro gefördert werden).
Die Sache ist somit aufgrund dieses Spielraums noch nicht spruchreif, weshalb ein Bescheidungsurteil ergeht.
(Ebenfalls sehr gut vertretbar ist, der Verwaltung aufgrund der Selbstbindung eine generelle Änderung ihrer Vergabepraxis zu untersagen. Die einzige Möglichkeit zur Beseitigung des Gleichheitsverstoßes läge dann in der Erhöhung des Fördersatzes für jeden Landwirt auf 200.000 Euro. Demnach läge Spruchreife vor und das VG würde das Land dazu verurteilen, den beantragten Subventionsbescheid zu erlassen (Verpflichtungsurteil)).
Prof. Dr. Thomas Fetzer, LL.M. www.taxlaw.uni-mannheim.deSeite 12
Aufgabe 1
II. Ergebnis
Die Klage des L ist zulässig und – je nach Lösung teilweise oder umfänglich – begründet.
Prof. Dr. Thomas Fetzer, LL.M. www.taxlaw.uni-mannheim.deSeite 13
Aufgabe 2a
A. Zulässigkeit der Klage
I. Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs, § 40 Abs. 1 VwGO
Eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit liegt vor, wenn der Streitgegenstand nach Normen des öffentlichen Rechts entschieden wird
Hier: § 49 VwVfG
actus contrarius
II. Statthafte Klageart
Die Anfechtungsklage ist die statthafte Klageart
Prof. Dr. Thomas Fetzer, LL.M. www.taxlaw.uni-mannheim.deSeite 14
Aufgabe 2a
III. Klagebefugnis, § 42 Abs. 2 VwGO• L ist als Begünstigter des Subventionsbescheides und Adressat des Widerrufs
klagebefugt
IV. Vorverfahren, § 68 Abs. 2 VwGO• Entbehrlich gem. § 68 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 VwGO
V. Klagegegner, § 78 Abs. 1 Nr. 1 VwGO•Das Ministerium steht in der Rechtsträgerschaft des Landes
•Passiv prozessführungsbefugt ist somit das Land Baden-Württemberg
VI. Frist, § 74 Abs. 1 S. 2 VwGO (+)
VII. Zwischenergebnis: Die Klage ist zulässig
Prof. Dr. Thomas Fetzer, LL.M. www.taxlaw.uni-mannheim.deSeite 15
Aufgabe 2a
B. Begründetheit der KlageDie Anfechtungsklage ist begründet, wenn der angefochtene Aufhebungsbescheid rechtswidrig ist und den L in subjektiven Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 S. 1 VwGO)
I. Ermächtigungsgrundlage1. Keine Spezialregelungen
2. § 49 Abs. 3 Nr. 1 LVwVfGRechtmäßigkeit des aufzuhebenden Verwaltungsaktes?
Nach Totalvorbehaltslehre wäre dieser rechtswidrig
Prof. Dr. Thomas Fetzer, LL.M. www.taxlaw.uni-mannheim.deSeite 16
Aufgabe 2a
II. Formelle Rechtmäßigkeit des WiderrufsAn der formellen Rechtsmäßigkeit des Widerrufsbescheides ist
vorliegend nicht zu zweifeln, insbesondere ist A nach § 28 LVwVfG angehört worden Zuständig für den Erlass des Widerrufs ist die Behörde, die den AusgangsVA erlassen hat (vgl. § 49 Abs. 5 LVwVfG)
Prof. Dr. Thomas Fetzer, LL.M. www.taxlaw.uni-mannheim.deSeite 17
Aufgabe 2a
III. Materielle Rechtmäßigkeit1.Tatbestandliche Voraussetzungen des § 49 LVwVfG für einen Widerruf a.Rechtmäßigkeit des Ausgangsbescheides
Nach Totalvorbehaltslehre wäre dieser rechtswidrige VA hier rechtmäßig
Überwiegende Ansicht lässt haushaltsrechtliche Bereitstellung genügen
Streitentscheidung kann jedoch offen bleiben
Bei Totalvorbehalt bleibt Raum für analoge Anwendung; keine Umdeutung in Rücknahme nötig
Somit ist entscheidend, ob Aufhebungsbescheid nach § 49 LVwVfG rechtmäßig
b.Widerrufsgrund
Widerrufsgründe aus § 49 Abs. 2 LVwVfG würden nicht helfen, da nur Wirkung ex nunc hiernach erfolgen kann
Es kommt auf § 49 Abs. 3 LVwVfG als Ermächtigungsgrundlage an
L hat eindeutig die erhaltene Leistung nicht für den im Verwaltungsakt bestimmten Zweck verwendet
Es liegt ein Widerrufsgrund gem. § 49 Abs. 3 Nr. 1 LVwVfG vor
Prof. Dr. Thomas Fetzer, LL.M. www.taxlaw.uni-mannheim.deSeite 18
Aufgabe 2a
2. Widerrufsfrist
Jahresfrist gem. § 49 Abs. 3 S. 2 i.V.m. § 48 Abs. 4 LVwVfGa. Mindermeinung: Bearbeitungsfrist
b. Herrschende Ansicht: Entscheidungsfrist
c. Vorliegend nach beiden Ansichten rechtzeitig erfolgt
3. Keine ErmessensfehlerIn Betracht kommen Ermessensausfall bzw. Ermessensunterschreitung. Die Behörde sieht keine Umstände, die ausnahmsweise eine andere Entscheidung möglich erscheinen lassen
Kein Ermessensausfall, aber Ermessensunterschreitung möglich
Prof. Dr. Thomas Fetzer, LL.M. www.taxlaw.uni-mannheim.deSeite 19
Aufgabe 2a
Anders, im Fall „gelenkten“ bzw. „intendierten“ Ermessens
Liegt im Fall intendierten Ermessens ein vom Regelfall abweichender Sachverhalt nicht vor, versteht sich das Ergebnis der Abwägung von selbst.
In einem solchen Fall ist nur dann von einem rechtsfehlerhaften Gebrauch des Ermessens auszugehen, wenn außergewöhnliche Umstände des Falles bekannt geworden oder erkennbar sind, die eine andere Entscheidung möglich erscheinen lassen.
Im vorliegenden Fall ergibt sich die Geltung der Grundsätze des intendierten Ermessens aus dem Zusammenspiel zwischen § 49 VwVfG und dem Landeshaushaltsrechts. § 7 Abs. 1 LHO i.V.m. § 6 Abs. 1 HGrG Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit Diese Haushaltsgrundsätze überwiegen im Allgemeinen das Interesse des Begünstigten
Prof. Dr. Thomas Fetzer, LL.M. www.taxlaw.uni-mannheim.deSeite 20
Aufgabe 2a
Aus diesem Grund steht das Fachrecht im Falle einer zweckwidrig verwendeten Subvention der Entscheidung für den Widerruf näher als einem Absehen hiervon. Aus den Argumenten des L ergeben sich keine Umstände, auf die das Ministerium als individuelle Besonderheiten des Falles hätte eingehen müssen.
IV. Ergebnis
Die Widerrufsentscheidung ist rechtmäßig, die Anfechtungsklage des L daher unbegründet.
Prof. Dr. Thomas Fetzer, LL.M. www.taxlaw.uni-mannheim.deSeite 21
Aufgabe 2b
I. Verwaltungsrechtsweg
II. Klageart und Klagebefugnis• Statthafte Klageart für die Erstattung ist die allgemeine Leistungsklage
• Die Klagebefugnis des Landes ergibt sich aus § 49a Abs. 1 LVwVfG
• Spezielle Ausprägung des allgemeinen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs
• Der Anspruch auf Ersatz der Zinsen folgt aus § 49 Abs. 3 LVwVfG
III. Rechtsschutzbedürfnis• (P) Möglichkeit des Erlasses eines Leistungsbescheides und anschließende
Vollstreckung
• Wenn feststeht, dass der Bürger gegen einen Leistungsbescheid vorgehen wird,
kann die Leistungsklage der Verwaltung Vorteile bringen
Prof. Dr. Thomas Fetzer, LL.M. www.taxlaw.uni-mannheim.deSeite 22
Aufgabe 3
Rechtmäßigkeit des Aufhebungsbescheids
I. Ermächtigungsgrundlage
Da spezielle europarechtliche Normen fehlen, müssen die Mitgliedstaaten die Rückforderung der Beihilfe – und damit auch die Aufhebung des Beihilfebescheides – nach den formellen und materiellen Vorschriften ihres nationalen Rechts durchführen
In Betracht kommt hier § 48 Abs. 1 S. 1 LVwVfG
II. Formelle Rechtmäßigkeit (+)
III.Materielle Rechtmäßigkeit?
Prof. Dr. Thomas Fetzer, LL.M. www.taxlaw.uni-mannheim.deSeite 23
Aufgabe 3
1. Voraussetzungen der Ermächtigungsgrundlagea. Rechtswidrigkeit des Bewilligungsbescheids
Rechtswidrigkeit nach nationalem Recht ist nicht ersichtlich
Der Subventionsbescheid ist laut Sachverhalt unter Verstoß gegen Art. 108 Abs. 3 AEUV erlassen worden. Sowohl das Ministerium als auch L haben das in Art. 108 Abs. 3 AEUV vorgeschriebene Verfahren nicht durchgeführt. Die Bewilligung und die Auszahlung der Beihilfe waren damit formell europarechtswidrig
Dieser formelle Fehler ist auch beachtlich; keine dienende Funktion des Verfahrens im europarechtlichen Kontext; Sinn und Zweck des Art. 108 Abs. 3 AEUV ist der EU-Kommission zu ermöglichen, Beihilfen auf ihre materielle Rechtmäßigkeit hin zu überprüfen; Art. 108 Abs. 3 S. 3 AEUV zeitigt Sperrwirkung für die Auszahlung bis zur abschließenden Entscheidung; Durchführung der Notifikation ist also für die Auszahlung elementar; vgl. auch Wertung des Art. 109 AEUV iVm. Art. 11 Abs. 2 Beihilfe-VO
I.Ü.: EU-Kommission hat die Rechtswidrigkeit bestandskräftig festgestellt; Auffassung des EuGH darf dann die Europarechtswidrigkeit einer Beihilfe nicht erneut und selbstständig von nationalen Stellen geprüft werden.
Prof. Dr. Thomas Fetzer, LL.M. www.taxlaw.uni-mannheim.deSeite 24
Aufgabe 3
b. Vereinbarkeit der Rücknahme des Bewilligungsbescheides mit § 48 Abs. 2 LVwVfG
Vertrauen des L auf den Verwaltungsakt ist grundsätzlich gegeben, § 48 Abs. 2 S. 1 und 2 LVwVfG
Aber das Vertrauen könnte nach § 48 Abs. 2 S. 3 Nr. 3 LVwVfG nicht schutzwürdig sein
Dies ist der Fall, wenn L die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit verkannt hat; Hier strittig
T.v.A.: Jeder Unternehmer muss sich einen entsprechend qualifizierten Rechtsrat einholen; ein schutzwürdiges Vertrauen in die Bestandskraft sei deshalb nur dann gegeben, wenn das Verfahren nach Art. 108 Abs. 3 AEUV eingehalten worden sei
BVerwG: Allein darauf, dass ein Unternehmen sich nicht über die ordnungsgemäße Durchführung des Notifizierungsverfahrens informiert hat, kann noch keine grobe Fahrlässigkeit gestützt werden
Allerdings ist auch nach dieser Auffassung im Rahmen der Abwägung nach § 48 Abs. 2 S. 2 LVwVfG die europarechtliche Dimension derartiger Fälle besonders zu gewichten
Hier: Im Hinblick auf Art. 4 Abs. 3 EUV (effet utile) und dem Ziel eines unverfälschten Wettbewerbs auf dem Binnenmarkt ist das Vertrauen des B nicht schutzwürdig.
Prof. Dr. Thomas Fetzer, LL.M. www.taxlaw.uni-mannheim.deSeite 25
Aufgabe 3
c. Beachtung der Frist des § 48 Abs. 4 LVwVfG
Spätestens mit Bestandskraft der Kommissionsentscheidung vom 15.01.2009, die gemäß Art. 230 Abs. 5 EG am 16.03.2009 eingetreten ist, beginnt diese Frist zu laufen. Damit hätte die Verwaltung den Verwaltungsakt spätestens bis zum 17.03.2010 zurücknehmen müssen. Der Rücknahmebescheid des Ministeriums datiert aber auf den 01.04.2013. Damit ist die in § 48 Abs. 4 LVwVfG geregelte Jahresfrist verstrichen.
Allerdings sind wiederum das unionsrechtliche Effizienzgebot (Art. 4 Abs. 3 EUV) zu berücksichtigen (s. bereits oben unter C. I. 1. b.)
Mithin ist die Jahresfrist nicht anzuwenden, wenn sie der Rückforderung einer gemeinschaftsrechtswidrigen Beihilfe entgegensteht
Prof. Dr. Thomas Fetzer, LL.M. www.taxlaw.uni-mannheim.deSeite 26
Aufgabe 3
2. Rechtsfolge: Ermessenausfall?
Der Behörde steht laut § 48 Abs. 1 LVwVfG ein Ermessen zu; eine Ermessensbetätigung hat vorliegend nicht stattgefunden
Jedoch sind auch hier die Besonderheiten des Gemeinschaftsrechts zu beachten (Art. 4 Abs. 3 EUV)
Das Ermessen der Behörde war folglich aufgrund des Effizienzgebots auf Null reduziert; ein Ermessensausfall lag damit nicht vor
3. Die europarechtskonforme Auslegung des § 48 VwVfG als ausbrechendes Gemeinschaftsrecht?
tvA: (+), Verstoß gegen Vertrauensschutz, Art. 20 Abs. 3 GG, der gemäß Art. 79 Abs. 3 GG nicht zur Disposition des gemäß Art. 23 Abs. 1 GG tätigen Gesetzgebers steht
Allerdings: Verstoß gegen Vertrauensschutz (-), allein Notifizierungsverfahren kann schutzwürdiges Vertrauen schaffen; außerdem ist die Nichtanwendung der Frist des § 48 Abs. 4 S. 1 VwVfG eine Frage der Auslegung des einfachen Rechts
4. Treu und Glauben (§ 242 BGB analog)
Ein Rückgriff auf Treu und Glauben ist wegen dem Effizienzgebot ausgeschlossen
Prof. Dr. Thomas Fetzer, LL.M. www.taxlaw.uni-mannheim.deSeite 27
Aufgabe 3
IV. ErgebnisDer Aufhebungsbescheid vom 1.4.2013 ist rechtmäßig