Englischunterricht im Förderschwerpunkt Lernen
Forschungsstand und didaktisch-methodische Konsequenzen
Prof. Dr. Sandra Deneke
Tagung „Englisch in der Förderschule“
Goethe Universität Frankfurt am Main, 09.08.2008
2
Aufbau des Vortrags
Gründe für den Englischunterricht
Schulpolitische Rahmenbedingungen
Theoretische Grundlagen
Prinzipien der Unterrichtsgestaltung
1
2
3
4
3
Englisch in der Förderschule – Überforderung oder Chance?
„Schüler mit Migrationshintergrundkommen mit einer weiteren Fremdsprache durcheinander.“
„Die sollen doch erstmal richtig Lesen und Schreiben in der deutschen Sprache lernen!“
„Wofür brauchen unsere Schüler denn Englisch?“
„Schüler mit Lernschwierigkeiten können sich meist nur kurzzeitig konzentrieren. Eine Fremdsprache bedeutet zusätzlicher Frust.“
„Der Englischunterricht bringt so wenig, …da kann man die Zeit besser nutzen.“
1
4
Gründe für den Englischunterricht in sonderpädagogischen Aufgabenfeldern
• Durchlässigkeit des Schulsystems
• Teilhabe an einer inter-kulturellen Gesellschaft
• Abbau von Diskriminierung
• Stellungnahme des Europarates
• Bereicherung des Individuums (Persönlichkeitsentwicklung, kognitive Entwicklung)
• Lebensweltbezug
• Hohe Lernmotivation
Gesellschaftlich-politische Gründe Persönliche Gründe
+
1
Quelle: Apeltauer 1987, Degen 1999, Gogolin 1995, List 1995, Windolph 1998
5
Schulpolitische Rahmenbedingungen des Englisch-unterrichts im Förderschwerpunkt Lernen
Untersuchungs-grundlage
Fragestellungen
Zeitraum
• Schriftliche Anfrage an die sechzehn Kultusministerien sowie Recherche im Internet auf Bildungsservern
• Welche Relevanz wird dem Fach Englisch in der Förderschule zugeschrieben?
• Wie wird das Fach Englisch im Förder-schwerpunkt Lernen durch Kerncurricula, Lehrpläne, Richtlinien oder Handreichungen eingebunden?
• Dezember 2002 bis August 2008
2
6
Einordnung der Bundesländer nach Art der ministeriellen Vorgaben und Grad der Unterrichtsverpflichtung
Gra
d de
r Ver
pflic
htun
g Verpflichtend
Verpflichtend mit Einschränkungen
Wahlpflicht/AGs
Nicht erteilt
Keine Vorgaben Diverse Vorgaben LehrplanO* H* E*
Art/Verbindlichkeit der ministeriellen Vorgaben
* O = Orientierung an Lehrplänen der Grund- und HauptschulenH = HandreichungenE = Erlasse, Verordnungen
2
7
Einordnung der Bundesländer nach Art der ministeriellen Vorgaben und Grad der Unterrichtsverpflichtung (2003)
Gra
d de
r Ver
pflic
htun
g Verpflichtend
Verpflichtend mit Einschränkungen
Wahlpflicht/AGs
Nicht erteilt
Keine Vorgaben Diverse Vorgaben LehrplanO* H* E*
Art/Verbindlichkeit der ministeriellen Vorgaben
* O = Orientierung an Lehrplänen der Grund- und HauptschulenH = HandreichungenE = Erlasse, Verordnungen
2
NW
RP, SL, TH
BW
HB, ST
MV NI, BB,HE, SN
BYHH, BE
Einordnung der Bundesländer nach Art der ministeriellen Vorgaben und Grad der Unterrichtsverpflichtung (08/2008)2
8
Gra
d de
r Ver
pflic
htun
g Verpflichtend
Verpflichtend mit Einschränkungen
Wahlpflicht/AGs
Nicht erteilt
Keine Vorgaben Diverse Vorgaben LehrplanO* H* E*
Art/Verbindlichkeit der ministeriellen Vorgaben
* O = Orientierung an Lehrplänen der Grund- und HauptschulenH = HandreichungenE = Erlasse, Verordnungen
RP, SH, TH
SL
ST
HB MV, NW
BY, BE, SN
HH
BB, BW, NI
HE
9
Ergebnisse der vergleichenden Untersuchung
Es bestehen regionale Unterschiede in Schulpraxis und Schulpolitik im Umgang mit dieser Thematik
Quelle: Kutscher 2005
2
Differenzen sind bezüglich folgender Aspekte festzustellen:
Insgesamt lässt sich aber eine deutliche Tendenz erkennen, das Fach Englisch stärker institutionell zu verankern
• Grad der institutionellen Verankerung• Beginn und Dauer des Englischunterrichts• Konzeptionen zum fremdsprachlichen Unterricht• Didaktisch-methodische Unterrichtsprinzipien• Leistungsbeurteilung
10
Fragen, die sich für Englischlehrende ergeben können...
Quelle: Bliesener 2000
3
• Gibt es spezifische Unterrichts-prinzipien für Lerner mit sonderpädagogischem Förderbedarf?
• Welches ist das geeignete Alter für das Erlernen einer Fremdsprache?
• Soll die Leistung im Fach Englisch benotet werden?
• Gibt es geeignete Materialien für ältere Sprachlernanfänger?
11
Theoretische Grundlagen und ihre Konsequenzen für die Unterrichtsgestaltung
Didaktisch-methodische
Konsequenzen
ZweitsprachenerwerbsforschungSprachlehr- und -lernforschung
Theorie des Fremdsprachen-lernens: Lerner-sprachenkonzept (vgl. Selinker 1972)
Pädagogik bei Lernbeein-trächtigungen
Mehrperspekti-vische, konstrukti-
vistische Sichtweise von Behinderung des
Lernens (vgl. Begemann 2002; Werning et al. 2002)
3
12
Mehrperspektivische, konstruktivistische Sichtweise von Lernen/Lernbeeinträchtigungen
Quelle: Kutscher 2005
3
• Lernprozesse sind kontextgebunden; produzieren Sinn und Bedeutung und entstehen in Interaktionen; sie sind affektlogisch strukturiert (vgl. Werninget al. 2002, 143ff.).
• „Jeder Schüler ist original in seiner Lebens- und Lernsituation mit seiner Biografie, seiner Lebensperspektive, seinem Können und seinem spezifischen Lernen. [...] Und sie `haben` ihre Schwierigkeiten nicht als isolierbare, individuelle, sondern in den konkreten Situationen ihrer Schule und ihres Unterrichts“ (Begemann 2002,13).
Lernbeeinträchti-gungen sind immer im Zusammenhang mit Umfeldbedingungen zu sehen.
13
Theorie des Fremdsprachenlernens
• Fremdsprachenlerner gestalten aktiv auf der Grundlage bestehender Lernerfahrungen in für sie bedeutungsvollen Situationen den eigenen Lernprozess. Sie stellen Hypothesen über die fremde Sprache auf; testen, verändern und erweitern diese.
• Sprachenlernen ist als Kombination aus dem Erlernen formelhafter Elemente und der Hypothesenbildung zu verstehen.
• Das fremdsprachliche Wissen des Lerners wird als eigenständige Sprache betrachtet. Diese steht in Wechselwirkung zur Erst- bzw. Muttersprache, kann aber auch unabhängige Merkmale aufweisen.
• Der Erwerbsprozess entspricht einer Reihe von Übergängen von einer Lernersprache zur nächsten.
Quelle: Oksaar 2003
3
14
Didaktisch-methodische Konsequenzen
Didaktik der Heterogenität
Ausgehen von den Stärken und Interessen der Schüler
Keine Behinderung des Lernens durch „didaktische Überfütterung“ (Kieweg 1998)
Quelle: Kutscher 2005
3
15
Prinzipien der Unterrichtsgestaltung
Ziel: Entwicklung grundlegender Verständigungs- u. Orientierungsleistungen
Quelle: Kutscher 2005
4
Prinzipien der Unterrichts-gestaltung
Einsprachig-keit
Authentische Materialien
Heraus-forderung
Themen-orientierung
Mündlichkeit Lebensbe-deutsamkeit
Emotionale Sicherheit
Spielen & Nachdenken
16
Prinzipien der Unterrichtsgestaltung
Ziel: Entwicklung grundlegender Verständigungs- u. Orientierungsleistungen
Quelle: Kutscher 2005
4
Prinzipien der Unterrichts-gestaltung
Einsprachig-keit
Authentische Materialien
Heraus-forderung
Themen-orientierung
Mündlichkeit Lebensbe-deutsamkeit
Emotionale Sicherheit
Spielen & Nachdenken
17
Prinzip der emotionalen Sicherheit: Phasen des Zweit- bzw. Fremdspracherwerbs
Silent period: Beobachten des Unterrichtsgeschehens und Bildung von Hypothesen über das fremde Sprachsystem
Quelle: Kutscher 2005, Leopold-Mudrack 1998
1
Interlanguage period: Experimentieren mit sprachlichen Strukturen und Testen der verinnerlichten Sprachformen
Breakthrough period: Grammatikalisch richtige Aussagen und verstärkte Teilnahme an Dialogen
2
3
18
Prinzip der Mündlichkeit: Basiskomponenten der sprachlich-kommunikativen Fähigkeit
Stille Phase
Quelle: Werlen / Schöffmann 2002, Gemeinsamer Europäischer Referenzrahmen für Sprachen
Mündlich SchriftlichInteraktiv/funktional
Rezeptiv (Zu)hören Lesen Verstehen
Produktiv Sprechen SchreibenSich verständlich machen
19Quelle: Apeltauer 1987
Prinzip der Einsprachigkeit: Lehrersprache als qualitatives Lernangebot im Fremdsprachenunterricht
Ruhige klare SpracheNicht zu
komplex
Konkret und situations-gebunden
Veranschau-lichung
Einsatz von Gestik und Mimik
Reduzierte Sprech-geschwindigkeit
Längere Sprechpausen
Eingeschränkte Themenwahl
Hoher Anteil an Imperativen und Fragen
20
Prinzip Spielen & Nachdenken: Schwerpunkte, Lernstile und -erfolge beim Fremdsprachenlernen
Kinder• Aussprache, Prosodie• weniger Sprechhemmungen• neugieriger auf fremde Kultu-
ren, unvoreingenommener• mehr Freude an spiele-
rischen, kreativen, hand-lungsorientierten und nachahmenden Übungen
• implizite Lernstrategien, asso-ziatives Lernen
Jugendliche/Erwachsene• Konzentration auf lexikalische
und syntaktische Strukturen• schnelleres Lernen und
Verstehen aufgrund ihres Welt- und Lernerfahrungswissens
• explizite Methoden, kognitiv-analytische Lernstrategien
Quelle: Klippel 2001, Oksaar 2003
Trotzdem ist die Kombination von informellen und formellen Lernarrangements für jüngere und ältere Lerner notwendig!
21
Zusammenfassung
Zahlreiche gesellschaftlich-politische und persönliche Gründe sprechen dafür, Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf die Chance des Fremdsprachenlernens und somit auch die Möglichkeit einer angemessenen Teilhabe an der Gesellschaft zu eröffnen.
Insgesamt lässt sich eine deutliche Tendenz erkennen, das Fach Englisch stärker durch Kerncurricula, Bildungspläne und Ressourcen in Stundentafeln institutionell zu verankern.
Aus konstruktivistischer Perspektive muss eine Didaktik der Heterogenität angestrebt werden, die die unterschiedlichen Lernausgangslagen, Stärken und Interessen der Schüler aufgreift und die Lerner nicht durch unnötige Kleinschrittigkeit am Lernen behindert.
22
Englisch in der Förderschule – zukünftige Herausforderungen
Schule
Bildungs-politik
Universität
Materialien für ältere Sprachlern-
anfänger
Umsetzung der curricularen
Vorgaben
Flächendeckende Verankerung in den
Stundentafeln
Heterogenität der Lerngruppen
Lehreraus-und -fortbildung
23
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!
Diese Präsentation sowie eine Literaturliste finden Sie auf meiner Homepage zum Herunterladen:
http://sandra.deneke.phil.uni-hannover.de/downloads/