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Ethik am LebensendeProf. Dr. med. Fred Salomon
Lemgo
2. Palliativtag des Gesundheitsverbunds Landkreis KonstanzRadolfzell – 24.01.2014
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Fall 1 Palliative Kompetenz im Rettungsdienst
• 94-jähriger Mann, wohnt allein, pflegebedürftig (Haushaltshilfe, Sohn)– oral eingestellter Diabetes, Niereninsuffizienz
• Umstellung auf Insulin (Klinikaufenthalte) abgelehnt
• Neue Hausärztin macht Routinebesuch– Orientierungsstörung, Hypoglykämie– Rat von Ärztin und Sohn: Klinik
• lehnt ab, Patientenverfügung– keine Klinik, wenn wieder Hypoglykämie, lieber sterben („alt genug“)
• Am nächsten Morgen findet der Sohn ihn komatös, Hausärztin, Glucose i.v., weiter komatös, BZ hoch, Notarzt gerufen– Spontanatmung, SpO2 82%, HF 32 / min, Pupillen seitendifferent
• Notarzt informiert sich, entscheidet: palliatives Therapieziel
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Problemdifferenzierungalphabetisch geordnet
Fall
KommunikationEthikTechnik
Soziales Medizin
Ökonomie
OrganisationPflege
Psyche
Recht
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Ethik als Querschnittsthema
Ethik:Beurteilung des Tuns oder Lassens
unter dem Gesichtspunktseines Wertes für den Menschen.
Moralureigene sittliche Überzeugung und Einstellung einer bestimmten Person oder Gruppe
EthikNachdenken über sittliches Handeln
Ethik umfassender als Recht.
Rechtmoralischer Minimalkonsensin einer Gesellschaft
Ethik
Recht
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Gesundheit Heilung Symptomkontrolle
Geburt
Tod
Trauerzeit
Palliativmedizin als Querschnittsthema
Prä
vent
ivm
ediz
in
Kur
ativ
med
izin
Pal
liativ
med
izin
Term
inal
Car
e
nach: Roller S ua in: Leitfaden Palliativmedizin, Urban & Fischer, 2000, S. 36
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kurativ
• Leben erhalten• Gesundheit
schützen und wiederherstellen
palliativ
• Leiden lindern• Sterbebegleitung• Grenzen
anerkennen
Selbstbestimmungsrecht / Willen achten
18.02.2011
Basisbetreuung
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Fall 2 Palliative Kompetenz in der Intensivmedizin
• 71-jähriger Mann• Vor 14 Jahren Magen-Carcinom• jetzt Magenstumpf-Carcinom
• OP, primär problemlos
• zuhause Blutung ⇒ Klinik• wiederholte Operationen• Befunde sind dem Patienten bekannt
• Gespräche über Möglichkeiten und Grenzenmit dem Patienten und seinen Angehörigen
• Entscheidung durch den Patienten• Wunsch nach terminaler Sedierung
• Hoffnung
• erneute Blutung ⇒ Sedierung ⇒ Tod
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Therapiegründe
MedizinischeIndikation
Wille desPatienten
Untersuchungoder
Behandlung
Ärztliche Aufgabe
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Therapiegründe
MedizinischeIndikation
Wille desPatienten
Untersuchungoder
Behandlung
Patientenaufgabe
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Ermittlung des Patientenwillens
aktuell erklärter Willedes aufgeklärten, einwilligungsfähigen Patienten
vorausverfügter WillePatientenverfügung, mündliche Aussagen
wenn nicht gegeben
mutmaßlicher Willeaus früheren Äußerungen und Wertvorstellungen zu ermitteln
wenn nicht gegeben
Entscheidung zumWohl des PatientenVorrang des Lebensschutzes
wenn nicht gegeben
modifiziert nach: Sold M, Schmidt KW: Therapiebegrenzung und Therapiereduktion - praktisch umgesetzt,in: Salomon F (Hg): Praxisbuch Ethik in der Intensivmedizin, mwv-berlin, 2009, S.189
Bevollmächtigter oder Betreuer kannvorausverfügten Willen
zur Geltung bringenoder mutmaßlichen Willen finden helfen
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Entscheidung und Verantwortung
Eine Person muss entscheiden !
denn:
Eine Person muss die Entscheidung verantworten !
Es muss die Person entscheiden, dieim Entscheidungsmomentstrukturellfür die konkrete Entscheidung
verantwortlich ist .
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Wertevielfalt
• individuelle Sozialisation ⇒ individuelle Moral• Moral ist zeitabhängig
• Herkunft aus unterschiedlichen Kulturen ⇒ unterschiedliche Werte• Religionszugehörigkeit
• unterschiedliche persönliche Erfahrungen• Nähe / Distanz zum Patienten• Berufsgruppenzugehörigkeit
„Moderne Gesellschaften können sich im Gegensatz zu vormodernen nicht länger
auf ein homogenes Welt-, Gesellschafts- und Menschenbild beziehen!Axel Bohmeyer: Ethische Deliberationsprozesse in der Organisation Krankenhaus - soziologische, moralpädagogische und bildungstheoretische Zugänge, in: Th.Krobath, A.Heller (Hg): Ethik organisieren, Freiburg 2010, S.790
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Wie möchten sie sterben ?
14 12
62 60
23 25
0
10
20
30
40
50
60
70
bewusst undbegleitet
schnell undplötzlich
bisher keineGedankengemacht
19962001
Emnid-Umfragen 1996 und 2001www.hospize.de/texte/emnid 2001
%n = 1012
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Wenn ich unheilbar erkrankte …
21
72
46
89
66
0
10
20
30
40
50
60
70
80
90
würde ich mir dasLeben nehmen
sollte jemand meinLeiden beenden
dürfen durch Verzicht
möchte ich in Ruhesterben
möchte ichschmerzfrei sterben
sollte jemand meinenTod auf meine Bitteherbeiführen dürfen
%n = 644
Dreßel G ua: Sterben und Tod in Thüringen, Jena, 2001
http://pflege.sw.fh-jena.de/hospiz/pdf/sterben_und_tod.pdf
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Fall 3 Palliative Kompetenz in Geburtshilfe und Neonatologie
• Henry, Geburt in der 26.SSW, 850 g• Nabelvenenkatheter, Intubation, Surfactant• nach 12 Stunden: Oxygenierungsprobleme
– Pulmonalstenose, Lungendurchblutung über Ductus Botalli
– keine OP-Option– Langzeitprostaglandin-Infusion bis zum Gewicht von ca. 2000 g
• 11. Tag: Dünndarmperforation– 3 x OP in 2 Wochen
• beginnendes Multiorganversagen
• Ethikkonsil, Gespräch mit Eltern– palliatives Therapieziel, Beendigung der lebensverlängernden Maßnahmen
• Tod in den Armen der Eltern
Steurer M, Berger Th M: Spezifische ethische Konflikte in der pädiatrischen und neonatologischen Intensivmedizin, mwv Berlin 2012, S.177
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Spezielle Fragen
• Problem der Autonomiebei Neugeborenen, Säuglingen, Kleinkindern
– Betreuung von Patientinnen und Patienten am Lebensende (2004, aktualisiert 2012)http://www.samw.ch/de/Ethik/Richtlinien/Aktuell-gueltige-Richtlinien.html2 )
– Baines P: Medical ethics for children: applying the four principles to paediatricsJ Med Ethics 2008; 34:141-145
• Verzicht auf Ernährung ?• Verzicht auf Flüssigkeitszufuhr ?• Nebenwirkungen von Schmerztherapie ?• Sedierung am Lebensende ?• Sterbehilfe ?
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Ethisch relevante Aspekte am Ende des Lebens
• aktive Sterbehilfe– verboten, auch bei Wunsch des Patienten (Tötung auf Verlangen)– in Niederlande, Belgien und Luxemburg
bei Einhaltung festgelegter Regeln straffrei
• indirekte Sterbehilfe– erlaubt
• passive Sterbehilfe– erlaubt
• ärztlich assistierter Suizid– strafrechtlich erlaubt, standesrechtlich verboten
• palliative / terminale Sedierung– erlaubt
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Sterbenlassen nach Therapiezieländerung (nach DIVI-Positionspapier 2012)
• Überprüfen allerdiagnostischer, therapeutischer und pflegerischer Maßnahmen
• Zusätzliche Belastung Sterbenderdurch Verzicht auf diese Maßnahmen vermeiden
• Maßnahmen, die nur zur Verlängerung des Sterbens führen,sind unzulässig
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Sterbehilfe
• Nicht Abbruch begründen, sondern Therapie !
• „Nicht beginnen“ (withhold)
gleichwertig mit „Beenden“ (withdrawl) !
• Behandlungsabbruchdurch Unterlassen oder aktives Tun ! BGH 26.6.2010
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palliative / terminale Sedierung
• palliative Sedierung– Kontrollierte Gabe von Schlafmitteln zur vorübergehenden Entlastung des
Menschen, der an einer absehbar zum Tode führenden Erkrankung leidet.
• terminale Sedierung– Kontrollierte Gabe von Schlafmitteln zur Sedierung eines Menschen,
dessen Tod ganz nahe bevorsteht und der in dem dadurch bewirkten Schlaf stirbt.
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Palliativ unverzichtbare Maßnahmen (nach DIVI-Positionspapier 2012)
• zielgerichtete Optimierung der lindernden Therapie• menschenwürdige Unterbringung• menschliche Zuwendung
• Körperpflege• Lindern von Schmerzen, Luftnot, Übelkeit und anderen subjektiv belastenden
Symptomen• Stillen von subjektiv vorhandenem Hunger und Durst
• Symptomkontrolle• Mindern von Angst, Unruhe und anderen psychischen, sozialen und
spirituellen Belastungen durch ein interdisziplinäres, multiprofessionelles Team
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Kommunikation in der Therapiezielfindung (nach DIVI-Positionspapier 2012)
• verständliche, empathische Kommunikation• Strukturelle Rahmenbedingungen• klar formulierte Ziele
• präzisierte Handlungsschritte• klare Dokumentation mit Begründung der Entscheidung
• Kommunikation im ärztlichen Team• Kommunikation im multiprofessionellen Team• bei Dissens Ethik-Fallberatung
• Gespräch mit Patienten / Angehörigengespräch