Oktober 2007
Reich der MitteWas einer erlebt, der nach China ausziehtLand des LächelnsWas Humor im Büro zu suchen hatRad der WeisenWas Autos eines Tages können könnten
Der Feind im eigenen HausBei wirtschaftskriminellen Delikten herrscht in Unternehmen Alarmstufe Rot
pwc:Das Magazin für Vorausdenker
�_pwc: oktober 2007
Trends Seite 14
ChinaWie das Unternehmen Zwilling in China Fuß fasste und die Chinesen für deutsche Markenqualität begeisterte. Seite 16
Japan
Das Ende der Abschottung: Japan erleichert
Firmenübernahmen durch ausländische In-
vestoren. Seite 20
Infraserv
Wie aus der Werksorganisation des Stamm-
werks der Hoechst AG ein Pionier des Infra-
strukturmanagements wurde. Seite 22
OutsourcingFünf Fragen, die sich Unternehmen stellen sollten, bevor sie interne Prozesse auslagern. Seite 26
Trends Seite 28
Deutschland AG 2.0Die Bedeutung von Private Equity wächst. Und damit der Konflikt zwischen zwei Füh-rungs- und Unternehmenskulturen. Seite �0
Interview: Matthias MoserDer Deutschland-Chef von Fortress über die Perspektiven der Private-Equity-Branche in Deutschland. Seite �2
IFRS-Interpretation
Wie die Experten des IFRIC Probleme mit
den IFRS-Regeln lösen. Seite �4
HumorFührungskräfte müssen nicht ernst sein, um ernst genommen zu werden. Seite �6
Interview: Eckart von HirschhausenDer Humorcoach und Kabarettist über Arbeit und Vergnügen. Seite �8
Zoll und HabenWie der Verwaltungsaufwand im Zollverfahren verringert werden soll. Seite 40
Titel
Der Feind im eigenen HausWie sich Unternehmen wirksam vor wirtschaftskriminellen Delikten der eigenen Mitarbeiter schützen können. Seite 4
Interview: Sebastian TurnerDer CEO der Werbeagentur Scholz & Friends über Kriminalitätsbekämpfung und Kommunikation. Seite 12
pw
c: In
halt
Märkte Wissen Lösungen
Trends Seite 42
Autos der ZukunftForscher arbeiten heute schon an den Autos, mit denen unsere Enkel nicht nur fahren, sondern auch kommunizieren und fliegen werden. Seite 44
Finanz-Reporting
XBRL, der neue Standard für elektronische
Berichterstattung. Seite 50
Publikationen Seite 54Impressum Seite 55
2_pwc: oktober 2007
Sehr geehrte Leserinnen und Leser,
die Umschlagfarbe dieser Ausgabe ist natürlich nicht zufällig gewählt.
Denn das Titelthema ist alarmierend: Wirtschaftskriminalität. Sie hat
von Bilanzfälschung über Datenmanipulation bis Korruption
viele Facetten und kann jeden treffen, unabhängig von Unterneh-
mensgröße oder Branchenzugehörigkeit. Manchmal stecken einzelne
Personen mit krimineller Energie dahinter, mal ist bloße Unwissenheit
daran schuld, mal fehlen Prozesse und Systeme, die auf die Risiken
bestimmter Handlungen rechtzeitig hinweisen. Die Aufklärung von
Fraud ist eine große Herausforderung. Damit es erst gar nicht so weit
kommt, sind Präventionsmaßnahmen und Vermeidungsstrategien so
wichtig – umso mehr, als solche Delikte die öffentliche Wahrnehmung
von Unternehmen nachhaltig negativ beeinflussen.
Ein insbesondere in China verbreitetes Fraud-Delikt ist die Produkt-
piraterie, unter der vor allem Markenartikler leiden. Wie es dennoch
gelingen kann, im Reich der Mitte erfolgreich Fuß zu fassen, zeigt
das Beispiel des Schneidwarenherstellers Zwilling, dessen Gang
nach China wir in dieser Ausgabe nachgezeichnet haben. Etwas
leichter wird durch ein neues Gesetz künftig der Gang für deutsche
Unternehmen nach Japan, wenn sie dort Unternehmen erwerben
möchten – wohlgemerkt: etwas leichter. Richtig einfach ist er immer
noch nicht. Weniger kompliziert, als es klingt, ist XBRL, eine Sprache
für die elektronische Berichterstattung, die sich in Deutschland nur
zögerlich durchsetzt. Wir stellen vor, woran gearbeitet wird, um XBRL
zu mehr Durchsetzungskraft zu verhelfen. Und dann möchte ich Sie
auf einen Artikel über Humor hinweisen, weil der uns allen das Leben
etwas leichter macht. Nach Ansicht von Management-Trainern wird
er von Führungskräften jedoch sehr sparsam eingesetzt. Dabei hat er
viele nützliche Funktionen – eine davon hat Joachim Ringelnatz auf
den Punkt gebracht: „Humor ist der Knopf, der verhindert, dass uns
der Kragen platzt.“
In diesem Sinne: eine anregende und vergnügliche Lektüre
Hans Wagener, Vorstandssprecher der PricewaterhouseCoopers AG
Hans Wagener
pw
c: E
dito
rial
�_pwc: oktober 2007 �_pwc: oktober 2007
Datenklau: 13 Prozent der deutschen Unternehmen sind davon betroffen. PwC-Studie „Wirtschaftskriminalität 200�“
2. Juli 2007 – Staatsanwaltschaft Frank-
furt. Abteilung XVII. Korruption. Zum letz-
ten Mal betritt Wolfgang Schaupensteiner
das mehrstöckige Gebäude an der Großen
Friedberger Straße. Mit unzähligen Vor-
standsvorsitzenden, Managern, Bürger-
meistern und Beamten hat der Oberstaats-
anwalt hier in den vergangenen Jahren
gesessen. Die einen zeigten sich reuevoll
und geständig. Die anderen arrogant und
keiner Schuld bewusst – bis Schaupenstei-
ner sie ihnen nachwies.
Leicht war der Kampf gegen das verdeck-
te Geben und Nehmen nicht. Nur fünf Pro-
zent der Straftäter fliegen auf. „Die Leute
geben sich nicht immer allzu große Mühe,
ihre Betrügereien zu vertuschen. Sie können
damit rechnen, dass ihre Manipulationen
nicht auffliegen, zumal, wenn bei den Un-
tersuchungen keine Spezialisten eingesetzt
werden.“ Noch einmal spricht Korruptions-
experte Schaupensteiner über Personal-
mangel in der Justiz, über Versäumnisse der
Politik. Ganz so, wie man ihn aus Talkrun-
den mit Sabine Christiansen und Maybritt
Illner kennt: sachlich, ohne Regung, ohne
Wut. Auch wenn er sich in den vergangenen
Jahren immer wieder zusammenreißen
musste: „Unvorstellbar, mit welcher Dreis-
tigkeit gerade aus den obersten Etagen
Wirtschaft und Staat abgezockt werden.“
Worldcom in den USA, Parmalat in Italien,
Flowtex und Comroad in Deutschland – in
den vergangenen Jahren verging kaum ein
Monat, in dem man in den Zeitungen nicht
über Topmanagement-Fraud lesen konn-
te. Kein neues Phänomen und keineswegs
auf einzelne Länder beschränkt. Der Gipfel:
Enron. Gut 60 Milliarden Dollar haben die
Anleger damals verloren, die Aktie des En-
ergiehändlers stürzte von 90 Dollar auf 67
Cent. Der Täterkreis: oberste Führungskräf-
te. Spätestens seit Enron steckt ein Keil des
Misstrauens in der Gesellschaft.
Aber die Skandale haben auch eine ver-
stärkte Diskussion über Werte ausgelöst.
Nicht mit dem Ziel, Unternehmen beson-
ders moralisch zu machen, sondern, ihre
Existenz nachhaltig zu sichern. Hinzu
kommt, dass die Täter eben nicht nur, wie
man mit Blick in die Presse mutmaßen
könnte, aus den obersten Reihen kommen.
Laut der Studie „Wirtschaftskriminalität
200�“ von PricewaterhouseCoopers (PwC)
und der Universität Halle-Wittenberg wird
jede vierte Straftat in einem Unternehmen
weltweit von einem Mitarbeiter aus dem
Topmanagement begangen. Das bedeutet:
Betrogen, veruntreut, unterschlagen wird
auf allen Ebenen eines Unternehmens.
Und immer häufiger wird nicht nur mate-
rielles, sondern auch geistiges Eigentum
geklaut. „Seit drei, vier Jahren hat insbe-
sondere das Thema Produktpiraterie an
Bedeutung gewonnen“, so Claudia Nest-
ler, Forensikexpertin bei PwC. „Vor allem in
Ländern wie Brasilien, Russland, Indien und
China ist die Verletzung der Intellectual Pro-
perty ein großes Problem für deutsche Fir-
men. Sie klagen über Piraterie fast ebenso
wie über Betrug und Bestechung.“
Mit welch gewaltigem Problem die Unter-
nehmen zu kämpfen haben, macht das
Bundeslagebild Korruption des Bundeskri-
minalamts deutlich. Demnach macht Wirt-
schaftskriminalität zwar nur 1,3 Prozent aller
registrierten Delikte aus, aber fast �7 Pro-
zent der Schadenssummen. Die PwC-Stu-
die ergab, dass zwischen 2003 und 200�
fast jedes zweite deutsche Unternehmen
Opfer von Datenverrat, Diebstahl, Bilanzfäl-
schung, Korruption oder Bestechung wurde.
Der unmittelbare Schaden lag bei durch-
schnittlich 3,� Millionen Euro.
Doch aus den bekannt gewordenen Fällen
lässt sich nicht auf das tatsächliche Aus-
maß von Wirtschaftskriminalität schließen,
sagt Peter von Blomberg, Vizepräsident der
deutschen Sektion von Transparency In-
ternational (TI): Niemand wisse, ob durch
bessere Kontrollen mehr Verstöße zu Tage
treten oder ob Datenverrat, Diebstahl, Bi-
lanzfälschung, Korruption oder Bestechung
tatsächlich zugenommen haben. Zwar gibt
TI jährlich einen weltweiten Corruption Per-
ception Index heraus. Aber auch er beruht
nicht auf Statistiken, sondern auf Experten-
Einschätzungen. Klar ist nur: Will Deutsch-
land seinen guten Ruf nicht ganz verlieren,
müssen Unternehmen handeln. Nur wie?
Der Feind im eigenen HausGegen wirtschaftskriminelle Delikte der eigenen Mitarbeiter ist kein Unternehmen gefeit. Wie sie sich wirksam schützen können. Von Anja Dilk und Heike Littger
pw
c: T
itel
6_pwc: oktober 2007 7_pwc: oktober 2007
Korruption: Die Zahl der betroffenen Unternehmen stieg in zwei Jahren von 6 auf 9 Prozent.PwC-Studie „Wirtschaftskriminalität 200�“
Steffen Salvenmoser, ehemaliger Staatsan-
walt und jetzt im Bereich Forensic Services
bei PwC Deutschland tätig, ist sich sicher:
„Unternehmen können viel tun und viel er-
reichen, wenn sie ernsthaft und systema-
tisch gegen Wirtschaftskriminalität vorge-
hen.“ Nur: „Ein Code of Conduct ist richtig
und gut. Der Kampf gegen Wirtschaftskrimi-
nalität findet jedoch in der Praxis und nicht
auf dem Papier statt.“ Wichtig sei, dass die
Regeln auch gelebt würden. Dazu gehöre
„eine klare Selbstverpflichtung nach innen
und außen“. Das Unternehmen muss deut-
lich machen, dass es erstens jegliches ille-
gale Handeln ablehnt und dass es zweitens
jeden Verstoß kompromisslos ahndet: jeden
Fall zur Anzeige bringt, jedem Täter kündigt,
egal ob Sachbearbeiter oder Topmanager.
Wichtig sind aber auch, so Salvenmoser,
klare Verhaltensregeln: Was darf ein Mitar-
beiter, und was darf er nicht. „Viele haben
gar kein Unrechtsbewusstsein.“
Darüber hinaus muss ein Unternehmen sich
und seine Schwachstellen kennenlernen.
Das sind bei jedem andere. Und vor allem
ist es nicht immer der Einkauf. „Wirtschafts-
kriminelle Handlungen“, so der Berliner
Rechtsanwalt Edgar Joussen, „finden viel-
fach im Vorfeld eines Auftrages oder danach
statt, aber weniger oft bei der Auftragsver-
gabe selbst. Das wäre auch zu durchsich-
tig.“ Oft werden Leistungsverzeichnisse so
frisiert, dass nur noch bestimmte Firmen als
Auftragnehmer infrage kommen.
Auf die klare Analyse folgen Bewertung und
Gegenmaßnahmen: Welche Schwachstellen
sind besonders relevant? Wie können wir
gegensteuern? Zum Beispiel mithilfe des
Vieraugenprinzips bei wichtigen Geschäfts-
abschlüssen oder über Jobrotation, die ver-
hindert, dass eine Person zu lange an einer
Schaltstelle sitzt. Zum Beispiel mit organi-
satorischen Regelungen, die Planung, Ein-
kauf und Vertrieb in verschiedene Hände
legen. Oder mit EDV-gesteuerten Routine-
kontrollen von Geschäftsabläufen und Geld-
strömen. „IT-Systeme spielen eine wichtige
Rolle bei der Entdeckung von Wirtschafts-
kriminalität“, sagt PwC-Experte Bernd Rei-
mer. „Mit ihnen lassen sich nicht nur Mails
screenen oder Kundennamen mit Blacklist-
daten abgleichen. Man kann auch heraus-
finden lassen, was in der Firma ausgedruckt
oder auf Kopierer gelegt wurde.“
Von einem übermäßigen Einsatz elektro-
nischer Kontrollmethoden rät Reimer al-
lerdings ab. Wenn bei jeder Buchung eine
Warnlampe angehe, gefährde das eher die
Unternehmenskultur. Hinzu kommt: Jedes
System kann missbraucht werden. Wem
es gelingt, den Zugang zu knacken, der
kann sich schnell einen Überblick über Fir-
mendaten, Geschäftsprozesse oder Zah-
lungsströme verschaffen. Die elektronische
Rundumverschaltung biete, so Reimer,
reichlich Gelegenheiten für „Cyber-Crime“.
Schnell ist eine PIN-Nummer ausspioniert
oder der Bankzugang für eine Stunde ge-
ändert. Zeit genug für großzügige Überwei-
sungen auf das eigene Privatkonto.
Wie leicht die unverzichtbare Technik zum
Fallstrick werden kann, zeigt sich beson-
ders nach Fusionen oder Übernahmen,
wenn die einzelnen Unternehmensteile aus
Kostengründen erst einmal mit verschie-
denen Systemen weiterarbeiten. „Je de-
zentraler ein Unternehmen organisiert ist, je
mehr unterschiedliche Buchhaltungs- und
SAP-Systeme es beispielsweise hat, desto
anfälliger wird es für wirtschaftskriminelle
Handlungen“, sagt Forensikexpertin Nestler.
„Denn zwischen den Systemen sind manu-
elle Überleitungen nötig. Hier können Mit-
arbeiter, die sich auskennen, leicht an den
Stellschrauben drehen.“
Hinweisgeber- oder Whistleblowingsysteme
sind eine andere Möglichkeit, Licht ins Dun-
kel zu bringen. Über sie kann jeder Mitarbei-
ter ohne Risiko für die eigene Person Hin-
weise weitergeben. Das kann eine Hotline
oder ein elektronisches System sein, bei
dem der Hinweisgeber vertraulich oder an-
onym seine Beobachtungen meldet und
elektronisch befragt werden kann. Kai
Bussmann, Kriminologieprofessor an der
Universität Halle-Wittenberg, hält solche
Systeme für effizient, da Täter nicht so sehr
die Strafe abschrecke als vielmehr das Risi-
ko, entdeckt zu werden – und das schrau-
ben Hinweisgebersysteme hoch.
Doch auch bei diesem Instrument mahnt
Bussmann einen vorsichtigen Umgang an.
„Bei Einführung eines solchen Systems dür-
fen Mitarbeiter nicht das Gefühl bekommen,
sie sollen ihre Kollegen verpfeifen – gerade
in Deutschland, wo die Angst vor Denunzia-
tion aus historischen Gründen sehr groß ist.“
Stattdessen müsse vermittelt werden, dass
wirtschaftskriminelle Handlungen keine Ka-
valiersdelikte sind, sondern unternehmens-
schädigendes Verhalten, unter dem langfris-
tig alle zu leiden haben.
Joachim Fetzer, Professor für Wirtschafts-
ethik an der Fachhochschule Würzburg-
Schweinfurt und Vorstandsmitglied des
Deutschen Netzwerks Wirtschaftsethik, ist
froh, dass in Deutschland jetzt weniger über
das Ob von Hinweisgebersystemen disku-
tiert wird, sondern mehr darüber, welches
System das bessere ist. Dennoch gibt er
zu bedenken: „Wir wollen ein Mehr an Of-
fenheit und Transparenz, institutionalisie-
ren aber anonyme oder vertrauliche Kom-
munikationskanäle.“ Eine perfekte Lösung
gebe es nicht. „Aber über den Widerspruch
nachzudenken ist schon viel wert.“ Auch
Wirtschaftsrechtler Joussen macht Einwän-
de geltend: „Wen können wir über Whistle-
blowing gewinnen? Meiner Erfahrung nach
sind Abteilungsleiter und Vorstandsmitglie-
der – die wichtigsten, weil informiertesten
Informanten – sehr zurückhaltend. Über das
Internet oder eine Hotline ihr Wissen weiter-
geben – das erscheint den meisten zu unsi-
cher, zu gefährlich.”
Joussen kennt sich aus. Neben seiner Tätig-
keit als Anwalt arbeitet er auch für die Deut-
pw
c: T
itel Die Studie
Für die Studie „Wirt-
schaftskriminalität
200�“ wurden von
PwC 3.63� Unter-
nehmen in 3� Län-
dern befragt – die
weltweit umfas-
sendste Studie die-
ser Art. In Deutsch-
land wurden in Zusammenarbeit mit der
Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg
�00 Interviews mit deutschen Unternehmen
geführt. Der nächste „PwC Global Economic
Crime Survey“ erscheint Ende 2007. Down-
load: www.pwc.de/de/pwc232.
Wirtschafts-kriminalität 2005*
Internationale und deutsche Ergebnisse
�_pwc: oktober 2007 9_pwc: oktober 2007
Unterschlagung: Das häufigste Delikt – fast jedes dritte Unternehmen leidet darunter.PwC-Studie „Wirtschaftskriminalität 200�“
sche Bahn: Er ist einer der beiden exter-
nen Ombudsmänner des Konzerns. An ihn
kann sich jeder wenden, der das Gefühl hat,
bei der Bahn oder ihren Zulieferern stimme
etwas nicht. Aber auch jeder, der sich im
Netz der Korruption selbst verheddert hat.
Das Besondere: Die Hinweise darf er wei-
tergeben, die Informanten nicht – anwalt-
liche Schweigepflicht. In der Regel rufen die
Menschen bei ihm an, und nach zwei, drei
Telefonaten trifft er sich mit ihnen: Vorstän-
de, Hauptabteilungsleiter, Sachbearbeiter.
Denunzianten waren bis jetzt keine dabei.
„Die Befürchtung, mit der Einführung von
Ombudsmännern beginne die Verleumdung,
existiert nur in der Theorie.“
Für den ehemaligen Staatsanwalt Schau-
pensteiner sind Ombudsmänner ein wich-
tiges Instrument im Kampf gegen Korrupti-
on. Das sagt er nicht nur, weil er seit Mitte
Juli bei der Deutschen Bahn als Chief
Compliance Officer nach Mitarbeitern
fahndet, die sich gerne das Salär mit di-
cken Bestechungsgeldern auffrischen oder
heimlich von der Firmenkasse etwas ab-
zweigen. Sondern weil er aus seiner lang-
jährigen Erfahrung weiß, dass durch die
externen Vertrauensmänner Unternehmen
überhaupt erst eine reale Chance bekom-
men, in den geschlossenen Kreis von Be-
trug, Bestechung, Spionage und Korrupti-
on vorzudringen.
Doch nur die wenigsten Unternehmen, Or-
ganisationen oder Behörden haben einen
solchen Ombudsmann. Die Bundesregie-
rung winkt noch ab, die meisten Länder
ebenfalls. Aber Schaupensteiner gibt auch
zu bedenken: Ob Vertrauensmann, Com-
pliance-Beauftragter oder elektronisches
Whistleblowing – jedes System muss regel-
mäßig evaluiert werden: Wird es genutzt?
Hilft es tatsächlich bei der Bekämpfung von
Korruption? Ansonsten wird es schnell zum
Feigenblatt.
Soll der Kampf gegen die Wirtschaftskri-
minalität erfolgreich sein, werden nicht nur
Unternehmen an den Stellschrauben ihrer
Organisationen drehen müssen. Auch der
Gesetzgeber muss ran. „Wir brauchen mehr
Kontrolle und Anreize, um die Unternehmen
auf den Weg der Tugend zurückzuführen“,
sagt Kriminologe Bussmann. „Bisher wird
der deutsche Gesetzgeber erst aktiv, wenn
etwas passiert ist.“
Wie erfolgreich ein auf Prävention ange-
legtes juristisches Regelwerk sein kann, zei-
gen die USA (s. Kasten). Bussmann: „Das
US-Recht macht den Unternehmen Feuer.
Und viele deutsche Unternehmen haben
noch nicht gemerkt, dass sich die Zeiten
geändert haben und dieses Recht längst
weltweit die Standards setzt, an denen sich
alle messen lassen müssen.“
In Deutschland legte Ende Mai das Bundes-
justizministerium einen neuen Gesetzesent-
wurf für ein Antikorruptionsgesetz vor. Un-
ter anderem sollen Schmiergeldzahlungen
von Unternehmen auch dann bestraft wer-
den können, wenn sie keinen unmittelbaren
Wettbewerbsvorteil zum Ziel haben.
Christoph Hauschka will nicht auf Vater
Staat warten, sondern sich über effizi-
ente Compliance-Systeme austauschen.
Zumal dem Partner bei der internationa-
len Rechtsanwaltsgesellschaft Luther in
München das Wort „Wirtschaftskriminalität“
nicht gefällt. Zu viel Kriminalität. „Für mich
ist Compliance keine Sache von Polizisten
oder Staatsanwälten. Unternehmen müs-
sen sich selbst schützen. Aus eigener Kraft.
pw
c: T
itel
Von den USA lernen
Verbreitung von kriminalitätsvorbeugenden Systemen, Angaben für 2005 in ProzentVorreiter USA
Quelle: PricewaterhouseCoopers
94
ethische RichtlinienWhistleblowing
US-Firmen,börsennotiert
US-Firmen,nicht börsennotiert
Nicht-US-Firmen,in USA börsennotiert
Nicht-US-Firmen, imHeimatland börsennotiert
Nicht-US-Firmen,nicht börsennotiert
Compliance-Systeme
98 91
56 91 75
70 96 85
45 81 71
23 69 57
Kein Land hat sich so der Bekämpfung der
Wirtschaftskriminalität verschrieben wie die
USA. Schon 193� wurde als Reaktion auf
den Börsenkrach die heute wohl effizientes-
te Börsenaufsicht der Welt geschaffen: die
SEC. Das Antibestechungsgesetz FCPA ver-
bietet seit dem Jahr 1977 Zahlungen oder
Übertragungen von irgendetwas von Wert
an Amtsträger. Nach Enron und Worldcom
legten die Vereinigten Staaten im Jahr 2002
mit dem Sarbanes-Oxley Act (SOX) nach,
der börsennotierten Unternehmen zahl-
reiche interne Kontroll- und Präventionsmaß-
nahmen abverlangt.
Zudem sind Unternehmen in den USA selbst
für Straftaten haftbar. Der Trick: Wenn Unter-
nehmen Compliance-Programme einführen,
reduziert sich die Strafe. Grundlage sind die
US Sentencing Guidelines: Aus einem aus-
gefeilten Bonus- und Malussystem errechnet
sich das Strafmaß – ein wirksamer markt-
wirtschaftlicher Anreiz für präventive Akti-
vitäten der Unternehmen.
Das Vorgehen der USA gegen Wirtschaftskri-
minalität hat Konsequenzen für international
agierende Konzerne. „In den vergangenen
zwei Jahren hat sich der Druck der ameri-
kanischen Aufsichtsbehörden auf auslän-
dische Unternehmen verstärkt“, sagt PwC-
Forensikexpertin Claudia Nestler. „Die SEC
legt bewusst eine schärfere Gangart ein und
dringt auf den Vollzug des Antibestechungs-
gesetzes. Die Staatsanwaltschaften für nicht
börsennotierte Unternehmen verfolgen die-
selbe Politik.“
Sicher, bislang sind nur 2� deutsche Unter-
nehmen in den USA gelistet. Doch die recht-
lichen Vorlagen der Vereinigten Staaten ent-
falten auch weit über den Geltungsbereich
ihrer Gesetze hinaus ihre Wirkung (siehe
Grafik unten). Diese Ausstrahlung beruht vor
allem auf drei Mechanismen:
• Ökonomisches Gewicht: Die US-Wirt-
schaft spielt eine zentrale Rolle in der Welt-
wirtschaft, viele ausländische Konzerne
oder ihre Töchter sind in den USA gelistet,
die meisten haben relevante Handelsbezie-
hungen mit US-Unternehmen, die bei laxer
Compliance gefährdet werden könnten.
• Benchmarking der Unternehmen: Weltweit
orientieren sich börsennotierte Unternehmen
sehr stark aneinander, egal ob die nationalen
Vorschriften eine Präventionsmaßnahme ver-
langen oder nicht.
• Benchmarking der Politik: Der US-Ge-
setzgeber verfolgt seit Jahrzehnten eine
Politik der Null-Toleranz gegenüber Wirt-
schaftskriminalität. Dabei vertraut er nicht
allein auf die selbstregulatorischen Kräfte
des Markts, sondern greift mit einem Mix
aus Prävention und Repression ein. Diese
konsequente Politik macht die Vereinigten
Staaten zur Benchmark für Gesetzgeber
anderer Staaten.
10_pwc: oktober 2007 11_pwc: oktober 2007
[email protected]. 069 9���-���2 [email protected]. 0711 2�03�-3�[email protected]. 069 9���-����
Jedes zweite Unternehmen ist von Delikten der eigenen Mitarbeiter betroffen. Elektro-nische Kontrollen und Hinweisgebersysteme können helfen, aber entscheidend ist eine kompromisslose Haltung des Unternehmens.
Betrug: Bei 66 Prozent der Fälle war eine der Ursachen mangelndes Unrechtsbewusstsein.PwC-Studie „Wirtschaftskriminalität 200�“
Und das geht am besten, indem sie ihre in-
ternen Prozesse im Speziellen, aber auch
ihre Unternehmenskultur im Allgemeinen
optimieren.“ Im Februar hat Hauschka, da-
mals noch Chefsyndikus bei Züblin, mit �0
Unternehmensjuristen das „Netzwerk Com-
pliance“ gegründet. Heute stehen fast �00
auf seinem Verteiler, unter anderem von der
Allianz, MAN, Hochtief und ThyssenKrupp.
Für Anfang September hatte Hauschka
zum Brainstorming nach Frankfurt geladen –
vielleicht der Startschuss für eine neue Her-
angehensweise der deutschen Konzerne an
das Thema Wirtschaftskriminalität.
Darauf hofft auch Joachim Fetzer. „Wenn
wir wirklich eine Chance haben wollen“, so
der Wirtschaftsethiker, „dürfen wir nicht nur
darüber diskutieren, wie wir unser persön-
liches Haftungsrisiko loswerden. Wir müs-
sen auch unseren Fokus verändern.“ Die
zentralen Fragen lauten: Wie können wir
unsere Mitarbeiter besser kontrollieren und
uns vor Übergriffen schützen? Aber auch:
Was haben wir, was hat das Unternehmen
als Ganzes damit zu tun? Wie sehen bei-
spielsweise unsere internen Anreiz- und Ver-
gütungssysteme aus?
Um sich diesem sensiblen Thema zu nä-
hern, veranstaltet das Deutsche Netzwerk
Wirtschaftsethik in der Frankfurter PwC-
Zentrale gemeinsam mit PwC Forensic
Services die Vortragsreihe „Unternehmen
Integrität“. Bereits das Thema der Auftakt-
veranstaltung im Juni löste heftige Kontro-
versen aus: Sind Unternehmen für die Inte-
grität ihrer Mitarbeiter verantwortlich? Nach
zwei Stunden hatte Fetzer die meisten Teil-
nehmer von seiner Position überzeugt:
„Nicht die persönliche Integrität, aber zumin-
dest das integre Handeln der Mitarbeiter
wird wesentlich von unternehmensinternen
Strukturen gefördert oder behindert.“
Der Grund, warum Unternehmen zuneh-
mend aktiv werden, sich austauschen und
vernetzen, liegt für Peter von Blomberg von
Transparency International auf der Hand.
„Alle wissen: Keiner ist sicher.“ Und alle ah-
nen: Wirtschaftskriminalität wird über kurz
oder lang mit Reizthemen wie Ökologie
oder Nachhaltigkeit gleichziehen. Wenn sich
Kunden überlegen, ob sie ein Produkt kau-
fen wollen, wenn Mitarbeiter darüber nach-
denken, wo sie auf Dauer arbeiten möch-
ten, wenn Analysten ihre Empfehlungen und
Investoren ihre Anlageentscheidungen tref-
fen, wird künftig die Frage, ob ein Unterneh-
men etwas mit Bestechung, Bilanzfälschung
oder Untreue zu tun hat, eine große Rolle
spielen. Eine saubere Weste zu haben wird
dann zum Überlebensfaktor.
Die Fraport AG unterteilt ihre Geschäfts-
partner bereits heute in gut und böse. Sie
arbeitet nur mit Lieferanten zusammen, die
gewisse Compliance-Standards nachwei-
sen können. Und Weltbank wie Europäische
Entwicklungsbank schließen Firmen von der
Projektförderung aus, wenn sie unter dem
Verdacht der Wirtschaftskriminalität stehen.
Für Steffen Salvenmoser ist es nur eine Fra-
ge der Zeit, bis es ein entsprechendes Gü-
tesiegel geben wird.
pw
c: T
itel
PwC bietet eine Reihe von Services zur Be-
kämpfung von Wirtschaftskriminalität an.
Hier die drei wichtigsten:
• FraudScan: Aufspüren betrügerischer
Handlungen im Unternehmen. FraudScan
bündelt Methodik, Software-Tools zur Ana-
lyse umfangreicher Unternehmensdaten
und Know-how von Fraud-Experten. Es
werden Indikatoren eingesetzt, die durch
Kennzahlen und statistische Verfahren Hin-
weise auf Betrug geben. Mittels compu-
tergestützter Auswertungen beurteilen die
PwC-Spezialisten die erkannten Auffällig-
keiten und überprüfen die Geschäftsvorfälle.
• Fraud Investigations: Wenn ein konkreter
Verdacht auf Unregelmäßigkeiten oder kri-
minelle Handlungen besteht, gilt es, Be-
weise zu sichern. Festplatte spiegeln, Un-
terlagen speichern. Und sich von außen
nach innen dem Verdacht nähern. Wichtig
dabei: eine Interviewtechnik, die es schafft,
vom Lagerarbeiter bis zum CEO die not-
wendigen Informationen zu bekommen. Wo
führe ich das Gespräch, wie eröffne ich es,
wann stelle ich offene, wann geschlossene
Fragen? Eine gerichtsverwertbare Doku-
mentation ist ebenfalls wesentlich.
• Anti-Fraud-Managementsysteme: Erstel-
len von Präventionskonzepten. Diese müs-
sen auf fünf Ebenen ansetzen:
1. Kontrollumfeld: Ethik- und Verhaltens-
kodex, Whistleblowerprogramm, Aufsicht
durch Kontrollorgane, Ermittlung und Behe-
bung bei aufgetretenen Problemen.
2. Risikobeurteilung: Was sind die spezi-
fischen Fraud-Risiken, und wie wird ihnen
begegnet? Welche Warnhinweise gibt es?
3. Kontrollaktivitäten: Wie sicher sind rele-
vante Prozesse und Kontrollen? Unterneh-
men brauchen ein transparentes internes
Kontrollsystem, Funktionstrennung, klare
Verantwortlichkeiten.
�. Information und Kommunikation: Wie
wird im Unternehmen mit dem Thema um-
gegangen? Wie werden Mitarbeiter ge-
schult? Was leistet die IT-Sicherheit?
�. Überwachung: Wer schaut, ob das Sys-
tem funktioniert? Welche Auswirkungen hat
das auf die tägliche Arbeit? Wie laufen in-
terne Revision und Reporting?
So schützen Sie sich vor Wirtschaftskriminalität
22_pwc: oktober 2007 23_pwc: oktober 2007
pw
c: M
ärkt
e
Die Luft flirrt, aus der Verbrennungsanlage
grüßt süßlich der Klärschlamm herüber, ein-
zig die Rohre spenden Schatten. Oberir-
disch winden sie sich in alle Ecken, dicke
und dünne, weiße und graue. Insgesamt
800 Kilometer Rohrleitungen durchziehen
die 460 Hektar Fläche des Industrieparks
Höchst. Die hellen, teils rechteckig gebo-
genen Leitungen gleichen einer modernen
Kunstinstallation. Sie führen Anlagen und
Gebäude zu einem optischen Gesamtkunst-
werk zusammen.
So wie Computer und Datenleitungen die
Infrastruktur der Wissensgesellschaft bilden,
verkörpern Fabriken das Herz der Indus-
triegesellschaft und die Rohrleitungen ihre
Pulsadern: Allein neun verschiedene Ar-
ten Wasser durchfließen den Industriepark
Höchst. Die Leitungen verbinden mehr als
120 Produktionsanlagen und 800 Büroge-
bäude von Firmen mit Namen wie Sanofi-
Aventis, Clariant, Celanese und Nutrinova,
die auf dem Gelände beheimatet sind.
Alle diese Unternehmen verbindet eine
gemeinsame Vergangenheit: In früheren
Zeiten waren sie Bestandteil des Hoechst-
Konzerns. Heute handelt es sich um hoch
spezialisierte Unternehmen, die auf dem
historisch gewachsenen Gelände einer in-
tegrierten Chemiefabrik sitzen. Jeder bear-
beitet seine eigenen Märkte, aber Aufgaben
wie Energie, Entsorgung und Sicherheit lö-
sen sie gemeinsam. Damit das klappt, gibt
es seit zehn Jahren Infraserv Höchst.
Entstanden ist die Betreibergesellschaft
1997 als Abspaltung der Hoechst AG. Der
1863 als Meister, Lucius & Co. gegründe-
te Chemie- und Pharmakonzern war unter
dem Vorstandsvorsitzenden Jürgen Dor-
mann in eine Kaskade von Transformati-
onen gestürzt, aus denen ein Life-Science-
Konzern namens Hoechst Marion Roussel
(1997), Aventis (1999) und Sanofi-Aven-
tis (2004) wurde. Die ehemaligen Hoechst-
Kernbereiche in der Chemie- und Pharma-
branche wurden verkauft oder zumindest
ausgelagert, so wie die Werksorganisation
des Stammwerks am Main, aus dem die In-
fraserv GmbH & Co. Höchst KG wurde.
Von Anfang an gehörten Infraserv die ge-
samte Fläche des Industrieparks, die darauf
gebauten Straßen, die Entsorgungsanlagen,
die Ver- und Entsorgungsleitungen, das
Heizkraftwerk, die Werksfeuerwehr und und
und. 1997 gab es etwa 40 Unternehmen auf
dem Gelände, meist ehemalige Einheiten
der Hoechst AG wie Aventis Pharma, der
Spezial- und Feinchemikalienhersteller Cla-
riant und der Basischemikalienhersteller
Celanese. Schon damals war klar: Energie,
Wasser, Verkehrswege, Entsorgung, Sicher-
heit sind Dienstleistungen, die am besten
einer für alle regelt.
„Infraserv, das war im Prinzip die Werksorga-
nisation des Hoechst-Stammwerks plus
ein neues Geschäftsmodell“, sagt Jürgen
Vormann, seit 2004 Vorsitzender der Ge-
schäftsleitung. Aber wie macht man aus
einer Werksorganisation ein Geschäfts-
modell? Vorbilder, an denen man sich für
dieses Projekt orientieren konnte, gab es
nicht; aber immerhin eine längere Vorlauf-
zeit. „Aufbruch 94“ hieß der Plan, der die
Neuorientierung von Konzern und Werk
auf den Weg brachte, und ab Anfang 1996
leitete Vormann eine Arbeitsgruppe des
Hoechst-Konzerns, die den Rahmen für In-
fraserv absteckte.
Eines der sichtbaren Ergebnisse: Einige der
großen am Standort vertretenen Konzern-
sowie Ex-Konzerngesellschaften teilen sich
in die Gesellschaftsanteile (s. Kasten Sei-
te 25). Am kompliziertesten jedoch erwies
sich die mentale Transformation der ehema-
ligen Werksorganisation in ein marktfähiges
Unternehmen. Plötzlich standen sich zwei
ehemalige Kollegen als Kunde und Lieferant
gegenüber, die über Preise für Strom, Bau-
leistungen oder Umweltschutz verhandel-
ten. Der frühere Konzernkollege musste den
Ex-Kollegen nunmehr wie einen Kunden be-
handeln, sonst verlor er ihn an einen Wett-
bewerber. Dass nicht jeder Mitarbeiter die-
sen neuen Weg mitging, liegt auf der Hand.
„Das war sicherlich eine der schwersten Auf-
gaben, die Infraserv zu bewältigen hatte“,
erinnert sich Vormann rückblickend.
Doch die Umbauarbeit hat sich gelohnt.
„Infraserv macht heute Gewinn“, sagt Vor-
mann, „und das soll und wird auch morgen
so bleiben – Tendenz steigend.“ Eine stolze
Formulierung für den Betreiber eines traditio-
nellen Industriestandorts, den dessen tradi-
tioneller Mutterkonzern verlassen hat.
Für den Erfolg sind im Wesentlichen drei
Faktoren verantwortlich: die Effizienzstei-
gerung, die Fokussierung auf Kernkompe-
tenzen und die Erschließung neuer Wachs-
tumsfelder. Die Öffnung nach außen war
von Anfang an Programm. Bereits 1997
öffnete sich der Industriepark für konzern-
fremde Unternehmen. Von den heute mehr
als 90 Unternehmen auf dem Gelände ha-
ben mehr als ein Dutzend keine Wurzeln im
Hoechst-Konzern, etwa der US-Konzern
Cargill, der in Höchst eine Biodieselanlage
betreibt, oder der Industriegasehersteller
SOL. Jüngster Neuzugang ist der Kunst-
Aus oe mach öWie sich Infraserv Höchst vom Betreiber des Stammwerks der Hoechst AG zum Pionier des Infrastrukturmanagements entwickelte.Von Geraldine Friedrich
High Chem: Der Schornstein muss zwar nicht rauchen, aber das Kraftwerk muss Energie und Dampf für mehr als 120 Produktionsanlagen auf dem Gelände des Industrieparks Höchst liefern. 800 Kilometer Rohrleitungen sorgen für die Verteilung.
„Infraserv macht heute Gewinn, und das soll und wird auch morgen so bleiben.“Jürgen Vormann, Geschäftsführer Infraserv
Höchster Doppelspitze: Infraserv- Geschäftsführer Jürgen Vormann (links) und Roland Mohr
24_pwc: oktober 2007 25_pwc: oktober 2007
pw
c: M
ärkt
e
stoffproduzent Ticona, der sein Kelsterba-
cher Werk mit 300 Mitarbeitern nach Höchst
verlagern wird. Zudem fanden Cateringun-
ternehmen, Rechtsanwälte, Druckereien, In-
genieur- und Übersetzungsbüros ihre wirt-
schaftliche Basis im Industriepark.
Alle Unternehmen zusammen beschäftigen
etwa 22.000 Mitarbeiter, ihre Gesamtinves-
titionen lagen 2006 bei 390 Millionen Euro.
So viel hatte Hoechst selbst in den besten
Jahren nicht in Höchst investiert.
Infraserv selbst geht heute nicht mehr den
naheliegenden Weg, sich nur als Betrei-
ber des Industrieparks zu verstehen. „Un-
sere Kernkompetenz ist das Betreiben
von anspruchsvollen Infrastrukturen“, sagt
Vormann, der seit seinem Amtsantritt den
Fokussierungsprozess vorantreibt. Von we-
niger anspruchsvollen Dienstleistungen hat
er sich getrennt: Die technischen Werkstät-
ten etwa wurden verkauft, der Pkw-Service
ausgegliedert.
Dadurch werden Kapazitäten frei für die
Kernaufgaben. So baute Infraserv die
Energiegewinnung zu einem zentra-
len Geschäftsfeld aus. Eine zuverlässige
Strom- und Dampfversorgung zu wettbe-
werbsfähigen Konditionen ist für einen Che-
mie- und Pharmastandort essenziell, da die
Produktion extrem energieintensiv ist. Aus
diesem Grund plant das Unternehmen mit
300 Millionen Euro die bis dato größte Ein-
zelinvestition auf dem Gelände – eine Er-
satzstoffbrennstoffanlage. „Die Dampfzu-
leitung von außen brächte Leitungsverluste
mit sich und würde die Energiepreise ver-
teuern. Die Strom- und Dampfpreise, die wir
bieten, sind mit ein entscheidendes Kriteri-
um, ob sich ein Unternehmen hier ansiedelt
oder nicht“, erklärt Infraserv-Geschäftsfüh-
rer Roland Mohr.
Insgesamt hat Infraserv heute sechs Ge-
schäftsfelder: von Energie und Entsorgung
bis zu IT-Services und Facilities, wozu auch
das Immobilienmanagement zählt. Zu Letz-
terem gehört etwa Planung und Bau neuer
Labore – Leistungen, die Infraserv inzwi-
schen nicht nur für Unternehmen des Indus-
trieparks managt, sondern auch für externe
Kunden. So ist der Konzern maßgeblich be-
teiligt am Bau des Frankfurter Innovations-
zentrums Biotechnologie im Stadtteil Ried-
berg, auch Science-City genannt.
Doch Wachstumschancen erschließen sich
für Infraserv nicht nur im Betreiben „an-
spruchsvoller Infrastruktur“ außerhalb des
Industrieparks, sondern auch in der Ent-
wicklung neuer Branchen, so im Bereich er-
neuerbare Energien. Wasserstoff, ursprüng-
lich ein Abfallprodukt chemischer Prozesse,
hat sich zu einem eigenen Rohstoff entwi-
ckelt. In unmittelbarer Nähe des Industrie-
parks betreibt Agip eine der wenigen deut-
schen Wasserstofftankstellen. In dem von
der EU geförderten und von Infraserv ko-
ordinierten Wasserstoffprojekt „Zero Regio“
arbeiten 16 europäische Unternehmen und
Forschungseinrichtungen aus vier Ländern
zusammen. Ziel ist es, die Abhängigkeit von
fossilen Brennstoffen zu reduzieren, Ener-
gie effizienter zu nutzen, die Emissionen zu
verringern und die breitere Anwendung der
Wasserstoff- und Brennstoffzellentechnolo-
gie in Autos voranzutreiben.
Das Projekt startete vor zwei Jahren im
Rhein-Main-Gebiet und in der Region Lom-
bardei mit der Stadt Mantua. In den kom-
menden drei Jahren finden die Erprobung
der Wasserstoffinfrastruktur und Flotten-
tests von mit Brennstoffzellen betriebenen
Fahrzeugen statt. Für Infraserv ist Wasser-
stoff als Umsatzquelle nicht von Bedeutung,
denn bislang gibt es kaum Fahrzeuge, die
Wasserstoff tanken. Im Vordergrund steht
die Entwicklungsarbeit und das Sammeln
von Erfahrungen mit einem Energieträger
der Zukunft. Aber wer weiß, was kommt?
Schließlich stand vor zehn Jahren auch
noch nicht fest, dass Infraserv Geld mit
Energie oder dem Neubau von Laboren ver-
dienen würde.
Kontakt
Infraserv Höchst: www.infraserv.com
Infraserv Höchst startete als Überbleibsel der Hoechst AG und entwickelte sich zum Spezialisten für den Betrieb anspruchsvoller Industrie-Infrastruktur – und das nicht nur auf dem Gelände des Hoechst-Stammwerks.
Ein Wahrzeichen des Industrieparks in Frankfurt-Höchst ist der bunt angemalte Kamin des Kraftwerks. Das ehemalige Gebäude der Hoechst-Hauptverwaltung (links unten), in den 20er Jahren von Peter Behrens gebaut, ist einer der Klassiker der Industriearchitektur.
Infraserv in ZahlenDie Infraserv-Höchst-Gruppe ist mit einem
Stammpersonal von 2700 Mitarbeitern
und einem Umsatz von 833 Millionen Euro
(2006) einer der größten deutschen Dienst-
leister für chemische und pharmazeutische
Industrieinfrastruktur. Hauptumsatzträger
ist das Betreiben des Industrieparks Höchst.
Auf den 460 Hektar des ehemaligen
Hoechst-Stammwerks sind derzeit mehr als
90 Unternehmen mit insgesamt mehr als
22.000 Beschäftigten angesiedelt. Die In-
fraserv GmbH & Co. Höchst KG ist im Be-
sitz von Celanese (31,2 %) Clariant GmbH
(32 %), Aventis Pharma GmbH (30 %) und
weiteren Anteilseignern.
Foto: „Denk Mal“, eine Skulptur im
Industriepark, erstellt mithilfe innovativer
Farben von Clariant.
42_pwc: oktober 2007 43_pwc: oktober 2007
pw
c: T
rend
s
Die Europa-Dependance von Genesis Park, der High-Potential-Aka-
demie von PricewaterhouseCoopers (PwC), hat jetzt in Berlin eröff-
net. Hier treffen sich ausgewählte PwC-Nachwuchskräfte aus aller
Welt, diskutieren miteinander und mit Topmanagern, durchleuch-
ten das PwC-Produktportfolio, erforschen neue Märkte und Ge-
schäftschancen und denken mit professionellen Coachs über sich
und ihre Karriere bei PwC nach. Bislang wurde ein solches Pro-
gramm der Nachwuchsförde-
rung von PwC nur in Washing-
ton angeboten. „Doppelt hält
besser“, dachte sich der glo-
bale PwC-Chef Sam DiPiazza:
„Die beiden Niederlassungen
in den USA und in Deutsch-
land bedeuten zwar eine große
Investition in unsere Nach-
wuchsführungskräfte, aber die
lohnt sich.“
Berliner Denkfabrik„Die Investmentbranche wird
den aktuell erhöhten Com-
pliance-Anforderungen am
Markt noch nicht flächende-
ckend gerecht“, sagt Wulf Ley,
Asset-Management-Exper-
te bei PwC, zu den Ergebnis-
sen der aktuellen Umfrage
„Umsetzung von Compliance-
Standards – eine Bestands-
aufnahme im Investment-Ma-
nagement“. Chancen und Potenziale der Compliance-Standards
werden der PwC-Umfrage zufolge von den deutschen Kapitalanla-
gegesellschaften zwar erkannt, aber der Implementierung stehen
vor allem Zeit- und Ressourcenknappheit im Wege. Deshalb setzen
deutsche Kapitalanlagegesellschaften die Compliance-Regelungen
bisher nur unzureichend um und eine Integration in das Tagesge-
schäft erfolgt häufig nicht. Online-Info: www.pwc.de/de/pwc246.
Die Doppik hat die Kameralistik überholt. In 9 der 16 Bundesländer, so zeigt eine
Aufstellung von PwC, wurde die doppelte Buchführung (Doppik) bereits eingeführt.
Bundesweiter Vorreiter ist Hamburg, das bereits seine zweite Bilanz nach kaufmän-
nischen Grundsätzen vorge-
legt hat. Bis 2012
wollen alle 16
Bundesländer Re-
formgesetze zur Umstellung auf
doppelte Buchführung auf den Weg bringen und damit die Kameralistik ins Buchfüh-
rungsgeschichtsbuch befördern. Deren Nachteil: Sie betrachtet nur Zahlungsströme,
lässt hingegen Vermögenswerte und Verpflichtungen außer Acht, wie sie etwa durch
Pensionen oder den Reparaturbedarf öffentlicher Gebäude und Infrastruktur entste-
hen. „Mit der Kameralistik wussten die Städte bisher nicht einmal, ob sie arm oder
reich sind“, sagte PwC-Vorstand Norbert Vogelpoth dem „Handelsblatt“. Die bei pri-
vaten Unternehmen weltweit übliche doppelte Buchführung sorgt dagegen für ein
vollständiges Bild. Die Politiker haben einen Überblick über Vermögen und Schulden
ihrer Kommunen, können die Kosten kommunaler Dienstleistungen besser bestim-
men und sparsamen Abteilungen erlauben, nicht genutzte Etatmittel ins kommende
Jahr zu übertragen. „Öffentliche Haushalte lassen sich jetzt viel besser steuern“, sagt
PwC-Vorstand Vogelpoth. Online-Info: www.pwc.de/de/pwc245.
Halber Weg für doppelte Buchführung
Den Zukunftspreis Jugendkultur der PwC-
Stiftung hat in Saarbrücken der saarlän-
dische Ministerpräsident Peter Müller ver-
liehen. Dabei gingen vier Hauptpreise von
je 12.500 Euro an vorbildliche Initiativen:
„Musik in Hainholz“ in Hannover, das „Mo-
bile Atelier“, ebenfalls in Hannover, „Lite-
ratur im Dialog“ in Stuttgart sowie „Tanz
an Bayerns Grundschulen“ aus München.
Sonderpreise erhielten die Mitstreiter des
„Nachwuchs-Literatur-Zentrums“ in Senf-
tenberg-Brieske, von „Majostics: Die Magie
der Anziehung“ in München und dem „KiBiZ
Kinder-Bildung-Zukunft“ in Wiesbaden. Ziel
all dieser Projekte ist es, Kinder mit Kultur
zusammenzubringen, die sonst nicht da-
mit in Berührung kämen. Der Zukunftspreis
macht nur einen Teil der Stiftungsarbeit aus.
Sie gibt, unterstützt von PwC, jährlich rund
800.000 Euro für Jugendkulturprojekte aus.
Online-Info: www.pwc.de/de/pwc244.
Ausgezeichnete Zukunft
Drei Fragen an ...Heike Riesling-SchärfeZum Erfolg von Projekten der Jugendarbeit
pwc: Wodurch wird ein Projekt erfolgreich?
Riesling-Schärfe: Geben Sie mir 50 Seiten
Platz, und ich erkläre es Ihnen. Das Bonner
Zentrum für Kulturforschung hat im Auftrag
der PwC-Stiftung 60 Praxisprojekte unter-
sucht, die allgemein als erfolgreich einge-
schätzt werden, um deren Erfolgsfaktoren zu
erheben. In sieben Bewertungsfeldern wur-
den dabei etwa 100 Einzelkriterien erfasst.
Können Sie uns trotzdem drei Tipps geben?
Gerne. Nummer eins: Es hat sich bewährt,
die Jugendlichen in die Gestaltung des Pro-
jekts einzubinden. Nummer zwei: Die Ko-
operation mehrerer Träger steigert häufig
die Qualität des Projekts. Nummer drei: Pro-
jekte für kulturferne Jugendliche sollten äu-
ßerst flexibel angelegt werden – weil immer
irgendetwas Unvorhergesehenes passiert.
Und was haben Sie für die Arbeit der PwC-
Stiftung aus der Studie gelernt?
Wir haben wertvolle Informationen für einen
unserer Tätigkeitsschwerpunkte erhalten:
die Gestaltung innovativer Wegweiserpro-
jekte, die mit ganz neuen Herangehenswei-
sen Kinder an Kultur heranführen.
Heike Riesling-Schärfe ist Mitarbeiterin der PwC-Stiftung.
ist die Nummer des neuen German Desk bei PwC in Abu Dhabi in den Vereinigten Ara-
bischen Emiraten. Die VAE sind der wichtigste arabische Handelspartner Deutschlands. Der
Binnenmarkt ist durch hohe Kaufkraft und außerordentlich hohe Investitionsbereitschaft in-
und ausländischer Investoren geprägt. Deutsche Produkte und Dienstleistungen genießen
hier nach wie vor sehr großes Ansehen. PwC-Partner Reinhard Schulz begleitet seit etwa
einem Jahr deutsche Investoren bei ihren Geschäftstätigkeiten in und mit den Emiraten.
Voraussetzung für gute Erfolge ist, sich mit den Standortbedingungen, Risiken und auch
dem interkulturellen Umfeld vertraut zu machen. PwC unterstützt die deutschen Investoren
bei der Schaffung dieser Voraussetzungen und leistet damit einen nicht unerheblichen Bei-
trag zu einem erfolgreichen Markteintritt.
+971-2-6946905
Ein neues Luftfahrtabkommen, das sogenannte Open-Sky-Ab-
kommen, schafft neue Möglichkeiten für internationale Flugver-
bindungen. Wenn es im Frühjahr 2008 in Kraft tritt, wird es allen
europäischen Fluglinien erlaubt sein, künftig alle Ziele in den USA
anzufliegen. Der Brüsseler EU-Verkehrskommissar Jaques Bar-
rot erwartet, dass die Zahl der Passagiere durch den Abbau der
Hemmnisse binnen fünf Jahren von 50 auf 75 Millionen jährlich
steigen wird.
Für die Fluggesellschaften entsteht hieraus nicht nur die Chance,
mit neuen Verbindungen neue Erlösquellen zu erschließen, sondern
auch ein betriebswirtschaftliches Risiko, denn die Rentabilität einer
neuen Strecke ist nicht einfach zu beurteilen. Die Airlines müssen
Kosten und Risiken und besonders die Nachfrage möglichst treffsi-
cher abschätzen. Doch hier liegt das Problem: Kundenbefragungen
können zwar die Beliebtheit eines möglichen Reiseziels belegen,
lassen aber unberücksichtigt, wie stark Ticketpreise, die Marke der
Fluglinie oder die Start- und Landetermine die Attraktivität einer
Flugverbindung beeinflussen. Mit der Conjoint-Analyse kann PwC
untersuchen, welche Verbindungen sich lohnen. Flugangebote
können durch verschiedene Eigenschaften charakterisiert wer-
den, wie den Preis, die Marke des Carriers, Slots oder Sitzplatzre-
servierungen. Den Befragten werden verschiedene Flugangebote
vorgestellt, die sie bewerten sollen. Aus diesen Daten kann mithilfe
der Conjoint-Analyse für jeden Befragten und für jede Merkmals-
ausprägung (zum Beispiel unterschiedliche Ticketpreise) ein quan-
titativer Teilnutzenwert ermittelt werden. Durch Addition der Teilnut-
zenwerte kann dann der Nutzen eines kompletten Flugangebots
berechnet werden. Online-Info: www.pwc.de/de/pwc243.
Zu wenig Invest in Compliance
Offener Himmel, offene Fragen
www.pwc.de
Erfolgsformeln
Das ist die Reaktionsgleichung für die Bildung von Natriumborhydrid aus Natriumhydrid und Triethyl-borat. Das Endprodukt kann man als Waschmittel verwenden – oder als Tankinhalt für Autos mit Was-serstoffantrieb. Was uns auf den IAAs kommender Jahrzehnte sonst noch erwartet? Siehe Seite 44
4 NaH + B(OCH3)3 NaBH4 + 3 NaOCH3