Dr. Rolf Meyer Habilitationsvortrag2. Juni 2004 am Fachbereich 09
der Justus-Liebig-Universität Gießen
Nahrungsmittelqualität als Fragestellung der
Technikfolgen-Abschätzung
Habilitationsvortragam Fachbereich 09
Agrarwissenschaften, Ökotrophologie und Umweltmanagement
der Justus-Liebig-Universität Gießen
vonDr. Rolf Meyer
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der Justus-Liebig-Universität Gießen
Überblick
TA-Verständnis TA-Projekt zu Nahrungsmittelqualität Szenarien Begriff der Nahrungsmittelqualität
(objektive und subjektive Qualität, Qualitätsdimensionen) Horizontale und vertikale Produktdifferenzierung Fazit
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Ziele vonTechnikfolgen-Abschätzung
Bedingungen und Auswirkungen der Einführung und Anwendung von Techniken systematisch zu analysieren und zu bewerten
gesellschaftliche Konfliktfelder zu identifizieren, die durch Technikentwicklung und -einsatz entstehen können
Handlungsmöglichkeiten zur Verbesserung der betrachteten Technik oder ihrer Alternativen aufzuzeigen und zu analysieren
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Kriterien zur Technikfolgen-Abschätzung
Früherkennung:möglichst früh und antizipierend soll untersucht werden
Vollständigkeit:möglichst umfassend soll analysiert werden
Entscheidungsorientierung:Handlungsoptionen sollen aufgezeigt und analysiert werden
Partizipation:betroffene gesellschaftliche Gruppen sollen beteiligt werden
Wertsensibilität:Annahmen, Werturteile und deren Begründungen sollen offengelegt werden - im Sinne von Transparenz, Nachvollziehbarkeit und Nachprüfbarkeit
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TA-Projekt „Entwicklungstendenzen von Nahrungsmittelangebot und –nachfrage“
Auftraggeber: Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft des Deutschen Bundestages
Projektdurchführung: Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB), 17 Gutachten, 2000 - 2003
Berichterstattung über Ergebnisse:R. Meyer, A. Sauter: Entwicklungstendenzen bei Nahrungsmittelangebot und –
nachfrage. Eine Basisanalyse. Deutscher Fachverlag, Frankfurt/M. 2004R. Meyer: Nahrungsmittelqualität der Zukunft. Handlungsfelder und Optionen.
Deutscher Fachverlag, Frankfurt/M. 2004A. Sauter, R. Meyer: Regionalität von Nahrungsmitteln in Zeiten der Globalisierung.
Deutscher Fachverlag, Frankfurt/M. 2004R. Meyer: Der aufgeklärte Verbraucher – Verbesserungspotenziale der
Kommunikation über Lebensmittel. Deutscher Fachverlag, Frankfurt/M. 2004
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Kriterium “Früherkennung” Szenarien
Szenario „Polarisierung“ klare Trennung im Nahrungsmittelmarkt zwischen Produkten aus konventionellem und ökologischem Landbau besteht fort
Szenario „Konvergenz“ Anforderungen an verschiedene Produktionssysteme nähern sich an und Qualitätsunterschiede nehmen ab
Szenario „Differenzierung“ Nahrungsmittelmarkt zerfällt in zunehmend mehr Segmente mit unterschiedlichen Qualitätsdifferenzierungen
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Szenario “Polarisierung”
Beschreibung: klare Trennung zwischen konventionellen und ökologischen
Nahrungsmitteln steigender Marktanteil von Öko-Nahrungsmitteln steigende Anforderungen an die Lebensmittelsicherheit
fördernde Bedingungen: Förderung des ökologischen Landbaus Polarisierung der allgemeinen Einkommensentwicklung Preis für Mehrheit der Verbraucher entscheidendes Kaufkriterium
bei Nahrungsmitteln Polisierung hinsichtlich „gesunder Ernährung“
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Szenario “Konvergenz”
Beschreibung: Anforderungen an verschiedene Produktionssysteme nähern sich an,
Qualitätsunterschiede nehmen ab zunehmende Nutzung konventioneller Verarbeitungs- und
Vermarktungswege bei Öko-Nahrungsmitteln steigende Anforderungen an konventionelle Nahrungsmittel hinsichtlich
verschiedener Qualitätskriterien
fördernde Bedingungen: Ausbau ordnungsrechtlicher Regelungen (z.B. Tierschutz) Bindung von Ausgleichszahlungen an ökologische und soziale Leistungen
der Landwirtschaft zunehmende Verarbeitungstiefe von Nahrungsmitteln
(z.B. Convenience-Produkte)
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Szenario “Differenzierung”
Beschreibung: Nahrungsmittelmarkt zerfällt in zunehmend mehr Segmente mit
unterschiedliche Qualitätsdifferenzierungen Öko-Nahrungsmittel ein Qualitätsprodukt unter anderen Differenzierung der Vermarktungswege von Nahrungsmitteln
fördernde Bedingungen: Verschiebung der EU-Förderung von Preis- und Marktstützung
(1. Säule) zu integrierter Entwicklung ländlicher Räume (2. Säule) politische Gestaltung von Rahmenbedingungen Bedürfnisse und Verhalten der Verbraucher werden vielfältiger Nahrungsmittelverarbeitung und -handel unterstützen diesen Trend
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Kriterium “Wertsensibilität”
Begriff „Qualität“
Der Begriff „Qualität“ umfasst ein weites Feld verschiedenster Bedeutungen: Einerseits:
Beschreibungen der Beschaffenheit Beurteilungen der Eignung
Andererseits: Produktqualität Prozessqualität
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Qualitätsdefinitionnach DIN
Nach DIN EN ISO 9000 ist Qualität das „Vermögen einer Gesamtheit inhärenter Merkmale eines Produkts, Systems oder Prozesses zur Erfüllung von Forderungen von Kunden und anderen interessierten Parteien“.
subjekt- und nachfrageorientierter Qualitätsbegriff
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Objektive und subjektive Qualität
Objektive Nahrungsmittelqualität:Summe aller ernährungsphysiologischen, sensorischen, verarbeitungstechnologischen und hygienisch-toxikologischen Eigenschaften eines Nahrungsmittels,Beschreibung von eindeutig messbaren Merkmalen
Subjektive Nahrungsmittelqualität:Beschreibung der Nahrungsmittelqualität aus der Sicht des Individuums,beinhaltet stets eine beurteilende Komponente
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Zusammenhänge zwischen Beschaffenheit, Wahrnehmung und Beurteilung der
NahrungsmittelqualitätQualität
objektive Qualität subjektiveQualität
Beschaffenheit (Qualitas) Beurteilung (Bonitas)objektive
Beschaffen-heit
wahrgenom-mene Be-
schaffenheit
objektiveBeurteilung
subjektive Beurtei-lung
inhärenteMerkmale
Wahrnehmungder objektivenBeschaffenheitdurchMenschen
Beurteilung derBeschaffenheitanhand vonnachvoll-ziehbaren,objektivenKriterien
individuelle Beurtei-lung gemäß persönli-cher Auffassung derNützlichkeit oderPräferenz
Quelle: Verändert und vereinfacht nach Seidemann 2000, S. 18
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Kriterium “Vollständigkeit”
Qualitätsdimensionen = Teilqualitäten
Nahrungsmittelqualität ist als Sammelbegriff zu verstehen, der eine Vielzahl von Differenzierungen in verschiedene Teilqualitäten erlaubt. Das aktuelle Verständnis von Nahrungsmittelqualität ist durch ein Neben-, Mit- und Gegeneinander verschiedener Modelle gekennzeichnet. Dementsprechend gibt auch es kein einheitliches Kriterien-system zur Beurteilung der Nahrungsmittelqualität.
Die Qualität von Nahrungsmitteln ist in der Regel nicht eindimensional und einfach messbar, sondern wird durch einen gesellschaftlichen Aushandlungs-prozess bestimmt, der sich über die Zeit verändert.
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Dimensionen der Qualität(Teilqualitäten und mit ihnen in Verbindung stehende Fachdisziplinen)
Religions-wissenschaften
Sensorik
Ernährungs-physiologie
Medizin
Lebensmittel-technologie
Ernährungs-soziologie
Ernährungs-psychologie
Kultur-wissenschaften
Philosophie
Ökologie
Ökonomie
Risiko-forschung
Religions-wissenschaften
Sensorik
Ernährungs-physiologie
Medizin
Lebensmittel-technologie
Ernährungs-soziologie
Ernährungs-psychologie
Kultur-wissenschaften
Philosophie
Ökologie
Ökonomie
Risiko-forschung
Quelle: Verändert nach Meier-Plöger/ Hofer 2002, S. 21
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Qualitätsdimensionenaus der Sicht der Verbraucher
Besonders relevante Qualitätsdimensionen aus der Sicht der Verbraucher sind:
Genuss Gesundheits- und Nährwert Convenience Akzeptanz im sozialen Umfeld Lebensmittelsicherheit Arten-, Umwelt- und Naturschutz Tierschutz geographische Herkunft
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GenussqualitätElemente der Genussqualität bei Brot und Backwaren
Wahrnehmung Eigenschaften von Brot + Backwarenüber SinnesorganeSehen Oberflächenbeschaffenheit
(Krustenbräunung, Porung)
Schmecken Geschmack, Frische
Riechen Frische, Aromen
Fühlen Volumen, Krumenelastizität, Schneidbarkeit, Bestreichbarkeit,Kaubarkeit
Hören Knusprigkeit, Rösche
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QualitätsdimensionenWechselwirkungen
Wechselwirkungen bestehen sowohl innerhalb als auch zwischen verschiedenen Qualitätsdimensionen:
Spannungsfelder (Zielkonflikte) Synergieeffekte (Zielharmonien)
Beispiele für Spannungsfelder: innerhalb einer Qualitätsdimension (Lebensmittelsicherheit):
Pökeln von Fleisch zwischen Qualitätsdimensionen (Gesundheitswert Genuss +
Lebensmittelsicherheit): Fettgehalt von Wurst
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Such-, Erfahrungs- und Vertrauenseigenschaften
Sucheigenschaften:können vor dem Kauf erkannt werden (z.B. Preis, Verpackung)
Erfahrungseigenschaften:sind erst nach dem Kauf in der Verwendung feststellbar (z.B. Geschmack)
Vertrauenseigenschaften:können vom Verbraucher selbst beim Verbrauch nicht überprüft werden, sondern nur noch durch Dritt-Institutionen(z.B. Rückstandsgehalt)
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Kriterium “Entscheidungsorientierung”
Handlungsoptionen(zu objektiver und subjektiver Qualität)
Unterschiedliche Informationsbedürfnisse berücksichtigen:Genauso wie der Qualitätsbegriff zunehmend differenzierter wird, entwickeln sich auch die Informationsbedürfnisse zu Nahrungsmitteln hin zu immer größerer Komplexität und Vielfältigkeit.
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Handlungsoptionen(zu Qualitätsdimensionen)
Qualität mehrdimensional denkenDie Verfolgung eines einzelnen Qualitätsziels ist in der Regel unzureichend. Vielmehr sollten Verbesserungen in mehreren Qualitätsdimensionen gemeinsam angestrebt werden. Dabei sollten Spannungsfelder (Zielkonflikte) vermindert bzw. vermieden und Synergieeffekte (Zielharmonien) gefördert und genutzt werden.
Qualitätssysteme entwickeln:Nicht so sehr Einzelmaßnahmen, sondern System-entwicklungen sind für eine höhere Nahrungsmittelqualität erforderlich.
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Technikfolgen-Abschätzung zu Nahrungsmittelqualität
Vertiefungsthemen
Qualitätsprogramme Qualitätssicherung und –management Tiergerechtere Fleischerzeugung und
Qualitätssicherung Genussqualität und vertikale
Produktdifferenzierung Verarbeitungssysteme und Vermarktungswege Rechtliche Rahmenbedingungen
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Horizontale und vertikaleProduktdifferenzierung
Horizontale Produktdifferenzierung:Produkte auf dem gleichen „Qualitätsniveau“, die auf gleichen oder ähnlichen landwirtschaftlichen Rohstoffen und Verarbeitungsverfahren beruhen und sich in den Produkteigenschaften nur wenig unterscheiden
Vertikale Produktdifferenzierung:Produkte auf unterschiedlichem „Qualitätsniveau“ bzw. mit deutlich unterschiedlichen Eigenschaften in verschiedenen Qualitätsdimensionen
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Produktdifferenzierungbei Wein, Sekt und Fruchtsäften
Wein:stark ausgeprägte horizontale und vertikale Differenzierung
Sekt:eindeutige Dominanz der Markennamen,Möglichkeiten zur Differenzierung anhand der Rohwareneigenschaften geringer
Fruchtsäfte:überwiegend Markennamen und horizontale Differenzierung (z.B. Fruchtarten)
zunehmende Ausdifferenzierung im mittleren und oberen Preis- und Qualitätssegment
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Möglichkeiten vertikaler Produktdifferenzierung
Die Möglichkeiten für eine vertikale Produkt-differenzierung bei Wein, Sekt und Fruchtsäften sind insbesondere abhängig von:
Qualität und Individualität der Rohware Verfügbarkeit von handwerklichen und
manufakturiellen Verarbeitungsverfahren
Hohe Ansprüche an Qualitätsstabilität und –sicherheit begünstigen dagegen großtechnische Produktions-verfahren.
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Produktionstechnologien, Branchenstrukturen und Produktdifferenzierung
Wein:große Differenziertheit bei Anbietern, Sortimenten und Einkaufsstätten,
hohe Individualität der Produktionskonzepte und Vertriebsstrukturen
Sekt:wenige Großunternehmen mit professionellen Markenartikelkonzepten,weitgehend von der Rohware entfernt und geschmacklich standardisiert
Fruchtsäfte:breit distributierende Großunternehmen, wichtige Rolle von Zulieferfirmen
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Produktdifferenzierung und Kennzeichnungsregelungen
Mit Kennzeichnungsregelungen werden rechtliche Rahmenbedingungen für die Produktdifferenzierung festgelegt, und sie ermöglichen den Verbrauchern erst, Produktdifferenzierungen und Genussqualitäten zu erkennen.
Exemplarische Problembereiche: Unterschiedliche Kennzeichnungssysteme für Wein und Sekt Kennzeichnung regionaltypischer Produkte unter Verwendung
herkunftsgeschützter Rohware bei Sekt und Fruchtsäften Verständlichkeit der Kennzeichnungssysteme
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Fazit I
Im Mittelpunkt von Technikfolgen-Abschätzung zur Nahrungsmittelqualität stehen die unterschiedlichen Qualitätsaspekte, -dimensionen und –ziele, die geprägt werden durch verschiedene wissenschaftliche Zugänge, unterschiedliche Qualitätsziele der Akteure in der
Nahrungsmittelkette und differierende Qualitätsanforderungen der
Verbraucher;sowie die daraus resultierenden Zielkonflikte und Konkurrenzsituationen.
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Fazit II
Am Beispiel Nahrungsmittelqualität wurde gezeigt, dass Technikfolgen-Abschätzung ein beratungsorientierter Ansatz zur Bearbeitung komplexer und interdisziplinärer Problem-stellungen ist.