SchiefeMenhireUDO GRASHOFF
quartheft 58 r EDITION BELLETRISTIK1. AUFLAGEISBN 978-3-945832- 01-1 © 2015 VERLAGSHAUS J. FRANK | BERLINChodowieckistraße 2, 10405 BerlinAlle Rechte vorbehalten.
www.belletristik-berlin.de
illustrationen: Stefanie Hübnergestaltung: Andrea Schmidt
schrift: Distillery, Novel Familybuchdruck & bindung: Druckhaus Köthen / Printed in Germany, 2015papier: 90g/m 1,5-fach Munken Print White, 280g/m Alster-Feinleinen
Alle Titel, die im Verlagshaus J. Frank | Berlin erscheinen, werden im Literaturarchiv Marbach, im Lyrik Kabinett München und in der Deutschen Nationalbibliothek archiviert.
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die Schafe sind abgelaufen durch enge Gassen
Herden von Schafen ein flüchtiges
unscharfes Foto von weichen grauen Körpern
unter dem Fenster dann waren sie weg
und ließen die Hunde zurück
auf den Wiesenresten die Schäferhunde
die jetzt durch die Städte ziehen
allein etwas Großes grundlos noch hüten
das keiner sonst mehr zusammen bekommt
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ich kenne dich, deine Bewegungen
und manchmal kommt es mir so vor
als ob ich es wäre, der sie spricht
aber zwischen uns
steht ein Pferd und wir streicheln es
jeder von seiner Seite
deine und meine Gräser
holt es sich, kaut sie
und blickt in die Ferne
den Hals nur kurz
vorm elektrischen Zaun
SCHÖNES FELL r
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UNTERM FAMILIENBAUM
Holunderdolden, kein besonderes
Holz, umso tiefere Wurzeln
ein Handwagen reckt seine Deichsel nach oben
Blütenduft, weiß und bitter
Hühner im Staub, ein Betonmischer
abgeschaltet, stehengelassen halbvoll
zerfallendes Baumaterial
lange Stapel von Dachziegeln
Hochzeitstafeln über den Hof
Linien in den Gesichtern der Paare
die Blumen halten vor die Brust
und nicht lachen
Linien in den Gesichtern der Paare
die immer im Rahmen geblieben sind
hinter Glas
Hühner schütteln sich, scharren
zwischen Pflastersteinen
Vogelmiere spannt ihr Netz von Haus zu Haus
Pferdestall, Nagelkammer, Comptoir
Teergeruch, schwarze Zapfen
vom Dach
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ÖFFNE EINE ANDERE TÜR
der Geist deiner Vorfahren
Mief aus den Schlafzimmern
wo sie sich in ihren Träumen gewälzt haben
klumpige Federbetten, fader Schnee
an den Wänden Rosentapete Lichtschatten
aufgeschreckt in der Nacht
als die Panzer vorbeirollten
aufgeschreckt von Erstickungsanfällen
wach mit Schmerzen in Beinen, im Knie
Hundebellen im Dorf
dieser Mief hätte alles kaputt gemacht
alles was du wolltest und immer noch willst
wenn du es nicht im letzten Winkel
versteckt hättest, wo es immer noch liegt
bis der Druck nachlässt
Gras unter Stein
MISCHBATTERIE r
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nichts gegen Sartre
doch was hat man schon
am Rand vom Neubaugebiet
an Möglichkeiten, sich zu erschaffen
sich rauszureißen aus der Geranienfestung
der Eltern, ein Trampelpfad
durch verwüstete Gärten
Zündfunk am Sonntag
lange Regale der Fahrbibliothek
eine Brieffreundin hinterm Ural
die immer nur schreibt: bitte
schicke mir Kaugummi
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Akne und Punkband sein
isoliert im Plattenbau
an den Milchtöpfen umgekippt
ein zusammengeknülltes
Taschentuch nach Gefühlen absuchen
Pickel mit Teersalbe einschmieren
einmal die Woche
an Heizungsrohren brüllen, brüllen
hinter der Stahltür
mit blassen Jungen am Schlagzeug
an der Gitarre
Blut im Schuh
BLUT IM SCHUH r
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hinter den Bäumen am Fluss
lädt jemand Metallteile ab
die Zimmertür knallt zu
Wolken kommen von Plagwitz her
ballen sich in mir zusammen
ein Rad klappert über das Pflaster
der LKW-Fahrer, der jeden Montag
den Kleiderspendecontainer ausleert
raschelt mit Tüten
ein Kind ruft „Wurst“
es wird dunkler
Blätter klammern sich fest an den Linden
vielleicht ist das der Moment
auf den alle warten
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ich schlafe noch, mache
den einen Tag dieses, den anderen jenes
Träume, die nichts
miteinander zu tun haben
sitze im Bundesarchiv
inmitten von Menschen
die etwas in ihre Laptops hämmern
ich halte den Bleistift in der Hand
drehe mich auf die andere Seite
bin blass, alles Blut
hat sich in den Knochen versteckt
zwischen mir und den Zeugenaussagen ist Luft
zwischen mir und den Menschen ist Luft
vielleicht ist es gar nicht mein Ding
zu erwachen, vielleicht bin ich
parallel
BLINKEN, STANDBY r
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immer wenn du blutest
ziehst du los, einen Bauernhof anzünden
stundenlang suchst du ein eitles Gehöft
das dich provoziert
und dann legst du
ich warte im Auto
die Wange an eine Mauer
und weinst mit ihr
71UNTER DER ZWEIFELDUSCHE r
auf meinem Schoß dein Kopf
der schwerer wird
dein Körper zuckt
dann liegst du still
unter deinen Lidern, halb geöffnet
wandern Monde umher
und arbeiten
Ebbe und Flut
Möwen auf dem Schwemmsand
hacken einander, fliegen kurz auf
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du hast bitte gesagt
einfach bitte
nur dieses Wort
dass die Wand sich öffnete
und wieder schloss
und jetzt bist du drin
in dem Raum, den du trägst
durch die Straßen der Stadt
von Berührung, von Lärm
und von Regen abgeschirmt
drängt sich deine eigene Stimme
in den Vordergrund
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GOLDENER HERBST
in den Gründerzeitvierteln
stinkt es nach Gülle
bleich, aber immer noch voller Kraft
halten sich die Blätter im Geäst
ein hellblauer Wassertransporter kommt
aus dem Kauflandkomplex
und fährt ganz behutsam
bis an die Ampelkreuzung heran
das Rotlicht verlischt
für Sekunden scheint der Fahrer ratlos
dann gibt er Gas
über ihm verdichten sich die Wolken
das ist Vanessa, das Tiefdruckgebiet
AUFWACHEN MIT APPLAUS r