Immobil durch spinale Stenose
Das neue alte Volksleiden
Andreas Raabe
Neurochirurgische Universitätsklinik, Inselspital Bern
Epidemiologie
Framingham Studie: 3529 Menschen mit CT
Bildgebend im CT in der Altersgruppe >60 Jahre:
50% aller Menschen hat eine relative Stenose (10-12 mm) 20% haben eine absolute Stenose (<10mm)
Kalichman L, Cole R, Kim DH, Li L, Suri P, Guermazi A, Hunter DJ. Spinal stenosisprevalence and association withsymptoms: the Framingham Study. Spine J 9:545-50, 2009
Pathophysiologie der degenerativen Wirbelsäulenveränderungen
Juvenile Bandscheibe (10 Jahre) mit typischer gelatinöser Struktur des Nucleus pulposus und fester
Umfassung durch den Anulus fibrosus
Nerlich et al. Pathophysiologie und Pathomorphologie der Bandscheibendegeneration.
In: Lendenwirbelsäule. Hrsg. v. Hildebrandt et al., Urban & Fischer, München, 2005
Bandscheibe eines Erwachsenen (57 Jahre) mit Einrissen des Nucleus
pulposus sowie Anulus fibrosus und strukturellem Umbau
UNIVERSITÄTSKLINIK FÜR NEUROCHIRURGIE
1. Normaler altersabhängiger Umbau
2. Pathologische Degenerationen
Pathophysiologie der degenerativen Wirbelsäulenveränderungen
Bild BS jungBild BS alt
Faserrisse, Spalten + Lockerung der Bandtextur + Höhenverlust= Gefügelockerung
ArthroseOsteochondrose InstabilitätBandscheibenvorfall
UNIVERSITÄTSKLINIK FÜR NEUROCHIRURGIE
JA Jane Sr et al. J Neurosurg (Spine 1) 1:31–38, 2004
RückenschmerzenEs gibt nicht den „einen“ Punkt der Schmerzentstehung
Bandscheibe, Dura, Nerven, Gelenke,, Knochen, Bänder und Muskeln als Ursache von Rückenschmerzen
UNIVERSITÄTSKLINIK FÜR NEUROCHIRURGIE
Anamnese
• Wirbelsäulenbeschwerden seit Jahren
• Rückenschmerzen
• Gesäss- und dorsale Oberschenkelbeschwerden
• Kältegefühl, Parästhesien
• Schmerzen im Bein
• Gehstörungen
Symptomatik
Typisch: Claudicatio Typ (zentrale Stenose)
– belastungsabhängige Gehstörung Claudicatio spinalis
– Beinbeschwerden beidseitig
– nach vorn gebeugte Körperhaltung
– Lumbago variabel
Symptomatik
Typisch: Claudicatio Typ (zentrale Stenose)
– belastungsabhängige Gehstörung Claudicatio spinalis
– Beinbeschwerden beidseitig
– nach vorn gebeugte Körperhaltung
– Lumbago variabel
gehstreckenabhängigerdumpfer Schmerzin (meist) beiden OS+/- neurologische Defizite
Flexion bessert
Symptomatik
Atypisch: Ischias- Typ Rezessus lateralis Stenose
– nicht belastungsabhängige radikuläre Schmerzen
– Beinschmerz einseitig
– Gehen, Stehen, Sitzen, Liegen…
– Lumbago variabel, aber seltener als bei zentraler Stenose
Objektive Befunde
Meist keine Ausfälle!
Manchmal
Lumbago und Schmerz durch Streckhaltung reproduzierbar Sensibilitätsstörungen untere Extremitäten
Selten, aber möglich
Rollstuhlabhängig aufgrund stärkster Schmerzen beim Aufrichten
Häufigste Differenzialdiagnosen
Claudicatio intermittens
Metastastische Erkrankung der Wirbelsäule
Hüftgelenkspathologien
Polyneuropathie
Bandscheibenvorfall
DD: neurogene vs. vaskuläre Claudication
Neurogen Vaskulär
AUSBREITUNG VON proximal distal distal proximal
BESSERUNG BEI Sitzen, Vornüberbeugen Stehenbleiben reicht aus
LAGEABHÄNGIG ja nein
GEHSTRECKE VARIIERT ja nein
RADFAHREN Ohne Einschränkungen Symptome
NACHTSCHMERZ Selten Besserung beim Aufstehen
BERG/TREPPE Bergauf besser Bergab besser
FUSSPULSE normal fehlen
TROPHISCHE STÖRUNGEN nicht obligat Obligat: Haut dünn, Nägel
schlecht, Haare fehlen
Diagnostik: MRI
Gefährlicher Teufelskreis
Konservative Behandlung
Ruhe, Entlastung, Schonhaltung, aber Bewegung (max. 1-2 Wochen)
Schmerzmittel(Paracetamol), Novalgin, NSAR, COX-2 (Opioide)
PhysiotherapieSanfte MassageWärme > Kälte
Infiltrationen
Operative Entlastung
Minimalinvasivere Alternativen zur Laminektomie
bilaterale Laminotomie
unilaterale Laminotomie plusDekompression der Gegenseite
- Dekompression der traversierenden Nerven und des Duralsackes
- Erhaltung funktioneller Gelenkfacetten + dorsaler Zuggurtung
- Schonung der paravertebralen Muskulatur
- Ergebnisse: 8 von 10 Patienten langfristige deutliche Besserung
Prinzip und Ergebnisse
SPORT-Studie: die operative Therapie nach ist bereits kurzfristiger
frustraner konservativer Therapie die Methode der Wahl
Randomisierter Arm der Studie138 OP vs. 151 konservativ
Nichtrandomisierter Arm der Studie219 OP vs. 146 konservativ
Weinstein et al. Surgical versus non-surgical therapy for lumbar spinal stenosis. New Engl J Med 358;8 (2008)
Operative Therapie bei lumbaler Spinalkanalstenose
ist evidenzbasiert
SPORT-SpS: Ergebnisse nach 8 Jahren
Lurie et al. Spine 2015; 40: 63 - 76
Verschraubungen an der Wirbelsäule
Sind oft nicht notwendig Fast nie als erste Operation notwendig
Wie hoch ist die Rate einer Instabilität nach Dekompressionsoperation?
Fragestellung:
Realität: Trend zu komplexeren Stabilisierungen bei spinaler Stenose ohne Wirbelgleiten („surgeons preference“, aber 2-3x Kosten und Komplikationen).
Begründung: Hohe Rate sekundärer Instabilitäten?
Methodik: Metaanalyse• 24 Studien, 2496 Patn.• alle Operationsverfahren
Guha et al. Neurosurg Focus 39 (4):E9, 2015
Stenose und leichte Spondylolisthesis:
Dekompression oder Dekompression + Fusion?
Försth P, Ólafsson G, Carlsson T, Frost A, Borgström F, Fritzell P, Öhagen P, Michaëlsson K, Sandén B: A Randomized, Controlled Trial of Fusion Surgery for Lumbar Spinal Stenosis. N. Engl. J. Med. 374:1413-23, 2016
Ghogawala Z, Dziura J, Butler WE, Dai F, Terrin N, Magge SN, Coumans JV, Harrington JF, Amin-Hanjani S, Schwartz JS, Sonntag VK, Barker FG, Benzel EC: Laminectomy plus Fusion versus Laminectomy Alone for Lumbar Spondylolisthesis. N. Engl. J. Med. 374:1424-34, 2016
Patientengruppe ohne „Instabilität“:
3-14 mm Lithesis< 3 mm Mobilität< 10° Mobilitätkeine mechanischen Rückenschmerzen
Fusion bringt keinen Zusatznutzen ohne das Vorliegen einer Makro-Instabilität
Flexion vergrössert den Durchmesser des Spinalkanals um 30%
Zucherman et al. Spine (2005)
Interspinöse Distraktoren: Zusammenfassung randomisierter Studien
Ergebnisse
1. IPDs sind nach 2 Jahren genauso effektiv wie die Dekompression (69% IPD vs. 60% S).
2. Operationen kürzer und kleiner.
3. Es gibt eine signifikant höhere Re-Operationsrate nach IPD-Implantation (33% IPD vs. 8% S) nach 2 Jahren.
4. Signifikant mehr Rücken-schmerzen in der IPD-Gruppe
Moojen et al. Eur Spine J 24:2295-305, 2015
Einfluss der Dauer der präoperativen
konservativen Behandlung* auf das OP-Ergebnis
Zweig T et al.: Eur Spine J26:488-500, 2016
Material und Methodik
Spine-Tango: n=3487
1. keine vorherige konservative Therapie (n= 497; 14.3%)
2. Konservative Therapie < 6 Monate (n = 965; 27.8%)
3. Konservative Therapie 6 - 12 Monate (n = 758; 21.8
4. Konservative Therapie > 12 months (n = 1258; 36.1%)
Vergleich hinsichtlich:
Rückenschmerz
Beinschmerz
COMI
OP-Komplikationen, allgemeine Komplikationen, OP-Dauer
* Konservative Therapie: Physiotherapie, Analgetika, Infiltrationen
Einfluss der Dauer der präoperativen
konservativen Behandlung* auf das OP-Ergebnis
Zweig T et al.: Eur Spine J26:488-500, 2016
Die Dauer der präoperativen konservativen Behandlung hat keinen Einfluss auf das Ergebnis der Operation bei lumbaler spinaler Stenose.
Zervikale Spinalkanalstenose
• Immer noch häufig, aber nur 20% in der Bildgebung bei Menschen >60. Lebensjahr
• Seltener symptomatisch, aber wenn, dann dringlicher abzuklären
Zervikale spondylotische MyelopathieKlinisches Syndrom unterschiedlichen Schweregrades
• degenerativ, durch mechanische Einengung des zervikalen Rückenmarks
– intermittierend bei Instabilität im Segment– dauerhaft durch absolute Spinalkanalstenose
• myelopathische >> radikuläre Symptomatik
• Diagnose: 1. klinischer Verdacht, 2. MRI
• führt bei Progression zur Behinderung, Regeneration des Myelons ist limitiert!
SYMPTOME: Myelopathie > Radikulopathie
• Reflexe gesteigert
• Störungen der Tiefensensibilität und des Gleichgewichts
• Spastischer Gang
• Fleckförmige Sensibilitätsstörungen
Symptome und Diagnostik
DIAGNOSTIK:
• MRI
• CT
• (Elektrophysiologie: EMG, SSEP, MEP)
Bei Myelonkompression grosszügig!
Bei Signalveränderung bis auf wenige Ausnahmen absolute Operationsindikation
Operationsindikation
Wie bessert sich eine Myelopathie nach Dekompressionsoperation?
Moussellard et al. Eur Spine J (2014) 23:1508–1514
Prospective non-controlled observational study
Lebensqualität und physische GesundheitZervikale Myelopathie im Vergleich zu anderen Erkrankungen
Lafage et al. Annual ISASS Meeting, San Diego 2015
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SF-36 Physical Component Scoren=285, AOSpine North America CSM study