Abfindung: Was kannich verlangen?
Leben SEITE 24Aktuell SEITE 7 Vor Ort SEITE 10Debattenpapier: EureMeinung ist gefragt
Teilzeit: Die altenMuster leben weiter
März 2015
Bezirk SEITE 28
Redaktionsschlussdieser Ausgabe:17. Februar 2015Aktuelles unter:
igmetall.de
Mitgliederzeitung der IG Metall | Jahrgang 67 | D 4713
metallzeitung
http://www.igmetall.de
2 | metallzeitung 3 | 2015
Inhalt Leserbriefe
In der DDR stan-dardmäßigmetallzeitung 2/2015,
StandpunktEnergieeffizienz»Das Prinzip Kraft-Wärme-Kopplung istkeinesfalls neu. Eswurdein der ehemaligen DDReigentlich standardmä-ßig eingesetzt. Kraft-werksabwärme wurdebesonders zur Behei-zung der Neubaugebieteeingesetzt. Ebenso wur-de, etwa im inzwischenstillgelegten KraftwerkVockerode/Elbe, die Ab-wärme genutzt, um riesi-
ge Gewächshausanlagen zu be-heizen, um Frischgemüse imWinter zu erzeugen (allerdingsspeziell – devisenbringend – fürWestberlin).«Wolf Richter, Chemnitz
Zustände bei Enerconmetallzeitung 10/2014,
Die Fertigmacher sowie
igmetall.de»Arbeitsgericht entscheidetgegen Kündigung vonEnercon-BetriebsratNils Böttger. Ein Sieg fürdie Meinungsfreiheit«»Ich finde die Haltung von En-ercon unmöglich. Ich habe selbstvon 2010 bis 2012 bei Enerconin Aurich/Ense gearbeitet undkann Euren Vorwürfen nur zu-stimmen. Es muss dringend et-was getan werden, damit auchbei Enercon endlich Tarifverträ-ge eingeführt werden. Ich habeals Vollzeitmitarbeiterin im Be-reich Ertragsprognosen im Mo-nat 1500 Euro brutto bekom-men, ohne Aussicht auf großeErhöhungen.DasWort Betriebs-rat durfte man gar nicht in denMund nehmen, da war manschon auf der ›Abmahnungs-liste‹. Das sind meiner Meinungnach keine Zustände in einerdeutschen Firma.«Linda F., über Facebook
Missstände anprangernmetallzeitung 2/2015,
Pflaume für Sarah Wiener»DenBeitrag über SarahWienerin der ›Pflaume des Monats‹ fin-de ich sehr gut. Auf solche Miss-ständemuss einfach hingewiesenwerden, insbesondere bei Men-schen oder Unternehmen, diesich als besonders gut darstellenwollen.«Gerhard Paul, Düsseldorf
Die Gewerkschaft hilftmetallzeitung 2/2015,
Die IG Metall stärken»Ein Azubi wurde kurz vor Ab-lauf der Probezeit entlassen. DerBetrieb hatte ihn niemals zuvorauf Mängel oder Nichteignunghingewiesen. So hatte er keineMöglichkeit, selbst Stellung zubeziehen. Leider gibt es in die-sem Betrieb keinen Betriebsrat,derHilfe undUnterstützung hät-te geben können. Ich bin derMeinung, dass so ein Verhaltendes Lehrmeisters dem Jugendli-chen dieMotivation und auch ei-ne Perspektive nimmt. DieserFall ist leider kein Einzelfall, wasmich sehr betroffen macht. Bitteveröffentlichtmeinen Leserbrief,um anderen Betroffenen Mut zumachen, sich Hilfe bei der Ge-werkschaft zu holen.«Gotlind Wieden, per E-MailTi
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TitelthemaHunderttausende auf der StraßeGutes Forderungspaket, schlechte Ange-bote der Arbeitgeber – so empfanden Be-schäftigte die Tarifverhandlungen in derMetall- und Elektroindustrie bis zur drit-ten Verhandlungsrunde. Und sorgten mitmassivenWarnstreiks für Druck auf dieArbeitgeber. Allein in den ersten drei Wo-chen nach dem Ende der Friedenspflichttrotzten rund 600000Metallerinnen undMetaller der Kälte und versammelten sichvor denWerkstoren, auf Straßen undPlätzen. Auf den Seiten 18 bis 21 »
AktuellBetriebsrat siegt. Windanlagenbauer Enercon mag es nicht, dassBetriebsräte die Interessen von Beschäftigten vertreten. Er warfden engagierten Betriebsrat Nils-Holger Böttger raus. Böttger zogvor Gericht – und gewann den Prozess. Auf den Seiten 6 und 7 »
Vor OrtDie Teilzeitfalle. Viele Mütter arbeiten Teilzeit, weil sie andersKinder und Beruf nicht vereinbaren können. Die verkürzteArbeitszeit führt aber beruflich oft in eine Sackgasse. Dabei gehtes auch anders. Auf den Seiten 10 bis 13 »
LebenAbfindungspoker. Beim Aushandeln einer Abfindung gilt es, Fall-stricke zu vermeiden und eine möglichst hohe Summe für die Zeitder Jobsuche und Überbrückung herauszuschlagen.Auf den Seiten 24 und 25 »
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Karikatur zum Angucken: igmetall.de/cartoon/
Redaktionsschluss dieser Ausgabe: 17. Februar 2015
Impressum
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Herausgeber: Detlef Wetzel,Jörg Hofmann, Jürgen KernerBeauftragter der Herausgeber:Jan Engelhardt
Anschrift: Redaktion metallzeitungWilhelm-Leuschner-Straße 79,60329 Frankfurt am Main
Redaktionsleiterin: Susanne Rohmund(verantw. i. S. d. P.)Chefredakteurin: Susanne Rohmund
Chefin vom Dienst: Fabienne Melzer
Redaktion: Jan Chaberny, Dirk Erb,Sylvia Koppelberg, Antonela PelivanGestaltung: Gudrun Wichelhaus-DecherBildredaktion: Michael SchinkeSekretariat: Beate Albrecht,Marion Brunsfeld
igmetall.de/metallzeitung
Vertrieb: Thomas KöhlerTelefon: 069 66 93-22 24Fax: 069 66 93-25 38
Anzeigen: Petra Wedel, ZweiplusMedienagentur, Pallaswiesenstraße 109,64293 Darmstadt
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Leserbriefe:Die Redaktion behält sich vor, Leser-briefe zu kürzen, um möglichst vieleMitglieder zu Wort kommen zu lassen.Es ist leider nicht möglich, alleZuschriften abzudrucken.
metallzeitung erscheint monatlich. FürMitglieder der IG Metall ist der Bezug imBeitrag enthalten. Das Papier, auf demdie metallzeitung gedruckt wird, bestehtzu 70 Prozent aus Altpapier und zu30 Prozent aus FSC- und PEFC-zertifizier-tem Holz, das aus nachhaltiger Wald-bewirtschaftung in Süddeutschland undin der Schweiz stammt.
Unser Angebot für sehbehinderteund blinde Mitglieder: metallzeitung gibtes auch als Word- oder alsPDF-Datei. Bestellung an:
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GUT AUFGESTELLT IN DIE OFFENSIVE!JETZT UNSER TEAM VERSTÄRKEN
metallzeitung 3 | 2015 | 3
Editorial
GEWONNEN HABEN
Januar-RätselLösung: Wir für mehr
Je ein Cartoon-Bildband des Lappan-Verlags geht an:Helmut Arle, Auma-Weidatal | Heidi Dansauer, Groß-RohrheimJutta Helmreich, Leinburg | Hagen Jonat, KonstanzIvica Lucic, Sindelfingen | Hanna Timmermann, Liebenau
Werbeaktion – Gewinner SonderprämienIm Rahmen der Werbeaktion 2014 hat die IG Metall 20 Kurzreisendes Gemeinnützigen Erholungswerks als Sonderprämie an Werbe-rinnen und Werber verlost. Je eine Reise für zwei Personen insAllgäu, nach Berlin oder auf die Insel Rügen haben gewonnen*:
Die IG Metall: einestarke GemeinschaftTARIFRUNDE
2015Bereits in den ersten drei Warnstreik-wochen gingen Hunderttausende aufdie Straße. Sie zeigen: Die IG Metallsetzt auf die richtigen Themen.
Ihr habt eine Frage an Detlef Wetzel?Zu Politik, Gesellschaft oder der Gewerkschaft?Schickt sie uns per E-Mail! Der Erste Vorsitzendeder IG Metall beantwortet jeden Monat EureFragen auf: igmetall.de/gute-frage
Tarifrunden sind immer etwasganzBesonderes. ImWarnstreiksteht man draußen vor demWerkstor. Seite an Seitemit Kol-leginnen und Kollegen, mitFremden und mit Freunden.Fahnen wehen. Transparentewerden hochgehalten. Es wirdgelacht. Es wird geschimpft.Viele unterschiedliche Sprachenwerden gesprochen. Gänsehautvom ersten Augenblick. TrotzKälte ist die Stimmung super.Wir sind uns alle einig:Wir sindeine starke Gemeinschaft undkämpfen für unsere Ziele.
Dieses Gefühl, dass manzusammengehört und gemein-sam etwas erreichen kann, die-ses Gefühl hat mich schon im-mer fasziniert, und es fasziniertmich wie so viele Mitgliederauch jedes Mal aufs Neue.
Die richtige Themen. DiesesguteGefühl bestätigt sich auch indieser Tarifrunde wieder. Bereitsin den ersten dreiWarnstreikwo-chen waren rund 600000 Men-schen vor den Werkstoren. Siezeigen: Wir setzen auf die richti-gen Themen. Die Beschäftigtenkämpfen für ihre Rechte, ihrRecht auf Bildung, ihr Recht aufeinen fairen Anteil und ihr Rechtauf einen menschenwürdigenÜbergang in die Rente.
Auffallend bei dieser Tarifrunde:Mehr prekär Beschäftigte, mehrAngestellte undmehrFrauen ste-hen auf für unsere Ziele. Sichereund faire Jobs, gleicher Lohn fürgleiche Arbeit, mehr Zeit für Le-ben und Familie, gut in Rente:Diese Forderungen sind für unsaktueller denn je – vor, währendund nach der Tarifrunde.
Deshalb werden wir dieseThemenArbeitgebern undPoli-tik weiter auf die Agenda setzen.Denn: Beschäftigte wünschensich Vereinbarkeit von Arbeitund Leben. Sie wollen Arbeits-zeitsouveränität. Siewollen überihre Zeit bestimmen, statt nurfür den Chef flexibel zu sein.
Gemeinsam für ein gutesLeben, das ist und bleibt dasZiel.
Detlef Wetzel, Erster Vorsit-zender der IG Metall
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Reiseziel AllgäuThomas Clauß, LeipzigWilfried Löffler, MülsenRonny Ott, ZwickauArmin Rähse-Kansy,ToppenstedtMichael Willems, Witzenhausen
Reiseziel BerlinPeter Assmann, NürnbergPrzemyslaw Bochniak,GanderkeseeHans Josef Mertens, AlsdorfSebastian Schätzl, SonnenSelahattin Yasar, Wuppertal
Reiseziel RügenPetra Blumenau, SchweinfurtDetlef Dirks, DiedorfKarsten Hahn, BleicherodeAnke Heinrich, HohenfurchSonja Heneka, HambrückenJörg-Michael Kutz, BerlinAxel Meß, TauchaRalf Peters, RühenAndrea Westheider, BündeJessica Wetzel, Offenburg
*Die Gewinner werden von derIG Metall direkt informiert.
http://www.igmetall.de/gute-frage
4 | metallzeitung 3 | 2015
Aktuell
BILD DES MONATS
FetteBuletteSie heißen Fleischküchle, Laberl,Krapferl, Klopse, Buletten oderFrikadellen: Hackbällchen ausRind- oder Schweinefleisch oderbeidem. Roh zartrosa, nach län-geremWälzen imheißen Fettbadknackig braun, mit ordentlichSenf drauf ein Renner auf jedemzünftigen Fest. Und eine festeGröße auf den Speiseplänendeutscher Kantinen, wo aller-dings im Ranking der beliebtes-ten Gerichte Currywurst undSchnitzel mit Pommes seit Jah-ren unangefochten die erstenPlätze belegen.
Sehr zum Kummer der Er-nährungsspezialisten, die Kanti-nen- und sonstigen Essern zumVerzehrvon fett-und fleischarmerKost raten: viel frisches Obst undGemüse, Salat mit Samen undNüssen, Vollkornprodukte, Salz-kartoffeln, gedünsteter Seefischund wenig Fleisch, möglichstmager. Undwenn schon Buletten,dann aus Sojagranulat oderGrün-kernschrot.
Speck weg. Da läuft einemdochderMöhrensaft imMund zusam-men. Jedenfalls haben die Ernäh-rungsfachleute in den nächstenWochen Chancen, Gehör zu fin-den. Zumindest vorübergehend.Die Zeit der Reue und Frühjahrs-diäten naht. Der Winterspeckmuss weg. Manche Kantinen bie-ten zusätzlich zum normalenSpeiseplanMagerkost.DerVFED,ein Lobbyverband von Ernäh-rungsfachleuten, hat den 7. MärzzumTagdergesundenErnährungerklärt. SpätestenswennderFrüh-ling vorbei ist, wird es bei derKantinenabstimmung mit denFüßen aber wieder genauso zuge-hen wie in den vergangenen Jah-ren, also: Ran an die Buletten.
[email protected] Rund, saftig und schmackhaft, aber nicht auf dem Speiseplan für die Frühjahrsdiät zu finden: Frikadellen.
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Aktuell
metallzeitung 3 | 2015 | 5
Streit um Arbeitsschutz
KRITIK ANNEUERREGELUNG
Mit scharfen Tönen attackieren die
Arbeitgeber Pläne zur Neugestaltung der
Arbeitsstättenverordnung. Die IG Metall
dringt auf eine schnelle Umsetzung.
Arbeitgeber und Wirtschaftlaufen derzeit Sturm gegenPläne des Arbeitsministeri-ums, die Arbeitsstättenverord-nung zu verändern. Sie klagenüber zu viel Bürokratie. DerVorwurf ist unberechtigt: DieNovellierung bringt eine Ver-einfachung des rechtlichenRahmens. Die IG Metall for-dert die schnelle Umsetzungder Verordnung.
Die Neuordnung ist nötig,da in der geltendenArbeitsstät-tenverordnung konkrete Maß-gaben und Orientierung zurUmsetzung in den Unterneh-men oft fehlen. BetrieblicheKonflikte und Schutzlückensind so vorprogrammiert.
Durch die Zusammenfüh-rungmitderBildschirmarbeits-verordnung sollen nun die Re-gelungen für die Arbeitsstättenübersichtlicher gemacht wer-den.Dazuwerden sie, wonötig,
aktualisiert und konkretisiert.So werden klarere und prakti-kablere Vorgaben zur Arbeits-platzgestaltung definiert.
Mehr als zwei Jahre wurdedie Reform diskutiert und vomBundesrat mit einigen Ergän-zungen beschlossen. ImFebru-ar sollte sie dann verabschiedetwerden. Nach Angriffen derArbeitgeber wurde der Terminaber verschoben.
Arbeitsministerin AndreaNahles möchte die Reformdennoch so schnell wie mög-lich durchbringen und danachüber noch strittige Punktesprechen. »Der Alarmismusder Arbeitgeberverbände istunangemessen«, sagt Hans-Jürgen Urban, geschäftsfüh-rendes Vorstandsmitglied derIG Metall. »Die Verordnungschafft mehr Rechtssicherheit,und das ist gut so.«
Es ist eine der wichtigsten, jedochauchunterschätztestenFragenderArbeitswelt: Was macht ein gutesBetriebsklima aus? Eine aktuelleStudie zeigt jetzt: Entscheidend istein ausgewogenes Verhältnis zwi-schen Geben und Nehmen.
In dem von der Hans-Böck-ler-Stiftung geförderten Projekthaben die SozialwissenschaftlerKlausKockundEdelgardKutzneruntersucht, was hinter dem Phä-nomen »Betriebsklima« steckt.Die Forscher interviewten Be-schäftigte, Vorgesetzte, Betriebs-räteundauchGeschäftsführer. Sie
arbeiteten Begriffe heraus, die fürdas Betriebsklima entscheidendsind, darunter Mitbestimmung,Wertschätzung,Kollegialität, Fair-ness, Autorität und Führung.
DasErgebnis:AlldieseFakto-ren sollten in einem ausgewoge-nen Verhältnis stehen. So hättenBeschäftigte grundsätzlich keinProblemmit Führung,wenndiesesachlich gerechtfertigt und durchRegeln berechenbar sei. Von ei-nemgutenBetriebsklimaseimeistdann die Rede gewesen, wenn imDialog ein Kompromiss gesuchtwurde.
Wie gutes Betriebsklima entsteht
ZAHLEN UND FAKTEN
Je qualifizierter,desto häufiger
sind Frauen berufstätig. Von al-len Frauen ohne Berufsausbil-dung zwischen 40 und 54 Jah-ren waren 2013 laut DIW 66,3Prozent erwerbstätig, aber 90,6Prozent aller Akademikerinnenin diesen Altersgruppen.
Deutschland er-zielte 2014 mit 252
Milliarden Euro den höchstenExportüberschuss weltweit, er-rechnete das Ifo-Institut. Weitabgeschlagen folgten Chinaund Saudi-Arabien.
Unterbrechen Frauenihre Erwerbstätigkeit,
um Kinder zu erziehen, sinktihre Chance, danach wieder ei-ne gleichwertige Position zu er-halten, bei Pausen bis fünf Jahreauf 50, bei einer noch späterenRückkehr auf 16 Prozent.
Nur 15 Prozent allerAusbildungsbetriebe
bilden junge Leute aus Einwan-dererfamilien aus, so eine Stu-die der Bertelsmann Stiftung.60 Prozent hatten noch nie Azu-bis mit ausländischenWurzeln.
Seit 2006 haben psy-chische Erkrankungen
bei Berufstätigen laut Techni-ker Krankenkasse um 86 Pro-zent zugenommen. Dabei han-delt es sich meist um ernste,langwierige Krankheiten.
Fachkräfte werdenälter. Während der
Anteil der 50- bis 64-Jährigenunter den Beschäftigten ohneBerufsausbildung stetig ab-nimmt (zwischen 1998 und2015 von 25 auf 22 Prozent), ister bei den Fachkräften mit Aus-bildung von 22 auf 29 Prozentgestiegen, bei den Akademikernsogar von 24 auf 35 Prozent.
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6 | metallzeitung 3 | 2015
Aktuell
Betriebsrat Nils-Holger Böttgerhat seinen Prozess gewonnen.DasArbeitsgericht Magdeburg wiesdie Kündigungsklage gegen ihnab. Böttgers Arbeitgeber Enercon,Deutschlands größter Windkraft-anlagenbauer, wollte ihn rauswer-fen, weil er sich für Leiharbeiter inseinem Betrieb eingesetzt hatte.Diese sollten in ihrer Freizeit zuSchulungen antanzen, ohne LohnundohneFahrgeld.DerBetriebsrathakte bei der Leihfirma nach.
Damit habe er seine »Kompe-tenzen überschritten«, behauptetsein Arbeitgeber. IG Metall-Mit-glied Böttger ist seinem Arbeitge-berEnerconein Dorn im Auge, seitihn seine Kollegen Ende 2013 inden neu gegründeten BetriebsratamServicestandortMagdeburgge-wählt haben. Und so nutzt die Ge-schäftsleitung die Gelegenheit, uman ihm ein Exempel zu statuieren.
»Die führen einen solchen Prozessnicht, um ihn zu gewinnen«, er-klärt Böttger. »Sie wollen all ihrenBeschäftigten zeigen, dass sie vielÄrger bekommen können, wennsie sich mit Enercon anlegen.«
Einer für alle. Böttger steht nichtallein. Seit Beginn desGerichtsver-fahrens im September habenHun-derte Enercon-Kollegen ihre Soli-darität auf dem IG Metall-Blog»Windstärke13.info«erklärt. 19000Beschäftigte von Enercon und vonzahlreichen anderen Betrieben un-terzeichneten eine Unterschriften-liste.Undviele kamen, umvordemGericht in Magdeburg für Böttgerzudemonstrieren (Bild oben). »Ei-ner ist betroffen – alle sind ge-meint«, stand auf ihren T-Shirts.
DennBöttger steht für alle an-deren. Ebenso wie in MagdeburghabenTausende Beschäftigte in 16
WIND-KRAFT
Mit allen Schikanen versucht die Geschäftsleitung des WindradbauersEnercon, die Beschäftigten und ihre gerade gewählten Betriebsräte kleinzu-machen. An einem Betriebsrat sollte ein Exempel statuiert werden. DochNils-Holger Böttger hat seinen Prozess mithilfe der IG Metall gewonnen.
Gegenwind für EnerconEnercon-Beschäftigte demonstrieren vor dem Arbeitsgericht Magdeburg für Betriebsrat Nils-Holger Böttger (zweiter links vorne). Enercon wollte Böttger kündigen – und scheiterte.
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Der Windkraftanlagenhersteller EnerconEnercon ist Deutschlands größter Windkraftanlagenhersteller mitrund 50 Prozent Marktanteil. Das Unternehmen ist in HunderteTochtergesellschaften aufgesplittert, unter anderem um Betriebs-räte möglichst kleinzuhalten. Enercon macht keine öffentlichenAngaben zu Umsätzen oder Gewinnen. Die IG Metall schätzt dieBeschäftigtenzahl auf rund 11000 in Deutschland. Nachrichten undHintergründe im Windkraft-Blog der IG Metall: windstärke13.info
Chronologie der Betriebsratswahlen bei EnerconAnfang 2013: Zahlreiche Beschäftigte kommen auf die IG Metallzu. Sie wollen endlich mitbestimmen und Betriebsräte wählen.September 2013: Die IG Metall leitet die Betriebsratswahlen inneun regionalen Enercon-WEA-Servicegesellschaften ein.November 2013: Betriebsratswahl in den Servicegesellschaften.Seit April 2014: Wahlen in weiteren Enercon-Betrieben, darunterauch Produktionswerke in Aurich, Emden, Haren und Magdeburg.Juni 2014: Enercon klagt auf Kündigung von Nils-Holger Böttger,Betriebsratsvorsitzender am Servicestandort Magdeburg.Februar 2015: Das Arbeitsgericht Magdeburg weist die Klage ab.
WISSEN
http://www.windstaerke13.info
Aktuell
weiteren Enercon-Betriebenmit Unterstützung der IG Me-tall fast zeitgleich Betriebsrätegewählt. Sie hatten die Nasevoll davon, dass die FirmaüberihreKöpfehinwegüberSchich-tenundÜberstundenentschei-det. Sie wollten gerechte Löhne(derzeit 25 Prozent unter Me-talltarif), weniger Leiharbeit –und endlich mitbestimmen.
Anfangs ist die Enercon-Spitze überrumpelt. Doch baldbeginnt sie, Beschäftigte einzu-schüchtern, der IG Metall denZutritt zu verwehren, Wahlenanzufechten und gewählte Be-triebsräte zu schikanieren.
Im Gusszentrum Ost-friesland etwa filmt die Werk-leitung, wer vor dem Tor mitder IG Metall spricht. AktiveMetaller undBetriebsrätewer-den strafversetzt, raus vor dieHalle,wo siemit demSchneid-brennerAusschuss zerkleinernmüssen. Anderswo werden E-Mails überwacht. Und ständigmüssen Betriebsräte um dieihnen rechtlich zustehendenRäume,Arbeitsmittel undUn-terlagenkämpfenoder sichmitAbmahnungen und Kündi-gungen herumärgern.
Die Schikane hat System.Enercon hat dafür eigens dierenommierte AnwaltskanzleiHogan Lovells engagiert.
Zeit für Dialog. Dabei wollendie Beschäftigten nichts weiterals eine faire »ZusammenarbeitzwischenGeschäftsleitung,Be-triebsräten und IG Metall«.Das schrieben 61 Betriebsrats-mitglieder in einem offenenBrief an die Geschäftsleitung.
»Enercon steht für saube-re Energie undmoderneTech-nik – und erhält zudem öf-fentliche Fördergelder. Es istdaher höchste Zeit, dass Ener-con auch soziale Verantwor-tung übernimmt«, fordert Ire-ne Schulz, geschäftsführendesVorstandsmitglied der IGMe-tall. »Die Betriebsräte und dieIG Metall sind bereit, kons-truktiv anzupacken und in ei-nen Dialog einzutreten.«
metallzeitung 3 | 2015 | 7
Du willst mitmachen?Das Debattenpapier samt Fragebogen lag derFebruarausgabe der metallzeitung bei.
Du hast das Debattenpapier verlegt?Du bekommst ein neues Exemplar in DeinerVerwaltungsstelle oder Du kannst es online auf
igm-gewerkschaftstag-2015.deherunterladen. Dort kannst Du auch den Fragebogenausfüllen.
Mit diesen QR-Codes findet Dein Smartphone dasDebattenpapier sowie den Fragebogen im Netz.
TIPP
Das Debattenpapier derIG Metall: Du bist gefragtEs ist das Ereignis in der IGMe-tall: der Gewerkschaftstag. DasParlament der Arbeit, so wirdder Gewerkschaftstag auch ge-nannt, ist das wichtigste Gremi-um der IG Metall.
Der Gewerkschaftstag. Allevier Jahre treffen sich fast 500Delegierte, die gewählten Ver-treter der Mitglieder. Im Herbstist es wieder so weit. Vom 18. bis24. Oktober findet in Frankfurtam Main der 23. OrdentlicheGewerkschaftstag statt. Dort le-gen die Delegierten die politi-schenundbetrieblichenSchwer-
punkte der IG Metall für dienächsten vier Jahre fest.
Das Debattenpapier. Damitalle Mitglieder sich ausführlichmitdenentscheidendenThemenauseinandersetzenundunterein-ander austauschen können, hatder IG Metall-Vorstand ein De-battenpapier verfasst.
Ein dazugehöriger Frage-bogen soll allen Mitgliedern dieChance geben, sich im VorfelddesGewerkschaftstagszuäußern.Eure Rückmeldung bestimmt al-sodiePolitikder IGMetall indennächsten Jahren.
Das Debattenpapier stelltzentrale gesellschafts-,organisations-, betriebs-und tarifpolitische Debattenund Herausforderungen vorund leitet daraus wichtigeFragestellungen ab. Es sollzur Diskussion anregen unddabei helfen, die Beratungenin den Delegiertenversamm-lungen zur Antragsstellungzu strukturieren.
Debattenpapier
Fragebogen
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Wahl in GriechenlandIn ihrem Positionspapier»Griechenland nach derWahl – Keine Gefahr, son-dern eine Chance fürEuropa« hat die IG Metallden Regierungswechsel inGriechenland begrüßt. DerWahlausgang biete die Chan-ce, die Wirtschaftspolitik derEU grundsätzlich zu über-denken. Anstatt Milliardenvon Hilfsgeldern zur Stabili-sierung des Finanzsektors zuverwenden und mit einerbrutalen Kürzungspolitik ei-ne Rezession sowie Armutund Arbeitslosigkeit hervor-zurufen, müsse es nun Struk-turreformen geben, die Steu-erhinterziehung, Steuerfluchtund Klientelpolitik bekämp-fen. Das Papier gibt es unter:
igmetall.de/griechenlandwahl
Erneut weniger AzubisTrotz Fachkräftemangel bildetdieWirtschaft immer wenigeraus. Im Jahr 2014 hat die An-zahl der neuen Ausbildungs-verträge mit 522000 einen his-torischen Tiefstand erreicht.288000 Ausbildungsbewerbergingen leer aus. Das zeigenZahlen des Bundesinstituts fürBerufsbildung. Die IGMetallkritisiert in ihrer Ausbildungs-bilanz, dass die Betriebe aufkurzfristige Kostenersparnissetzen, statt in die Bildung vonFachkräften zu investieren.
wap.igmetall.deRAusbildung
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Die IG Metall begrüßt denWahlausgang in Griechenland.
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http://www.igm-gewerkschaftstag-2015.dehttp://www.igmetall.de/griechenlandwahlhttp://www.wap.igmetall.de
8 | metallzeitung 3 | 2015
Aktuell
INTERVIEW »Wer die Besten will, kann auf Frauennicht verzichten«, sagen die Frauen in derIG Metall. Vorstandsmitglied ChristianeBenner will, dass das endlich in denBetrieben erkannt wird und sie gleicheberufliche Chancen erhalten wie Männer.
Frauen gehöre
Christiane, Du bist vor 26 Jah-ren in die Gewerkschaft einge-treten. War es damals schlimmfür eine Frau in der männerdo-minierten IGMetall?Christiane Benner: Nein, kann ichnicht sagen. Ich fand, dass dieIG Metall damals schon sehr auf-geschlossen gegenüber Frauenund ihren Themen war. Aber im27Mitglieder zählendenBetriebs-rat war ich eine von vier Frauen.Angestellte, jung, weiblich – dafühlte ich mich etwas einsam.
Heute sind 23 Prozent der Be-triebsräte Frauen.Benner: Ja, weil dasMinderheits-geschlecht in Betriebsräten jetztmindestens so stark vertretensein muss wie in der Belegschaft.Quoten bringen eben was.
Dann freust Du Dich, wenn derBundestagdiesenMonatdasGe-setz über Frauenquoten in Füh-rungspositionen beschließt?Benner: Klar. MinisterinManuelaSchwesig hat gute Gesetze auf denWeg gebracht. Auch das Eltern-geldplus,das ermöglicht,dassbei-de Elternteile die Arbeitszeit ingleichem Umfang verringern undsich Arbeit und private Aufgabenpartnerschaftlich teilen können.Wenn noch das RückkehrrechtvonTeilzeit aufVollzeit undRege-lungenzumehrTransparenzbeimEntgeltkommen, sinddasMeilen-steineaufdemWegzurGleichheit.
BeimThemagleiches Entgelt fürgleicheArbeithat sich indenver-gangenen Jahren immer nochnicht viel bewegt, oder?Benner: Es ist so: Wo Tarifverträ-ge gelten, sind die Abstände viel
geringer als in Betrieben ohne Ta-rifbindung. Unsere Entgelttarif-verträge in der Metall- undElektroindustrie schließenDiskri-minierung aus. Frauen werdenbeim Grundentgelt auch nichtschlechter behandelt. Wir habenaber festgestellt, dass zu wenigeFrauen hochdotierte Arbeitsplät-ze besetzen und sie weniger Boniund geringere Leistungszulagenerhalten.
Und woran liegt das?Benner: Das hat vor allem damitzu tun, dass sie nicht die gleichenAufstiegschancenhabenwieMän-ner.WennsieFamilienpausenein-legen,geratensie insHintertreffen.Darum sind Gesetze wie Eltern-geldPlus eine gute Sache. Aberauch tarifliche Bildungsteilzeit,wie sie sich die IGMetall in dieserMetall-Tarifrunde auf die Fahnengeschrieben hat.
Was will die IG Metall sonst inden Betrieben tun?Benner: Wir haben in Pilotbetrie-ben untersucht, wo Frauen be-nachteiligtwerden.Alleindass dieEntgeltausschüsse sich mit demThema befassen, ist schon ein Er-folg. Eine Analyse ist die Voraus-setzung, umdenBlick zu schärfenund die Probleme gezielt angehenzu können. Die Erfahrungen inden Pilotbetrieben wollen wirmöglichst überall nutzen.
Zurzeit redet alle Welt von derDigitalisierung, Stichwort In-dustrie 4.0. Ist das für Frauenauch ein Thema?Benner: Studienzeigen:Dienäch-ste Automatisierungswelle wirddie kaufmännischen Berufe tref-
DIE ARBEITSWELT IN ZAHLEN
Quelle: Hans-Böckler-Stiftung 2014
Von allen Beschäftigten in den einzelnen Qualifikationsgruppenhaben sich 2010 so viel Prozent weitergebildet:
Frauen bilden sich öfter weiter als Männer
* Alter, Qualifikation, Betriebszugehörigkeit, Arbeitszeit, Branche etc.Quelle: Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung 2014
Nach so vielen Monaten wurden so viel Prozent der Mütter 2013wieder berufstätig, wenn die Väter einen bis 2 oder mindestens3 Monate Elterngeld bezogen:
Vätermonate helfen Müttern, wieder einzusteigen
So viel niedriger waren 2010 die Entgelte von Frauen imVergleich zu denen der Männer bei gleichen Arbeitsbedingungen*(in Prozent):
Mit Tarif mehr Gerechtigkeit für Frauen
…ohne Tarifvertrag
1 bis 2 Vätermonate
Frauen
5,5
–20
5,8
11,612,1
15,716,3
31,7 29,8
35,8 30,9
37,7 35,3
Männer
ungelernt
angelernt
Berufsausbildung
Fachschulabschluss
Meister-,Techniker-abschluss
Hochschulabschluss
mindestens 3 Vätermonate
…mit Tarifvertrag
nach 3…
3%
15%10%
59%
24%
79% 77%
89%
27%
7%
nach 6… nach 9… 12 Monaten im 2. Jahr
–12
Quelle: Bundesinstitut für Berufsbildung 2013 Info
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metallzeitung 3 | 2015 | 9
Aktuell
n zu den Bestenfen, von der Finanzbuchhaltungbis zur Dokumentenverwaltung.Und da arbeiten oft Frauen. FürihreberuflicheZukunftwirdQua-lifizierungganzentscheidendwer-den.
Nützt den Frauen der Fach-kräftemangel, den dieArbeitge-ber beklagen?Benner: Bisher kaum.Unsere Be-schäftigtenbefragung hat gezeigt,dass 25 Prozent von ihnen unterihrer Qualifikation arbeiten. Daliegen große Potenziale brach.Statt zu jammern, sollten die Ar-beitgeber sich anstrengen undFantasie entwickeln, wie sieFrauen besser fördern können.Nicht jede Frau und jeder Mannwill Karriere machen. Aber die,die es wollen, müssen es auchkönnen. Und wenn Männer undFrauen eine Zeit lang beruflichkürzertreten wollen, um sich umihre Familie zu kümmern oderAngehörige zu pflegen, darf sichdas nicht nachteilig auf ihre be-ruflichen Entwicklungschancenauswirken.
Am 8. März ist InternationalerFrauentag. Für die IGMetall istder März Frauenwerbemonat.Was passiert da?Benner: Jede Menge Veranstal-tungen in Betrieben undVerwal-tungsstellen zu unseren Themengleiches Entgelt, Vereinbarkeitund berufliche Entwicklungs-
möglichkeiten. Wir engagierenuns das ganze Jahr für diese The-men, aber in diesemMonat wol-len wir sie in den Betriebenbesonders in den Fokus stellen –unter unserem selbstbewusstenMotto »Wer die Bestenwill, kannauf Frauen nicht verzichten«.
Wie sieht es denn mit denBesten in der IG Metall aus?Benner: Unsere Kolleginnen undKollegen in den Betrieben ge-winnen jedes Jahr mehr weibli-che Mitglieder hinzu. Auch vielejunge Frauen. Zurzeit sind mehrals 400000 unserer rund 2,3Mil-lionen Mitglieder Frauen.
Macht 17,8 Prozent. Unter denBeschäftigten sind aber 20,7Prozent Frauen.Benner: Ja, da ist noch Luft nachoben. Nach den Zuwächsen inden vergangenen Jahren bin ichsehr optimistisch, dass wir dasschaffen.
Kannst Du in zwei Sätzen sa-gen, was die IG Metall fürFrauen attraktiv macht?Benner: Erstens: Was sollte imBetrieb attraktiver sein als dieIG Metall? Wir sind diejenigen,die die Arbeitswelt humaner undgerechtermachen. Zweitens:Wirhaben im Blick, was die Themender Frauen sind. Und was sie be-wegt, bewegt die IG Metall.
Informationen der IG Metall für FrauenRatgeberbroschüren zu Chancengleichheit undEntgeltgerechtigkeit, beruflichen Entwicklungsperspektivenund zur Vereinbarkeit von Arbeit und Leben,Informationen zu den politischen und betrieblichenForderungen und Zielen der IG Metall undFrauenplakate zum Aushängen in den Betrieben:
wer-die-besten-will.deDer direkte Draht zu den Frauen bei der IG Metall:
LESETIPPS
Christiane Benner istgeschäftsführendes Vorstands-mitglied der IG Metall, zustän-dig für Zielgruppen, Gleichstel-lung und Kampagnen.
KURZ & BÜNDIG
Gedenken an NS-Opfer70 Jahre nach der Befreiungvon der Nazidiktatur nahmenMetallerinnen undMetallerschon in vielen Orten anMahn- und Gedenkveranstal-tungen teil, engagierten sich ge-gen Rechtsextremismus undRassismus und warben für eineweltoffene, tolerante undmenschliche Gesellschaft.Die IG Metall Niedersachsenund Sachsen-Anhalt plant am8. Mai eine Veranstaltung inBergen-Belsen. Sie hat zweiÜberlebende des ehemaligenKonzentrationslagers eingela-den – und Jugendliche, die dasGedenken an die Opfer desFaschismus zu ihrem Themagemacht haben.Mehr über die Veranstaltung:
igmetall-nieder-sachsen-anhalt.deRHome RTermine
Textil Ost am StartAm 24. Februar haben die Ta-rifverhandlungen für 16000Beschäftigte der ostdeutschenTextilindustrie begonnen. DieIG Metall fordert fünf Prozentmehr Geld für zwölf Monateund weitere Schritte zur An-passung ans Westniveau. Fürdie 100000 Arbeitnehmerin-nen und Arbeitnehmer derwestdeutschen Textil- und Be-kleidungsindustrie gibt esschon seit November 2014einen Tarifabschluss.
textil-tarifrunde.de
Metaller wollen die Erinnerung anjüdische Opfer wachhalten.
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Vereinbarkeit
10 | metallzeitung 3 | 2015
Vor Ort
Frauen sind inzwischen häufiger berufs-tätig als noch vor 20 Jahren. Das klassischeErnährermodell, in dem der Mann Vollzeitarbeitet und die Frau nicht berufstätig ist,wurde vom modernisierten Ernährermo-dell – Mann Vollzeit und Frau Teilzeit –abgelöst. Doch auch in der modernenRollenverteilung leben alte Muster weiter.Sobald Kinder ins Spiel kommen, endetfür Frauen die Karriereleiter, nicht seltenfallen sie sogar herunter. Das Recht aufTeilzeit gibt ihnen zwar mehr Luft, allesunter einen Hut zu bringen. Oft bleibenaber berufliche Entwicklung und finanzielleUnabhängigkeit dabei auf der Strecke.Von Fabienne Melzer
er Anruf kam vierWochen vor Ende derElternzeit. Ein Vorge-setzter teilte BarbaraSeidel* mit: »Ich habekeineVerwendungmehrfür Sie. In Teilzeit kön-
nen Sie bei uns nicht arbeiten.« Ein Jahr nachder Geburt ihrer Tochter wollte Seidel in Teil-zeit zurück in ihren alten Job. Sicher, ihreArbeit war anspruchsvoll. Vor der Geburt hat-te sie eigene Projekte geleitet. Aber sie hatteeinen Plan ausgeklügelt, der sie zeitlich flexi-bel machte. Ihr Vorgesetzter kannte dagegennur eine Art der Flexibilität: Vollzeit oder garnicht. Barbara Seidel schnappte kurz nach Luftund entgegnete: »Ich kenne meine Rechte.«So einfach ließ sie sich nicht abservieren.
Sie suchte sich selbst eine halbe Stelle ineiner anderen Abteilung. Zuerst war sie froh,überhaupt einen Job zu haben. Aber die Stellewar eine Sackgasse. Sie übernahm zwargenauso viele Projekte wie ihre Vollzeit-Kolle-gen, aber sie bekamnie die interessanteArbeit.»Ich war die fleißige Biene, deren Wissen allegerne nutzten. Aber wenn die Ergebnisse prä-sentiert wurden, war ich nicht dabei.« BarbaraSeidel war bei Fortbildungen nicht dabei, undsie war auch bei Gehaltserhöhungen nichtdabei. »Ich bin seit 17 Jahren imUnternehmen,
Mehr Zeit undChancen für Alle
D
* Name geändert.
Vor Ort
meine Leistungen wurden immer überdurch-schnittlich bewertet, aber ich habe in derganzen Zeit nur zwei Gratifikationen bekom-men.« Vereinbarkeit heißt für Barbara Seidel:»Frau, krieg’s irgendwie hin.«
Ziemlich ernüchtert. Um das Recht auf Teil-zeit habenGewerkschaften jahrelang gekämpft.Seit 2001 steht es im Gesetz und die Zahl derTeilzeitbeschäftigten ist gestiegen. Währendder Anteil der Paare mit einem männlichenAlleinverdiener in Westdeutschland seit Mitteder 1980er-Jahre von fast 50Prozent auf ein gu-tes Fünftel zurückging, verdoppelte sich dieZahl der Paare mit modernisiertem Ernährer-modell: Mann Vollzeit, Frau Teilzeit. Dochnach dem ersten Jubel, »Hurra, wir haben einRecht auf Teilzeit«, fühlen sichGewerkschafte-rinnen, Wissenschaftlerinnen und vor allemberufstätige Frauen ziemlich ernüchtert. Teil-zeit baut für die wenigsten die erhoffte Brückezwischen Familienarbeit und einer beruflichenTätigkeit, die ihnen eine eigenständigeExistenzsichert. Oft fehlen Konzepte, Beschäftigte inTeilzeit entsprechend ihrer Qualifikation ein-zusetzen. Reagiert wird meist aus dem Bauchheraus: »Huch, da kommt jemand aus derElternzeit. Oh, sie will Teilzeit arbeiten. Wasmachen wir jetzt mit ihm?« Vielen ergeht esdann wie Barbara Seidel: Sie landen in einerSackgasse, ohne Chance, beruflich und finan-ziell voranzukommen. Oder ihr Wunsch nachTeilzeit wird von vornherein abgebügelt.
Was die Wirtschaft von diesem Wunschhält, verriet Michael Hüther, Direktor des
aus. Das macht sich auch beim Lohn bemerk-bar. Unabhängig von Beruf und Qualifikationverdienen teilzeitbeschäftigte Frauen inWestdeutschland durchschnittlich 2,50 Euroweniger pro Stunde. Und das, obwohl Teilzeit-beschäftigte oft mehr leisten.
Zu wenig geschätzt. Was das mit vielenFrauen macht, sieht Doris Vielsack, Betriebs-rätin beimSoftwarehersteller SAP inWalldorf:»Entweder sie übernehmen sich total oder siestecken in beruflichen Nischen ohne Perspek-tive fest.« Vor allem junge Frauen gingen stän-dig an ihre Grenzen. Sie arbeiten 70 Prozent,obwohl sie nur 40 Prozent der Zeit und desGelds ihrer Kollegen haben. Viele Teilzeitbe-schäftigte vermissen die Wertschätzung ihrerArbeit. Das spüren sie besonders deutlich,wenn sie bei der Prämienvergabe mal wiederleer ausgegangen sind. »Leistung wird ebenimmer nochmit Anwesenheit amArbeitsplatzgleichgesetzt«, sagt Doris Vielsack.
Sie kennt das, nicht nur als Betriebsrätin.DorisVielsack ist Informatikerin.Als sie aus derElternzeit inTeilzeit zurückkehrte, bekamsie ei-ne Stelle unter ihrer Qualifikation. Sie musstesich selbst einarbeiten und erledigte immer dieArbeit, die übrig blieb.Oftwar das von denKol-legen gut gemeint. Schließlich stand die Mutternicht rund umdie Uhr zur Verfügung. »Inmei-nemBeruf hätte ich denAnschluss nicht wiedergeschafft«, sagt Doris Vielsack.
Zum Verzweifeln. Zwar gibt es inzwischenkaum ein Unternehmen, das nicht mit Verein-barkeit wirbt. Doch vieles bleibt oberflächlich.Die Hochglanzbroschüren kennt Oliver Moll.Für denBetriebsratsvorsitzenden bei ZFFried-richshafen in Schweinfurt gilt es nun, den Be-weis anzutreten. »Wir haben im Tarifbereichviele tolle, individuelle Teilzeitmodelle«, sagter. Und eine Vereinbarung regelt, Arbeit auchvon zu Hause aus erledigen zu können. Trotz-dem gibt es für Moll noch viel zu tun. Es feh-len noch schlüssigeKonzepte, wieKolleginnenund Kollegen aus der Elternzeit in den Berufzurückkehren, und mehr Teilzeitmodelle inder Produktion. »Wir wollen den Kolleginnendie Sicherheit geben, dass sie schwanger wer-den dürfen, ohne auf dem Abstellgleis zu lan-den«, sagt Moll.
Instituts der deutschen Wirtschaft, wohl eherversehentlich, als er vor zwei Jahren einegesetzlich vorgeschriebene Frauenquote mitder Begründung ablehnte, eine solcheZwangs-maßnahme verkenne die wahren Gründe,warum Frauen seltener aufstiegen als Männer.
Die wahren Gründe hatte nämlich eineStudie des Instituts zutage gefördert. Sie lauten:Frauen nehmen aus familiären Gründen häu-figer eine Auszeit und arbeiten mehr Teilzeitals Männer. Übersetzt heißt das: Frauen ma-chen keine Karriere, weil sie es sich erlauben,Kinder zu kriegen, und sich für ihre Kinderauch noch Zeit nehmen. Statt Quote, so Hüt-her, müsse der Staat die Kinderbetreuung aus-bauen.
Doch eine Kinderbetreuung, die es Elternermöglicht, für ihren Chef jederzeit verfügbarzu sein, gibt es nicht. Und vor allem: VieleMenschen wollen so nicht arbeiten. Ginge esnach ihnen, wäre die bezahlte Arbeitszeitgerechter zwischen denGeschlechtern verteilt.Viele teilzeitbeschäftigte Frauenwürden gernelänger, Männer gerne kürzer arbeiten.
Anwesenheitskultur. Mit ihren Wünschenvon einem ausbalancierten Leben zwischenFamilie, Freunden und Arbeitsplatz stoßen sieschnell anGrenzen in einer Arbeitswelt, in derimmer noch die Anwesenheit bestimmt, weraufsteigt. Wo die Einhaltung der regulärenWochenstunden schon als Teilzeit gilt undKarriere erst nach 17 Uhr gemacht wird. DieFolge: Viele Frauen schieben denWunschnachKindern auf. Sie konzentrieren sich jahrelangauf ihre berufliche Entwicklung und hoffendann, dass es nach der Elternzeit irgendwieweiterläuft. Eine Hoffnung, die immer wiederenttäuscht wird. Teilzeit und Karriere schlie-ßen sich in vielen Unternehmen immer noch
metallzeitung 3 | 2015 | 11
Im Westen arbeiten Männerin Vollzeit fast 45 Stundenpro Woche. Sie wünschensich knapp 40 Stunden.Frauen in Teilzeit arbeitenknapp 21 und wünschensich 24 Stunden pro Woche.
»Wer an der altenRollenverteilungfesthält , empfiehltsich nicht als attrak-tiver Arbeitgeber.«
12 | metallzeitung 3 | 2015
Auch das Thema »Führen in Teilzeit« liegtseiner Meinung nach noch völlig brach.»Darin liegt eine der größtenHerausforderun-gen.« Wie groß sie ist, sieht Moll, wenn etwadie Führungsposition einer Kollegin, die in El-ternzeit geht, unbefristet ausgeschrieben wird.Oder neulich, als ihm der alteWertekonserva-tivismus mal wieder richtig auf die Füße fiel.»Man kann nicht in Teilzeit führen«, warf ihmein älterer Vorgesetzter wie eine unumstößli-che Wahrheit entgegen. »Ach so«, sagte er.»Dann dürfen Sie aber nie krank werden oder
Urlaub machen.« Es folgte das Schweigen imWalde. Moll zuckt mit den Schultern. Einstel-lungen lassen sich schwer ändern, aber deshalbwirft er nicht die Flinte ins Korn. Fachkräftewerden in Zukunft seltener. Unternehmenmüssen mehr um sie werben. »Wer an der al-ten Rollenverteilung festhält, empfiehlt sichnicht als attraktiver Arbeitgeber«, sagt Moll.
Gegensätze aufbrechen. Doch traditionelleRollenbilder halten sich hartnäckig. Vor alleminDeutschland lebtderGegensatz zwischen leis-tungsfähigen Vollzeit- und weniger leistungs-fähigen Teilzeitarbeitern und -arbeiterinnen.Die IGMetallwill diesenGegensatz aufbrechen.
Es geht darum, Arbeitszeiten den Lebens-phasen der Beschäftigten anzupassen.Wenigerzu arbeiten muss nicht heißen, auf eine halbeStelle zu gehen. Es geht um vollzeitnahe
Vor Ort
Den GegensatzVollzeit-Teilzeit aufbrechenJanine Bernhardt ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Wissen-
schaftszentrum Berlin (WZB). Sie erforscht die Bedingungen und
Ursachen dafür, wie Arbeit in Familien aufgeteilt wird. Eine
Erkenntnis: Beim Thema Teilzeit scheitern Frauen nicht nur an
Männern.
Vor Ort
Teilzeit und um das Recht der Beschäftigten,auf eine Vollzeitstelle zurückzukehren, wennes die Lebensumstände wieder zulassen. Denndieses Recht fehlt bislang im Gesetz. Laut Ko-alitionsvertrag will die Regierung das ändern.Die IG Metall setzt sich dafür ein, zumindestTeilzeit vertraglich zu befristen.
Auch Betriebsrätin Doris Vielsack undihre Kollegen bei SAP arbeiten daran. Vor einpaarMonaten gründeten sie einenAusschusszu lebensphasengerechten Arbeitszeiten.Beschäftigte sollen ihre Arbeitszeit nichtnur reduzieren, sondern auch wieder er-
höhen können. Der Betriebsrat ent-wickelt flexiblere Teilzeitmodelleund verhandelt über Arbeit von zu
Hause aus. »ImMoment kannder ein-zelneVorgesetzte das genehmigen«, sagt DorisVielsack. »Er muss es aber nicht genehmigen.«DamitVereinbarkeitnicht zurberuflichenSack-gasse wird, müssen Fortbildungen in Teilzeitangeboten werden, fordert der Betriebsrat.Auch hoch qualifizierte Arbeitsplätze müssensich auf bestimmte Zeiten begrenzen lassen,die nicht immer zwischen acht und zwölf lie-gen müssen. »Das kann ich als Mutter organi-sieren«, sagt Doris Vielsack. »Nur kann ich alsMutter nicht den ganzenTag amTelefon sitzenund auf den Anruf vom Chef warten.«
Barbara Seidel würde ihre eigenen Erfah-rungen gerne an Kolleginnen und Kollegenweitergeben, die ihre Arbeitszeit verringernwollen – aus welchen Gründen auch immer.Damit der ständige Spagat zwischen Familieund Beruf in Zukunft vielleicht weniger Frau-en zerreißt.
metallzeitung 3 | 2015 | 13
Forderungen, Tipps und persönliche GeschichtenMehr zu den Forderungen der IG Metall und dazu, wie sie sich fürChancengleichheit einsetzt, gibt es im Internet. Auf dieser Seitekönnen Frauen ihre eigenen Geschichten und Erfahrungen erzählen.
wer-die-besten-will.deSie büffeln, sie rackern, aber sie kommen nicht voran. Ob bei Auf-stiegschancen oder Geld: Frauen ziehen im Beruf oft den Kürzeren.Tipps, wie aus Frauen Meisterinnen werden oder worauf es beiGehaltsverhandlungen ankommt, gibt die Broschüre der IG Metall»Frauen auf Erfolgskurs«. Sie kann bestellt werden unter:
igmetall.de/shop RSuche: Erfolgskurs
WISSEN
Warum ist Teilzeit für Frauen beruflich ofteine Sackgasse?Janine Bernhardt: Das hat viel mit unsererArbeitszeitkultur zu tun und damit, wasbei uns Standard ist.
Wie sieht der Standard aus?Bernhardt: Den Standard setzt immernoch der Beschäftigte, der Vollzeit arbei-tet. Interessanterweise scheitern Frauenin Teilzeit an Männern und Frauen. AlsFührungskraft ziehen auch Frauen eineVollzeitkraft, die immer verfügbar ist,einer Teilzeitkraft vor, die bis zum Mittagreinhaut, nach Hause geht und abendsim Homeoffice weiterarbeitet. Darauf deu-ten zumindest erste Ergebnisseunserer aktuellen Untersuchung hin.
Warum sind Vorgesetzte oft so unflexibel?Bernhardt: Führungskräfte sind keineUnmenschen. Manche handeln möglicher-weise so, weil ihnen die Ressourcen feh-len, um die Arbeit mit mehreren Teilzeit-kräften zu organisieren. Oft ist es eherfürsorglich gemeint. Sie hat ja jetzt einKind, sie kann das nicht alles schaffen.In den USA spricht man vom FlexibilityStigma. Danach werde Müttern unterstellt,dass sie mit der Geburt ihre Prioritätenverlagern. Bei Männern in Teilzeit passiere
etwas Ähnliches. Sie gelten als wenigerdurchsetzungsstark. Ihr Umfeld sprecheihnen berufliche Ziele neben den Kindernab. In männerdominierten Betrieben hat esder Einzelne da schwer, voranzugehen.
Auch Männer würden Arbeitszeit gerechterverteilen. Warum ändert sich so wenig?Bernhardt: Im Berufsleben sehen Männerja, was mit Frauen in Teilzeit passiert. Siesehen, wie Karrierewege abgeschnittenwerden. Wir müssen von diesem Vollzeit-Teilzeit-Gegensatz wegkommen. Wennkürzere Arbeitszeiten nicht mehr Teilzeitheißen, werden sie von Männern eherangenommen. Es gibt Betriebe, da heißtTeilzeit etwa Vollzeit light oder Wahl-arbeitszeit. Das kommt viel besser an.
Wie weit sind wir von einer echtenBalance im Leben noch entfernt?Bernhardt: Noch ziemlich weit. Wir brau-chen viel mehr Möglichkeiten, Arbeits-zeiten mal rauf- und mal runterzufahren.Arbeitszeit kann nicht auf der individuel-len Ebene umverteilt werden. Der Staatdarf Familien damit nicht alleinlassen.Das Elterngeld war ein richtiger Impuls.Man könnte den Anteil der Vätermonateschrittweise erhöhen. Je länger dieMänner bei ihren Kindern sind, destomehr würden sich die Rollen verändern.
Also kürzere Arbeitszeiten für alle?Bernhardt: Es geht vor allem um eineUmverteilung – innerhalb der Paare unddes Erwerbsverlaufs. Denn damit werdenauch Chancen neu verteilt.
Interview
Janine Bernhardt vomWZB in Berlin
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Illustrationen: Gudrun Wichelhaus-Decher
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Arbeit
14 | metallzeitung 3 | 2015
Herr Braungart, Sie haben dasCradle-to-Cradle-Konzept mit-entwickelt. Was heißt das denn?Michael Braungart: Von der Wiegebis zurWiege. Esmeint, dass Güteraus Materialien hergestellt werden,die später wieder in den biologi-schen oder technischen Kreislaufzurückkehren und für neue Pro-dukteverwendetwerden.DieStahl-karosserie eines Autos enthält zumBeispiel 50 verschiedene Legierun-gen. Wird das Auto verschrottet,entsteht daraus minderwertigerBaustahl. Kupfer und alle seltenenMetallewieChrom,Mangan,Wolf-ram und Antimon gehen verloren.So werdenwertvolle Rohstoffe ver-nichtet und die Umwelt belastet.Eine Tonne Kupfer verursacht beider Neuherstellung 600 bis 800Tonnen giftigen Sondermüll.
WelcheAlternativengibt esdenn?Braungart: Autos von vornhereinso zu konstruieren, dass alle Teilewiederverwendet werden können.Letzten Endes kauft der Pkw-Käu-fer nicht mehr das Auto, sonderndie Nutzung. Anschließend wirddas Fahrzeug zumwertvollen Roh-stofflager: für neue Autos, Compu-ter,Waschmaschinenoder anderes.DasmachtdieProduktebilliger. Ichhabe einen Prototyp für eineWaschmaschinemitgebaut,die statt100 nur drei Kunststoffarten ent-
hält, die allewiederverwertbar sind.Und einen Fernseher, der 30000-mal weniger Stoffe in die Umge-bung abgibt als herkömmliche, kei-ne giftigen Flammschutzmittelenthält, leicht auseinanderzuneh-men und Strom sparend ist.
Detlef, warum ist das für dieIG Metall ein Thema?Detlef Wetzel:AusvielenGründen.Die Kosten fürMaterial sind in derIndustrie im Schnitt mehr als dop-pelt sohochwiedie fürPersonal. Esergibt also für Firmen einen wirt-schaftlichen Sinn, bei Kostensen-kungsstrategien hier anzusetzen,statt immer zu versuchen, die Ent-gelte zudrücken.Außerdemstehenwir vor großen ökologischen Her-ausforderungen. Rohstoffe werdenknapp, undwir könnennichtMen-schen inAsien undAfrikaVerzichtpredigen und ihnen vorenthalten,waswiruns selbstverständlichgön-nen. Wir brauchen weiter Wachs-tum, aber eines, das RessourcenundUmwelt schont. Es gehtumIn-novation, Qualität, Wachstum,Wohlstand – und um gute Arbeit.
Wieso um gute Arbeit?Wetzel: Weil ein Ziel von Cradle toCradle ist, Schadstoffe zu vermei-den. Das bedeutet, dass auch dieBeschäftigten in der Produktionweniger belastet werden.
Wie giftig sind denn unsereProdukte heute?Braungart: Ich nenne mal Beispie-le: Allein im Autoreifen lauern 550Chemikalien.DerReifenabrieb,denwir einatmen, ist viel giftiger alsnoch vor 30 Jahren.OderBremsbe-läge: Die enthalten zwar keinAsbest mehr, dafür aber Antimon-sulfid. Das ist noch stärker krebser-regend als Asbest. Auch Textilienenthalten Gifte, die sehr gesund-heitsschädlich sind – und die Um-welt belasten. Ichmache einenVor-schlag, der natürlich nicht ernstgemeint ist: Wer den biologischenKreislauf unterstützen will, müssteinrauenMengenAusternschlürfen.Warum? In jeder Auster sind etwa1500Plastikpartikel, die sie ausdemMeer gefiltert hat. Zwei Drittel da-von sind Abrieb von Textilien, diebeimWaschen imWasser bleiben.
Kostet Cradle to Cradle nichtArbeitsplätze?Wetzel: ImGegenteil. EineProduk-tion nach diesem Konzept schafftnicht nur Arbeit in der Recycling-branche. Sie ist eine große Chancefür die Industrie: Sie kann ihreWettbewerbsfähigkeit stärken, zumInnovationsmotor und zur Wachs-tums- und Jobmaschine werden.Braungart: Ein Produkt, das nurAbfall wird, ist ein schlechtes Pro-dukt. Wir können in Europa auf
Michael Braungart (links) undDetlef Wetzel beim Interviewin der IG Metall-Zentrale inFrankfurt am Main. Beide set-zen sich für das Konzept Cradleto Cradle ein.
Von der Wiegezur WiegeSTANDPUNKT
Verzicht auf Konsum und Wachstum sind nicht die Lösungfür Umweltprobleme und Verschwendung von Rohstoffen,sagen der Wissenschaftler Michael Braungart und derIG Metall-Vorsitzende Detlef Wetzel. Sie setzen sich fürbessere Produkte ein – solche, die so konstruiert sind, dasssie wieder zum Stoff für gute neue Produkte werden können.
Detlef Wetzel,Erster Vorsitzen-der der IG Metall,will Wachstum,das Umwelt undRessourcenschont und
Menschen nicht krank macht.Dabei setzt er auf die Kompetenzder Beschäftigten.
Michael Braungart,Chemiker und Professor für Ver-fahrenstechnik, ist Geschäfts-führer der EPEA Internationale
UmweltforschungGmbH in Ham-burg. Er will,dass jedes Pro-dukt wieder Roh-stoff für einneues wird.
Im Interview
Arbeit
metallzeitung 3 | 2015 | 15
Dauer nur mit Qualitätsproduk-ten Geld verdienen. Metalle sindidealeCradle-Materialien. Sie las-sen sich immer wieder einsetzen,wenn sie sortenrein sind. Darumbin ich dankbar, dass es in der IGMetall offene Ohren dafür gibt.
Ist das nicht Zukunftsmusik?Braungart: Nein, gar nicht. Es gibtschonüber2000Cradle-to-Cradle-Produkte. Einer der weltgrößtenMöbelhersteller–indenUSA–fer-tigt sämtliche Möbel nach diesemPrinzip und ist sehr erfolgreich. InDänemark gibt es bald das ersteWindrad,beidemderBetreiberdasKupfer nur leiht. Er zahlt dem Ei-gentümer für die Nutzung, insge-samt ist dasWindrad aber dadurchmindestens 80000 Euro billiger.Wetzel: Mein Eindruck ist, dassFirmen im Ausland beim ThemaCradle toCradleweitersindalswir.Braungart: Ja, vor allem Nieder-länder, Skandinavier, Franzosenund Österreicher nutzen dieChancen.DeutscheAutoherstellerhabenaberauchbereitsCradle-to-Cradle-Arbeitsgruppen. EbensoZulieferer und mittelständischeUnternehmen, die Oberflächenbehandeln.
Unternimmt die IG Metall et-was, um solche Entwicklungenzu fördern?
Wetzel: Wir befassen uns seit Jah-rendamit.WirwollendieAnwen-dungsmöglichkeiten verbreiternund unterstützen darum Men-schen, die Innovationen voran-bringen. Externe Experten vomEPEA-Institut, das MichaelBraungart leitet, helfen uns dabei.Wir bieten Seminare an, bildenMitglieder aus, damit sie Bot-schafter für diese Idee in den Be-trieben werden.Braungart: Ein weiterer Vorteilder IG Metall ist, dass es in denBranchen, die sie organisiert, vie-le Ingenieure und Konstrukteuregibt. Sie wollen sich mit ihrer Ar-beit identifizierenundstolz auf ih-re Produkte sein. Sie wollen Qua-litätproduzierenundkeinenMüll,der dieUmwelt belastet. Für sie istdas Konzept interessant.Wetzel: Es gibt viele Beschäftigte,die sich damit befassen. Dazu ge-hören Ingenieure und technischeExperten, aber auch Betriebsräteund Vertrauensleute. Sie könnendie Ideen in die Produktion, inWirtschaftsausschüsse und Auf-sichtsräte tragen.Braungart: Das zeigt, wie wichtigMitbestimmung ist. Es hilft unge-mein, wenn eine gesellschaftlicheKraft wie die IG Metall mit ihren2,3MillionenMitgliedern innova-tive Ideen unterstützt.
Fotos: Frank Rumpenhorst
Unterwegs – aber sicherÜberall in Deutschland kommtesTag fürTag zu zahlreichenUn-fällen im Straßenverkehr, man-che enden tödlich. Auch der in-nerbetriebliche Transport undVerkehr stellt inUnternehmenei-ne nicht zu unterschätzende Ge-fahr dar, auchhier passierenhäu-fig schlimme Unfälle.
Der Verband für Sicherheit,Gesundheit und UmweltschutzbeiderArbeit (VDSI)hatdeshalbgemeinsam mit dem Deutschen
Verkehrssicherheitsrat (DVR)den Wettbewerb »Unterwegs –aber sicher!« ins Leben gerufen.Gesucht werden Projekte, dienachhaltig zu weniger Unfällenauf Schul- und Dienstwegen be-ziehungsweise im innerbetriebli-chen Transport geführt haben.Der Wettbewerb richtet sich vorallem an Verantwortliche in derbetrieblichen Verkehrssicherheit.Anmeldeschluss ist 15. Juli 2015.
vdsi.de
ARBEIT UND GESUNDHEIT
Wie beim Geld haben auch beider Arbeitszeit Männer die Nasevorn.Zwararbeiten sowohlMän-ner als auch Frauen heute imDurchschnitt weniger Stundenals noch Anfang der 1990er-Jah-re.AberdiedurchschnittlicheAr-beitszeit derFrauensankdeutlichstärker als die der Männer. 1992arbeiteten Männer im Schnitt 41Stunden und Frauen 34 StundenproWoche. 2012 lag das Verhält-nis bei 39,8 zu 30,5. Der AbstandzwischendenGeschlechternstiegum gut 2,5 Stunden. Damit liegtdie Lücke, dasGender TimeGap,heute bei 9,3 Stunden.
Ein Grund dafür ist die im-mer noch klassische Aufgaben-verteilung, bei der Frauen denGroßteil derHausarbeitundKin-derversorgungübernehmen.Dasklassische Ernährermodell – derMannverdient dasGeld, die Frauversorgt die Familie – ist zwar aufdem Rückzug und hat demmodernisierten Ernährermo-dell – Mann Vollzeit, Frau Teil-zeit – Platz gemacht. Doch ob-wohl heute mehr Frauen imBerufsleben stehen, fallen sie beiden Arbeitszeiten immer weiter
hinter die Männer zurück. DasGender Time Gap wächst.
Selbst bei Paaren ohne Kin-der arbeiten die Frauen wenigerStunden außerhalb der eigenenvier Wände. Dafür sorgen nebenaltenRollenklischeesauch falscheAnreizewieSteuerklassenkombi-nationen, die das kleinere Ein-kommen stärker besteuern oderMinijobs, die gar nicht besteuertwerden. Unter diesen Vorausset-zungen lohnen sich längere Ar-beitszeiten auf den ersten Blicknicht, weil vomMehr beimBrut-to netto wenig bleibt.
Zeit besser verteilen. Nunmüssen längere Arbeitszeitenkein Ziel an sich sein. Nur ist Ar-beitszeit in Deutschland ungleichverteilt. Während sich Menschen(in der Mehrheit Männer) mitlangen oder überlangen Arbeits-zeitenwünschen,kürzer zuarbei-ten, wünschen sich viele Teilzeit-beschäftigte, ein paar Stundenmehr zu arbeiten. Denn GenderTime Gap und Gender Pay Gapklingen nicht nur verwandt. Siehängen auch zusammen.
DAS STICHWORT
Gen|der Time Gap, das;
http://www.vdsi.de
16 | metallzeitung 3 | 2015
Arbeit
Wolfgang Schmid hat sich alles ex-akt notiert – das Ergebnis derQua-lifizierungsprojekte, die sie hier imUnternehmen gestartet haben undmit denen vor allemFrauen zuFer-tigungs- und Qualitätsfachkräftenweitergebildet werden. »Wir habendie Beschäftigten überzeugt«, sagtder Betriebsratsvorsitzende amE.G.O.-Standort in Deutschland.»Darauf sind wir stolz.«
In der Tat, die Zahlen könnensich sehen lassen: 99 Kolleginnenund 13 Kollegen haben bislang dasQualifizierungsprogramm absol-viert, dass der Betriebsrat gemein-sam mit der Geschäftsführung insLeben gerufen hat; insgesamt ar-beiten am Standort im badischenOberderdingen rund 1800 Men-
schen. Die E.G.O.-Gruppe bietetalle Heiz- und Steuerelemente an,die zumKochen,Backen,Waschen,Trocknen und Geschirrspülen be-nötigtwerden.Dazu liefert dasUn-ternehmen auch Komponenten,Systeme und Technologien für dieMedizin- und GebäudetechnikoderdieAutomotive-Industrie. »Esistunsgelungen,Tätigkeitenaufzu-
werten und An- und Ungelernteweiter zu qualifizieren«, sagtWolf-gang Schmid. Die meisten Absol-venten arbeiten als Qualitäts- oderFertigungsfachkräfte. Sie haben,das ist das Besondere, die Lernele-mente zusammen mit Fachleutenaus den Abteilungen entwickelt.
»Uns war es wichtig, das Gan-ze kooperativ und beteiligungs-
orientiert aufzubauen«, sagt Wolf-gangSchmid. »Eswarunsklar, dassdie Sache nur gelingt, wenn sichsowohl die Geschäftsführung alsauchdieBeschäftigteneinbringen.«
Das haben sie getan – und eshat dazu geführt, dass Lerninhalteund Aufgaben entwickelt wurden,die auskonkretenbetrieblichenTä-tigkeiten und den AnforderungenvorOrt stammen. Die Teilnehmerkonnten während der etwa sechs-monatigen Qualifizierung am Ar-beitsplatz lernen; die ganze ZeitstandendenangehendenFachkräf-ten betriebliche Lern- und Fachbe-rater zur Seite, um sie beim Lernenim Arbeitsprozess zu unterstützen.Am Ende präsentierte jede undjeder das Ergebnis vor dem Vor-gesetzten. »Wir wollten Kollegin-nen und Kollegen fit machen fürhöhere Aufgaben«, sagt WolfgangSchmid, »das ist gelungen.«
Undesgehtweiter.Mittlerwei-le sind die Lerninhalte in den be-trieblichen Weiterbildungskatalogaufgenommen. Und beim jährli-chenQualifizierungsgesprächwirdzusammen mit dem Beschäftigtengeschaut, ob die Qualifizierung ei-ne Möglichkeit ist. Für WolfgangSchmideineSelbstverständlichkeit:»Wenn ein Projekt zuEnde ist, darfdie Idee dahinter nicht sterben.«
Bei der E.G.O. Elektro-Gerätebau GmbH im badischenOberderdingen haben Betriebsrat und GeschäftsführungQualifizierungsprojekte für An- und Ungelernte initiiert.Vor allem Frauen profitieren von den Angeboten.
Fit fürhöhere AufgabenDA GEHTWAS
Beteiligungsorientierte WeiterbildungProjektträger der Weiterbildungs- und Qualifizierungsangebotebei E.G.O. war die AgenturQ in Stuttgart, eine Einrichtung derIG Metall Baden-Württemberg und des ArbeitgeberverbandesSüdwestmetall. Seit 2004 konnten drei Projekte in diesemBetrieb und in anderen Unternehmen durchgeführt werden.
WISSEN
Viel erreicht: Betriebsratsvorsitzender Wolfgang Schmid mit Vesna Dominovic und Andrea Schoch (rechts), zwei Absolventinnen des Qualifizierungsprojekts
Foto
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Arbeit
metallzeitung 3 | 2015 | 17
Viele jungeMütter und Väter nut-zen die Elternzeit, um vom Job zupausieren und sich in den ersten14 Monaten nach der Geburt umihren Nachwuchs zu kümmern.
Eltern, deren Kinder bis zum30. Juni 2015geborenwerden,kön-nen die Elternzeit auf zwei Ab-schnitte aufteilen. Der Chef mussder Elternzeit bis zum dritten Le-bensjahr des Kindes zwar nicht zu-stimmen.Manmuss ihn aber frist-gerecht schriftlich informieren.DieverbleibendeZeit von zwölfMona-ten lässt sich mit Zustimmung desArbeitgebers bis zum achten Ge-burtstag des Kindes übertragen.
Nicht zu früh. Prinzipiell solltedie Elternzeit erst zum spätmög-lichstenZeitpunktangemeldetwer-den. Und zwar siebenWochen vordemTermin. DerGrund: Eine ver-
Octavius aegre lucide deciperetsus catelli incredibiliter libere co-nubium santet pretosius matrimonii, quod syrtes suffragarit op-timus adlaus utilitas agricolae nusamputat suis, semper saburre pes-simus celeriter agnascor suis, qu-dabilis umbraculi, quamquamsyrtes infeliciter imputat Pompeii.
Zwischentitel. Agricolae, et ap-paratus bellis corrumperet syrtes.Suis deciperet ossifragi, etiam sa-tis utilitas agricolae nus amputatsuis, semper saburre pessimus ce-leriter agnascor suis, quod fragilisrures comiter praemuniet suis, etsyrtes imputat fiducias.
Rures divinus iocari parsi-mondfabilis concubine deciperetchirographi, semper syrtes conu-bium santet fiducias. Augustusplane lucide circumgt. Agricolae,
bindlich festgelegte Elternzeit lässtsich nur in bestimmtenHärtefällenverändernoderwennderArbeitge-ber zustimmt.Hinzu kommt:Müt-terundVäter sindwegenund inderElternzeitnichtkündbar.Dieserbe-sondere Kündigungsschutz giltaber erst mit Antrag, frühestensjedoch acht Wochen vor Beginnder Elternzeit. Väter, die fristge-recht und ohne Angst vor einerKündigung eine Elternzeit anmel-den wollen, haben dafür also nureine Woche Zeit.
Neue Regeln ab Juli. Für Gebur-ten ab 1. Juli 2015 können Mütterund Väter Elternzeit in drei Blöckeaufteilen. Nicht genommene El-ternzeit lässt sich dann bis zu 24Monate auf das 3. bis 8. Lebensjahr
des Kindes ohne Zustimmung desArbeitgebers übertragen. Die Sie-ben-Wochen-Frist bleibt zur Inan-spruchnahme der Elternzeit vordem 3. Geburtstag des Kindes be-stehen. Die restliche Elternzeitnachdem3.Geburtstag mussnachder Neuregelung dann 13Wochenvorher angemeldet werden. EineZustimmung des Arbeitgebers istauch hierfür nicht mehr notwen-dig. Anträge ablehnen darf derChef nur bei dringenden betriebli-chen Gründen, und zwar inner-halb von acht Wochen nach Zu-gangdes Schreibens. Ebenfalls neu:Sobald die Anmeldung der Eltern-zeit beimArbeitgeber eingegangenist, besteht bis zu deren Ende Kün-digungsschutz.
Elternzeit nicht zu früh anmeldenTIPP FÜRDEN JOB
Elternzeit bietet Mütternund Vätern die Chance,ihr Kind in den erstenLebensjahren zu betreuen.Wer in Elternzeit gehenwill, sollte mit der An-kündigung beim Chef abernicht zu früh aufschlagen.
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Broschüren zur flexibleren ElternzeitDie Broschüre »ElterngeldPlus mit Partnerschaftsbonusund einer flexibleren Elternzeit« des Bundesministeriumsfür Familie informiert über die neuenMöglichkeiten, wie sich Eltern gemeinsamum ihre Kinder kümmern können.PDF zum Herunterladen unter:
bmfsfj.de RSuche: ElterngeldPlusOder per Smartphone mit diesem QR-Code:
TIPP
BLICK AUFDIE WELT
Wo teuer draufsteht, ist oft wenig Geld für Arbeiterinnen drinArbeit, vonder eineFamilienicht inWürde lebenkann, trotzüberlangerArbeitstage – das gibt es nicht nurin Asien.Wie eine Studie der Kam-pagne für saubere Kleidung zeigt,kehrt die Schuh- undBekleidungs-industrie zwar nach Italien zurück.Im Gepäck habe sie jedoch denglobalen Wettbewerb um immerschlechtere Arbeitsbedingungen.
Laut Studie kauften Hersteller wieArmani, Prada und Dior stillgeleg-te Fabriken in Italien, die denWett-bewerb mit Niedriglohnländerneinst verloren hatten und geschlos-sen wurden. Dort produzierten dieNobelmarkennununter schlechtenBedingungen.DieAutorender Stu-die sprachen mit Fabrikarbeitern,die auf1200Euro imMonatkamen,
undmit ungelerntenBeschäftigten,die 730Euro imMonat verdienten.Konkurrenz mit Osteuropa undAsien, so eine Erkenntnis der Au-toren, drückt die Löhne in Italien.Alle Ergebnisse der Studie unter:
ci-romero.deRKampagne für saubere
KleidungRStudie
Außen nobel, innen billig:Eine Studie beschreibt, wieMarkenhersteller in Europadie Löhne drücken.
http://www.bmfsfj.dehttp://www.ci-romero.de
Mehr als eine halbe Million Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer aus Betrieben der Metall- und Elektro-
industrie waren allein in den ersten drei Warnstreik-
wochen vor den Werkstoren. Trotz teilweise eisiger
Kälte, tags und nachts, in allen Teilen des Landes –
bundesweit rund 600 000 Beschäftigte.
Dass so viele Menschen begeistert mitmachten, lag an
dem Forderungspaket aus 5,5 Prozent Lohnerhöhung,
Bildungsteilzeit und besserer Altersteilzeit. Das kam bei
den Beschäftigten gut an.
Das »Angebot« der Arbeitgeber war jedoch äußerst
dürftig: nur 2,2 Prozent Entgelt. Altersteilzeit nur für
besonders Belastete und lediglich noch für 2 Prozent der
Beschäftigten. Keine Förderung von Bildungsteilzeit.
Bei vielen Beschäftigten sorgte die Verweigerungshaltung
für Empörung. Was die Arbeitgeber boten, stand in kei-
nem Verhältnis zu den im Durchschnitt sehr guten
Erträgen, die die Betriebe – durch den Einsatz der
Belegschaften – erzielt haben. Die Beschäftigten wollten
faire Tarifergebnisse, und zwar zu allen drei Themen –
und waren bereit, dafür auch zu kämpfen.
Angesichts des Verhaltens der Arbeitgeber wurde den
Metallerinnen und Metallern deutlich, wie wichtig es ist,
öffentlich laut und sichtbar zu demonstrieren, dass sie
hinter den Forderungen der IG Metall stehen. Gute
Ergebnisse, das zeigen ihre Erfahrungen, lassen sich nur
erzielen, wenn massiv und nachhaltig Druck auf die
Arbeitgeber ausgeübt wird. Entsprechend eindrucksvoll
war die Teilnahme an den Warnstreiks.
Von den dritten Verhandlungsrunden an bewegten sich
die Arbeitgeber auch, aber nur »in Trippelschritten«, wie
Roman Zitzelsberger, Verhandlungsführer in Baden-
Württemberg, beklagte. In der vierten Woche gingen die
Warnstreiks darum mit unverminderter Power weiter.
metallzeitung hat während der Warnstreiks Beschäftigte
in allen sieben IG Metall-Bezirken besucht.
Titelthema
Warnstreik –Metallerinnen und Metaller
auf der Straße
Achtung!Redaktionsschluss: 17. Februar 2015Diese Ausgabe der metallzeitung berücksichtigtden Stand der Tarifverhandlungen bis zum Re-daktionsschluss. Aktuelles gibt es hier:
metall-tarifrunde-2015.de
http://www.metall-tarifrunde-2015.de
Stuttgart, Bosch Feuerbach. Havva Demir ist zufrieden. »Toll,dass so viele mitmachen«, freut sie sich. Über 2000 Beschäftigte von
Bosch Feuerbach, Bosch Schwieberdingen, Bosch Rexroth, Coperion,
KBA MetalPrint und Haushahn kommen zum Warnstreik am 10. Februar.
Sie starten am Werkstor der KBA MetalPrint, holen am Tor 1 die
Beschäftigten bei Bosch Feuerbach ab. Dann marschieren sie weiter zur
Kundgebung zum Feuerbacher Roserareal. Einer von Hunderten von
Warnstreiks in Baden-Württemberg und einer von vielen bei Bosch.
»Wir konnten diesmal besonders junge Beschäftigte, Angestellte und
Frauen motivieren mitzumachen«, beobachtet Havva Demir, Betriebs-
rätin bei Bosch Feuerbach und Mitglied des Weiterbildungsaus-
schusses. »Die Forderungen sind richtig gewählt. Die passen.« Vor
allem die Forderung nach mehr Zeit und Geld für Bildung habe die
Kolleginnen interessiert. »Frauen, aber auch An- und Ungelernte wer-
den bei Fortbildungen leider oft übergangen«, weiß die Betriebsrätin.
Dass sich das bald ändern könnte, darüber freut sich Havva Demir.
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Titelthema
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Bremen, Mercedes-Benz.Renate Witte ist in der Warn-
streiknacht am 29. Januar lange
auf den Beinen. Sie verteilt Flyer
im Mercedes-Werk in Bremen.
»Ich bin total begeistert, wie
viele Metallerinnen und Metaller
sich gerade in der Tarifrunde
ehrenamtlich engagieren.« Sie
selbst ist erst seit einigen Mona-
ten in der IG Metall und im Be-
triebsrat. An diesem Tag machen
1000 Beschäftigte von Mercedes
beim Warnstreik mit. »Es ist
super, dabei zu sein«, sagt
Renate Witte. »Und vom Ergebnis
profitieren am Ende alle.«
Lohr, Bosch Rexroth.1100 Warnstreikende aus den
Rexroth-Werken bevölkern am
11. Februar die Innenstadt von
Lohr. Nadine Reinhardt ist vor
allem wegen der Bildungsteilzeit
dabei. Die gelernte Kauffrau für
Bürokommunikation hat sich
neben der Arbeit für ihre jetzige
Stelle als Managementassistentin
fortgebildet. »Sieben Monate
Abendschule – das war extrem
anstrengend und ging nur, weil
ich ungebunden bin. Ich finde,
der Arbeitgeber sollte Weiter-
bildung mit einer Bildungsteilzeit
unterstützen, damit alle eine
Chance auf Aufstieg bekommen.«
Simmern, CompAir.30. Januar, früher Morgen: Über
100 Warnstreikende stapfen
durch den Schnee. Unter ihnen
Torsten Breit (links). Obwohl der
CNC-Dreher erst 31 Jahre alt ist,
findet er die Altersteilzeit beson-
ders wichtig. Für seine älteren
Kollegen, wie Hartmut Gröhninger
(rechts), aber auch für die jünge-
ren. »Als ich aus der Ausbildung
kam, haben wir nur Jahresver-
träge bekommen. Wenn damals
mehr Ältere in Altersteilzeit hät-
ten gehen können, hätten wir
vielleicht gleich feste Verträge
bekommen.«
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Foto: Thomas Range
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Titelthema
metallzeitung 3 | 2015 | 21
Paderborn, Benteler.29. Januar, kurz nach null Uhr.
Eiseskälte. Ralph Straub, Schicht-
arbeiter in der Rohrzieherei bei
Benteler Steel Tube, wärmt seine
Hände am großen Feuer. Die kom-
plette Nachtschicht ist vor dem
Tor. Rund 500 Menschen. Und
Kolleginnen und Kollegen aus
benachbarten Betrieben. Sie fül-
len die ganze Straße vor dem
Werk. »Gut, wenn so viele zusam-
menstehen«, sagt Straub. »Das
beeindruckt Arbeitgeber.« Ihm
geht es vor allem um mehr Geld.
»Wir arbeiten verdammt hart und
haben es verdient.«
Berlin, Siemens.Für Maike Hohmann ist es am
2. Februar der erste Warnstreik.
Sie macht ein duales Studium der
Betriebswirtschaft mit integrier-
ter Ausbildung zur Industrie-
kauffrau im Siemens-Schaltwerk
Berlin. Daran möchte sie ein tech-
nisches Studium anschließen.
»Die Bildungsteilzeit liegt mir
sehr am Herzen«, erklärt sie.
Ohne Weiterbildung gehe heute
nichts mehr. Viele Studierende
würden gerne nach dem Bachelor
weitermachen. Deshalb habe sie
mitgemacht beim Warnstreik,
sagt die 20-Jährige. Sie ist an die-
sem Tag eine von fast 2400
Siemens-Beschäftigten.
Hannover, Wabco.Sylvia Arndt (rechts) ist sicher:
»Ich weiß, dass ich meinen Job
körperlich nicht bis zur Rente
schaffe und den meisten meiner
Kollegen geht es auch so.« Sie ist
Betriebsrätin und arbeitet in der
Produktion beim Automobilzu-
lieferer Wabco. Die Aussicht auf
eine neue Altersteilzeit hat rund
150 Beschäftigte motiviert, am
29. Januar, in der ersten Warn-
streiknacht, mitzumachen. »Wir
haben zum ersten Mal in einer
Nachtschicht gestreikt. Es war
ein voller Erfolg. Alle waren
draußen.«
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Foto: Christian von Polentz/transitfoto.de
Foto: Heiko Stumpe
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Leben
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weiterarbeiten, in ihremBeruf blei-ben wollte. »Als die Kinder kleinwaren, hätte ich gerne wenigerStunden gearbeitet. Aber das gingnicht. Ichmusstemichentscheiden,ob ich weiter Vollzeit arbeitenmöchte oder kündige.«
Sie hat die Vollzeitstelle ange-nommen.Seit 2006arbeitetKerstinFehle, die Stenokontoristin gelernthat und nach der Lehre im Einkaufeingesetztwar,beimFlugzeugzulie-ferer Ruag in Oberpfaffenhofen alsDisponentin in der Werkzeugaus-gabe. Ihre Tochter Anna war dafünf, ihr SohnChristoph drei Jahrealt. Seit 2006 istdieOrganisation je-des Tages eine Herausforderung,ein Seiltanz – bei dem ihre Elternsie oft vor Abstürzen bewahrten.»Mein Mann arbeitet wie ich Voll-zeit.OhnemeineElternwäre es da-malsnicht gegangen. Siehabensichum die Kinder gekümmert.«
Ausgefüllte Tage.Mittlerweile istAnna 14 und Christoph elf, Freun-de sagen ab und an, jetzt sei dochalles leicht und locker, die Kinderseien doch aus demGröbsten raus.Kerstin Fehle lächelt dann still. Ausdem Gröbsten raus, denkt sie sich,ja, ja. Aber das heißt nicht, dass ih-re Tage nun weniger voll sind.
Im Gegenteil. Morgens, wennder Wecker klingelt, immer dieserGedanke: Hoffentlich bekommeich alles hin. Kerstin Fehle arbeitetGleitzeit, meistens von sechs Uhrmorgens bis 15 Uhr, sie pendelt je-den Tag 25 Kilometer von ihremWohnort bei Fürstenfeldbruck zurArbeit und zurück, morgens einehalbe Stunde, mittags eine halbeStunde, und diese Zeit imAuto, diegehört ihr, ganz ihr:Dadreht siedasRadio auf, Bayern 3, undwenn ein-mal James Blunt läuft, singt sie lautmit. Das gibt Kraft für den Tag.
Und Kraft braucht sie, die Ar-beit ist anstrengend; Kerstin Fehlebetreut Lieferanten, holt Angeboteein, bestelltWerkzeuge, Schutzaus-rüstung, Arbeitskleidung, bearbei-tet Reklamationen. »Während der
Arbeit kann ich an nichts anderesdenken«, sagt Kerstin Fehle. Nach-mittags, im Auto auf dem Heim-weg, prasseln dafür Fragen auf sieein: Schaffe ich es pünktlich zumArzt mit Anna? Hat Christoph fürdieMathearbeit gelernt?Undmussich nicht heute noch das Geschenkfür Christophs Freund einkaufen?Um15.30Uhr ist sie daheim,Chri-stoph wartet bei der Oma auf sie,Anna, die in die Ganztagsschulegeht, kommt später nach Hause.
Um vier sitzt sie mit den Kin-dern in der Küche. Dann ist sie einbisschen platt. Dabei ist nichts Au-ßergewöhnliches passiert. NichtsUnvorhergesehenes. Andererseits:»Wenn du Kinder hast, passiertständig was Unvorhergesehenes.«
Gelassen bleiben. Früher, wennein Kind krank, wenn der Kinder-garten zu war, hat sie das kurz ausderBahngeworfen.Heuteweiß sie:Als Mutter, zumal mit Vollzeitjob,musst du organisiert sein. Aber Dumusst auch bereit sein, den Plan je-derzeit über denHaufen zuwerfen.Heute weiß sie: Es gibt Dinge, dielassen sich nicht vorhersehen. Beidenen kannman nur gelassen blei-ben. »Es geht nicht alles.«
Aber es geht eine Menge. DieStundenamNachmittagverfliegen,immer sind so viele Dinge zu tun:Erledigungen und Lernen mit denKindern.ArztbesucheundEinkäu-fe. Sobald ihr Mann nach Hausekommt, teilen sie sich Arbeit undAufgaben,und trotzdemist amEn-de des Tages, wenn die Kinder imBett sind, immer noch nicht alleserledigt. »Abends räume ichdie Sa-chen des Tages auf und lege für denneuen Tag Sachen raus. Und danngehe ich bald ins Bett«, sagt KerstinFehle.Und ja, sagt sie, das höre sichstressig an. Und es sei ja auch an-strengend. »Aber ich möchte keinanderes Leben. Es ist gut, wie es ist.Und schneller, alsmandenkt, sinddie Kinder ja aus demHaus. Dannwird es auch wieder lockerer.«
[email protected] Fehle, zweifache Mutter, arbeitet Vollzeit und bleibt meistens gelassen.
erin des Alltags
Leben
24 | metallzeitung 3 | 2015
Was ist ein Arbeitsplatz wert?Oderumgekehrt gefragt:Waskos-tet seinVerlust?EineAntwortdar-auf suchen Betriebsräte, wenn derArbeitgeber Arbeitsplätze streichtund sie einen Sozialplan verhan-delnmüssen.Beschäftigtekönnenvor dieser Frage stehen, wenn sieüber einen Aufhebungsvertragverhandelnoder vomArbeitgebergekündigt wurden.
Einen gesetzlichen An-spruch auf eine Abfindung ha-ben Beschäftigte nicht. Ob undinwelcherHöhe sie gezahlt wird,müssen sie daher mit dem Ar-
beitgeber aushandeln, wenn eskeinen Betriebsrat gibt. Eine Ab-findung soll die wirtschaftlichenFolgen des Arbeitsplatzverlustesausgleichen oder zumindestmil-dern.UmdieHöhe eines solchenAusgleichs zu bestimmen, müss-ten die Betroffenen einenBlick indie Zukunft werfen. Da das kei-ner kann, müssen Beschäftigteoder Betriebsräte sich einer an-gemessenen Summe nähern.
Der Jurist Nikolai Laßmannempfiehlt, sich nicht von großenZahlen blenden zu lassen. Laß-mann ist einer der Autoren des
GUTER RAT Abfindungen sollen die wirtschaftlichenFolgen eines Arbeitsplatzverlustes abmil-dern. Um sie abzuschätzen, brauchen Be-schäftigte nicht unbedingt eine Glaskugel.
Was ist derArbeitsplatzwert?
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Du engagierst Dich für dieDeutsche Stammzellenspender-datei (DSSD), sammelst Spen-den, informierst. Wie bist Dudazu gekommen?Bernd Radke: Ich bin selbstStammzellenspender, seit 1999.Damals wurde bei uns in Salzgit-ter für einen jugendlichen Blut-krebspatienten nach geeignetenStammzellen gesucht. MeineFrau und ich haben uns typisie-ren lassen. Das war eine sponta-ne Aktion.Man kriegt Blut abge-nommen, fertig. Jahrelang habeichnichts gehört, aber Ende 2012meldete sich plötzlich einer vonder Stammzellenspenderdatei.
Was sagte der Anrufer?Radke: Er sagte, dassmeine Blut-merkmale womöglich zu deneneines Schotten passen könnten,deranLeukämieerkrankt seiunddringend gesunde Stammzellenbenötige. Er batmich, zumeinenHausarzt zu gehen und mir Blutabnehmen zu lassen, das würdensiedannnochmalgenauuntersu-chen. Das habe ich gemacht.
Was kam dabei raus?Radke: Es hat sich gezeigt, dassmeine Stammzellen tatsächlichperfektpassen. Ichwurdegefragt,ob ich spenden wolle. Für michwar das keine Frage, klar wollteich das. Am 21. Oktober 2013hatte ichdenTermin zur Stamm-zellenentnahmeanderMedizini-schen Hochschule Hannover.
Was wurde da gemacht?Radke: EineWoche vor demTer-min habe ich Spritzen bekom-men. Die sollten den Körper an-regen, vermehrt Stammzellen zuproduzieren. Im KrankenhauswirdmananeineArtDialysema-schine angeschlossen, die dieStammzellen herauswäscht. FünfStunden dauerte das beimir. DasMaterial wurde sofort nachGlas-gow geflogen. Beim 33-jährigenSchotten wurde zeitgleich dasImmunsystemheruntergefahren,damit es zu keiner Abwehrreak-tion auf die Spende kommt.
Ist der Mann heute gesund?Radke: Ja, das ist er. Im Novem-ber 2014 haben sie es mir gesagt.Ichwarund ichbin sehrglücklichdarüber.
Würdest Du nochmal spenden?Radke: Jederzeit. Ich finde, jedersollte sich typisieren lassen! Es istkein Zeitaufwand, es ist nichtkompliziert, es schmerzt nicht.Aber es kann Leben retten.
Informationen zur DSSDstammzellenspenderdatei.de
WAS MICHBESCHÄFTIGT
Bernd Radke hat einem Schotten seineStammzellen gespendet und ihm dasLeben gerettet. Nun will der 56-Jährigeauch andere zum Spenden bewegen.
»Ich würde es sofortwieder tun«
Bernd Radke ist Metaller, arbeitetbei MAN Salzgitter und spendeteStammzellen für einen Schotten.
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metallzeitung 3 | 2015 | 25
Leben
Erfahrungen der Arbeitsagentu-ren ältere Beschäftigte es auf demArbeitsmarkt schwerer habenund länger erwerbslos sind,müs-sen sie mit höheren Verlustenrechnen als jüngere Beschäftigte.
Neuer Job – weniger Geld? Einneuer Job heißt nicht automa-tisch zurück auf Los. Ein Neuan-fang ist oft mit einem geringerenEinkommenverbunden.UmdenVerlust abzuschätzen, empfiehltLaßmann, sich zu informieren,welche Einkommen in der Bran-che und der Region marktüblichsind. Eine Übersicht, was wowerverdient, bietet zum Beispiel dieInternetseite lohnspiegel.de derHBS. Die Differenz zum eigenenEinkommen über fünf bis siebenJahre ergibt denEinkommensver-lust. »Dabei geht man davon aus,dass sich die Lücke zwischen al-tem und neuem Verdienst inner-halb von fünf bis sieben Jahrenwieder schließt«, sagt Laßmann.
Weniger Rente. Niedrigere Bei-träge während der Erwerbslosig-keit oder aufgrund eines geringe-ren Einkommens senken auch dieHöhe der späteren Rente. AndereEinbußen,diebei derBerechnungder Abfindung eine Rolle spielen,können eine betriebliche Alters-vorsorge und andere materielleLeistungen in Tarifverträgen oderBetriebsvereinbarungen sein.
Wird die Abfindung erstmitdemEnde des Arbeitsverhältnis-ses – etwa nach einer bezahltenFreistellung – ausgezahlt, solltenBetroffene vereinbaren, dass dieAbfindung an Hinterbliebenevererbt werden kann. Zudembe-steht bei einer Zahlung nach Be-schäftigungsende auch die Ge-fahr, dass der Betrieb bei einermöglichen Insolvenz zahlungs-unfähig ist.
Wer eine Abfindung verein-bart, muss auf vieles achten.Mit-glieder können sich dazu auchbei ihrer IGMetall vor Ort bera-ten lassen.
Trendberichts »Höhe einer Ab-findung«, den dieHans-Böckler-Stiftung (HBS) herausgegebenhat. »Hohe Summen klingen imerstenMoment verlockend.Aberschließlich holt sich das Finanz-amt einen Teil«, sagt Laßmann.So kann es für Beschäftigte kurzvor der Rente sinnvoll sein, einenTeil der Abfindung direkt in dieAltersvorsorge einzahlen zu las-sen. Jüngere, die noch weit vonder Rente entfernt sind, solltenüberschlagen, wie viel sie brau-chen, um die nächsten drei bisfünf Jahre über die Runden zukommen, empfiehlt Laßmann.
Die Höhe der Abfindunghängt von vielen Faktoren ab:etwa wie die Chancen für beideParteien bei einer Kündigungs-schutzklage stehen oder wie langejemand im Betrieb arbeitet. »Nurdie Formel, ein halbes Monats-entgelt pro Beschäftigungsjahr,ist keine übliche Rechnung, auchwenn Arbeitgeber das häufig be-haupten«, sagt Laßmann.
Erwerbslos. Beschäftigte sollteneine eigene Rechnung aufma-chen, wie hoch die wirtschaftli-chen Folgen für sie sind.Wer sei-nen Arbeitsplatz verliert, weißmeist nicht, ob und wann er eineneue Stelle findet. Weil nach den
Das darf nicht imSozialplan stehen
Was im Sozialplan rund umdas Thema Abfindung zu-lässig ist, beschäftigtimmer wieder die Recht-sprechung. So darf ineinem Sozialplan zumBeispiel die Zahlung einerAbfindung nicht darangebunden werden, dassBeschäftigte auf eineKündigungsschutzklageverzichten (Bundesarbeits-gericht, BAG, 31. Mai 2005– 1 AZR 254/04). Hängt dieHöhe von der Zahl derBeschäftigungsjahre ab,dürfen Elternzeiten imSozialplan nicht ausgenom-men werden (BAG, 21.Oktober 2003 – 1 AZR58407/02).
Der Trendbericht »Höheeiner Abfindung« richtetsich zwar an Betriebsräte.Doch auch für Beschäftigtekann sich ein Blick auf dieRechenbeispiele lohnen:
boeckler.deRSuche: Abfindung
TIPPS
Im Geld schwimmen?Wer eine Abfindungverhandelt , mussgenau nachrechnen.
KURZ & BÜNDIG
Kein doppeltes ElterngeldDie neuen Regelungen des El-terngeld Plus gilt für Geburtenab 1. Juli 2015. Eltern, die sichnach der Geburt eines Kindesfür einen schnelleren berufli-chenWiedereinstieg entschei-den, werden künftig stärkerfinanziell gefördert. Mit der Re-form wurde aber das doppelteElterngeld für Zwillinge abge-schafft, sodass es für Zwillings-geburten ab 1. Januar 2015 nurnoch denMehrlingszuschlagvon 300 Euro gibt.
Ratgeber KindergeldDie Arbeitskammer des Saar-landes hat ihre Broschüre »Kin-dergeld und Kinderzuschlag«neu aufgelegt. Sie beschreibtausführlich die Voraussetzun-gen für diese beiden Leistun-gen. Antragsvordrucke undzahlreiche Beispiele helfenEltern, die Anträge richtig zustellen. ZumHerunterladen:
arbeitskammer.de/online-broschueren
Kalender von metallzeitung-Fotograf Thomas Range
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Kalender mit tollen FotosDer Name des Kalenders istProgramm: »Wir 2015«. Tho-mas Range zeigt Fotos vonMe-tallern, die er in seiner HeimatNRW aufgenommen hat. DerKalender wurde erst Ende Janu-ar fertig. Ihr könnt drei Exem-plare gewinnen, schreibt bis15. März 2015mit dem Betreff»Kalender« an:
http://www.boeckler.dehttp://www.arbeitskammer.de/online-broschueren
Chancen
26 | metallzeitung 3 | 2015
Wergerne tüftelt, brauchtdazukeinIngenieurstudium, sondern kanndas auch mit einer gewerblich-technischen Ausbildung: Techni-sche Produktdesigner und Techni-sche Systemplaner konstruierenMaschinen, Anlagen und Fahrzeu-ge am PC. Sie arbeiten dabei engmit Ingenieuren zusammen.
Andersals indenübrigen tech-nischen Berufen gibt es in den bei-den Konstruktionsberufen vieleFrauen: 36 Prozent der bundesweitrund 10000 Azubis im Jahr 2013waren angehende Produktdesi-gnerinnenundSystemplanerinnen.
Arbeit und Geld. Die beiden Be-rufe lösen den früheren Techni-
schen Zeichner ab. Die Expertenvon IGMetall undArbeitgeberseitehaben die Berufe bei der Neuord-nung bewusst fachlich aufgewertet.
»Der Technische Zeichnerhat früher nur abgepinnt, was sichder Konstrukteur überlegt hat.Doch mittlerweile konstruierst duauch selbstständig«, erklärt Mela-nieMünker, Ausbilderin für Tech-nische Produktdesigner bei SMSSiemag. Im Auftrag der IG Metallerstellt Münker zudem gemein-sam mit Arbeitgebervertreternund Berufsschullehrern die bun-desweiten Prüfungsaufgaben fürAzubis. »Die Abschlussprüfungist wie eine Mini-Diplomarbeit:Ein Bauteil muss geändert wer-
den. Die Azubis müssen umkons-truieren, berechnen und sichkreative Lösungen überlegen.«
Der Unterschied zwischenbeiden Berufen: Technische Pro-duktdesigner arbeiten an der Ent-wicklung des Endprodukts, vomKüchengerät bis zur Großanlage.Technische Systemplaner küm-mern sich eher um die Vorberei-tung von Fertigung und Montagemit Plänen, Teilen undMaterial. InbeidenBerufengibt esnocheinmalfünf verschiedene Fachrichtungen.
Da die Berufe recht neu sind,gibt es kaum Daten zum Einkom-men. Technische Zeichner verdie-nen laut Tarifspiegel der Hans-Böckler-Stiftung (tarifspiegel.de)
zwischen2000und3000Eurobrut-to imMonat. ImMetalltarif ist zu-mindest das Eckentgelt für Fachar-beiter inHöhe von rund 2500 Eurofällig, je nach Handlungsspielraumjedoch auch deutlich darüber.
Aus- und Weiterbildung. DieAusbildung dauert dreieinhalbJahre. Zunächst geht es um prakti-sche Kompetenzen in Fertigungs-technik und Materialkunde. DieAzubis stellen Bauteile her, lernenzerspanenundmontieren.DanachkommtdanndasKonstruierenmitCAD (Comuter Aided Design)-Anwendungen am PC, mit Praxis-einsätzen in der Konstruktion.
AusgebildeteProduktdesignerund Systemplaner mit Berufser-fahrung können sich zum Techni-ker,Meister, Fachwirt,TechnischenBetriebswirt und geprüften Kon-strukteur weiterbilden. Und siekönnen in ihrem Fachgebiet auchohne Abitur studieren.
Details zu Arbeit und Ausbildungin den Konstruktionsberufen:
wap.igmetall.deRAusbildungRAusbildungsberufe A-ZRBuchstabe »T«
Weitere Hintergründe:berufenet.arbeitsagentur.de
Technische Produktdesigner und Systemplaner konstruieren Anlagen,Maschi