Home Treatment in der Psychiatrie: Erfahrungen und wissenschaftliche
Erkenntnisse aus Deutschland und dem europäischen Ausland
Thomas Becker
Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie II der Universität Ulm
Weissenau, 13. März 2014
Gliederung• Hintergrund• Kriseninterventions- und Home Treatment (HT) Teams• Forschungsstand• Home Treatment international und in Deutschland• Home Treatment Teams Günzburg/ Donauwörth
Evaluation/ Angehörigenperspektive• Schlussfolgerungen
Hintergrund
WHO Perspektive
Drei Perioden in der Entwicklung von Psychiatrischen Versorgungssystemen (Thornicroft & Tansella 2002)Periode 1Die Zunahme von Asyl
Periode 2Der Rückgang von Asyl
Periode 3Gleichgewicht
Asyle gebaut Asyle vernachlässigt Asyle ersetzt durch kleinere Dienste
Zahl Krankenhaus-Betten Zahl Krankenhaus-Betten Krankenhausbetten langsamer
Wenig Familienbeteiligung Mehr, aber nicht volle Familienbeteiligung
Familienbeteiligung Familienbelastung
Öffentliche Investitionenin Psychiatrische KH
Wenig öffentliche Investition Zunehmende private Investition, Kostenfokus im öffentlichen Sektor
Personal: Ärzte und Schwestern
Mehr Berufsgruppen,Effektive Behandlungen,Diagnose-Standards,Psychotherapie
Mehr Gemeindepersonal, Betonung multidisziplinärer Teamarbeit, Aufkommen evidenzbasierter Psychiatrie
Primat Aufbewahrung > Behandlung
Fokus med. Kontrolle, soziale Rehabilitation=> Entlastung weniger schwer Kranker
Aufkommen der Sorge über Gleichgewicht zwischen Kontrolle und Autonomie
Kriseninterventions- und Home Treatment (HT) Teams
England
Crisis resolution oder home treatment teams•Angebot soll Hospitalisierung ersetzen•Trend 24h pro Tag und 7 Tage pro Woche•N=119 in 90 LITs•Mediane Teamgröße 11•2001-2004 rapide Zunahme von CRT Gesundheitsministerium plant die Einrichtung von 335 Teams)
Becker T. Das psychiatrische Krankenhaus als komplementäres Versorgungsangebot 2009
Norwegen
• Umstrukturierung des Versorgungsangebotes für psychisch Kranke mit besonderem Fokus auf schwer psychisch Erkrankte (geschätzt 3% der Bevölkerung)
• Vermehrter Einsatz von Home Treatment-Teams als Alternative zur Krankenhausbehandlung
• Bis 2008 Einrichtung von 78 HT-Teams
Karlsson et al Nursing Injury 2008
Wales• Einrichtung von 18 Home Treatment-Teams vorwiegend in
städtischen Regionen als Alternative zur stationären Behandlung
• Im Vergleich hatten die eher ländlich aktiven Teams längere Fahrtwege, weniger stationäre Patienten und weniger ärztliche Einsätze
• alle Teams (mit Ausnahme von einem) wurden von Pflegepersonal geleitet, welches jeweils die „Haupt-Berufsgruppe“ bildete
• mit einer Ausnahme übernahmen alle Teams eine „gate-keeper-Funktion“
Jones R, Jordan S The Open Nursing Journal 2010
Need Adapted Treatment• Entwicklung in Skandinavien• Idee: so weit als möglich Verhinderung einer Chronifizierung
ersterkrankter psychotischer Patienten durch effektive psychosoziale Interventionen
• bislang unbefriedigende Ergebnisse mit Milieutherapie, Individual-Psychotherapie und familientherapeutischen Kurzzeitinterventionen
• Entwicklung flexibler differenzieller systemischer und individualtherapeutischer Behandlungsformen
Aderhold V, Greve N
Need Adapted Treatment
• Konzept der initialen „Therapieversammlungen“ (treatment meetings) als problemorientiertes Familiengespräch auch bei psychotischen Patienten am Beginn jeder und bedarfsweise im weiteren Verlauf der Behandlung
• „Ambulante Psychoseteams“ (2 bis 4 Mitarbeiter verschiedener Berufsgruppen) sichern Behandlungskontinuität
• Neuroleptikaarme Behandlung
Aderhold V, Greve N
Grundidee• Angebot verschiedener Behandlungsoptionen• Multidisziplinäres Behandlungsangebot mit möglichst
geringer Mitarbeiterfluktuation• Möglichkeit schneller Krisenintervention• kurze Behandlungsdauer (4-6 Wochen)• Berücksichtigung sowohl klinischer als auch
psychosozialer Aspekte• höhere Patientenzufriedenheit verglichen mit
stationärer Behandlung
Winness MG, Borg M, Kim HS Journal of Mental Health 2010
Konzept/ Komponenten
• Flexible Kommunikation mit dem Patienten und seinem sozialen Netzwerk
• Medikamentengabe und Supervision der Einnahme zu Hause• Kontinuierliche Betreuung bis zum Ende der Krise und
Gewährleistung einer kontinuierlichen Nachbetreuung• Reduktion stationärer Aufnahmen• Versorgung psychisch Kranker durch deren Angehörige zu
Hause eher bei Verfügbarkeit eines HT-Teams möglich
Weinmann et al Nervenarzt 2009
Konzept/ Komponenten
• Erreichbarkeit 24 Stunden/ Tag, 7 Tage/ Woche• gate-keeping Rolle (für stationäre Aufnahme)• Ziel ist Angebot einer der stationären Therapie
gleichwertigen oder besseren Behandlung • höhere Patientenzufriedenheit• Reduktion der stationären Verweildauer
Winness MG, Borg M, Kim HS Journal of Mental Health 2010
Forschungsstand
Studien zu HT vs. Krankenhausbehandlung
• Langsley et al. 1971: weniger KH-Tage bei gleichem sozialen Funktionsniveau• Fenton et al. 1979: weniger KH-Tage bei gleicher klinischer Besserung / gleicher
Angehörigenzufriedenheit, besserem sozialen Funktionsniveau und niedrigeren Behandlungskosten
• Pai & Lapur 1983: weniger KH-Tage bei besserer klinischer Besserung, besserer Angehörigenzufriedenheit / sozialem Funktionsniveau und niedrigeren Behandlungskosten
• Hoult & Rosen 1984: weniger KH-Tage bei besserer klinischer Besserung, höherer Patienten- und Angehörigenzufriedenheit und niedrigeren Behandlungskosten
• Muijen et al. 1992: weniger KH-Tage bei etwa gleichen Behandlungskosten• Dean et al. 1993: weniger KH-Tage bei gleicher klinischer Besserung, besserem
sozialen Funktionsniveau und höherer Angehörigenzufriedenheit• Ampélas et al. 2005: hohes allgemeines Zufriedenheitsniveau mit
Zufriedenheitslevel >90% für einige Fragen (Patientenbeurteilung Personalqualität, Zuhörfertigkeiten, Kompetenz, 24-Std. Telefondienst, schelle Team-Intervention, Team-Mobilität, systematische Einbeziehung Angehöriger im Programm)
modifiziert nach Bechdolf und Kadow 2009
Evidenz HT- & Kriseninterventions-Teams(+) Reduktion Wahrscheinlichkeit stationärer Aufnahmen (>60 %),
aber für 45% in HT-Gruppe unmöglich, stationäre Behandlung zu vermeiden, Reduktion der Kontaktabbrüche zum Versorgungssystem, Verringerung der Angehörigenbelastung (n=120, 1 RCT, RR 0.34, CI 0.20-0,59, NNT 3, CI 2-4), mehr Zufriedenheit bei Patienten und Familien
(+) Trend zur Verkürzung der Dauer stationärer Aufnahmen (nicht konsistent)
(+) größere Zufriedenheit der Patienten im Vergleich zur Standardbehandlung
(+) in einzelnen Studien: höhere Bereitschaft Angehöriger zur Betreuung von Patienten zu Hause, wenn Kriseninterventions-Dienst verfügbar
() keine Auswirkungen auf KrankheitssymptomeWichtig für Wirksamkeit: kontinuierliche Betreuung bis Ende der Krise und Gewährleistung kontinuierlicher Nachbetreuung
Smyth und Hoult 2000, Joy et al 2006
Effekte von Akutbehandlung im häuslichen Umfeld (Home treatment)
MetaanalyseCochrane
Review
MetaanalyseNICE-LeitlinieSchizophrenie
Randomisierte kontrollierte
Studie
Joy 2006 NICE 2009 Johnson 2005McCrone 2009
Krankheitsassoziierte Merkmale
Sterbefälle ~ ~ ~
Symptomschwere + + +
Allgemeinzustand ~ + k.A.
Behandlungsassoziierte Merkmale
stationäre Aufnahmen in akuter Phase k.A. ++ ++
stationäre Wiederaufnahmeraten ++ ~ ++1
stationäre Behandlungszeiten k.A. ++ ++
Behandlungsabbrüche ++ ++ k.A.
Merkmale sozialer Inklusion/Exklusion
Beschäftigungssituation ~ k.A. k.A.
Haftstrafen, Gewaltaktivitäten ~ k.A. ~
Zufriedenheit und erlebte Belastungen
erlebte Belastungen, Angehörige ++ k.A. k.A.
Patientenzufriedenheit ++ ++ +
Angehörigenzufriedenheit ++ k.A. k.A.
Kosteneffektivität
Kosteneffektivität + ++ ++
++: signifikanter Vorteil in Interventionsgruppe gegenüber Kontrollgruppe; +: tendenzielle Überlegenheit ohne signifikanten Unterschied in Interventionsgruppe gegenüber Kontrollgruppe, oder kleine Stichprobe~: Ergebnisse vergleichbar in beiden Gruppenk.A.: keine Angaben zu dieser Zielgröße: Reduktion, : Erhöhung
DGPPN 2013
• Akutbehandlung im häuslichen Umfeld: Systematische Übersicht und Implementierungsstand in Deutschland
• Gühne U, Weinmann S, Arnold K, Atav ES, Becker T, Riedel-Heller S; Psychiat Prax 2011; 38: 114-122
• 2 Metaanalysen, 2 RCT• Der Versorgungsansatz zeigt sich
hinsichtlich Allgemeinzustand und psychischer Gesundheit mindestens gleichwertig gegenüber herkömmlicher Behandlung und weist darüber hinaus deutliche Vorteile bezogen auf weitere Zielgrößen auf, mehr Zufriedenheit und weniger stationäre Inanspruchnahme
HT: Effektive Ingredienzien
• Häufige Komponenten von HT-Angeboten mittels Clusteranalyse ermittelt, Korrelation der Komponenten mit Effekten (Verweildauerreduktion)
• 6 regelmäßige Komponenten:i. weniger Patienten pro Mitarbeiterii. regelmäßige Hausbesucheiii. hoher Anteil Patientenkontakte zu Hauseiv. Verantwortung Gesundheit und Sozialesv. multidisziplinäres Teamvi. Psychiater/in integriert
• 2 Komponenten (ii und iv) assoziiert mit Reduktion der Krankenhaustage
Burns et al 2006
Aim to assess effectiveness of CRHTTs for older people with mental health problems, systematic review, scoping exercise/ typologies of older people‘s CRHTTS, grade C evidence that CRHTTs are effective in reducing numbers of hospital admissions, scoping exercise resulted in different types of CRHTTs (generic CRHTTs, specialist older adults CRHTTs, intermediate care services).
Int J Geriatr Psychiatry 2011
Effektivität Home Treatment Teams für ältere Menschen:
Bescheidene Evidenz bezüglich Effektivität in der Reduktion stationärer Aufnahmen, Entwicklung einer Typologie
Evidence limited at time of introduction of CRTs, review of literature accumulated since national rollout (2000), 1 RCT & naturalistic studies, balance of evidence sugggests that CRTs can reduce hospital beds & costs with similar symptomatic outcome and service user satisfaction, no evidence that CRTs are the only way to do so, no conclusive evidence that CRTs cause increase in serious & untoward incidents or compulsory admissions
Home Treatment Teams können Nutzung von Krankenhausbetten und Kosten bei gleichwertiger Symptomreduktion und Nutzerzufriedenheit reduzieren
Kein Hinweis auf (schwere) Nebenwirkungen
Psychiatric in-patient care and suicide in England, 1997 to 2008: a longitudinal study
• To explore trends in psychiatric in-patient suicide over time• Prospective study of all patients admitted to NHS in-patient
psychiatric care in England (1997-2008)• Over the study period the rate of in-patient suicide fell by almost
one-third from 2.45 to 1.68 per 100,000 bed days, fall in rate for both males and females, across ethnicities and diagnoses, most marked for patients aged 15-44 years, 59% reduction for suicide by hanging on the ward • Number of post-discharge suicides fell• Rate of post-discharge suicide may have increased by 19%• Number of suicide deaths in those under the care of CRHTTs has
increased in recent years to approximately 160 annually
Kapur N et al. Psychol Med 2013 43(1): 61-71
Trends bei Suizidraten (1997 – 2008), Krankenhaussuizidraten rückläufig (2,45 auf 1,68 pro 100.000 Krankenhaustage), Rate der Suizide nach Entlassung könnte um 19% gestiegen sein, Zunahme der Zahl von Suiziden bei Patienten in Betreuung durch Home Treatment Teams, Selektionseffekte möglich
Main resultsThree new studies have been found since the last review in 2006 to add to the five studies already included in this review. None of the previously included studies investigated crisis intervention alone; all used a form of home care for acutely ill people, which included elements of crisis intervention. However, one of the new studies focuses purely on crisis intervention as provided by Crisis Resolution and Home Treatment Teams within the UK; the two other new studies investigated crisis houses, i.e. residential alternatives to hospitalisation providing home-like environments.Crisis intervention appears to reduce repeat admissions to hospital after the initial index crises investigated in the included studies, this was particularly so for mobile crisis teams supporting patients in their own homes. Crisis intervention reduces the number of people leaving the study early, reduces family burden, is a more satisfactory form of care for both patients and families, and at three months after crisis mental state is superior to standard care. We found no differences in death outcomes. Some studies found crisis interventions to be more cost effective than hospital care but all numerical data were either skewed or unusable. No data on staff satisfaction, carer input, complications with medication or number of relapses were available.Authors’ conclusionsCare based on crisis intervention principles, with or without an ongoing home care package, appears to be a viable and acceptable way of treating people with serious mental illnesses. If this approach is to be widely implemented it would seem that more evaluative studies are still needed.
Murphy et al 2012, Cochrane Collaboration 2012
Leitlinien-Empfehlungen• „Crisis resolution and home treatment teams should be used to support people with
schizophrenia during an acute episode in the community“ (NICE 2009)• „Crisis resolution and home treatment teams should be considered for people with
schizophrenia who may benefit from early discharge from hospital following a period of inpatient care“ (NICE 2009)
• Menschen mit schweren psychischen Störungen in akuten Krankheitsphasen sollen die Möglichkeit haben, von mobilen multiprofessionellen Teams definierter Versorgungsregionen in ihrem gewohnten Lebensumfeld behandelt zu werden (Empfehlungs- grad A, Evidenzebene Ia) (DGPPN S3-Leitlinie Psychosoziale Therapien 2013)
Home Treatment international und in Deutschland
Home Treatment international und in D
• Denver (USA)• Montreal (Kanada)• Bangalore (Indien)• Sydney (Australien)• Southwark (England)• Birmingham (England)• Ohio (USA)• Toronto (Kanada)• Frankfurt/M., Günzburg, Hamburg, Itzehoe, Krefeld …
(Deutschland)Berhe et al, Nervenarzt 2005
EvaIuation Integrative Psychiatrische Behandlung (IPB) Krefeld: Vergleich 106 IPB-behandelter Patienten mit im gleichen Krankenhaus vollstationär behandelten Patienten, IPB-Patienten älter und häufiger weiblich, stationäre Pat. häufiger org., schizophrene und Persönlichkeitsstörungen, Abbruchrate IPB 17,9%, Wirkung IPB auf psychopathol. Symptome bei 14 zufällig ausgewählten Pat. mit schiz. Störungen ergab im Prä-Post-Vergleich Effektstärken von d=1,7-2,6. Im 2-Jahres-Follow-up keine sig. Unterschiede zwischen IPB und stat. Vergl.-gruppe bei stat. Behandlungstagen (25,4 vs. 27,9 d)
Bechdolf et al. 2011
Ambulante Psychiatrische Akutbehandlung zu Hause (APAH, Bamberger Hof) Frankfurt/ Main: APAH zunächst Modellprojekt bis 2002, ab 2003 als „Besondere Behandlungsform“ im Rahmen der PIA (§180 1 SGB V) weitergeführt, alle Kassen der GKV, in 13 Jahren knapp 3000 Patienten, erste 10 Jahre 50% schizophrene Störungen, 30% depressive Störungen, jetzt mehr Depression, Migrationshintergrund 35-40%, VWD 11-30 Tage 73%
Bornheimer 2013
Home Treatment oder Mobiles Krisenteam in Bayerisch Schwaben
Vergleich stationär-psychiatrischer Routinebehandlung mit wohnfeldbasierter psychiatrischer Akutbehandlung („Home Treatment“)
Munz et al Psychiat Prax 2011
Psychiatrisch-psychotherapeutische Akutversorgung im häuslichen Umfeld
EinzugsgebietLandkreise (Bevölkerung)•Aichach-Friedberg (63.599)
•Augsburg-Land (185.121)
•Dillingen (95.596)
•Donau-Ries (131.292)
•Günzburg (123.154)
•Neu-Ulm (163.179)
•Gesamt ca. 762.000, zwei Landkreise anteilig 671.000
Mobiles Krisenteam
• Multiprofessionelles Behandlungsteam (Arzt, Pflege, Sozialpädagogin)
• Beginn Herbst 2005• Verfügbarkeit an 7 Tagen/ 24 Stunden unter Einbezug
der Struktur der Gesamtklinik, „Krisenbett“• Mo-Fr von 8 - 17 Uhr sowie Samstag/ Sonntag z.B.
von 9 - 14 Uhr, Flexibilität „nach hinten“ je nach klinischer Erfordernis
• Wochenende, Feiertage, nachts: Station 41.2 und diensthabender Arzt/ Oberarzt Psychiatrie; flexible Regelung an Weihnachten/ Ostern
Zielgruppe• Psychisch schwer und akut kranke Patienten
vorwiegend aus den Landkreisen Günzburg, Dillingen und Neu-Ulm
• Übernahme aus kurzzeitiger stationärer Behandlung• Übernahme zur Wiedereingliederung nach längerer
stationärer Behandlung• Kooperationsbereitschaft / -fähigkeit des Patienten
und der Angehörigen• Geringe räumliche Distanz zum Behandlungsteam
(max. ca. 30 km bzw. ca. 30 Minuten Fahrzeit)
Behandlungsgrundsätze I• Individualisierte Pharmako-, Sozio- und Psychotherapie• Hausbesuche• Einbindung des sozialen Umfeldes, Entlastung der
Angehörigen• Nutzung des gesamten klinischen Therapieangebotes,
Kooperationsstation 41.2• Multiprofessionelles Team• Zusammenarbeit mit Angehörigen, Betreuern,
Niedergelassenen, komplementären Diensten / Einrichtungen, der PIA und den übrigen Stationen des Hauses
Behandlungsgrundsätze II• Schaffen einer tragfähigen Behandlungsalternative• Erkennen und Nutzbar machen persönlicher und sozialer
Ressourcen• Erhalt oder Verbesserung der Lebens- und Wohnsituation • Patientenzufriedenheit erhöhen• Vermeidung klassischer Krankenhausbehandlungen /
Unterbringungen, Verkürzung stationärer Aufenthalte• Vermeidung von Hospitalisierung • Der Stigmatisierung entgegenwirken• Dauer nicht länger als ein Krankenhausaufenthalt
Abgrenzung zur Psychiatrischen Institutsambulanz (PIA)
• HT ist keine klassische ambulante Behandlung, sondern Ersatz für Krankenhausbehandlung
• Höhere Intensität der Kontakte / Hausbesuche• Zeitgleich bis zu 20 Patienten im HT• HT hat zeitlich begrenzten Akutbehandlungsauftrag• Behandlung im multiproffesionellen Team
• über das ambulante bayerische Einzelvergütungssystem unserer PIA und
• vormals (seit einigen Jahren nicht mehr) an Einzeltagen über tagesklinischen Behandlungssatz bei Patienten, die Angebote in der Klinik (Diagnostik, Therapiegruppen, Ergotherapie, Bewegungstherapie usw.) in Anspruch nahmen
Finanzierung in Günzburg
Multiprofessionelles Behandlungsteam (Arzt/Ärztin, Pflege, Dipl.-Sozialpädagogin)
• Montag-Freitag von 8 -17 Uhr sowie Samstag/ Sonntag z.B. von 9 - 14 Uhr, Flexibilität je nach klinischen Erfordernissen
• Wochenende, nachts: Station 41.2 plus diensthabender Arzt/ Oberarzt Psychiatrie; Feiertage: flexible Regelung
• Verfügbarkeit an 7 Tagen/ 24 Stunden unter Einbezug der Struktur der Gesamtklinik, Krisenbett (Station 41.2)
Personelle Besetzung des Mobilen Krisenteams
Stand November 2005• 0,5 Oberarzt• 8 Pflegekräfte rotierend• 0,5 Sozialpädagogin• 0,2 Seelsorger
Stand März 2013• 0,25 Oberarzt• 0,5 Arzt/ Ärztin • 3,1 Pflegekräfte
Stammpersonal• 1 Pflegekraft rotierend• 0,5 Sozialpädagogin
HT-Team Pflege und Sozialdienst
Hannes Müller Fachkrankenpfleger für Psychiatrie Systemischer Berater (SG) Pflegerische Leitung Home Treatment
Manuela Pedd Krankenschwester
Nicole Vogeser Krankenschwester
Iris Zimmermann Krankenschwester Systemische Therapeutin SG
Carolin BurkhartDiplom-Sozialpädagogin (FH)
Neu seit September 2013: Home Treatment im Landkreis Donau-Ries
PatientenzahlenN gesamt• 2005 (nur Nov & Dez) 19• 2006 69• 2007 96• 2008 96 durchschnittliche LD 46 d• 2009 120• 2010 132 durchschnittliche LD 33 d Im Vergleich hat die Psychiatrie stationär eine durchschnittliche
Liegedauer (LD) von 30 Tagen (d)
Aufenthaltsdauer
Die Aufenthaltsdauer im Home Treatment ist individuell, sollte aber im Zeitrahmen eines stationären Aufenthalts liegen.
Aufnahmewege (11/2005-12/2012: 736 Patientenaufnahmen)
Stationär behandelte Patienten
417
PIA 129
Niedergelassene Psychiater / Psychologen / Hausarzt 41
Patient, Betreuer, Angehörige 149
HT(Home Treatment)
BKH (Station), andere Klinik 159
PIA 224
Hausarzt / Nervenarzt 335
2012 behandelten wir 114 Patienten – 46 meldeten sich selbst, 29 kamen aus der PIA und 39 aus dem stationären Setting.
Einzugsgebiet
Evaluation: Hypothese/Design
Home Treatment ist im Hinblick auf Psychopathologie, Funktionsniveau,
Krankheitsschwere, Angehörigenbelastung gegenüber
Standardbehandlung nicht schlechter
18 Patienten auf korrespondierender
allgemeinpsychiatrischer Akutstation, die für
HT geeignet gewesen wären, aber nicht dort behandelt werden
konnten (Entfernung, Wunsch, Kapazität) vs. 60 HT-Patienten
Datenerhebung/Statistik
• Zu Beginn und am Ende der Behandlung: PANSS, HAMD-21, HoNOS und Involvement Evaluation Questionnaire (IEQ)
• Soziodemographische Daten, Diagnosen (BADO)• Erfassung des HT-Kollektivs 2006-2008• Erfassung des TAU-Kollektivs 2008• ITT-Auswertung; Mixed effect Regressions-Modelle; Missing at random-
Annahme• Kontrolle des Selektionsbias mittels Propensity score Methode (bedingte
Wsk für HT)
Ergebnisse• Berufstätige haben gegenüber nicht Berufstätigen eine geringere
Wahrscheinlichkeit, HT zu erhalten• HT-Wahrscheinlichkeit fiel mit steigendem Funktionsniveau (GAF)• Ergebnisparameter (PANSS, HAMD, HoNOS) zu beiden
Messzeitpunkten in HT-Kohorte ungünstiger als in TAU• Signifikante Verbesserungen (jeweils p<0.001) für psychotische
und depressive Symptomatik; ns Verbesserung der psychosozialen Beeinträchtigung (HoNOS; p=0,267), in beiden Gruppen parallel
• durchschnittliche Behandlungsdauer in HT 63,4 d (SD 28,7), in der Standardbehandlung TAU 37,7 d (SD 22,0)
Daten zur Belastung der Angehörigen von HT Patienten•30 Angehörige (15 m, 15 w) von HT-Patienten zu subjektiver Belastungswahrnehmung befragt
•10 Eltern, 12 Ehepartner, 2 Kinder, 3 Geschwister, 3 Sonstige
•Erfassung der Angehörigenbelastung mit deutschsprachiger Version des Involvement Evaluation Questionnaire (IEQ)
•Vergleich mit Angehörigenbelastung bei Patienten mit psychotischen Störungen in Leipzig bzw. 5 europäischen Zentren (Amsterdam, Kopenhagen, London, Verona, Santander)
0
2
4
6
8
10
12
14
16
18
Spannung Kontrolle Sorge Drängen
Home TreatmentLeipzig Studie*EPSILON Studie*
Dimensionen der Angehörigenbelastung - Vergleich von HT-Patienten (in Günzburg) mit Patienten aus anderen Studien
*Bernert et al 2001
IEQ Belastungsdimension Sorge
IEQ Belastungsdimension Drängen
• Ergebnisse der Angehörigenbefragung deuten insgesamt auf niedrige Belastungswahrnehmung der Angehörigen von HT-Patienten (in Günzburg) im Vergleich zu anderen Stichproben psychosekranker Menschen in europäischen Studien
• Bei den Angehörigen von HT-Patienten ist die Belastungsdimension Sorge um den Patienten am stärksten ausgeprägt, gefolgt von der Dimension Drängen/ Anspornen
• Im Vergleich zu den Studien mit konventionell behandelten Patienten sind bei den Angehörigen von HT-Patienten insbesondere die Dimensionen Spannung und Kontrolle deutlich geringer ausgeprägt
Diskussion
Diskussion• HT: auch in Günzburg keine schlechteren
Behandlungsergebnisse als Standardbehandlung• Positive Eindrücke bei Angehörigenperspektive• HT über verschiedene psychiatrische Diagnosen hinweg
möglich, auch bei allein Lebenden• Diagnostischer Schwerpunkt bei Patienten mit affektiven und
schizophrenen Störungen• HT-Gruppe war schwerer erkrankt als die Gruppe in
Standardbehandlung• niedrigerer Anteil von Patienten mit Psychose in Gruppe mit
Standardbehandlung• im Vergleich zu anderen Studien längere HT-Verweildauer
Weinmann et al 2009 Munz et al 2011
Puschner et al 2006Berhe et al 2005
Becker et al 2008
Professionelle tragen Verantwortung Autonomie
„Wohlwollende Hilfe“ Hilfe zur Selbsthilfe
Professionelle als Experten Nutzer als Experte für subjektive Bedürfnisse / professionelle Helfer unterstützen / beraten
Defizitansatz Ressourcenansatz
Professionelle entscheiden über Behandlung (Bevormundung?)
Nutzende bestimmen über Inhalt unter Aufnahme professionellen Wissens
Hierarchische Beziehung Gleichberechtigte Beziehung (z.B. Konzept der Partizipativen Entscheidungsfindung)
Fürsorgekultur Empowerment-Kultur
• Home Treatment wichtige Option psychiatrisch-psychotherapeutischer Behandlung, soll als Option in der Routineversorgung zur Verfügung stehen
• Begeisterung für Home Treatment-Angebote unter Psychiatrie-Profis, Hinweise auf gute Akzeptanz bei Betroffenen
• Positive Ergebnisse zur Angehörigenbelastung und -zufriedenheit, soweit Untersuchungen vorliegen
• Mögliche Zunahme von (post-Entlassungs-) Suiziden unter HT-Betreuung (weitere Forschung wichtig)
• Forschung zur Angehörigenperspektive bleibt wichtige Aufgabe
• Home Treatment: systemische Perspektive• Home Treatment: family empowerment Perspektive
Schlussfolgerung