Kantonsschule Rychenberg
Georg Miez: Rekord-Olympiasieger aus Winterthur
Leben und Erfolge eines Spitzensportlers der 1920er- und 30er-Jahre mit einem Exkurs zum politischen Umfeld der Olympischen Spiele 1936 in Berlin
Von Nicolas Hermann 6cG Betreut von: Christoph Schnidrig
7.12.2010
Inhaltsverzeichnis Einleitung ...................................................................................................................... 3
1. Georg Miez’ Werdegang: Ein Stück Sportgeschichte............................................. 4
1.1. Kindheit und Jugend ................................................................................................ 4
1.2. Gelungener Start auf internationalem Parkett: Miez an den Olympischen Spielen
1924 in Paris........................................................................................................... 5
1.3. Triumph der Schweizer Turner: Die Olympischen Spiele 1928 in Amsterdam: ........ 7
1.4. Pech mit der Jury: Miez an den Olympischen Spielen 1932 in Los Angeles ............ 9
1.5. Revanche in Ungarn: Weltmeisterschaft 1934 in Budapest .................................... 10
2. Höhepunkt mit Schattenseiten: Die Olympischen Spiele in Berlin 1936 ............ 11
2.1. Politische Hintergründe .......................................................................................... 12
2.2. Propagandamittel ................................................................................................... 15
2.3. Georg Miez’ bravouröse Abschiedsvorstellung....................................................... 18
3. Miez nach dem Spitzensport .................................................................................. 21
4. Schlusswort ............................................................................................................ 23
Literaturverzeichnis.................................................................................................... 23
Anhang ........................................................................................................................ 26
3
Einleitung Georg Miez war einer der erfolgreichsten Sportler, den die Schweiz je hatte. Vom Winterthurer TV
Töss aus lancierte er eine lange Karriere, in der er es fertigbrachte, mehr Olympische Medaillen zu
sammeln als jeder Schweizer bis heute. Vier goldene, drei silberne und eine bronzene Medaille
konnte sich Miez über vier Olympische Spiele sichern. Damit übertrifft er Simon Ammann, der es
zu zwei Doppelolympiasiegen in den Jahren 2002 und 2010 gebracht hat. Seine letzte Goldmedaille
gewann Miez 1936 an den Nazi-Spielen in Berlin, wo Hitler anwesend war. Danach trat er aus dem
Spitzensport aus, widmete sich aber sein Leben lang dem Turnsport und gründete eine Privatschule.
In der folgenden Arbeit wird das Leben der schweizerischen Turnlegende möglichst detailliert und
umfassend dargestellt. Der Schwerpunkt wird jedoch auf die Olympischen Spiele in Berlin gelegt.
Neben Miez' Teilnahme an diesen Spielen wird Gewicht auf den politischen Hintergrund und die
Mittel, welcher sich die Nationalsozialisten an diesem „Fest der Völker“1 zu Propagandazwecken
bedienten, gelegt.
Quellen über Georg Miez sind eher schlecht aufzufinden. Ein grosser Teil der Quellen besteht
deshalb aus Zeitungsartikeln. Zudem konnte auch bei Verwandten nachgefragt werden, was sich
aber aufgrund sprachlicher Differenzen als schwieriger entpuppte, als es anzunehmen war.
Deshalb werden relativ viele Informationen einer kleinen Autobiografie von Miez entnommen,
welche es jedoch kritisch zu betrachten galt und welche auch nicht leicht aufzutreiben war.
Anders verlief es bei Quellen über die Olympischen Spiele 1936 in Berlin. Hierzu konnten einige
Bücher und sogar Filmmaterial als Informationsquellen benützt werden.
Das Ziel dieser Arbeit ist es, möglichst viele Leute darauf aufmerksam zu machen, dass der
Schweizer mit den meisten Olympischen Medaillen ein Winterthurer war. Zu diesem Zweck wird ab
8.1.2011 eine kleine Ausstellung im Schaufenster der Stadtbibliothek Winterthur gezeigt. Des
Weiteren ist es sicher sinnvoll, möglichst viele Informationen über Georg Miez an einem Ort zu
vereinigen.
Mein persönliches Ziel ist es, als sportinteressierter Mensch, Einblick in ein Leben eines Sportlers,
welcher vor so langer Zeit aktiv war, zu gewinnen.
1 Titel eines Films über die Olympischen Spiele 1936 in Berlin von Leni Riefenstahl.
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1. Georg Miez’ Werdegang: Ein Stück Sportgeschichte
Aus einfachen sozialen Verhältnissen stammend, hat Georg Miez dank grosser Begeisterung,
eiserner Disziplin und einem starken Willen schon in jungen Jahren den Sprung in den
internationalen Turnsport geschafft. Die folgenden Kapitel zeichnen nicht nur seinen persönlichen
Werdegang nach, sondern geben auch ein Bild ab von den Verhältnissen im Spitzensport der
1920er- und 30-Jahre.
1.1. Kindheit und Jugend Am 2. Oktober 1904 kam Georg Miez im Dachzimmer über einem Arbeiterrestaurant an der
Schaffhauserstrasse in Winterthur zur Welt. Er war der dritte Sohn des Arthur und der Marie Luise
(geb. Müller)2. Ab Georgs zweitem Lebensjahr wohnte die Familie im Eichliackerquartier in
Winterthur Töss im oberen Stock eines Bauernhauses.
Dort verbrachte Georg eine Kindheit, die sehr vom Turnen geprägt wurde. Im Alter von fünf Jahren
durfte Miez erstmals mit seinem Vater auf eine Kneipentour gehen, wo ihn die Kollegen seines
Vaters häufig darum baten, ihnen ein Kunststückchen vorzuführen, für welches er dann eine
angemessene Belohnung erhielt (Sirup, Nussgipfel, Geld). Vater Arthur war ein strenger,
arbeitsamer Vater, welcher sich aber sehr für die turnerischen Tätigkeiten seiner Söhne einsetzte. Er
selbst war auch ein sehr guter Turner, und bei der ganzen Familie drehte sich alles ums Turnen.
(Miez bezeichnete seine Familie als Turnerfamilie.)3 Georg baute sich mit seinem Bruder Tury ein
Reck im Zimmer, auf dem er täglich übte, und sonntags jeweils seine Freunde einlud, um mit ihnen
Turnfest zu spielen. Die Mutter unterstützte dies jeweils mit einem Zvieri. Im Allgemeinen kann
man also davon ausgehen, dass Georg Miez zwar in bescheidenen Verhältnissen aufgewachsen ist,
jedoch eine sehr schöne Kindheit erlebt hatte. Miez selbst bezeichnete seine Kindheit als herrlich
und seine Eltern als ein „unvergessliches Glück“.4
Als der erste Weltkrieg begann, war Arthur häufig nicht zu Hause, und die Mutter musste ziemlich
aufopfernd leben, um ihren Söhnen etwas „Luxus“ zu ermöglichen. So ass sie nur Kartoffeln, um
den Söhnen das wenige Brot zu überlassen. Doch Georg konnte dieser Zeit doch einiges
Entscheidendes abgewinnen. Er konnte auf dem Weg vom Butterladen nach Hause beim
Turnunterricht im Gymnasium zusehen, woraus der Wunsch entstand, später selbst Turnlehrer zu
werden. Und auch das Soldatenleben faszinierte ihn sehr, was in ihm den Wunsch weckte, einmal
2 Historisches Lexikon der Schweiz, „Georg Miez“, http://www.hls-dhs-dss.ch/index.php, (7.11.2010) 3 Miez, Giorgio, Meine Erinnerungen vom Jungturner bis zum Olympischen Zehnkampf- Sieger im
Kunstturnen, für die Sportjugend geschrieben, Lugano-Paradiso: Miez-Verlag für Sport und Gesundheitsförderung, 1978, 2. Auflage.
(Miez-Verlag: siehe Kapitel „Leben nach dem Spitzensport“). 4 Ebd. Seite 2.
http://www.hls-dhs-dss.ch/index.php
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Offizier zu werden. Beide diese Wünsche sollte er sich später erfüllen.
Nach der Schulzeit stellte sich die Frage, ob er studieren oder eine Lehre machen solle. Er selbst
hätte gerne studiert, doch die Familie verfügte nicht über die notwendigen finanziellen Mittel, um
ein Studium zu ermöglichen, und ein Stipendium kam nicht in Frage, da der Vater keine Schulden
wollte. So gehorchte er dem Willen des Vaters und begann eine Lehre als Mechaniker bei der
„Loki“ in Winterthur. Von Anfang an aber war ihm schon klar, dass er nach der Lehre nicht weiter
in dieser „Bude“ arbeiten wollte. Er hatte immer noch sein Ziel, Turnlehrer zu werden. Sein Vater
tat ihm leid, weil er so lange diesen Beruf auszuüben hatte, und er schwor sich, seinem Vater, den er
sehr bewunderte und verehrte, wenigstens einen schönen Lebensabend zu bereiten.
Während der Lehre hatte er aber noch genug Zeit, um an diversen Turnfesten teilzunehmen.5
So gewann er im Alter von 18 Jahren sein erstes Turnfest: das Interkantonale Turnfest in
Kreuzlingen.6 Dies gab ihm Aufwind für kommende Feste und natürlich auch für die immer näher
rückenden Olympischen Spiele, welche 1924 in Paris stattfanden.
1.2. Gelungener Start auf internationalem Parkett: Miez an den Olympischen Spielen 1924 in Paris
Miez begann für die internationale Ausscheidung für diese Spiele an den Ringen zu trainieren, was
für ihn anfangs sehr schwer war, da er noch nie Ringe geturnt hatte. Er wollte jedoch unbedingt mit
der Schweizer Turnmannschaft teilnehmen, und als ihm ein Funktionär sagte, dass er aufgrund
seines Alters wahrscheinlich noch nicht teilnehmen dürfe, begann Miez wie ein Verrückter zu
trainieren. Dies führte zum zweiten Platz in den schweizerischen Ausscheidungskämpfen und
bescherte ihm ein Ticket.
So konnte er nach Paris fahren. Was heute unvorstellbar ist, war damals Tatsache. Die Schweizer
Spitzenturner fuhren mit der Eisenbahn in der dritten Klasse nach Paris, wo sie in Baracken auf
Militärbetten zu übernachten hatten. Die Nahrung war auch nicht gerade das Gelbe vom Ei, und so
begann Georg, der sich auf den Wettkampfblättern immer als Georges ausgab und mit diesem
Namen auch in die Sportgeschichte einging, sich nur von Ovomaltine, Zucker und Brot zu
ernähren.7 Schon dazumal hatte Miez ein grosses Selbstbewusstsein. So machte er auf dem
Geländer des dritten Stockes des Eiffelturms ungesichert eine Stütze. Als sein Enkel ihn Jahrzehnte
später fragte, ob er keine Angst gehabt hätte, antwortete er, er sei so stark von sich selbst überzeugt
5 Miez, Giorgio, Erinnerungen, 1978, S. 14. 6 Anm. Bei der Kranzverteilung konnte er nicht dabei sein, da das Fest länger dauerte als geplant. So
mussten die Tössemer auf den letzten Zug eilen. Miez erfuhr darum erst am darauffolgenden Montag bei der Arbeit von seinem schönen Erfolg, was in ganz Töss Jubel auslöste.
7 Anm.: Miez trank täglich Ovomaltine und schwor darauf, dass dieselbe mehr nütze als Medizin. Später, erzählte sein Enkel, schüttete er in seine Suppe mehrere Löffel Ovomaltine.
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gewesen, dass er gar nicht hätte herunterfallen können.8
Doch die Spiele waren für ihn ein richtiges Schlüsselerlebnis. Bei den Wettkämpfen musste jeder an
allen Geräten (Genaueres im Kapitel 2.3.) turnen. Die jeweils drei besten pro Gerät erhielten eine
Medaille, zudem gab es Medaillen für diejenigen, die über alle Geräte am meisten Punkte holten.
Und als letztes wurden auch die Punkte aller Länder gezählt. So gab es auch noch Medaillen für die
besten Nationen. Die Schweizer Mannschaft gewann Bronze, und somit hatte Miez seine erste
Olympische Medaille.9 Die olympische Stimmung gefiel ihm sehr gut und erweckte in ihm Lust auf
mehr. Paris eröffnete ihm den Horizont10, und er bewunderte insbesondere die italienischen Turner,
die sehr elegant gekleidet waren und nach jeder Turnübung massiert wurden, während die
Schweizer wie „Bauern“ gekleidet waren und die Decken ihrer Baracken zum Wettkampf
mitnehmen mussten, um ihren Körper einigermassen warm zu halten.
Diese Tatsache ermutigte ihn dazu, selbst tätig zu werden, und er bot der Firma Odo in Olten sein
eigenes Turnhosenmodell an. Er erfand lange, weisse, enganliegende Hosen und schützte sie
rechtlich. Dieses Modell ist im Übrigen noch heute in Gebrauch bei den Turnern.11
Nach der Beendigung seiner Lehre bot man ihm einen guten Job in England an, den er aber dankend
ausschlug, da er ja das Ziel verfolgte, Turnlehrer zu werden.
Dann stand die Rekrutenschule an. Miez wurde, zu seiner Freude, den motorisierten
Transporttruppen zugeteilt, und auch dort hatte er wieder Glück. Sein Leutnant war nämlich auch
ein sportbegeisterter Mensch und gewährte ihm den Freiraum, den Miez für seine turnerischen
Aktivitäten brauchte. Er bot ihm ausserdem an, nach Thun überzusiedeln, um dort eine Möglichkeit
zu erhalten, Offizier zu werden. Dieses Angebot nahm Georg, dessen Traum es ja war, Offizier zu
werden, gerne an und verbrachte in Thun eine nach seiner Bezeichnung „herrliche Zeit“ und
besuchte die Unteroffiziersschule.
Doch auch diese Zeit nahm ihr Ende, als er vom Eidgenössischen Turnverband (ETV) nach Holland
entsandt wurde, wo er die Funktion des Nationaltrainers übernehmen sollte. Dies war ein wichtiger
Schritt in Richtung seines Hauptzieles, Turnlehrer zu werden, und er stellte darum seine militärische
Karriere vorerst in den Hintergrund.
In Holland war er sehr beliebt und hoch geschätzt, so konnte er sich sogar einen Vertragsbruch
leisten, ohne Konsequenzen zu tragen. Miez turnte nämlich spontan an einem jüdischen
Turnanlass12, weil er sich von der angeberischen und überheblichen Art der anderen Turner
8 Interview mit Thomas Fetz, Enkel von Georg Miez. 9 Olympic.org, Georges Miez,http://www.olympic.org/en/content/Olympic-Athletes/All-Athletes/Athletes-MA-
to-MM/-Georges-MIEZ-/ (12.11.2010). 10 Miez, Giorgio, Erinnerungen, 1978, S. 18. 11 Hediger, Serge, „Giorgio“, Sonntagsblick, 14.7.1996. 12 Es herrschte eine Spannung zwischen dem holländischen und dem jüdischen Turnverband. Dies hatte
jedoch noch nichts mit dem Nationalsozialismus zu tun.
http://www.olympic.org/en/content/Olympic-Athletes/All-Athletes/Athletes-MA-to-MM/-Georges-MIEZ-/http://www.olympic.org/en/content/Olympic-Athletes/All-Athletes/Athletes-MA-to-MM/-Georges-MIEZ-/
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provoziert fühlte. Darum beschloss er, eine Reckübung zu zeigen, um zu demonstrieren, dass die
Schweiz die besten Turner habe. Er hebt in seinen Memoiren hervor, dass er für seine zweite Übung
den lautesten Applaus erhielt. An Anlässen des Jüdischen Turnverbands zu turnen war laut Vertrag,
den Miez nicht richtig gelesen hatte, verboten.
Doch aufgrund seiner sehr guten Arbeit verzieh man ihm, und am Ende seiner Amtszeit wurde er
gebührend gewürdigt.13 Ein Abgeordneter des ETV reiste extra nach Holland, um die Schweiz bei
der Abschlussfeier zu vertreten. Miez erhielt Geschenke in Form von Goldstücken, Schmuck und
dergleichen. Der Abgeordnete erwähnte, dass Miez nicht der beste Turner der Schweiz sei, was
dessen Zorn hervorrief. Als der Abgeordnete vor der Heimreise grosszügig sagte, dass er mit Miez
in der dritten Klasse fahre, obwohl er selbst zweite Klasse fahren dürfe und dass er die Geschenke
(aus unbekannten Gründen) abgeben müsse, wurde er wütend, und er beschloss, alleine in die
Schweiz zurückzufahren.
Als er wieder zurückgekehrt war, bekam er eine Stelle bei der Turnkleiderfirma Odo Olten. Darum
bekam er überhaupt die Gelegenheit, diese vorher schon erwähnte Turnhose zu entwickeln. Mit
dieser Hose verdiente sowohl die Firma als auch er relativ viel Geld. Miez ging praktisch täglich
auf Verkaufstour: Er zog die Hosen an und turnte vor, um zu demonstrieren, wie gut man mit dieser
Hose turnen kann. Meistens verkaufte er alle Exemplare, die er mitbrachte. Neben dieser Stelle
entschied sich Miez, noch den Turnlehrerkurs in Basel zu absolvieren. Er wurde aber nicht
zugelassen, weil er keine Matura hatte. Kurz darauf kam ein Angebot, die Offiziersschule
anzutreten. Dieses nahm er an und hatte somit die dreifache Belastung von Militär, Arbeit und
Sport.
Dann stand schon die Olympiade in Amsterdam an.
1.3. Triumph der Schweizer Turner: Die Olympischen Spiele 1928 in Amsterdam:
Die Schweizer Turnmannschaft reiste also nach Amsterdam, wo sie, gemäss Miez, viel mehr
Achtung genoss als noch in Paris, nicht zuletzt wegen der eleganten Hosen, auf die Miez so stolz
war.14
Das Turnprozedere an den Olympischen Spielen lief folgendermassen ab. Am ersten Tag wurde
Pferd und Ringe geturnt (Miez‘ schlechteste Disziplinen), am zweiten Tag Reck und am dritten Tag
noch das Gruppenfreiübungsturnen und das Pferdspringen. In jeder dieser Disziplinen wurden
Einzelmedaillen verteilt, zudem gab es eine Einzelgesamtwertung und eine
Mannschaftsgesamtwertung.
Am ersten Tag gewann Miez völlig überraschend die Silbermedaille im Pferdturnen. Zudem setzte 13 Miez, Giorgio, Erinnerungen, S. 23ff. 14 Miez, Giorgio, Erinnerungen, S. 20ff.
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er sich alleine und mit der Mannschaft schon einmal an die Spitze der Gesamtwertungen. Am
zweiten Tag wurde diese Führung noch ausgebaut. Zudem gewann Miez Gold am Reck. Dies war
auch mit Glück verbunden, denn sein grösster Konkurrent in dieser Disziplin, der Schweizer Edi
Steinemann15, hatte das Pech, dass das Gerät locker wurde und er es deshalb vorzeitig verlassen
musste.
Am dritten Wettkampftag verlor die Schweiz die Führung im Gruppenfreiübungsturnen. Diese
konnte die Mannschaft aber in der letzten Disziplin, dem Pferdspringen wieder zurückerobern. Miez
gewann sowohl mit der Mannschaft die Gesamtwertung, als auch alleine die Einzelwertung. Er
hatte somit drei goldene und eine silberne Medaille gewonnen, mehr als jeder andere Sportler an
den Olympischen Spielen in Amsterdam. Die Wünsche, die Miez nach den Olympischen Spielen in
Paris hegte, erfüllten sich jetzt in Amsterdam. Er erhielt von der Königin die Medaillen überreicht,
und die Schweizer Flagge wurde gehisst, während die Nationalhymne gespielt wurde.
Daraufhin wurden ihm zu Ehren zahllose Empfänge gegeben, und er erhielt viele Ehrungen.
Zu Hause setzte er dann seinen Vorsatz um, seiner Familie, insbesondere seinem Vater, einen
schönen Lebensabend zu ermöglichen. Er liess den grössten Teil seines Geldes im Elternhaus,
rückte in die Offiziersschule ein und nahm sich vor, nur vom Sold zu leben. Häufig wurden
Aspirantenbälle organisiert, die Miez immer mit dem gleichen Mädchen namens Angela besuchte.16
Doch dann traf die Familie ein schwerer Schlag. Tury Miez, Georgs Bruder, starb in Amerika.
Darauf bekam er einige Tage Urlaub, um der Familie beizustehen. Er blieb aber stark und verglich
den Verlust seines Bruders mit einer Niederlage in einem Wettbewerb. Er nahm sich zusammen und
erledigte auch die äusserst unangenehme Aufgabe, die zukünftige Ehefrau des Verstorbenen über
den Tod zu informieren. Tury Miez wurde in der Katholischen Kirche Töss verabschiedet, ohne
dass man seinen Leichnam hatte.
Dann trat er eine Stelle als Turnlehrer in Chiasso an. Für diesen Schritt entschied er sich vor allem,
weil er, als dreifacher Olympiasieger, ein zweites Mal nicht zur Turnlehrerschule in Basel
zugelassen worden war. Es kam ihm deshalb gerade gelegen, die Deutschschweiz für eine Zeit zu
verlassen. Anfangs hatte er grosse Mühe mit dem Leben im Tessin. Er konnte kein Wort Italienisch,
und die Hygiene war weder in seiner Unterkunft noch an seinem Arbeitsplatz (Turnhalle)
gewährleistet.17
Doch er stellte seine Forderungen, welche fast alle erfüllt wurden. Er bekam richtig Freude am
Unterrichten und stellte viele neue Sachen (zum Beispiel Jugendturnfeste) auf die Beine und war
15 Edi Steinemann konnte leider nie eine Olympiamedaille in Einzelwettbewerben gewinnen. Doch mit der
Schweizer Mannschaft konnte er 1928 Gold und 1936 Silber gewinnen. 16 Anm.: Dies war keinesfalls eine Selbstverständlichkeit, denn Georg kam sehr gut bei Frauen an und hatte
dementsprechend viele Frauengeschichten. Angela Pereda, Tochter von Carlo Pereda, einem reichen Tabakverkäufer, sollte später Miez' Frau werden.
17 Miez, Giorgio, Erinnerungen, S. 35-49.
9
praktisch für das gesamte Jugendsportwesen der Stadt verantwortlich. (Fussballclub, Tennisclub,
Skiunterricht...)18 Er setzte sich sehr stark für modernere Unterrichtsformen ein und gab alles, damit
die Kinder und Jugendlichen sich für den Sport (nicht nur das Turnen) begeistern konnten.
„ Die Körpererziehung ist heute mein Beruf geworden! Darf man in diesem Falle überhaupt noch von einem Berufe sprechen? Ich glaube nicht. Denn jede Turnstunde in der Schule, trotzdem sie erzieherisch wirkt, ist für mich ein Erlebnis und eine grosse Freude“ 19
Trotz dieses Vollzeitjobs trainierte Georg täglich für sich selbst an den Geräten, denn die nächste
Olympiade stand vor der Türe. 1932 fand diese in Los Angeles statt.
1.4. Pech mit der Jury:
Miez an den Olympischen Spielen 1932 in Los Angeles Wegen der Wirtschaftskrise entschied sich das Nationale Olympische Komitee der Schweiz, die
lange Reise in die USA nicht anzutreten. Georges Miez hatte aber mehrere Gründe teilzunehmen.
Erstens wollte er seinen Titel im Zwölfkampf (Einzelmehrkampf) verteidigen, zweitens gab es
erstmals eine Wertung in Miez' stärkster Disziplin, dem Bodenturnen, und drittens, der
wahrscheinlich wichtigste Grund, wollte er den verstorbenen Tury aus Amerika zurückbringen, was
er seiner Mutter damals versprochen hatte.20 Darum wollte Miez um jeden Preis dennoch
teilnehmen, und er war einer von nur fünf Schweizern, die diese Reise wagten, und der einzige
Turner. Er organisierte sich eine Unterkunft bei einem Freund21 in den USA und plante eine Tour
durch Amerika, um dort den Leuten Vorträge über das Schweizer Turnen zu halten.
Also reiste er mit dem Schiff in die USA.
Seine Unterkunft befand sich ca. 300 Kilometer von dem olympischen Dorf entfernt22, und er
wurde jeden Tag von seinem Gastgeber gefahren.
Zuerst wollte man Miez gar nicht teilnehmen lassen, und es musste über seine Teilnahme
abgestimmt werden. Die Ungarn und Italiener stimmten gegen ihn, doch dank der Amerikaner
konnte er trotzdem teilnehmen. Dies war ein erstes Indiz dafür, dass die Ungarn und Italiener die
Olympia-Titel unter sich aufteilen wollten.
Topfit und motiviert ging Georges an den ersten Wettkampf: Bodenturnen. In dieser Disziplin war
Miez enorm stark, und er war sicher, Gold zu holen, falls alles mit rechten Dingen zu und her ging.
Einer seiner Konkurrenten aus Ungarn, Istvàn Pelle, erhielt von der dreiköpfigen Jury die Noten
9.8, 8.7 und 8.9, wobei es relativ naheliegend ist, dass die Note 9.8 vom ungarischen Kampfrichter
18 Er konnte während dieser Zeit kurzfristig bezahlten Urlaub nehmen, um sein Studium in München zu
beenden. 19 Miez, Georg, Beruf und Turnen, Schweizer Illustrierte Zeitung, 13.7.1932. 20 Miez, Giorgio, Erinnerungen, S. 58. 21 Anm.: Es gab zwar zum ersten Mal in der Geschichte ein olympisches Dorf für Männer, doch die
Schweizer durften nicht von den Vorteilen dieses Dorfes Gebrauch machen. 22 Information: Schlesiger, Siegfried, Miez- und Olympiasammler und Interessierter.
10
gegeben wurde. Im Schnitt ergab das eine Note von 9.13. Miez kam dann als letzter zu seiner
Übung und absolvierte jene fehlerfrei. Er erhielt für seinen Auftritt die Noten 9.6, 9,7 und 8, wobei
auch hier klar ist, welche Note vom ungarischen Juror stammte. Im Schnitt ergab das eine Note von
9.1 also 3 Hundertstel weniger als sein Konkurrent Pelle, hinter dem Georges Miez Zweiter
wurde.23 (s. Abb. 2) Jeglicher Rekurs von Miez wurde abgewiesen. Sein zweiter Rang war für ihn
eine Niederlage. Enttäuscht und wütend über die Juroren rechnete er sich seine Chance für den
Zwölfkampf aus, wenn er konstant 0.5 Punkte zu wenig bekäme. Er realisierte, dass es keinen
Zweck hatte und er keine Chance hatte, den Titel zu verteidigen. Deshalb beschloss er, nicht mehr
mitzuturnen und nun die Tour durch Amerika zu starten, denn irgendwie musste er ja sein Geld, das
er für die Reise, den Unterhalt und den Lohnausfall verloren hatte, wieder einholen. Obwohl Miez
sich häufig (manchmal auch zu Unrecht) ungerecht behandelt fühlte, hatte er mit der Beurteilung
der Juroren wohl recht, denn verschiedene Quellen besagen, dass die Jury ein abgekartetes Spiel
spielte, und Miez war auch nicht der einzige Betroffene.24
Für das Filmunternehmen „Fox“ durfte er als persönlicher Fitnesstrainer von den damals grössten
Filmstars arbeiten (z.B. mit Greta Garbo und Marlene Dietrich).25
Danach konnte er an einigen Universitäten Vorträge halten, und man bot ihm an, dies gegen ein
relativ hohes Salär noch länger zu tun, doch Miez lehnte ab, weil er Chiasso nicht im Stich lassen
wollte. Er ging vor seiner Abreise beim Schweizer Konsulat vorbei, um dort die Überreste seines
Bruders abzuholen.
Wieder in der Schweiz angekommen begann er schon für die Weltmeisterschaften zu trainieren.
Diese sollten nämlich 1934 in Budapest, der Heimat des Boden-Olympiasiegers Pelle, stattfinden.
Miez schwor Rache und trainierte hart, damit er Pelle in seiner Heimat schlagen kann.
1.5. Revanche in Ungarn: Weltmeisterschaft 1934 in Budapest Im Jahre 1933 machte Miez bei einem Turnfest in Stuttgart seine erste Erfahrung mit Hitler und
dem Nationalsozialismus. Seine Gastfamilie dort grüsste ihn mit „Heil Hitler“, und sprach statt
eines Tischgebets eben diese Worte aus. Zudem sass er beim Abendessen des Festes mit den ganzen
Nazi-Führenden (Hitler, Goebbels, etc.) in einem Raum und belauschte deren Reden. Er weigerte
sich mehrmals, den Hitlergruss zu erwidern.26
Da auch noch die Hochzeit mit Angela Pereda, der Tochter eines reichen Zigarrenherstellers,
bevorstand, hatte Georg nicht gross Zeit, sich für die WM vorzubereiten. Er entschied daher, sich
23 Miez, Giorgio, Erinnerungen S.62-64 und Aussage Siegfried Schlesiger. 24 Auch die finnischen Athleten wurden, laut Miez, betrogen. Dies ist aber nicht belegt, doch die Resultate
fielen häufig sehr knapp zu Ungunsten der Finnen aus. Bsp.: Einzelmehrkampf: 1. Romeo Neri (140.625), 2. Istvàn Pelle (134.925), 3.Heikki Savolainen (134.575).
25 Hediger, Serge, „Giorgio“, Sonntagsblick, 14.7.1996. 26 Miez, Giorgio, Erinnerungen, S. 70-77.
11
auf den Boden und das Reck zu konzentrieren.
Für die Wettkämpfe war er gut vorbereitet, was sich in seinem Abschneiden zeigte. Am Reck wurde
er Zweiter, das Schweizer Team gewann, und am Boden wurde er Weltmeister, derweil Istvàn Pelle,
der Olympiasieger von 1932 in dieser Disziplin, den Wettkampf auf dem 17. Rang beendete. Für
Miez war das die Bestätigung, dass er der wahre Olympiasieger in dieser Disziplin wäre, und er
bezeichnete deshalb den Weltmeisterschaftstitel als seinen „Moralisch schönsten Sieg“.27 Aus
seinen Schriften kann man auch herauslesen, dass er Istvàn Pelle den Misserfolg gegönnt hatte:
„Mein Rivale Dr. Pelli [sic] war in seiner Heimatstadt im 17. Rang“28
Während der Schulsommerferien dann heirateten Georg Miez und die 18 jährige Angela Pereda.
Am 14. Juli 1934 vermählte der katholische Pfarrer in der Kapelle von Pontegana das Paar.
Ein wenig mehr als 9 Monate später gebar Angela eine Tochter, Sonja. Für Georg Miez stand jetzt
erstmals nicht mehr seine Karriere, sondern die Familie im Vordergrund. Als Vater hatte er viel
mehr Verantwortung, und er wollte seine väterliche Pflicht gut erfüllen. Doch das Eidgenössische
Turnfest in Winterthur und die Olympischen Spiele in Berlin wollte er sich keinesfalls entgehen
lassen, zumal er sich grosse Chancen ausrechnete, den „gestohlenen“ Olympiasieg im Bodenturnen
nachzuholen.
An seinen Heimspielen in Winterthur kam er zwar nicht aufs Podest, ging aber dennoch ermutigt an
die Olympischen Spiele in Berlin.
2. Höhepunkt mit Schattenseiten: Die Olympischen Spiele in Berlin 1936
Nachdem Miez sich bei den Weltmeisterschaften in Budapest bestätigt fühlte, beschloss er, noch
einmal bei den Olympischen Spielen anzutreten, weil er sich grosse Chancen auf Gold ausrechnete.
Drei Jahre nach Hitlers „Machtergreifung“ fanden die Olympischen Spiele in Berlin statt. Die Nazis
hatten alles schon fest in der Hand, und Hitler hat sich neben dem Amt des Reichskanzlers, das er
schon 1933 antrat, auch jenes des Reichspräsidenten geangelt. Die Olympischen Spiele boten Hitler
eine einmalige Gelegenheit, Deutschland weniger extrem darzustellen, als es in Wirklichkeit war,
und dies gelang ihm sehr gut. Die Olympischen Spiele sollten als Vorzeige-Olympiade in die
Geschichte eingehen.
Es nahmen Athleten aus 49 verschiedenen Staaten29 teil, was neuen Rekord bedeutete. Für viele
27 Zit. Miez, Giorgio, Erinnerungen, S. 77. 28 Zit. Ebd. 29 olympia-lexikon.de, „Berlin 1936“.
12
damalige Mitglieder des „Internationalen Olympischen Komitees“ (IOC) waren die Spiele noch
lange danach, trotz Missbrauch durch die Nazis, ein voller Erfolg.30
Im folgenden Kapitel wird eine grobe Übersicht über die damaligen politischen Ereignisse gegeben.
2.1. Politische Hintergründe Es war ein sehnlicher Wunsch vieler Deutscher, die Olympischen Spiele in ihrem eigenen Lande
auszutragen. Nach den Olympischen Spielen 1912 in Stockholm sollte dieser Wunsch erfüllt
werden. Das IOC beschloss, die Olympischen Spiele von 1916 in Berlin auszutragen. Doch mitten
in den Vorbereitungen für das Sportfest brach der erste Weltkrieg aus, welcher die ganze Welt an
einer Austragung hinderte.
Nach dem Krieg wurde Deutschland als alleiniger Kriegsschuldiger vorerst zu den Olympischen
Spielen nicht zugelassen. Nachdem Deutschland 192631 in den Völkerbund aufgenommen wurde,
war es 1928 auch zu den Olympischen Spielen in Amsterdam zugelassen, bei denen Deutschland im
Medaillenspiegel auf Platz zwei hinter den USA für eine Überraschung sorgte. Dies führte dazu,
dass die Stimmen für eine Olympiakandidatur wieder erheblich lauter wurden, und Aussenminister
Gustav Stresemann sah in einer möglichen Austragungsstätte Berlin die Chance, die internationale
Isolation Deutschlands komplett zu überwinden. Deutschland kandidierte mit dem von den beiden
Hauptkräften Theodor Lewald32 und Carl Diem33 formulierten Ziel, der Welt eine sogenannte
„Lehr- Olympiade“ zu bieten.34 Das heisst, sie wollten so gute Spiele organisieren, dass spätere
Organisatoren anderer Länder diese als Vorbild nehmen würden.
Ausschlaggebend für die Zusage des IOC war sicherlich der Kongress desselben, welcher 1930 in
Berlin stattfand.35 Deutschland zeigte sich hier von seiner weltoffenen Seite und meldete gleich
während des Kongresses seine Kandidatur an. Zu dieser Zeit bewarben sich auch noch: Alexandria,
Barcelona, Budapest, Buenos Aires, Dublin, Frankfurt a.M., Helsinki, Köln, Lausanne, Nürnberg,
http://www.olympia-lexikon.de/Berlin_1936 (18.10.2010). 30 Alkemeyer, Thomas, Körper, Kult und Politik: von der ››Muskelreligion‹‹ Pierre de Coubertins zur
Inszenierung von Macht in den Olympischen Spielen von 1936, Frankfurt a.M.: Campus Verlag, 1996. 31 Günther-Arndt, Hilke u.a., Geschichtsbuch: Die Menschen und ihre Geschichte in Darstellungen und
Dokumenten Band 4: Von 1918 bis zur Gegenwart, Berlin: Cornelsen, 2008. 32 Gründer und Präsident des „Deutschen Reichsausschusses für Leibesübungen“ und des Nationalen
Olympischen Komitees Deutschlands, Mitglied des IOC, Vorsitzender des OK für die Olympischen Spiele 1936.
wikipedia.org, „Theodor Lewald“, Bearbeitungsstand: 22.8.2010, 14.17 Uhr http://de.wikipedia.org/wiki/Theodor_Lewald (21.11.2010).
33 Generalsekretär des OK der Olympischen Spiele 1936 in Berlin Kurier, „Carl Diem“ http://www.dosb.de/fileadmin/fm-dsb/arbeitsfelder/wiss-
ges/Dateien/Kurier_Forum_Diem.pdf (21.11.2010). 34 Alkemeyer, Körper, Kult und Politik, S. 226-229. 35 Die Wahl des Austragungsortes verlief damals etwas anders als heute. (Heute wird der Austragungsort
schon 7 Jahre vor der Austragung bestimmt.) Zuerst musste eine Stadt ihre Kandidatur anmelden. Danach prüfte das IOC, welche dieser Austragungsorte in Frage kommen. Und danach, 5 Jahre vor der Austragung, wurde aus den Städten, die laut IOC fähig waren, Olympische Spiele zu organisieren, eine Stadt ausgewählt. (Durch eine Abstimmung der Mitglieder des IOC.)
http://www.olympia-lexikon.de/Berlin_1936http://de.wikipedia.org/wiki/Theodor_Lewaldhttp://www.dosb.de/fileadmin/fm-dsb/arbeitsfelder/wiss-ges/Dateien/Kurier_Forum_Diem.pdfxchttp://www.dosb.de/fileadmin/fm-dsb/arbeitsfelder/wiss-ges/Dateien/Kurier_Forum_Diem.pdfxc
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Rio de Janeiro und Rom.36
Ein Jahr später jedoch, beim nächsten Kongress des IOC in Barcelona, waren nur noch Barcelona
und Berlin im Rennen. In Spanien drohte jedoch ein Bürgerkrieg37 und deshalb durfte Berlin die
Spiele organisieren. Dies ist sowohl auf den seriösen und weltoffenen Eindruck, den Deutschland
hinterliess, als auch auf die Unruhen in Spanien zurückzuführen.
Lewald und Diem waren also ihrem Ziel einen gewaltigen Schritt näher gerückt und konnten mit
der Planung beginnen.
Doch dann tauchte ein grosses Problem auf: Die NSDAP legte massiv an Wählern zu, und die
Machtübernahme war nur noch eine Frage der Zeit. Auf die Frage, was mit den Olympischen
Spielen im Falle einer Machtergreifung geschehen sollte, verkündete Hitler, „die Frage der
Durchführung mit grossem Interesse zu verfolgen“38.
Lewald sicherte aufgrund der unklaren Formulierung Hitlers die Durchführung ab, indem er ein
Organisationskomitee (OK) gründete, von dem er selbst Präsident und Diem Generalsekretär
wurde. Eine Woche danach ergriff Hitler die Macht.
Die Machtergreifung der Nationalsozialisten stellte für das OK ein sehr grosses Problem dar, da die
Nazis keinen sportlichen Vergleich der „arischen Rasse“ mit fremden Völkern wollten.
Zwar gewann der Sport unter dem nationalsozialistischen Regime noch einmal an Stellenwert. Die
Nazis verstanden unter Sport allerdings nicht Leistungs- und Spitzensport, sondern:
„Leibeserziehung und Körperertüchtigung“ für die breiten Massen. Das wichtigste war für die
Nazis nicht, möglichst erfolgreiche Spitzensportler zu haben, sondern einen möglichst hohen
Durchschnitt der Leistungen im Volk. Zudem wollten sich Nazis nicht auf internationaler Ebene
messen, denn:39
“Sportliche Wettkämpfe mit Angehörigen von „Feindvölkern“ kämen, so der Tenor, einem „nationalen Verrat“ gleich, konnten sie doch im Ausland den Eindruck erwecken, das Deutsche Reich würde das „Versailler Diktat“, das den Deutschen auch jeglichen Wehrsport untersagt hatte, anerkennen.“40
So sprachen sich nach der Machtergreifung immer mehr Stimmen gegen die Austragung der
Olympischen Spiele aus, bis Hitler merkte, dass eine Austragung ihm sehr nützlich sein könnte.
Schnell wurde ihm klar, dass sich nichts besser zu Propagandazwecken eignete als Olympische
36 Wikipedia, Die freie Enzyklopädie, „Olympische Sommerspiele 1936“, Bearbeitungsstand: 5.10.2010,
17.22 Uhr http://de.wikipedia.org/wiki/Olympische_Sommerspiele_1936 (19.10.2010). 37 Der Bürgerkrieg begann 1936 zwischen der demokratisch gewählten Regierung und Putschisten unter
der Anführung Francos, welcher später als Sieger hervorgehen sollte. Wikipedia.org, „Spanischer Bürgerkrieg“, Bearbeitungsstand: 2.11.2010, 21.38 Uhr http://de.wikipedia.org/wiki/Spanischer_B%C3%BCrgerkrieg(21.11.1010).
38 Zit. Krüger, A., Die Olympischen Spiele 1936 und die Weltmeinung. Berlin/München/Frankfurt a. M.: 1927.
39 Alkemeyer S. 230-232. 40 Zit. Alkemeyer, Körper, Kult und Politik, S. 233.
http://de.wikipedia.org/wiki/Olympische_Sommerspiele_1936http://de.wikipedia.org/wiki/Spanischer_B%C2%B8rgerkrieg
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Spiele, sowohl innenpolitisch als auch aussenpolitisch. Innenpolitisch konnte er das Volk mit
gigantischen Wettkämpfen in gigantischen Stadien für sich gewinnen. Zudem konnte er, indem er
deutsche Spitzenathleten ausbilden liess, welche eine Medaille nach der andern abräumen sollten,
den Patriotismus und das Nationalbewusstsein noch einmal steigern. Die Olympischen Spiele waren
schon lange vor dem Beginn omnipräsent in den Medien. Es wurde, wie heute bei Grossanlässen,
eine Vorfreude des Volkes auf die Spiele durch Medien herbeigeführt, sodass ein jeder Deutsche
schliesslich stolz war, Gastgeber der Olympischen Spiele zu sein.
Aussenpolitisch konnte er Deutschland in ein möglichst gutes Licht rücken, Weltoffenheit
vortäuschen und die 1935 eingeführten Nürnberger Rassengesetze41, welche erlaubten, Juden zu
verfolgen, verharmlosen. Dies tat er, indem er Juden für Deutschland an den Ausscheidungen für
die Spiele teilnehmen liess. Wirklich teilnehmen durfte aber nur eine „Halbjüdin“, die Fechterin
Helene Mayer, welche zwar in Amerika lebte, dennoch aber für Deutschland startete. Sie gewann
Silber und grüsste bei der Siegerehrung mit dem Hitlergruss, was ihr viel Lob von Hitler einbrachte.
Des Weiteren liess er alle judenfeindlichen Plakate entfernen und befahl allen Medien, in der
Zeitspanne, in der die Spiele stattfanden, keine rassistischen Artikel zu veröffentlichen. Hitler
missbrauchte die Olympischen Spiele also in jeder Hinsicht zu Propagandazwecken.
Doch damit der Anlass wirklich so perfekt gelingen konnte, wie er es dann tat, benötigten die
Deutschen auch Glück. Denn in Amerika war eine grosse Bewegung, die sogenannte „Fair-Play-
Bewegung“, entstanden, welche die Olympischen Spiele in Berlin aufgrund der rassistischen Politik
der Nazis boykottieren wollte. Ein grosser Teil der europäischen Staaten schloss sich jener
Bewegung an. Doch erstens konnte der Diplomat Schmeling auf Hitlers Befehl in Amerika ein
gutes Wort für die Berliner Spiele einlegen42, und zweitens sprach sich der Präsident des NOK
(Nationales Olympisches Komitee) der USA für eine Teilnahme aus. Als im NOK abgestimmt
wurde, sah der Präsident Brundage, dass er die Abstimmung verlieren würde. Deshalb vertagte er
die Abstimmung und rief über Nacht noch mehr Stimmberechtigte herbei, sodass knapp für eine
Teilnahme der USA entschieden werden konnte.43
Als bekannt wurde, dass die USA teilnehmen würden, schlossen sich praktisch alle restlichen
Staaten diesem Entscheid an. So konnte Deutschland nichts mehr von einem in jeder Hinsicht
gelungenen „Fest der Völker“ abhalten.
41 Kurzfristig ausgearbeitete Gesetze: „Gesetz zum Schutz des deutschen Blutes und der deutschen Ehre“,
das Ehe und Geschlechtsverkehr zwischen Juden und Deutschen verbot und das „Reichsbürgergesetz", das den Juden ihre vollen politischen Rechte aberkannte.
Nürnberg online, Rassengesetze, http://www.rassengesetze.nuernberg.de/gesetze/index.html (19.10.2010).
42 Beck, Oskar, in Sport Magazin: 1.9.2008. 43 Wikipedia, Stand 5.10.2010, 17.22 Uhr.
http://www.rassengesetze.nuernberg.de/gesetze/index.html
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2.2. Propagandamittel Die NSDAP inszenierte die Spiele also als ein friedliches, völkerverbindendes Fest. Die ganze Welt
konnte feststellen, dass Deutschland weltoffen war, und dass die Rassengesetze von Nürnberg
harmlos waren. Das IOC war so zufrieden mit der Ausführung der Olympischen Spiele, dass sie die
Winterspiele 1940 nach 1936 gleich noch einmal an Garmisch-Partenkirchen vergaben.44
Das Volk vertraute der Regierung Hitler noch mehr, und auch der Nationalstolz der Deutschen stieg
nochmals an.
Damit dies alles gelingen konnte, war eine immense Propaganda erforderlich.
Im Vorfeld der Olympischen Spiele wurde alles daran gesetzt, das Volk für die Spiele zu gewinnen.
In Zeitungsartikeln und Büchern konnte das Volk lesen, dass die Olympischen Spiele der Antike in
Deutschland wieder zum Leben erweckt würden, so wurde zum Beispiel Deutschland (indirekt) mit
dem antiken Sparta verglichen. Sparta kam nämlich auch durch Breitensport und militärischen
Sport zu Erfolg an Olympia.
Der Sport wurde als Mittel zum Krieg gehandelt, das heisst, salopp geschrieben, wenn Deutschland
fit ist, gewinnt es Kriege. Des Weiteren wurde das Volk auf die riesigen Sportstadien (s. Abb. 3 und
4) aufmerksam gemacht, die die Regierung in der Lage war zu bauen. Doch es wurde auch in
diesem Zusammenhang den Deutschen ein Nationalgefühl eingeflösst. Hitler sagte über die Bauten,
welche er unter dem Vorwand, er wolle die Arbeitslosenquote senken, bauen liess:
„Bauten allein genügen nicht, um eine der Weltgeltung unserer Nation entsprechende Vertretung des deutschen Sports bei den Internationalen Wettkämpfen zu gewährleisten. Ausschlaggebend ist vielmehr der einheitliche einsatzbereite Wille der ganzen Nation, aus allen Gauen Deutschlands die besten Kämpfer auszuwählen und sie zu schulen und zu stärken, damit wir bei den bevorstehenden Wettspielen in Ehren bestehen.“ 45
Hitler gab also der Bevölkerung das Gefühl, dass alle an einem eventuellen Sieg eines
Einzelsportlers beteiligt wären.
Neben Büchern dieser Art, Zeitungsartikeln und Rundfunk kam aber auch eine Heftreihe heraus, die
der Bevölkerung, rein informativ, die Sportarten und deren Regeln erklärte46, welche von einem
extra gegründeten Olympia-Propaganda-Ausschuss verfasst wurde. Eben jenes organisierte auch
eine befahrbare Olympiaausstellung in mehreren Städten. Diese galt als besonderes Meisterwerk.
Alle diese Methoden dienten nur der Mobilisierung des Volkes für die Olympischen Spiele.
Aber auch, um Deutschland aussenpolitisch möglichst gut darzustellen, scheute die NSDAP kein
44 Eigentlich sollten die Spiele in Japan stattfinden, doch dort brach schon früh der zweite Japanisch-
Chinesische Krieg aus. Deshalb musste das IOC kurzfristig einen anderen Ort suchen, deshalb durfte St. Moritz die Spiele durchführen. Es gab jedoch Streit, und so musste man sehr kurzfristig einen neuen Ort suchen. Deshalb entschied man sich für Garmisch-Partenkirchen, wo man wusste, wie gut es ging. Wegen des 2. Weltkrieges konnten aber auch diese Spiele nicht stattfinden.
45 Zit. n. Hitler aus: Hilker, Franz, Die Olympischen Spiele in Altertum und Gegenwart, Leipzig: Bibliographisches Institut, 1936, S. 37/38.
46 Wikipedia, Stand 5.10.2010, 17.22 Uhr.
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Hindernis. Hitler liess mit Theodor Lewald einen „Halbjuden“ im OK zu. Zudem durften die Juden,
die in Deutschland lebten, an der Qualifikation teilnehmen. Doch an die Spiele schaffte es nur eine
„Halbjüdin“. Diese wird in der heutigen Literatur als „Alibijüdin“ bezeichnet, welche vor allem zur
Besänftigung der Amerikaner diente.47 Es war aber nicht so, dass ein richtiger Jude oder eine
richtige Jüdin eine Chance gehabt hätten. So wurde beispielsweise Gretel Bergmann, die damals
weltbeste Hochspringerin, welche eine Goldmedaille fast auf sicher gehabt hätte, nicht zu den
Spielen zugelassen, mit der Begründung, sie sei nicht gut genug.48 (Dafür setzte man einen 17-
jährigen Jungen ein, der sich als Frau verkleiden musste, um die deutsche Chance auf den Sieg zu
wahren. Dieser schaffte es vermutlich absichtlich nicht, eine Medaille zu erringen).49
Kurz vor den Winterspielen liess man alle judenfeindlichen Schilder entfernen, verbot den
rassistischen Zeitungen, judenfeindliche Artikel zu verfassen, und stellte jeden in Schutzhaft, der
öffentlich antisemitische Bemerkungen machte.
Im grossen Widerspruch dazu wurden kurz vor den Sommerspielen alle Berliner Sinti und Roma an
den Stadtrand verlegt. Dort mussten sie nach den Spielen gleich bleiben, und es entstand erstmals
eine Art KZ.50
Bei der Eröffnung der Spiele, bei der ca. 100'000 Leute anwesend waren, lief erstmals überhaupt ein
Fackelläufer ins Stadion ein. Der Fackellauf, der in Athen begann, wurde als „Verbindung von
Raum und Zeit“51 bezeichnet. Er galt als Symbol für die Völkerverbindung (Raum), und die
Wiederherstellung antiker Bräuche (Zeit). Richard Strauss komponierte eine Olympiahymne52,
deren Text sich auf die Verbindung der Völker und der Athleten bezieht. Die ersten zwei Zeilen
lauten:
Völker! Seid des Volkes Gäste, kommt durchs offne Tor herein! Friede sei dem Völkerfeste! Ehre soll der Kampfspruch sein.
Es wurde hervorgehoben, dass alle Völker willkommen wären, um friedliche Spiele durchzuführen.
Alle Athleten wurden mit dem Hitlergruss begrüsst. Und Hitler selbst wurde zugejubelt, um der
Welt zu zeigen, wie zufrieden das Volk war. Rund um die olympischen Wettkämpfe gab es
zahlreiche Nebenattraktionen wie Theater, Opern, Kunstausstellungen, Deutschlandausstellungen,
47 Wikipedia, Stand 5.10.2010, 17.22 Uhr. 48 Bild.de, „Die Frau, der Hitler die Goldmedaille stahl“, http://www.bild.de/BILD/news/2009/08/23/1936-
olympia-juedische-sportlerin/h (5.10.2010). 49 Ebd. 50 Von Hegel, Andrea, Die Stunde der Propagandisten, Propaganda zu den Olympischen Spielen 1936,
http://www.dhm.de/~jarmer/olympiaheft/olympia4.htm (21.10.2010). 51 Zit. n. Dr. Melber, Olympia, Aufstieg und Verfall der olympischen Spiele, ihr Untergang und ihre
Wiederbelebung in der Gegenwart, München und Berlin: R.Oldenbourg, 1936. 52 Vertonung: s. Youtube: http://www.youtube.com/watch?v=RLv_4uJfzHs (21.10.2010) Text: s. Wikipedia, Stand 5.10.2010, 17.22 Uhr
http://de.wikipedia.org/wiki/Olympische_Sommerspiele_1936 (21.10.2010).
http://www.bild.de/BILD/news/2009/08/23/1936-olympia-juedische-sportlerin/hhttp://www.bild.de/BILD/news/2009/08/23/1936-olympia-juedische-sportlerin/hhttp://www.dhm.de/%7Ejarmer/olympiaheft/olympia4.htmhttp://www.youtube.com/watch?v=RLv_4uJfzHshttp://de.wikipedia.org/wiki/Olympische_Sommerspiele_1936
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Festspiele, sportliche Begleitveranstaltungen und Kunstwettbewerbe.53 Auch da hatten allesamt
zum Ziel, Deutschland in ein gutes Licht zu rücken. Es kam sogar so weit, dass Deutschland als
„Gralshüter der Olympischen Idee dargestellt wurde“54, obwohl auf das Deutsche Reich damals das
Gegenteil zutraf.
Berlin putzte sich während der Spiele heraus, um zu zeigen, wie ordentlich und rein das ganze Land
unter der Führung der Nazis sei.
Wenn man zudem noch über Höflichkeitskurse für das Volk zu lesen kommt55, dann kommt man
fast nicht mehr um den Vergleich zu den Olympischen Spielen 2008 in Peking herum, durch welche
die Regierung auch über die Zustände im Land hinwegtäuschen wollte. Die chinesische Regierung
brauchte neben diesen Kursen auch einen grossen Teil der Propagandamittel, die 1936 gebraucht
wurden. Und auch die Chinesen bauten gigantische Stadien und boten eine gigantische
Eröffnungsfeier. Doch ich denke, dass aufgrund des heutigen Zeitgeistes die Propaganda der
Chinesen viel weniger wirksam war (zumindest in der westlichen Welt) als die der Deutschen. Denn
der deutschen Regierung schenkte man, vielleicht auch, weil man die Tatsachen nicht wahrhaben
wollte, Glauben.
Die Regierung hatte jedes Detail im Griff und machte alles zum Symbol, so dass die „Nationale
Aufgabe“ Olympia in allen Belangen gelingen konnte.
Nach den Spielen brachte Leni Riefenstahl ihren zweiteiligen Film zu den Olympischen Spielen
heraus. Den Auftrag zu diesem Film erhielt sie von Hitler persönlich, und sie erfüllte ihn mit
Bravour. Lange bezeichneten Experten diesen Film als reinen Dokumentarfilm, doch heute sind
viele der Ansicht, dass der Film ein gezieltes Propagandamittel der Nazis war.56 Ein erstes Indiz für
die Richtigkeit dieser These erhält man schon im Filmtitel: Teil 1: „Fest der Schönheit“, Teil 2:
„Fest der Völker.“ Wenn man den Film sieht, der mit den damals modernsten technischen Mitteln
und von den besten Kameraleuten des Landes gedreht wurde, merkt man, dass der Film gezielt
nicht nur auf das sportliche Geschehen sondern auf die Stimmung, die während der Spiele
herrschte, ausgerichtet ist. Der Film verankert den trügerischen Schein, der schon durch die zuvor
erwähnten Mittel erzeugt wurde, noch ganz im Gedächtnis der Welt. 1938 erhielt Leni Riefenstahl
für ihr Werk ein Olympisches Diplom.57
53 Von Hegel, Propaganda, http://www.dhm.de/~jarmer/olympiaheft/olympia4.htm54 Zit. Olympia-Heftreihe, Heft 1, S. 2 . (Quelle: Von Hegel, Propaganda,
http://www.dhm.de/~jarmer/olympiaheft/olympia4.htm). 55 Wikipedia, Stand 5.10.2010, 17.22 Uhr http://de.wikipedia.org/wiki/Olympische_Sommerspiele_1936
(22.10.2010). 56 Alkemeyer, Körper, Kult und Politik, S. 474 f. 57 Ebd. S. 475.
http://www.dhm.de/%7Ejarmer/olympiaheft/olympia4.htmhttp://www.dhm.de/%7Ejarmer/olympiaheft/olympia4.htmhttp://de.wikipedia.org/wiki/Olympische_Sommerspiele_1936
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2.3. Georg Miez’ bravouröse Abschiedsvorstellung Miez ging an die Spiele ganz klar mit der Erwartung, Olympiasieger zu werden, denn er hatte ja
1932 die Goldmedaille im Bodenturnen nur knapp verpasst, und er wollte in dieser Disziplin
unbedingt einmal gewinnen.
Diesmal wurde er von seiner Frau zu den Spielen begleitet, Sonja, die Tochter, liessen sie jedoch bei
ihrer Grossmutter in Töss.
Auf der Zugreise nach Berlin hatte Miez noch einen kleinen Zwist mit dem Präsidenten des
Eidgenössischen Turnvereins: Miez wollte sich und seiner Frau ein eigenes Abteil im Zug besorgen
(auf eigene Kosten). Der Präsident jedoch befand dies nicht für nötig, während er selbst ein eigenes
Abteil in der ersten Klasse belegte. Miez schlug ihm vor, er könne ja der Mannschaft das Erstklass-
Abteil überlassen und selbst im Zweitklass-Abteil übernachten. Dies lehnte der Präsident aber ab,
und in Georg Miez weckte dies eine grosse Wut, was typisch für ihn war, denn wenn man seine
Biographie liest, bemerkt man, wie schlecht er mit Ungerechtigkeiten umzugehen vermochte.
Doch auch diese Reise nahm sein Ende, und erstmals konnte auch Miez im olympischen Dorf
hausen, während seine Frau ein Hotelzimmer belegen musste. Seine Frau durfte er einmal pro Tag
besuchen, der Rest der Zeit war jeweils für Training und Erholung für die Wettkämpfe reserviert.
Das Dorf gefiel den Athleten sehr gut.
„(...)Dies war eine schwere Belastung für uns in der verfluchten Nazizeit. Die olympischen [sic] Spiele in Berlin waren sehr gut organisiert in allen Details. Das olympische Dorf war wunderschön.“58
Miez hasste die Nazis. Dies bestätigte auch sein Enkel. Doch er erwähnte im gleichen Atemzug, wie
er die Nazizeit als verflucht bezeichnet, wie schön es an den Spielen war und wie gut alles
organisiert war. Die Propaganda der Nazis hatte also nicht fehlgeschlagen. Auch die Schweizer
Sportler fielen darauf herein. So sahen Miez und wahrscheinlich die meisten Sportler wohl nicht,
dass sie durch ihre Teilnahme und ihren Einsatz Teil einer gewaltigen Propaganda wurden, und er
beschrieb relativ naiv die gute Organisation. Vielleicht wollte er es auch gar nicht merken, denn er
wollte unbedingt Gold am Boden und im Mannschaftswettkampf holen. Und vielleicht sah er auch
die Möglichkeit, das deutsche Team zu schlagen als beste Waffe gegen die Nazis, zumal er ein
ziemlich stolzer Schweizer Offizier war.
Die Tatsache, dass Miez die Nazis hasste, lässt sich mit einer Geschichte der Tochter eines
deutschen Cousins von Miez untermauern: Diese Frau berichtete im Gespräch, dass ihre Familie
Miez' Familie einmal in Lugano besuchte. Als Miez erfuhr, dass sein Cousin, (laut dessen Tochter
gezwungenermassen), in die NSDAP eingetreten sei, schickte er die ganze Familie unmittelbar nach
Hause. Dieselbe Frau erzählte auch, dass Georg Miez seinen Hass auf die Nazis generell auf alle
58 Zit. Miez, Giorgio, Erinnerungen S.85.
19
Deutschen ausweitete.59 Diese Aussage wurde jedoch von Miez' Enkel klar verneint.
Die Mannschaft bereitete sich gut auf ein hartes Duell mit den Deutschen vor. Es herrschte ein gutes
Klima, und die Form jedes einzelnen Turners war gut. Die Deutschen rund um den erfolgreichsten
Turner der ganzen Spiele, Konrad Frey, der drei goldene, eine silberne und bronzene Medaille
gewann, waren auch sehr stark.
Alles deutete auf einen spannenden Zweikampf der beiden Nachbarländer hin. Neben der
Goldmedaille ging es auch um viel Ehre. Die Deutschen mussten in ihrem Land fast gewinnen und
hatten auch mit enormem Druck umzugehen, und die Schweizer wollten zeigen, wie gut sie sind. Es
herrschte damals in der Schweiz schon ein gewisser Stolz und der Wunsch, besser zu sein als das
grosse Deutschland, was ja heute nicht viel anders ist. Auch Miez war es klar, dass es in diesem
Wettkampf nicht nur um Sportliches, sondern auch um Politisches ging. So erwähnte er, dass der
Zweikampf mit der deutschen Mannschaft für ihn und das ganze Schweizer Team wegen der Nazi-
Zeit eine grosse Belastung gewesen sei. Es herrschte also wirklich ein gewisser Druck von aussen,
Deutschland zu bezwingen.
An den Wettkämpfen (s. Abb. 6 und 7: Miez am Barren und am Reck) wurden die Schweizer
konstant ein bis zwei Zehntel zu schlecht bewertet. Und so konnten die Deutschen früh einen
Vorsprung aufbauen. Nach der dritten Disziplin machte Miez den Mannschaftsführer darauf
aufmerksam. Dieser aber befahl ihm, nicht immer zu reklamieren.60 Wahrscheinlich hatte der
Mannschaftsführer früher schon erfahren, dass Miez auf Ungerechtifgkeiten empfindlich reagiert.
Doch es könnte gut sein, dass Miez diesmal im Recht war, denn auch weitere Quellen machen auf
ungerechte Benotungen bei den Mannschaftswettkämpfen aufmerksam.
Und nach weiteren zwei Disziplinen bemerkten auch die Schweizer Fans die Ungerechtigkeit. Sie
veranstalteten ein Pfeifkonzert, was einen kurzen Unterbruch provozierte. Die Jury sprach sich ab,
und nach dem Unterbruch erhielten die Schweizer gerechte Noten. Doch der Rückstand war zu
gross, und sie konnten ihn nicht mehr wettmachen. Die Schweiz gewann die Silbermedaille, was
eher einer Niederlage gleichkam.61
Miez liegt mit seiner Aussage, die Schweiz sei der „Moralische Sieger“ gewesen, wahrscheinlich
nicht so weit daneben. Denn neben den Quellen, die eine Ungerechtigkeit sahen, spricht auch das
Resultat seine Sprache. Mit 654,802 fiel der Rückstand auf Deutschland (657,430) äusserst knapp
aus. (Zum Vergleich: Finnland reichte für den dritten Platz 638,468 Punkte).62
Als das Bodenturnen anstand, schlug das Herz bei Miez ein wenig schneller. Er wusste, dass er sehr
gute Chancen auf den Sieg hatte. 59 Renate Fluhr, Tochter eines Cousins von Miez. 60 Ebd. 61 Miez, Giorgio, Erinnerungen S.86. 62 Wikipedia.org „Olympische Sommerspiele 1936/Turnen Bearbeitungsstand 5.10.2010 10.15 Uhr
http://de.wikipedia.org/wiki/Olympische_Sommerspiele_1936/Turnen (21.11.2010).
http://de.wikipedia.org/wiki/Olympische_Sommerspiele_1936/Turnen
20
Bevor er mit seiner Übung starten konnte, musste Miez aber noch durch eine Schar von etwa 30
deutschen Journalisten hindurch, welche plötzlich auftauchten. Diese wollten ihn wohl verwirren,
denn die Deutschen hätten auch gute Turner gehabt, die für den Olympiasieg in Frage gekommen
wären. Die Journalisten liessen ihn fast nicht durch und versuchten, ihn zu verunsichern. Georg
drehte sich kurz um und begann sofort mit der Übung. Sie gelang ihm sehr gut, und er wusste, dass
es reichen musste. (s. Abb. 8) Es reichte auch, und Miez wurde trotzdem noch Olympiasieger in
seiner stärksten Disziplin. Er gewann vor den beiden Schweizern Josef Walter und Eugen Mack.
Einzig Konrad Frey, der deutsche Überflieger der Spiele, konnte da mit den Schweizern mithalten,
indem er gemeinsam mit Eugen Mack den dritten Platz belegte, was beiden eine Bronzemedaille
bescherte.
Bei der Siegerehrung empfahl ihm Carl Diem und offenbar auch der Leiter der Schweizer
Delegation, Hitler zu grüssen. Er weigerte sich aber, dies zu tun.63 Mehrere Jahrzehnte später wurde
dies von der Presse als eine Art Heldentat dargestellt, denn aus der heutigen Sicht wäre es natürlich
schöner, wenn Miez sich mit allen Kräften gegen das deutsche Regime gewehrt hätte und er ein
mutiger, kleiner Schweizer gewesen wäre, der es den Deutschen mal so richtig gezeigt hätte. Doch
es war eigentlich ganz normal, dass er es nicht tat. Denn erstens grüssten die wenigsten Athleten,
die nicht aus Deutschland oder faschistischen Ländern kamen, und zweitens wurde es auch gar
nicht richtig erwartet, denn niemand erhob grossen Einspruch, wenn ein Schweizer den Hitlergruss
nicht machte. Diese Erfahrung machte Miez schon, als er 1933 beim Abendessen des Turnfestes in
Stuttgart seine Hand nicht zum Hitlergruss in die Luft streckte. Niemand enervierte sich gross
darüber. Den bildlichen Beweis liefert die Abbildung 9 im Anhang, auf der die vier
Medaillengewinner auf dem Podest stehen. Einzig Konrad Frey, ein Deutscher, grüsste Hitler.
Hitler soll auch bissig gesagt haben, Miez habe die Ehre der Schweiz gerettet.64 Aber auch diese
Information sollte vorsichtig betrachtet werden. Denn die Quellenlage ist in dieser Beziehung sehr
unklar. Es gibt Quellen, die besagen, Hitler hätte, nachdem er Ärger bekam, weil er anfangs nur den
Deutschen gratulierte, gar keinem Athleten persönlich gratuliert65, es gibt aber auch Quellen, die
besagen, er hätte „sogar“ den Schwarzen Siegern gratuliert.66 Deshalb ist es auch nicht sicher, dass
Hitler überhaupt zu Miez sprach. Darum ist davon auszugehen, dass Georg Miez kein politischer
Revolutionär war, nur weil er die Hand nicht ausstreckte. Aber immerhin hatten er und die anderen
Schweizer es trotz des Rates von Carl Diem nicht getan, denn die Sportler waren damals auch schon
so etwas wie Vorbilder, und es hätte sicherlich seine Wirkung bei den Schweizer Zuschauern erzielt,
wenn die Turner Hitler gegrüsst hätten. Insofern haben die Schweizer doch einen kleinen Beitrag 63 Interwiew, Thomas Fetz. 64 Hediger, Serge, Giorgio, 14.7.1996. 65 Wikipedia.org, "Jesse Owens", http://de.wikipedia.org/wiki/Jesse_Owens (21.11.2010. 13.35). 66 Der Tagesspiegel, http://www.tagesspiegel.de/sport/leichtathletik/hat-hitler-owens-doch-die-hand-
gegeben/1575434.html (27.11.2010).
http://de.wikipedia.org/wiki/Jesse_Owenshttp://www.tagesspiegel.de/sport/leichtathletik/hat-hitler-owens-doch-die-hand-gegeben/1575434.htmlhttp://www.tagesspiegel.de/sport/leichtathletik/hat-hitler-owens-doch-die-hand-gegeben/1575434.html
21
dazu geleistet Hitlers Absichten nicht auf voller Linie zu befriedigen.
120‘000 Leute standen zur Schweizer Nationalhymne auf. Miez erhielt neben der Goldmedaille
auch noch eine Deutsche Eiche (nach Serge Hediger von Hitler persönlich) überreicht. Diese
schenkte er seiner „alten Liebe“, dem TV Töss. Die Eiche, die ein Symbol der Unsterblichkeit
darstellt, kann man noch heute auf dem Sportplatz Deutweg betrachten. (s. Abb. 10 und 11)
Darunter steht, ziemlich unscheinbar, ein Stein, der an die Goldmedaille im Bodenturnen an den
Olympischen Spielen 1936 in Berlin erinnert.67
Noch während der Zeremonie entschied er sich, vom Spitzensport zurückzutreten. Da er der einzige
Schweizer Goldmedaillengewinner dieser Spiele war, eine rührende Siegerehrung bekam und eine
Familie hatte, der er sich mehr widmen wollte, hätte es für ihn keinen besseren Zeitpunkt für den
Rücktritt geben können. Gerade nach der Siegerehrung teilte er dies auch den Medien mit, in denen
er frenetisch gefeiert wurde.
Endlich konnte er sich mehr seiner Familie widmen, welche er über alles liebte.68
Als Spitzensportler gewann er an vier verschiedenen Olympiaden mindestens eine Medaille.
Viermal Gold, dreimal Silber und einmal Bronze. So viele Medaillen gewann auch bis heute (2010)
noch kein Schweizer. Miez konnte also mehr als zufrieden sein mit seinem Leben als
Spitzensportler.
3. Miez nach dem Spitzensport Nach seiner sportlichen Karriere verlief sein Leben vorerst sehr turbulent. Er kündigte seine Stelle
in Chiasso, da er dort keine Entwicklungsmöglichkeiten mehr sah. Während des Zweiten Weltkriegs
nahm er an Missionen des Roten Kreuzes Teil. Dort hatte er im Winterkrieg (Russland-Finnland)
Erlebnisse, die ihn das Leben lang nicht mehr loslassen sollten.69
Er hatte das Gefühl, dass viele seiner Turnfreunde und auch viele andere ihm nach seinem
sportlichen Erfolg nicht auch noch eine erfolgreiche berufliche Karriere gönnen mochten und fühlte
sich verraten. In seinem Buch stellt er sehr verallgemeinernd fest:
„Nicht die eigenen, langjährigen Freunde helfen einem, sondern fremde Menschen“70.
Exemplarisch dafür soll folgender Fall gelten: Nach der Kündigung in Chiasso wurde er Kunstturn-
Nationaltrainer. Dort wurde er aber schnell wieder entlassen unter dem Vorwand, er sei nicht
67 Schweizer Illlustrierte, 12.7.1976, S.31. 68 Miez, Giorgio, Erinnerungen, S. 87. 69 Interview, Thomas Fetz. Es ging nicht aus seinen Aussagen hervor, um was es sich hierbei genau
handelte. Offenbar war Thomas Fetz eine der einzigen Personen, mit denen er über diese Erlebnisse sprach. G. Miez erwähnte in seiner Biographie seine Rotkreuz-Einsätze nicht.
70 Zit. Miez, Giorgio, Erinnerungen, S. 93.
22
genügend gut ausgebildet für diese Aufgabe. In Wirklichkeit aber hatte man Angst, dass Miez den
Präsidentenposten des Eidgenössischen Kunstturnverbandes anstrebte. Dies wollte er aber gar nie.
Beim Lesen seines Buches gewinnt man auch den Eindruck, dass Miez generell ein wenig
unzufrieden war. Denn er wechselte seinen Beruf häufig und er hatte vieles auch neben dem Beruf
zu tun.71 Zum Beispiel musste er lange das Grundstück seines verstorbenen Schwiegervaters
verwalten. Vielleicht war er, wie auch heute noch ein grosser Teil aller Sportler, die zurückgetreten
sind, in ein Loch gefallen.
Miez war geschaffen für den Beruf des Sportpädagogen. Weil er aber in der
Deutschschweiz nicht genügend geachtet wurde, zog es ihn wieder ins Tessin, nach Lugano. Dort
bekam er aber die von ihm angestrebte Stelle nicht (laut Miez aus politischen Gründen). Deshalb
entschied er sich, in Lugano eine Privatschule zu eröffnen. Er kaufte sich ein Grundstück am See,
denn er wollte eine Schule für wohlhabende Leute errichten. Die Schule war ein Erfolg, und so
konnte er in Arosa, St. Moritz und San Remo weitere ähnliche Schulen eröffnen, von denen aber
heute nichts zu finden ist. Er verfasste sportmedizinische Bücher.72 Er war Inhaber eines
Tennisplatzes und gab Tennisstunden. Er unterrichtete reiche und berühmte Leute und ihre Kinder
und verdiente gutes Geld.
Er war sehr erfolgreich mit seiner Privatsportschule.73 Er blieb bis ins hohe Alter sehr fit (er konnte
mit 80 Jahren immer noch einen Handstand drücken), und lebte den Rest seines Lebens in
Lugano74, wo er am 17.4.1999 im Alter von 94 Jahren, 5 Monate nach einem Schlaganfall, starb.
Nach Winterthur wollte er nie mehr zurück, er folgte nicht einmal mehr einer Einladung des TV
Töss. Doch Miez' Enkel sagt, Giorgio Miez sei immer stolz gewesen, Zürcher und insbesondere
Tössemer zu sein. Dies zeigt sich auch in der Tatsache, dass Miez seinen Kindern Deutsch
beigebracht hatte und mit seinem Enkel nicht nur Italienisch und Französisch, sondern auch
Deutsch sprach.
71 Diverse Turnlehrerposten, aber auch andere Berufe, wie zum Beispiel Angestellter einer
Lebensversicherung, bei der er angefragt wurde, ohne dass man ihn kannte. Dies führte ihn auch zu der These, dass nur fremde Leute helfen.
72 Diese Bücher gab er in seinem Eigen-Verlag heraus. Neben den Erinnerungen, auf denen ein Teil dieser Arbeit basiert, kamen auch Bücher mit den Titeln: „Gesundheit und Beweglichkeit mit und nach vierzig“, „Junger Eidgenosse, ist es dein Wunsch, erfolgreicher Kunstturner zu werden?“, „Bleib beweglich und dadurch jung – Privatturnen mit dem Drei- bis Fünfminutensystem“ und andere.
73 Miez, Giorgio, Erinnerungen, S. 88-109. 74 Anm: Nach Winterthur wollte er nicht mehr zurück, nicht einmal für einen Besuch beim TV Töss.
(Siegfried Schlesiger).
23
4. Schlusswort Georg Miez' Leben veranschaulicht eindrücklich, wie schwer es die Spitzensportler seiner Zeit im
Vergleich zu heute hatten. Eine Turnnationalmannschaft musste mit dem Zug in der dritten Klasse
reisen, in Militärbaracken übernachten und auf gute Nahrung verzichten. Ein mehrfacher
Olympiasieger wird bei einer Turnlehrerschule eiskalt abgewiesen, weil er keine Matura hatte. Vom
Spitzensport liess es sich nicht leben; immer musste Miez einen Job haben, um seiner Leidenschaft
zu frönen.
In Miez sehen wir auch ein Beispiel eines ehrgeizigen, talentierten jungen Mannes, der in
bescheidenen Verhältnissen aufgewachsen ist. Nichts liess er unversucht, mit einem zweiten Rang
war er nie zufrieden, und er setzte alles daran, nach einer gefühlten Niederlage wieder zuoberst auf
dem Treppchen zu stehen. Der Ehrgeiz führte ihn zu gigantischen Erfolgen. Mehr Medaillen
gewann bisher noch niemand aus der Schweiz an Olympischen Spielen, wobei anzumerken ist, dass
es im Turnsport auch mehr Gewinnmöglichkeiten gibt als beispielsweise im Skispringen (Vergleich
zu Simon Ammann), und nach seiner aktiven Sportlerkarriere konnte er, nach einem kurzen
Durchhänger, gutes Geld verdienen.
Doch etwas war Miez nicht: ein hervorragender politischer Held. Zwar war er ein Nazi-Hasser, und
er grüsste Hitler nicht, was in allen, später erschienen Zeitungen hervorgehoben wurde, doch war
dies eigentlich der Normalfall. Alleine die Tatsache, dass sein Enkel, der an sich viel über ihn weiss,
über die Olympischen Spiele 36 und die Begegnung mit Adolf Hitler praktisch nichts wusste,
bestätigt dies, denn wenn Miez sich speziell gegen das politische Geschehen gestellt hätte, hätte er
seinem Enkel mit Sicherheit davon erzählt.
Offen bleibt, was Miez an den Spielen 1936 für Gefühle empfand, zum Beispiel, ob er damals
gewittert hat, dass die Olympischen Spiele zu Propagandazwecken missbraucht wurden.
Auch hier kann man Miez wieder in den grösseren Zusammenhang stellen. Denn so wie ihm erging
es den meisten Athleten, die an den Spielen 1936 teilnahmen. Sie realisierten zwar, dass die Nazis
am Regieren waren, wollten aber unbedingt teilnehmen und siegen.
Dass der Propagandaeffekt der Spiele ohne ihre Teilnahme fehlgeschlagen hätte, waren sich die
meisten Athleten nicht bewusst. Doch so konnten die Olympischen Spiele 1936 in Berlin, an denen
Athleten aus vielen verschiedenen Ländern teilnahmen und niemand aufgrund seiner „Rasse“
diskriminiert wurde, ihren Beitrag zu Hitlers Erfolge leisten.
Literaturverzeichnis
Bücher
Alkemeyer, Thomas, Körper, Kult und Politik: Von der ››Muskelreligion‹‹ Pierre de Coubertins zur Inszenierung von Macht in den Olympischen Spielen von 1936, Frankfurt a.M.: Campus
24
Verlag, 1996. Günther-Arndt, Hilke u.a., Geschichtsbuch: Die Menschen und ihre Geschichte in Darstellungen
und Dokumenten Band 4: Von 1918 bis zur Gegenwart, Berlin: Cornelsen, 2008. Hilker Franz, Die Olympischen Spiele in Altertum und Gegenwart, Leipzig: Bibliographisches
Institut, 1936. Krüger, A., Die Olympischen Spiele 1936 und die Weltmeinung. Berlin/München/Frankfurt a. M.:
1972. Melber, Dr., Olympia, Aufstieg und Verfall der olympischen Spiele, ihr Untergang und ihre
Wiederbelebung in der Gegenwart, München und Berlin: R. Oldenbourg, 1936. Miez, Giorgio, Meine Erinnerungen vom Jungturner bis zum Olympischen Zehnkampf- Sieger im
Kunstturnen, für die Sportjugend geschrieben, Lugano-Paradiso: Miez-Verlag für Sport und Gesundheitsförderung, 1978, 2. Auflage.
Interwiews Fetz, Thomas, Enkel von Georg Miez, Schriftliches Interwiew vom 24.11.2010. Fluhr, Renate, Tochter eines Cousins von Georg Miez, Telefon vom 14.8.2010. Schlesiger, Siegfried, Inhaber einer Sammlung über Georg Miez, Gespräch vom 23.8.2010. Zeitschriften Beck, Oskar in Sport Magazin: 1.9.2008. Zeitungen Guler, Martin, „Der erfolgreichste Turner, den die Schweiz je hatte“, Tössemer, September 2006. Hediger, Serge, „Giorgio“, Sonntagsblick, 14.7.1996. Miez, Georg, „Beruf und Turnen“, Schweizer Illustrierte Zeitung, 13.7.1932. Schweizer Illlustrierte, 12.7.1976, S.31. si, „Der erfolgreichste Schweizer Olympionike im Tessin verschieden“, Neue Zürcher Zeitung,
22.4.1992. Internetquellen Bild.de, „Die Frau, der Hitler die Goldmedaille stahl“,
http://www.bild.de/BILD/news/2009/08/23/1936-olympia-juedische-sportlerin/h (5.10.2010). Der Tagesspiegel, http://www.tagesspiegel.de/sport/leichtathletik/hat-hitler-owens-doch-die-hand-
gegeben/1575434.html (27.11.2010).
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25
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(7.11.2010). Kurier, „Carl Diem“ http://www.dosb.de/fileadmin/fm-dsb/arbeitsfelder/wiss-
ges/Dateien/Kurier_Forum_Diem.pdf (21.11.2010). Nürnberg online, Rassengesetze, http://www.rassengesetze.nuernberg.de/gesetze/index.html
(19.10.2010). olympia-lexikon.de, „Berlin 1936“.
http://www.olympia-lexikon.de/Berlin_1936 (18.10.2010). Olympic.org, Georges Miez,http://www.olympic.org/en/content/Olympic-Athletes/All-
Athletes/Athletes-MA-to-MM/-Georges-MIEZ-/ (12.11.2010). Wikipedia, Die freie Enzyklopädie, „Olympische Sommerspiele 1936“, Bearbeitungsstand:
5.10.2010, 17.22 Uhr http://de.wikipedia.org/wiki/Olympische_Sommerspiele_1936 (19.10.2010).
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http://de.wikipedia.org/wiki/Theodor_Lewald (21.11.2010). Von Hegel, Andrea, Die Stunde der Propagandisten, Propaganda zu den Olympischen Spielen 1936,
http://www.dhm.de/~jarmer/olympiaheft/olympia4.htm (21.10.2010). Youtube: http://www.youtube.com/watch?v=RLv_4uJfzHs (21.10.2010).
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Anhang
Abb. 1. Georg Miez an den Olympischen Spielen in Amsterdam. Er war der erfolgreichste Athlet der ganzen Spiele. (http://www.swissolympic.ch/desktopdefault.aspx/tabid-3370//4183_read-24971/)
Abb. 2. Olympische Spiele 1932 in Los Angeles: Die Sieger der Bodenübungen v.l.n.r. Istvàn Pelle (HUN, gold), Georg Miez (SUI, silber), Mario Lertora (ITA, bronze). (http://en.beijing2008.cn/79/90/article212019079.shtml)
Abb. 3. Das „gigantische“ Olympiastadion von aussen. (http://www.welt.de/kultur/article8258680/Liste-mit-Hitlers-Gefaengnisbesuchern-wird-versteigert.html)
Abb. 4. Olympiastadion 1936 in Berlin. Das Stadion ist ausverkauft. Alle Besucher strecken den Arm zum Hitlergruss nach oben. (Lothar Jeck. © Fotostiftung Schweiz.)
http://www.swissolympic.ch/desktopdefault.aspx/tabid-3370//4183_read-24971/http://www.swissolympic.ch/desktopdefault.aspx/tabid-3370//4183_read-24971/http://en.beijing2008.cn/79/90/article212019079.shtmlhttp://en.beijing2008.cn/79/90/article212019079.shtmlhttp://www.welt.de/kultur/article8258680/Liste-mit-Hitlers-Gefaengnisbesuchern-wird-versteigert.htmlhttp://www.welt.de/kultur/article8258680/Liste-mit-Hitlers-Gefaengnisbesuchern-wird-versteigert.html
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Abb. 5. Portrait von Georg Miez. (Fotobestand Walter Wehrle, Sportmuseum Schweiz, Basel)
Abb. 6. Miez am Barren an den Olympischen Spielen in Berlin (Fotobestand Walter Wehrle, Sportmuseum Schweiz, Basel)
Abb. 7. Miez an seinem Lieblingsgerät, dem Reck. (http://en.beijing2008.cn/79/90/article212019079.shtml)
http://en.beijing2008.cn/79/90/article212019079.shtmlhttp://en.beijing2008.cn/79/90/article212019079.shtml
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Abb. 8. Miez bei seiner Bodenübung in Berlin, die ihm den Olympiasieg einbrachte (http://www.olympic.org/en/Multimedia-Player/All-Photos/1936/08/11/RAABT008/)
Abb. 9. Miez zuoberst auf dem Podest in Berlin. Er hält die deutsche Eiche. Kein Schweizer grüsst Hitler. Von links nach rechts: Konrad Frey (GER, 3.Rang), Eugen Mack (SUI, 3.Rang), Georges Miez (SUI, 1.Rang) und Josef Walter (SUI, 2.Rang). (Miez, Giorgio, Meine Erinnerungen vom Jungturner bis zum Olympischen Zehnkampf-Sieger im Kunstturnen, für die Sportjugend geschrieben, Lugano-Paradiso: Miez-Verlag für Sport und Gesundheitsförderung, 1978, 2. Auflage.)
Abb. 10 und 11. Die Eiche, die Miez im Jahre 1936 gewonnen hatte, steht heute beim Sportplatz Deutweg. Unter der Eiche befindet sich ein Stein mit der Aufschrift: “OLYMPIADE IN BERLIN, 1936, Sieger im Freiübungsturnen, GEORG MIEZ, TV TÖSS“. (Nicolas Hermann)
http://www.olympic.org/en/Multimedia-Player/All-Photos/1936/08/11/RAABT008/http://www.olympic.org/en/Multimedia-Player/All-Photos/1936/08/11/RAABT008/
Einleitung1. Georg Miez’ Werdegang: Ein Stück Sportgeschichte1.1. Kindheit und Jugend1.2. Gelungener Start auf internationalem Parkett: Miez an den Olympischen Spielen 1924 in Paris1.3. Triumph der Schweizer Turner: Die Olympischen Spiele 1928 in Amsterdam: 1.4. Pech mit der Jury: Miez an den Olympischen Spielen 1932 in Los Angeles1.5. Revanche in Ungarn: Weltmeisterschaft 1934 in Budapest2. Höhepunkt mit Schattenseiten: Die Olympischen Spiele in Berlin 19362.1. Politische Hintergründe2.2. Propagandamittel2.3. Georg Miez’ bravouröse Abschiedsvorstellung3. Miez nach dem Spitzensport4. SchlusswortLiteraturverzeichnisAnhang