Picavi: Die Brille als ComputerMal eben aus Tausenden Produkten eine Bestellung zu bedienen, das ist
im Lager die Aufgabe der inzwischen so genannten „Picker“. Um die dafür
nötigen Informationen zu erhalten, muss jeder Lagerist einen Computer mit
Scanner bei sich tragen. Das geht auch einfacher, dachte sich Picavi-Gründer
und Intralogistik-Experte Dirk Franke. Und entwickelte die erste vernetzte
Datenbrille mit Scanner speziell für Picker. Die haben seitdem alle Informa -
tionen direkt vor ihren Augen und damit beide Hände frei.
Arbeit neu gedachtWie können wir unsere Arbeit besser machen? Drei deutsche Familienunternehmer haben dafür die passenden Produkte erfunden. Sie zeigen beispielhaft, dass wir unsere Arbeitswelt gesünder und zugleich effektiver gestalten können
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Das Arbeitszeitmodell des steinzeitlichen
Jägers und Sammlers war ziemlich über-
schaubar: Bei Tageslicht wurde gearbeitet
und gejagt, dämmerte es, kam die Gemeinschaft
zur Ruhe und sammelte sich am Feuer. Gesteuert
wurde dies durch das Licht, und so tickt die innere
Uhr des Menschen bis heute. Unsere Körperfunk-
tio nen werden vom Auf und Ab der Helligkeit ge-
steuert, „zirkadian“, also rund um den Tag, nennen
das die Fachleute. Viel kaltes blaues Licht am Vor-
mittag macht uns munter, das warme rötliche Licht
von Abendsonne und Feuer lässt uns entspannen.
Heute leben und arbeiten wir in künstlich be-
leuchteten Räumen. Und das Licht ist zwar hell,
aber, so das Ergebnis umfassender Forschung,
es ist für den menschlichen Rhythmus meist das
falsche: „Die Beleuchtung unserer Arbeitsplätze
reicht häufi g nicht aus, um die innere Uhr auf den
24-Stunden-Rhythmus zu synchronisieren“, so die
Kritik einer von der Bundesanstalt für Arbeitsschutz
und Arbeitsmedizin in Auftrag gegebenen Studie.
Bürolicht mit Natureffekt
Falsches Licht bedeutet: müde am Morgen, halb
wach in der Nacht. „Licht ist ein Leistungsfaktor“,
weiß auch Oliver Segendorf, Geschäftsführer beim
Ahrensburger Leuchtenproduzenten Esylux. Er hat
deshalb ein biologisch wirksames LED-Lichtsystem
entwickelt, das sich im Tagesverlauf genauso dyna-
misch verändert wie natürliches Licht: vormittags
kalt und hell, abends warm und rötlich. Und das zu-
sätzlich abhängig vom Wetter. Wer dann noch mag,
kann sich sogar die Lichtkurven bestimmter
Sehen, was in Kisten verborgen ist – dank Picavi-Datenbrille können die Picker in den Lagern auf Scanner und Computer verzichten
Ein Arbeitsplatz für Beratungsprofi s
Bankkunden erwarten heute auch am Telefon echte Kompetenz. In den neuen Deutsche Bank
Beratungscentern sitzen deshalb keine Callcenter-Kräfte, sondern langjährige All-
rounder, die den vollen Service bieten. Für sie entwickelten die Gestalter eine diskrete,
zugleich aber auch teamfähige und kommunika-tive Bürowelt für die Beratung auch am Feier-
abend, denn geöffnet ist bis 20 Uhr, samstags bis 15 Uhr – erreichbar unter Tel. 069 910-10000
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beschreibt. Franke hatte 2013 mit Risikokapital
ein Start-up gegründet mit einer einzigen Idee:
Warum sollte man nicht Google Glass, die gerade
frisch entwickelte Datenbrille, so umbauen, dass
sie sich im Lager einsetzen lässt? Im privaten Be-
reich fand das etwas ungewohnt aussehende
Wearable keine Akzeptanz. Doch für industriel-
le Anwendungen erkannte Franke von Anfang
an das Potenzial. Und entwickelte in seinem
Unternehmen Picavi eine Software, mit der die
Datenbrille per WLAN permanent im Dialog mit
der Lager-EDV des Kunden steht. Mitgeholfen hat
dabei sein erster Kunde, der Aachener Kosmetik-
produzent Dr. Babor. Der war für seine Mitarbei-
ter im Lager auf der Suche nach einer schnelleren
und einfacheren Wegeführung. Aufgabe dieser
„Picker“ ist es, die Bestellungen zu kommissionie-
ren oder Neuware einzusortieren. Und das sind
mal eben über 6000 verschiedene Artikel in einem
Lager. Bislang erfolgte dies per Handscanner.
Start-up-Unternehmer Franke entwickelte eine
Datenbrille, in die alle nötigen Informationen auf
einem kleinen Display eingelesen werden. Dar-
in erhält der Lagermitarbeiter seinen nächsten
Auftrag (etwa: „Gehe zu …“), Lagerplatz, Name und
Menge der einzusammelnden Produkte.
Mit Datenbrille durchs Hochregal
Die Lageristen haben seitdem beide Hände frei,
die Akzeptanz des neuen Systems ist „extrem
hoch“, sagt Babor-Geschäftsführer Horst Robertz.
Er ist ein Mann, der weiß, dass ein erfolgreicher
Mittelständler schneller sein sollte als die Gro-
ßen, der, wie er es nennt, gern mal „das Ohr auf
die Schiene legt“. Das ist ihm gelungen: Dr. Babor
betreibt seit Mitte 2015 das erste per Datenbrille
betriebene Hochregallager weltweit. Morgens
berechnet der Computer die Wege und Jobs für
jeden Mitarbeiter, und dann geht’s los. Zeiter-
sparnis gegenüber dem Vorgängersystem: rund
18 Prozent. Seit bei Dr. Babor die Picker mit Daten-
brille laufen, geben sich in Aachen Medien und in-
teressierte Unternehmen die Klinke in die Hand.
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Esylux: Die LichtmacherMenschen ins richtige Licht zu setzen, das hat sich Esylux-Geschäftsführer Oliver
Segendorf zur Aufgabe gemacht. Und das ist wichtiger, als viele glauben. Denn das
Kunstlicht, in dem wir leben und arbeiten, ist alles andere als auf den natürlichen
Tagesrhythmus des Menschen abgestimmt. So entwickelten die Esylux-Forscher ein
Beleuchtungssystem, das erstmals automatisch die Schwankungen des natür-
lichen Lichts perfekt abbildet. Die wissenschaftliche Forschung belegt: höhere
Produktivität und besserer Schlaf durch die richtige Beleuchtung.
Städte oder Inseln programmieren. Das Licht
Roms in einem Büro in Schleswig-Holstein? „Ja, das
geht“, sagt Segendorf, er nutzt es selbst.
LEDs mit warmem oder kaltem Licht gibt es in
jedem Baumarkt. Die Innovation liegt darin, dar-
aus eine Leuchtquelle zu bauen, die in wechseln-
der Zusammensetzung kaltes wie auch warmes
Licht bietet. Es ist eine Software- und Steuerungs-
aufgabe, und die hat bislang keiner so markttaug-
lich gelöst wie das Familienunternehmen aus dem
Norden Hamburgs. Seit gerade mal einem Jahr gibt
es das zu kaufen, durch die neuen Leuchtsysteme
hat sich der Spartenumsatz bereits verdoppelt.
„Wir sind die Pioniere“, sagt Segendorf. Für die
Zimmer der Asklepios-Kliniken entwickeln die
Ahrensburger gerade eine eigene Lichtsteuerung,
auch hier dynamisch statt statisch.
Das neue „Biolicht“ ist noch eine sehr junge
Produktreihe des norddeutschen Produzenten in-
telligenter Beleuchtung. Doch es zeigt beispielhaft
die Innovationskraft deutscher Familienunterneh-
men, wenn es darum geht, Leben und Arbeiten in
Zukunft besser zu machen. Mal sind es regelrechte
Entwicklungssprünge wie bei Esylux, und mal liegt
die Innovation in einer kontinuierlichen Evolu tion.
Doch was sie alle verbindet: Entwickelt wird in
Deutschland, denn „German Engineering“ gilt als
weltweites Verkaufsargument.
Das erkannte auch der Unternehmer Dirk
Franke, ein umtriebiger Tüftler und Selfmademan,
der sich selbst als „EDV verstehenden Kaufmann“
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Robertz: „Das Interesse an dem Produkt ist riesig.“
Das kann auch Picavi-Chef Franke bestätigen, der
inzwischen den Innovationspreis-IT der Initiative
Mittelstand erhalten hat und für den Deutschen
Gründerpreis nominiert ist: Die Lagersysteme von
über 30 Kunden hat Picavi inzwischen mit dem
neuen „Pick-by-Vision“-System ausgerüstet.
Über zu wenig Bewegung müssen sich die Ar-
beiter im Lager nicht beklagen. Fast alle Büromen-
schen dagegen schon. „Sitzen ist das neue Rau-
chen“, heißt es inzwischen, die Folgen eines am
Stuhl festgeklebten Büroalltags lesen sich wie ein
Auszug aus den großen Volkskrankheiten. Dauersit-
zen macht krank, weiß auch Helmut Link, geschäfts-
führender Gesellschafter beim schwäbischen Büro-
und Industriestuhlproduzenten Interstuhl. Link
hat dem „Sedentary Lifestyle“, also dem sitzenden
Lebensstil, den Kampf angesagt. Wissenschaftler
der Universität Regensburg haben errechnet, dass
Erwachsene durchschnittlich über die Hälfte ihrer
Lebenszeit komplett im Sitzen verbringen. 40 Pro-
zent aller Deutschen, so die aktuelle Bewegungsstu-
die der Techniker Krankenkasse, verbringen Ihren
Acht-Stunden-Arbeitstag im Büro.
Es ginge auch anders: Stimmt der Arbeitsplatz,
steigt die Produktivität im Büro um fast ein Drit-
tel, hat kürzlich erst das Fraunhofer-Institut für
Arbeitswirtschaft und Organisation ausgerech-
net. Interstuhl, in den Sechzigerjahren gegründet
und inzwischen in dritter Generation geführt, ist
europäischer Marktführer für Bürostühle. Gerade
haben seine Entwickler einen völlig neuen Stuhl
auf den Markt gebracht, es ist ein Sitzmöbel, das
per Smartphone-App seinem Benutzer sogar Feed-
back zum Sitzverhalten gibt. „Wir messen Schritte,
Herzfrequenz, Kalorienverbrauch und Schlaf“, sagt
Link, jetzt sei es an der Zeit, auch mal das Sitzen
auszuwerten. Der intelligente Bürostuhl ist ein
kleiner Ausblick in die Zukunft, ein Thema für das
hauseigenen Forschungs- und Entwicklungs zen-
trum. Das Ziel: ein Stuhl, der sich seinem Benutzer
automatisch anpasst, vergleichbar den Memory-
Sitzen im Auto. Auch der beste Bürostuhl ist nicht
ausentwickelt, mehr adaptive, intelligente Materia-
lien und mehr Sensorik sind die Richtung. Da, sagt
Link, „ist noch eine Menge Potenzial“.
Doch Link weiß, dass selbst der beste Stuhl „kei-
ne Wunder bewirken kann“. Seine Produkte sieht
er deshalb als Teil einer neuen, mobilen Arbeits-
welt mit sich ständig neu defi nierenden Teams
und Projekten. In diesem Verständnis kommt die
traditionell sitzende und isolierte Büroarbeit am
Bildschirm in Bewegung, das intelligent gemachte
Büro ist „ein Ort der Begegnung und Mobilität“.
Und auch wer nur den Papierkorb braucht oder
den Drucker, muss aufstehen und laufen.
Jeder Extraschritt ist wichtig: „Wir brauchen
Bewegung wie Nahrung“, sagt Link. Denn der Jä-
ger und Sammler, das weiß auch ein Bürostuhl-
produzent im 21. Jahrhundert nur allzu gut, steckt
immer noch in uns.
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Selbst das richtigeSitzen wird erfasst und gesteuert
Interstuhl: Der Stuhl denkt mit Ob und wie wir uns im Büro bewegen, ist entscheidend für unsere Gesundheit.
Helmut Link, geschäftsführender Gesellschafter beim schwäbischen Sitz möbel-
produzenten Interstuhl, muss man da nicht überzeugen. Stimmt der Arbeitsplatz,
dann steigt die Produktivität je Mitarbeiter um fast ein Drittel, hat ein
Fraunhofer-Institut erst kürzlich errechnet. Link und seine Mitarbeiter wollen
das Sitzen deshalb neu erfi nden. Jüngstes Ergebnis: ein Bürostuhl, der per
Bluetooth und Smartphone-App das Sitz verhalten misst und kommentiert.
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