DIGITALISIERUNG
F"INANZDIENSTLEISTER MÜSSEN NETZWERKER WERDEN
Der strategische Imperativ Durch die Digitalisierung werden Banken in ihrer Rolle als Finanzintermediäre praktisch überflüssig. Die
technolog ischen Entwicklungen ermöglichen es innovativen Wettbewerbern, mit einzelnen Teilen oder der
gesamten Wertschöpfungskette der Banken in Konkurrenz zu treten. Sukzessive wird daher für kl assische
Banken die Fähigkeit zur technologischen und strateg ischen Vernetzung mit weiteren Anbietern entlang
der Wertschöpfungskette zu einer entsche idenden Kernkompetenz.
I m Markt für Finanzdienstleistungen kann zwischen Wettbewerbern mit
und ohne Banklizenz unterschieden werden. Bei den Lizenzinhabern
agieren neben den klassischen Banken mit entsprechender Filialstruk
tur auch Direktbanken mit günstigerer Produktpalette, die häufig Tochter
von klassischen Banken sind. Noch konsequenter sind digitale Vollban
ken -die den Vertriebskanal internet für ein ansonsten klassisches An
gebot nutzen - auf d ie Verhaltens- und Nutzermuster der digitalen Ge
neration ausgerichtet. Sie setzen konsequent auf die Nutzung von Social
Media und bieten sich als Plattform beispielsweise für Crowdinvesting
oder Crowdfunding an.
Zu den Wettbewerbern mit Banklizenz gehören mittlerweile auch
lnternetkonzerne. Google hat bereits seit dem Jahr 2007 eine Bankli
zenz in Europa, ebenso wie die Ebay-Tochter Paypal. Facebook hat 2017
den Erhalt einer Banklizenz aus Irland - zunächst für den Bereich des
Zahlungsverkehrs - bekanntgeben.
Typischerweise ohne Banklizenz - und damit (noch) ohne den regu
latorischen Ballast der Banken - agieren d ie FinTechs. Sie fokussieren ihre
Tätigkeit primär auf die stringente Erfüllung der Kundenbedürfnisse in
ihrem jeweiligen Kernthema, ohne die Legacy klassischer Banken im
Prozess- und Kostenbereich. Es lassen sich drei Arten von Wettbewer
bern differenzieren. Einige nutzen die Technologie, um bestehende An
gebote durch Schaffung neuer Plattformen anzugreifen, wie Uber oder
Airbnb. Andere optimieren das Kundenerlebnis durch benutzerfreund
liche kundenzentrierte Einzelangebote. Noch relativ selten sind FinTech
Angebote, die die Banken in den der Kundenschnittstelle nachgelagerten
Bereichen unterstützen.
Wie können Banken reagieren? Banken können die FinTechs aufkaufen und sich somit die exklusive Nut
zung der Technologie sichern. Alternativ können sie auch einzelne Funk
tionen kopieren. Die Kooperation mit FinTechs ist eine weitere, m itt
lerweile häufig gewählte Variante. Sch lielllich können Banken ihrerseits
neue Services entwickeln und diese als Quasi-FinTechanderen Banken
als White-Labe Ii ng-Lösung anbieten.
Die Vorteile einer Kooperation zwischen Bank und FinTech liegen im
gegenseitigen Wissensaustausch. Dabei profitieren Banken von der mög
licherweise kürzeren Entwicklungszeit für neue Produkte und Dienstleis
tungen sowie dem Potenzial zur Generierung innovativer und technisch
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hochstehender Lösungen. FinTechs können ihrerseits auf die etablierte
Marke von Banken mit großer Kundenbasis und Marktdurchdringung
zurückgreifen. Gleichzeitig stellt die Kooperation beide vor Herausforde
rungen. Prozesse und Geschwindigkeiten müssen synchronisiert werden.
Das Erwartungs-Management ist ein Schlüsselfaktor fU.r die Zusammen
arbeit. Interne Vorgaben und Prozesse der Banken dürfen nicht zur Brem
se innovativer Entv.'icklungen werden, andererseits müssen regulatorische
und gesetzliche Anforderungen berücksichtigt werden.
Netzwerke als Kritische-Masse-Systeme Die Finanzindustrie ist irreversibel auf dem Weg von der bilateralen Aus
tauschbeziehunghin zum Agieren in einem multilateralen Netzwerk, dem
digitalen Finanzökosystem. Durch die Schaffung von Netzwerken neh
men die Interaktionsmöglichkeiten zwischen den Unternehmen und In
dividuen zu. Die Teilnehmer bilden ein Netz, das es jedem Einzelnen er
möglicht, nur in diejenigen Kerntätigkeiten zu investieren, in denen er
effektiv Mehrwert generieren kann.
In der Summe führt dies zu einer absoluten Spezialisierung. Netz
werke können somit als Antwort auf d ie wirtschaftliche Ausgangssitua
tion verstanden werden, die in Folge der immer schnelleren und zum Teil
disruptiven Entwicklungen und Innovationen von wachsender Unsicher
heit und großen Risiken geprägt ist. Die Erzielung einer kritischen Mas
se und die Vernetzungsfahigkeit der eigenen USPs sind zwei Kernerfolgs
faktoren, die sich wechselseitig bedingen. Netzwerke sind dabei "Kriti
sche-Masse-Systeme". Wird eine kritische Masse an Benutzern erreicht,
der sog. Scheidepunkt der Diffusionsentwicklung. dann setzt sich ein
Produkt am Markt durch. Ein typisches Beispiel dafür sind z. B. Google
oder WhatsApp. Dieser "The-Winner-takes-it-aii-Effekt" zeigt sich auch
bei Onlinehändlern oder Vergleichsportalen. Zusätzlich ist die Verbund
f<ih igkeit im Netzwerk von großer Bedeutung. Ein Produkt oder eine
Dienstleistung wird im Netzwerk umso wertvoller, wenn es mit denen
anderer Anbieter kompatibel ist- dies wird als Netzwerkexternalität be
zeichnet. Net;o;werke setzen positive externe Effekte frei:
Cross- lndustries -offene und geschlossene Netzwerke Ein Beispiel für ein offenes Netzwerk liefert der Daimler-Benz-Konzern.
der sich der Vision "Vom Automobilproduzent zum Mobilitätsprovider"
verschrieben hat. Seine Tochterfirma moovel zeigt in ihrer App, wie di-
Banken müssen sich gegen listige Angriffe von Drittanbietern rüsten.
gita le Mobilitätsbedürfnisse der Kunden in einem Netzwerk befriedigt
werden können. Hierin werden d ie Dienste von car2go, mytaxi, Flinks
ter, Deutsche Bahn, Nextbike, SSB/VVS und anderer Nahverkehrsall
bieter gebündelt. So können Reservierungen, Tickets und gespeicherte
Verbindungen in einer Übersicht verglichen und gespeichert werden.
Der User hat in einer App viele Mobilitätspartner zur Verfügung, die
er dort verwalten, buchen und bezahlen kann. Somit besetzt Daimler
Benz die Kundenschn ittstelle und erhält zahlreiche Daten der Kunden
- wenn es gelingt, d ie oben angesprochene kritische Masse zu erreichen.
Durch entsprechende Datenanalysen und Nutzung von Big Data kann
dies zu einer immer besseren Antizipation und Befriedigung der Kun
denhedürfnisse führen.
Netzwerk-Ökosysteme von Finanzdienstleistungen Während moovel ein Beispiel für ein offenes Netzwerk mit einem zen
tralen Netzwerkbelreiber ist, kann Apple als Beispiel eines geschlossen
digitalen Ökosystems gelten. Hier passt jede Komponente aus der App-
Je-Familie zur anderen. Für einen beitretenden Partner ist nur relevant,
dass sein Angebot mit dem zentralen Netzwerkpartner kompatibel ist.
In den kommenden Jahren werden auch in der Finanzindustrie solche
Netzwerke verstärkt entstehen, und die Marktanteile werden sukzessive
komplett neu verteilt werden.
Die Entwicklung der Netzwerkfähigkeit von Finanzdienstleistern
ist daher der strategische Imperativ. Sie kann in drei Phasen unterteilt
werden: In der ersten Phase kann ein klassischer Anbieter seine bishe
rige Wertschöpfungskette konsequent unter der Prämisse der Kern
kompetenzen analysieren und sich auf Kundenschnittstelle, Produktion
oder Abwicklung konzentrieren oder durch Kooperationen mit ande
ren Banken Effizienzfortschritte entwickeln. Durch den Einsatz moderner Technologien wird eine Mitgliedschaft in solchen Netzwerken mög
lich; durch ein gutes Image können viele Partner angezogen werden,
was zur Realisierung von Skalen- und Verbundeffekten führt. Notwen
dige Kernkompetenzen sind der Technologieeinsatz und d ie Imagepfle
ge gegenüber den Netzwerkpartnern.
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DIGITALI SIERUNG
1 I Der Komplettabwickler als Produktentwickler, Bereitsteller sowie als Transaktionsabwickler
Ouelle: Auge·Orckhul. s. Koye. B. et al. (2014), Chenl Value Generallon. S 108
Der Endktmdenvertrieb wird durch den fokalen Netzwerkpartner an
der Kundenschnittstelle, der Vertriebsbank, wahrgenommen. Dieser ver
fügt über effizientes Beratungs-Know-how und über hohe Markenrepu
tation. Der Produktspezialist fokussiert sich auf die Produktentwicklung
und -herstellung und profiliert sich durch Unabhängigkeit und Streben
nach der Best-in-Class-Positionierung seines Produkts.
Die Netzwerkfähigkeit der Produkte ist eine notwendige Vorausset
zung für diese Strategie. Der Transaktionsspezialist konzentriert sich auf
die Kostenführerschaft in der Abwicklung der Transaktionen. Dieses
Geschäftsmodell realisiert Skalen- und Verbundeffekte durch Übernah
me und Durchführung der entsprechenden Prozesskomponenten von
den auf die Kundenschnittstellen orientierten Vermögensverwaltern, die
im Pricing an die Kunden weitergegeben werden können. Der Komplett
abwicklerpositioniert sich als Produktentwickler und-bereitsteUer sowie
als Transaktionsabwickler. • 1
In der zweiten Phase werden die Branchengrenzen im Rahmen der
Spezialisierung immer weiter aufgeweicht, und es bilden sich neue
technologiegetriebene und kundenorientierte Ökosysteme. Diese bün
deln Angebote verschiedenster Unternehmen zu kundenorientierten
Lösungen.
Dies ist zunächst noch innerhalb der Bankbranche erfolgt. es zwei
gen sich aber erste Schritte hin zu einer Branchenöffnung. So haben im
Bereich des Bedürfnisses "Mobilität" die Automobilkonzerne eigene
Banken, um auch den Bereich Finanzierung integral abzudecken. Die
Kundenschnittstelle liegt dabei zukünftig nicht zwingend bei den Ban
ken, wie die Kooperation zwischen der Fidor-Bank und Telef6nica zeigt.
Die Kontoeröffnung und die Vertragsbeziehung erfolgen hier über den
Telekommunikationsanbieter, und die einzelnen Produktkomponenten
werden kombiniert. Als "Verzinsung" werden höhere Datenvolumina
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ermöglicht. Die Besetzung der Kundenschnittstelle wird also künftig mit
den unterschiedlichsten Partnern erfolgen können. • 2
In einer wahrscheinlichen dritten Phase der Entwicklung könnten
Kunden ih re Finanzbedürfnisse auch mit modernen Systemen wie Wat
son von IBM unter Zuhilfenahme von Spracherkennung besprechen
und lösen. Dabei sind diese AI (Artificial Intelligence)-Systeme vermut
lich künftig in der Lage, die modularen Elemente zur Realisierung der
Lösungen selbstständig zu identifizieren und auszuwählen.
Erfolgsfaktoren in digitalen Ökosystemen Digitale Ökosysteme oder Netzwerke sind eine notwendige Reaktion auf
die immer transparenteren Märkte, die höhere Verhandlungsmacht der
Kunden und die immer schnelleren Produktlebenszyklen. Das Zi.iricher
Modell bietet dabei einen Orientierungsrahmen für die Analyse der not
wendigen Transformation.
Netzwerkfähige Unternehmen zeichnen sich durch die folgenden Cha
rakteristika aus:
Eine stringente Kundenzentrierung mit einem für die Netzwerkpart
ner attraktiven USP ist entscheidend für das Überleben. Nur wer
langfristig d ie jeweiligen Kundenbedürfnisse am besten befriedigt
und dabei das notwendige lnnovationstempo aufrechterhalten kann,
wird überleben.
Strategisch und kulturell gilt es, sich in einer permanenten Dualität
von operativem Geschäftsgang und strategischer Anpassung an die
Entwicklungen bewegen zu können.
Resilienz und Agilität sind strukturell und kulturell entscheidende
Kernflih igkeiten für diese Transformation. Resiliente Unternehmen
können ihre Strukturen und Aktivitäten unter langfristigem Stress.
DIGITALI SI ERUNG
2 I Das Züricher-Modell als Orientierungsrahmen
Leitplanken
Trends
IST· Zustand
Duelle: Auge-Dicknul. S. Kove. B .. Client Value Generation- Digitale Gescnältsmodelle aus Kundensicht neu designen. Handelsblatt Journal. 2015.
hohem Veränderungsdruck und Unsicherheit in Richtung zukunfts
f.ihiger Geschäftsmodelle transformieren und disruptive Verände
rungen und Schocks so absorbieren.
Ihre Prozesse sind durch klare Verantwortlichkeilen und flexible
modulare Verzahnung gekennzeichnet. So wird Agilität möglich - die
Fähigkeit einer Organisation, flexibel, anpassungsfähig und initiativ zu
agieren. Kulturell sind Mitarbeitende und Führungskräfte von netz
werkfähigen Unternehmen in der Lage, über das eigene Bereichs- oder
Unternehmenssilo hinweg, verzahnt und schnell entlang der Wert
schöpfungskette im Gesamtzusammenhang zu denken und zu handeln.
Es gilt daher, die Instrumente zur Verzahnung zwischen den Mitarbei
tenden, wie interne Wissensplattformen und agile Projektarbeitstools,
nutzbar zu machen.
Marktfäh igkeit für Individuen und Organisationen hängt in immer
größerem Ausmaß von relevantem Know-how und persönlichen Wert
beiträgen ab. Nur Arbeitgeber, die vernetztes und eigenverantwortli
ches Arbeiten ermöglichen, bleiben attraktiv.
Daher wird die Innovationskompetenz zum zentralen Schlüsselfak
tor. Sie hat sich dabei von der technologiegetriebenenlnnovationskom
petenz, sozusagen der Version 1.0, über die kundenorientierte (Version
2.0) hin zu einer netzwerkbasierten Innovationskompetenz mit Part
nern (Version 3.0) entwickelt, wobei in der letztgenannten Variante ein
grenzüberschreitendes Zusammenspiel verschiedener Organisationen ohne zentrale Steuerung stattfindet. '
Bis heute waren Innovationen stets technologisch geprägt. Im digi
talen Zeitalter ist der Blick auf die Kundenbedürfnisse und die Ableitung der entscheidenden kleinen Unterschiede der zentrale Faktor, um den
Effekt der kritischen Masse an Usern zu erzielen. Methoden wie Design
Thinking und Customer Experience ermöglichen ein permanentes Mo-
nitoring der Entwicklung der Bedürfn isse. Sie stammen aus der Kon
sumgüterindustrie, die schon lange von extrem kurzen Zyklen geprägt
ist und in der daher d ie Fähigkeit zur unmittelbaren Reaktion auf ver
änderte Kundenbedürfnisse eine entscheidende Kernkompetenz war.
Die Kundenbedürfnisse werden aber teilweise erst - wie im Fall
einiger Apple-Produkte - durch d ie Enhvicklung d ieser Produkte ge
weckt. Nun gilt es, die Verbund-Lernfähigkeit aufzubauen- Koopera
tion und Austausch in den Netzwerken werden über das Überleben
entscheiden.
FAZIT
Das Zü richer·Modell ist ein Analysemodell, das die Kundenbe·
dürfnisse in den Mittelpu nkt der strategischen, struktur ellen und
kulturellen Analysen stellt und so einen Orien tier ungsrahmen für
die agile Veränderung der Geschäftsmodelle bietet. Netzwerkfä
higkeit wird dabei zum zentralen Er folgsfakto r in der dig italisier
ten Bankenweit Die Entwicklung zukunftsfähiger USPs geht dabei
stringent vom Kunden aus. Die Planung erfolgt nicht langfristig,
sondern ist ein permanenter lterationsprozess. Die Strukturen sind
agil und netzwerkfä hig, Führung und Koope ration geschehen durch
Verzahnung von Sichtweisen und Argumenten sowohl innerhalb der
Banken als auch vermehrt im Rahmen von digitalen Ökosystemen.
Autoren: Prof. Dr. Bernhard Koye ist lnstitutsleiter, Prof. Dr. Stefante
Auge-Dickhut 1st Forschungsleiterin am Schweizerischen Institut für
Finanzausbildung (SIF), Ka la1dos Fachhochschule, Zürich.
1 Vgl. .. Muss das sein?", Zillner & Kru scne. 2012. S. 29.
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