Versammlungsstätten sind gemäß demBauordnungsrecht 1) Gebäude der beson-deren Art und Nutzung im Geltungsbereichder Versammlungsstättenverordnung 2). Indie Nutzung eingreifende Vorkommnisse,beispielsweise Rauch im Veranstaltungs-saal, Bombendrohungen oder Stromaus-fall, erfordern, dass alle Anwesenden wieBesucher, Künstler und Beschäftigte inkurzer Zeit vom Ort des Geschehens ineinen sicheren Bereich zu leiten sind.
Die Stadthalle in Cottbus ist Mitte der 70er Jahre errichtet und von da an ohne größere sicherheitstechnische Er-neuerungen genutzt worden. 1994 fanddurch die zuständige Bauaufsichtsbehör-de erstmalig eine Begehung im Rahmender wiederkehrenden Prüfung statt. DieBehörde wie auch die sicherheitstechni-schen Anlagen prüfenden Sachverstän-digen stellten diverse Mängel fest. Im Ver-anstaltungssaal fehlte jegliche Rauch-und Wärmeableitung und die Wände waren mit einer brennbaren Verkleidungversehen worden. Auch der organisatori-sche Brandschutz wies Mängel auf. Etwazeitgleich attestierte „Stiftung Warentest 3)“in einer bundesweiten Untersuchung zum Thema „Konzerthallen im Panikfall“, neben vielen anderen auch der CottbuserVersammlungsstätte ein Mangelhaft.
All diese Probleme führten im Mai 1999zur Schließung der Stadthalle. Durch eineModernisierung sollte sie zu einem Ort für Großveranstaltungen verschiedensterGenres mit bis zu 2100 Personen umge-staltet werden. Die Sanierung war nur mitdem Ansatz „Personenrettung besitzt Vorrang gegenüber dem Sachschutz“durch Kompromisse in Verbindung mitÄquivalenzmaßnahmen zu den heute geltenden, aber nicht zu erfüllenden bau-rechtlichen Anforderungen möglich. Ei-nes der neuen Elemente im Sicherheits-system war eine Brandmeldeanlage mitRauchansaugsystem im Bühnenbereich.
Wie häufig bei Bauvorhaben traten auchbei der Sanierung der Cottbuser Stadt-halle objektspezifische Besonderheitenauf. So wurden einige der in der Ge-nehmigungsplanung getroffenen Annah-men durch die örtlichen Gegebenheitenwiderlegt. Es musste neu geplant werden.Der Zeitdruck – im Mai 2001 sollte die
Stadthalle ihren Betrieb wieder aufneh-men – erforderte letztendlich von allenBeteiligten eine konstruktive Zusammen-arbeit.
Weitere Bestandteile desSicherheitssystems wurden:
� das dynamische Fluchtwege-leitsystem, gekoppelt mit derelektroakustischen Alarmierung,um eine Personenevakuierungin Abhängigkeit vom Ort desSchadensereignisses steuernzu können;
� die Sprinklerung des in seinerBrandlast dezimierten Foyersmit dem Ziel, eine möglicheRauchentwicklung zu begren-zen.
Die untere Bauaufsichtsbehörde hatte dieNutzungsfreigabe der Stadthalle mit demnoch zu bringenden Nachweis,dass beieinem Schadensereignis die Personen-rettung mit hinreichender Wahrschein-lichkeit ohne Einschränkungen für Lebenund Gesundheit erfolgt, verbunden. Ge-wählt wurde eine Evakuierungsübung.
Für und Wider vonEvakuierungsübungen
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Der Wert der in einem Gebäude instal-lierten sicherheitstechnischen Anlagenließe sich real nur in einem Schadensfallerfassen. Dies wiederum ist nicht ermit-telbar, da solche Anlagen funktionsge-mäß ein Schadensereignis bereits beidessen Entstehung eindämmen.
Der Fehler Mensch in Verbindung mit derTechnik kann nicht ausgeschlossen wer-den. Schon allein die Nutzungsklientel in der Bandbreite von „im Umgang mit Sicherheitstechnik Vertrauten“ bis hin zu
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Evakuierungsübung in derStadthalle Cottbus
Problemstellung
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Stadthalle Cottbus – Erdgeschoss
N
Aufzug
seitlicher Ausgang
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Stadthalle Cottbus – 1. Obergeschoss
Vernebelung
Foyer
Aufzug
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0 20 40 60 80 100 Leistungs-fähigkeit (%)
Sauerstoffgehalt (%)
Normal
Klares Denken fällt schwer, Kurzatmigkeit
Kopfschmerzen, schnelle Ermüdung
Übelkeit, Erbrechen
Kollaps, Bewusstlosigkeit, Tod innerhalb 6-8 min
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„unbelasteten“ Kunstkonsumenten ist einwesentlicher Faktor. Die Frage, wannselbst häufige Veranstaltungsbesucher eine Saalräumung erlebt haben, erweistsich als gegenstandslos. Evakuierungs-übungen sind auch Grenzen hinsichtlichder Erkenntnisgewinnung gesetzt. Siesind, bedingt durch die jeweiligen ob-jektspezifischen Besonderheiten, nur be-grenzt auf andere Veranstaltungsstättenübertragbar. Stets gibt es mindestens zweikonkurrierende Interessenlagen, welchesich aber immer dem höherwertigenRechtsgut der Unversehrtheit des Einzel-nen unterordnen müssen.
Diese Fakten wie auch eine vom Gesetz-geber nicht vorgeschriebene Notwendig-keit von Evakuierungsübungen lassenderen praktische Durchführung meistscheitern. In Cottbus ist es gelungen, eine solche Übung am 19. August 2002durchzuführen.
Schadensszenario
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In den letzten Jahren sind den Brandsi-mulationsmodellen vertiefende Untersu-chungen gewidmet worden, wie Beiträgevon W. Klingsch und D. Mamrot und auchdie Braunschweiger Brandschutztage2003 4) zeigen. Die bisherigen Erkenntnis-se berechtigen zur Annahme, dass ge-genwärtig noch kein Modell eine umfas-
sende Risikoanalyse aller relevanten Teil-bereiche vorsieht. Hinreichend bekannt ist,dass bei einer Rauchentwicklung unverzüg-lich die Personenevakuierung beginnenmuss. Das oben gezeigte Diagramm5) be-legt, in welch kurzer Zeit eine Rauch-einwirkung und damit einhergehend der Sauerstoffmangel die menschliche Leis-tungsfähigkeit gegen null drängt.
Durch die Verantwortlichen der CottbuserÜbung wurde das Szenario sorgfältigstgewählt mit dem Wissen, dass nur einigeder wesentlichen Risikopotentiale erfasstund nachgestellt werden können. Mit derEvakuierungsübung sollte der Nachweiserbracht werden, dass mit Hilfe des dy-namischen Fluchtwegeleitsystems die Besucher bei einem Schadensereignis sicher ins Freie geleitet werden. Bewusstwar als Ereignis eine Rauchausbreitungim zweigeschossigen offenen Foyer ge-wählt worden.
Welche Hauptaufgaben galt es zubewältigen?
Das Lenken der PersonenströmeMit der Vernebelung des oberen Foyerswaren die dort aus dem Saal führendenvier Ausgänge sowie die beiden Türenzum erdgeschossigen Foyer als nichtnutzbar erklärt worden. Genau diesesechs Türen sind die Eingänge in denSaal. Bei einem Schadensereignis imFoyer dürfen die Besucher nicht vor-genannte, sondern nur die beiden hinte-ren seitlichen Ausgänge aus dem Saalnutzen. Veranstaltungsbedingt sind diese
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Ausgangstüren in den überwiegendenFällen durch den Hauptvorhang verdeckt.Somit muss dieser im Schadensfall angesteuert zurückgefahren und die Notausgänge nebst der Ausschilderung müssen freigegeben werden (vgl. Grund-riss Erd- und 1. Obergeschoss).
Die Evakuierung MobilitätsgeschädigterEine Forderung im Rahmen der Moderni-sierung der Stadthalle Cottbus war es, fürin ihrer Mobilität eingeschränkte Perso-nen Plätze im oberen Rang zu schaffen.
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Unter welchen Kriterien fand die Übung statt?
� Die Sprinkleranlage im Foyerwurde deaktiviert und der
Öffnungsmechanismus der
Rauchabzugsfenster blockiert.
� Bei der Vorbereitung der Übungwurde Diskretion gewahrt. Das
galt gegenüber den Einsatz-
kräften der Feuerwehr und den
Lehrern. Letztere wurden vor
Veranstaltungsbeginn schriftlich
zu ihren besonderen Aufgaben
instruiert.
Abb. 1: Nebel(-Maschinen) im oberen Foyer
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Zur Durchführung der Übung
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Es war schwierig, geeignete Probandenzu akquirieren. Im Schulleiter eines Gymnasiums fand sich ein „Verbündeter“und die Schuljahreröffnungsveranstaltung2002/2003 wurde mit ca. 800 Schülern imAlter zwischen 13 und 20 Jahren ein-schließlich 4 Rollstuhlfahrern in der Stadt-halle durchgeführt.
Das die Übung vorbereitende Team for-mierte sich aus dem Projektsteuerer undObjektplaner, der Sachverständigen fürBrandschutz, der Berufsfeuerwehr Cott-bus, dem Betreiber der Halle, dem Schul-leiter, weiteren Vertretern mit Sachkundeund der unteren Bauaufsichtsbehörde.
Erarbeitet wurde ein Evakuierungskon-zept. Ein schriftlich fixierter Handlungsab-lauf mit konkreten personenbezogenenAufgaben und Verantwortlichkeiten lagzum Termin vor. Darin war u.a. geregelt,wer löst wann die Brandmeldeanlage auswie auch solche organisatorischen Maß-nahmen, dass in der Klassenstufe 7 dreiLehrer und in den höheren Schulklassenjeweils zwei verantwortliche Lehrer proKlasse tätig sind. Zudem waren die Krite-rien für den sofortigen Abbruch der Übungfestgelegt. Auch versicherungstechnischeFragen galt es im Vorfeld zu klären. DasVorbereitungsteam hielt während derÜbung über Handy Kontakt.
Nachfolgend Auszüge aus dem Zeit-protokoll der Übung, wobei der Beginnum 7:45 Uhr als (t = x + 0 min) definiertwurde.
x + 0 minEinlass der Schüler in den Saal
x + 18 minEinlass beendet =Veranstaltungsbeginn (Abb. 2)
x + 20 minStart der Vernebelung im oberen Foyer (Abb. 1)
x + 33 minEinsatzleiter der Feuerwehr er-läutert den Schülern die Übung
x + 36 minAlarmierung der Feuerwehr, Aktivierung der elektroakustischenGebäudealarmierung
x + 39 minErste Schüler auf dem Stellplatz
x + 41 minAlle Schüler auf dem Stellplatz, bis auf die 4 im Saal verbliebenenRollstuhlfahrer (Abb. 3)
x + 44 minFeuerwehr vor Ort
x + 55 min4 Rollstuhlfahrer haben die Halleverlassen
x + 70 minDie Übung wird für beendet erklärt(Abb. 4)
Abb. 2:Blick in den Saal
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>1) §55 der zum damaligen Zeitpunkt gültigen Brandenburgischen Bauordnung (BbgBO) vom 18. Dezember 1997 entspricht in der aktuellen Bbg BO vom 1. September 2003 §44.
2) Wegen der im Jahr 2000 noch fehlenden Brandenburgischen Versammlungsstättenverordnung orientierte man sich an derMusterverordnung über den Bau und Betrieb von Versammlungsstätten (Fassung Entwurf: September 2000).
Die Evakuierungsübung war ein Erfolg.Dem Hauptanliegen wurde in vollem Umfang entsprochen. Das dynamischeFluchtwegeleitsystem hat sich bewährt. Gewonnen wurden Erkenntnisse für das Sicherheitsmanagement. Rein konstruktivbetrachtet, wären in einem Schadensfall„Foyer“ die Rollstuhlfahrer im Saal nach 20min keiner unmittelbaren Gefahr ausge-setzt gewesen, da die trennende Wand zwi-schen Foyer und Saal annähernd feuerbe-ständig saniert worden war. Doch ihr „län-gerer“ Verbleib im Saal, verbunden mit demsich wiederholenden Ansagetext, stellte eine enorme psychologische Belastung dar. Die beiden Brandsicherheitswachen, deren eine Aufgabe es war, die Rollstuhlfahrer zu beruhigen, mussten andererseits diewuchtigen doppelflügeligen, feuerhem-menden und rauchdichten Ausgangstürenoffen halten, da ein Arretieren dieser Türenfunktionsbedingt ausgeschlossen ist.
Zu den weiteren Schwachstellen, die imNachgang kritisch hinterfragt wurden,zählten beispielsweise:
� Von den Schülern wurden die Akustikder elektrischen Lautsprecheransageund die geringe Größe der Rettungs-wegpiktogramme bemängelt.
� Für die Einsatzkräfte der Berufsfeuer-wehr Cottbus kam erschwerend hinzu,dass deren Funktechnik aufgrund dermassiven Gebäudekonstruktion ver-sagte.
� Bei der Auswertung wurden Dokumen-tationsmängel festgestellt. Mehrere Personen hätten spezielle Standort-geschehnisse protokollieren sollen. Somit fehlen Daten.
� Und es gab Schaulustige, die nicht nurim Außenbereich die hinausströmendenPersonen blockierten, sondern auch vereinzelt versuchten, in die Halle zugelangen.
Ergebnisse und Resümee
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Abb. 3:Im Saal verbliebene
Rollstuhlfahrer
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Bei der Abwägung von Aufwand undNutzen der Evakuierungsübung galt es,Kompromisse einzugehen. Von diesensind insbesondere zu erwähnen:
� Die in der Übung agierenden einge-weihten Probanden stellten sowohlpsychisch als auch physisch eineideale, aber eher untypische Klienteldar.
� Die Übung wurde morgens durchge-führt. Alle Beteiligten befanden sich ineiner optimalen Leistungsphase.
� Der Veranstaltungssaal war nur zu guteinem Drittel gefüllt.
Mit dem simulierten Schadensfall wurdeder Nachweis angetreten, dass Evaku-ierungsübungen sinnvoll sind und fun-dierte, auf den Einzelfall bezogene Er-
kenntnisse liefern können. Es ist wün-schenswert, Durchführungsprozedere alsauch Ergebnisse in ein Spektrum einzu-bringen, um verallgemeinernde Schlüssefür die Praxis ziehen zu können. Die Au-toren erhoffen sich Anfragen sowie kons-truktive Kommentare und bedanken sichfür die Unterstützung beim Ludwig-Leich-hardt-Gymnasium, dem ProjektsteuererPROMA Berlin, der CMT Cottbus Con-gress, Messe & Touristik GmbH und demLehrstuhl Altlasten der Brandenburgi-schen Technischen Universität.
Prof. Dr.-Ing. Wolfgang Spyra,Brandenburgische Technische Universität,
Lehrstuhl Altlasten
Dipl.-Ing. (TU) Simone Meyer,Stadtverwaltung Cottbus, Untere
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3) Heft 5 /1994, S. 502-506.
4) IBMB, TU Braunschweig: Heft 168, 2003.
5) Mamrot, D.: Zur Komplexität des Verlaufs von Bränden in Bauwerken – Sensitivitätsanalyse, Bergische Universität Wuppertal, S. 106.
Abb. 4:Außenansicht nachAbschluss der Übung
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