Geht es Ihnen auch so? Im Streit entwickelt man manchmal den größten Respekt füreinander. Wenn es in einer Diskussion richtig zur Sache geht, lernt man Menschen besser kennen als in wohl gefühligem Konsens. Erst in der Auseinandersetzung kann sich diese Anerkennung entwickeln, die sich über Sympathie und Anti pathie erhebt. Die-ses Gefühl, das einem nach einem ver-balen Donnerwetter sagt: „Mein Ge-genüber meint es ernst mit seiner Sache. Ist zwar ein schräger Typ, legt sich mit mir aber nicht an, um sich zu profilieren. Es geht ihm um etwas.“ So habe ich es mit Michael Bürsch er-lebt. Wir lagen manches Mal über Kreuz. Nicht trotzdem, sondern gerade des-halb wird er mir fehlen. Michael Bürsch starb am 9. Dezember. Ich glaube, man kann ihn als Erfinder der Engagement-politik in Deutschland bezeichnen. Als Bundestagsabgeordneter leitete er die Enquete-Kommission „Zukunft des Bürgerschaftlichen Engagements“, ohne die es heute weder ein Bundes-netzwerk Bürgerschaftliches Engage-ment noch einen ständigen Unterausschuss zu diesem Thema im Bundestag gäbe. Kurz: Der Mann hatte sein Lebensthema.
Dass Bürgerengagement über karitati-ves Helfen hinaus geht, dass es immer auch eine Form des politischen Mitge-staltens ist, das ist noch längst nicht
in allen Politikerköpfen angekommen. Engagierte Bürger und Organisationen erleben das täglich und nicht selten leidvoll. Aber zumindest steht das Prinzip des Engagements als selbstbe-wusster Gestaltungsanspruch heute auf der Agenda. Die Diskussion hat Fahrt aufgenommen. Und das hat ziem-lich viel mit Michael Bürschs Wirken zu tun. Der Weltuntergang wird heute nicht stattfinden. In ein paar Tagen ist Weih-nachten. Das Enter-Team dankt Ihnen, liebe Leser, für die wachsende Auf-merksamkeit. Im neuen Jahr werfen wir weiter den Enterhaken für Sie aus. Bis dahin: Feiern Sie schön.
Uwe Amrhein ist Herausgeber von Enter.
DERENGAGEMENTPOLITIKPIONIER
http://www.youtube.com/watch?v=zzZ4TaHA2g8
1
Editorial
Heute soll die Welt untergehen – Enter schickt ein letztes Aufgebot in die Schlacht. Wenn sie die Welt nicht retten können – wer dann?
Müssen nur noch kurz die Welt retten
Team: Weltretter
XX
XX
XX
XX
XX
XX
XX
X
Foto
: Im
ago
Nancy Lublin DoSomething.org,
New York. Macht ihr Non-profit durch eine konsequente Fehlerkultur jeden Tag besser
Wir erinnern uns: Auf dem Höhepunkt der Proteste gegen den ägyptischen Diktator Mubarak wurde der Zugang zum Internet überwacht und sogar komplett blockiert, um die Opposition auszubremsen. Stephan Urbach und andere Mitglieder des Hacker-Kollek-tivs „Telecomix“ gelang es, eine paral-lele Infrastruktur aufzubauen. Es ermöglichte den ägyptischen Aktivisten so, weiter online zu mobilisieren. Sie recherchierten Faxnummern von Hotels, Bibliotheken und Unternehmen und verschickten Anleitungen, wie man jenseits der kontrollierten Tele-kommunikationskanäle ins Netz kam. Ähnliche Aktionen fanden in Libyen und Syrien statt.
http://stephanurbach.de
DoSomething.org aus New York gehört zu den größten Non-profits in den USA, die Projekte für Teenager initiie-ren und diese aktiv mit einbinden. Die Chefin, Nancy Lublin, gehört zu den ersten NPO-Managern, die erkannt haben, dass man aus Fehlern mindestens ebenso viel lernen kann wie aus Erfolgen. Sie führte ein „Fai-lure Fest“ ein, bei denen Mitarbeiter regelmäßig von Fehlschlägen berich-ten und gemeinsam erarbeiten, welche Lerneffekte sich aus ihnen ergeben. Ein Konzept, das funktioniert, innova-tive Qualitätsstandards setzt und die Organisation stärkt. Was Führungs-kräfte wie Lublin begannen, ist inzwi-schen ein weltweiter Trend.
www.dosomething.org
4
Team: Weltretter
Hacker bei Telecomix, Berlin. Richtet(e) der Opposition in Syrien, Ägypten, Libyen Internetzugänge ein
Stephan Urbach
Max Schrems
Europe vs. Facebook, Wien. Macht vor, wie ein Student einen Welt-konzern in die Pflicht nehmen kann Tulio
Cardozo6 Jahre Knasterfahrung, Jungunternehmer, San Francisco. Baut ein XING für Ex-Knastis und bringt sie in Jobs
Gerade einmal 25 Jahre ist der Wiener Jurastudent alt, doch er hat bereits einem Konzern wie Facebook das Fürchten gelehrt. Zuerst hat er durch-gesetzt, dass Facebook alle Inhalte, die Schrems betreffen und gespei-chert sind, herausgab – ein Konvolut von 1.200 Seiten. Viel wichtiger: Schrems und seine Kampagne „Europa vs. Facebook“ haben erreicht, dass beim Schutz von Nutzerdaten kräftig nachgebessert wurde. Weil Facebook aber noch immer weit von europäischen Datenschutzstandards entfernt ist, wird derzeit eine Klage vorbereitet und dafür Geld gesammelt. 100.000 - 300.000 Euro sollen nun per Crowdfunding zusammenkommen.
www.crowd4privacy.org
Nach langer Haft haben die meisten Häftlinge Schwierigkeiten, sich zurechtzufinden und neu zu starten. Tulio Cardozo verbrachte selbst sechs Jahre im Gefängnis, konnte aber an einem Programm teilnehmen, das Gefangene mit Betriebswirtschaft und neuen Medien vertraut macht und mit Arbeitgeber zusammenbringt. Wieder in Freiheit, startete er die Plattform „Collaborative Benefit“, die anderen Gefangenen und Freigelassenen eben-falls die Möglichkeit geben soll, mit unvoreingenommenen Arbeitgebern in Kontakt zu kommen. Die Jobsu-chenden stellen ein Profil ein, nennen ihre Qualifikationen und Fähigkeiten und kommen ins Gespräch mit Unternehmen. http://beta.collaborativebenefit.org
5
Team: Weltretter
Foto
s (v
.l.n.
r): I
mag
o /
Futu
re Im
age,
CC
BY
2.0
/ Jo
i Ito
/ F
lickr
, AFP
/Get
ty Im
ages
, CC
BY-
NC
-ND
2. /
0 TE
DxS
anD
iego
/ F
lickr
Anja Riise
Eim Sarin
Radi-Aid, OsloFührt mit einem genial-viralen Video die Mitleidslyrik von Spendenorga-nisationen vor
Unternehmerin, Slab Ta Oan, KambodschaBaut mit einem Mikro-kredit ihr Restaurant aus und finanziert so die Bildung ihrer Kinder
Es war einer der großen viralen Hits des Jahres 2012: der Radi-Aid-Clip, den Anja Riise und ihre Kollegen vom Inter-nationalen Norwegischen Studenten- und Akademiker Hilfsfonds (fördert Bildungsprojekte in Afrika) produziert haben. In dem Video „Africa for Nor-way“ sammeln Afrikaner Radiatoren für frierende Norweger. Diverse Künst-ler nehmen dazu noch einen Charity-Song auf. Der Clip dreht das übliche Mitleidsszenario um, räumte mit Kli-schees auf und fordert Respekt bei der Berichterstattung über andere Länder ein. Auf Youtube wurde der Film fast zwei Millionen Mal angesehen.
www.africafornorway.no
Eim Sarin ist 36 Jahre als und hat vier Kinder. Ihr Mann besitzt ein Motorrad-Taxi und verdient auf diese Weise 5 Dollar am Tag. Sarin selbst betreibt ein kleines Restaurant, in dem sie chinesi-sche Nudeln anbietet. Zusammen mit 15 anderen Dorfbewohnern hat sie über die Mikrokredit-Plattform Kiva einen Kredit von 2.325 Dollar erhalten. Von ihrem Anteil konnte sie Fleisch und andere Lebensmittel kaufen, um ihren Restaurantbetrieb auszubauen und so den Unterhalt für ihre Familie zu sichern. Der Kredit ist inzwischen komplett zurückgezahlt. Eim Sarin ist eine von Millionen Unternehmerinnen, die für Wohlstand im Kleinen sorgen.
www.kiva.org/lend/62926
6
Team: Weltretter
Michelle Byrd
Soziale Wirkung durch digitale Spiele potenzieren – das ist die Mission von Games for Change, dessen Co-Präsi-dentin Michelle Byrd ist. Sie heißen Zamzee, Ludwig, Phone Story, Fibber oder Superbetter – so genannte Social Games, die eines gemeinsam haben: Beim Daddeln lernt man etwas, spen-det für den Spaß oder lässt dies einen Sponsor tun. Fibber beispielsweise ist ein Ratespiel zu den US-Präsident-schaftswahlen. Sagt der Kandidat die Wahrheit oder lügt er? Das Spiel soll zum selbstständigen Überprüfen von Äußerungen anleiten und eine kriti-sche Perspektive vermitteln.
www.gamesforchange.org
Co-President Games for Change, New York. Weiß, wie der menschliche Spieltrieb soziale Inno-vationen pushen kann
Team Cipher
App-Entwickler, UgandaRetten mit ihrer Smart-phone-App für Hebam-men täglich Leben
David Musinguzi, Aaron Tushabe, Jos-hua Okello, Josiah Kavuma und Joseph Kaizzi arbeiten als App-Entwickler in Afrika. Sie haben sich einem der drän-gendsten Probleme des Landes ange-nommen: der hohen Sterblichkeit von Un-/Neugeborenen und deren Müt-tern. Sie entwickelten eine Smart-phone-App für Hebammen und eine dazugehöriges Hörrohr, das an das Gerät angeschlossen wird. Die App hilft dabei, Risikoschwangerschaften zu entdecken, die Lagerung des Kin-des und dessen Bewegungen zu über-wachen. So können frühzeitig thera-peutische Maßnahmen eingeleitet werden. Die App arbeitet schneller und effektiver als andere diagnostische Maßnahmen und kann überall einge-setzt werden. Die fünf Erfinder studie-ren noch, haben aber schon jetzt Applaus von der internationalen Ent-wicklerszene erhalten.
www.microsoft.com/en-us/news/ features/2012/dec12/12-04Imagine-CupGrants.aspx
7 Foto
s (v
.l.n.
r): S
AIH
, Kiv
a.or
g, Im
ago/
Hor
st G
alus
chka
, Mic
roso
ft
8
Team: Weltretter
Co-Gründer, Carreer Moves, SalzburgVermittelt Menschen mit Behinderung online Jobs
Gregor Demblin
Gregor Demblin ist seit einem Unfall querschnittsgelähmt und kennt die Vorurteile bestens, denen sich Men-schen mit Behinderung ausgesetzt sehen. Am Anfang seiner Jobinitiative Career Moves stand eine einfache Erkenntnis: Die meisten Menschen erfahren Dinge wie finanzielle Unab-hängigkeit, Selbstverwirklichung, Bestätigung und soziale Beziehungen durch ihre Arbeit. Es sind Erfahrungen, die arbeitslosen Menschen mit Behin-derung verwehrt sind. Die Jobplatt-form macht deren Qualifikationen und Talente sichtbar und erleichtert die Vermittlung an Arbeitgeber.
www.careermoves.at
Sprecher Initiative „Zossen zeigt Gesicht“. Übt den aufrechten Gang, dort wo Neonazis auf dem Vormarsch sind
Jörg Wanke
Die Gründung der Bürgerinitiative „Zossen zeigt Gesicht“ war ein muti-ger Schritt. Bewohner der Stadt süd-lich von Berlin taten sich zusammen, um gegen die immer massiver auftre-tenden Rechtsradikalen in der Region zu mobilisieren. Die Mitglieder der Ini-tiative sind immer wieder Anfeindun-gen ausgesetzt: Der Treffpunkt der Ini-tiative wurde beschmiert, das von ihr gegründete „Haus der Demokratie“ angezündet. Zuletzt wurde im Dezem-ber 2012 das Privathaus ihres Spre-chers, Jörg Wanke, angegriffen. Für Wanke ist es ein weiterer Einschüchte-rungsversuch, der ins Leere läuft. Er ist fest entschlossen, seine Arbeit für eine tolerante und vielfältige Stadt Zossen fortzusetzen.
http://zossen.initiativenserver.de
Foto
s (v
.l.n.
r): C
C B
Y-N
C 2
.0 /
Car
eesm
a G
roup
/ F
lickr
, im
ago/
PO
N
Jetzt auch als AppMit zusätzlichen Videos und Audio-Interviews
Holen Sie sich die Enter-App gratis für: iPad, iPhone und Android
9Foto
s (v
.l.n.
r): C
C B
Y-N
C 2
.0 /
Car
eesm
a G
roup
/ F
lickr
, im
ago/
PO
N
150 Projektmacher, Stiftungsmitarbeiter und Interessierte trafen sich am 17. November 2012 im Berliner Social Impact Lab. Beim openTransfer CAMP legten die Teilnehmer die Tagesordnung selbst fest. In 25 Sessions ging es um Wege zur richtigen Transferstrategie, digitale Skalierung, Wissenstransfer, Ideenklau oder Projekttransfer durch Bürgerstiftungen.http://opentransfer.de/
Fotos: Holger Gross
10
RückblickopenTransfer CAMP
150 Projektmacher, Stiftungsmitarbeiter und Interessierte trafen sich am 17. November 2012 im Berliner Social Impact Lab. Beim openTransfer CAMP legten die Teilnehmer die Tagesordnung selbst fest. In 25 Sessions ging es um Wege zur richtigen Transferstrategie, digitale Skalierung, Wissenstransfer, Ideenklau oder Projekttransfer durch Bürgerstiftungen.http://opentransfer.de/
11
openTransfer CAMPRückblick
Barcamp heißt: Es gibt keinen Vortragenden und keine Zuhörer – alle sind Teilnehmer
openTransfer CAMP
Barcamp heißt: Es gibt keinen Vortragenden und keine Zuhörer – alle sind Teilnehmer
17
openTransfer CAMPRückblick
Joana Breidenbach #betterplacelab #trendreport bei ihrem Input zur digitalen Skalierung
openTransfer CAMPRückblick
Kein Frontalunterricht – die Sessions geben Raum für Diskussion und Vernetzung
20
RückblickopenTransfer CAMP
Wie muss eine Förderpolitik aussehen, die Projekt-transfer ermöglicht, statt ihn zu behindern? Uwe Amrhein #generali #buergermut #weltbeweger diskutiert mit den Camp-Teilnehmern
openTransfer CAMP
Fullhouse: Das Social Impact Lab in Kreuzberg platzte aus allen Nähten. Das nächste openTrensfer CAMP in München ist bereits in Planung
openTransfer CAMPRückblick
Enter wünscht allen Projektmachern,
Mutbürgern, Engagierten, Innovato-
ren, Ideengebern und Kümmerern –
also unseren Lesern – ein wunder-
schönes Weihnachtsfest. Kommen
Sie gut ins Neue Jahr, lassen Sie es
uns wissen, wenn es bei Ihnen Neu-
igkeiten gibt und bleiben Sie uns treu!
Ihre Enter-Redaktion
IMPRESSUM Herausgeber: Uwe AmrheinRedaktion: Henrik FlorGestaltung: Simone Schubert, www.derzweiteblick.org
Propststraße 110178 BerlinTelefon +49 / 30 - 30 88 16 66Telefax +49 / 30 - 30 88 16 70
Enter erscheint in Kooperation mit der Stiftung Bürgermutund dem Engagement-Netzwerk www.weltbeweger.de.
www.entermagazin.deDiE näChsTE AusgAbE ERsChEinT
AM 14.2.2013