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Stadtwerke im Sog der Digitalisierung
Traditionelles Geschäft unter Druck – neue Chancen erkennen
08. Februar 2017
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Energieversorger unter Druck
Energieversorger in Deutschland stehen unter immensem Druck. Nach Jahrzehnten eines geregelten
und standardisierten Geschäftsmodells - dem Absatz von Kilowattstunden - kommt seit geraumer
Zeit aggressiver Wettbewerb, Dynamik und Agilität in den Energiemarkt. Diese Entwicklung setzt
traditionell und hierarchisch geführte Unternehmen zunehmend unter Druck.
Die Erwartungshaltung der Kunden an ihren Versorger und die Möglichkeiten der unmittelbaren
Kommunikation sind gestiegen. Heute wird von Energieversorgern mehr abverlangt, als lediglich die
zuverlässige Lieferung von Energie. Im Wesentlichen gibt es drei Entwicklungen, die große
Auswirkungen auf die Energiebranche haben:
1. Disruptive Start-ups & aggressiver Wettbewerb
2. Verändertes Kundenverhalten
3. Technische Entwicklung
Disruptive Start-ups & aggressiver Wettbewerb
Der Markteintritt neuer und agiler Player sorgt für Unruhe im Markt. In der Finanzbranche hat das
Beispiel bereits Schule gemacht: junge Start-up Unternehmen picken sich die Rosinen aus der
Wertschöpfungskette und entwickeln dafür innovative und digitale Angebote. Vermehrt rollen Start-
ups nun auch den etwas trägeren Energiemarkt auf.
Hierbei stehen die Trends der erneuerbaren Energie, der Vernetzung des Zuhauses / Smart-Home,
sowie die Elektromobilität im besonderen Fokus vieler Jungunternehmer. Zudem bauen viele
Anbieter auf die sich entwickelnde Eigendynamik von Communities und Peer-2-Peer Netzwerken, in
denen reger Austausch zu Energiethemen stattfindet. Auch wenn die Schlagkraft der Start-ups noch
vergleichsweise gering ist, so haben doch einzelne Ansätze durchaus das Potential, den Energiemarkt
grundlegend zu verändern.
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Verändertes Kundenverhalten
Kunden sind deutlich selbstbestimmter und wechselfreudiger bei der Auswahl des
Energiedienstleisters, als dies noch vor einigen Jahren der Fall war. Die Möglichkeit Produkte
innerhalb von Minuten zu vergleichen und ohne Zeitverzug abzuschließen, ist inzwischen vorhanden.
Hinzu kommen die standardisierten Abläufe im Belieferungsmanagement, welche den Wechsel für
den Kunden immer reibungsloser ablaufen lassen.
Früher war es vollkommen normal seinem Stromanbieter über Jahre die Treue zu halten. Die
Überprüfung und der Vergleich des Stromlieferanten gehört allerdings bei immer mehr Kunden zu
den jährlichen Verwaltungsaufgaben. Um dieser Entwicklung zu begegnen, wird es für Stadtwerke
nicht ausreichen und auch nicht möglich sein, mit national tätigen Direktanbietern lediglich über den
Preis zu konkurrieren. Stattdessen müssen alternative Wege gefunden werden, um die Kunden an
ihren regionalen Anbieter zu binden.
Künftig wird der Kunde seine Dienstleister mit Bedacht und Sorgfalt auswählen, um seine
individuellen Bedürfnisse „rund um sein zu Hause“ abzudecken. Energieerzeuger müssen sich die
Frage stellen, in welchen Bereichen und über welche Produkte sie ihre Kunden als Partner
unterstützen und begleiten können.
Technische Entwicklung
Die Weiterentwicklung der Technik betrifft den Kunden natürlich nicht nur unmittelbar durch die
Möglichkeiten des Internets, sondern auch mittelbar durch das Aufkommen erneuerbarer Energien
und den damit einhergehenden Potenzialen zu dezentraler Erzeugung und Vernetzung.
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Für Immobilienbesitzer gibt es schon seit vielen Jahren die Möglichkeit, Energie im Eigenheim zu
erzeugen. Besonders der hohe Grad der Subventionierung der vergangenen 15 Jahre hat diese
Möglichkeiten noch befeuert. Auch wenn heute die Subventionierung nicht mehr der Hauptgrund für
eine heimische Aufrüstung ist, bieten die aktuell marktreif und massentauglich werdenden
Speicherkonzepte große Vorteile für den Kunden. Das dezentrale Speichern des Stroms und das
Verteilen der nicht genutzten Eigenenergie über spezielle Communities wachsen ständig.
Amerikanische Vorbilder zeigen bereits auf wo die Reise in den nächsten Jahren hingehen wird. So
geht der Trend hin zu unabhängigen Versorgungsportalen, in welchen die Mitglieder über virtuelle
Kraftwerke vernetzt werden. Bei genug Teilnehmern können diese, sich in ihrem
Verbrauchsverhalten ergänzend, vollkommen unabhängig von klassischen Versorgern werden.
Auch die zunehmende Entwicklung der Smart-Home Technologien und deren Verbreitung verändern
das Verhältnis der Kunden zum eigenen Energieverbrauch. Im Zuge der Selbstoptimierung und dem
nachhaltigen Umgang mit Energie leistet diese Technologie einen echten Mehrwert für einige
Kundensegmente. In den letzten 24 Monaten sind diverse große Hersteller, aber auch kleinere
Unternehmen anhand entsprechender Lizenzen, mit solchen Produkten auf den Markt gegangen.
Zudem befinden sich auch die Ökosysteme der großen IT-Konzerne (Apple, Google) noch in der
Entwicklung. Sobald diese Produkte flächendeckend im deutschen Breitenmarkt ankommen, wird die
Durchdringung der Smart-Home Produkte nochmals kräftig steigen.
Strategische Ansatzpunkte für Energieversorger
Es gibt zahlreiche Möglichkeiten, um den Veränderungen der Energiebranche zu begegnen.
Erfolgskritisch für Stadtwerke ist es, eine für das eigene Geschäftsmodell und Kundenklientel
passende Strategie zu finden und sich auf wenige aber erfolgreiche Stellhebel zu fokussieren.
Möglichkeiten des Digitalen Vertriebs
Als traditionelle Versorger am Ort operieren viele lokale oder regionale Energieversorger im Vertrieb
noch nicht auf Augenhöhe mit Direktanbietern – zumindest was den Umgang mit modernen Werbe-
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und Verkaufsformen im Internet angeht. Da die überwiegende Mehrzahl der Kaufentscheidungen im
Internet vorbereitet wird, ist digitaler Vertrieb ein Muss.
Dies bedeutet: Der eigene Webauftritt inklusive einer klaren Positionierung, Entwicklung
(Multikanalfähigkeit) und Ausrichtung der eigenen Webseite sowie insbesondere die angebotenen
Inhalte sind von essentieller Bedeutung. Nur wenn man diese nach den gängigen Vorstellungen der
großen Suchmaschinen-Anbieter auslegt (SEO), kann ausreichend Traffic von abschlusswilligen
Kunden auf die eigene Seite gelenkt werden.
Darüber hinaus ist die Generierung von
bezahltem Traffic über Suchmaschinen-werbung
(SEA), Vergleichsportale, Affiliate-
Partnerschaften und zunehmend auch über
Social Advertising ein relevanter Weg zu neuen
Kunden. Voraussetzung ist eine saubere
Steuerung und ein eigenes Performance-
Marketing. Dies bedeutet zwangsweise eine
Umverteilung von klassischer Werbung zu
digitalem Marketing. Großer Vorteil der neuen
Werbeformate ist die genaue Überprüfbarkeit hinsichtlich des Abschlusserfolgs.
An dem professionellen Aufbau einer digitalen Vertriebsstrategie führt kein Weg vorbei, wenn
weiterhin auch relevante Mengen an Neukunden generiert und Kunden gebunden werden sollen.
Der Omni-Channel Kundenservice
Front-Runner wie Apple, Amazon und ebay aber auch Branchen wie Telekommunikationsanbieter
und Banken optimieren ihre digitalen Kanäle schon seit langem. Dies hat zu einem Umdenken im
Kundenservice geführt. Kunden erwarten auch von Ihrem Energiedienstleister auf allen Kanälen,
Offline im Kundencenter, Online über Web, App,
Soziale Netzwerke, Chat und Telefon gute
Erreichbarkeit und ein konsistentes und
ansprechendes Serviceerlebnis. Alle Kanäle effektiv
zu bespielen und zu steuern, ist zwingend.
Um die Kundenerwartungen zu befriedigen, müssen
Massenprozesse (z.B. Zählerstandsmel-dungen,
Umzüge, Tarifwechsel) fallabschließend, schnell und
digital über alle Endgeräte erledigt werden können.
Ergänzend benötigen Kunden aber jederzeit einen einfachen Zugang zu persönlicher Beratung.
Formate wie Chat und Video ergänzen zunehmend das klassische Angebot der Kontaktpunkte. Und
kommt es zum persönlichen Kontakt ist das Selbstverständnis des Mitarbeiters von enormer
Bedeutung: waren früher Sachbearbeiter ausreichend, die die Aufträge der Kunden „abarbeiteten“,
sind heute „Verkaufsberater“ gefragt, die Kunden ganzheitlich beraten und betreuen und in der Lage
sind, Cross- und Up-Selling sowie Kündigerabwehr zu betreiben – und das fallabschließend, auch am
Telefon.
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Die Macht der Inkubatoren
Um die Start-Ups ist ein regelrechter Hype entstanden. Bei genauerem Hinsehen erweisen sich viele
der Unternehmen, Modelle und Ideen jedoch nicht nur als Bedrohung, sondern mindestens im
gleichen Maße als Chance. Stadtwerke besitzen meist Nachteile bei Innovationskraft und
Innovationsgeschwindigkeit, jedoch den Zugang zu vielen Kunden und auch ein breites
energiewirtschaftliches Know-How. Durch geeignete Partnerschaften können Stadtwerke ihr
digitales Ökosystem geschickt erweitern.
Als Vehikel für Innovationspartnerschaften
haben in der Finanzindustrie etliche Banken
Inkubatoren gegründet. Ähnliches bietet sich
auch für die Stadtwerke an. So können die
Versorger selbst als Schrittmacher
Innovationen aktiv mitgestalten und für eigene
Zwecke nutzen.
Energie ist ein Commodity - Mehrwertangebote rund um „Smart Life“ entscheiden über
den Erfolg
Der Verkauf von kWh ist austauschbar geworden und die Konkurrenz darum extrem hart. Welchen
Anbieter Kunden wählen, hängt immer mehr
davon ab, ob Mehrwertangebote das Bedürfnis
der Kunden nach „Smart Life“ bedienen. Viele
Stadtwerke sind bereits in diese neue Welt
aufgebrochen und vermarkten aktiv
Telekommunikationsangebote, Smart Home und
E-Mobilitätslösungen zusätzlich zum
Basisangebot Strom und Gas. Ein wichtiger Aspekt
ist nicht nur die Erschließung neuer Kunden und
Erlösquellen. Andere Branchen haben bereits den
Beweis erbracht, dass Mehrproduktnutzer deutlich treuere Kunden sind und die
Kündigungswahrscheinlichkeit um 20-30% sinkt. Gelingt es vor diesem Hintergrund intelligente
Produktbündel zu schnüren, wird das Stadtwerk zum Partner für die Kunden.
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Dezentrale Erzeugung und Energiemanagement
Wenn Energie zunehmend dezentral erzeugt wird, entstehen Bedarfe, die Stadtwerke glaubwürdig
abdecken können und dies auch konsequent tun sollten. Das dynamische Umfeld in diesem Bereich
bietet die Chance, nicht mehr als Versorger,
sondern als Enabler der dezentralen Erzeugung,
der Speicherung, virtueller Kraftwerke, der
Vermarktung und des dazugehörigen
Energiemanagements aufzutreten. Ein Feld, das
die regionalen Energieversorger viel zu lange
Start-Ups und Ingenieurbüros überlassen haben.
Bereits jetzt gibt es zahlreiche unabhängige
Anbieter von Photovoltaikanlagen und dazu
passenden Speichersystemen. Die häufig angebotenen Akkulösungen bieten für den Endverbraucher
in der Bau- oder Sanierungsphase bei verhältnismäßig geringem Mehrpreis eine ökologisch wie
ökonomisch sinnvolle Möglichkeit der energetischen Aufwertung. Zusätzlich dazu, dass die Systeme
technisch zur Verfügung gestellt werden, ergeben sich in Form von Wartungs- und
Softwareserviceverträgen kontinuierliche Monetarisierungs- und Kundenbindungsoptionen.
Dezentrale Kraftwerke und Kleinanlagen-Contracting werden in diesem Zuge signifikant wachsen und
an Bedeutung gewinnen.
Fazit: Eine digitale Roadmap ist nötig
Sich vom Erzeuger und Verkäufer von kWh hin zum Dienstleister und Enabler rund um Energie und
Smart Life zu entwickeln, ist eine Kraftanstrengung. Statt wiederkehrender und sicherer Erträge wird
das Geschäft wesentlich kleinteiliger und dynamischer. Wurden bislang Zählpunkte und deren
Belieferung verwaltet, sind Kundenkontakte in Zukunft Vertriebschancen, die genutzt werden
müssen. Dominierten bislang Sicherheitsdenken, komplexe Prozesse und zersiedelte
Verantwortlichketen sind Versuch und Irrtum, schlanke Prozesse, mehr Kooperationen und
unternehmerisches Handeln jetzt unumgänglich. Dies muss sich auch in der Aufbauorganisation
widerspiegeln.
Um sich bei der Vielzahl der Möglichkeiten und Optionen nicht zu verzetteln, hat sich die Erarbeitung
und Umsetzung einer digitalen Roadmap bewährt. Ein strategisches Zielfoto allein reicht oft nicht
aus, um den Change-Prozess erfolgreich umzusetzen. Um ausreichend Fahrt aufzunehmen, sollten
Stadtwerke ihre Top-Handlungsfeder und konkreten Maßnahmen für die nächsten 12-18 Monate
identifizieren, bewerten und projektieren. Eine übergreifende Steuerung ist dabei ebenso wichtig für
den Erfolg wie ausreichende Management Attention: das Projekt sollte direkt an den CEO berichten.
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Über cerasus consulting
Seit über eineinhalb Jahrzehnten beraten wir sehr erfolgreich Unternehmen im
Mengenkundengeschäft, insbesondere Energieversorger, Banken und Versicherungen. Als
Beratungsboutique konzentrieren wir uns dabei besonders auf Fragestellungen an der Schnittstelle
zwischen Kunde und Unternehmen.
Unsere Werte
Als mittelständische Beratung denken und handeln wir unternehmerisch. Ob in unserem eigenen
Unternehmen, das durch drei Partner verantwortet wird, oder in der Zusammenarbeit mit unseren
Klienten. Nicht nur Unternehmensberater, sondern auch beratende Unternehmer zu sein,
differenziert uns von anderen Beratungen und treibt uns an.
Viele unserer Kunden arbeiten seit etlichen Jahren eng mit uns zusammen und profitieren auch von
unserem nationalen und internationalen Netzwerk. Es entstehen Kundenbeziehungen, die weit über
die Laufzeit eines Projekts hinausgehen. Diese Art der Partnerschaft ist für uns Vertrauensbeweis und
eine ganz besondere Form der Motivation.
Autoren
Claudius Wetzler ist Senior Project Manager bei der cerasus consulting GmbH
Dr. Christof Welker ist Managing Partner bei der cerasus consulting GmbH
www.cerasus-consulting.com