Die Zusammenhänge zwischen Wirtschaft und Politik im
Sozialstaat 19.Januar 2013
Evangelische Akademie Meißen
Hochschule für Politik
Prof. Dr. Frank Pilz
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Die Zusammenhänge zwischen Wirtschaft und Politik im Sozialstaat
Anhänger liberaler, konservativer und gesellschaftskritischer Positionen
vertreten die These, dass ein ausgebauter Sozialstaat wie der in Deutschland
oder in Nordeuropa das Wachstum und die Beschäftigung beeinträchtige
und die Arbeits- und Steuermoral tendenziell gefährde (Giersch 1997;
Bundesvereinigung deutscher Arbeitgeberverbände 1994;
Habermas 1985; OECD 2008; M.G.Schmidt 2005 ).
Diese Überlastungsthese wird mit folgenden Argumenten erklärt:
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Die Zusammenhänge zwischen Wirtschaft und Politik im Sozialstaat
Der expandierende steuer- und beitragsfinanzierte Sozialstaat sei
wirtschaftlich kontraproduktiv, weil er die Anreize zum Investieren und
Sparen mindere und die Konkurrenzfähigkeit beschädige.
Ein Indikator dafür sei die Wachstumsschwäche in ausgebauten
Sozialstaaten im Vergleich zu Ländern mit Wachstum und niedriger
Sozialstaatsquote.
Eine durch hohe Sozialleistungsquoten induzierte
Staatsverschuldung erhöhe nicht nur die Zinssätze und gefährde die
wachstumsrelevante Investitionsneigung, sondern schränke den
haushaltspolitischen Handlungsspielraum ein und mache den Staat
von internationalen Geldgebern abhängig.
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Die Überlastungsthese ist insofern überzogen, als sie die Belastbarkeit
der Wirtschaft unterschätzt und den Wert der Sozialpolitik nicht
hinreichend würdigt. Außerdem differenziert die These zu wenig
nach länderspezifischen Belastungs- und Akzeptanzgrenzen.
Industrieländervergleiche stützen die These, dass der Zielkonflikt
zwischen starkem Sozialstaat und wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit
gestaltbar ist.
Die Zusammenhänge zwischen starker Sozialpolitik
und Wirtschaft sind insofern facettenreicher, als es
Kombinationen von Politik im ausgebauten Sozialstaat und erfolgreicher
Wirtschaftlicher Entwicklung, aber auch
Verbindungen mit schwachem Sozialstaat und großen Wirtschaftsproblemen
gibt.
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Die Wirtschaft wurde insbesondere in einigen mittel-, west- und nordeuropäischen
Ländern mit starker Sozialpolitik erfolgreich modernisiert, weil wichtige politische,
wirtschaftliche und sozialpartnerschaftliche Akteure einen Konsens anstrebten
und hohe Abgaben einen Zwang zur Produktivitätssteigerung erzeugten.
Vergleichende Studien widerlegen überdies die These, dass Sozialpolitik
den Anspruch nicht einlöse, ihre Aufgaben effizient und effektiv erfüllen
zu können. Diesen Studien zufolge schneiden starke Sozialstaaten bei
der Aufgabenwahrnehmung per saldo positiv ab. Gleichwohl ist unstrittig,
dass die Wirtschaft gerade in den Ländern große Lasten zu tragen hat, in
denen die Sozialleistungsquote und die Sozialabgabenquote relativ
überdurchschnittlich hoch sind.
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Die These, es bestehe ein Zielkonflikt zwischen starker Sozialpolitik und
Beschäftigungssicherung wird mit folgenden Argumenten begründet:
Ein starker Sozialstaat unterminiere überdies das Beschäftigungsniveau.
Hohe oder steigende Arbeitskosten (Lohn- und Lohnnebenkosten)
schafften Anreize, arbeitssparenden Rationalisierungsinvestitionen zu tätigen.
Eine damit einhergehende abnehmende Zahl der Erwerbstätigen
untergrabe die materielle Basis des Sozialstaats.
Nur wenn der sozialstaatsbedingte Kostenanstieg durch
Produktivitätssteigerung kompensiert werde, sei mit geringen
Beschäftigungswirkungen zu rechnen.
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Eine hohe Soziallleistungsquote und starker rechtlicher Sozialschutz
begünstigten die Neigung der Unternehmen, ihre Produktion in die
Schattenwirtschaft und in Staaten mit niedrigen Arbeitskosten und
geringen rechtlichen Sozialstandards zu verlagern.
Dies führe wiederum zu Steuerausfällen, sozialen Ausgabenanstiegen
und steigender Staatsverschuldung. Zudem werde dieser These
zufolge mit der Sozialstaatsfinanzierung die Verschuldung und mit der
Schwächung des Markt- und Konkurrenzprinzips der Missbrauch des
Bezugs von Sozialleistungen gefördert.
Schließlich schwäche das durch hohe Steuern und Sozialabgaben stark
reduzierte Nettoeinkommen die Leistungs- und Arbeitsbereitschaft und sei
für steigende oder hohe Arbeitslosigkeit mitverantwortlich.
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Zwar stützen die Statistiken der 34 OECD-Staaten im Zeitraum zwischen 1960
und 2001 die These, dass sich mit zunehmendem Niveau der
Sozialleistungsquote im Vorjahr das wirtschaftliche Wachstum im
folgenden Jahr abschwächt.
Doch kann längerfristig der Ausbau des Sozialstaats durchaus mit
wirtschaftlichem Wachstum und Wohlstandssteigerung vereinbar sein.
So haben einerseits Staaten wie Deutschland, Frankreich, Italien, Österreich,
die Benelux- und die nordeuropäischen Staaten sowohl ihren
Wohlfahrtsstaat ausgebaut als auch ihr Wohlstandsniveau erhöht.
Andererseits sind zahlreiche Entwicklungsländer mit niedrigen
Sozialstandards arm geblieben (M.G. Schmidt 2005, 2012).
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Die in Deutschland im Jahr 2009 auf 31,5 % gestiegene Sozialleistungsquote
ist nicht die Ursache für den Wachstumseinbruch von rund 5 Prozent,
sondern vor allem Folge der durch die Finanzkrise induzierten Konjunktur-
und Wachstumsabschwächung und der damit einhergehenden
höheren Sozialausgaben.
Wie wenig stringent der Zusammenhang zwischen Sozialleistungsquote
und wirtschaftlichem Wachstum in jüngster Zeit ist, verdeutlichen die
Veränderungen in den Jahren 2010-2012: Während die Sozialleistungsquoten
in den Jahren 2010 und 2011 auf rund 31% und 30% zurückgingen und
das wirtschaftliche Wachstum um 4,3% und 3,0% stieg, wird
sich - bei annähernd gleichbleibenden Sozialleistungsquoten um
30% - das für 2012 und 2013 prognostizierte Wachstum um knapp
rund 1% erhöhen (Sozialbudget 2011; SVR-Jahresgutachten 2012/13, Tab.1).
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Gegen die These vom engen Zusammenhang zwischen starkem Sozialstaat
und Beschäftigungsabbau
spricht die Tatsache, dass die Erfüllung von Funktionen in den
Sozialstaatlichen Bereichen Krankheit, Alter, Arbeitslosigkeit und
Erziehung und in der Verwaltung Arbeitsplätze schafft.
Diesen arbeitsplatzschaffenden Wirkungen stehen aber auch
„aktive“ arbeitsmarktpolitische Maßnahmen wie Weiterbildungs- und
Umschulungsmaßnahmen oder Vorruhestandsregelungen mit
zweifelhaften Beschäftigungseffekten gegenüber.
Darüber hinaus werden hohe Abgaben und insbesondere hohe
Sozialversicherungsbeiträge im Niedriglohnsektor als steuerähnliche
Belastung verstanden. Mit diesem Problem werden vor allem dominant
beitragsfinanzierte Staaten wie Deutschland, Frankreich und Italien
konfrontiert.
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Die Zusammenhänge zwischen Wirtschaft und Politik im Sozialstaat
Seit im Rahmen der Agenda 2010 eine restriktivere Arbeitsmarktpolitik
mit stärkerem Druck auf die Arbeitssuchenden und zum Teil mit
Aussetzung der Arbeitslosenleistungen praktiziert wird, verliert das
Argument an Bedeutung , dass Höhe und Dauer der Leistungen die
Bereitschaft der Arbeitssuchenden zur Annahme eines
schlechter bezahlten Jobs vermindere.
Die These der beschäftigungsfeindlichen Wirkung des ausgebauten
Sozialstaats und insbesondere der Arbeitslosenversicherung
vernachlässigt allerdings ihren „wirtschaftlichen Wert“, den Autoren
wie Heinz Lampert, Georg Vobruba oder Gösta Esping-Andersen
betonen. Die Leistungen der Sozialsysteme stabilisieren nicht nur
die gesamtwirtschaftliche Nachfrage, sondern tragen auch – wie
im Fall des in der Großen Koalition beschlossenen Kurzarbeitergelds –
dazu bei, dass der Arbeitnehmer weniger Dequalifizierung seiner
Arbeitskraft befürchten muss und der Arbeitgeber eingearbeitete
Beschäftigte behalten kann.
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