Die Craniosacrale Osteopathie
und ihre Anwendungsmöglichkeit
am FussSchule für Craniosacrale Osteopathie
Rudolf Merkel
Heidi Hunziker Juli 2011
Inhaltsverzeichnis
Vorwort 1
1 Vorüberlegungen 3
2 Die Bedeutung der Füsse für den Menschen 4
3 Reflexzonentherapie am Fuss 6
3.1 Definitionsansätze 6
3.2 Historische Entwicklung 9
3.3 Der Horizontal- Vertikalraster 12
4 Craniosacrale Osteopathie 13
4.1 Osteopathie 13
4.1.1 Definition 13
4.1.2 Geschichte 13
4.1.3 Prinzipien 14
4.2 Craniosacrale Osteopathie 14
4.2.1 Definition 14
4.2.2 Historische Entwicklung 15
4.2.3 Die Schule für Craniosacrale
Osteopathie Rudolf Merkel
16
5 Praktische Anwendung der CSO auf die
Reflexzonen des Fusses
17
5.1 Die Palpation des Craniosacralen Rhythmus
am Fuss
17
5.2 Transversalfaszien oder Diaphragmen
(äussere Faszien)
18
5.2.1 Das Zwerchfell ─ respiratorisches
Diaphragma
20
5.2.2 Obere Thoraxapertur (thoracic
outlet, obere Brustkuppel)
21
5.2.3 Der Beckenboden ─ Diaphragma
pelvis und Diaphragma urogenitalis
22
6 Schlussgedanken 24
7 Quellenverzeichnis 26
Die Craniosacrale Osteopathie und ihre Anwendungsmöglichkeit am Fuss
1
Vorwort Es war im Herbst 2005. Ich war gerade daran, die Fort- und Weiterbildung für das
kommende Jahr zu planen, um als praktizierende Reflexzonentherapeutin am Fuss
und Atemtherapeutin die Anforderungen des ‚Erfahrungsmedizinischen Registers‘
(EMR) zu erfüllen. Da wurde ich von einer Kollegin auf das Weiterbildungsangebot
der Schule für Craniosacrale Osteopathie Rudolf Merkel aufmerksam gemacht. Weil
ich diese Therapieform schon seit längerer Zeit näher kennen lernen wollte, be-
schloss ich, im Januar 2006 den Einführungskurs zu besuchen.
Als ausgebildete Pflegefachfrau mit mehrjähriger praktischer Erfahrung in verschie-
denen Fachbereichen war mir das Fühlen des Herzrhythmus‘ über den Handpuls
bestens vertraut. Als praktizierende Atemtherapeutin begleitet mich der Atemrhyth-
mus tagtäglich, ist er doch ein zentrales Element der Therapiearbeit. Mit einem drit-
ten, mir noch unbekannten Rhythmus wurde ich im Einführungskurs konfrontiert, mit
dem Craniosacral Rhythmus. Diese rhythmische Bewegung, welche durch das fort-
währende Produzieren und Absorbieren der cerebrospinalen Flüssigkeit bewirkt wird,
schwingt verborgen, tief im Innern des Menschen. Die Tatsache, dass dieser ‚Puls
des Lebens‘ wahrgenommen werden kann und die Methodik seiner Wahrnehmung
hat mich derart fasziniert, dass ich mehr darüber wissen wollte. So kam es, dass ich
nach Beendigung des Einführungskurses die Ausbildung in Craniosacraler Osteopa-
thie fortsetzte.
Die vertieften Kenntnisse der Methode, zu denen ich im Verlauf der Ausbildung ge-
langte, erschlossen mir eine neue Welt. Sie sollten in meine berufliche Alltagsarbeit
als Körpertherapeutin einfliessen und diese befruchten.
Ich beschäftigte mich vor allem mit der Frage, ob zwischen der Arbeit am ganzen
Menschen (Makrokosmos) und jener an einem Körperteil, eben am Fuss (Mikrokos-
mos) Verbindungen erkennbar sind. Dies hätte zur Folge, dass einerseits die Cra-
niosacrale Osteopathie bereichert und andererseits der Arbeitsansatz der Reflexzo-
nentherapie am Fuss erweitert würde. Ich bin mir wohl bewusst, dass die beiden Me-
thoden nur in kleinen Teilbereichen für einander fruchtbar gemacht werden können.
Trotzdem erschien es mir verlockend, Elemente des in der neuen Ausbildung Gelern-
ten in die praktische Arbeit an den Füssen einfliessen zu lassen.
Seit fünf Jahren versuche ich nun also in der praktischen Therapiearbeit mit meinen
Klientinnen und Klienten, die Arbeit am Fuss mit Ansätzen der Craniosacralen Oste-
Die Craniosacrale Osteopathie und ihre Anwendungsmöglichkeit am Fuss
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opathie zu erweitern und zu vertiefen. Im Herbst 2010 absolvierte ich bei der aus
Deutschland stammenden Physiotherapeutin Gudrun Siegert einen Fortbildungskurs
zum Thema ‚Sacrale Fussarbeit‘. Er fand an der Lehrstätte für Reflexzonentherapie
am Fuss von Roland Rihs in Lengnau statt. Zum ersten Mal konnte ich nun mit einer
Fachperson über meine diesbezüglich gemachten Erfahrungen sprechen. Ich wurde
darin bestärkt, die Möglichkeiten, aber auch die Grenzen einer methodenverbinden-
den Arbeit weiter auszuloten.
In der vorliegenden Arbeit möchte ich über erste Erfahrungen in kleinen Teilberei-
chen berichten.
Die Craniosacrale Osteopathie und ihre Anwendungsmöglichkeit am Fuss
3
1. Vorüberlegungen
Damit Elemente der Craniosacralen Osteopathie auf den Fuss übertragen werden können, müssen bestimmte Prinzipien anerkannt und praktische Voraussetzungen erfüllt werden:
- Übereinstimmendes Menschenbild:
Ich gehe davon aus, dass beide Therapieansätze in den Grundzügen auf demselben ganzheitlichen Menschenbild basieren. Die körperliche wie die seelisch-emotionale Dimension des Menschen werden als gleichwertige Bereiche gesehen und in die Ar-beit mit einbezogen. Weiter ist davon auszugehen, dass im Menschen Selbsthei-lungskräfte vorhanden sind, die aktiviert werden können.
- Pars-pro-Toto-Prinzip:
Weiter denke ich, dass in jedem Teil des Menschen der ganze Mensch repräsentiert ist. Dieses Prinzip sagt aus, dass sich in jeder einzelnen Körperzelle die Information des ganzen Menschen befindet. So ist z.B. in der DNS des Zellkerns der gesamte Bauplan des Organismus enthalten. Das Ganze lebt vollständig in jedem seiner Tei-le. Oder wie es Capra ausdrückt, jedes Teilchen besteht aus allen anderen Teilen. Die praktische Anwendung des Pars-pro-Toto- Prinzips wird in verschiedenen Diag-nose- und Therapieverfahren angewendet. So zum Beispiel in der Iris-, der Puls-, der Zungen- und Bluttropfendiagnose, im Lesen der Handlinien und Fingerformen und im Lesen der Füsse (Feet reading). Die Ohr-Akupunkteure gehen ebenfalls davon aus, dass in der Ohrmuschel der ganze Mensch abgebildet ist. Dasselbe gilt auch für die Fussreflexologie, wo sich die Ganzheit des Menschen in den Füssen, beziehungs-weise in den jeweiligen Reflexzonen abbildet.
- Erkennen von Strukturen
Schliesslich meine ich in beiden Therapieansätzen Strukturen erkennen zu können, denen Ordnungsprinzipien zu Grunde liegen. Um sich auf diese Strukturen einlassen und mit ihnen arbeiten zu können, sind theoretisches und umfassendes anatomi-sches Wissen sowie die jeweiligen speziellen technischen Kenntnisse bezüglich Handpositionen und Griffen unabdingbar. Diese internalisierten Kenntnisse sind es, die es mir möglich machen, aus der Intuition heraus zu arbeiten und einen Raum zu schaffen, in dem der Patient sich selber werden kann! Denn Heilung kann in ihrer existentiellen Form nur durch Begegnung zustande kommen. Auch hier steht wiede-rum nicht ein Teil des Klienten im Zentrum der Bemühungen, sondern die Ganzheit seines Wesens.
Die Craniosacrale Osteopathie und ihre Anwendungsmöglichkeit am Fuss
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2. Die Bedeutung der Füsse für den Menschen
Abbildung 1 (aus Netter, 2003, S. 506)
Die Craniosacrale Osteopathie und ihre Anwendungsmöglichkeit am Fuss
5
Um unsere Füsse kümmern wir uns meist viel zu wenig. Erst wenn sie anfangen
Probleme zu bereiten, werden sie zum Thema, nehmen wir sie ernst. Dabei ist der
menschliche Fuss ein wahres koordinatives Wunderwerk.
Der Fuss besteht aus 28 Knochen, 20 Muskeln und 114 Sehnen und Bändern. Sie
machen den am meisten belasteten Körperteil funktionsfähig.
Das Fussgewölbe gibt uns Standfestigkeit, die Zehen geben uns Halt. Das Fussske-
lett ist spiralig verschraubt, das heisst, Ferse und Vorderfuss drehen sich in entge-
gengesetzte Richtungen. Die Füsse sind für die Statik des ganzen Körpers ausseror-
dentlich wichtig.
Unsere Füsse sind Schwerarbeiter im Dauereinsatz; sie leisten Erstaunliches. Sie
tragen uns durch unser Leben. Sie ermöglichen eine ‚Verwurzelung‘ und erlauben
uns ‚fort zu schreiten‘. Sie halten uns im Gleichgewicht und dämpfen Schläge.
Während des Lebens legt der Mensch etwa 100‘000 Kilometer zurück – das sind un-
gefähr 150‘000‘000 Schritte! Bei jedem Bodenkontakt sind die Füsse grossem Druck
ausgesetzt. Beim Joggen zum Beispiel müssen sie Schläge bis zum siebenfachen
Körpergewicht abfedern. Bei einem Körpergewicht von 70 Kilogramm ist dies eine
halbe Tonne. Tritt der Fuss auf ein Steinchen, treten Drücke von bis zu 100 Kilo-
gramm pro Quadratzentimeter auf!
Mit zunehmendem Alter werden die Füsse ,ehrlicher‘. Sie zeigen die Spuren unseres
Lebenswandels. Wie treten wir auf, sind wir flexibel und dynamisch oder plump und
träge? So hinterlässt das Leben seine Spuren in den Füssen, wie wir unsere Spuren
auf der Erde hinterlassen!
Die Bedeutung der Füsse kommt auch in vielen Sprachwendungen zum Ausdruck.
So etwa in den Begriffen: auf eigenen Füssen stehen – jemandem zu Füssen liegen -
jemandem auf den Fuss treten – mit dem linken Fuss aufstehen – Hand und Fuss
haben – auf freien Fuss setzen – Fuss fassen – Kalte Füsse bekommen – mit Füs-
sen treten – auf wackeligen Füssen stehen – auf grossem Fuss leben usw.
Rüdiger Dahlke und Rita Fasel schreiben in ihrem Buch ‚Die Spuren der Seele‘ fol-
gendes über die Füsse: ‚Erkenntnisse über die Füsse sind ausgesprochen hilf- und
lehrreich, weil wir über sie lernen können, immer mehr zu uns zu stehen. In der Re-
gel haben wir viel Verstecktes und Unterdrücktes, über das wir hinweggehen, das wir
übergehen und manchmal sogar niedertreten und das sich folglich symbolisch unten
Die Craniosacrale Osteopathie und ihre Anwendungsmöglichkeit am Fuss
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in den Füssen sammelt. Hier können wir bei genauerer Betrachtung über einiges
stolpern, das den Entwicklungsweg erschwert und manchmal regelrecht blockiert‘.
(Dahlke/Fasel, 2010, 4. Auflage, S.108)
3. Reflexzonentherapie am Fuss 3.1. Definitionsansätze Der Begriff ‚Reflex‘ bezeichnet im medizinischen Verständnis die Antwort des Kör-
pers auf einen gesetzten Reiz.
In der manuellen Therapie wird die Bezeichnung ‚Reflexzone‘ im Zusammenhang mit
nervalem Reflexgeschehen verwendet. Eine Reflexzone am Fuss ist infolgedessen
ein Punkt oder ein Bereich, der in direktem Zusammenhang mit einem anderen Kör-
perteil steht, sei dies ein inneres Organ, ein Teil der Muskulatur oder ein Gelenk.
Für Hanne Marquardt, der Pionierin der Reflexzonentherapie in Europa, besteht das
Grundsätzliche dieser Methode im Reflektieren eines Gesamtbildes, des menschli-
chen Körpers eben auf eine andere, kleinere Fläche, die Füsse. Dadurch werden
bestimmte Abschnitte am Fuss gekennzeichnet, die eine empirisch nachgewiesene
direkte Beziehung zu einzelnen Organen im Körper haben.
Wie unsere Erde in Längen- und Breitengrade eingeteilt ist, damit wir uns auf ihr zu-
recht finden, so lassen sich unser Körper und unsere Füsse in Längen- und Querzo-
nen gliedern. Die von Dr. Fitzgerald entwickelten 10 senkrechten Körperzonen und
die von Frau Marquardt bestimmten 3 Querzonen haben ihre Entsprechung in den
jeweiligen Längs- und Querzonen am Fuss.
Die Craniosacrale Osteopathie und ihre Anwendungsmöglichkeit am Fuss
7
Abbildung 2: Rasterbild der Zonen (Marquardt, 1989, S. 20)
Aber nicht der einzelne Fuss, sondern die aneinander gelegten Füsse spiegeln den
ganzen Körper. Die Einheit des Fusspaares ist also das verkleinerte Abbild des gan-
zen Menschen.
Die Möglichkeit der Übertragung des Grossen auf das Kleine faszinierte mich schon
als Kind. Ich erinnere mich noch sehr gut an einen Besuch der ,Schweiz im Kleinen‘‚
der ,Swiss Miniature‘ in Melide im Alter von neun Jahren. Von der Möglichkeit, die
ganze Schweiz quasi aus der Vogelperspektive zu überblicken, war ich fasziniert. Ich
fühlte mich wie ein Riese im Zwergenland. Die Distanzen spielten keine Rolle mehr,
eben war ich noch am Vierwaldstättersee, schon stand ich am Lago Maggiore. Ich
Die Craniosacrale Osteopathie und ihre Anwendungsmöglichkeit am Fuss
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war tief beeindruckt von der Tatsache, dass es möglich war, Städte, Seen und Berge
massstabgetreu nachzubilden.
Wir können also die Füsse als kleine Landkarte des physischen Körpers betrachten,
welche in Anwendung der anatomischen Entsprechungen entstanden ist. Diese Ent-
sprechungen beruhen auf einem der sieben hermetischen Prinzipien. ‚Wie oben, so
unten‘ und ‚wie unten, so oben‘ lautet die bekannte Kurzformel für die wesensmässi-
ge Verbundenheit aller Ebenen in einem ausgeglichenen System. Verbindet man nun
die Energielinien mit den anatomischen Entsprechungen, kann man durch die Berüh-
rung einer Zone am Fuss über die Energielinie im anatomischen Verwandtschaftsbe-
reich eine übereinstimmende Wirkung erzielen. Das heisst, die Lage der Organe, der
Muskulatur, des Skeletts in diesem anatomisch-topografischen Rahmen, lassen sich
mit der genau gleichen Einteilung an den Füssen als Reflexzone finden.
Abbildung 3: Fussreflexzonen (Marquardt, 1989, S. 116)
Die Craniosacrale Osteopathie und ihre Anwendungsmöglichkeit am Fuss
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3.2. Historische Entwicklung
Die Reflexzonentherapie am Fuss ist keine Neuentdeckung, sondern eine Weiter-
entwicklung von überliefertem Volkswissen. Vor einigen tausend Jahren schon wurde
sie als Druckpunktbehandlung in Indien und China sowie auch bei der Urbevölkerung
Nord- und Südamerikas praktiziert.
Die moderne, auf wissenschaftlicher Basis beruhende Reflexzonentherapie am Fuss
wurde im 20. Jahrhundert entwickelt. Um 1912 befasste sich der amerikanische Na-
sen-Hals-Ohrenarzt, Dr. William Fitzgerald, mit der Möglichkeit organferner Be-
handlung durch Druckpunkte. Er setzte sich mit dem überlieferten Erfahrungsschatz
auseinander und transferierte diesen soweit wie möglich in die medizinische Spra-
che. Das Resultat der Zusammenfassung des überlieferten Wissens war die Entwick-
lung einer ‚Zonen-Therapy‘.
Durch jahrelange Beobachtungen konnte er nachweisen, dass die in der jeweiligen
Längszone am Körper angeordneten Organe, Gewebe und Systeme in der gleichen
Körperzone am Fuss, als Mikrosystem verkleinert, ablesbar sind. Diese Erkenntnis
machte er für die praktische Arbeit fruchtbar, indem er eine vertikale Einteilung mit
zehn Körperzonen erstellte, welche dem Körper als gleichmässiges Rasterbild über-
gestülpt wird.
In den frühen dreissiger Jahren entwickelte die Amerikanerin Eunice Jngham den
methodischen Ansatz von Fitzgerald weiter zur heute weltweit anerkannten Reflexo-
logie. Die junge Masseurin konnte die Reflexzonentherapie bei vielen Patienten er-
folgreich anwenden. Anhand der gesammelten Erfahrungen erstellte sie ein Schema,
welches die Beziehung zwischen den Zonen an den Füssen und den Organen des
Körpers aufzeigt. Weiter entwickelte sie eine eigene Behandlungsform, die auf einer
speziellen Griffart beruht, die Jngham-Methode der Druckmassage. In ihren Publika-
tionen wandte sie sich vor allem an gesundheitsbewusste Laien. 1917 erschien ihr
Buch ‚Stories the feet can tell‘, in dem sie in eindrücklicher Weise ihre Erfahrungen
mit der Reflexzonentherapie darlegte.
In Europa hat die Pionierarbeit von Hanne Marquardt massgeblich zur Verbreitung
der Reflexzonentherapie beigetragen. In den 60er Jahren des vergangenen Jahr-
hunderts entdeckte die in Süddeutschland als Krankenschwester und Masseurin ar-
beitende Marquardt das Buch von Jngham. Sie begann mit der von Jngham be-
schriebenen Methode zu arbeiten. Über viele Jahre hinweg überprüfte sie die ge-
Die Craniosacrale Osteopathie und ihre Anwendungsmöglichkeit am Fuss
10
wonnenen Erkenntnisse an den Patienten auf ihre Wirksamkeit. Die Fusspunktbe-
handlungen in ihrer heutigen systematisierten Form entwickelte sie ab 1958 in ihrer
Praxis in Burgberg, einem kleinen Dorf im Schwarzwald.
‚Bei der Art der Darstellung der einzelnen Zonen verkleinerte ich die Organe, Gelen-
ke und Drüsen so naturgetreu wie möglich vom Organismus auf die Füsse, so dass
in den Füssen die bildhafte Ähnlichkeit mit dem Original offensichtlich wurde. Ich war
vor langer Zeit eines Morgens aufgewacht und hatte das Bild, dass ein aufgestellter
Fuss einem sitzenden Menschen ähnlich sieht, ganz deutlich vor Augen. Jetzt konnte
ich gezielter als bisher auf die lebendige Beziehung zwischen Makrokosmos Mensch
und seinem Mikrokosmos im Fuss hinweisen, die ja schon bei Fitzgerald und Jngham
ansatzweise verwendet wurde‘. (Marquardt, 2003, S.242)
Abbildung 4: Der sitzende Mensch im Fuss (Froneberg / Fabian, 1992, S. 13)
Die Craniosacrale Osteopathie und ihre Anwendungsmöglichkeit am Fuss
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Abbildung 5: Der sitzende „Mensch und Fuss“ (Froneberg / Fabian, 1992, S. 12)
Abbildung 6: Foto aus EGK-Broschüre (Meyer / Blaser, 1996, S. 6)
Die Craniosacrale Osteopathie und ihre Anwendungsmöglichkeit am Fuss
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3.3. Der Horizontal-Vertikalraster
Dem Konzept der Reflexzonentherapie liegt die Annahme zugrunde, dass der Körper
in zehn vertikale Zonen, fünf auf jeder Seite der Medianlinie, aufgeteilt werden kann.
Über diese Längszonen sind die inneren Organe und Drüsen projektiv mit gewissen
Punkten am Fuss und an der Fusssohle verbunden. Die Kenntnis der zehn Zonen
erlaubt es, mit grosser Genauigkeit verschiedene Reflexpunkte am Fuss zu unter-
scheiden und über diese direkt die anvisierten Organe zu beeinflussen.
Die senkrecht verlaufenden zehn Längszonen gehen vom Kopf bis zu den Füssen,
also von oben nach unten, und unterteilen den ganzen Körper entsprechend.
Die Längszonen entsprechen den von Norden nach Süden verlaufenden Energieli-
nien.
Drei Querzonen stellen die von Osten nach Westen verlaufenden Energielinien dar.
Mit den Längszonen zusammen teilen sie den Körper in verschiedene Abschnitte ein.
Oberhalb der ersten Horizontallinie (Schultergürtel), im Bereich aller Zehenglieder
liegen die Kopf- und Halsorgane und auch die Zähne. Die zweite Horizontallinie (un-
terer Rippenrand), die Lisfrancsche Gelenklinie, liegt proximal der Mittelfussknochen.
Zwischen der ersten und zweiten Horizontallinie, im Bereich des Mittelfusses, finden
wir die Organe des Brustraums und des Oberbauchs.
Die dritte Horizontallinie (Beckenboden) verläuft durch die Fusswurzelknochen und
die Ferse. Unterhalb der dritten Horizontallinie sind die Bauch- und Beckenorgane
angeordnet.
Die Craniosacrale Osteopathie und ihre Anwendungsmöglichkeit am Fuss
13
4. Craniosacrale Osteopathie
4.1. Osteopathie
‚Die Osteopathie ist eine Wissenschaft, die den Menschen unter-sucht und herausfindet, dass er an Gottes Intelligenz teilhat‘. (Still, 2007, S. 21)
4.1.1. Definition
Der Begriff ‚Osteopathie‘ setzt sich aus den beiden griechischen Wörtern Osteo =
Knochen und Pathos = Krankheit, Leiden zusammen.
Andrew Taylor Still, der Begründer der Osteopathie, kam nämlich anhand von For-
schungsresultaten zur Erkenntnis, dass Bewegungseinschränkungen in den Kno-
chen zur Entstehung von Krankheiten führen.
Die Osteopathie diagnostiziert und behandelt Störungen auf verschiedenen Ebenen,
die miteinander kommunizieren. Sie gliedert sich in drei Teilgebiete:
• die parietale Osteopathie umfasst den gesamten Bewegungsapparat wie Kno-
chen, Gelenke, Muskeln, Sehnen und Bänder.
• die viscerale Osteopathie beschäftigt sich mit den Blutgefässen, den inneren Or-
ganen sowie den Eingeweiden mit den dazugehörigen Blutgefässen, Lymphge-
fässen und Nerven.
• die craniosacrale Osteopathie setzt sich mit dem Schädel, der Wirbelsäule, der
Hirn- und Rückenmarksflüssigkeit (Liquor), den Membranen und dem Hirn- und
Rückenmark auseinander.
4.1.2. Geschichte
Der amerikanische Arzt Andrew Taylor Still (1828-1917) gründete 1892 in Kirksville im
Staate Missouri die erste Schule für osteopathische Medizin. Er war ein tief religiöser
Mann. Nebst seiner Arbeit als Arzt, war er auch in der Landwirtschaft tätig, was in vielen
seiner Betrachtungsweisen zum Ausdruck kommt.
Die Craniosacrale Osteopathie und ihre Anwendungsmöglichkeit am Fuss
14
4.1.3. Prinzipien
• Der menschliche Körper funktioniert als Einheit, das heisst, der Mensch bildet
eine Einheit aus Körper, Geist und Seele.
• Die Strukturen und Funktionen stehen in wechselseitiger Beziehung, das heisst,
sie beeinflussen sich stetig gegenseitig.
• Der menschliche Körper hat die Kraft, sich selbst zu organisieren, das heisst, je-
dem Menschen wohnt ein Selbstregulierungspotential inne. Still vermutete, dass
‚sich alle Heilmittel der Natur in Form einer Apotheke Gottes im Körper befinden‘.
(Still,2007)
4.2. Craniosacrale Osteopathie
Die Schädelknochen besitzen ‚ein spezielles intrakraniales memb-ranöses Gewebe, das nicht nur als Verbindungsmedium dient, sondern auch als reziprokes Spannungsmedium fungiert, das das normale Ausmass ihrer artikularen Beweglichkeit begrenzt‘. (Sutherland, 2005, S.223)
4.2.1. Definition
Die Craniosacrale Osteopathie hat sich zu einem eigenständigen Zweig aus der Os-
teopathie heraus entwickelt.
Bei der Behandlung des Craniosacralen Systems (CSS) werden die knöchernen und
die membranösen Strukturen des Schädels (Cranium), der Wirbelsäule und des
Kreuzbeins (Sacrum) mit Steissbein sowie die Dynamik der cerebrospinalen Flüssig-
keit (Liquor) und das Zentrale Nervensystem (ZNS) berücksichtigt.
Mit subtilen Berührungen und Mobilisationsbewegungen der craniosacralen Struktu-
ren werden Blockierungen im Craniosacralen System und am ganzen Körper gelöst.
Es handelt sich dabei vielmehr um ein Begleiten der craniosacralen Bewegung als
um ein Manipulieren. Durch das Auflösen der Läsionen wird es dem Körper ermög-
licht, sich der – der craniosacralen Flüssigkeit innewohnenden – Heilkraft und Ord-
nung neu zu öffnen, so dass der Selbstregulierungsprozess einsetzen kann.
Der Schwerpunkt bei der Behandlung liegt also auf der Harmonisierung des Liquor-
Drucksystems und der mit ihm verbundenen Strukturen am ganzen Körper.
Die Craniosacrale Osteopathie und ihre Anwendungsmöglichkeit am Fuss
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4.2.2. Historische Entwicklung
William Garner Sutherland (1873-1954) machte seine Ausbildung an der Schule
von A.T. Still. Seine besondere Aufmerksamkeit galt schon früh den Schädel- und
Gesichtsknochen, der Dura, dem Liquor und dem Zentralen Nervensystem, also dem
Craniosacralen System. So wurde er zum eigentlichen Entdecker der Craniosacralen
Osteopathie. 1944 wurde seine Lehre, die Craniosacrale Osteopathie als Teilgebiet
der Osteopathie anerkannt.
Entgegen der damaligen Lehrmeinung, dass die Schädelknochen nach der Geburt
allmählich zu einem starren Knochengebilde zusammen wachsen, entdeckte er, dass
im Craniosacralen System die Fähigkeit zu einem feinen und komplexen Bewe-
gungsmechanismus angelegt ist. Auch spürte er, dass die Cerebrospinale Flüssigkeit
(CSF) gezeitenartig – wie Ebbe und Flut – pulsiert und somit das Craniosacrale Sys-
tem eine rhythmische Bewegung aufweist, einen eigenen Puls hat. Dieser Craniosa-
crale Rhythmus geht vom Hirnwasser aus, welches das Gehirn und das Rückenmark
umspült und vor äusseren Einflüssen schützt. Er entdeckte in der Cerebrospinalen
Flüssigkeit eine vitale Ur-Energie, die in alle Teile des Körpers, in jede Zelle verteilt
wird. Diese Energie bezeichnete er, im Gegensatz zur Lungenatmung, als das Primä-
re Atemsystem (Primary Respiratory Mechanism) oder ‚Atem des Lebens‘ (breath of
life). Dieser Lebensatem ist nicht nur die treibende Kraft für den Craniosacralen
Rhythmus; in ihm ist auch ein heilendes und ordnendes Prinzip, das Körper, Seele
und Geist im Gleichgewicht hält. Ist dieses Prinzip durch eine Läsion (Blockade) ge-
stört, können Symptome und Krankheiten auftreten.
Die Craniosacrale Osteopathie und ihre Anwendungsmöglichkeit am Fuss
16
4.2.3. Die Schule für Craniosacrale Osteopathie Rudolf Merkel Zürich
‚Es geht darum, durch feine Impulse, Blockaden zu lösen und den
Craniosacralen Rhythmus wieder in seinen natürlichen Fluss zu brin-
gen. Es ist, als würde ich dem Pendel immer wieder neuen Schwung
geben, in der Hoffnung, dass es anschliessend selbständig und et-
was kraftvoller schwingt‘. (Merkel, Ausbildungsskript)
In der Schweiz gibt es verschiedene Ausbildungsmöglichkeiten in Craniosacraler Os-
teopathie. Die Zürcher Schule mit Sitz in Obfelden wurde 1986 vom Arzt für Kinder-
heilkunde und anthroposophische Medizin, Rudolf Merkel, gegründet.
Die Ausbildung verbindet gemäss Leitbild den biomechanischen mit dem biodynami-
schen Ansatz und basiert auf den Erkenntnissen von W.G. Sutherland und R.E. Be-
cker.
Die praktische Arbeit beinhaltet ebenfalls einen strukturellen (biomechanischen) und
einen rhythmischen (biodynamischen) Anteil, die jedoch eine organische Einheit bil-
den.
Die Grundhaltung der Mühelosigkeit mit der ‚freien Aufmerksamkeit‘ steht bei der
praktischen Arbeit im Zentrum. Das heisst, dass die Kontaktaufnahme mit den Klien-
tinnen und Klienten aus einer neutralen Haltung heraus geschieht.
In der Therapie werden drei Aspekte berücksichtigt:
• der strukturelle Aspekt: Anatomie, Biomechanik, Palpation
• der rhythmische Aspekt: die Craniosacrale Bewegung, der Cranialrhythmische
Impuls- und weitere Eigenbewegungen
• der psychosomatische Wirkmechanismus
In der praktischen Arbeit unterscheidet man drei Phasen:
• erste Phase: die Beobachtung der Eigenbewegung (Motilität)
• zweite Phase: die Überprüfung der Beweglichkeit der Strukturen (Mobilität)
• dritte Phase: die Anwendung der Techniken
Die Craniosacrale Osteopathie und ihre Anwendungsmöglichkeit am Fuss
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5. Praktische Anwendung der CSO auf die Reflexzonen des Fusses
5.1. Die Palpation des Craniosacralen Rhythmus (CS-Rhythmus) am Fuss
Die ‚Palpierstation’ an den Füssen durch das Halten der Fersen gehört in der Cra-
niosacralen Osteopathie zur Routine. Dass ich aber den CS-Rhythmus am Fuss
auch im Verlauf der Wirbelsäulenzone wahrnehmen kann, war für mich eine neue
Erfahrung. Es fühlt sich so an, als ob eine Welle von der Grosszehe her zur Ferse
fliessen würde, sich dann umdreht und wieder zur Grosszehe zurückfliesst.
Abbildung 7: Wirbelsäule (Froneberg / Fabian, 1992, S. 39)
Die Reflexzonen der Wirbelsäule am Fuss
Die Zonen der Wirbelsäule sind im Verlauf des Längsgewölbes beider Füsse ange-
ordnet und gliedern sich anatomisch-topografisch folgendermassen:
• die Halswirbelsäule (C1-C7): in der Länge des Grundgliedes medial entlang der Grosszehen
• die Brustwirbelsäule (Th1-Th12): in der Länge des ersten Mittelfussknochens
• die Lendenwirbelsäule (L1-L5): Im Verlauf des ersten Keilbeins bis zur Hälfte-des Kahnbeins
• das Kreuzbein (Sacrum): vom Ende des Kahnbeins bis zum Sprung- und Fer-senbein, woran sich das Steissbein anschliesst
Die Craniosacrale Osteopathie und ihre Anwendungsmöglichkeit am Fuss
18
Handposition 1: Ich beginne am rechten Fuss und lege den Zeige- und Mittelfinger
der rechten Hand auf die Reflexzone des Sacrums. Mit der linken Hand umfasse ich
die Grosszehe von oben, distal. Ich nehme den Rhythmus auf, begleite diese Roll-
bewegung von distal nach proximal und lasse mich von dieser Welle tragen. Ich
nehme das Bewegungsausmass wahr, die Stärke beziehungsweise Schwäche des
Ausdrucks. Weiter beobachte ich, ob sich die Welle gut verschiebt oder ob sie ir-
gendwo hängen bleibt. Ich bin mit der ‚freien Aufmerksamkeit‘ gegenwärtig. Ich neh-
me die Amplitude, die Kraft und die Weichheit der Welle wahr. Dasselbe mache ich
mit dem linken Fuss. Ich prüfe, ob ich eventuell Unterschiede zur rechten Seite
wahrnehmen kann.
Handposition 2: Die rechte Hand umfasst die linke Ferse so, dass der Daumenbal-
len auf die Reflexzone des Sacrums zu liegen kommt. Den Daumen der linken Hand
lege ich auf die Reflexzone der Wirbelsäule, die übrigen Finger umfassen den Vor-
fuss von medial. Mit dieser Handposition kann ich die Pulsation verstärken, indem ich
mit dem Daumenballen einen leichten ‚Kick‘ gebe, wenn die Rollbewegung in der
Sacrumzone angekommen ist. Zugleich gebe ich einen leichten Zug nach distal. Das
Einführen eines Stillpoints geschieht dadurch, dass ich eine Kompression auf die Re-
flexzone des Sacrums ausübe, indem ich mit dem Handballen einen leichten, konti-
nuierlichen Druck ausübe.
5.2. Transversalfaszien oder Diaphragmen (äussere Faszien)
Bei der praktischen Arbeit geht es darum, eine strukturelle Läsion oder Dysfunktion
im Organismus aufzufinden und dann zu behandeln. Da durch diese Diaphragmen
wichtige Verbindungen der Bluzirkulation, des Lymphflusses, der Verdauung und der
Nervenversorgung laufen, ist es wichtig, dass sie locker und elastisch sind, damit
sich auch die Organe frei bewegen können. Wenn ich den ganzen Fuss des Men-
schen in die Hand nehme, ihn umfasse, spüre ich, ob er in den Zonen, die den
Transversalfaszien entsprechen, angespannt, verhärtet oder gestaut ist. Innert kür-
zester Zeit erhalte ich so eine erste Aussage über seinen momentanen Spannungs-
zustand im Körper.
Die Craniosacrale Osteopathie und ihre Anwendungsmöglichkeit am Fuss
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Abbildung 8: Die drei Querzonen (Marquardt, 1989, S.24)
Handposition für den rechten Fuss: die rechte Hand liegt plantar von distal nach
proximal auf, die Finger zeigen Richtung Schienbein. Die linke Hand liegt dorsal von
distal nach proximal auf, die Finger zeigen Richtung Ferse.
Die Handposition für den linken Fuss ist umgekehrt.
Die Craniosacrale Osteopathie und ihre Anwendungsmöglichkeit am Fuss
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5.2.1. Das Zwerchfell – respiratorisches Diaphragma
Das Diaphragma ist ein kuppelförmiger Muskel und trennt den Brustraum von der
Bauchhöhle. Das Zwerchfell ist am Schwertfortsatz des Brustbeins (Sternum), an den
sechs Rippenbögen und hinten (dorsal) an der Wirbelsäule (LWK 1-4) befestigt. Das
Diaphragma ist unser wichtigster Atemmuskel. Er weist drei grosse Durchtrittsstellen
auf: für die Aorta, welche das arterielle Blut vom Herzen in die untere Körperhälfte
bringt; für die untere Hohlvene (Vena cava inferior), welche das gesamte Blut aus der
unteren Körperhälfte zurück zum Herzen bringt; und für die Speiseröhre (Oesopha-
gus).
Topografie am Fuss:
Am Fuss liegt die Zone für das Zwerchfell direkt unterhalb des Quergewölbes im Be-
reich der Mittelfussknochen, auf Höhe der sogenannten Lisfrancschen Gelenklinie.
Diese zweite Querlinie entspricht der Horizontalen des unteren Rippenrandes. Zu-
dem bieten sich zwei Maximalpunkte in der Längszone 2 und 3 als beste Beeinflus-
sungsstellen des ganzen Zwerchfells an.
Techniken zur Lösung des Zwerchfells über die Reflexzone am Fuss mit Kompression/ Dekompression:
Handposition 1: Die Hände umfassen querliegend von dorsal (auf den Fussrücken)
und von plantar (von der Fusssohle her) zuerst den rechten, dann den linken Fuss
unterhalb des Fussballens auf Höhe der zweiten Querlinie, der Lisfrancschen Gelen-
klinie.
Mobilisierung: Die Mobilisierung geschieht durch einen leichten Druck beider Hände
zur Mitte hin. Diese ‚initiale Kompression‘ soll das Gewebe zur Mitarbeit aufrufen. Die
so provozierten Lösungsbewegungen nehme ich auf und folge ihnen. Diese Kom-
pression führe ich mehrmals durch. Sie bewirkt ein Lösen des Zwerchfells über die
Reflexzone am Fuss.
Handposition 2: Ich umfasse den rechten Fuss von lateral, also von der Seite her,
mit der linken Hand. Der Daumen liegt plantar auf Höhe der zweiten Querlinie, in der
Längszone 2 und 3, die übrigen Finger liegen auf dem Fussrücken. Die rechte Hand
lege ich in derselben Art um den linken Fuss. Mit dieser Handhaltung kann ich die
Kuppelstruktur des Zwerchfells besser wahrnehmen. Die Daumen markieren dessen
Verlauf.
Die Craniosacrale Osteopathie und ihre Anwendungsmöglichkeit am Fuss
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Mobilisierung: Wie oben beschrieben gebe ich eine ‚initiale Kompression‘ mit bei-
den Händen von lateral und mit dem Daumen auf die Maximalpunkte. Diese Kom-
pression kann ich auch mehrmals durchführen.
Handposition 3: Ich umfasse den rechten Fuss von lateral und medial mit bei-
den Händen unterhalb des Fussballens auf der Höhe der zweiten Querlinie. Der
rechte Daumen liegt plantar auf der Längszone 2, der linke Daumen liegt auf der
Längszone 3. Nun gebe ich mit beiden Daumen einen leichten Druck zur Mitte hin,
die dorsal aufgelegten Finger machen eine leichte Dehnung nach aussen. Ich betone
so das Quergewölbe am rechten Fuss und halte ihn in einer Bogenspannung. In der-
selben Weise verfahre ich mit dem anderen Fuss.
Für die Dekompression gehe ich in die Ausgangsstellung, danach mache ich eine
Kompression in die entgegengesetzte Richtung, das heisst, ich drücke mit den Fin-
gern, die dorsal aufliegen, nach plantar und mache eine Dehnung nach aussen hin.
Klientenbeispiel: Herr H. (61 Jahre) hat Mühe mit der Verdauung, vor allem bei
Stress am Arbeitsplatz. Ich behandle die Zone des Zwerchfells an seinem Fuss in der
oben beschriebenen Weise. Innert kürzester Zeit wird die Darmperistaltik aktiv. und
es treten hörbare Darmgeräusche auf. Seine Atmung wird ruhiger, tragender und
vertieft sich. Ich ermuntere Herrn H., sich im Alltag selbst seine Füsse in dieser Zone
des Zwerchfells zu behandeln. Bei der nächsten Behandlung erzählt er mir, dass sei-
ne Verdauung bedeutend besser sei und dass er sich allgemein viel vitaler fühle!
5.2.2. Obere Thoraxapertur (thoracic outlet, obere Brustkuppel)
Das Gebiet der oberen Thoraxapertur erstreckt sich vom 5./6./7. Halswirbel bis zum
1./2. Brustwirbel mit den oberen Rippen, den Schlüsselbeinen (Claviculae) und dem
oberen Anteil des Brustbeins (Manubrium sterni) und den Schulterblättern (Sca-
pulae). Der Nervus Vagus und der Nervus phrenicus treten auch durch diesen Be-
reich hindurch sowie die grossen Gefässe, wie die Venae jugulares, die Venae und
die Arteriae subclaviae, der Aortenbogen, die Arteriae carotes und die grossen
Lymphgefässe.
Topografie am Fuss:
Am Fuss liegt diese Zone im Bereich der Zehengrundgelenke, distal (oberhalb) des
Fussballens, im Verlauf der ersten Querzone am oberen Schulterrand und erstreckt
sich über alle Längszonen hinweg.
Die Craniosacrale Osteopathie und ihre Anwendungsmöglichkeit am Fuss
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Technik zur Lösung der oberen Thoraxapertur über die Reflexzone am Fuss mit Kompression/Dekompression:
Handposition 1: Die linke Hand umfasst die Zehen des rechten Fusses, die rechte
Hand jene des linken Fusses im Bereich der Zehengrundgelenke, oberhalb des
Fussballens, von der Seite herkommend (lateral). Der Daumen liegt auf der ersten
Querzone plantar.
Handposition 2: Es werden nacheinander der rechte und der linke Fuss behandelt,
das heisst, es wird zuerst der rechte und dann der linke Anteil der oberen Thora-
xapertur gelöst. Ich beginne mit dem rechten Fuss, umfasse ihn mit beiden Händen
im Verlauf der ersten Querzone und baue durch leichtes Dehnen nach aussen und
unten eine gute Bogenspannung nach plantar auf.
Klientenbeispiel: Frau M. (65 Jahre) verspürt Verspannungen im Schulter- Nacken-
bereich und hat leichte Kopfschmerzen. Ein intensiver Bürotag liegt hinter ihr. Sie ist
froh, dass sie sich zu einer Behandlung hinlegen darf. Beim Halten ihrer Füsse fällt
mir auf, dass der Vorderfussbereich stark angespannt und das Quergewölbe ‚durch-
getreten‘ ist. Ich arbeite am Fuss in der Zone der oberen Thoraxapertur. Schon bald
meldet Frau M., dass ihre Hände warm werden und das Kopfweh verschwunden ist.
5.2.3. Der Beckenboden – Diaphragma pelvis und Diaphragma urogenitalis
Die Muskulatur des Beckenbodens ist dreischichtig und wird durch Faszien vonei-
nander getrennt. Duchquert werden die Beckendiaphragmatas vom Anus, der Harn-
röhre und der Vagina. Das Diaphragma pelvis kann als ein Unterstützungssystem der
Beckenorgane angesehen werden. Es liegt wie eine ‚Hängematte‘ am Beckenboden
und wird im Wesentlichen vom grossen Musculus levator ani gebildet. Wenn die
‚Hängematte zu wenig gespannt ist, hängen die Eingeweide, die Blase und der Ute-
rus zu tief. Durch seine Ansätze am Kreuzbein und am Steissbein kann der Becken-
boden diese bei Kontraktion oder starker Verspannung nach vorne ziehen und
dadurch das craniosacrale System in Flexion fixieren beziehungsweise die Extension
behindern.
Topografie am Fuss:
Am Fuss liegt die Reflexzone des Beckenbodens auf der Höhe der dritten Querzone,
etwa in der Hälfte des Fersenbeins, und geht über alle zehn Längszonen hinweg.
Die Craniosacrale Osteopathie und ihre Anwendungsmöglichkeit am Fuss
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Technik zur Lösung des Beckenbodens über die Reflexzonen am Fuss mit Kompression/Dekompression:
Handposition 1: Die linke Hand umfasst die rechte Ferse, die rechte Hand lege ich
auf das Fussrist (dorsal), der Daumen liegt auf der dritten Querlinie (plantar). Nach-
dem ich die Reflexzone des Beckenbodens auf der rechen Seite gelöst habe, wende
ich mich in gleicher Weise dem linken Fuss zu.
Handposition 2: Ich umfasse gleichzeitig den rechten und den linken Fuss so, dass
die Ferse auf den Fingern aufliegt und die Daumen an der dritten Querlinie der Fuss-
sohle angelegt werden können. Beim bimanuellen Arbeiten kann ich eventuelle Un-
terschiede von der rechten zur linken Seite besser wahrnehmen.
Klientenbeispiel: Frau K. (81 Jahre) hat eine schwache Blase. Wenn ich ihren Fuss
in den Händen halte, fühlt sich der Fersenbereich steif und kühl an. Nach dem Lösen
des Beckenbodens über die Reflexzone am Fuss hat Frau K. warme Füsse und das
ganze Gebiet um das Sprunggelenk ist weicher und beweglicher. Ich motiviere Frau
K., mit ihren Füssen regelmässig kreisende Bewegungen im Uhrzeigersinn wie auch
in der Gegenrichtung zu machen und die Füsse vor- und zurückzubewegen (Plant-
arflexion). Frau K. macht täglich ihre Turnübungen. Sie fühlt sich seither ‚verwurzel-
ter‘ und kann ihre Blase besser kontrollieren.
Bei der praktischen Anwendung der CSO auf die Reflexzonen am Fuss ist es für
mich wichtig, dass ich die anatomischen Strukturen am Körper präsent habe. Wenn
ich z. B. in der Zone des Schultergürtels rechts arbeite, arbeite ich nicht am Grundge-
lenk der Kleinzehe rechts, sondern ich stelle mir die Schulter insitu vor, d.h. ich bin
mit meiner Präsenz vor Ort, bei der Schulter.
Die Craniosacrale Osteopathie und ihre Anwendungsmöglichkeit am Fuss
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6. Schlussgedanken
Vor vielen Jahren hatte ich einen Traum. Ich war mit dem Auto unterwegs. Am Zielort
angekommen, stieg ich aus und öffnete den Deckel des Kofferraums, um mein Ge-
päck auszuladen. Doch anstelle des Gepäcks lagen da lauter ausgestanzte Füsse
aus Altpapier. Der ganze Kofferraum war mit diesen „Zeitungs-Füssen“ vollgestopft!
Damals konnte ich mit diesem Traumfragment nicht viel anfangen. Doch heute weiss
ich, dass mich das Thema „Füsse“ durch mein Leben begleiten wird. Es liegt mir am
Herzen, denn mit den Füssen beginnt das aufrechte Gehen des Menschen, die Mög-
lichkeit des Vorwärtsschreitens als Voraussetzung zur Selbständigkeit. Sie sind es,
die uns durch unser ganzes Leben tragen und uns Bodenhaftung vermitteln. In ihnen
steckt ein enormes Potential. So sind sie für mich ein zentrales Instrument der Kör-
pertherapie geworden. Ich benütze sie auch als diagnostisches Hilfsmittel. Sie zeigen
mir, „wo der Schuh drückt“.
An dieser Stelle möchte ich all meinen Patientinnen und Patienten danken, dass sie
mir ihre Füsse anvertraut haben. Sie haben es mir möglich gemacht, das Experiment
zu wagen, die Craniosacrale Osteopathie am Fuss anzuwenden. Ich stehe ganz am
Anfang eines grossen Abenteuers. Zum Beispiel möchte ich auch noch überprüfen,
wie sich die Amplitude des Craniosacralen Rhythmus am Kopf verändert, wenn er
über die Reflexzone am Fuss angestossen wird. Für die viszerale Arbeit des Verdau-
ungssystems bieten sich die Reflexzonen der Füsse geradezu an. Gerne möchte ich
auch weitere Erfahrungen bei der Arbeit an der Reflexzone der Wirbelsäule sam-
meln.
In dieser Arbeit habe ich mich auf das Beschreiben der drei Transversalfaszien und
das Erspüren des Craniosacralen Rhythmus am Fuss beschränkt. Doch in der prakti-
schen Arbeit lassen sich noch viele andere Elemente der Craniosacralen Osteopa-
thie auf die Füsse übertragen. Manchmal kommt es mir so vor, als ob ich in den ver-
gangenen fünf Jahren eine neue Sprache gelernt hätte, nämlich die Sprache der
Craniosacralen Osteopathie. Diese versuche ich nun ansatzweise an den Füssen
anzuwenden. Andererseits lasse ich beim Praktizieren der Craniosacralen Osteopa-
thie immer wieder auch Elemente aus der Atemarbeit und der Reflexologie mit ein-
fliessen.
Die Craniosacrale Osteopathie und ihre Anwendungsmöglichkeit am Fuss
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Beim Schreiben des praktischen Teils dieser Arbeit habe ich gemerkt, wie schwierig
es ist, das in Worte zu fassen, was die Hände machen und den Ablauf der einzelnen
Sequenzen für einen Aussenstehenden einigermassen verständlich und nachvoll-
ziehbar zu formulieren. Es ist mir bewusst, dass für eine seriöse Arbeit das ‚linkshir-
nige Konzept‘ nicht fehlen darf und dass es mir immer wieder als roter Faden dient,
an dem ich mich orientieren kann.
Es ist mir ein grosses Anliegen, bei jeder Behandlung den ganzen Menschen zu er-
fassen. Auch darf ich immer wieder erleben, dass die Therapie ein wechselseitiges
Geschehen ist, eine Beziehung, an der zwei Menschen gebend und nehmend betei-
ligt sind. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass neben den strukturellen und dynami-
schen Aspekten der Arbeit die Unmittelbarkeit der Beziehung ein wesentlicher Faktor
im Entwicklungs- und Heilungsprozess darstellt.
Schliesslich möchte ich Rudolf Merkel, Udo Blum, Eveline Aebischer und Denise
Rauber herzlich danken für die kompetente und einfühlsame Vermittlung der theore-
tischen und praktischen Grundlagen der Craniosacralen Osteopathie. Sie haben we-
sentlich dazu beigetragen, dass ich mit Freude und grossem Engagement mit dieser
Methode arbeiten werde.
Die Craniosacrale Osteopathie und ihre Anwendungsmöglichkeit am Fuss
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7. Quellenverzeichnis
Agustoni Daniel Craniosacral Rhythmus, Heinrich Hugendu-
bel Verlag, München 1999
Blum Udo/ Steinemann Sylvia Funktionelle Anatomie des Craniosacralen
Systems, Skript 2007
Blum Udo/ Merkel Rudolf Die Behandlung der Wirbelsäule, Becken
und Diaphragmen, Skript 2008
Netter Frank H. Atlas der Anatomie des Menschen, 3. Aufl.,
Urban & Fischer 2003
Dahlke Rüdiger/ Fasel Rita Die Spuren der Seele, 4. Auflage, Gräfe und
Unze 2010
Dahlke Rüdiger Der Mensch und die Welt sind eins, Heinrich
Hugendubel Verlag, München 1987
Benninghoff/ Drenkhahn Taschenbuch Anatomie, 1. Auflage, Urban
und Fischer 2008
Fulford Robert Puls des Lebens, Jolandos 2005
Kraif Ursula Duden, Das grosse Fremdwörterbuch,
4. Auflage 2006
Liem Thorsten Kraniosacrale Osteopathie, Ein praktisches
Lehrbuch, 4. Auflage, Hyppokrates 2005
Löwe Ramraj Ulrich Craniosacrale Heilkunst, Aurum 2005
Marquardt Hanne Unterm Dach der Füsse,
Verlag Hanne Marquardt 2003
Marquardt Hanne Reflexzonenarbeit am Fuss, 19. Aufl.,
Haug Verlag 1989
Merkel Rudolf Craniosacrale Osteopathie: Grundkurs: Un-
tersuchung und Palpation der Knochenstruk-
turen, Skript: 2005 2.
Teil: Bindegewebe und Hirnhäute,
Skript 2006
Die Craniosacrale Osteopathie und ihre Anwendungsmöglichkeit am Fuss
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3. Teil: Gesichtsschädel, Kiefergelenk,
Skript 2006
4. Teil: Flüssigkeiten, Skript 2006
5. Teil: Cranio 5 und 6, Energie (Theorie),
Energie (Praxis), Skripte 2007
Merkel Rudolf Hirnnerven, Schwindel, Tinnitus, Skript 2009,
1.-- 3. Teil, Stillpoint Verlag
Merkel Rudolf Kinderbehandlung, Skript 2007
Pschyrembel Klinisches Wörterbuch, 256. Auflage,
De Gruyter Walter 1990
Putz R./Pabst R. (Hrsg.) Sobotta, Atlas der Anatomie des Menschen,
22. neubearbeitete Auflage, Urban und Fi-
scher
Still Andrew Taylor Der Natur bis zum Ende vertrauen,
Gedanken zur osteopathischen Philosophie,
2. Auflage, Jolandos 2003
Trowbridge Carol Andrew Taylor Still 1828-1917, 3. Auflage,
Jolandos 2006
Upledger John Auf den inneren Arzt hören, 3. Auflage,
Ullstein 2008