Das Meer schluckt auch unsHelden
Deutsch-deutsche Tragikomdie
von Steffen GreschCopyright Steffen Gresch 2005-2010
ERSTER AKTFrhsommer. Eine Art Traumschiff, das aus
Venedig ausluft. Kajte. Als Wohnraum und
Bro eingerichtet. Groes Bullauge im
Hintergrund, halb unter Wasser. Abendsonne.
Manchmal sieht man "vorbeifahrende"
Elemente der Stadt, wie den Markusplatz oder
den Dogenpalast. Die Tr ist offen. Ein elegant
sportlich jugendlich wirkender Mann mit
aufgesetzter Baseballkappe, Anfang Vierzig
sitzt an einer Art Empfangstisch und ordnet
irgendwelchen Papierkram. Man hrt Schritte.
Eine Frau, scheinbar Mitte Dreiig, Siebziger
Retro-Look, Sonnenbrille, knielange Stiefel,
erscheint im Trrahmen.
Sie: Sie entschuldigen, Zimmerfnfundachtzig?
Er: Ganz genau, so ist es.Sie: Der Steward sagte mir, hier sei die
Reiseleitung.
Er: Na ja, wenn Sie so wollen. Ich bin fr dieKultur hier auf dem Schiff zustndig und
bernehme auch die eine oder andere
organisatorische Gepflogenheit. So auer
Atem? Was kann ich fr Sie tun?
Sie: Mein Intercity aus Mnchen hatte inVenedig ber eine Stunde Versptung. Der
Matrose war schon dabei, die Seile von den
Bollern zu lsen. Er lie mich noch
aufspringen. Das kostete mich einen Klapps
aufs Heck!
Er: Sehr charmant. Wie sah er aus?Sie: Er war unrasiert, krftig untersetzt, undich hatte den Eindruck, er gehre einer
Geheimorganisation an.
Er: Geheimorganisation. Ich verstehe.
Welche Geheimorganisation knnte das
wohl sein?
Sie: Woher soll ich das wissen! Er hatteeine Sonnenbrille auf, die so gro war, wie
die von Elton John in seinen besten Jahren.
Er trug eine Lenin-Mtze, aber ohne roten
Stern auf der Vorderseite. Whrend seine
Hand auf meinem Hinterteil ruhte, sagte er.
- Wenn du ein Problem hast, helf` ich dir
ich heie Wladimir. Ist das jetzt etwa ein
Verhr, oder was?
Er: Nein. Aber Ihretwegen werde ich michnicht mit der Mannschaft anlegen.
Sie: Ich melde das wohl besser demKapitn. Der wird mich hoffentlich ernster
nehmen, als Sie. Sie sind ja
Er: Unser Kptn wird sich Ihrem Problem
bestimmt annehmen. Er hat ja auch ganz
viel Zeit. Sie wollen sich wahrscheinlich
anmelden, wenn ich das richtig sehe.
Sie: Wozu sollte ich wohl sonst zu Ihnen
kommen?
Er: Dann brauche ich Ihren Reisepass. Und
schlieen Sie die Tr, wenn mglich.
Diskretion, Sie verstehen. Sie tut es. Knallt
ihm den Pass hin. Er gleicht ihre Daten mit
der Teilnehmerliste ab.
Er: Hoho! Einen echten Medienstar haben
wir hier an Bord! Die auergewhnliche
Gewinnerin unserer Kreuzfahrt plus eine
Million Gewinnsumme, die den jngst
geschassten Arbeitsminister im TV-Quiz
aufs Kreuz gelegt hatte. Nun? Und gar nicht
in fernsehblond heute?
Sie: Wo verdammt noch mal bin denn ich
hier? Kmmern Sie sich um ihren Job, oder
um meine im Unterschichtenfernsehen
gewonnene Million?
Er: I am sorry. Ersteres freilich. Ersteres. Es
geht mich ja auch wirklich nichts an. Nimmt
nicht ganz ernstzunehmend Haltung an.
Willkommen an Bord der "Estefania". Ihre
Chipkarte fr die Lounge im Oberdeck.
Irgendwelche gesundheitlichen Risiken
hinsichtlich Seekrankheit oder so?
Sie: Wo denken Sie hin? Ich reise nicht zum
ersten Mal mit einem Schiff!
Er: Kniet nieder. Dann berreiche ich Ihnen
hiermit offiziell den Zimmerschlssel fr die
Kabine Fnfundsechzig! Beste Aussicht am
Bug! - Schaut wie ein Hund zu ihr auf. Am
Bug wohl bemerkt, nicht am Heck. Kichert in
sich hinein. Beiseite. Wau, wau!
Sie: In Pose. Was ich aber auch
megaknppeldick gehofft haben mchte. Sie
knnen jetzt aufstehen.
Er: Steht auf. Vergessen wir unser
missglcktes Warm-Up. Ich setze
selbstverstndlich meinen guten Leumund
dafr ein, das unverantwortliche Verhalten
dieses Matrosen umgehend ahnden zu
lassen.
Sie: Gut so. Werfen Sie ihn ber Bord!
Steckt den Reisepass wieder ein. Und zwar
sofort!
Er: Wird umgehend in die Wege geleitet,
Mademoiselle. Hier unterschreiben bitte
noch!
Sie: Tut es. Also, Zimmernummer
Fnfundsechzig knnte mir sogar gefallen.
Ist nmlich zufllig mein Jahrgang, wie sie
sicher gerade in der Liste bemerkt haben
drften. Ihn musternd. Ich kannte mal...
Er: Ich interessiere mich grundstzlich nicht
fr das Privatleben meiner Gste. Aber
wenn Sie das jetzt so sagen. Na ja. - Ihr
Jahrgang! Kompliment! Als sie zur Tr
hereinkamen, htte ich ehrlich gesagt mehr
auf die Epoche von Abba oder Boney M.
getippt. Was Ihr Baujahr betrifft, meine ich.
Beiseite. Diese Stiefel!
Sie: Und ich dachte schon im vollen Ernst,
Daddy Cool stnde selbst vor mir. Beiseite.
Diese degenerierte Baseballkappe!
Er: Danke fr die Zuwendung. Lassen Sie
mich nun nur Ihnen exklusiv ein Geheimnis
anvertrauen!
Sie : Nur zu! Wollen Sie es in meinMillionrs-Ohr flstern? Macht die Hand an
selbiges.
Er: Hineinflsternd. Auch ich bin ein echter
fnfundsechziger !
Sie: Was? Wirklich? - Also bei genauerem
Hinsehen. Nun ja. - So ein Reiseleiter lebt
offenbar recht unstet.
Er: Wie bitte? Sagten Sie gerade unstet,
Madame? Vor Ihnen stehen drei Jahre
Wellness. Schauen Sie genau hin - fast
Waschbrett! - Und das alles in meinem Alter!
Sie: Lacht. Haben Sie ne Homepage? Sie
kommen bei mir auf die Favoritenliste!
Garantiert! Lacht weiter.
Er: Ist leider noch ne Baustelle...
Sie: Dilletant!
Er: Langsam! Fr die Powerpoint-
Presentation meines Internet-Portales suche
ich noch eine latent lasziv, naturbraune
Frhvierzigerin mit sonorer TV-Stimme.
Reprsentativ sozusagen fr die aktive Mitte
im kommenden Jahrzehnt. Giet sich etwas
ein. Mgen Sie auch n Eistee.
Sie: Lassen sie mal. Die aktive Mitte des
nchsten Jahrzehntes ist jetzt doch ein
bisschen mde. Ich geh mal lieber hoch in
die Lounge. Von ihrem Stewart hatte ich
erfahren, dass es dort Campari zum Duty-
Free-Transfer gibt.. Und dann will ich mir
mein Zimmer ansehen und irgendwann auch
noch meine Sachen auspacken
Er: N Martini wrd es auch machen! Geht
zum Khlschrank.
Sie: Nur, wenn Sie keinen Eistee dabeitrinken.
Er: Akzeptiert. Ich muss erst morgen frh
wieder auf der Matte stehen. Da darf es
auch schon mal ein wenig unsteter zugehen,
nicht wahr. - Das Eis hab ich vergessen.
Wieder zum Khlschrank.
Es klopft. Er ffnet nur fr einen Spalt die
Tr. Sie mchten sich noch anmelden?
Nehmen Sie Kabine achtunddreiig. Hier
sind die Schlssel. Die Mini-Bar befindet
sich auf dem Flur. Ihre Psse knnen Sie
beim Roomservice abgeben. Sie erhalten
sie morgen von mir zurck. Fr heute habe
ich Feierabend. - Schnen Abend noch und
angenehmen Aufenthalt! Schliet die Tr
Sie: Welche Ehre mir wohl zu Teil kam,
dass Sie mich nicht auch zum Roomservice
schickten!
Er: Aber nicht doch! Der Siegerin einer weit
ber die Landesgrenzen hinaus bekannten
Quiz-Show gebhrt natrlich ein
angemessener, erquickender
Sonderempfang. Salute, Schnbaum, mein
Name! - Auf Ihre gewonnene Millionen! Auf
die Estefania!
Sie: Auf Ex, Monsier Schnbaum! Ich
heie Rebstock.
Er: Jawohl, auf Ex! SenoritaRebstock?
Rebstock...?
Sie trinken.
Sie: Hlt ihm das leere Glas hin. Noch
einen!
Er: Schenkt ihr und sich ein. Greift ihre
Halskette. Sie sind ja eine
Skorpiongeborene! Ich bin brigens
Schtze!
Sie: Nimmt ihm die Baseballkappe ab. Setzt
ihm ihre Sonnenbrille und die Kappe auf.
Soweit sind wir noch nicht. Seien Sie ein
guter DJ! Legen Sie was hippes fr mich
auf!
Er: Fr Sie den ganzen Abend lang Heino.
Wenn Sie nur wollen.
Sie: Ich will House! Trinkt. Electric, Funk
and Salsa, - Electric, Funk and Salsa,
Electric, Funk and kennen Sie das noch?
Er: Da muss ich aber etwas kramen in
meiner Sammlung. Verschwindet unter dem
Bett. Schenken Sie sich nur weiter ein. Es
ist genug fr uns beide da.
ABBLENDE
Ebenda. Etwa eine Stunde spter.
Abenddmmerung. CD-Player mit
flackerndem Display, fast stroboskopartig.
Sie tanzen zu Daft Punk "Arround the
World".
Sie: Siebenundneunzig war ich auf der
Love-Parade in Berlin. "Let the Sunshine in
your Heart" hie das Motto damals.
Er: Und ich war achtundneunzig dabei: "One
World, One Future."
Einskommaeinsmillionen Teilnehmer im
Tiergarten!
Sie: Mein Gott ! Da haben wir uns ja genau
um ein Jahr verfehlt!
Er: Wie ist es? Wollen wir uns nicht duzen?
Sie: Klar, dachte ich auch schon die ganze
Zeit.
Er: Also - Bernhard.
Sie: Undine.
Er: Undine???
Sie: Ja. Undine. Dir gefllt wohl mein Name
nicht?
Er: Nein, nein. Ganz im Gegenteil. Ich
kannte da mal eine Undine, die msste auch
in unserem Alter sein.
Sie: Und ich auch einen Bernhard, der
knnte durchaus...
Er: Schaltet Musik ab. Was denn, Undine,
du?!
Sie: Ja jetzt...
Er: Mensch, wie man so was verdrngen
kann! Damals Sommer fnfundachtzig -
Dresden. Andy Warhole. Die Ausstellung!
Sie: Aber du kommst nicht aus Dresden.
Er: Du aber auch nicht. Nun erkenne ich
diese Besonderheit an deinem Mundwinkel.
Du bist es wirklich!
Sie: Ich hab mich die ganze Zeit schon
gefragt: Ist er es? Ist er es nicht? War mir
nur noch nicht ganz sicher.
Er: Mein Gott, haben wir uns verndert! Fast
wren wir noch aneinander vorbeigelaufen.
Sie: Aber nein.. Ich htte dich schon
irgendwann angesprochen. Kssen sich.
Gieen sich den letzten Rest der Flasche
ein.
Er: Singt. Der Mar-tin-i! Spricht wieder. Nun
ist er leer.
Sie: Und was machen wir jetzt?
Er: Ich muss morgen fit sein, Undine. Fr
die Begrung der Gste.
Sie: Einen knnen wir doch noch trinken. Du
hast doch bestimmt noch was da.
Er: Gut einen. Zum Khlschrank. Lass uns
dann fr heute aber Schluss machen. Ich
sollte das auch erst einmal verarbeiten,
weit du!. Neue Flasche. Giet ein. Geht ins
Bad. Man hrt die Dusche.
Sie: Ja. Bernhard. Ich auch. Zieht sich aus.
Geht ins Bett.
ABBLENDE
Nchster Tag. Sptnachmittag. Bernhard
allein in der Kajte. Es klopft.
Bernhard: Kommen Sie herein. Die Tr ist
offen.
Undine kommt rein. Schliet die Tr. Hallo
Engel!
Undine: Stell dir vor Bernhard! Oben in der
Lounge, gibt es zum Dinner Hummer - dazu
Curacao mit Orange! Wollen wir hin?
Bernhard: Wei noch nicht. Mal sehen.
Heute wird "Good bye, Lenin!" im Bordkino
gezeigt. Anschlieend ist ein Quiz
vorgesehen.
Undine: Ein Quiz?
Bernhard: Ja. ber DDR-Uniformen. Zur
Luft, zu Land und zur See. Volkspolizei und
Stasi sind auch dabei.
Undine: Also dann, Genosse Armeegeneral
- erst Hummer, und after this "Good bye
Lenin!". Im Quiz bin ich ja fit.
Bernhard: Passt, wie immer!
Undine: Hast du Kaffee oder Espresso?
Bernhard: Null Problemo. Ich lasse von
meinem Steward welchen besorgen. Geht
zur Sprechanlage. Edward! Ja, du ich bins
Bernie , knntest du mir, wenn es dir nichts
ausmachen sollte, zwei Tassen Mocca in
meine Kajte kredenzen? - Das heit -
drauen abstellen reicht eigentlich schon.
Ich hole sie mir dann selbst rein... - Ob ich
Besuch habe? Oh ja! Eine Nixe aus
Neubrandenburg! Hchstgefhrlich!
Gefahrenstufe Sechs! Nein!
Sechskommasechs!
Undine: Hlt ihm die Augen zu. Du bist ja
noch schlimmer als ich! BLACK-
Sonnenuntergang. Sie kommen beschwippt
in die Kajte.
Undine: Wahnsinn! Nie htte ich gedacht,
dass unser Kptn aus Potsdam stammt.
Neben mir, im Bordkino erschien er wie ein
reservierter Hanseat. Als se Helmut
Schmidt persnlich neben mir. Beiseite.
Seine Hnde hatte er allerdings nicht immer
unter Kontrolle. Aber so sind nun mal
Seemnner.
Bernhard: Das soll dich nicht wundern,
Kleines. Klaus hatte frher immer Toyotas
von Osaka nach Hamburg verschifft.
Zwischendurch lud er dann hin und wieder
Cuba-Orangen und Bananen in Rostock ab.
Drei Wochen im heimischen gutbewachten
Osten bei Frau und Kind - danach wieder
von vorn das Ganze.
Undine: Ein Kerl von Welt, der mir gefllt.
Schade, dass ich das Quiz nicht gewonnen
habe, und auf Platz fnf gelandet bin. Er hat
immerhin den zweiten Platz belegt.
Bernhard: Du findest ihn also gut?!
Undine: Nur so als Typ.
Bernhard: Jedenfalls gab es in unserer
Family auch so einen Capitano. Diese Leute
hatten schlichtweg einen Sonderstatus bar
jeder Nationalitt. Die DDR im Rcken - was
kmmerte sie das schon! Freie Menschen
waren die. Ab und zu stillten sie ihr
Heimweh bei Frau und Kind und dann
wieder in achtzig Tagen um die Welt.
Undine: Ja. Ja. - Du und ich - wir konnten
das nicht, unser Heimweh stillen, als wir
dann einmal drauen waren.
Bernhard: Nein, nicht wir zwei. Ausgereist
waren wir. Damals 1987. Verwunschen
nicht einander wissend, - am Ende den
gleichen Weg nach drben gegangen zu
sein. Nach unserer gestrandeten Sechs-
Tages-Beziehung im Frhherbst
fnfundachtzig.
Undine: Ja. So war es. Pause. Abwesend.
Hoch oben schwebten wir da, und
unerreichbar war dieses kleine Land nun fr
uns geworden
Bernhard: Damals fnfundachtzig?
Undine: Nein. Spter, am Tag X: als wir es
verlieen. Es gab kein ZURCK. Doch das
hatten wir vorher gewusst. Der Trffner,
den der Grenzbeamte am S-Bahnhof
Friedrichstrae nach der Passkontrolle fr
mich drckte er summte, und summte, und
summte. Er summte noch einmal jenes
Wiegenlied zum Abschied...
Bernhard: Auch Abwesend. ...ein Abschied
von der menschlichen Zivilisation...
Undine: ...dann starteten wir wie ein
verlorengegangener Nachrichten-Satellit mit
unaufhaltsamer Lichtgeschwindigkeit in den
unberechenbaren Westen des Weltalls. Ein
Wiedersehen in zweihundert Jahren
vielleicht oder gar entschwunden fr
immer Das einst so Verfluchte und
Vertraute, Lichtjahre entfernt von uns, sollte
sich wenig spter unerkennbar und
unwiderrufbar verndern.
Bernhard: Es war nun mal fr immer,
Undine. Wollten wir als Kinder nicht alle mal
Kosmonaut werden - so wie Alexander
Kerner in Good bye, Lenin?
Undine: Ja, wie Alex im Kino-Film,
Bernhard. Wir sind ein Stck wie er. Und er
ist ein Stck von uns. Wir haben die Wende,
die wir selbst nicht erlebt haben - nach all
den Jahren - im Herzen noch immer nicht
verstanden - oder wollen sie einfach eben
nie und nimmer verstehen.
Bernhard: Papperlapapp. Mir war die
Wende damals ehrlich gesagt ziemlich egal.
Undine: Stimmt. Wem sagst du das! Auch
mir war sie lstig: Alle Einsamkeit dieser
Welt gemeistert. Und dann standen pltzlich
irgendwelche Leute vor meiner Tr, die
glaubten, Ansprche an mein Leben stellen
zu drfen. Verwandte, nah und fern, aus den
Augen verlorene Freunde, ja selbst
oberflchlich alte Bekannte von einst,
rannten mir damals in Frankfurt die Bude
ein. Ich begann bewusst, mich vom Osten
abzugrenzen, und lernte, mich endgltig als
westdeutsch zu definieren.
Bernhard: Und heute?
Undine: Ein Haufen zerstobener Illusionen.
Nichts gewonnen. Nichts verloren.
Niemandsland lngst abgebrannt. Leben,
wofr, frage ich mich oft.
Bernhard: Man verflucht den ganzen Mist,
den man mit sich herum schleppen muss,
und will sich doch nicht davon lsen.
Undine: Aber waren einst da nicht auch
lichte Momente, Bernhard?
Bernhard: Ja. So zwischen uns. Stille.
Undine: Wir wollten raus, und kamen raus.
Und hatten uns dabei zurckgelassen.
Oder?
Bernhard: Nicht nur uns, denk an das
Sandmnnchen! Das Sandmnnchen,
Undine!
Undine: Lacht. Ja, auch unser
Sandmnnchen. Beide verfallen in einen
minutenlangen Lachkrampf. Sie fallen
bereinander her, ohne Sex zu haben.
Bernhard: Und wenn schon. Der Wechsel
war vollzogen. Wir hatten ein System
berwunden. Wenn auch nur fr uns selbst.
Darauf bin ich immer noch stolz. Es gab und
gibt schlimmere Regime. Okay. Aber wir
waren entkommen. Es war so einfach nicht!
Wir waren Helden. Helden waren wir.
Helden!
Undine: Helden! Das war einmal. Welches
System berwinden wir jetzt?
Bernhard: Das biedere,
raubtierkapitalistische Kasperletheater von
heute etwa?
Undine: Dem sich eigentlich nur pure
Asozialitt widersetzt?
Bernhard: Eine Welt, in der es darum geht,
Reiche gegen Arme auszuspielen. Undine:
Wer schreibt uns die Rollen? Wer entwirft
die Drehbcher? Geht zum Khlschrank.
Macht sich einen Drink. Magst du auch
einen?
Bernhard: O ja gerne! Nimmt und trinkt.
Undine: "Es ist was faul im Staate
Dnemark" Beiseite. Wieso verdammt, lsst
mich der Autor jetzt Shakespeares Hamlet
zitieren!
Bernhard: Ach ja, Hamlet! Wer war denn
Hamlet? - Ein wahnwitziger Zgling. Ein
Psychopath. Hoffnungslos im Abseits irrend,
und dennoch dem Schrecken der Wahrheit
so nah. Du und ich, Undine, wir stehen im
Leben! Doch was Wahrheit ist, das wissen
wir nicht.
Undine: To be, or not to be! - This is the
question of our live.
Bernhard: Mir wird so furchtbar eng hier
unten. Gehen wir an Deck.
Undine: Ja. Gehen wir, liebster. Der
Junimond - er wartet schon auf uns. Sie
verlassen die Kajte.
ABBLENDE
An Deck. Dmmerung. Vollmond.
Bernhard: Wir hatten Glck gehabt, dass es
so schnell ging bei uns. Manche mussten
zehn Jahre warten, um die DDR verlassen
zu knnen.
Undine: Der Honecker-Besuch in Bonn`
siebenundachtzig machte es wohl mglich.
Bernhard: Bist du damals auch im Juni
weg?
Undine: Mhm. - Anfang Juni.
Bernhard: Und ich Mitte Juni. Es war am
Tag der deutschen Einheit.
Undine: Damals - in Dresden, als ich dich
zum ersten Mal in der Galerie vor der
berhmten ausgeliehenen Marylin-Monroe-
Reihe von Andy Warhol sah, im September
fnfundachtzig - ich wusste, dass wir
Gleichgesinnte waren: MISFIT! - Nicht
gesellschaftsfhig!
Bernhard: Da war ich schon am Ende!
FDJ-Kreissekretr htte ich werden sollen.
Aber mit Sex wollte ich meine Laufbahn
nicht bezahlen. - So muss es wohl frher
auch bei der SA unter Rhm zugegangen
sein. Aber vielleicht darf man so was ja
nicht sagen.
Undine: Es hrt ja keiner. Sprich dich nur
aus!
Bernhard Egal. - Du duldest die bergriffe
und steigst allmhlich auf in der Hierarchie. -
Man hlt seinen Arsch hin und macht
Karriere. Sie schwafelten marxistisch-
leninistisches Fachchinesisch, und griffen dir
dabei in die Hose. Zndet sich eine
Zigarette an. Mchtest du auch?
Undine: Nein Danke, jetzt nicht.
Bernhard: Bei einem Treffen junger Autoren
in Weimar, lernte ich Franz kennen.
Gebrtiger sterreicher, lebte er in Mnchen
- und war zwei Jahre lter als ich. Endlich
ein Mann, der mir sympathisch war!
Heimlich verschanzten wir uns in der Gruft
von Schiller und Goethe, und lasen bei
Kerzenlicht Solschenyzin. Drei Flaschen
Tokayer tranken wir, die uns Alfred, ein
schwuler, mitfnfziger Kellner im Hotel
"Elephant", aus dem Lager beiseite
geschafft hatte. Wir mochten uns eben. -
Unter Trnen trennten wir uns in Erfurt. Er
stieg in seinen Zug nach Mnchen - und ich
in den meinigen - zurck nach Leipzig.
Franz hinterlie mir ein Buch als
Abschiedsgeschenk. Es war Trotzkis
"Permanente Revolution". Wochenlang lag
es in der Kreisleitung auf meinem
Schreibtisch. Niemand scherte sich darum.
Dann kam mal zufllig jemand von der
Bezirksleitung ins Bro. Er sah es, und
sprach mich drauf an. - Von da an ging es
abwrts. - Einem Parteiverfahren kam ich
zuvor - und trat aus.
Undine: Bist du denn in den Kahn
gewandert?
Bernhard: Das nicht. Aus einer Partei
austreten, war kein Straftatbestand. Auch in
der DDR nicht. Freilich wurde mir untersagt,
konterrevolutionres Gedankengut in der
ffentlichkeit zu verbreiten. Man behielte
mich unter Beobachtung, warnten sie mich.
Das Buch wurde beschlagnahmt. Da eine
Widmung von Franz drin stand, bekam er
Einreiseverbot. Mir wurde nahe gelegt, den
Kontakt zu ihm abzubrechen.
Undine: Und dann hattest du, wie ich, einen
Ausreiseantrag gestellt?
Bernhard: Mit Franz nahm ich auf
Umwegen wieder Kontakt auf. Er war
inzwischen nach Hannover gezogen. Dort
wohnte auch seine Mutter, die nach einer
Scheidung ihren Mdchennamen wieder
angenommen hatte, und so von vornherein
schon mal aus dem Raster fiel. In einem fast
unbewohnten Leipziger Abrisshaus,
Freunde von mir wohnten dort, richtete ich
mir einen Briefkasten mit Pseudonym ein.
Franz hatte eine Halbschwester, Frederike,
die bereit war, mich in Leipzig aufzusuchen.
Zwei Mal kam sie, zur Frhjahrs- und zur
Herbstmesse, dann wussten wir: Mit uns
klappt das. Heirat war ja ein legitimes Mittel,
um raus kommen zu knnen. Es gab noch
ein paar lstige Anwerbeversuche durch die
graue Eminenz. Ich blockte ab - erschien am
Ende auch gar nicht mehr zu den
Vorladungen. Man machte mir klar, dass ich
lange warten wrde. Pause.
Er blickt nach oben zum Firmament. Da!
Der Junimond! Sie schaut hin. Irgendwie
werde ich das Gefhl nicht los, das er uns
beiden zuhrt.
Undine: Wendet sich ab. Niemand hrt
uns zu. Wir sind mutterseelenallein. Blickt
aufs Meer. Wie ging es weiter? Was kam
dann?
Bernhard: Am siebzehnten Juni
Neunzehnhundertsiebenundachtzig ging
dann pltzlich alles ganz schnell. - Unsere
Ehe wurde vollzogen, und wir konnten
ziehen.
Undine: Ward ihr lange zusammen.
Bernhard: Ich begann, mein Leben neu zu
ordnen. Nach einem halben Jahr mussten
wir uns trennen. Ich wollte nicht sesshaft
werden. Zog immer wieder herum. Durch
Deutschland. Durch Europa. Fr Frederike
war das kein Zustand. Wir konnten uns
damals einfach nicht erreichen. Es ging
nicht.
Undine: Und was macht Frederike jetzt?
Bernhard: Heute wohnt sie in Magdeburg
und arbeitet dort bei der Landesregierung. -
Und ich bin zwar in Erlangen gemeldet, aber
im Prinzip ohne festen Aufenthalt. Seit
Jahren schon. Ich wohne hier auf der
"Estefania". Ich lebe davon, was ich hier
mache.
Undine: Seit ihr denn noch in Verbindung -
du und Frederike?
Bernhard: Nein. Was sie jetzt macht, habe
ich bers Internet raus gefunden.
Undine: Und Kontakt willst du keinen mehr?
Bernhard: Ich empfinde immer noch groen
Respekt, und nicht zuletzt Dankbarkeit fr
sie. Aber die Toten ruhen. Die Toten in
meinem Leben. Die Toten
Erinnerungsfiguren.
Undine: Bin ich auch TOT, Bernhard?
Bernhard: Nein, Undine, bei uns ist das
anders. Wollen wir in die Lounge! Er
umgreift ihre Hften. Es ist windig geworden
hier drauen. Er sieht jemanden an Deck.
Lst sich wieder von ihr. Hallo Klaus! Alles
klar?
Undine: Wie du magst. Aber lass mich bitte
noch einen Moment allein an Deck. Der
Gesang des Meereswindes er tut so gut.
Ich will ihm noch eine Weile lauschen. Hast
du vielleicht jetzt doch eine Zigarette fr
mich?
Bernhard: Klar. Er gibt ihr Feuer und
Zigarette. Gehe schon mal vor. Bis gleich!
Entfernt sich. Klaus, gehst du auch in die
Lounge? Ab.
Undine: Bis spter, Bernhard. Sie raucht
und denkt nach. Das Meer. Weit und breit
kein Land in Sicht. Einmal in zweihundert
Jahren will ich aber Land unter meinen
Fen haben. Doch das verfluchte Meer.
Und die Geschichte.... sie hat uns lngst
vergessen!!! Wirft die Kippe ber Bord.
Verlsst das Deck. -Black out-
ENDE DES ERSTEN AKTES
ZWEITER AKT
Einige Wochen spter. An einem Morgen.
Undines Zimmer offen . Es ist leer gerumt.
Bernhard: Undine! Er bemerkt , dass es
leer gerumt ist. Man hrt jemanden den
Gang lang kommen. Edward!
Edward: Suchst du die junge Dame?
Bernard: Ja, die Passagierin Rebstock. Ich
wollte dringend mit ihr sprechen. Wo ist sie?
Edward: Die hat sich heute frh
abgemeldet, als wir noch im Hafen waren.
Bernhard: Wie denn, abgemeldet?
Edward: Sie wollte zu Fu den Nil weiter -
flussaufwrts. Pyramiden fotografieren und
Krokodile filmen. - Hier, das soll ich dir noch
von ihr geben. Gibt ihm einen
Briefumschlag...
Bernhard: Nimmt ihn. Sie ist also weg.
Edward: Hattest Du sie gekannt?
Bernhard: Was heit gekannt? So richtig
wusste ich gar nichts ber sie. Abwesend.
Undine.
Edward: Undine hie sie! Dann ist sie ja
eine Nixe! Und Nixen bleiben niemals lange
an Bord, Bernhard. Das weit du doch. Und
auerdem: Ist sie nicht die Freundin vom
Kptn?
Bernhard: Ja, da magst du recht haben.
Offenbar hatte ich Rosinen im Kopf.
Edward: Httest du sie geheiratet, wrest
du unsterblich geworden!
Bernard: Warum hast du mir das nicht eher
gesagt, Edward.
Edward: Tja, zu spt.
Bernhard: Es ist nie zu spt.
Edward: Einer Nixe begegnet man nur
einmal in zweihundert Jahren. Gehen wir
heut Abend einen trinken? Sie gehen.
Langsamer Fade out -
Bernhard(im Off): Aber die Runde geht
dieses Mal an dich! Letztens war ich an der
Reihe.
Edward (im Off): Ja, ja schon gut . Heute
wrst du sowieso eingeladen gewesen. Bei
deinem Herzschmerz! Apropos Kptn. Hast
du Klaus irgendwann mal gesehen?
Bernhard( im Off): Nein. Zum Dienst ist er
nicht erschienen, sagte mir der Navigator.
Edward (im Off): So kenne ich Klaus gar
nicht.
Bernhard( im Off): Merkwrdig.
Edward (im Off): Es wird doch nichts
passiert sein? -Fade out-
Am selben Abend. In Bernhards Kajte.
Bernhard und Edward beim Whisky.
Edward: Willst du noch einen Bernhard.
(Schenkt sich und Bernhard ein.)
Bernhard: Ja einer geht noch. Als
Schlaftrunk sozusagen. (Trinkt.)Edward: Da wirst du aber gut schlafen, mein
Freund. Die Flasche ist bald leer. Sicher
wird dir heute nacht noch eine Nixe im
Traum erscheinen. (Trinkt.)Bernhard: Ja, eine Nixe. - Eine Nixe am
Nil, die Mumien beschwrt und Pharaonen
beglckt.
Edward: Wer sie heiratet, wird unsterblich.
Bernhard: Du sagtest dies heute morgen
schon. Woher weit du das?
Edward: Woher? Aus einem alten
Seemannsmrchen, gesponnen mit
Jahrhunderte langem Seemannsgarn. Ein
schottischer Landsmann hatte es mir einst
erzhlt.
Bernhard: Ich kenne es noch nicht. Tell
me your Story, Edward!
Edward: Aber nur, wenn du dabei nicht
einschlfst. Versprochen?
Bernhard: Versprochen. Pionier-Ehrenwort!
Edward: Na dann. Bist du bereit?
Bernhard: ( Bernhard fallen die Augen
zu. Macht den Gru der Jung-Pioniere.)
Immer bereit!
Edward: Du meintest wohl IMMER BREIT!
Zgert. Also gut. - Vor langer, langer ,
lngst vergessener Zeit, fuhr ein Schiff aus
dem Hafen von Alexandria hinaus auf das
weite, weite Meer und nahm Kurs, auf ein
lngst untergegangenes Eiland, mit Namen
Atlantis. Dort, auf Atlantis, ging ein jeder
seiner Muse nach und keiner wurde zu
irgendetwas gezwungen. Niemand wollte
reicher sein, als der andere, oder ihm gar
etwas wegnehmen. Es war genug fr alle
zum Leben da, und wer konnte und wollte,
baute frohen Mutes mit; - an den hohen
Trmen, den schnen und groen Palsten.
Er tat Dienst in den edlen und strahlenden
Tempeln der Hauptstadt - oder kmmerte
sich um die prchtigen, fruchtbaren Grten,
und die mit Blumen und Palmen
geschmckten Wiesen auf der seligen Insel.
Auch saen holde Sngerinnen auf den
Stufen der Treppen hinauf zu den heiligsten
Hallen des Reiches, an ihren
wohlklingenden Harfen - und verschnerten
Jung und Alt, Frau und Mann, mit ihren
sen Liedern bei Tage, wie zur
Abendsonne, und manchmal auch unter
dem klaren Sternenhimmel - ihr
segenreiches Leben...
Edward: Hrst du noch zu Bernhard?
Bernhard: Natrlich. Ich bin noch voll da.
Edward: Du bist VOLL da.
Bernhard: Sandmann, lieber Sandmann...
(Bernhard schnarcht.)
Edward: Na gut. Ein ander Mal mehr.Er
legt ihn ins Bett. Knipst das Licht aus
und verlsst die Kajte.
Im Off/Also nicht sichtbar. Wo verdammt,
kann nur Klaus abgeblieben sein? Ein
Kapitn lsst doch nicht einfach seine
Mannschaft im Stich!
ZEITSPRUNG
Ein Jahr spter. Kap Arkona auf Rgen.
Aussichtspunkt. Leuchtturm.
Undine im Blazer. Bernhard im billigen
Jogginganzug.
Undine: Hier sind wir frher immer
hingefahren. Am Ende der Ferien. Es war
das Ende der Welt fr uns.
Bernhard: Ja. Das Ende unserer kleinen
Welt. Lngst ist sie untergegangen.
Undine: Ich habe ein Kind abgetrieben, und
wei nicht, ob es von Klaus oder von dir ist.
Pause.
Bernhard: Du berforderst mich. Deswegen
hast du mich also hierher bestellt.
Undine: Nein. Es war der Hafen von
Venedig, die Akropolis, oder die Sphinx von
Gizeh. Ich wollte einfach noch mal all die
erbaulichen historischen Erluterungen
darber von dir hren, die du den Gsten
immer aufgetischt hattest.
Bernhard: Mach dich nicht lcherlich. Das
ist der Schnee von vorgestern.
Undine: Ich mich lcherlich machen! Wie
soll ich damit leben?
Bernhard: Du musst damit leben.
Undine: Du etwa nicht?
Bernhard: Du httest eben mit Klaus nicht
ficken mssen. Ich bin auch gar nicht
wichtig. Wahrscheinlich war es sowieso von
ihm.
Pause. Sie schaut aufs Meer. Er macht
Landschaftsaufnahmen mit seinem Handy.
Am Ende fotografiert er Undine. Was fr
eine Wonne! Eine Nixe am Kap Arkona!
Undine: Hr auf damit! So lst man
Probleme nicht.
Bernhard: Es gibt kein Problem. Lass uns
das vergessen hier, ja! Und zwar schnell.
Geht.
Undine: Ihm nach schreiend. Fr dich nicht.
Fr dich gibt es kein Problem. Fuck you!
Sucht eine Nummer in ihrem Handy.
Bernhard: Kommt zurck. Was erwartest du
von mir? Was soll ich machen?
Undine: Steckt das Handy weg. Reue
zeigen. Einen Ansatz von Reue wenigstens.
Bernhard: Reue!! Dafr dass ich mithren
musste, wie ihr bei Mondschein zusammen
an Deck Sex hattet! Und das alles bei
Vollmond! Im Juni! Nein. Nix bereuen! Ohne
mich das Ganze!
Undine: Ich geh jetzt runter an den Strand.
Wenn du willst, kannst du ja mitkommen.
Geht. Mach, was du willlst.
Bernhard: Wtend. Bin ich dein Hund oder
wie?
Etwas spter
Am Strand.
Undine: Du verstehst mich nicht.
Bernhard: Ich verstehe dich sehr wohl. Du
willst jetzt, dass ich mich schme, mich
berhaupt jemals auf dich eingelassen zu
haben. Das kannst du dir abschminken!
Sucht nach Muscheln.
Undine: Vielleicht hast du Recht.
Bernhard: Ein Bernstein! Mit Fliege sogar!
Ich schenk ihn dir! Legt ihn in ihre Hand.
Leb wohl, liebste Nixe! Geht.
Undine: Bestrzt. Jetzt bleib doch! Du
sollst dich nicht schmen. Das ist doch
kindisch.
Bernhard: Kommt zurck. Ich soll mich also
nicht schmen. Was dann?
Undine: Stehen sollst du zu mir.
Wenigstens im Nachhinein.
Bernhard: Wie war das noch? Ich stehe zu
dir, und anschlieend stehst du zu Klaus.
Klaus, der Allerweltskapitn. Klaus, dem die
Weltgeschichte egal sein konnte. Klaus ber
alle Meere. - So geht das nicht, Frau Nixe.
Undine: Klaus ist vermisst. Ich erfuhr es, als
ich, von Kairo aus, Euch auf hoher See noch
einmal angerufen hatte.
Bernhard: Lakonisch. Inzwischen gibt es
Neuigkeiten.
Undine: Was fr Neuigkeiten?!
Bernhard: Man fand seinen Leichnam am
Strand von Lampedusa.
Undine: So!! Pause. Bestimmt, weil er
betrunken war. Ein Curacao-Orange zu viel.
Bernhard: Nach all den Glcksmomenten
mit dir. Von Venedig ber Athen via Kairo,
hat er sich schlielich auf der Weiterfahrt
nach Tripolis dem Meer bergeben. Klaus,
ein erfahrener berseekapitn, der das
Mittelmeer in der Pfeife rauchte. Aber
vielleicht war ja alles auch ganz anders. Wer
wei?
Undine: Wir werden es wohl nie erfahren.
Oder weit du etwa mehr in dieser Sache,
als du zugibst? Eine Vermutung wirst du
doch wenigstens haben. Ich darf doch
annehmen, dass damals ermittelt worden ist.
Oder?
Bernhard: Was soll das jetzt? Von mir
erfhrst du nichts. Ich fhle mich an mein
Schweigen gebunden. Warum wolltest du
dieses Treffen, nach all dem? Wir waren
lngst fertig miteinander.
Undine: Du warst mit der Amerikanerin im
Bett, die in Athen an Bord ging.
Bernhard: Na und! Da war doch schon alles
gelaufen. Klaus versumte keine Minute,
dich der gesamten Mannschaft, ja den
Gsten, als seine neue prominente Verlobte
vorzustellen. Da habe ich mir eben noch ne
Touristin geangelt. Ich wei gar nicht, was
du willst.
Undine: Es passte mir in Wirklichkeit gar
nicht mit Klaus. Ich habe dir Briefe
geschrieben. Einen nach dem anderen.
Edward, dein getreuer Steward, hatte sie dir
immer berbracht.
Bernhard: Ich habe sie nie gelesen, und
gleich ins Wasser geworfen. Das war doch
nur ein Spiel.
Undine: Mitnichten. Es war kein Spiel.
Httest du doch nur einmal reingeschaut!
Bernhard: Was wolltest du von Klaus?
Undine: Was wollte ich!? Ich wei es nicht!
Bernhard: Dann will ich es dir sagen. Du
warst scharf auf den Alphawolf im Rudel.
Das ist alles.
Undine: Nein. War ich nicht.
Bernhard: Doch, das warst du. Charles
Darwin lsst gren. Und jetzt bist du hier
am Kap Arkona und jammerst mir was vor.
Geh in dein Fernsehstudio zurck, gewinne
eine weitere Million dazu, und such dir neue
Alphawlfe Was erwartest du eigentlich
von mir?
Pause.
Undine: Ich habe ein Kind verloren. Und
vielleicht warst du der Vater.
Bernhard: Du wolltest es nicht, Undine.
Lass es sein!
Undine: Das ist nicht wahr. Es ist einfach
nicht wahr.
Bernhard: Du hast es nicht gewollt einen
Schwangerschaftsabbruch vornehmen
lassen. Ergo hast du es auch nicht
bekommen. Und Basta. Wozu jetzt die
inszenierte Tragdie?
Undine: Du bist nicht erreichbar, fr das
was ich fhle. Du bist grausam!
Bernhard: Grausam! Die Estefania
wurde symbolisch fr einen Euro verkauft,
und ich muss meine wenigen Ersparnisse
aufbrauchen, bevor ich berhaupt Sttze
beantragen kann. Das ist grausam! Bis auf
das letzte Hemd muss man sich
ausgezogen haben, um nicht in der Gosse
zu landen in diesem verfickten
wiedervereinigten Land. Schei Teutonien!
Undine: Recht hast du. Das hier - haben wir
nicht gewollt. - Bekacktes neoliberales Gro-
Germanien!
Bernhard: Holt einen Flachmann aus der
Jacke suft. Auch n Schluck?
Undine: Wehrt ab. Ich kann dich doch
untersttzen, Darling.
Bernhard: Als Trost!
Undine: Ich trste dich nicht. Ich mchte,
dass du auf dieser Welt bleibst.
Bernhard: Was willst du konkret?
Undine: Loyalitt.
Bernhard: Loyalitt! Ich kenne dich doch
gar nicht. Was wei ich denn berhaupt
ber dein Leben? Eigentlich nichts.
Undine: Als wenn ich mehr ber deines
wissen wrde.
Bernhard: Schon mal gut. Zwei, die sich
nicht gut kennen, sind einander loyal.
Undine: Aber wir kennen uns.
Bernhard: Das ist das Problem.
Irgendwoher kennen wir uns dann doch.
Findet was im Sand. Schon wieder ein
Bernstein mit Insekteneinschluss! Sieh mal,
ein Skorpion! Sie kssen sich. Ziehen sich
aus, und gehen ins Wasser.
Im Meer.
Undine: Vielleicht sollten wir ja wieder
zusammen aufs Meer fahren.
Bernhard. Ja. Aufs Meer. Dort haben wir
keine Verantwortung.
Undine: So ist das. Nix Verantwortung. -
Auer fr uns selbst.
Bernhard: Und sogar das ist egal. Notfalls
schluckt es uns. Das Meer. Das
gottverfluchte Meer.
Undine: Gewiss. Das Meer schluckt auch
uns Helden. Klaus ist uns schon
vorausgegangen.
Bernhard: War Klaus etwa ein Held? Waren
wir Helden? Versucht vergeblich, sich im
Wasser eine Zigarette anzuznden.. Waren
wir wirklich Helden?
Undine: Das ist nicht wichtig, Bernhard. Das
ist vllig abwegig. Es ist wirklich nicht
wichtig. Es ist Geschichte. Nicht mehr und
nicht weniger. Geschichte!
Bernhard: Schwimmen wir?
Undine: Wohin sollen wir jetzt schwimmen?
Bernhard: Wohin du willst, Darling.
Hauptsache, wir schwimmen.
Sie schwimmen und schwimmen, und
schwimmen.
Sie tauchen manchmal noch auf.
Irgendwann sieht man nur noch das Meer.
- Ende -
Das Meer schluckt
auch uns HeldenDeutsch-deutsche Tragikomdie in
zwei Akten
von Steffen GreschCopyright Steffen Gresch 2005-2010
Personen.
Undine Rebstock Passagierin, Ferienreisende
Bernhard Schnbaum Betreuer, ReiseleiterEdward Ein Steward britischer Herkunft
Schaupltze.
Im Ersten, und bis zur Mitte des Zweiten Aktes: Traumschiff, aus Venedig auslaufend; spter auf See
Schlussszenen: Kap Arkona auf der Insel Rgen
Urauffhrung: Bisher keine.
ffentlich vorgetragen als
Szenische Lesung von Steffen
Gresch zusammen mit Nelia
Dorscheid am 12.April 2008 und
29.Januar 2009 in Saarbrcken
Partner von
Montag, 2. FEBRUAR 2009
Zeitung fr Saarbrcken, Kultur-Regional
Deutsch-deutsche Befindlichkeiten und VerstrickungenSaarbrcken. Um deutsch-deutsche Befindlichkeiten undVerstrickungen ging es im 11.Literatur-Salon bei den "Winzern",veranstaltet zusammen mit Kir-Resonanz und dem LiterarischenZirkel. In der leider nur sprlichbesuchten Veranstaltung lasSteffen Gresch zusammen mitNelia Dorscheid sein Stck "DasMeer schluckt auch uns Helden".Auf einem Traumschiff landen einMann und eine Frau nachfrhlicher Zecherei in der Kajteund finden raus, dass sie sichschon mal getroffen haben.Damals im Osten, 85 in einerWarhol-Ausstellung in Dresden.Sie sinnieren ber einAutorentreffen in Weimar, wie einTrotzki-Buch fr ihn denParteiaustritt brachte, wie siebeide weggingen, noch vor derWende. Zwei Unstete,Unbehauste sind sie, passendalso ihr Zusammentreffen aufeinem Schiff. Fr beide ist ihrkleines Land unerreichbargeworden, nie knnen sie mehrihr Heimweh stillen. Denn dasVertraute ist fern und inzwischen
ohnehin ganz verndert. GreschsStck ist tief ironisch undkomisch, zeitkritisch undemotional erzhlt. Unterfttert miteigenen Erfahrungen des inQuedlinburg geborenen Autors,der lange in Leipzig gelebt hat,Mitbegrnder einerOppositionsgruppe war und 1987nach West-Berlin ging. Inverteilten Rollen lesen undspielen er und Dorscheid denBernhard Schnbaum und dieUndine Rebstock, die so vieleIllusionen hatten, das Paradiessuchten und im herzlosenRaubtierkapitalismus landeten,der sie nun zu fressen droht.Dorscheid und Gresch bringenden mit Seemannsgarn undNixengeschichten angereichertenZweiakter ber die beiden Misfits,die Kosmonauten aufunbekannter Umlaufbahn,gefhlvoll und unterhaltsam rber.Am Schluss werden Trume undHoffnungen im Suff ertrnkt oderauch im Meer. Ungewiss, ob esda noch mal ein Auftauchen gibt.rr
Kontaktdaten von Steffen Gresch:
Steffen GreschAn der Trift 23
Deutschland - 66123Saarbrcken
E-Mail:[email protected] [email protected]
Mobil: 0176-65814045
ZEITSPRUNGPersonen.Schaupltze.