Dalits als diskriminierte Gruppe bei der Ernährungssicherung -
Bildung im Zeichen von Diskriminierung
Kirche der Ev. Dreifaltigkeitsgemeinde, Frankfurt am Main
am 22. September 2011
von Jona Aravind Dohrmann
© Deutsch-Indische Zusammenarbeit e. V.
Vortragsübersichto Das Recht auf Ernährungo Die Rechte-Trias des Rechts aus Entwicklungo Anerkennung des Rechts auf Ernährungo Inhalt des Rechts auf Ernährungo Staatliche Verpflichtungeno Rezeption im indischen Rechto Dalits als besonders benachteiligte Gruppeo Ausgrenzung von Dalitso Diskriminierungen im Rahmen staatlicher
Ernährungsprogramme, vor allem im Midday Meal Scheme
o Terminausblick
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Recht auf Ernährung
• das Recht auf Ernährung ist ein soziales Menschenrecht (sog. WSK-Rechte = wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte) wird als Teil des Rechts auf Entwicklung begriffen
• das Recht auf Entwicklung wird auch als Verbindungsstück zwischen den Politischen und Bürgerrechten einerseits und den wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechten gesehen
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Bürger/politische Rechte
Recht auf
EntwicklungWSK-Rechte
Rechte-Trias
Das Recht auf Entwicklung wird als Rechte-Trias begriffen:
• Recht auf Ernährung• Recht auf gesundheitliche Versorgung• Recht auf Bildung
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Anerkennung des Rechts auf Ernährung
• In der allgemeinen Erklärung der Menschenrechte ist das Recht auf Ernährung anerkannt:
„ Everyone has the right to a standard of living adequate for the health and well-being of himself and of his family, including food, clothing, housing and medical care and necessary social services (…).“
Art. 25 (1) AEMR
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Inhalt des Rechts auf Ernährung
Das Recht auf Ernährung wird nur unter folgenden Voraussetzungen verwirklicht:
• Nahrung muß verfügbar sein• Nahrung muß erreichbar sein
Zur Erreichung angemessener Standards ist ferner erforderlich, daß die Nahrung:
• ausgewogen• kulturell akzeptabel• sicher und gesund• von guter Qualität ist ( Bsp.: ökol. angebaute Lebensmittel in Bamhani zur Selbstversorgung)
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Staatliche Verpflichtungen• Respekt vor dem Zugang zu angemessener
Ernährung, keine Beeinträchtigung dieses Rechts• Schutz des Einzelnen vor Verletzung des Rechts
auf Ernährung/Zugang zu angemessener Ernährung, sei es durch Unternehmen, Einzelne oder durch den Staat
• Förderung des Zugangs zu Nahrung und Einsatz von Resourcen zur dauerhaften Sicherstellung des Lebensunterhalts einschließlich der Ernährungssicherheit
• Einräumung des Rechts auf Ernährung, falls notwendig in Form eines unmittelbaren Anspruchs, falls Einzelne oder Gruppen von Menschen dieses Recht nicht wahrnehmen können aus Gründen, die jenseits ihrer Verfügungsmacht liegen
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Rezeption im Indischen Recht• Art. 39 lit. a der indischen Verfassung:
„The State shall, in particular, direct its policy towards securing.(a) that the citizens, men and women equally, have the right to an adequate means of livelihood […].”
• Art. 47 der indischen Verfassung:
„The State shall regard the raising of the level of nutrition and the standard of living of its people and the improvement of public health as among its primary duties […].”
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Dalits als besonders benachteiligte Gruppe
• Dalits (oder die „scheduled castes“ oder Ambedkarites oder Harijans) machen ca. 1/5 der indischen Bevölkerung aus, im Deutschen werden sie auch als „Unberührbare“ oder Parias bezeichnet
• Obwohl die Unberührbarkeit gem. Art. 18 der indischen Verfassung abgeschafft wurde, lebt die Tradition weiterhin in einem Spannungsverhältnis mit dem indischen Recht:
“Untouchability” is abolished and its practice in any form is forbidden. The enforcement of any disability arising out of “Untouchability” shall be an offence punishable in accordance with law.
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Wer sind die Dalits?
Wer ist ein Dalit?*
Man sieht es niemandem an Es ist ausschließlich eine Frage der Geburt und
der Herkunft Es sind Menschen, die gezwungen sind, die
unangenehmsten, schmutzigsten, "niedrigsten" und alle als „unrein“ angesehenen Arbeiten auszuführen
Sie sind Ausgestoßene, "Unreine" - diskriminiert wegen ihrer Arbeit und ihrer Herkunft – ihrer 'Kaste' (Jati)
*Gemäß einer Definition der Dalit Solidarität
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Wo leben Dalits?
Wo leben sie? in allen Dörfern und Städten Indiens in vielen Gegenden anderer Länder Südasiens
und in der indischen Diaspora, v. a. in Großbritannien, den USA, in Südafrika und auf den Fidschi-Inseln
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Was wollen Dalits?Was wollen sie? die Anerkennung ihrer Würde als Menschen die Abschaffung ihrer permanenten
Diskriminierung in allen Lebensbereichen Gerechtigkeit, Sicherheit und bessere
Lebenschancen Gleichheit vor dem Gesetz und im Alltag Durchsetzung der Gültigkeit des Gesetzes und
nicht des Primats der Kastenbeziehungen Überwindung der indischen Apartheid
ihre Ausbeutung und Armut überwinden
"Ours is a battle not for wealth or for power. It is a battle for freedom. It is a battle for the reclamation of human personality"
(Dr. B.R. Ambedkar)
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Ausgrenzung• Dalits (gemeinsam mit anderen
Bevölkerungsgruppen) befinden sich am unteren Ende der indischen Kasten-Hierarchie
• sie leiden unter sog. sozio-ökonomischer Gewalt des Kastensystems und Unterdrückung/ Ausgrenzung
• Diskriminierung setzt sich auch im Rahmen staatlicher Förderprogramme fort, die eigentlich allen wirtschaftlich in prekärer Lage lebenden Indern zugute kommen sollte
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• dazu gehören auch die Programme MMS und PDS
Staatliche Ernährungsprogramme
• Bezüglich des Rechts auf Ernährung hat das Indian Institute of Dalit Studies (IIDS) eine Untersuchung bezüglich des Midday Meal Scheme (MMS) sowie des Public Distribution System durchgeführt (PDS)
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Midday Meal Scheme – Ziele I
Ziele des Programms:
Bekämpfung des Hungers im Klassenzimmer Erzielung einer höheren Einschulungsquote und
bessere Anwesenheit beim Unterricht Reduzierung der Diskriminierung bestimmter
Bevölkerungsgruppen Bekämpfung der Armut Stärkung der Frauen durch Schaffung neuer
Arbeitsplätze
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Midday Meal Scheme – Ziele II
kostenloses Mittagessen für alle Schulkinder an allen ca. 200 Schultagen für Schulkinder von der 1.-5. Klasse an allen staatlichen oder staatlich geförderten Schulen
Wurde 2007 in besonders rückständigen Gebieten auf die Klassen 6-8 ausgeweitet
die indische Regierung betont, daß das MMS nicht durch Subunternehmer betrieben werden soll, sondern getragen wird von den Schulen, Village Education Committees, Selbstverwaltungsgremien (Panchayats), NGOs, Selbsthilfegruppen (SHGs)
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Midday Meal Scheme – Entwicklung I
da die meisten Bundesstaaten die Ausgaben scheuten, die mit dem Schulspeisungsprogramm einhergingen, reichten sie kurzerhand die erhaltenen Grundnahrungsmittel in trockener Form (‘dry rations’) an die Familien der Kinder weiter
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MG Ramachandran, Ministerpräsident von Tamil Nadu in den 1980er Jahren bei einer Schulspeisung in Tamil Nadu
Midday Meal Scheme – Entwicklung II die Unterlaufung des Schulspeisungsprogramms
rief NGOs auf den Plan, die das Recht auf Ernährung forcierten
die People’s Union for Civil Liberties strengte eine in Indien mögliche Popularklage auf Einhaltung des Ernährungsprogramms an
Im November 2001 erließ der Supreme Court of India die folgende Direktive*:“implement the Mid-Day Meal Scheme by providing every child in every government and government assisted primary school with a prepared mid-day meal with a minimum content of 300 calories and 8-12 grams of protein each day of school for a minimum of 200 days”
* im Fall: “People’s Union for Civil Liberties vs. Union of India and Others, No. 196 of 2001”11.04.23 18
Midday Meal Scheme – Entwicklung III
dennoch widersetzten sich viele Bundesstaaten der Direktive
nur der öffentliche Druck von Medien und Netzwerken von Menschenrechtsorganisationen, darunter vor allem die Right to Food Campaign zwang mehr und mehr Bundesstaaten schließlich zur Umsetzung des Programms
außerdem unterlegte die 2004 neu an die Macht gekommen Regierung unter Führung von Manmohan Singh das Programm mit mehr Finanzmitteln für die Bundesstaaten, so daß das Schulspeisungsprogramm nunmehr überall in Indien umgesetzt wird
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Midday Meal Scheme – einige Fakten I
12 crore oder 120 Mio. Kinder werden durch das Schulspeisungsprogramm abgedeckt (2009), womit es das größte Speisungsprogramm der Welt ist
Rs 48,13 Mrd. (= ca. EUR 738 Mio.) für den Zeitraum des 11. Fünfjahresplans von 2007-2012
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Speisung der Kindergartenkinder in Bamhani (Basiszentrum)
Midday Meal Scheme – einige Fakten II
- ca. 1,57 Mio. Köche sind im Rahmen des MMS angestellt, davon 85 % Frauen, 37 % gehören den untersten Kasten und Ureinwohnern an (Scheduled Castes = SCs und Scheduled Tribes = STs), 42 % gehören anderen benachteiligten Gruppen und Minderheiten an (Other Backward Classes = OBCs and Minorities)
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Küche im Subzentrum Narayanpur
Midday Meal Scheme – Erfolge und Probleme- verbesserte Anwesenheitsquoten, vor allem von
Kindern benachteiligter Bevölkerungsgruppen- Reduzierung des ‚classroom hunger‘ bessere
Konzentration auf den Unterrichtsstoff- weniger weibliche Schulabbrecher- große Akzeptanz des MDMS bei Eltern- ABER: große regionale Unterschiede, vor allem im
Hinblick auf die Bundesstaaten Orissa, Bihar, Chattisgarh, Jharkand und Uttar Pradesh
- Komplizierte Mittelvergabe- zu geringe Transparenz- zuweilen schlechte Nahrungsqualität- Probleme mit dem Monitoring und bei der
Konvergenz mit anderen Schulprogrammen
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Diskriminierung im MMS I
• IIDS hat 531 Dörfer in verschiedenen Bundesstaaten Indiens untersucht, darunter Rajasthan, Andhra Pradesh und Tamil Nadu (wo MMS umgesetzt wird) und Bihar und Uttar Pradesh (keine adäquate Umsetzung von MMS)
• in Bihar und Uttar Pradesh wurde festgestellt, daß weiterhin
• Zum großen Teil immer noch nur „dry rations“ an die Kinder abgegeben werden (statt einer warmen Mahlzeit)
• Dalit-Kinder teilweise gar keine Nahrungsmittel erhalten
• Verteilung der Nahrung in Gebieten, die von höheren Kasten dominiert sind (UP: 85 %)
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Diskriminierung im MMS II• in Rajasthan, Andhra Pradesh und Tamil Nadu
wurde festgestellt, daß
• in über 98 % der Schulen MMS umgesetzt wird
• es aber dennoch einige Dörfer gibt, in denen Dalits von dominanten Kastengruppierung völlig vom MMS ausgeschlossen werden
• in einigen Fällen werden die Schulspeisungen in den Tempeln der Ortschaften durchgeführt, zu denen der Zutritt für Dalits traditionell (inoffiziell) verwehrt ist
• kritisch sind auch Orte, in denen die Schulspeisungen in von höheren Kasten dominierten Ortsteilen stattfinden (ca. 40 % in Rajasthan und Tamil Nadu, nur 12 bzw. 19 % in Dalit-dominierten Gebieten Andhra Pradesh: 46 % in Dalit-dominierten Gebieten)
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Diskriminierung im MMS III• für Dalit-Kinder stellt es eine große Hürde dar, in
ein von höheren Kasten dominiertes Gebiet zu gehen, da sie dort unter größerem Stress stehen und teilweise auch bedroht werden
• Diskriminierung findet auch in der Anstellung von Köchen und Köchinnen sowie von sog. „MMS Organisern“ statt (Spanne von 8 % in Rajasthan bis 49 % in AP)
• Zwickmühle: Eltern schicken ihre Kinder nicht in die Schule, wenn sie von Dalit-Köchen wissen führt zu einem Rückgang der allg. Schulpräsenz
• ABER: Staaten wie AP haben diesen Trend durchbrochen politischer Wille durch Druck von Bürgerinitiativen und politischen Gruppierungen
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Diskriminierung im MMS IV• Weitere Formen von Diskriminierung sind:
• Getrennte Speisung von Dalit- und höherkastigen Kindern
• Schlechtere Speisen für Dalit-Kinder
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Diskriminierung im MMS V• Andhra Pradesh hat die besten „Werte“, was
Diskriminierung gegen Dalits im MMS angeht, die Gründe liegen
• nicht darin, daß AP eine „gleichere“ Gesellschaft hat (AP hat sogar höhere Kriminalitätsraten bei Verbrechen gegen Dalits als die verglichenen Staaten TN oder Bihar
• sondern eher in der Tatsache, daß mehr „Dalit-Orte“ für die Schulspeisung genutzt werden
• und daß lokale Frauenselbsthilfevereine in die Schulspeisung eingebunden werden (Development of Women and Children in Rural Area = DWCRA)
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Terminausblick I3. Frankfurter Gandhi-Gespräche
Non-violent Resistance and the Strive for Democracy –
Gewaltloser Widerstand und das Streben nach Demokratie
Die Frankfurter Gandhi-Gespräche diskutieren das Konzept des gewaltlosen Widerstandes im "Arabischen Frühling" und anderen Demokratiebewegungen weltweit
• 5. Oktober 2011 um 19 Uhr, Einlaß 18.30 Uhr• Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung, Konferenzsaal im 4. Stock, Baseler Straße 27-31, 60329 Frankfurt am Main
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Terminausblick IISchwerpunktseminar zur Landwirtschaft in Indien
Fluch und Segen der indischen Landwirtschaft
• 7.-9. Oktober 2011• Ev. Akademie Bad Boll• Referenten:
Dr. Jivanta Schöttli (Südasien-Institut Heidelberg)
Lukas Schmidt (ehemaliger weltwärts-Freiwilliger
Dr. Erhard Kropp (ehemals GTZ)Moderation: Jona Aravind Dohrmann
Anmeldung noch möglich! [email protected]
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Kontakt
Deutsch-Indische Zusammenarbeit e. V.Jona Aravind [email protected] Tel.: 069 - 7940 3920
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