BEURTEILUNG IN DER 7. & 8. SCHULSTUFE DER NMS:„VERTIEFTE“ BZW. „GRUNDLEGENDE“ ALLGEMEINBILDUNG
eLecture mit Tanja Westfall-Greiter20. Oktober 2014, 16:0023. Oktober 2014, 17:15
Kaum eine andere Dynamik ist so wirkungsvoll wie die Beurteilung in der Schule - ob durch die Selbsterwartungen der Lernenden nach ihren eigenen subjektiven Maßstäben und Einschätzungen oder durch die Erwartungen der Lehrenden. Inwieweit die Anforderungen und Beurteilungskriterien an der Subjektivität verhaftet bleiben ist für den Erfolg aller ausschlaggebend.
Ziele
WAS: sich im gesetzlichen Rahmen der NMS orientieren und wissen, was Sache bei der Beurteilung ist (Begriffe, relevante Gesetzestexte)
WIE: Werkzeuge und Routinen für eine rechtlich vertretbare, kriterienorientierte Beurteilungspraxis
WARUM: Warum so (oder besser) handeln, und nicht anders?
Jede Entwicklung braucht AnlassAus dem Nationalen Bildungsbericht 2012
„Die soziale Herkunft ist die zentrale Ungleichheitsdimension. Sie wirkt sich durchgehend in der Bildungslaufbahn auf den Kompetenzerwerb und den Schulbesuch aus. Ihre Wirkung bleibt auch bestehen, wenn der Einfluss anderer Merkmale statistisch kontrolliert wird.“
(Bruneforth, et al, 2012, S. 200)
Praktiken, die Schüler/innen an ihre Herkunft BindenWestfall-Greiter, T. (2013). Paper, ÖFEB 2013, 31. 10.13, Innsbruck
Schule Unterricht Lehrperson Schwerpunktklassen Leistungsgruppen Klassen-Etikettierung Offizielle Etiketten im System
(SPF, Migrationshintergrund) Mittelschichtorientierung
(Benimmregeln, Normalität, Werte)
Sprache / Diktion im Kollegium
Un-Ordnung Unklare Strukturen Kostenspielige
Schulveranstaltungen / Ausflüge
Beziehungen
Un-Ordnung, unklare Strukturen
Selbsteinschätzung ohne Kriterien
Kompetenzraster ohne Kriterien
Hausaufgaben Beziehungen Offenes Lernen
Vorwegnahme Zuschreibungen,
Vorannahmen, Etikettieren Stereotypen, Vorurteile Normalitätsvorstellungen Erwartungen & Ansprüche Vorwissen über Familie &
Umfeld Vorerfahrungen Abstempeln aufgrund
bestimmter Verhaltensweisen Mangel an
Diversitätskompetenz Mangel an Sozialkompetenz Wunsch nach Homogenität Defizitorientierung /
Schwächen bejammern
Erkenntnisse aus Open Space mit Systementwicklungspartner/innen der Schulaufsicht und PHen Kriterienlosigkeit ist das zentrale Problem, weil sie sich
in den Praktiken und Instrumenten (Selbsteinschätzung, Kompetenzraster, usw.) niederschlägt. Bindung an Herkunft entsteht dadurch, dass die Lernenden die Maßstäbe erraten müssen.
Achtung: Bindung an Herkunft benachteiligt alle! Benachteiligt kann jede/r sein, je nachdem, wie viel und welche Unterstützung sie außerhalb der Schule bekommen.
Die Denkweise:Warum beurteilen wir?
Nach der Logik des Leistungserfolgs…“Wir beurteilen aus zwei Gründen: (1) um Belege für Entscheidungen über die nächsten Schritte im Unterricht zu bekommen und (2) um Schüler/innen zu ermutigen, zu lernen.”
- Rick StigginsStiggins, R. (2008). Assessment Manifesto: A Call for the Development of Balanced Assessment Systems. Portland: ETS Assessment Training Institute S. 3.
Das Prinzip: So viel wie nötig,
so wenig wie möglich.
Die Empirie:Was wirkt?
„Learning starts with ‚backward design‘ […]with the teacher (and preferably also the student) knowing the desired results (expressed as success criteria related to learning intentions) and then working backwards to where the student starts the lesson(s) – both in terms of his or her prior knowledge and where he or she is in the learning process. The purpose is to reduce the gap between where the student starts and the success criteria ….“
- John Hattie Hattie, J. (2012). Visible Learning for Teachers: Maximizing Impact on Learning. S. 93.
Herkömmliche Aufzeichnungen sind schwache Grundlage für Benotung (überspitzt?)
Anna A19.9.
A2 12.9.
A313.9.
A418.9.
A518.9.
A619.9.
A7 1.10.
A8 10.10
A912.10.
A1020.10.
A11 22.10.
SA1
++ 25/30 3
12/15 2 - 4 + 38/
50 3Wie schaut es mit Annas
Kompetenzentwicklung aus? Welche Informationen hat sie,
um ihre Kompetenz aufzubauen?
DER GESETZLICHE RAHMEN
Fakten: LBVO & LPVO
Die Fachlehrpläne sind in der gesamten Sekundarstufe I ident.
Die Bildungsstandards für die 8. Schulstufe gelten für die gesamte Sekundarstufe I.
Das „Wesentliche“ ist juristisch gleich „Kernbereich“ im Lehrplan 2000.
Die Beurteilungspraxis wird im gesamten System durch die gleiche Verordnung geregelt…
…aber…
…es gibt eine Kluft zwischen Rechtslage und Praxis!
Fakten: NMS-Gesetzgebung
Die Leistungsgruppen wurden aufgehoben Die Lehramtstätigkeit wurde in der
Lehrplanverordnung neu definiert In der 7. und 8. Schulstufen werden Leistungen unter
den Gesichtspunkten „vertiefte“ / „grundlegende“ Allgemeinbildung beurteilt
5.-6. Schulstufe
1234
5
Minimalanforderungder Schulstufe
Maximalanforderung der Schulstufe
Fachlehrplan
BildungsstandardsLe
istu
ngsb
eurt
eilu
ngsv
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dnun
g
NMS-Lehrplan
7.-8. Schulstufe, D – E - M
123434
5
Minimalanforderung vertiefter Allgemeinbildung
Maximalanforderung vertiefter Allgemeinbildung
Minimalanforderung grundlegender Allgemeinbildung
Fachlehrplan
Bildungsstandards
Leis
tung
sbeu
rtei
lung
sver
ordn
ung
NMS-Lehrplan
Zwei Hinweise im Gesetz (Artikel 1 Schog, S. 2-3 der Gesetzesvorlage)
§ 8 / lit. n) unter differenzierten Pflichtgegenständen die Unterrichtsgegenstände D, M und LF, in denen an der NMS ab der 7. Schulstufe eine Unterscheidung nach grundlegender und vertiefter Allgemeinbildung erfolgt,
wobei die Inhalte der vertieften Allgemeinbildung eine Auseinandersetzung mit den grundlegenden Bildungsinhalten in einer über die Grundanforderungen hinausgehenden Art auf einem höheren Komplexitätsgrad vorzusehen haben
§ 21b. (2) Im Lehrplan ist für die 7. und 8. Schulstufe in den differenzierten Pflichtgegenständen eine Unterscheidung nach grundlegender und vertiefter
Allgemeinbildung vorzusehen. Die Anforderungen der Vertiefung haben jenen der Unterstufe der allgemein bildenden höheren Schule zu entsprechen.
„Grundlegend“ und „vertieft“ als mehr oder weniger Komplex
Die Gesetzgebung sieht die Beurteilung einer Leistung entlang des Grades ihrer Komplexität vor. Was ist Komplexität? Wie können wir das umsetzen? Zwei Aspekte sind für die Praxis relevant: Komplexitätsgrad einer Aufgabe Komplexitätsgrad einer Leistung
Was ist Komplexität?
Komplexität als Fachbegriff im Schulwesen bezieht sich auf kognitiven Anspruch: Die Art und Komplexität des Denkens, die von
Schüler/innen verlangt wird, um eine Aufgabe erfolgreich zu lösen.
Die Art und Weise wie Schüler/innen sich mit den Inhalten auseinander setzen
Komplexität vs. Schwierigkeit
Schwierigkeit bezieht sich auf die Häufigkeit von korrekten Antworten zu einer Frage.
Beispiel: „Was bedeutet ‚unklar‘?“
Wenn viele diese Frage beantworten können, ist es leicht.
„Was bedeutet ‚Ambiguitätstoleranz‘?“ Wenn wenige diese Frage beantworten können, ist es schwierig.
BEIDE Fragen stellen den gleichen kognitiven Anspruch!
Sind komplexe Aufgaben für alle?
JA! Komplexe Aufgaben fördern und fördern das Denken. Sie eignen sich als Einstieg zum neuen Thema, weil sie ein Problem
darstellen, dessen Lösung angestrebt werden kann. Komplexe Aufgabe
fungieren als Zielbild für Lern- und Lehrprozesse und sind nötig, um das gesamte Leistungsspektrum bei der
Leistungsfeststellung sichtbar zu machen.
Ein wichtiger Hinweis in der LPVO
„In der 7. und 8. Schulstufe ist die Zuordnung der Leistungen in grundlegende und vertiefte Allgemeinbildung
im Rahmen der Benotung auszuweisen.“ (NMS-LPVO, S. 11)
Laut LBVO: Benotet werden nur
„besondere Prüfungsformen“ und bei der
Gesamtbeurteilung für Schulnachricht bzw. Zeugnis.
Aus den NMS-Richtlinien
„Eine Gruppierung der Schülerinnen und Schüler nach
grundlegender oder vertiefter Allgemeinbildung ist nicht zulässig, weder in den Lernsettings innerhalb einer Klasse, noch klassenübergreifend, noch bei der Klassenbildung.“
WARUM?Aus rechtlicher
Sicht?
Aus psychologischer
Sicht?
Aus pädagogischer Sicht?
Aus soziologischer Sicht?
Aus gesellschaftspolitisher
Sicht?
Transparenz
„Die Anforderungen sind den Schülerinnen und Schülern
einsichtig zu machen, vor allem über transparente Beurteilungskriterien mit Bezug zu den jeweiligen Kompetenzen. Ihre Einschätzung des eigenen Leistungsstandes ist zu fördern und es sind ihnen Wege zur Verbesserung ihrer Leistungsfähigkeit zu eröffnen.“ (NMS-LPVO, S. 10)
STATUS QUO IN DER NMS-PRAXISENTWICKLUNG
3-K Orientierung für die Beurteilungspraxis
Leistungs-beurteilung
Kompetenzen
Komplexitäts-grad
Kriterien
Elemente eines Benotungsmodells
Inhalte Orientierung durch Zielbilder in Form von Jahresplanung
und Lerndesigns (Wissen, Verstehen, Tun Können)Leistungsfeststellung Anforderungen durch Kriterien und Indikatoren in Form von
Beurteilungsraster bzw. Skalen für Kompetenz- bzw. Handlungsbereiche im Fachlehrplan bzw. BiSt-Modell
Dokumentation der Kompetenzentwicklung durch Kompetenzdiagramme und Aufzeichnungen
Benotung Transparenz durch Entscheidungsgrundlage für die
Ermittlung der Note bei besonderen Prüfungsformen bzw. für die Gesamtnote
Werkzeuge
4.0-Skala
Kompetenzdiagramm
Webb-Modell
Entscheidungsgrundlage
Welches Werkzeug wird verwendet, um…• Kriterien festzulegen?• Kompetenzentwicklung zu
dokumentieren?• Komplexitätsgrad einzuschätzen?• Eine Note zu ermitteln?
„Rasteritis“
• Ein Kompetenzraster ist ein Werkzeug, um Inhalte zu bestimmen und kommunizieren.
• Ein Beurteilungsraster ist ein Werkzeug, um Leistungsqualität bei komplexen Aufgaben zu bestimmen und kommunizieren.
Beispiel GERS: „Checkliste“
Indikatoren
Beispiel GERS: Beurteilungsraster
Kriterien
Qualitätsstufen
Indikatoren
4 Werkzeuge, 4 Zwecke
Zweck: Komplexitätsgrad einschätzen
Zweck: Kriterien & Indikatoren festlegen
Zweck: Kompetenzentwicklung dokumentieren
Zweck: Note ermitteln
Beispiel: Aufzeichnungen als „Profil“
Anna Thema 1: My lifeSommererlebnisse verstehen und darüber berichten können
Thema 2: My goals for this school yearZiele für das Schuljahr festlegen und sich dazu austauschen
SA1
A19.9.
A2 12.9.
A313.9.
A418.9.
A518.9.
A619.9.
A7 1.10.
A8 10.10
A912.10.
A1020.10.
A11 22.10.
Note:3
Lesen 1.5 3.5 3.0
Hören 2.0 2.5 2.0 2.5
Schreiben 2.0 1.0 2.0
Sprechen 3.0 2.5
Interaktion 2.0 2.0
Beurteilung & Benotung: Ein Gutachten des Gesamtbilds
Sep Okt Nov Dez Jan0
1
2
3
4
KKKK
Welche Kompetenzstufen wurden laut Belege am Ende des Beurteilungszeitraumes erreicht?
Welche Kompetenzstufen wurden laut Belege zu diesem Zeitpunkt (SA) erreicht?
Annas Kompetenzentwicklung: Was wissen wir?
Sep Okt Nov Dez Jan0
0.5
1
1.5
2
2.5
3
3.5
K1
Sep Okt Nov Dez Jan0
0.5
1
1.5
2
2.5
3
3.5
4
4.5
K2
Sep Okt Nov Dez Jan0
0.5
1
1.5
2
2.5
3
3.5
4
4.5
K3
Sep Okt Nov Dez Jan0
0.5
1
1.5
2
2.5
3
3.5
K4
Sep Okt Nov Dez Jan0
1
2
3
4
KKKK
4 Werkzeuge, 4 Zwecke
Zweck: Komplexitätsgrad einschätzen
Zweck: Kriterien & Indikatoren festlegen
Zweck: Kompetenzentwicklung dokumentieren
Zweck: Note ermitteln
Routinen lehrseits
Die Unterrichtsplanung immer wieder mit den Anforderungen (BiSt, Fachlehrplan) kallibrieren
Konsequent den Eltern und Schüler/innen die Zielbilder kommunizieren
Die Schüler/innen befähigen, die Frage „Was ist gut?“ zu beantworten
Die Kriterien und Qualitätsstufen internalisieren, um unterrichtsbegleitende Feststellungen zu machen (sie in ihrer Könnerschaft erwischen!)
Routinen lernseits
Kriterien-orientierte Rückmeldung in Lehr- und Lernprozessen einbetten
Üben, üben, üben – und zwar im Zielbild eigene Kompetenzentwicklung dokumentieren
(Kompetenzdiagramm) Schüler/innen haben das Recht, sich selber am
Prüfstand zu stellen („punktuelle Leistungsfeststellung“ in einer Kultur der 2. Chance)
Danke für das Teilnehmen!
Im Chat-Bereich: Was ist der nächste Schritt in Ihrer/deiner Praxis?