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Felix Mcndclssohn-Ilartholdy (1809 1847), gemalt von Wilhelm von Schadov) in Düsseldorfim Jahre 1835

Besuch Felix Mendelssohnsbei der Königin Victoria

Zum 150. Geburtstag des Komponisten am 3. Februar

Von Heinrich Eduard Jacob

Am 19. Juli 1842 steht (draußen drückt dieSommersonne unerträglich auf Menschen undSträucher) im schattigen Buckingham Palace ein

;.wohlgearteter junger Mann vor den königlichen

^"(Gastgebern.'1 Beide sind ein wenig verlegen,denn^

sie haben kaum Umgang mit Künstlern. Aber sielieben die Musik. Der Prinz spielt ganz geschickt

die Orgel, und Victoria hat eine kleine, aber ange-

nehme Stimme. In dem schattig-halbdunklen Zim-mer sind alle Stores herabgelassen. Es ist kühl, undder fremde Herr mit dem südländischen Gesicht undden dunkelblitzenden Augen macht ermutigende Be-wegungen, womit er unterstreichen will, wie aus-gezeichnet das Musizieren der Majestäten ihm gcfällt. Seine Mienen wechseln etwas zu häufig, etkann den Ausdruck seines Gesichts nicht eineMinute lang ruhighalten, eigentlich ist das rechtwenig englisch. Aber dafür lockert er auch seineGastgeber so wunderbar auf, daß man ihn gar nichtfortlassen möchte. Haydn war komischer als er undHändel immer pompös und drohend. Dieser Men-delssohn ist ein Weltmann und ausgezeichnet an-gezogen überhaupt scheint er zu wissen, was erseiner eigenen Stellung und der seiner Gastgeberschuldig ist und bald setzt man sich zum Tee.

Victorianische Schilderungen. Felix selbst, der«Glückliche:», hat in zwei zauberischen Briefen anseine Mutter davon berichtet. Wie immer, wenn erin England war, hatte er so etwas wie einen «trocke-nen Champagnerrausch». Von Konzert zu Konzert,von Party zu Party war er weitergereicht worden.

Als er in Christchurch, Newgate Street, auf derOrgel phantasierte, schien es ihm, er müsse er-sticken: so groß das Gedränge und Gewühl derHörenden um die Orgolbank her. Ein paar Tage spä-

ter. .spielte er vor dreitausend Menschen

~ in ExeterHall betäubendes Hurrageschrei, Schnupftücher-winken, Füßestampfen. Kaum konnte er glauben,

es gelte ihm selbst, bis der große Chef der Regie-rung, Sir Robert Pecl, und Lord Wharncliffe ihmheftig unter die Nase klatschten. Seine Frau Cecile,die er bei sich hatte, wurde fast davongeweht vondiesem Sturm. Die gute Cecile, die schöne Frau mitden veilchenblauen Augen, der Sir Edward Bulwerdie Cour machte und Samuel Rogers das Kompli-ment, sie möchte doch ihren eigenen Kindern einso herrliches Englisch beibringen, wie sie's selbersprach

. . . Und nun diese Aufnahme in Buc';ingham

Palace! Zuerst war er mit dem Prinzen allein. Alsdann die Königin hereinkam, mädchenhaft, in einemeinfachen Hauskleid, warf der Zugwind aus einemungebundenen Notenheft Dutzende Blätter in alleEcken. «Mein Gott, wie sieht es hier aus!» sagte sieund kniete schon nieder, um das Fortgewehte zu-sammenzusuchen. Der Prinz wollte ihr zuvorkom-men. Als dritter kroch Felix bereits durchs Zimmer.Dann staubte er sich die Knie ab und sah vergnügt

umher. Welch ein Empfang! Die Atmosphäre wurdenoch familiärer, als die Königin sich entschuldigte:

sie sei nicht in Empfangstoilette, weil sie sich nach-her ohnehin in ein Reisekleid werfen müsse. Sieführen noch heute ins Sommerschloß nach Cläre-

mont. Hier sri's doch tu heiß ! Nun mußte . Felixdie Orgel spielen und begann seinen Chor aus dem«Paulus»: «Wie lieblich sind die Boten». Noch be-vor er den ersten Vers ausgespielt hatte, fing daskönigliche Paar an, den wohlbekannten Chor mitzu-singen. Prinz Albert zog so geschickt die Register,

beim Forte immer voller werdend und zur rechtenZeit ins Diminuendo verfallend, daß Felix ganz ent-zückt davon war. «Dünn kam der Erbprinz vonKoburg-Gotha, es wurde wieder konvergiert, undunter anderm fragte die Königin, ob ich neue Liederkomponiert hätte, sie sänge die gedruckten sehrgern. solltest ihm mal eins vorsingen", sagte

Prinz Albert, dann meinte sie, sie wolle das Früh-lingslied in B-Dur versuchen. ,.Jn. wenn es noch dawäre!" sagte der Prinz. Noten sind schon ein-gepackt für Claremont."*

Prinz Albert ging fort, um es zu suchen, kamaber wieder, es sei nicht mehr da. «Oh, kann man'svielleicht wieder auspacken?» fragte Felix Mendels-sohn. Die Königin maß ihn mit einem Blick, derihm sagte, daß dies nicht so einfarh sei. «Man mußnach Lady Soundso schicken», erwiderte sie (er ver-stand den Namen nicht). Jetzt wurde geklingelt, dieBedienten liefen eilfertig hin und her, doch die be-wußte Lady-in-waiting war nicht aufzutreiben. Kopf-schüttelnd ging die Königin fort und kam zurück:«Sie ist fortgefahren und hat all meine Sachen mit-genommen / find this very shocking, indeed.»Aber wenn man ein Lied von ihr hören wolle, würdesie etwas anderes singen, was sie auswendig könne,vielleicht etwas von Gluck? Prinzessin vonKoburg-Gotha war unterdes noch dazugekommen,

und so gingen wir fünf durch die Korridore biszum Wohnzimmer der Königin, wo neben dem Kla-vier ein gewaltig dickes Schaukelpferd stand undzwei große Vogelbauer und so schöne Bilder an denWänden>; unter anderm erspähte Felixens Blickein paar Originale von Paulus Potter, niederländischeTierstücke. Auf Etageren und Tischen lagen herrlichgebundene Bücher umher und viele Noten auf demKlavier. Die Herzogin von Kent kam dazu, und wäh-rend sie miteinander sprachen, kramte Felix einwenig unter den Noten und fand sein allererstesLiederheft (op. 8). Da sagte er ein wenig schmollend,das sei doch wohl ein Zeichen, daß die Königinnicht Gluck singen' möge. Alles lachte. Die Köni-gin stellte sich freundlich neben den Flügel, an demjetzt der Komponist Platz nahm.

«Nein, der Papagei muß hinaus!» rief Victoriaaufgeregt. «Er schreit sonst lauter als ich.»

Jetzt wurde das Viech hinausgetragen. Und atvarvom Prinzen von Koburg-Gotha, den Felix aber nocheinholte: «Hoheit, erlauben Sie mir, das zu tun!»,was hinter der Tür ein Dutzend Lakaien mit fas-sungsloser Miene quittierten. Dann nahm er wiederam Klavier Platz. Und was sang die Königin? «Siesang», schreibt Felix seiner Mutter, Lied, das,£chöner und schöner" beginnt, sang es ganz aller-liebst rein, streng im Takt; nur wenn es nach ,der

, Prosa Last und Müh' herunterging und harmonischheraufkam, geriet sie beide Male nach dis, und weilich's zweimal korrigierte, nahm sie das letzte Mal

. wirklich d, wo es freilich hätte dis heißen müssen.

Mi

Koni o>;n Virtnria und Prinz Albert.Zeitgenössische Darstellung

Ouvertüre» eingebaut, mit der er sich für den Ehren-doktor der Breslauer Alma mater bedankte. Felixwar Ehrendoktor von Leipzig nun also, jetztpaukte er drauflos, um die Universitäten zu ehren.Allgemeines Händeklatschen. Die Prinzessinnenempfahlen sich, und die Königin gab ihm die Hand.Ihre Abreise nahte. «Hoffentlich besuchen Sie unsbald wieder in England», sagte sie, leicht steifwerdend.

Er hielt das auch für seinen Abschied. Aber derPrinzgemahl hielt ihn zurück. «Setzen wir uns nochein wenig», sagte er mit befangenem Ernst. Als dieDamen gegangen waren, sah er ihn erwartungsvollan, als erwarte er eine Bitte von Felix. Es war jenes

halb verlegene und halb gütige Gesicht, weshalbman ihn «Albert the Good» nannte. Er sah ihn an,der Deutsche den Deutschen. Um was hätte Felixihn bitten sollen? Um den Titel eines Hofkompo-nisten? Er hätte ihn sofort erhalten. Oder sollte erEngländer werden? Sich adeln lassen? Ein Sir wer-den? Auch das wäre ihm sehr leicht gelungen wiees Geringeren gelang, etwa Sir Julius Benedict, demgetauften Stuttgarter Bankierssohn.

«Und wohin werden Sie jetzt gehn?» fragte leiseder Prinzgemahl. Worauf Felix von Leipzig zuschwärmen begann, seinem «künstlerischen König-reich», darin er seit sechs Jahren schrankenlosherrschte. Und auch von den Aufgaben sprach er,die der neue König von Preußen, Friedrich Wil-helm IV., für ihn bereithielt.

Da erhob sich der Gatte der Königin: «Sie bittetSie» er sprach nicht von Her Majesrv, sondernganz intim von seiner Frau , «dieses Geschenk

Dorfstraße in Vnterscen bei IntcrlaJccn. Aquarell, gemalt von Felix Mendelssohnim Jahre 1SI7

Mendelssohns Notenhandschrift. Aus der. Ouvertüre iDic Hebriden*

Aber bis auf dieses Versehn war es wirklich aller-liebst, und das letzte lange g habe ich von keinerDilettantin besser, reiner, natürlicher gehört.*

Nun mußte er allerdings bekennen, daß die Ehreder Autorschaft seiner Schwester Fanny gebühre.

Sie habe das Lied komponiert, nicht er, was vieleAhs und Ohs hervorrief. Jawohl, sie sei Mrs. FannyHensel, die Gattin eines Malers, von dem Ihre Maje-

stät ja wohl ein Gemälde «Mirjam» besäße.

«Ich will aber etwas von Ihnen singen, Mr. Men-delssohn», sagte Victoria nun» und sang sein Lied«Laß dich' nur nichts dauern». Nach ihr kam PrinzAlbert, der mit angenehmer Stimme ihm sein be-rühmtes altdeutsches Lied vorsang: «Es ist einSchnitter, der heißt Tod», und Felix wurde es seit-,sam ziimut, als er die vielen Blumennamen«müßt in den Erntekranz hinein!» so welk undtraurig im Zimmer spürte. Die Damen Kent undKoburg-Gotha hatten ebenfalls traurige Augen be-kommen üher so viel Tod und Vergänglichkeit. DerPrinzgemahl mochte das wohl merken. Denn er batFelix, zu phantasieren. Das sei ja wohl eine seinerStärken? Er tat es, spielte ausgezeichnet und mischtedas Thema des Orgclchorals zunächst mit dem«Schnitter». Bald aber wurden die Themen mun-terer. Er konnte es nicht gut abschlagen, als dieKönigin sich ein Potpourri ausbat. Es war beinaheschon «Kalkbrennerei», wenn man eine Zusammen-stellung wie diese von ihm erwartete: zuerst einefreie Fantasie über das «Rule Britania», dannLützows «Wilde, verwegene Jagd» vom lieben CarlMaria von Weber ach ja, schließlich saßen siealle hier als die «Erben von Waterloo» und zumSchluß das akademische Lied «Gaudeamus igitur».

Eine barbarische Zumutung? Doch warum sollte siedas sein? Schließlich hat später Johannes Brahmadas Lied in seine herzenswarme «Akademische Fest-

von ihr anzunehmen. Es soll ein Andenken an unssein!» Damit gab er ihm ein kleines Etui. Als Felixes öffnete, sah er darin einen goldenen Ring, aufdem Victoria Regina 1842 eingraviert stand. Felixwar es wie im Traum. Als er aufblickte, hatte derFürst schon das Zimmer verlassen. Ein Sekretär oderHaushofmeister erwartete ihn mit einer Verneigung,derselbe, der ihn hereingebracht hatte, um ihn ausdem Palast zu führen. Durch Galerien, an einerUnzahl von wartenden Lakaien vorbei, wurde er vordas Tor geleitet. Dort stand der Wagenzug. EinDutzend Chaisen, die das königliche Paar und denHofstaat nach Claremont bringen sollten. Rote Vor-reiter, Straußfedern, prächtige Wappen mit dem Ein-horn und Löwen und der Devise «Dieu et MonDroit».Vorabdruck aus Heinrich Eduard Jacob «Felix Mendeli-

söhn und «in« Zeit», S. Fischer-Verlag

Aus dem Seiseskissenbuch von Felix Mendelssohn

Neue Zürcher Zeitung vom 24.01.1959

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