Ein besonderer Dank gilt Viktor Kalinke (Leipziger Literaturverlag)
für die Genehmigung des Abdrucks der Gedichte aus
»Der zugang ist gelegt« (2008).
so übernächtigtso angezündet
bärbelklässner
Poesie & Liebe
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ist ein blaues kleid
abends
wenn es sich über sandwege dreht
die flügel breitet die segel hisst
wenn die ersten töne aufspringen
wie schlösser alter truhen
wenn der wind in die geheimnisse fährt
dass es staubt und duftet
unter den füßen ein tanz
beginnt und das letzte
brüchige blaue kleid entführt
im flug noch einmal
herabschaut
alle wege auf dem grund
Was für ein fest
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Nenn mich höllengans
nenn mich sumpfschatten
Ich bin ein vierseitenhof
eine ins verschwommene
verwunschene landschaft
Leg mich auf deinen handteller
gefräßige freundin
Ich bin eine nadel
fahre die handrillen entlang
kratze die musik heraus
Nenn mich kraterstimme
nenn mich frontfrau
Ich bin ein vierseitenhof
gut zu betanzen ich lösche
die gläser leere die töne
kippend ins stroh
Nenn mich halbdiamant
nenn mich teufelsbrot
Leg mich auf deinen teller
gabelndes biest
Trage mir die kleider fort
häute mich mit sorgfalt
Nenn mich
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Machs mir vor reiß mich runter zieh mich rein vielleicht ist es auch
zu spät oder hör mal zusammen auf reisen ich lern all die zerhackten
worte dein schweigen und die strahlen von schmerz auf deiner haut
seh dich in weiten mänteln und darin eine banditin eine elfe ich
kenn dich nicht du bist meine weiße leinwand auf der ich einen
alten film sehen will mein leben wie es hätte laufen können über
den rand hinaus aus dem endlos kochenden breitopf du bist keine
frau für märchen was bist du von nägeln durchbohrt wie frida
du saßt neben mir in dem winzigen theater als ich dein stück sah
zwischen meiner stuhlkante und deiner hand fünfhundert kilometer
Du kommst nie zu mir du kommst nur mit und vergisst deinen text
deine rolle taumelst zwischen freizügigkeit und angst zwischen
mitleid und abstand sie greift nach dir und glaubt dass ich noch
immer nach ihr greife sie stellt dich zwischen mich und ihre
missverständnisse so bist du mir näher als gewollt wie kommst du
dazu nachfolgerin siegerin mittlerin zu sein dich herabzulassen auf
meine bedürftigkeit mit einer geste wie schnee es ist unmöglich dir zu
sagen dass ich deine blasse haut schmecke nachts am offenen fenster
Sag ein wort und ich raube eine bank aus kündige meine wohnung
gebe meine kinder der arbeiterwohlfahrt ich fresse den weg staubkorn
für staubkorn selbst auf die gefahr hin niemals anzukommen du
sollst mich nicht aus mitleid berühren du hast mich zu oft umarmt
ich habe zu viel geredet du sollst dich wieder neben mich legen
auf das schwarze laken durch meine finger will ich eine deiner
flammenden locken sehen wie ein dia eingerahmt und durch die
lupe meiner späten torheit
Sag ein wort
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Stück für stück von dir jeweils einen quadratzentimeter in aller
deutlichkeit du hast ihr deine liebe hingeworfen wie ich ihr
irgendwann mal meine es kommt nicht zusammen es ergibt kein
puzzle ich kotze meine bruchstücke aus weiß nicht was ich machen
soll in der fernen stadt gehe ich mit dem hut umher und bitte um
ein wenig glauben für meine geschichte neben mir sagt eine laut:
haste mal ne mark? verblüfft starren wir einander an aber du bist
es nicht und mir stürzt die seele aus dem schoß
Meine phantasie kann mit vier frauen gleichzeitig schlafen und nur
eine davon bist du aber dein haar reicht für alle und keines sonst
hat wirkliche farbe natürlich macht es was dass ich alt bin zwei
kinder habe und ein verordnetes leben ein brief von mir wär eine
verletzung aus allzu weißem papier du trägst deine welt verschlossen
manchmal im traum bin ich so frei mich an dich zu schmiegen
schluck dein lachen nicht lass es auf mich los wie hunde
Meine wurzeln trinken blut weißt du und die eine hälfte von mir
ist eisblau überall geht der riss hindurch durch das land durch die
tapete durch meine texte meine antragsformulare durch meinen leib
mein gesicht mein zerschnittenes telefon eines tages hab ich keine
nummer mehr und du ziehst einen strich in den sand wie früher
beim länderklauen ich stehe hinter deiner grenze die erde wird sich
auftun und schluckt mich in ihr grab
Was erzähl ich du hältst dir die ohren zu wendest dich ab und zu ihr
ich kann den graben nicht überspringen in den ihr euer misstrauen
schüttet als ginge es um vergeltung um wechselgeld du stehst auf
der anderen seite meine blinde königin und erlaubst dass sie mir
ihre abfälle hinwirft ein verständnis eine zärtlichkeit ich nehme es
und sehe dich und höre wie sie deine lippen weich nennt ihre worte
gehen mir wie feuer ins ohr
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Noch vor allem nehme ich es doch zurück meine kinder meine
wohnung es gibt nichts einzuklagen nichts zu versuchen zwischen
meinen wänden bleibt mein ort den ich immer öfter mit einer
stummen frau teile ich werde verrückt weil sie keine hände hat
mich zu halten ich versuche in ihre nähe zu gelangen die schleier
zu zerreißen aber die spinnen weben schneller als ich reißen kann
einen moment lang glaube ich ein gesicht zu erkennen und ein dir
verwandtes lächeln dann sitzt sie wie zuvor die alte erschöpfte trauer