Universität OldenburgAbt. Wirtschaftsinformatik
Prof. Dr.-Ing. Norbert GronauEscherweg 2
26121 OldenburgTel. (0441) 97 22 - 150 Fax (0441) 97 22 - 202
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Arbeitsbericht WI - 2000 - 01
Norbert Gronau:
Modellierung von Flexibilität in Architekturen industriellerInformationssysteme
Zitierhinweis: Gronau, N.: Modellierung von Flexibilität in Architekturen industrieller Informationssysteme. In: Schmidt, H. (Hrsg.): Modellierung betrieblicher Informationssysteme. Proceedings der MobIS-Fachtagung Siegen 2000,
S. 125-144
Modellierung von Flexibilität inArchitekturen industrieller
Informationssysteme
Prof. Dr.-Ing. Norbert Gronau
Universität Oldenburg
Fachbereich Informatik
Abt. Wirtschaftsinformatik
Escherweg 2
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1. Zusammenfassung
Flexibilität ist ein in der Wirtschaftsinformatik häufig verwendetes Attribut. Flexibel soll ein Unternehmen
auf die Wünsche seiner Kunden reagieren und gegebenenfalls seine Wettbewerbsposition anpassen. Flexi-
bel soll eine Einplanung oder Umdisposition der aus Kundenaufträgen resultierenden Werkstattaufträge
erfolgen. Schließlich sollen die zur Bewältigung der Werkstattaufträge eingesetzten Maschinen und Anlagen
so flexibel sein, unterschiedliche Teilegeometrien ohne aufwendige Umrüstvorgänge bewältigen zu können.
Aufgrund des heute mit der Bewältigung der Geschäftsprozesse verbundenen Informationssystemeinsatzes
stellt sich auch die Frage nach der Flexibilität der eingesetzten Informationssysteme. Dieser Beitrag stellt ein
Anforderungsmodell an Architekturen industrieller Informationssysteme auf, die in der Lage sind, sich an
veränderte Gegebenheiten schnell und effizient anpassen zu können. Diese Klasse von Informationssyste-
marchitekturen wird als nachhaltig bezeichnet, um ihren gegenüber dem Flexibilitätsbegriff erweiterten
Eigenschaften Rechnung zu tragen. Es wird gezeigt, wie Elemente und Vorgehensmodelle, die diesen
Anforderungen genügen, im Rahmen der Modellierung von Informationssystemarchitekturen gefunden
werden können.
2. Flexibilität als Gestaltungsparameter vonInformationssystemarchitekturen
2.1 Der Begriff der Informationssystemarchitektur
Als Informationssysteme werden Softwaresysteme bezeichnet, die die Aufgaben der Datenhaltung, Daten-
verarbeitung und Präsentation von Informationen in Bezug auf eine konkrete betriebliche Aufgabe oder
Funktion erfüllen [StHa97, S. 426]. Sie verbinden betriebswirtschaftliche Anwendungskonzepte mit ihrer
Realisierung durch Informationstechnologie [Sche97, S. 49. Hansen erweitert diese Definition durch Einbe-
ziehung der Benutzer und charakterisiert ein Informationssystem als Menge aus Menschen und Maschinen
(Automaten), die Informationen erzeugen oder benutzen und durch Kommunikationsbeziehungen miteinan-
der verbunden sind [Hans98, S. 67]. Einigkeit besteht in der Literatur darin, daß Informationssysteme
technische, betriebswirtschaftliche und psychosoziale Aspekte aufweisen.
Unter einer Architektur im Diskursbereich der Wirtschaftsinformatik versteht Scheer die Komponenten
eines Systems und ihre Beziehungen zueinander [Sche97, S. 3]. Diese Begriffsauslegung enthält jedoch
keine neuen Elemente gegenüber den oben skizzierten Definitionen. Der Architekturbegriff sollte jedoch
stärker normativ und als Leitbild wirken. Daher wird im folgenden eine Informationssystemarchitektur als
geplantes Zusammenwirken technologischer, betriebswirtschaftlicher, organisatorischer und psychosozialer
Aspekte bei der Entwicklung und Nutzung von betrieblichen soziotechnischen Informationssystemen
definiert.
Die zuvor angeführten Definitionen werden somit um den organisatorischen Blickwinkel und um den
Aspekt des Lebenszyklus von Informationssystemen erweitert. Die Einbeziehung des organisatorischen
Blickwinkels in die Gestaltung von Informationssystemen erfordert eine Betrachtung der Wirkzusammen-
hänge zwischen betrieblicher Organisation und der Nutzung von Informationssystemen. Der Lebenszy-
klusaspekt verdeutlicht, daß auch die Phasen der Einführung und des Betriebs eines Informationssystems
unter Berücksichtigung seiner organisatorischen Einbettung betrachtet werden müssen.
2.2 Flexibilität
Der Begriff der Flexibilität entstammt dem Lateinischen und bedeutet Veränderbarkeit, Beweglichkeit oder
Biegsamkeit. Flexibilität wird die Eigenschaft eines Systems genannt, das ein im Bedarfsfall zu aktivierendes
Änderungsvermögen bzw. Änderungspotential aufweist. In einem offenen System wird dieser Änderungs-
bedarf im System durch das Systemumfeld ausgelöst, indem Impulse oder Stimuli auf das System einwir-
ken oder Störungen in der Beziehung zwischen Umwelt und System auftreten. Ein System ist dann flexibel,
wenn dem Änderungsbedarf ein in angemessener Zeit aktivierbares Änderungspotential im System gegen-
übersteht [Knof92, S. 67].
Der Änderungsbedarf enthält eine sachliche und eine zeitliche Dimension. Gefordert wird die Durchsetzung
von Änderungen in einem bestimmten Zeitablauf. Daher ist das Änderungspotential als Einflußfaktor auf die
Flexibilität eines Systems um das Reaktionsvermögen zu ergänzen. Die Reaktionsfähigkeit bezieht sich
jedoch nur auf die nachträgliche Anpassung an eine bestehende Anforderung. Gefordert wird, auch die
antizipative Anpassung des Unternehmens, etwa durch Erkennen und Ausnutzen von Marktchancen, in die
Definition des Flexibilitätsbegriffes einzubeziehen [Cors88]. Flexibilität umfaßt daher auch die Schaffung
von Chancen für ein Unternehmen im Sinne von Innovationen [Knof92, S. 69]. So ist es erforderlich, daß
unausgenutzte Ressourcen und Potentiale vorhanden sind, zu deren Umsetzung Handlungsspielräume
bestehen.
Durch die zunehmende Forderung nach Flexibilität von Informationssystemen verschiebt sich der Schwer-
punkt der Betrachtung zunehmend von der technischen zur organisatorischen Infrastruktur [Rolf98, S. 12].
Mit organisatorischen Änderungen sind nahezu immer auch Veränderungen in der Informationssystemarchi-
tektur verbunden. Diese Veränderungen reichen von einer Addition bzw. Stillegung von Funktionen über
die Ergänzung von Aggregationsmechanismen, die Anpassung von Schnittstellen und Übertragungswegen
bis zur Änderung von Algorithmen und Datenstrukturen.
Der Begriff der Flexibilität erscheint jedoch nicht ausreichend, um zu beschreiben, wie eine Anpassung von
Informationssystemen an organisatorische Änderungen erfolgt. So läßt er z.B. die Frage offen, wer die zur
Anpassung notwendigen Arbeiten vornimmt (zentrale Stellen oder dezentrale Einheiten). Nicht enthalten im
Flexibilitätsbegriff ist auch die Bewertung des notwendigen Ressourcenpotentials, das für eventuelle Anpas-
sungen vorgehalten werden sollte. Anzustreben ist - schon aus wirtschaftlichen Gründen - ein möglichst
niedriges Niveau.
Im folgenden sollen Informationssystemarchitekturen, die eine effiziente und mit geringen Aufwand verbun-
dene Anpassung an veränderte organisatorische Bedingungen erlauben, als nachhaltig bezeichnet werden.
Um die Wahl dieses gegenüber der Flexibilität erweiterten Begriffes zu verdeutlichen, wird im folgenden
Abschnitt der Begriff der Nachhaltigkeit definiert.
2.3 Nachhaltigkeit als Paradigma der Modellierung vonInformationssystemarchitekturen
Der Begriff der Nachhaltigkeit stammt aus der Umweltökonomie. Die Bezeichnung nachhaltige Entwick-
lung (sustainable development) entstammt dem sog. Brundtland-Report der Vereinten Nationen [u.a.
Hubi95]. Der Begriff des ”sustainable development” wird ins Deutsche mit ”beständige” oder ”nachhaltige”
oder ”zukunftsfähige” oder ”zukunftsbeständige” oder ”dauerhaft umweltgerechte Entwicklung” übertragen.
Unter Nachhaltigkeit wird eine Handlungsweise eines Systems verstanden, die über einen beliebig langen
Zeitraum ohne Einbuße an Überlebensfähigkeit durchhaltbar ist [Krot98].
Auf dieser Definition basieren unterschiedliche Definitionen der Nachhaltigkeit in unterschiedlichen Fachdis-
ziplinen, die alle die Aussage beinhalten, daß mittel- bis langfristige Perspektiven stärker als bisher bei
Plänen und Handlungen mitberücksichtigt werden müssen. Naturwissenschaftliche Definitionen des
Nachhaltigkeitsbegriffes basieren auf einem jeweils spezialisierten Bezugssystem, also z.B. Wald, See oder
klimatologische, terrestrische oder hydrologische Systeme.
Daraus kann abgeleitet werden, daß Nachhaltigkeit eine systemorientierte Betrachtungsweise voraussetzt
und diese zur Grundlage der Beschäftigung mit dem Begriff und seinen Deutungen macht. Aus dieser
Überlegung heraus wird im folgenden ein systemorientierter Abgrenzungsansatz verwendet
3. Gestaltungsansatz flexiblerInformationssystemarchitekturen
Um zu einem in der unternehmerischen Praxis handhabbaren Modellierungsansatz zu kommen, wird folgen-
der Weg beschritten:
1. Als zentrale These wird die Notwendigkeit einer strukturellen Analogie zwischen Unternehmensorgani-
sation und Informationssystemarchitektur postuliert.
2. Als Basis für das Verständnis organisatorischer Veränderungen werden aus dem Systemansatz organi-
satorische Gestaltungsoptionen abgeleitet.
3. Aus den organisatorischen Gestaltungsoptionen werden Anforderungen an nachhaltige Informationssys-
temarchitekturen abgeleitet.
3.1 Organisatorische Gestaltungsoptionen
Um unterschiedliche organisatorische Gestaltungsoptionen voneinander abgrenzen zu können, wird ein am
Systemansatz orientiertes Modell verwendet. Die klassische systemtheoretische Konzeption begreift ein
Unternehmen als eine gesellschaftliche Institution, die sich durch Komplexität, Offenheit, Dynamik und
Zweckorientierung auszeichnet [Krys97, S. 33]. Ein System besteht aus einer Anzahl von Elementen, die
durch Relationen miteinander verbunden sind. Über eine Systemgrenze hinweg gibt es einen Austausch von
Informationen und Material. Im weiteren Umfeld befindet sich die relevante bzw. die nichtrelevante
Umwelt, die in einem Systemabgrenzungsprozeß danach differenziert wird, ob sie vom System beeinflußbar
ist oder nicht.
Im systemorientierten Abgrenzungsansatz werden als organisatorische Gestaltungsoptionen Segmentierung,
Ablauforientierung, Kontinuierliche Reorganisation und Auflösung der Unternehmensgrenzen unterschieden.
Segmentierende Ansätze
Auf der Basis des Systembegriffes können segmentierende Reorganisationsansätze als Subsystembildung
innerhalb des Systems Unternehmung aufgefaßt werden. Die Subsystembildung, die zur Komplexitätsredu-
zierung eingesetzt wird, erzeugt Subsysteme, die eine Vielzahl von Relationen zwischen den sie bildenden
Elementen aufweisen, aber eine im Verhältnis dazu geringere Zahl von Relationen zwischen den Subsyste-
men. Bei segmentierenden Gestaltungsoptionen findet eine neue Strukturierung der Aufbau- und Ablaufor-
ganisation mit dem Ziel statt, Aufgaben zu integrieren, die bisher von verschiedenen Stellen bewältigt
wurden. Diese Segmentierung drückt sich u.a. in der Fertigungssegmentierung, der Gruppenarbeit oder der
Fraktalbildung aus.
Ablauforientierte Ansätze
Ablauf- oder prozeßorientierte organisatorische Gestaltungsoptionen setzen an den Relationen zwischen
den einzelnen Elementen an. Diese Relationen können Materialien, Realflüsse, Informationsflüsse, aber
auch Führungs- und Leitungsbeziehungen zwischen den einzelnen Elementen ausdrücken. Sie werden im
Zuge der ablauforientierten Reorganisation so ausgerichtet, daß sich durchgängige, nicht unterbrochene
Ketten von an der Wertschöpfung beteiligten Systemelementen ergeben. Der ablauforientierte Ansatz stellt
somit aus systemtheoretischer Sicht ein Strukturbildungsprinzip dar.
Kontinuierliche Reorganisation
Bei den Prinzipien der kontinuierlichen Reorganisation wird das Verhalten des Systems im Zeitablauf
betrachtet. Zwischen zwei Zeitpunkten finden Prozesse der Subsystembildung ebenso wie Prozesse der
Ausrichtung und Neuausrichtung von Relationen statt. Es kann somit Komplexitätsreduzierung wie auch
Strukturbildung beobachtet werden. Kontinuierliche Ansätze beschreiben und beeinflussen das zeitdynami-
sche Änderungsverhalten des Systems. Dazu werden Änderungsparameter angegeben, deren wesentlicher
die Lernfähigkeit des Systems darstellt.
Auflösung der Unternehmensgrenzen
Bei der Gestaltungsoption “Auflösung der Unternehmensgrenzen” wird die Systemgrenze, die das System
von der relevanten Umwelt trennt, partiell verschoben. Die Unterschiede zwischen Systemelementen inner-
halb des und Elementen außerhalb des Systems wird zunehmend weniger wichtig. Es besteht nur noch eine
Abgrenzung zwischen System und relevanter Umwelt einerseits und der nichtrelevanten Umwelt anderer-
seits. Der Teil der relevanten Umwelt, d.h. der Umwelt, deren Verhalten durch das System beeinflußt
werden kann, ist bei Ansätzen der Auflösung von Unternehmensgrenzen erheblich größer.
Mischformen
Die genannten Gestaltungsoptionen finden sich in der betrieblichen Praxis nicht in reiner Form. Sie bauen
teilweise aufeinander auf und werden vielfach gemeinsam eingesetzt. Mischformen vereinen mehrere der
oben genannten Maßnahmen. Der Lean-Production-Ansatz [Betz96, S. 43] setzt beispielsweise sowohl
auf Komplexitätsreduzierung als auch auf Ausrichtung an den Wertschöpfungsprozessen.
3.2 Strukturelle Analogien zwischen Organisationsarchitektur undInformationssystemarchitektur
Unabhängig von der Wirkungsrichtung des Einflusses zwischen Organisation und Informationstechnologie
wird in der Literatur zwischen Parallelen in der Entwicklung beider Architekturen hingewiesen. Die Evolu-
tion der Organisation und der Informationstechnologie bewegen sich in die gleiche Richtung [Schm99, S.
53] (Abb. 1).
Abb. 1: Evolution von Informationstechnik und Organisation [Schm99, S. 53]
Die in Abschnitt 3.1 skizzierten organisatorischen Gestaltungsoptionen gestatten folgende Ausgestaltung der
These von der Strukturellen Analogie, bezogen auf den Informationssystemeinsatz:
? Die Objektorientierung als Programmierparadigma entspricht der Segmentierung der Organisation.
? Die organisatorische Ablauforientierung über Abteilungsgrenzen entspricht dem Workflowmanagement
über Anwendungssysteme hinweg.
? Der kontinuierlichen Reorganisation und dem damit einhergehenden Lernprozeß entsprechen z.B.
kontinuierliche Releasewechsel bei Standardsoftwareapplikationen mit verbesserter Funktionalität und
geringerer Fehleranfälligkeit.
? Der Auflösung der Unternehmensgrenzen hat ihre Entsprechung in der Nutzung verteilter Applikationen
im Netzwerk über Remote Procedure Calls und die damit verbundenen Kommunikations- und
Synchronisationsmechanismen.
Als Gründe für die Anwendung der Strukturellen Analogie bei der Modellierung von Informationssystemar-
chitekturen können u.a. genannt werden:
? Weil ähnliche Muster vorliegen, wird die Abbildung von Geschäftsprozessen und organisatorischen
Strukturen in Informationssystemen einfacher. Es ergeben sich Vorteile bei der Spezifikation und
Wartung, da Anforderungen aus der organisatorischen Realität abgeleitet werden können.
zentralisiert
hierarchisch
dezentralisiert
bestärkt
erweitert
virtuell
Evolution der Organisation
Evolution der Informatik
Mainframe-zentriert
Kontrolle
Einzel-PC
IndividuelleProduktivität
Client-Server
Kollaboration
netzwerkzentriert
dynamisch
? Die Übereinstimmung bzw. Analogie zur Organisation erleichtert die Einführung und Nutzung von
Informationssystemen, weil das System aufgrund der Analogien zu bereits existierenden Strukturen
besser und schneller verstanden wird.
? Die Abbildung von rechnerunterstützten Informationsflüssen entlang der von der Organisation vorgege-
benen Informationswege vermeidet unnötige, zu lange oder redundante Informationsflüsse.
Als Beispiel für den Verzicht auf strukturelle Analogie wird im folgenden der Plan einer zentralen Mailser-
verkonfiguration in einem dezentral organisierten international agierenden Unternehmen analysiert.
Ausgangspunkt ist eine Konfiguration, bei der etwa 20 europäische Standorte über Frame Relay-Verbin-
dungen unterschiedlicher Leistungsfähigkeit mit einem zentralen Mailserver verbunden sind. Ausgegangen
wird von einem Mailaufkommen von 5 MB/User und Tag und von einer Gesamtzahl von etwa 2250
Nutzern, davon etwa 500 direkt am Standort des geplanten zentralen Mailservers.
? Bei einer zentralen Konfiguration muß auch der lokale Mailverkehr über die Zentrale abgewickelt
werden. Dies verringert die Gesamtleistungsfähigkeit des Mailsystems erheblich und steigert die
Kosten für die Bereitstellung der Frame Relay-Verbindungen. Dabei steigt die Belastung des WAN mit
der Zahl der Empfänger einer Mail an. Eine Nachricht mit einem Anhang von 500k, die an 50 lokale
Nutzer geht, belastet bei einer zentralen Konfiguration den Server 50mal stärker als bei einer dezentra-
len Lösung.
? Die Kosten notwendiger Verbindungen liegen bei zentralen Lösungen stets erheblich über den
Kosten dezentraler Systeme, da stets auch der normalerweise lokale Mailverkehr über die Zentrale
abgewickelt werden muß. Da der interne Mailverkehr zumeist erheblich größer ist als der externe,
bürdet eine zentrale Mailserverkonfiguration den Weitverkehrsleitungen ein Vielfaches der eigentlich
notwendigen Verbindungslast im Weitverkehr auf.
? Bei einer zentralen Lösung muß darüber hinaus jede Veränderung bei entfernten Standorten (Benut-
zer, Berechtigungen) sofort am zentralen Mailserver vollzogen werden. Die Flexibilität der Organisation
wird in diesem Beispiel durch eine zentrale Lösung eingeschränkt.
? Schließlich weist ein zentraler Mail-Standort das Problem auf, daß bei Ausfall des zentralen Mailser-
vers alle anderen Standorte gleichzeitig ebenfalls ohne E-Mail-Funktionalität sind.
Eine sinnvolle Lösung unter Nutzung des Prinzips der strukturellen Analogie wäre es, die einzelnen europä-
ischen Standorte jeweils mit einem Mail-Server auszustatten. Die oben beschriebenen Nachteile würden
entfallen. Aus der Sicht des Verfassers zeigen die vorgenommenen Analogieschlüsse sowie das aus der
Praxis stammende Gegenbeispiel, daß die These der strukturellen Analogie für die Modellierung von Infor-
mationssystemarchitekturen anwendbar ist.
3.3 Ableitung von Anforderungen aus organisatorischen Gestaltungsoptionen
Das Anforderungsmodell nachhaltiger Informationssystemarchitekturen, das in diesem Beitrag vorgestellt
wird, umfaßt drei Gruppen von Anforderungen:
? Der These der strukturellen Analogie folgend, werden aus den charakteristischen Merkmalen der
organisatorischen Gestaltungsoptionen Anforderungen an eine nachhaltige und flexible Informati-
onssystemarchitektur abgeleitet.
? Der bei der Definition der Nachhaltigkeit vorgenommene Vergleich mit natürlichen Systemen führt zur
Eigenschaft der weitgehenden Selbstorganisation dieser Systeme (autopoietische Systeme). Daher
wird begründet, inwieweit diese Eigenschaft auch bei Informationssystemarchitekturen gefordert
werden kann.
? Schließlich werden aus der notwendigen Integration zwischen den einzelnen Modellebenen und
Betrachtungsweisen von Informationssystemarchitekturen weitere Anforderungen abgeleitet.
3.3.1 Anforderungen aus struktureller Analogie
Strukturelle Analogie wird von den Informationssystemen gefordert, damit sie sich möglichst harmonisch
an die jeweils vorherrschende organisatorische Gestaltungsausprägung anpassen. So entspricht die Struktur
segmentierter Organisationseinheiten objektorientierten Informationssystemen, während sich prozeßorien-
tierte Organisationen zu Workflowmanagementsystemen als strukturell analog erweisen. Die Abbildung von
Wertschöpfungspartnerschaften im Netzwerk kann z.B. durch Multiagentensysteme erfolgen, da die
Agenten Autonomie und ein gewisses Maß an Kompetenz aufweisen.
Das Charakteristikum der Dezentralität, das bei den Gestaltungsoptionen der Segmentierung und der
Auflösung von Unternehmensgrenzen auftritt, läßt sich als Anforderung auf die Informationssystemarchitek-
tur übertragen. Ziel muß es sein, zu einer intensiven Vernetzung innerhalb von Subsystemen zu gelangen,
aber im Gegensatz dazu nur eine schwache Vernetzung zwischen Subsystemen zuzulassen.
Aus dem Charakteristikum der ständigen Veränderung leitet sich die Anforderung nach Flexibilität und
Dynamik der Informationssysteme ab. Flexibilität setzt sich aus den Bestandteilen Anpassungsfähigkeit und
Anpassungsgeschwindigkeit zusammen. Flexible und nachhaltige Informationssystemarchitekturen müssen
in der Lage sein, sich an wandelnde organisatorische Strukturen anzupassen und zwar in einer Zeitspanne,
die nicht größer sein darf als die Veränderungsgeschwindigkeit durch die Reorganisation selbst. Weil Flexi-
bilität innerhalb des Anforderungsmodells nur eine der wünschenswerten Eigenschaften ist, werden Infor-
mationssystemarchitekturen, die über die Flexibilität hinaus weitere der hier aufgestellten Anforderungen
erfüllen, als nachhaltig bezeichnet.
3.3.2 Anforderungen aus dem Systemansatz
Allen organisatorischen Gestaltungsoptionen gemeinsam ist die Orientierung am Systemgedanken. Nahezu
alle Ansätze streben an, den handelnden Organisationseinheiten ein im Vergleich zum Zustand vor der
Reorganisation höheres Maß an Autonomie zu gewähren. Die Segmentierung verlagert Entscheidungen in
die Segmente, die Ablauforientierung setzt auf die umfassende Auskunfts- und Handlungsfähigkeit jedes
Elementes in einer Prozeßkette, während bei der Auflösung der Unternehmensgrenzen die handelnden
Elemente Autonomie schon aufgrund ihrer Rechtspersönlichkeit aufweisen. Als weiteres wesentliches
Prinzip zur Generierung von Anforderungen an nachhaltige Informationssystemarchitekturen wird daher
das Konzept eines offenen evolutionären und zumindest teilweise autonom agierenden und daher als
autopoietisch bezeichneten Systems verfolgt.
Als Begründer der Theorie autopoietischer Systeme können Maturana und Varela bezeichnet werden, die
u.a. folgende Charakteristika selbstorganisierender Systeme aufgestellt haben [MaVa87, Kua96, S. 21]:
? Autopoietische Systeme entstehen spontan, sie wachsen und erhalten sich selbst.
? Bezogen auf Selbstreferentialität und Zirkularität operieren diese Systemen als geschlossene Systeme.
? Autopoietische Systeme gestalten und organisieren sich selbst. Ihre Autonomie ist nicht gleichzusetzen
mit Unabhängigkeit von außenstehenden Systemen.
? Diese Systeme strukturieren ihre Umgebung selbst. Sie verfügen über die Systemgrenzen und steuern
damit ihre Systemidentität.
? Autopoietische Systeme sind komplex und können komplexe Elemente enthalten.
Einige die Systemautonomie betreffenden Anforderungen können darüber hinaus aus organisatorischen
Gestaltungsoptionen abgeleitet werden. Aus dem Charakteristikum der teilweisen oder vollständigen
Autonomie kann nach dem Prinzip der strukturellen Analogie die Anforderung an zukünftige Informations-
systemarchitekturen aufgestellt werden, über ein hohes Maß an Autonomie zu verfügen. Erfüllt wird diese
Anforderung von Informationssystemarchitekturen, die in der Lage sind, ihre innere Struktur ganz oder
teilweise selbst zu bestimmen.
Die partielle Autonomie fordert, organisatorische Einheiten so mit Informationssystemen auszustatten, daß
sie ein Maximum an Aufgaben autonom, d.h. ohne Eingriffe von außen abwickeln können. Das bedeutet
z.B. in der Produktionsplanung, daß das Dogma der zentralen Feinplanung von Aufgaben und Ressourcen
z.B. zugunsten einer dezentralen Koordination aufzugeben ist.
Die autopoietische Systemtheorie wurde u.a. durch Vergleich mit natürlichen Systemen abgeleitet. Wird die
Natur als Beispiel für nachhaltige Entwicklungen betrachtet, so ergeben sich einige Parallelen zur Entwick-
lung von Organisationsstrukturen. Natürliche Ökosysteme weisen durch Selektions- und Mutationsmecha-
nismen einen sehr hohen Grad an Autonomie und Selbstorganisation auf. Dies wird auch als self
sustainability bezeichnet [Habe95, S. 20], was stark mit den Bestrebungen nach Selbstorganisation und
Autonomie korrespondiert. Starke Eingriffe in Systeme, die sich im natürlichen Gleichgewicht befinden,
können Fehlverhalten und Versagen dieser Systeme zur Folge haben [Clau98, S. 29]. Auch dieses Beispiel
aus der Natur kann auf Informationssystemarchitekturen übertragen werden.
Die Selbstähnlichkeit ist ein Phänomen, das vielen natürlichen Objekten (Wolken, Pflanzen, Gebirge etc.)
eigen ist. In verschiedenen Größenmaßstäben zeigen sich immer dieselben Grundstrukturen. Viele chaoti-
sche Systeme zeigen selbstähnliches Verhalten. Häufig ist diese Selbstähnlichkeit der einzige Zugang zur
Analyse komplexer Strukturen oder dynamischer Systeme. Selbstähnlichkeit als Eigenschaft autopoieti-
scher Systeme korrespondiert mit dem Anspruch der Modellierung auf Verkürzung des Gegenstandsberei-
ches zur Komplexitätsreduzierung. Selbstähnliche Systeme ermöglichen unterschiedlich tiefe
Modellierungen, ohne daß ein Modellierungsergebnis auf einer höheren Ebene aufgegeben werden muß
und erleichtern so die Modellierung. In der Organisation wird diese Eigenschaft z.B. bei der Bildung von
Produktionsfraktalen [Warn93, S. 200] genutzt.
Aufgrund der Nähe dieser Eigenschaften zu realen soziotechnischen Systemen wird vorgeschlagen,
Merkmale autopoietischer Systeme als Anforderungen an nachhaltige Informationssystemarchitekturen zu
benutzen.
Autonomie, bezogen auf Informationssysteme, kann dann definiert werden als Fähigkeit eines Informations-
systems, eine gegebene Aufgabe mit möglichst geringer zusätzlicher Inanspruchnahme von Ressourcen zu
bewältigen. Als Beispiel sei ein fiktives Bürokommunikationssystem erwähnt, das bei einem Tippfehler in
einer E-Mail-Anschrift die Nachricht nicht an den Empfänger zurücksendet, sondern in der Lage ist, den
korrekten Empfänger herauszufinden. Ein weiteres Beispiel für teilweise Autonomie stellt die Adreßraum-
vergabe bei IP-Adressen dar, die die nahezu vollständig freie Wahl von IP-Adreß-Strukturen in sog. priva-
ten Adreßräumen ermöglicht. Es wird ohne weitere Inanspruchnahme von Ressourcen (durch
Adreßumsetzung) sichergestellt, daß über das Internet eine Kommunikation zwischen Inhabern von IP-Ad-
ressen privater Adreßräume möglich ist.
Auf der Basis dieser Überlegungen wurden aus der Betrachtung autopoietischer Systeme als Anforderun-
gen partielle Autonomie, Selbstorganisation und Selbstähnlichkeit in das Anforderungsmodell übernommen.
3
.3.3 Anforderungen aus der Integration von Modellebenen
Voraussetzung für die Bewertung von Informationssystemarchitekturen in Bezug auf ihre dauerhafte
Zukunftsfähigkeit ist das Aufstellen von Zielkriterien. Im Sinne eines Ebenenkonzeptes [Schu93, S. 170]
werden bei der Aufstellung von Zielkriterien und -indikatoren mehrere Abstraktionsebenen des Untersu-
chungsgegenstandes unterschieden. Dabei wird zwischen den Bestandteilen der Informationssystemarchi-
tektur (Elementeebene), dem Vorgehen bei ISA-Projekten (zusammenfassend als Methodenebene
bezeichnet) und dem Wissen über Elemente und Methoden (Metaebene) differenziert. Diese Darstellung
kann wie in Abb. 2 gezeigt, als Modell orthogonaler Ebenen verstanden werden.
Abb. 2: Ebenen des Anforderungsmodells nachhaltiger Informationssystemarchitekturen
Einsatz von Elementen
Anwendung vonVorgehens-modellen
Wissen
ISA 0
Wissen überVorgehensmodelle
ISA-Kombinationsbereich
Elementewissen
größere Nachhaltigkeit
größere Nach-haltigkeit
geringe Nach-
haltigkeit
Die x-Achse stellt symbolisch die Auswahl zur Verfügung stehenden Softwarebestandteile (Elemente) dar.
Auf der Y-Achse sind die zur Verfügung stehenden Vorgehensmodelle zur Konstruktion, Entwicklung und
Nutzung von Informationssystemarchitekturen aufgetragen. Elemente und Vorgehensmodelle können nur
nach dem Grad der Nachhaltigkeit ordinal skaliert werden. Klassische Phasenmodelle ohne Benutzerbetei-
ligung liegen bei dieser Skalierung eher am Skalenursprung, während zyklische partizipative Vorgehensmo-
delle entfernt vom Skalenursprung zu lokalisieren sind. Analog sind Elemente von
Informationssystemarchitekturen nach der Erfüllung von Anforderungen der Nachhaltigkeit ordinal skalier-
bar. In der Praxis werden mehrere Methoden und Elemente unterschiedlicher Nachhaltigkeit eingesetzt, so
daß sich kein Punkt, sondern ein Gebiet ergibt, in dem Elemente und Methoden lokalisiert werden können.
Eine Kombination von Elementen und Vorgehensmodellen stellt eine Informationssystemarchitektur zu
einem bestimmten Zeitpunkt dar. In Abb. 2 ist das die Fläche ISA 0.
Als integrierendes Element wird nun das Wissen um die eingesetzten Vorgehensmodelle sowie die genutz-
ten Elemente in die Darstellung durch die Dicke der Scheibe ISA 0 eingebracht. Dies sei an einem Beispiel
erläutert. So enthält betriebswirtschaftliche Standardsoftware wie das System SAP R/3 eine Vielzahl von
Festlegungen über Abläufe, Stammdaten, Nutzung von Funktionen o.ä. [Hufg99, S.425ff]. Solange der
Einsatzbereich der Software sich nicht ändert, ist eine sehr dünne Scheibe zum erfolgreichen Betrieb der
Software ausreichend. Aber wenn sich Einsatzbedingungen und Anforderungen ändern, dann kann eine
Anpassung, Reaktion und Wiedererlangen eines zufriedenstellenden Zustandes um so eher erfolgen, je
mehr Wissen darüber zur Verfügung steht, also je dicker die Wissensscheibe hinter der konkreten Ausprä-
gung einer Informationssystemarchitektur ist. Die Darstellung macht auch deutlich, daß bei einem sehr breit
gefächerten Portfolio aus Elementen und Methoden das erforderliche Wissen stark wächst.
Modellierung der Elementebene
Elemente in Informationssystemarchitekturen lassen sich in drei Gruppen unterscheiden:
? Als Softwarekonstruktionselemente werden die von der Informatik zur Verfügung gestellten
Bausteine zur Erstellung von Applikationen bezeichnet. Es kann sich dabei um Programmiersprachen,
Bausteinbibliotheken, Anwendungsentwicklungskomponenten o.ä. handeln.
? Als Softwareintegrationselemente werden proprietäre, standardisierte oder genormte Schnittstellen
zwischen verschiedenen Anwendungssystemen zur Überwindung der Verteiltheit dieser Anwendungs-
systeme bezeichnet.
? Aus der organisatorischen Arbeitsteilung resultiert eine Dispersion von Aufgaben auf mehrere Aufga-
benträger, die innerhalb von Organisationen zusammenwirken. Anwendungssysteme, die zur organisa-
torischen Integration arbeitsteilig tätiger Aufgabenträger beitragen, fallen in diese Gruppe.
Grundsätzlich ist im Sinne der propagierten strukturellen Analogie für jedes Element zu prüfen, inwieweit
die in den vorigen Abschnitten aufgestellten Anforderungen erfüllt sind. Beispielhaft wird diese Prüfung und
Bewertung weiter unten für das organisatorische Integrationselement Workflowmanagementsystem
vorgenommen.
Modellierung der Methodenebene
Die Überprüfung der Anforderungen, die sich aus der Forderung nach Nachhaltigkeit ergeben, erfolgt
neben der Elementebene auch auf der methodischen Ebene. Als weitere relevante Anforderung tritt die
Partizipation, d.h. die Beteiligung von Benutzern und Betroffenen, hinzu. Ansätze zur Behandlung der
Anforderungen von Nutzern finden sich z.B. bei [Geli98, S. 65ff.].
Modellierung der Metaebene
Die oben beschriebene Auflistung von Elementen und Methoden einer Informationssystemarchitektur ist
nicht ausreichend für die Beurteilung der Nachhaltigkeit. Insbesondere der Dynamik des Wandels muß
Rechnung getragen werden. In der Literatur besteht weitgehende Einigkeit darüber, daß der größte Teil
des Aufwands bei betrieblichen Planungs- und Dispositionssystemen nach dessen Einführung entsteht
[Curt89, S. 7], [Klös95, S. 4], [Müll97, S. 1]. Die Hauptursachen dafür liegen im ständigen Wandel des
internen und externen Umfeldes. Äußere Einflüsse bedingen innere Anpassungen und selbstinitiierte
Verbesserungsmaßnahmen beeinflussen die Unternehmensorganisation. Folglich besteht ständig eine Lücke
zwischen Anforderungen und Zustand der Informationssystemarchitektur [Hufg99, S. 425].
Daher wurde als Metaebene die Beherrschung des zum Umgang mit Elementen und Methoden erforderli-
chen Wissens in das Anforderungsmodell einbezogen. Dieses Wissen läßt sich differenzieren in
? Wissen über Software, z.B. Dokumentation, Ziele zum Einsatzzeitpunkt, Controllingergebnisse
? Wissen über Organisationsstrukturen
? Wissen über Märkte und deren Veränderungen, denn die Veränderungen gehen meist nicht von den
Unternehmen aus, sondern werden durch Markterfordernisse zumindest vorangetrieben.
3.3.4 Berücksichtigung des Lebenszyklus von Informationssystemen
Abb. 3 zeigt konventionelles und durch Nachhaltigkeit geprägtes Vorgehen bei der Anpassung von Appli-
kationen an veränderte Rahmenbedingungen (in Anlehnung an [Ante96, S. 61]).
Abb. 3: Nachhaltigkeit im Lebenszyklus
Während bei einer konventionellen Betrachtung die Informationssystemarchitektur im wesentlichen als
gegeben angesehen wird, setzt eine nachhaltige Betrachtung bereits bei der normativen Wirkung des Archi-
tekturmodells an. So wird vermieden, daß Reparatur- bzw. Kompensationsmaßnahmen erforderlich
werden bzw. aus Kostenrestriktionen sogar eine Duldung des Auseinanderklaffens zwischen Anforderun-
gen und Realisierung hingenommen wird. Während die ökonomische Bewertung des Schadens mit zuneh-
mendem Durchlauf durch das Lebenszyklusmodell zunimmt, verringern sich gleichzeitig die
Einflußmöglichkeiten zur Behebung des Anforderungsdefizites. Verlangt wird daher eine Berücksichtigung
des Lebenszyklusaspektes bei der Modellierung von Elementen und Methoden. Das aus den obigen
Ausführungen resultierende vollständige Bewertungsschema zeigt Abb. 4.
konventioneller Ansatz
WirkungUrsache Schaden
ReparaturKapselung mitOO-Methoden
Add-onsUser Exits
Kompensationweitere Systeme
Mehrfach-aufwand
DuldungVerzicht aufFlexibilität,
Konnektivität
Präventionnachhaltige
Methoden undKomponenten
ökonomische Höhe des Schadens
Potential zur Abwendbarkeit von Schäden
Entwicklung Einführung Nutzung
Abb. 4: Anforderungsmodell nachhaltiger Informationsystemarchitekturen
4 Anwendungsbeispiel Workflowmanagement
In diesem Abschnitt wird anhand eines organisatorischen Integrationselementes von Informationssystemar-
chitekturen, am Beispiel adaptiver Workflowmanagementsysteme, skizziert, wie bereits verfügbare
Elemente bzw. Vorgehensmodelle auf ihre Eignung für den Einsatz in nachhaltigen Informationssystemarchi-
tekturen überprüft werden können. Ziel ist die Anwendung des in diesem Aufsatz vorgestellten
Anforderungsmodells.
Die heute verfügbaren Workflowmanagementsysteme berücksichtigen nur in eingeschränkter Form Anpas-
sungserfordernisse von Seiten der Endbenutzer [Hage97]. Da ein Workflowmanagementsystem proaktiv
steuert, wie mehrere Beschäftigte bei der Erledigung von Geschäftsprozessen zusammenarbeiten, sind
neben den verwendeten Dokumenten vor allem die implementierte Arbeitsverteilung und die koordinie-
rende Ablaufsteuerung Gegenstand der Anpassung.
Der momentan üblicherweise praktizierte Ansatz zur Unterstützung von Geschäftsprozessen durch
Workflowmanagementsysteme verläuft von der Modellierung der Ist-Prozesse über Schwachstellenanalyse
und anschließende Sollkonzeption bis hin zur Verfeinerung der Geschäftsprozeßmodelle in Workflow-Mo-
delle [GaSc95]. Bei erforderlichen Anpassungen werden Rückmeldungen aus der Führungs- oder Ausfüh-
rungsebene an die Geschäftsprozeß- oder Workflow-Modellierer weitergegeben, ein erneuter
Transformationsprozeß beginnt. Dieser Prozeß weist meistens Schnittstellen zwischen unterschiedlichen
Kriterium
Dezentralität
Flexibilität
Dynamik
Strukturanalogie
(Partielle) Autonomie
Selbstorganisation
Selbstähnlichkeit
Wissenshandhabung
Partizipativer Ansatz
Bezug zu nachhaltigen Methoden (bei Elementen)
Bezug zu nachhaltigen Elementen (bei Methoden)
Lebenszykluskonzept
Strukturelle Analogien zu Reorganisationstypen
Autopoiesis
Integration der Informationssystemarchitektur
Modellierungsmethoden und -werkzeugen auf und ist verbunden mit einem großen Kommunikationsbedarf
zwischen verschiedenen Spezialisten. Diese Vorgehensweise kann nur in längeren Zeitintervallen wiederholt
werden und verhindert eine kurzfristige Anpassung der durch Workflowmanagementsysteme unterstützten
Prozesse.
Es ist daher sinnvoll, Möglichkeiten vorzusehen, durch die die Ausführenden der Geschäftsprozesse in die
Lage versetzt werden, die Eigenschaften eines Geschäftsprozesses an die aktuellen Erfordernisse eines
konkreten Falls anzupassen. Als Ansätze zur Flexibilisierung werden unterschieden:
? Modellierung nicht planbarer Teilprozesse zur Laufzeit,
? Prozeßadaption durch Variantenerzeugung und
? Schrittweises Festlegen von Bedingungen zur Durchführung von Adaptionen.
Bei der Modellierung nicht planbarer Teilprozesse zur Laufzeit wird erst zur Laufzeit der Workflow-
Anwendung bestimmt, auf welche Art ein Prozeß bearbeitet werden soll. Unplanbarkeit kann bei den
Geschäftsprozeß-Merkmalen Lösungsweg, Kooperationspartner und Informationsbasis bestehen. Für
unstrukturierte und nicht modellierbare Teilprozesse wird eine nachträgliche Modellierung zur Laufzeit
vorgesehen. Erst wenn ein bestimmtes Ereignis eintritt, wird die Nachmodellierung dieses Teilprozesses
erforderlich. So können auch solche Teilprozesse, deren genauer Ablauf zum Zeitpunkt der Modellierung
nicht bekannt ist, in die Workflow-Anwendung integriert werden. Voraussetzung ist, daß zum Zeitpunkt
der Modellierung die modifikationsauslösenden Ereignisse und die nachträglich zu spezifizierenden Teile des
Workflows bestimmt werden können.
Bei der Prozeßadaption durch Variantenerzeugung wird anstelle des herkömmlichen top-down-Vorge-
hensmodells zur Workflow-Modellierung ein Ansatz verfolgt, der durch die Erzeugung und Auswertung
von Varianten der Workflow-Modelle zu adaptiven Workflow-Management-Systemen führt. Bei dieser
Alternative sind keinerlei Modellierungskenntnisse seitens des Benutzers erforderlich.
Adaptivität von Workflow-Anwendungen an Änderungen der Aufbau- und Ablauforganisation setzt eine
Erweiterung der Geschäftsprozeßbeschreibungssprache voraus. So muß das Prozeßmodell um Informatio-
nen erweitert werden, wie sie üblicherweise in Organigrammen und Aufgabenbeschreibungen von Unter-
nehmen zu finden sind. Zur Flexibilisierung der Workflow-Bearbeitung sollten dem Benutzer darüber hinaus
Anpassungsmöglichkeiten wie das Überspringen bestimmter Funktionen oder die Wahl eines anderen
Anwendungsprogrammes zur Unterstützung der zu bearbeitenden Funktion gegeben werden. Zudem muß
der Bearbeiter die Möglichkeit haben, bei Bedarf zusätzliche Funktionen oder Teilprozesse einzufügen.
Beim schrittweisen Festlegen von Bedingungen zur Durchführung von Adaptionen wird ein Workflow
als eine Abfolge einzelner Schritte verstanden, wobei jeder Schritt genau zwei Aktivitäten miteinander
verbindet. Diese Verbindung beschreibt den Transfer von Arbeitsergebnissen zwischen diesen Aktivitäten.
Die Sollkonzeption des Geschäftsprozesses bestimmt, ob ein Schritt obligatorisch ist oder abhängig. Ist ein
Schritt abhängig, so wird er nur ausgeführt, wenn vorab festgelegte Bedingungen mit den spezifischen
Eigenschaften des jeweils in Bearbeitung befindlichen Falls vereinbar sind.
Bewertung der Nachhaltigkeit
Die Anforderungen aus struktureller Analogie werden von flexiblen Workflowmanagementsystemen
vollständig erfüllt. Allerdings ist der Grad an Dezentralität abhängig von den eingesetzten Anwendungssys-
temen. Durch die Architektur der adaptiven Workflowmanagementsysteme ist die geforderte Flexibilität
gegeben. Der Anspruch an Reagibilität gegenüber Dynamik wird durch die Möglichkeit, unterschiedliche
Varianten von Prozessen gleichzeitig zu speichern, unterstützt. Strukturanalogie selbst ist durch die Abbil-
dung von Prozessen im Workflowmanagementsystem gegeben.
Autopoietische Anforderungen werden von flexiblen Workflowmanagementsystemen nur schwach erfüllt.
Partielle Autonomie und Selbstorganisation sind höchstens dort erkennbar, wo der Benutzer z.B. zur
Laufzeit die Abarbeitungsreihenfolge festlegen kann. Ansätze zur Verfolgung des Konzepts der Selbstähn-
lichkeit sind nicht erkennbar.
Im Bereich der integrativen Anforderungen bieten Workflowmanagementsysteme gute Ansatzpunkte zur
Wissensgenerierung und -verteilung. Eine Berücksichtigung partizipativer Ansätze ist nicht erkennbar. Eine
Bezugnahme auf nachhaltige Elemente hängt von den im Workflowmanagementsystem integrierten Anwen-
dungen ab. Im Lebenszykluskonzept von Informationssystemarchitekturen können adaptive Workflowma-
nagementsysteme präventiv oder korrektiv eingesetzt werden.
5. Ausblick
Die Wege der klassischen Konstruktion von Informationssystemen zur Lösung begrenzter Problemstellun-
gen werden um eine dynamische Betrachtung der sich wandelnden Organisationsstrukturen in den Unter-
nehmen erweitert. Der revolutionäre Charakter liegt bei der Modellierung nachhaltiger
Informationssystemarchitekturen somit in einer starken Erweiterung der zeitlichen Perspektive. Statt einer
Begrenzung auf die Folge Problemstellung - Konzeption - Konstruktion der Lösung werden organisatori-
sche Veränderungen der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft sowie die durch sie erforderliche Anpas-
sungsfähigkeit der vorhandenen und zu erschaffenden Bausteine einer Informationssystemarchitektur
betrachtet. Schon aus wirtschaftlichen Gründen ist ein vollständiger Neuaufwurf der unternehmensspezifi-
schen Informationssystemarchitekturen nicht möglich. Ziel der Gestaltung muß es daher sein, Entwicklungs-
pfade zu stärkerer Nachhaltigkeit in diesem Bereich zu eröffnen bzw. zumindest nicht zu verbauen.
Der Beitrag zeigt, daß auf der Basis des vorgestellten Anforderungsmodells über den Einsatz geeigneter
Elemente und Vorgehensmodelle zur Gestaltung nachhaltiger und damit auch flexibler Informationssyste-
marchitekturen entschieden werden kann. Dennoch sind zur Umsetzung der hier skizzierten Vorschläge
noch erhebliche Forschungsanstrengungen zu erbringen.
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