50. FIW-Ferienkurs
Missbrauchsaufsicht über marktbeherrschende Unternehmen
Bild einfügen(Cover Small)
Dr. Michael Dietrich
Köln, 26. September 2013
2
Struktur des Vortrags
Regelungsgehalt, Tatbestandsmerkmale, Rechtsfolgen
Tatbestandsmerkmale:
− Marktbeherrschung
− Missbrauch und „more economic approach“
Ausgewählte Missbrauchskonstellationen
Schwerpunkte:
Artikel 102 AEUV und „more economic approach“
§§ 19-20 GWB (nach der 8. GWB-Novelle)
4
Artikel 102 AEUV und §§ 19-20 GWB
Marktmacht-missbrauch
§ 19 Abs. 1 GWB: „Die missbräuchliche Ausnutzung einer
marktbeherrschenden Stellung durch ein oder mehrere Unternehmen ist
verboten.“
§ 19 Abs. 2 GWB (Regelbeispiele): „Ein Missbrauch liegt insbesondere vor, wenn ein marktbeherrschendes Unternehmen als Anbieter oder
Nachfrager einer bestimmten Art von Waren oder gewerblichen Leistungen
1. ein anderes Unternehmen unmittelbar oder mittelbar unbillig behindert
oder ohne sachlich gerechtfertigten Grund unmittelbar oder mittelbar
anders behandelt als gleichartige Unternehmen;
2. [(]“
§ 20 Abs. 1 GWB: § 19 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 Nr. 1 GWB gilt auch für Unternehmen mit relativer und überlegener Marktmacht.
Art. 102 AEUV: „Mit dem Binnenmarkt unvereinbar und verboten ist die
missbräuchliche Ausnutzung einer beherrschenden Stellung auf dem
Binnenmarkt oder auf einem wesentlichen Teil desselben durch ein oder
mehrere Unternehmen, soweit dies dazu führen kann, den Handel zwischen
Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen.“
5
Eine marktbeherrschende / marktstarke Stellung zu erlangen oder zu haben, ist nicht
verboten!
Aber: Marktbeherrschende / marktstarke Unternehmen unterliegen besonderen Verhaltenspflichten, die andere Unternehmen nicht beachten müssen.
Verboten: Missbrauch der marktbeherrschenden Stellung
Artikel 102 AEUV und §§ 19-20 GWB
Tatbestandsmerkmale
Marktbeherrschende oder marktstarke Stellung
Missbräuchliche Ausnutzung
Artikel 102 AEUV: Eignung zur Beeinträchtigung des Handels zwischen Mitgliedstaaten
Wichtige Rechtsfolgen
Maßnahmen sind per se verboten (deklaratorische Wirkung der Behördenentscheidung)
Untersagungs- bzw. Beseitigungsanordnung
Bußgelder (bei Vorsatz und Fahrlässigkeit)
Zivilrechtliche Nichtigkeit der Verträge
Schadensersatz
6
Marktbeherrschung
Zweistufige Prüfung
1. Marktabgrenzung
Sachlich relevanter Markt
(Austauschbarkeit re. Eigenschaften, Preise, Verwendungszweck)
Räumlich relevanter Markt
2. Marktbeherrschende Stellung
Marktanteil
Finanzkraft
Marktstruktur
Marktzugang / Marktzutrittsschranken
etc.
Artikel 102 EUV
Einzelmarktbeherrschung nach Rspr. ab rund 40% Marktanteil
§ 18 GWB ( widerlegliche
Marktbeherrschungsvermutungen)
Abs. 4: Einzelmarktbeherrschung ab 40% Marktanteil
Abs. 6:
2-3 Unternehmen: 50% Marktanteil
4-5 Unternehmen: 2/3 Marktanteil
Auswirkungen des
„more economic approach“
Auswirkungsbezogener Ansatz Rule of
Reason
‚as efficient competitor‘ Vermutungen
Rechtfertigungsmöglichkeiten:
− Objective necessity defence
− Meeting competition defence
− Efficiency defence
7
Missbrauch und „more economic approach“
Anerkannte Fallgruppen für missbräuchliche
Verhaltensweisen (form based approach):
Behinderungsmissbrauch (horizontal)
Exklusivität
Rabattsystem
Lieferverweigerung (Marktbeherrschung kann zur Belieferungspflicht führen!)
Kopplung
Diskriminierung (bspw. durch Preise, Konditionen, etc.)
Ausbeutungsmissbrauch (vertikal)
Kein Verschulden/ Schädigungsabsicht
erforderlich!
Sehr restriktive
Rechtfertigungsmöglichkeiten:
− Objective necessity defence
− Meeting competition defence
9
2. Rabattsystem: British Airways EuGH, Urteil vom 15. März 2007 – C 95/04P
Virgin Atlantic Airways Ltd.
Basisprovision für Umsätze an BA-Flugscheinen
(bis zu 9%)
Reisevermittler
+ Marketing Agreement: Basisprovision + Barprämie (bei Jahresumsatz an
BA-Flugscheinen > £ 500.000)
ODER
+ Performance Reward Scheme:
Geringere Basisprovision (7%) + Zusatzprovision (bis zu 3% bei stabilen
Umsätzen)
> 10%
Verdrängungswirkung der Prämienregelungen
Bindung der attraktivsten Reisevermittler auf Basis
individueller Umsatzziele
rückwirkender Provisionen
Vergleichbare Prämien von wenigen marktstarken Wettbewerbern nicht zu leisten
auf alle verkauften BA-Flugscheine
10
2. Rabattsystem: Tomra Systems ASA
EuGH, Urteil vom 19. April 2012 – C 549/10P
Rabatt auf Gesamteinkauf bei Überschreitung des kundenindividuellen Abnahmeziels
Missbräuchliches Rabattsystem von Tomra
Bindung wichtiger Großkunden
Beschränkung der Wahlmöglichkeiten der Abnehmer bzgl. alternativer Bezugsquellen
Versperrung des Marktzugangs für Wettbewerber und
Stärkung der beherrschenden Stellung durch Wettbewerbsverfälschung.
MARKTBEHERRSCHEND
Für die Annahme des Missbrauchs einer
marktbeherrschenden Stellung genügt:
Nachweis der Möglichkeit der missbräuchlichen Wirkung (nicht der Wettbewerbsbeschränkung!)
Rabattvereinbarung (keine förmliche Verpflichtung der Abnehmer!)
11
3. Lieferverweigerung: Reisestellenkarte
BGH, Urteil vom 3. März 2009 – KZR 81/07
Kredit- und Reisestellenkartenanbieter
Marktanteil Flüge: 70%
Missbräuchliche Verweigerung der Gestattung des Umsatzsteuerausweises
Vorbehalt des Marktes für Reisestellenkarten zugunsten der marktbeherrschenden „AirPlus“
Keine technische oder kommerzielle Rechtfertigung
Ausschluss des Wettbewerbs zwischen Kredit- und Reisestellenkartenanbieter
Tochterunternehmen Gestattung des Ausweises der Umsatzsteuer
AirPlus Marktanteil Reisestellenkarten: 90-95%
Vorsteuerabzug bzgl. der über die
Reisestellenkarte getätigten
Umsätze möglich!
Vorsteuerabzug bzgl. der über die Reisestellenkarte getätigten
Umsätze nicht möglich!
Wettbewerber
Kunde
Tochterunternehmen
12
EU- Kommission: Als Patentinhaber und marktbeherrschendes Unternehmen für die Lizensierung der Schmelztechnologie kann Rio Tinto Alcan durch die vertragliche Kopplung den Wettbewerb auf dem Markt für PTA-Spezialkräne behindern oder gar unterbinden höhere Preise, weniger Innovation und Abschottung des Marktes
Abgabe von verbindlichen Verpflichtungszusagen durch Rio Tinto Alcan:
Einführung eines objektiven, diskriminierungsfreien Verfahrens zur Auswahl qualifizierter Anbieter von PTA,
Lizenznehmer der Schmelztechnologie von Rio Tinto Alcan können PTA von allen empfohlenen Anbietern erwerben
Rio Tinto Alcan stellt Wettbewerbern von ECL die erforderlichen technischen Spezifikationen zur Verfügung.
Einstellung der Untersuchungen der EU-Kommission gegen Rio Tinto Alcan
4. Kopplung: Rio Tinto Alcan
EU-Kommission, Pressemitteilung v. 20. Dezember 2012 (IP/12/1434)
Hersteller von PTA-Spezialkränen für Aluminiumhütten
Patentinhaber und Lizenzgeber für führende Aluminiumschmelztechnologie
Kopplung der Lizenz an den Kauf von PTA
Lizenznehmer
Wettbewerber von ECL
Ausschluss von Aufträgen aufgrund der Marktmacht
von Rio Tinto bei der Lizensierung der
Schmelztechnologie
13
Ausschließlich gemeinsamer Kauf von Windows Media Player + Windows Betriebssystems
Missbräuchlichkeit der Kopplung:
Marktbeherrschende Stellung von Microsoft auf dem Markt für PC-Betriebssysteme
Windows-Betriebssystem und Windows-Media-Player (Kopplungsprodukt und gekoppeltes Produkt) = zwei separate Produkte.
Keine Erwerb des Windows-Betriebssystem ohne Windows-Media-Player möglich
Wettbewerbsbeschränkung
Verpflichtung von Microsoft: Angebot einer voll-funktionsfähigen Version des Windows-Betriebssystems ohne Windows-Media-Player (ggf. neben gemeinsamem Angebot)
4. Kopplung: Microsoft
EuG, Urteil vom 17. September 2007- T 201/04
Media Player
Betriebssystem
Kunde
Apple Quicktime
Kostenpflichtige
14
5. Diskriminierung: Deutsche Telekom
EuGH, Urteil vom 14. Oktober 2010 – C 280/08
Gewährung des Netzzugangs gegen V
VZahlung eines Entgelts,
Verbraucher
Telekom-Endkundendienste kostengünstiger als gefordertes Entgelt für den Netzzugang
Anbieter von EndkundendienstenNetzanbieter
Endkundendienste
15
5. Diskriminierung: Post Danmark
EuGH, Urteil vom 27. März 2012 – C 209/10
Wichtigste Kunden
Gezielte Abwerbung durch
kundenindividuelle Preise und Rabatte:
Spar: Angebotspreis über den durchschnittlichen Gesamtkosten
Coop: Angebotspreis deckt nicht Gesamtkosten, aber durchschnittliche variable Kosten
Zustellung von Postwurfsendungen
Wettbewerber auf dem Markt für die
Kampfpreis eines marktbeherrschenden
Unternehmens zur Verdrängung eines
Wettbewerbers oder legitime Preispolitik?
16
6. Ausbeutung: Amazon Marketplace
Preisparitätsklausel in AGB:
Nutzung der Verkaufsplattform nur gegen Gewährleistung des niedrigsten Internet-VK-Preises
Onlinehändler
Kunde bestellt direkt bei Verkaufsplattform
Kunde
Meistbegünstigungsklausel zu Lasten des Abnehmers:
VK-Preis auf Amazon-Plattform wirkt wie Mindest-/Festpreisbindung für den restlichen Online-Vertrieb
Onlinehändler wird an Höchstpreis bei Amazon gebunden
Höchstpreis bei Amazon wirkt wie Mindestpreis auf Wettbewerber
Gebühren der Wettbewerber verlieren an wettbewerblicher
Bedeutung
Führt auf Dauer zu Einheitspreis im Onlinevertrieb!
Anbieter der „Verkaufsplattform“
18
Exklusivität: Soda Club II
BGH, Urteil vom 4. März 2008 – KVR 21/07
Befüllgeschäft von Soda-Club
Vermietung 325g- und 425g-Zylinder an Vertragshändler
Ausschließliche Befüllung der Zylinder durch Soda-Club
Tausch leerer Soda-Club-Zylinder und Fremdzylinder nur gegen gefüllte Soda-Club-Zylinder
Bundesweites Vertragshändlernetz
Behinderungsmissbrauch
Gezielte Verdrängung der Wettbewerber auf dem Befüllmarkt durch (i) Untersagung der Fremdbefüllung
und (ii) Kein Austausch von Fremdzylindern
Verstopfung des Marktes mit Soda-Club Zylindern
Beschränkung des Eigentumsrechts durch Zulassung der Fremdbefüllung tastet dessen Wesensgehalt nicht an und ist nicht unangemessen
Freier Händler
MARKTBEHERRSCHEND
19
Missbrauch der marktbeherrschenden Stellung durch Beantragung
und Vollstreckung einer Unterlassungsverfügung:
Verzerrung der Lizenzverhandlungen
ggf. Auferlegung überzogener Lizenzgebühren
Verbot des Verkaufs des angeblich patentverletzenden Produktes
Schaden für die Verbraucher
Lieferverweigerung: Motorola Mobility
Kommission, Pressemitteilung v. 6. Mai 2013
Verpflichtung zur Erteilung von FRAND-Lizenzen für bestimmte Patente
(„standard-essential patents“ – SEPs)
LizenzgeberImplementer
Angebot über Zahlung einer FRAND-Lizenzgebühr gegen Gewährung der SEPs
Unterlassungsverfügung
EU-Wettbewerbskommissar, Joaquín Almunia:
„ Der Schutz der Rechte des geistigen Eigentums ist eine
der treibende Kräfte für Innovation und Wachstum. Wie
auch der Wettbewerb. Ich bin der Ansicht, dass die
Unternehmen ihre Zeit eher darauf verwenden sollten,
Innovationen zu schaffen und Wettbewerb mit den
Stärken ihres Produktes zu führen, statt ihre geistigen
Eigentumsrechte zu missbrauchen, um Wettbewerb vom
Markt fernzuhalten. Dies schadet der Innovation und den
Verbrauchern.“
20
Rabattsystem: Edeka
BKartA, Pressemitteilung v. 24. Juli 2013
Edeka forderte ohne Gegenleistung:
bestimmte, ursprünglich nur Plus gewährte Konditionenvorteile (z.B. günstigere Bezugskonditionen, längere Zahlungsziele, Sonderzahlungen),
pauschale Sonderboni für angebliche Kosten-/ Umsatzvorteile aus der Plus-Übernahme,
Flächendeckende Ausweitung der Vorteile auf das Gesamtsortiment und
Rückwirkende Anwendung der Vorteile für die Vergangenheit.
Forderung von „Hochzeitsrabatten“ ohne Gegenleistung
Knebelung der Lieferanten
Ausschluss konkurrierender LEH-Unternehmen von wettbewerbsfähigen Konditionen
Stärkung der marktbeherrschenden Stellung von EDEKA
MARKTBEHERRSCHEND
21
Bestätigung und Konkretisierung der Rspr. zum „margin squeeze“ in Rs. TeliaSonera:
Preis-Kosten-Schere eines vertikal integrierten Unternehmens ist für sich allein missbräuchlich, wenn das Wettbewerbsverhalten des (marktbeherrschenden) Unternehmens aufgrund der aus der Beschneidung der Margen folgenden Verdrängungswirkung geeignet ist, ebenso effizienten Wettbewerbern den Zugang zum Markt zu erschweren oder unmöglich zu machen.
Nicht relevant ist, ob der Vorleistungspreis überhöht ist (Lieferverweigerung) oder der Endkundenpreis Verdrängungswirkung hat (Kampfpreis).
Maßgeblich ist, ob die Preispolitik des Marktbeherrschers etwa in Anbetracht der Unentbehrlichkeit des Vorleistungsprodukts eine zumindest potentiell verdrängende Wirkung auf den Endkundenmarkt hat, ohne dass es eine wirtschaftliche Rechtfertigung dafür gibt.
Verdrängungswirkung liegt bei negativer Differenz zwischen Vorleistungs- und Endkundenpreis nahe. Bei positiver Differenz ist maßgeblich, ob Preispolitik die Tätigkeit auf dem Markt zumindest erschwert (z.B. durch eine eingeschränkte Rentabilität).
Diskriminierung: TeliaSonera
EuGH, Urteil vom 17. Februar 2011 – C 52/09
22
Unsere Standorte
Beijing Ω
Unit 2307&08, West Tower, Twin TowersB-12 Jianguomenwai AvenueChaoyang DistrictBeijing 100022T. +86 (10)6567 5886
BerlinEbertstraße 15 10117 BerlinT. +49 (0)30 88 56 36 0
BratislavaTaylorWessing e|n|w|cPanenská 681103 BratislavaT. +421(0)2 5263 2804
Brünn Ω
TaylorWessing e|n|w|cDominikánské námĕstí 4/5602 00 BrnoT. +420 543 420 401
BrüsselTrône House4 Rue du Trône1000 BrüsselT. +32 (0)2 289 6060
BudapestTaylorWessing e|n|w|cDorottya u. 1. III. em.1051 BudapestT. +36 (0)1 327 04 07
Cambridge24 Hills RoadCambridge, CB2 1JPT. +44 (0)1223 446400
Dubai26th Floor, Rolex Tower, Sheikh Zayed Road, P.O. Box 33675Dubai, United Arab EmiratesT. +971 (0)4 309 1000
DüsseldorfBenrather Straße 1540213 DüsseldorfT. +49 (0)211 83 87 0
FrankfurtSenckenberganlage 20-2260325 Frankfurt a.M.T. +49 (0)69 971 30 0
HamburgHanseatic Trade Center Am Sandtorkai 4120457 HamburgT. +49 (0)4 0 36 80 30
KiewTaylorWessing e|n|w|cIllinsky Business Centervul. Illinska 804070 KiewT. +38 (0)44 369 32 44
Klagenfurt Ω
TaylorWessing e|n|w|cAlter Platz 19020 KlagenfurtT. +43 (0)463 51 52 27
London5 New Street SquareLondon EC4A 3TWT. +44 (0)20 7300 7000
MünchenIsartorplatz 8 80331 MünchenT. +49 (0)89 2 10 38 0
Paris42 avenue Montaigne75008 ParisT. +33 (0)1 72 74 03 33
PragTaylorWessing e|n|w|cU Prasné brány 1CZ-110 00 Praha 1T. +420 224 81 92 16
Shanghai Ω
Unit 1509, United PlazaNo. 1468, Nanjing West RoadShanghai 200040T. +86 (0)21 6247 7247
SingapurRHTLaw Taylor Wessing LLP Six Battery Road #09-01, #10-01 Singapore 049909T. +65 6381 6868
WarschauTaylorWessing e|n|w|cul. Mokotowska 100-640 WarschauT. +48 (0)22 584 97 40
WienTaylorWessing e|n|w|cSchwarzenbergplatz 71030 WienT. +43 (0)1 716 55
Ω Representative offices