Date post: | 05-Apr-2015 |
Category: |
Documents |
Upload: | manfried-schulte |
View: | 107 times |
Download: | 3 times |
Zur Entwicklung mathematischen Denkens
zwischen „Wellenreiten“ und Traditionen
Bernd Zimmermann, Friedrich-Schiller-Universität Jena
Karlsruhe 22.05.2003
Karlsruhe 2003 - Prof. Dr. Bernd Zimmermann - Friedrich-Schiller-Universität Jena
• Mengenleh(e?)re?
• „Back to basics“?
• Anwendungsorientierung (vgl. PISA)?
• Computerorientierung?
• Entwicklung und Förderung
mathematischen Denkens?!
Karlsruhe 2003 - Prof. Dr. Bernd Zimmermann - Friedrich-Schiller-Universität Jena
Anlässe zum Nachdenken
über mathematisches Denken
Karlsruhe 2003 - Prof. Dr. Bernd Zimmermann - Friedrich-Schiller-Universität Jena
Anlass 1: Bruchrechnung
„Der deutsche Osthandel erlebte in diesem Jahr einen kräftigen Schub. Nach Schätzung des Ost- und Mitteleuropa Vereins (OMV) wird der Osthandel erstmals ein Zehntel des gesamten deutschen Außenhandels ausmachen, nachdem er jahrelang nicht über ein Fünftel hinauskam.”
(aus der Süddeutschen Zeitung)
Karlsruhe 2003 - Prof. Dr. Bernd Zimmermann - Friedrich-Schiller-Universität Jena
Anlass 2: Empirische Untersuchung
vor und nach Unterricht im Bruchrechnen
(Hasemann)
1. Schraffiere in folgender Figur zunächst die Hälfte und sodann zusätzlich ein drittel von ihr. Welchen Anteil hast du insgesamt schraffiert?
?31
21 2.
3. Sieben Äpfel sind unter vier Kindern aufzuteilen. Wieviel bekommt jedes?
Karlsruhe 2003 - Prof. Dr. Bernd Zimmermann - Friedrich-Schiller-Universität Jena
Anlass 2: Empirische Untersuchung
vor und nach Unterricht im Bruchrechnen
Ergebnisse
Vorherzu 1 (geometrisch):
überwiegend richtig
Zu 2 (symbolisch): überwiegend falsch
Zu 3 (handlungsorientiert): überwiegend richtig
Nachher zu 1 (geometrisch):
überwiegend falsch
Zu 2 (symbolisch): überwiegend richtig
Zu 3 (handlungsorientiert): überwiegend falsch
Moral: Zu viel Syntax, zu wenig Semantik!
Karlsruhe 2003 - Prof. Dr. Bernd Zimmermann - Friedrich-Schiller-Universität Jena
Anlass 3: Mentale „Trampelpfade“
Heinrich der Achte hatte sechs Frauen.
Wie viele Frauen hatte Heinrich der Vierte??
(nach Jan de Lange)
Neu(est)er Anlass (4):
Karlsruhe 2003 - Prof. Dr. Bernd Zimmermann - Friedrich-Schiller-Universität Jena
Eine PISA-AufgabeEine Robbe muss atmen, auch wenn sie schläft. Martin hat eine Robbe eine Stunde lang beobachtet. Zu Beginn seiner Beobachtung befand sich die Robbe an der Wasseroberfläche und holte Atem. Anschließend tauchte sie zum Meeresboden und begann zu schlafen. Innerhalb von 8 Minuten trieb sie langsam zurück an die Oberfläche und holte Atem. Drei Minuten später war sie wieder auf dem Meeresboden, und der ganze Prozess fing von vorne an.Nach einer Stunde war die Robbe:a) auf dem Meeresbodenb) auf dem Weg nach obenc) beim Atemholend) auf dem Weg nach unten?
Karlsruhe 2003 - Prof. Dr. Bernd Zimmermann - Friedrich-Schiller-Universität Jena
Einige Fragen
• Wie viel Zeit benötigt die Robbe zum atmen?
• Wie lange liegt die Robbe am Boden?
• Wieso konnte der Junge (nachts?) bis zum Grund des Meeres sehen?
• Wie könnte man die Aufgaben „geeignet“ variieren?
Karlsruhe 2003 - Prof. Dr. Bernd Zimmermann - Friedrich-Schiller-Universität Jena
Einige Erfahrungen aus SF
(Annahme: die meisten PISA-Aufgaben sinnvoll!)
• SF ist Aufsteigernation (700 Jahre Kolonie, industrielle Revolution erst nach 1945)
• Schulsystem und Bildung aus Deutschland lange Vorbild!• In SF haben Bildung, Lehren und Lernen einen extrem hohen
Stellenwert!• Lehrerberuf in SF mit am höchsten angesehen (bei durchschnitt
lich ca. 1/3 geringerem Einkommen als in D !)• Gesamtschule Klasse 1-9 für alle, danach über 50% aufs
Gymnasium; Studierquote 70% (30% in D)• Zentralabitur und rigorose Auswahlverfahren an allen Unis und
für alle Fächer (nur 10-30% der Erstbewerber zugelassen für Lehramt!)
Karlsruhe 2003 - Prof. Dr. Bernd Zimmermann - Friedrich-Schiller-Universität Jena
Anlass 5: Weitere Erfahrung aus Finnland
In einer TIMSS-Nachfolgeuntersuchung schnitten finnische Achtklässler gegenüber denen aus anderen Ländern am besten bei Aufgaben aus der Wahr-scheinlichkeitsrechnung ab. Die finnischen Schüler hatten dieses Gebiet als einzige noch nicht im Unterricht behandelt! Dr. Pekka Kupari (Mathe-PISA-Zentrale SF)
Karlsruhe 2003 - Prof. Dr. Bernd Zimmermann - Friedrich-Schiller-Universität Jena
Problemorientierung!?
Welche Möglichkeiten gibt es zur Initiierung („Nichtverhinderung“)
von
Denkprozessen?
Was ist Problemorientierung?
Karlsruhe 2003 - Prof. Dr. Bernd Zimmermann - Friedrich-Schiller-Universität Jena
Was ist ein Problem?
Eher eine Aufgabe:• "In a discus-throwing competition, the winning throw
was 61.60 m. The second-place throw was 59.72 m. How much longer was the winning throw than the second-place throw?A. 1.18 m B. 1.88 m C. 1.98 m D. 2.18 m."(Aus TIMSS 1994; "Performance Expectation: Solving Problems"!).
Eher ein Problem:• „Wie viele rechte Winkel kann ein Vieleck haben?“
(Szambien 1992, 1996; vgl. MN 8, S. 163 A2 ).
Karlsruhe 2003 - Prof. Dr. Bernd Zimmermann - Friedrich-Schiller-Universität Jena
„gute“ Probleme – einige Kriterien
• Nicht sofort Lösung parat (hängt von der jeweiligen Person ab)
• Erfordert selbständiges Denken• Lässt mehrere Lösungswege zu• Beinhaltet Differenzierungsmöglichkeiten
nach Denkstil und Leistung• Ist ausbaufähig (variier- und
verallgemeinerbar)
Karlsruhe 2003 - Prof. Dr. Bernd Zimmermann - Friedrich-Schiller-Universität Jena
Wie lässt sich das unterrichten?
Klassische
Methode:
Mögliche
Effekte:
s. „Anlässe“
Karlsruhe 2003 - Prof. Dr. Bernd Zimmermann - Friedrich-Schiller-Universität Jena
Mögliches Ergebnis von „Eintrichterbemühungen
“
Karlsruhe 2003 - Prof. Dr. Bernd Zimmermann - Friedrich-Schiller-Universität Jena
Mögliche methodische Alternativen
32,
73,
65
21
„dichter bei 1“ als
73
65
32,
73
Bsp. 1: Ordnen von Brüchen
Hauptnennermethode
Karlsruhe 2003 - Prof. Dr. Bernd Zimmermann - Friedrich-Schiller-Universität Jena
Bsp. 2: Division von Brüchen:
23
115
21135
3):(32112):(235
3:3)2(112:2)3(5
3:3)2(112:3)2(5
3:2)(112:2)(5
32:
115
94
32
32:denn,
32
3:92:4?
32:
94
95
32
65:denn,
65
3:2)(92:2)(5?
32:
95
)dc
fe
ba(
cbda
d:bc:a
dc:
ba
„Zähler durch Zähler, Nenner durch Nenner“
Karlsruhe 2003 - Prof. Dr. Bernd Zimmermann - Friedrich-Schiller-Universität Jena
Für die Gäste einer Geburtstagspartie
sollen 10 Stück Kuchen eingekauft
werden. Dafür stehen 21 Euro
zur Verfügung. Man kann zwei
verschiedene Kuchensorten kaufen; ein Stück Bienenstich kostet 2 Euro, ein Stück Torte 2,3 Euro.
Es sollen möglichst viele Stücke Torte eingekauft werden. Wie viele sind das?
Bsp. 3: Kuchenproblem (TIMSS Japan)
Karlsruhe 2003 - Prof. Dr. Bernd Zimmermann - Friedrich-Schiller-Universität Jena
Aki (8te Klasse):
Torte Bienenstich Summe
Stück Kosten Stück Kosten
10 23 0 0 23
9 20,70 1 2 22,70
...... ....... ..... .... ..........
4 9,20 6 12 21,20
3 6,90 7 14 20,90
Karlsruhe 2003 - Prof. Dr. Bernd Zimmermann - Friedrich-Schiller-Universität Jena
Dieter (8te Klasse):
• x 2,30 + (10 – x) 2 21
• x 0,30 1
• x = 3
Karlsruhe 2003 - Prof. Dr. Bernd Zimmermann - Friedrich-Schiller-Universität Jena
Clara (4. Klasse):
• „Zunächst 10 Bienenstich ‚kaufen‘. • Dann habe ich noch einen Euro über.• Tausche Torte gegen Bienenstich, kostet 30
Cent mehr. • Die passen in den einen Euro 3 mal rein, 4
mal liegt schon drüber. • Also: von den 10 Bienenstich 3 Stück gegen
3 Tortenstücke eintauschen und fertig!”Vgl. MN9, S. 246
Karlsruhe 2003 - Prof. Dr. Bernd Zimmermann - Friedrich-Schiller-Universität Jena
Bsp. 4: Wanderungen im Zahlenhaus
1 2 3 4 5
6 7 8 9 10Vgl. MN5, S. 93, Ü. 18
Karlsruhe 2003 - Prof. Dr. Bernd Zimmermann - Friedrich-Schiller-Universität Jena
Mögliche Fragen• Wie viele verschiedene Wege findet ihr? • Durch wie viele verschiedene Räume kommt ihr
dabei?• Auf jedem Weg sollen die Zahlen addiert werden.
Welches ist die größte, welches die kleinste Zahl?• Kommen dazwischen alle Zahlen als Wegsummen
vor?• Gibt es verschiedene Wege mit gleicher Summe?• Welche Variationen der Aufgabe findet ihr?
Karlsruhe 2003 - Prof. Dr. Bernd Zimmermann - Friedrich-Schiller-Universität Jena
Bsp. 5: Sortierspiel
?
Karlsruhe 2003 - Prof. Dr. Bernd Zimmermann - Friedrich-Schiller-Universität Jena
Sortierspiel
1 2 +
1 2 + 3 + 4 +MN 7, S. 250, Projekt
Karlsruhe 2003 - Prof. Dr. Bernd Zimmermann - Friedrich-Schiller-Universität Jena
Bsp. 6: LGS
I) x+2y=1 2x+2y=1
II) x+2y+3z=1 2x+2y+3z=1 3x+3y+3z=1
III)x+2y+3z+4u=1 2x+2y+3z+4u=1 3x+3y+3z+4u=1 4x+4y+4z+4u=1
IV) x+2y+3z+4u+5v=1 2x+2y+3z+4u+5v=1 3x+3y+3z+4u+5v=1 4x+4y+4z+4u+5v=1 5x+5y+5z+5u+5v=1
• Was ist die Lösung eines entsprechend „gebauten” LGS mit n Variablen und n Gleichungen? Du kannst dir bei der Suche nach einer Vermutung ggf. von einem Computeralgebrasystem (CAS) helfen lassen. Begründe deine Vermutung.
• Setze oben in der letzten Spalte (rechts vom Gleichheitszeichen) die Zahlen 1; 2; 3; ...n (bzw. n; (n-1); (n-2); ...3; 2; 1; n Mal n bzw. n Mal a) ein. Welche Lösung erhältst du in diesen Fällen? Begründung?
• Erfinde selber „gemusterte Gleichungssysteme” (du kannst dich z. B. durch figurierte Zahlen anregen lassen!) mit einfachen Lösungen!
MN9, S. 48, Ü16
Karlsruhe 2003 - Prof. Dr. Bernd Zimmermann - Friedrich-Schiller-Universität Jena
Bsp. 7: Ulam Spirale
Karlsruhe 2003 - Prof. Dr. Bernd Zimmermann - Friedrich-Schiller-Universität Jena
Bsp. 8: Pythagoras und al
Sijzi
Vgl. MN 9, S. 129 A2
Karlsruhe 2003 - Prof. Dr. Bernd Zimmermann - Friedrich-Schiller-Universität Jena
Bsp. 8: Pythagoras und al
Sijzi
Wer war al-Sijzi?
• Abu Sa’id Ahmad ibn Muhammad
ibn ’Abd al-Jalil al-Sijzi,
lebte im 10. Jahrhundert• aus Sijistan im heutigen Südostiran
bzw. südwestlichen Afghanistan• Übersetzung des Aufgabentextes:
PD Dr. Sonja BrentjesVgl. MN 9, S. 129 A2
Karlsruhe 2003 - Prof. Dr. Bernd Zimmermann - Friedrich-Schiller-Universität Jena
Warum Problemorientierung?
• Lernpsychologie, Ergebnisse moderner Hirnforschung (Konstruktivismus und Konnektionismus)
• Gesellschaftliche Erfordernisse (z. Z. reichlich „Probleme“!)
• Geschichte der Mathematik– Fortschritt in der Mathematik primär durch Lösen von
herausfordernden Problemen
– als Quelle für eine (nicht nur) kognitionspsychologische Langzeitstudie
Können vor Wissen
Spitzer, M.: Lernen; Spektrum 2002
Karlsruhe 2003 - Prof. Dr. Bernd Zimmermann - Friedrich-Schiller-Universität Jena
Anwenden
Berechnen Konstruieren
Ordnen
Begründen Finden
SpielenBewerten
Mögliche Invarianten: wesentliche
mathematische (Denk-) Tätigkeiten
Beweise
Heuristik
Axiomatik
Riten, ReligionÄsthetik
Kalküle, Algorithmen
ArchitekturGeometrie
Würfelspiel; Würfelspiel; U.-Mathem.U.-Mathem.
Karlsruhe 2003 - Prof. Dr. Bernd Zimmermann - Friedrich-Schiller-Universität Jena
Wichtige heuristische Methoden
• Inhaltliches Lösen
• Darstellungswechsel
• Rückwärtsarbeiten (analytische Methode)
• Analogisieren
• atomistische Methoden
• Variieren und Verallgemeinern
• Abstrahieren
Karlsruhe 2003 - Prof. Dr. Bernd Zimmermann - Friedrich-Schiller-Universität Jena
Entwicklung einer Schulbuchreihe
Karlsruhe 2003 - Prof. Dr. Bernd Zimmermann - Friedrich-Schiller-Universität Jena
Probleme mit der Problemorientierungen:
Implementierungsschwierigkeiten
• „Zeitmangel“?• „Richtige Probleme sind nur etwas für
besonders begabte Schüler“?• „Eigentlich machen wir das doch schon
längst!“?• „Vermittlung von Grundwissen und
Routinetechniken ist am wichtigsten“?• Stellenwert von Bildung und Lernen in
der Gesellschaft?
Karlsruhe 2003 - Prof. Dr. Bernd Zimmermann - Friedrich-Schiller-Universität Jena
Ich höre, und ich vergesse,
ich sehe, und ich erinnere
mich,
ich tue, und ich verstehe!
Konfuzius, (551- 479 v. Chr.)
Aus der Geschichte der Philosophie