Universität Trier, Fachbereich IV,
Volkswirtschaftslehre
WS 2007/2008
Proseminar: Aktuelle Wirtschaftspolitik im Lichte des Nobelpreises
Leitung: Dipl.-Kff. Dipl.-Volksw. Elke C. Bongartz
Hausarbeit zum Thema:
Zum Nobelpreis an Friedrich A. von Hayek 1974Kritische Analyse der aktuellen europäischen Industriepolitik
von
David Linden
InhaltsverzeichnisEinleitung.......................................................................................................11.Friedrich August von Hayek.......................................................................1
1.1 „Der Wettbewerb als Entdeckungsverfahren“ und die „Anmaßung von Wissen“...............................................................................................1
2. Industriepolitik..........................................................................................32.1 Theoretische Begründungen für Industriepolitik................................5
2.1.1 Internationale Wettbewerbsfähigkeit und Marktversagen............52.1.2 Strategische Handelspolitik..........................................................62.1.3 Neue Wachstumstheorie...............................................................8
3. Industriepolitik in der EU seit Maastricht.................................................83.1 Instrumente, Strategien und Maßnahmen einer europäischen Industriepolitik..........................................................................................9
3.1.2 Finanzielle Maßnahmen.............................................................103.1.2 Wettbewerbsbeschränkende Maßnahmen...................................11
3.2 Aktuelle Industriepolitik....................................................................114. Diskussion und Bewertung der EU-Industriepolitik unter Berücksichtigung der Aussagen Hayeks.....................................................13Anhang........................................................................................................16Literaturverzeichnis.....................................................................................19
EinleitungDiese Arbeit beschäftigt sich mit den Aussagen des Ökonomen und Nobelpreisträgers
Friedrich August von Hayek zur Freiheit der Märkte. Anhand seiner Vorträge „der Wett-
bewerb als Entdeckungsverfahren“ und „die Anmaßung von Wissen“ soll das Verhalten
solcher absolut freien Märkte untersucht werden. Dies wird dem Konzept der Industrie-
politik gegenübergestellt. Als konkretes Beispiel wird hier die Industriepolitik der euro-
päischen Union angeführt. Wenn auch dieses sehr große Feld der europäischen Indus-
triepolitik nur ansatzweise dargestellt werden kann, so wird dennoch am Ende in einer
abschließenden Diskussion unter Bezug auf die Aussagen Hayeks eine Bewertung der
Politik versucht.
1.Friedrich August von HayekFriedrich August von Hayek, geboren am 8. Mai 1899 in Wien, war ein österreichischer
Ökonom. Er studierte bis 1923 zunächst Jura und dann Staatswissenschaften in Wien.
1927 gründete er das Österreichische Konjunkturforschungsinstitut zusammen mit Lud-
wig von Mises. Mit diesem gilt er als einer der Hauptdenker der österreichischen Natio-
nalökonomie. Sein erstes Buch „Geldtheorie und Konjunkturtheorie“ erschien 1929. Im
selben Jahr habilitierte er sich an der Universität Wien und erhielt sogleich einen Ruf als
Professor an die London School of Economics and Political Science. Es folgten Profes-
suren an der University of Chicago, und schließlich von 1962 – 1968 an der Freiburger
Albert-Ludwigs-Universität. Hayek lieferte sich in den dreißiger Jahren eine Auseinan-
dersetzung mit Keynes über dessen Beschäftigungs- und Geldtheorie. In der Nach-
kriegszeit galt Hayek als einer der Hauptkritiker des Sozialismus. Neben zahlreichen an-
deren Ehrungen erhielt er 1974 gleichzeitig mit Gunnar Myrdal den Nobelpreis für
Wirtschaftswissenschaften.
Hayek veröffentlichte bis zu seinem Tod am 23. März 1992 fast 50 Bücher, 30 Broschü-
ren und rund 270 wissenschaftliche Aufsätze.1
1.1 „Der Wettbewerb als Entdeckungsverfahren“ und die „An-maßung von Wissen“Die beiden Vorträge, der Wettbewerb als Entdeckungsverfahren, den Hayek 1968 in
Kiel hielt, und die Anmaßung von Wissen, von der Nobelpreisverleihung 1974 sind die
für diese Arbeit maßgeblichen Texte Hayeks. Maßgeblich, weil hier Hayeks Ablehnung
der, in der zu seiner Zeit vorherrschenden Makrotheorie deutlich wird. Er hält die Ma-
1 Vgl. http://www.hayek.de/start.html Stand 25.11.2007; http://nobelprize.org/nobel_prizes/economics/laureates/1974/hayek-cv.html Stand 25.11.2007
1
krotheorien zwar nicht generell für nutzlos, erachtet sie jedoch allenfalls als „Faustre-
gel“ und spricht ihnen einen wissenschaftlichen Charakter ab2. Dies folgert er daraus,
dass die Daten, die die ökonomische Theorie verwenden, würden den Wettbewerb ad
absurdum führen, da Wettbewerb nur gerechtfertigt und sinnvoll sei, wenn die wesentli-
chen Umstände unbekannt sind3. Hayek betrachtet also den Wettbewerb als „ein Verfah-
ren zur Entdeckung von Tatsachen [...] die ohne sein Bestehen entweder unbekannt blei-
ben, oder zumindest nicht genutzt werden würden.“4 In der Wettbewerbstheorie aber,
die zu den Mikrotheorien gehört, sind die Daten zu vielfältig und komplex um vollstän-
dig erfasst zu werden. Genauer gesagt ist der Wettbewerb eine „Struktur inhärenter
Komplexität“5, Es sind folglich nur ganz allgemeine Aussagen möglich, er nennt diese
„pattern predictions“6.
Hayek sagt, dass sich die Markttheorie den Zugang zum Wettbewerb dadurch verbaue,
dass sie von einer gegebenen Menge knapper Güter ausgeht. Diese Menge und die Art
der Güter würden jedoch erst durch den Wettbewerb bestimmt7. Folglich unterscheide
sich die so entstehende Marktordnung von einer Wirtschaft im engeren Sinn, da in der
letzteren Mittel planmäßig in einer einheitlichen Zielhierarchie verwendet und in einer
einheitlichen Wertskala bewertet würden. Seine Wirtschaft, die eine spontane Ordnung
darstellt, bezeichnet Hayek als Marktordnung oder Katalaxie8, um Verwechslungen zu
vermeiden. Den Vorteil der Katalaxie sieht er darin, dass sie im Gegensatz zur echten
Wirtschaft das Wissen aller Teilnehmer nutzen kann. Die sich bildende spontane oder
abstrakte Ordnung sei das einzige gemeinsame Ziel in der Katalaxie, die einer Vielfalt
von Zwecken dienen und die Chancen für unbekannte Personen vergrößern würde, je-
doch nicht für bestimmte Personen bzw. Gruppen.9
In der Theorie ist der Horizont dessen, was bei der Erzeugung einer beliebigen Kombi-
nation von Gütern und Leistungen erreicht werden kann, beschrieben durch eine n-di-
mensionale Oberfläche. Nach Hayek besteht die einzige Möglichkeit einen Punkt auf
diesem Horizont zu erreichen nur durch den Markt bzw. durch Wettbewerb.10 Selbstver-
ständlich handelt es sich dabei um irgendeinen Punkt, der vorher nicht bestimmbar ist.
Ein solches Ergebnis kann laut Hayek jedoch dann nicht auf einer einheitlichen Werts-
kala beurteilt werden. Geschieht dies dennoch, wird also die Marktordnung als Wirt-
2 Vgl. Hayek, Wettbewerb S.6.3 Vgl. Hayek, Wettbewerb S. 34 Hayek, Wettbewerb S. 35 Hayek, Anmaßung S. 156 Hayek, Wettbewerb S. 67 Vgl. Hayek, Wettbewerb S. 78 Hayek, Wettbewerb S. 89 Vgl. Hayek, Wettbewerb S. 910 Vgl Hayek, Wettbewerb S.11-12
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schaft interpretiert, so führe dies zu einer Korrektur im Dienste einer „Sozialen Gerech-
tigkeit“11 unter der Hayek das Verhindern des Abrutschens einzelner Personen und
Gruppen versteht. Eine solche Korrektur, in der Regel zu verstehen als eine Erhaltung
der bisherigen Löhne dieser Gruppen, würde den entscheidenden Mechanismus, der An-
passung der Preise und Löhne, in Hayeks Theorie außer Kraft setzen. Der Preismecha-
nismus funktioniert in dieser Theorie als Anzeiger, in dem die Preise anzeigen, was ge-
leistet werden soll und machen so bei Veränderung der Löhne Änderungen in den Tätig-
keiten notwendig. Andere Tätigkeiten, die nun stärker nachgefragt werden, werden bes-
ser entlohnt, die Tätigkeiten die vorher bestimmend waren verlieren an Bedeutung und
Entlohnung. Diese Anpassung ist nach Hayek unbedingt notwendig um den gesamten
Wohlstand bzw. das gesamte Einkommen zu erhalten oder sogar zu vergrößern, auch
wenn dadurch einzelne Gruppen durch die Änderungen benachteiligt werden und mögli-
cherweise in ihrer materiellen Lage abrutschen. Ein solches Abrutschen könne nur in ei-
ner schnell wachsenden Wirtschaft verhindert werden.12 Wird die Lohnstruktur aber
künstlich starr gehalten, so führt das in Hayeks Theorie dazu, dass ebenfalls die Vertei-
lung der Arbeiterschaft zwischen den verschiedenen Wirtschaftszweigen starr bleibe.
Hiervon hänge aber die Produktivität der Unternehmen ab und damit, so ist Hayeks
Schluss, auch das Reallohnniveau zu dem Vollbeschäftigung erreicht werden kann.13
Das Entscheidende an Hayeks Wettbewerbstheorie ist aber der Umstand, dass durch die
inhärent komplexe Struktur des Wettbewerbs, es unmöglich ist spezielle Voraussagen zu
machen, da es nicht möglich sein würde alle Tatsachen, Faktoren und Informationen zu
kennen und zu bestimmen, die zu einer Voraussage notwendig wären14. Es ist also nicht
möglich all jene Informationen zu besitzen, die zum Erreichen der spontanen Ordnung
im Maximum führen. Behauptet jemand also diese Informationen zu besitzen, um den
Markt zu einem bestimmten Optimum zu lenken, so wäre dies folglich eine Anmaßung
von Wissen, denn für Hayek ist der Markt „ein wirksameres Kommunikationsmittel zur
Nutzung verstreuter Informationen als jedes, dass der Mensch bewusst geschaffen
hat.“15
2. IndustriepolitikDer Begriff Industriepolitik bedarf zunächst einmal der Klärung, da sich in der Literatur
keine einheitliche Definition findet.
11 Hayek, Wettbewerb S. 15.12 Vgl. Hayek, Wettbewerb S. 13.13 Vgl. Hayek, Wettbewerb S. 17-18.14 Vgl. Hayek, Anmaßung S. 20.15 Hayek, Anmaßung S. 21.
3
Die Verwendung des Begriffs ist in der Regel mit Werturteilen verbunden,16 daher hängt
seine Bedeutung oftmals von der Einstellung des Benutzers ab. Trotz der Verschieden-
heit der Definitionsversuche lässt sich aber feststellen, dass zumindest darüber ein ge-
wisser Konsens besteht, dass Industriepolitik ein „interventionistisches Eingreifen in die
freien Märkte bedeutet.“17
Berthold Busch grenzt die Industriepolitik von der Ordnungspolitik und der Prozesspo-
litik ab, und ordnet sie der Struktur- oder sektoralen Wirtschaftspolitik zu. Wobei die In-
dustriepolitik nicht auf der gesamtwirtschaftlichen Ebene ansetze, sondern lediglich auf
die Beeinflussung des sekundären Sektors abziele.18 Diese grobe Definition findet sich
auch bei Starbatty. Er schreibt:
„Strukturpolitik“ ist gezielte staatliche Lenkung der Verteilung wirtschaftli-che[r] Aktivitäten im Raum (regionale Strukturpolitik; im EU-Maßstab: Ko-häsionspolitik) oder zwischen den Sektoren (sektorale Strukturpolitik). Wenn sich die sektorale Politik auf den sekundären Sektor (be- und verar-beitendes Gewerbe einschließlich Energie) richtet, sprechen wir von Indus-triepolitik.19
Als zentrale Eigenschaft industriepolitischer Maßnahmen sehen sowohl Busch, als auch
Berg/Schmidt ihre Selektivität. Industriepolitik richte sich also in der Realität nicht an
den gesamten Sektor Industrie, sondern versuche vielmehr nur die Entwicklung einzel-
ner Industriezweige und teilweise sogar einzelner Unternehmen zu beeinflussen.20
Des Weiteren findet man in der Literatur eine Vielzahl an Unterteilungen von Industrie-
politik. In dieser Arbeit soll jedoch die zwar recht grobe, aber am häufigsten verwendete
Zweiteilung von Berg/Schmidt verwendet werden. Sie teilen die Industriepolitik in eine
Gestaltende und eine verzögernde Industriepolitik ein.21
Die verzögernde Industriepolitik hat das Ziel im Falle einer Strukturkrise die Anpassung
an die neuen strukturellen Bedingungen zu verzögern, oder sogar zu verhindern, zumin-
dest aber die Folgen für die Betroffenen so gering wie möglich zu halten. Da dies in der
Regel Maßnahmen aus sozialpolitischen Überlegungen heraus sind, wird diese Art der
Industriepolitik in der Literatur oft der Sozialpolitik zugeordnet.
Die gestaltende oder aktive Industriepolitik, die Busch auch als die „neue Industriepoli-
tik“22 bezeichnet, versucht das Gegenteil. Sie will den Strukturwandel beschleunigen
bzw. die internationale Wettbewerbsfähigkeit, der inländischen Unternehmen fördern.
16 Vgl. Berg/Schmidt S. 853.17 Künzle S. 24.18 Vgl. Busch S. 11.19 Starbatty, S. 2; Es ist davon auszugehen, dass Starbattys sektorale Strukturpolitik dasselbe ist wie
Buschs sektorale Wirtschaftspolitik.20 Vgl. Berg/Schmidt S. 853 und Busch S. 11.21 Vgl. Berg/Schmidt S. 853; Starbatty zum Beispiel folgt auch dieser Einteilung, benutzt aber die
Begriffe aktive bzw. reaktive Industriepolitik.22 Busch S. 11.
4
2.1 Theoretische Begründungen für Industriepolitik
Das Eingreifen des Staates in die Prozesse des Marktes wird auf vielerlei Arten versucht
wissenschaftlich zu begründen. Berg/Schmidt unterscheiden hier die älteren Konzepte,
in denen Industriepolitik durch Marktversagen bzw. durch die internationale Wettbe-
werbsfähigkeit begründet wird und in die neueren Konzepte der strategischen Handels-
politik und der neuen Wachstumstheorie, in denen einzelne Elemente der älteren Kon-
zepte aufgehen.
2.1.1 Internationale Wettbewerbsfähigkeit und Marktversagen
Der Begriff der Internationalen Wettbewerbsfähigkeit ist höchst umstritten. Zwar lässt
er sich „in der tagespolitischen Diskussion trefflich handhaben“23, ist aber wissenschaft-
lich nur schwer einzusetzen. Denn dieser so oft verwendete Begriff ist in den Augen der
meisten Ökonomen höchstens mikroökonomisch, also auf einzelne Unternehmen bezo-
gen zu verwenden.24 Wettbewerbsfähig ist nach Berg/Schmidt ein Unternehmen dann,
wenn es angemessene Renditen erwirtschaftet und zu Innovationen und Anpassung an
veränderte Bedingungen in der Lage ist. Als Probleme bei der Bestimmbarkeit der inter-
nationalen Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen sehen sie aber, dass sich, wenn
überhaupt lediglich die statische Dimension des Begriffs, also der status quo feststellen
ließe, nicht aber die dynamische Komponente, also wie vergleichsweise gut ein Unter-
nehmen auf Ereignisse und Entwicklungen in der Zukunft eingestellt ist.25
Als zweites Problem sehen sie, dass ein Unternehmen nur dann uneingeschränkt wettbe-
werbsfähig ist, wenn sein Erfolg auf der eigenen Leistung und eben nicht auf einer wie
auch immer gearteten Unterstützung beruht.
Noch problematischer ist die Verwendung des Konzepts der internationalen Wettbe-
werbsfähigkeit auf eine Volkswirtschaft als Ganzes, also makroökonomisch, ja es ist so-
gar umstritten, ob der Begriff so überhaupt verwendet werden darf.
Das zweite ältere Konzept zur Begründung von Industrialisierung beruht auf dem Hin-
weis auf Marktversagen durch externe Effekte, das Vorliegen von Kollektivguteigen-
schaften und durch das Bestehen natürlicher Monopole.
Marktversagen bezeichnet den Fall, dass die durch den Markt hervorgebrachte Allokati-
on nicht dem wohlfahrtstheoretischen Optimum entspricht.26 Die staatliche Intervention
solle demnach die Allokation dem Optimum annähern. Diese Möglichkeit würde aber
23 Berg/Schmidt S. 854.24 Vgl. Berg/Schmidt S. 854.25 Vgl. Berg/Schmidt S. 855.26 Vgl. Berg/Schmidt S. 856.
5
auf „recht restriktiven Prämissen“27 beruhen. Zumal solche Effizenzsteigernde Interven-
tionen die von Hayek genannten, im Prinzip unlösbaren Informationsprobleme bergen.28
Zu zusätzlichen Problemen führt , dass politische Entscheidungen in der Regel nicht der
Maxime der Wohlfahrtssteigerung, sondern der Maxime der Erlangung und Behauptung
von Macht beruhen.29 Demnach folge auf das Marktversagen das Politikerversagen. so-
dass Berg/Schmidt zu dem Schluss kommen: „Ökonomen neigen folglich zu der Auffas-
sung, staatliches Handeln sei prinzipiell ungeeignet, um Koordinationsmängel des
Marktes zu heilen.“30
2.1.2 Strategische HandelspolitikEin neueres Konzept zur Begründung von Industriepolitik stellt das der strategischen
Handelspolitik dar. Sie erweitert den klassischen Rahmen der traditionellen Außenhan-
delstheorie um Elemente der Marktunvollkommenheit. D.h. sie gibt besonders die An-
nahmen über die vollkommene Konkurrenz und konstante Skalenerträge auf.31
Die strategische Handelspolitik geht also von oligopolistischen Marktstrukturen aus und
bedient sich einiger Erklärungen aus der Oligopol- und der Spieltheorie. In dem von
Busch beschriebenen einfachen Modell gibt es zwei Unternehmen (ein inländisches und
ein ausländisches), von denen sich eines strategisch verhält und sich einen Vorteil ver-
schaffen will.32 Hierzu investiert es in Forschung und technologische Entwicklung
(FuE), um seine Kosten zu sparen und damit seine Preise senken zu können. Zieht das
andere Unternehmen jedoch nach und investiert nun ebenfalls in FuE, kommt es zu er-
höhten Produktionsmengen, niedrigeren Preisen und damit zu niedrigeren Unterneh-
mensgewinnen. Die Unternehmen befinden sich in einem klassischen Gefangenendi-
lemma,33 da ein einseitiger Verzicht Nachteile für das verzichtende Unternehmen bedeu-
ten würde. Im Modell der strategischen Handelspolitik kommt hier der Staat zum Ein-
satz, der das inländische Unternehmen in seinen FuE-Investitionen unterstützt und so
die Marktposition des Unternehmens stärkt.
Die strategische Handelspolitik ist also darauf aus, die vor allem bei oligopolistischen
bzw. monopolistischen Marktstrukturen hohen Renten ins Inland zu lenken. Solche
Strukturen herrschen aber vor allem in entweder noch neuen Märkten oder aber in
Märkten mit hohen Zutrittsbarrieren.34 Gerade auf neuen, schnell wachsenden Märkten
27 Berg/Schmidt S. 858.28 Vgl. Kapitel 1 dieser Arbeit.29 Vgl. Berg/Schmidt S. 858-859; Neven and Röller S. 26.30 Berg/Schmidt S. 859.31 Vgl. Busch S. 31, sowie Berg/Schmidt S. 859.32 Vgl. Busch S. 31 f.33 Zur Spieltheorie und dem Gefangendilemma siehe Mankiw, S. 380 ff.34 Vgl. Berg/Schmidt S. 860.
6
winken hohe Pionierrenten für denjenigen, der als erster das Produkt verkaufen kann.
Nach der strategischen Handelspolitik werden daher Unternehmen, von denen man
glaubt, dass sie „zukunftsträchtig“ sind, finanziell gefördert, damit sie als Pioniere auf
neue Märkte auftreten und wenn es dafür schon zu spät ist, doch mindestens als so ge-
nannte „schnelle Zweite“ in den Markt eintreten können, um die hohen Gewinne ins In-
land umzulenken.35
Um überhaupt Unternehmen zu schaffen, die in der Lage sind hohe Investitionen im
Ausland zu tätigen, um neue Märkte zu erschließen und im internationalen Wettbewerb
mit anderen vermeintlich großen mithalten zu können, zielt die strategische Handelspo-
litik auch darauf ab, den heimischen Markt abzuschotten.36 So sollen sich die Unterneh-
men auf dem eigenen Markt die nötige Größe verschaffen, um international bestehen zu
können, und „ihnen das Nutzen von dynamischen Skalenerträgen“37 ermöglichen. Die
so geschaffenen Unternehmen nennt man „national Champions“.
Die Kritik an der strategischen Handelspolitik setzt an vielen, ja fast allen Punkten an.
Zum einen herrscht wieder das allgegenwärtige Informationsproblem. Ein Staat müsste
in der Lage sein, genau die Branchen, Unternehmen und Märkte zu identifizieren, die in
Zukunft hohe Wachstumsraten aufweisen werden und somit hohe Gewinne versprechen
würden. Zusätzlich müsste er noch die richtigen Mittel und die richtige Dosierung der
Förderung kennen.38 Außerdem würde in dem eben skizzierten vereinfachten Modell ein
neues Gefangenendilemma entstehen, wenn der andere Staat sein Unternehmen eben-
falls unterstützt.
Die Bildung von „national champions“ ist höchst kritisch zu betrachten, da es dabei in
der Realität nach Schmidt/Berg zu erheblichen Einschränkungen im Inland führen wür-
de39. Die Annahme der strategischen Handelspolitik, dass die private Investitionstätig-
keit in FuE, aufgrund externer Effekte hinter dem gesamtwirtschaftlich wünschbaren
Maß zurückbleibt, rechtfertigt allenfalls Investitionen horizontale Investitionen des
Staates in FuE, und auch dort nur in der Grundlagenforschung, da man diese als öffent-
liche Güter ansehen könnte40.
Außerdem führt die selektive Wirtschaftsförderung durch Subventionen dazu, dass an-
dere Branchen diskriminiert werden, in dem sie durch zusätzliche Steuern zur Finanzie-
rung der Subventionen belastet werden und sich ihre Wettbewerbssituation verschlech-
tert. Außerdem werden auch in den geförderten Unternehmen Ressourcen gebunden, um
35 Vgl. Berg/Schmidt S. 860.36 Vgl. Berg/Schmidt S. 860.37 Berg/Schmidt S. 860.38 Vgl. Busch S. 32.39 Vgl. Berg/Schmidt S. 861.40 Vgl. Berg/Schmidt S. 861.
7
die Fördermittel geltend zu machen, was die Investitionsbereitschaft beeinträchtigen
kann. Zusätzlich nimmt die Beantragung der Fördermittel Zeit in Anspruch, in der sich
der Markt weiterentwickelt und der Erfolg eines Projektes dadurch beeinträchtigt wer-
den kann.41
2.1.3 Neue WachstumstheorieIn der neuen Wachstumstheorie geht es nicht wie in der strategischen Handelspolitik
darum, sich durch strategisches Verhalten einen Vorteil gegenüber einem anderen zu
verschaffen. Es geht vielmehr darum, den technischen Fortschritt zu internalisieren42, da
davon ausgegangen wird, dass die Höhe des Sozialproduktes nicht nur von der vorhan-
denen Arbeitskraft und der Kapitalausstattung abhängt, sondern eben auch vom Stand
des verfügbaren technischen Wissens.43 Dies folgt aus der Erkenntnis, dass, entgegen
der neoklassischen Wachstumstheorie auch langfristig wachsende Pro-Kopf-Einkom-
men möglich sind. Kennzeichen der Neuen Wachstumstheorie ist der Versuch, den tech-
nischen Fortschritt zu endogenisieren.44 Industriepolitischer Handlungsbedarf wird mit
einem Marktversagen in Form von externen Effekten durch Forschungsanstrengungen
begründet. Dies führe zu geringerem technischen Fortschritt als es volkswirtschaftlich
optimal wäre, und somit auch zu weniger Wachstum.45
3. Industriepolitik in der EU seit MaastrichtSelbstverständlich hat es auch schon lange vor dem Vertrag von Maastricht Industriepo-
litik innerhalb der EU/EG gegeben. Diese fand jedoch in der Regel in den einzelnen
Mitgliedsstaaten statt. Europäische Programme bekamen erst in den 1980er Jahren zu-
nehmend Bedeutung. Jedoch wurde Industriepolitik als solche „erst mit dem Maastrich-
ter Vertrag von 1992 in das europäische Vertragswerk aufgenommen.“46 Dies geschah
dadurch, dass die „Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der Industrie der Gemeinschaft“
als Ziel in den Tätigkeitskatalog des Artikels 3 EGV übernommen wurde. Zusätzlich
wurde mit dem Maastrichter Vertrag ein neuer Artikel mit dem Titel „Industrie“ ge-
schaffen, der Artikel 130 EGV bzw. später 157 EGV.47 Die Beschlüsse von Maastricht,
die im Wesentlichen auf dem so genannten Bangemann-Papier des deutschen Kom-
missars Martin Bangemann basieren48 werden von der Literatur durchgängig als inter-
pretationsbedürftig angesehen. Daher ist es kein Wunder, dass die ordnungspolitische
41 Vgl. Berg/Schmidt S. 862.42 Vgl. Busch S. 33.43 Vgl. Berg/Schmidt S. 863.44 Vgl. Berg/Schmidt S. 863.45 Vgl. Busch S. 33.46 Busch S. 23.47 Vgl Anhang 1.48 Vgl. Berg/Schmidt S. 922.
8
Bewertung des Artikels 157 uneinheitlich ausfällt.49 So kommen einige zu dem Schluss,
dass der Vertrag und vor allem der Artikel 157 eine „Wendemarke“ der „bisherigen, am
deutschen Ordoliberalismus ausgerichteten Ordnungspolitik der Gemeinschaft“50 bedeu-
te, da die Industriepolitik dem Wettbewerbsprinzip gleichgestellt werde.51 Andererseits
sehen einige den Artikel auch als offensiv marktwirtschaftlich interpretierbar, da hier
zum ersten mal der Grundsatz offener und wettbewerbsorientierter Märkte rechtlich ver-
ankert worden sei.52
Die große Bandbreite der Interpretationen folgt aus der ebenfalls großen Bandbreite der
Formulierungen des Artikels. So könnte der Ausschnitt aus dem dritten Absatz des Arti-
kels „Dieser Titel bietet keine Grundlage dafür, dass die Gemeinschaft irgendeine Maß-
nahme einführt, die zu Wettbewerbsverzerrungen führen könnte“ leicht als Beweis an-
geführt werden, dass der Vertrag von Maastricht nicht zu einer Industriepolitik führt, zu
mal auch in Abs. 1 lediglich von „Voraussetzungen“ und der Förderung eines günstigen
Umfeldes die Rede ist.
Andererseits wird dem Rat in Abs. 3 die Möglichkeit zugesprochen „spezifische Maß-
nahmen“ durchzuführen. Noch wesentlich größeren Anstoß erregt unter Verfechtern ei-
ner ordoliberalen Politik der Abschnitt in Abs. 1 der „Erleichterung der Anpassung der
Industrie an die strukturellen Veränderungen.“ Hier ist das Problematische, dass es diese
Formulierung nur in der deutschen Version gibt, denn in Englisch und Französisch wird
hier statt „Erleichterung“, „speeding up“ und „accélerer“, also Beschleunigung verwen-
det, was wiederum eine aktive, gezielte Tätigkeit und Steuerung darstellen würde.53 Im
Verfassungsvertrag von Nizza aus dem Jahr 2005 wird dann auch diese Unterscheidung
nicht mehr vorgenommen, es heißt nun auch in der deutschen Fassung „Beschleuni-
gung“.54
3.1 Instrumente, Strategien und Maßnahmen einer europäi-schen IndustriepolitikIn der eben angeführten Definition des Begriffs Industriepolitik wurde deutlich, dass
diese auch als Strukturpolitik zu verstehen ist, und sich daher auch in die Unterbereiche
der Strukturerhaltungs-, Strukturanpassungs und Strukturgestaltungspolitik gliedert.
Wobei die zentralen Strategien der europäischen Industriepolitik nach Norbert Eickhof
die Strukturerhaltunspolitik und die Strukturgestaktungspolitik bilden.55 Jedoch spielt
49 Vgl. Busch S. 24.50 Eickhof S. 426.51 Vgl. Busch S. 24.52 Vgl. Eickhof S. 425, wie auch Busch S. 24 unter Hinweis auf Otto Schlecht.53 Vgl. Starbatty S. 2.54 Zum Vergleich siehe Anhang 1.55 Vgl. Eickhof S. 440.
9
auch die Strukturanpassungspolitik eine Rolle in der EU, was der eben erläuterte Artikel
130 bzw. 157 zeigt, wenn von Erleichterung bzw. von Beschleunigung der Anpassung
die Rede ist.
Industriepolitische Maßnahmen sind, ganz allgemein, entweder finanzieller Art, in dem
Subventionen, also Finanzhilfen und Steuervergüsntigungen gewährt werden, oder wett-
bewerbsbeschränkender Art, was der Einrichtung von Importzöllen, oder Sondersteuern
für Substitutionsgütern entspricht.56 Hier ist der Spielraum der EU jedoch insofern ein-
geschränkt, als dass sie selbst keine Steuerkompetenzen besitzt, also auch nicht die gan-
ze Palette industriepolitischer Maßnahmen ergreifen kann.57
3.1.2 Finanzielle MaßnahmenDie finanziellen Maßnahmen der EU gliedern sich im Groben in Finanzhilfen aus eige-
nen Mitteln und in die Durchführung der Beihilfenaufsicht über die Beihilfen der einzel-
nen Mitgliedsstaaten.
Die Finanzhilfen teilen sich auf in den Bereich der FuE und in die EU-Strukturfonds.
Die Mittel für den FuE-Bereich verteilen sich in der Regel auf mehrjährige Rahmenpro-
gramme. Das erste Rahmenprogramm gab es bereits von 1984, also schon vor dem
Maastrichter Vertrag. Sein Volumen belief sich noch auf 3,75 Mrd. Euro. Schon Eickhof
bemerkte, dass das Volumen des 4. Rahmenprogrammes (1994-1998) um das zehnfache
gestiegen war, nämlich auf mindestens 13,1 Mrd. Euro.58 Das aktuelle siebte Rahmen-
programm, das von 2007 bis 2013 gehen wird ist nicht nur das mit sieben Jahren längs-
te, sondern mit einem geplanten Volumen von 53,2 Mrd. Euro auch das mit Abstand teu-
erste, selbst wenn man die längere Laufzeit mit ein berechnet.59 Diese Programme sind
zur finanziellen Förderung von Forschungsprojekten gedacht, die von in der Theorie je-
dem vorgeschlagen und durchgeführt werden können. Also Unternehmen, Forschungs-
institute, Universitäten, aber auch Privatpersonen.60 Die EU übernimmt hier in der Regel
50% der entstehenden Kosten, sofern Partner aus mindestens zwei Mitgliedsstaaten be-
teiligt sind. Wichtig ist hier vor allem, ob die Grundlagenforschung, oder bereits die an-
gewandte Forschung, die wesentlich marktnäher ist gefördert wird. Norbert Eickhof be-
merkt beim 4. Rahmenprogramm bereits eine Verschiebung zur angewandten For-
schung, sowie eine Konzentration auf so genannte Schlüsselindustrien.61
Ebenfalls finanzielle Maßnahmen bilden die EU-Strukturfonds, die zwar in der Regel
56 Vgl. Eickhof S. 433.57 Vgl. Eickhof S. 437.58 Eickhof S. 434.59 Siehe Grafik im Anhang 2.60 Vgl. Kommission, Europäische Forschung in Aktion. Das siebte Rahmenprogramm, S. 6.61 Vgl. Eickhof S. 435.
10
für Kohäsionsmaßnahmen, also für regional-, sozial-, und agrarpolitische Zwecke einge-
richtet wurden, aber auch für industriepolitische eingesetzt werden können und wer-
den.62 Weitere finanzielle Maßnahmen stellen unter anderem direkte Subventionen zur
Bevorteilung heimischer Unternehmen dar oder aber Importzölle zur Benachteiligung
der ausländischen Unternehmen, wie zum Beispiel in der Textilindustrie.
Im Rahmen der Beihilfenaufsicht hat die Union doch noch die Möglichkeit zumindest
indirekt auch auf Steuervergünstigungen Einfluss zu nehmen. Einige Subventionen der
Mitgliedsstaaten sind nämlich unter bestimmten Voraussetzungen von der Kommission
zu genehmigen.63
3.1.2 Wettbewerbsbeschränkende MaßnahmenNorbert Eickhof unterscheidet zwei Arten wettbewerbsbeschränkender Maßnahmen.
Zum einen die Privaten, die es Unternehmen, aufgrund staatlicher Erlaubnis gestattet
von wettbewerbsbeschränkenden Vereinbarungen freigestellt zu werden. Dadurch kön-
nen Kooperationen z.B. im FuE Bereich, sowie auch Fusionen möglich gemacht wer-
den. Genannt werden hier u.a. die wettbewerbsrechtliche Sonderbehandlung der Auto-
mobilwirtschaft und die Fusionskontrolle.64
Die zweite Variante ist die staatliche Wettbewerbsbeschränkung. Gemeint sind hiermit
die Formen der staatlichen Regulierungen. Hier interessieren vor allem Markteintritts-,
Preis- und Mengenregulierungen. Da die beiden letztgenannten in der EU nur auf Basis
des Montanunion-Vertrages, also nur für Kohle und Stahl möglich sind und auch nur auf
Stahl angewendet werden,65 soll hier nur kurz der Punkt Markteintrittsregulierungen an-
gesprochen werden. Damit soll, wie der Name ja schon sagt, Unternehmen aus Drittlän-
dern der Eintritt in den Binnenmarkt erschwert werden. Dies geschieht mit Hilfe von
Importzöllen, oder auch mit freiwilligen Selbstbeschränkungsabkommen, wobei hier die
„Freiwilligkeit“ nicht ganz so wörtlich genommen werden sollte. Eine weitere Form den
Markteintritt zu behindern besteht durch Normen, Richtlinien und gewisse Standards
die innerhalb des Binnenmarktes festgelegt sind, und schon am Markt etablierte, einhei-
mische Unternehmen damit bevorzugen, da diese schon auf solche Richtlinien einge-
stellt sind.
3.2 Aktuelle IndustriepolitikDie Industriepolitik der europäischen Union basiert auch heute noch maßgeblich auf
62 Vgl. Eickhof S. 435.63 Vgl. Eickhof S. 436.64 Vgl. Eickhof S. 433-437.65 Vgl. Eickhof S. 438.
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dem in Maastricht geschlossenen Vertragswerk. Die Feststellung, dass die europäische
Industrie in den Hochtechnologie Branchen, die ein hohes Maß an Wissen voraussetzen,
im Vergleich zu den beiden anderen großen Blöcken (Japan und USA) wesentlich weni-
ger Anteile hatte und hat, führte zu der Ansicht, dass gerade diese Branchen gefördert
werden müssten. In diesem Rahmen ist auch das im März 2000 beim Gipfeltreffen in
Lissabon ausgegebene Ziel „die EU bis 2010 zum wettbewerbsfähigsten und dyna-
mischsten wissensbasierten Wirtschaftsraum der Welt zu machen“66 zu verstehen. Die
Indikatoren hierfür sollten z.B. das Pro-Kopf-BIP, die Arbeitsproduktivität, die Erwerbs-
tätigenquote und die FuE-Ausgaben sein. Es zeigte sich jedoch recht schnell, dass diese
Ziele nicht sehr erfolgreich verfolgt werden konnten. Daher wurde die Lissabon Strate-
gie im Oktober 2005 modifiziert und mit einem neuen Aktionsprogramm auf „Wachs-
tum und Beschäftigung“ konzentriert.67 In der Mitteilung der Kommission, vom
5.10.2005 wurden die Prioritäten auf drei Punkte gelegt. Darauf „Europa für Investoren
und Arbeitnehmer attraktiver [zu] machen“, „Wissen und Innovation in den Mittelpunkt
des Wachstums in Europa [zu] stellen“ und „Strategien [zu] erarbeiten, die den Unter-
nehmen die Schaffung von mehr und besseren Arbeitsplätzen ermöglichen“.68
Die Kommision betont ausdrücklich, dass sie sich verpflichtet hat, eine horizontale In-
dustriepolitik zu betreiben und „jede Rückkehr zu selektiven interventionistischen Poli-
tiken zu vermeiden.“69 Im selben Absatz wird jedoch gesagt, dass der Anwendungsbe-
reich der politischen Instrumente über rein horizontale Maßnahmen hinausgehen könne,
und dass in der Industriepolitik der spezifische Kontext der einzelnen Sektoren berück-
sichtigt werden müsse. Es geht der Kommission weiterhin darum Innovationen und den
Wandel in der Industrie voranzutreiben und zu erleichtern. Sie sieht das Eingreifen der
öffentlichen Hand nur bei Bedarf gerechtfertigt, konkret durch Marktversagen, aber
auch um den Strukturwandel voranzutreiben. Ob hier die Vorstellung zugrunde liegt,
dass der Strukturwandel irgendwann einmal aufhören würde, und somit kein Bedarf
mehr bestünde, wird allerdings nicht deutlich. Sodass anzunehmen ist, dass vermutlich
immer Bedarf besteht.
Große Herausforderungen sieht die Kommission durch die Globalisierung, und den zu-
nehmenden Wettbewerbsdruck aus aufstrebenden Ländern wie China und Indien. Um
hier wettbewerbsfähig zu bleiben wird eine erhöhte Anpassungsfähigkeit für notwendig
gehalten, für die die Politik die Rahmenbedingungen stellen solle. Um den Einfluss in-
dustriepolitischer Instrumente auf die einzelnen Sektoren zu überprüfen wurden 27 Ein-
66 Busch S. 19.67 KOM(2005) 474 endgültig.68 Alle drei Zitate aus KOM(2005) 474 endgültig.69 KOM(2005) endgültig.
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zelsektoren analysiert. So sollten die jeweils notwendigsten und erfolgversprechendsten
Maßnahmen herausgefunden werden. Es wurden sieben sektorübergreifende Maßnah-
men angekündigt, die von einer Initiative für Rechte an geistigem Eigentum, über die
Öffnung der internationalen Märkte, bis hin zum Management des Strukturwandels rei-
chen. Dazu wurde eine Vielzahl sektorspezifischer Maßnahmen und Initiativen in An-
griff genommen.70
Die diesjährige Halbzeitbewertung dieser Strategie durch die Kommission kommt gene-
rell zu einem positiven Ergebnis. So sei „Das makroökonomische Klima für die Indus-
trie ... gegenwärtig vergleichsweise günstig, dies ist allerdings kein Grund, in Selbstzu-
friedenheit zu verharren.“71 Im Klartext bedeutet dies, dass die 2005 begonnene Strate-
gie für Wachstum und Beschäftigung und die darin enthaltenen Initiativen fortgesetzt
werden, teilweise auf neue Bedingungen angepasst und durch neue Initiativen ergänzt.
Die Initiative Strukturwandel soll z.B. den vom Wandel betroffenen Akteuren bessere
Informationen verschaffen, über die Umstrukturierung, die Folgen und mögliche Maß-
nahmen die zu ergreifen sind. Die Priorität liegt nun darauf die politischen Rahmenbe-
dingungen zu schaffen, dass die Industrie so gut wie möglich auf die Globalisierung und
den Klimawandel reagieren kann. Hier ist vor allem das Ziel der EU bis 2020 die Ener-
gieeffizienz um 20% zu steigern als große Herausforderung zu sehen.
Bemängelt wird eine nach wie vor schwache Verbindung und Koordination der Maß-
nahmen der EU und denen der Mitgliedsstaaten, sodass eine stärkere Interaktion gefor-
dert wird.
4. Diskussion und Bewertung der EU-Industriepolitik unter Berücksichtigung der Aussagen Hayeks
„Hauptaufgabe der Industriepolitik auf EU-Ebene ist es, proaktiv für die richtigen Rahmenbedingungen für Unternehmensentwicklung und Innovati-on zu sorgen, damit die EU für Investitionen der Industrie und die Schaffung von Arbeitsplätzen attraktiv wird, wobei zu berücksichtigen ist, dass die meisten Unternehmen kleine und mittlere Unternehmen (KMU) sind.“
Dies schreibt die EU Kommission in ihrer Mitteilung „Halbzeitbewertung der Industrie-
politik“ (KOM(2007) 374) vom 4. Juli 2007. Anhand solcher Aussagen lässt sich leicht
verstehen, wieso Starbatty der Meinung ist, dass in der Diskussion um die Industriepoli-
tik Nebelkerzen geworfen würden.72 Es stellt sich die Frage, ob man denn bei der Schaf-
fung von Rahmenbedingungen überhaupt von Industriepolitik sprechen kann. Werden
nicht eher Rahmenbedingungen geschaffen, damit sich dann, innerhalb dieses Rahmens,
70 Vgl. Übersicht siehe Anhang 371 KOM(2007) 374.72 Vgl. Starbatty S. 1.
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etwas frei entwickeln kann? Was bedeutet das Wort proaktiv? Eine Recherche zu dem
Wort brachte kein schlüssiges Ergebnis. Vermutlich ist der Grund für die Verwendung
dieses Wortes, das Wort aktiv zu „verschönern“, denn ein aktives Eingreifen der Politik
in den Markt wird von Ökonomen in der Regel als schlecht und falsch betrachtet. Durch
die Vorsilbe „pro“ könnte man aber zum Beispiel den Eindruck gewinnen, dass zwar ak-
tiv Eingegriffen wird, aber dass auf einer anderen Ebene irgendetwas anderes, positiv
anmutendes geschieht.73
Solche interpretationsfähigen Aussagen sind, wie immer bei politischen Entscheidun-
gen, die Folge der unterschiedlichen Parteien die an der Formulierung mitwirken. Dies
wurde ja bereits im beschriebenen Artikel 157 EGV, der das Ergebnis der unterschiedli-
chen Einstellungen der deutschen und französischen Regierungen zu einer aktiven In-
dustriepolitik war, mit der Unterscheidung von „Erleichterung“ und „Beschleunigung“
deutlich. Somit war der Maastrichter Vertrag „ein typisches Produkt eines EG-Kompro-
misses“74. Hier wird also schon das große Problem der EU deutlich. Sie ist kein Staat.
„It cannot be conceived as an actor with a single objective function.“75 Die verschiede-
nen Mitgliedsstaaten machen ihre eigene Industriepolitik und haben teilweise sehr un-
terschiedliche Einstellungen dazu. Dies betont ja auch die Kommission in der oben vor-
gestellten Halbzeitbewertung. Dieses erst einmal nur administratorische Problem führt
aber dazu, dass in der EU häufig nach Regionen gefördert wird. Die Kohäsionspolitik
der EU gerät zunehmend in Konflikt mit dem Bestreben in den Hochtechnologie Bran-
chen zu den USA und Japan aufzuschließen.
Das eigentliche Problem, das Ökonomen in der Industriepolitik der EU sehen liegt aber
darin, dass so genannte Schlüsselindustrien oder zukunftsträchtige Branchen gefördert
werden sollen. Hier herrscht das von Hayek genannte Informationsproblem. Denn es
muss bekannt sein, welche Märkte sich in Zukunft gut entwickeln, damit man die Unter-
nehmen der jeweiligen Branche unterstützen kann. Eine solche Prognose wäre aber
höchst komplex. Strukturwandlungen müssten vorausgesagt werden. Bei diesen handelt
es sich aber um einmalige historische Phänomene mit unzähligen, ebenfalls sehr kom-
plexen Variablen. Die Prognose von zukunftsträchtigen Branchen ist also durchaus nach
Hayek als „Anmaßung von Wissen“ zu bezeichnen.76 Gleiches gilt selbstverständlich
auch für Informationen von EU-Initiativen wie der Initiative Strukturwandel, die Unter-
nehmen auf den Strukturwandel vorbereiten sollen. Für Hayek ist, wie oben bereits an-
geführt wurde, der Markt das beste Kommunikationsmittel. Da nur durch ihn ein gewis-
73 Zu den Verwendungsmöglichkeiten von „proaktiv“ sehr empfehlenswert: http://www.spiegel.de/kultur/zwiebelfisch/0,1518,307486,00.html
74 Hellmann, S. 1207.75 Holmes/Seabright S. 40.76 Vgl. Starbatty S. 3-4.
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ses Optimum erreicht werden könne. Jedes zumindest längere Eingreifen in den Markt-
prozess aber würde negative Folgen haben. Weil aber „Industriepolitik begriffsnotwen-
dig ein interventionistisches Eingreifen in die freien Märkte bedeutet“77, ist, wenn man
Hayek strikt folgt, Industriepolitik generell abzulehnen.
Ganz so weit gehen viele Ordoliberale Ökonomen nicht. Oftmals wird Industriepolitik
als zumindest unbedenklich erachtet, so lange ein horizontaler Ansatz beibehalten wird78
und sich ein Staat auf die Schaffung von Rahmenbedingungen beschränkt. Sektorspezi-
fische Maßnahmen werden dagegen höchst kritisch betrachtet, ebenso wie die Schaf-
fung von „national Champions“ oder die Förderung der bereits erwähnten zukunfts-
trächtigen Branchen. Auch die Forschungsförderung in den Rahmenprogrammen wird
teilweise kritisch gesehen. Grundlagenforschung, in der präkompetetiven Phase wird als
durchaus förderwürdig angesehen, da es sich hier teilweise tatsächlich um öffentliche
Güter handele. Dass die EU, aber auch in der kompetitiven Phase, also marktnah fördere
wird in der Regel abgelehnt.79 Die EU beruft sich zwar immer wieder auf gerade diese
Grundsätze, der horizontalen Industriepolitik, ergreift aber gleichzeitig immer mehr sek-
torspezifische Maßnahmen. Die Übersicht im Anhang zeigt deutlich die große Zahl sol-
cher Programme. So verwundert es nicht, dass Berg/Schmidt zu dem konstatieren:
„Ökonomen neigen folglich zu der Auffassung, staatliches Handeln sei prinzipiell un-
geeignet, um Koordinationsmängel des Marktes zu heilen.“80
Eine besondere Herausforderung stellen sicherlich die boomenden Schwellenländer wie
China dar. Die Gefahr auf die staatliche Industriepolitik z.B. Chinas mit eigener Indus-
triepolitik zu reagieren ist groß. Jedoch wäre das sowohl nach Hayek, als auch nach der
neuesten ökonomischen Theorie von Daron Acemoglu fatal. Diese besagt nämlich, dass
es sich zwar für aufholende Länder lohne, da diese noch keine eigenen Innovationen
produzieren müssten, aber in hoch entwickelten Ländern würde ein staatliches Eingrei-
fen die Produktion der Innovationen durch das Entdeckungsverfahren des Marktes hem-
men.81 Dies steht der Aussage Hayeks gegenüber, dass gerade wenig entwickelte Länder
unbedingt auf Industriepolitik verzichten müssten.82
Abschließend bleibt zu sagen, dass eine horizontale Industriepolitik nicht abzulehnen ,
ja sogar zu unterstützen ist. Wenngleich hier der Begriff der Industriepolitik nicht mehr
angebracht erscheint, da eine solche Politik nicht mehr das zentrale Merkmal der Selek-
tivität hätte und problemlos durch andere Politikfelder abgedeckt werden könnte.
77 Künzle S. 24.78 Vgl. Busch S. 47.79 Vgl. Starbatty S. 3, Eickhof S. 442/443.80 Berg/Schmidt S. 859.81 Vgl. FAZ, 5.11.2006, Nr. 44, S. 36.82 Vgl. Hayek, Wettbewerb, S. 14 f.
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Anhang
Anhang1: Vorschriften im EG-Vertrag und im Verfassungsvertrag. Quelle: Busch S.26/27.
16
Anhang 2: Quelle: http://ec.europa.eu/research/leaflets/fp7/page_01_de.html Stand 25.11.2007
17
Anhang 3:Bestehende und geplante Initiativen der EU. Quelle: KOM(2007) 374
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