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Zum ewigen Frieden - Persönliche...

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20.622 Kant-W Bd. 11, 195 Kant: Zum ewigen Frieden. Ein philosophischer Immanuel Kant Zum ewigen Frieden Ein philosophischer Entwurf DB Sonderband: 100 Werke der Philosophie
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20.622 Kant-W Bd. 11, 195Kant: Zum ewigen Frieden. Ein philosophischer

Immanuel Kant

Zum ewigen Frieden

Ein philosophischer Entwurf

DB Sonderband: 100 Werke der Philosophie

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20.623 Kant-W Bd. 11, 195Kant: Zum ewigen Frieden. Ein philosophischer

Ob diese satirische Überschrift auf dem Schildejenes holländischen Gastwirts, worauf ein Kirchhofgemalt war, die Menschen überhaupt, oder besondersdie Staatsoberhäupter, die des Krieges nie satt werdenkönnen, oder wohl gar nur die Philosophen gelte, diejenen süßen Traum träumen, mag dahin gestellt sein.Das bedingt sich aber der Verfasser des Gegenwärti-gen aus, daß, da der praktische Politiker mit demtheoretischen auf dem Fuß steht, mit großer Selbstge-fälligkeit auf ihn als einen Schulweisen herabzusehen,der dem Staat, welcher von Erfahrungsgrundsätzenausgehen müsse, mit seinen sachleeren Ideen keineGefahr bringe, und den man immer seine eilf Kegelauf einmal werfen lassen kann, ohne, daß sich derweltkundige Staatsmann daran kehren darf, dieserauch, im Fall eines Streits mit jenem sofern konse-quent verfahren müsse, hinter seinen auf gut Glückgewagten, und öffentlich geäußerten Meinungen nichtGefahr für den Staat zu wittern; – durch welche clau-sula salvatoria der Verfasser dieses sich dann hiemitin der besten Form wider alle bösliche Auslegungausdrücklich verwahrt wissen will.

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20.624 Kant-W Bd. 11, 196Kant: Zum ewigen Frieden. Ein philosophischer

Erster Abschnitt, welcher diePräliminarartikel zum ewigen Frieden

unter Staaten enthält

1. »Es soll kein Friedensschluß für einen solchengelten, der mit dem geheimen Vorbehalt desStoffs zu einem künftigen Kriege gemacht wor-den.«

Denn alsdenn wäre er ja ein bloßer Waffenstill-stand, Aufschub der Feindseligkeiten, nicht Friede,der das Ende aller Hostilitäten bedeutet, und dem dasBeiwort ewig anzuhängen ein schon verdächtigerPleonasm ist. Die vorhandene, obgleich jetzt viel-leicht den Paziszierenden selbst noch nicht bekannte,Ursachen zum künftigen Kriege sind durch den Frie-densschluß insgesamt vernichtet, sie mögen auch ausarchivarischen Dokumenten mit noch so scharfsichti-ger Ausspähungsgeschicklichkeit ausgeklaubt sein. –Der Vorbehalt (reservatio mentalis) alter allererstkünftig auszudenkender Prätensionen, deren kein Teilfür jetzt Erwähnung tun mag, weil beide zu sehr er-schöpft sind, den Krieg fortzusetzen, bei dem bösenWillen, die erste günstige Gelegenheit zu diesemZweck zu benutzen, gehört zur Jesuitenkasuistik, undist unter der Würde der Regenten, so wie die Willfäh-

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rigkeit zu dergleichen Deduktionen unter der Würdeeines Ministers desselben, wenn man die Sache, wiesie an sich selbst ist, beurteilt. –

Wenn aber, nach aufgeklärten Begriffen der Staats-klugheit, in beständiger Vergrößerung der Macht,durch welche Mittel es auch sei, die wahre Ehre desStaats gesetzt wird, so fällt freilich jenes Urteil alsschulmäßig und pedantisch in die Augen.

2. »Es soll kein für sich bestehender Staat (kleinoder groß, das gilt hier gleichviel) von einem an-dern Staate durch Erbung, Tausch, Kauf oderSchenkung erworben werden können.«

Ein Staat ist nämlich nicht (wie etwa der Boden,auf dem er seinen Sitz hat) eine Habe (patrimonium).Er ist eine Gesellschaft von Menschen, über die nie-mand anders, als er selbst, zu gebieten und zu dispo-nieren hat. Ihn aber, der selbst als Stamm seine eigeneWurzel hatte, als Pfropfreis einem andern Staate ein-zuverleiben, heißt seine Existenz, als einer morali-schen Person, aufheben, und aus der letzteren eineSache machen, und widerspricht also der Idee des ur-sprünglichen Vertrags, ohne die sich kein Recht überein Volk denken läßt.1 In welche Gefahr das Vorur-teil dieser Erwerbungsart Europa, denn die andernWeltteile haben nie davon gewußt, in unsern bis auf

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die neuesten Zeiten gebracht habe, daß sich nämlichauch Staaten einander heuraten könnten, ist jeder-mann bekannt, teils als eine neue Art von Industrie,sich auch ohne Aufwand von Kräften durch Familien-bündnisse übermächtig zu machen, teils auch auf sol-che Art den Länderbesitz zu erweitern. – Auch dieVerdingung der Truppen eines Staats an einen andern,gegen einen nicht gemeinschaftlichen Feind, ist dahinzu zählen; denn die Untertanen werden dabei als nachBelieben zu handhabende Sachen gebraucht und ver-braucht.

3. »Stehende Heere (miles perpetuus) sollen mitder Zeit ganz aufhören.«

Denn sie bedrohen andere Staaten unaufhörlich mitKrieg, durch die Bereitschaft, immer dazu gerüstet zuerscheinen; reizen diese an, sich einander in Mengeder Gerüsteten, die keine Grenzen kennt, zu übertref-fen, und, indem durch die darauf verwandten Kostender Friede endlich noch drückender wird als ein kur-zer Krieg, so sind sie selbst Ursache von Angriffskrie-gen, um diese Last loszuwerden; wozu kommt, daßzum Töten, oder getötet zu werden in Sold genommenzu sein einen Gebrauch von Menschen als bloßen Ma-schinen und Werkzeugen in der Hand eines andern(des Staats) zu enthalten scheint, der sich nicht wohl

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mit dem Rechte der Menschheit in unserer eigenenPerson vereinigen läßt. Ganz anders ist es mit derfreiwilligen periodisch vorgenommenen Übung derStaatsbürger in Waffen bewandt, sich und ihr Vater-land dadurch gegen Angriffe von außen zu sichern. –Mit der Anhäufung eines Schatzes würde es eben sogehen, daß er, von andern Staaten als Bedrohung mitKrieg angesehen, zu zuvorkommenden Angriffen nö-tigte (weil unter den drei Mächten, der Heeresmacht,der Bundesmacht und der Geldmacht, die letzterewohl das zuverlässigste Kriegswerkzeug sein dürfte;wenn nicht die Schwierigkeit, die Größe desselben zuerforschen, dem entgegenstände).

4. »Es sollen keine Staatsschulden in Beziehungauf äußere Staatshändel gemacht werden.«

Zum Behuf der Landesökonomie (der Wegebesse-rung, neuer Ansiedelungen, Anschaffung der Magazi-ne für besorgliche Mißwachsjahre u.s.w.) außerhalboder innerhalb dem Staate Hülfe zu suchen, ist dieseHülfsquelle unverdächtig. Aber, als entgegenwirkendeMaschine der Mächte gegen einander, ist ein Kredit-system ins Unabsehliche anwachsender und dochimmer für die gegenwärtige Forderung (weil sie dochnicht von allen Gläubigern auf einmal geschehenwird) gesicherter Schulden – die sinnreiche Erfindung

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eines handeltreibenden Volks in diesem Jahrhundert –eine gefährliche Geldmacht, nämlich ein Schatz zumKriegführen, der die Schätze aller andern Staaten zu-sammengenommen übertrifft, und nur durch den ein-mal bevorstehenden Ausfall der Taxen (der doch auchdurch die Belebung des Verkehrs, vermittelst derRückwirkung auf Industrie und Erwerb, noch langehingehalten wird) erschöpft werden kann. DieseLeichtigkeit Krieg zu führen, mit der Neigung derMachthabenden dazu, welche der menschlichen Natureingeartet zu sein scheint, verbunden, ist also ein gro-ßes Hindernis des ewigen Friedens, welches zu ver-bieten um desto mehr ein Präliminarartikel desselbensein müßte, weil der endlich doch unvermeidlicheStaatsbankerott manche andere Staaten unverschuldetin den Schaden mit verwickeln muß, welches eine öf-fentliche Läsion der letzteren sein würde. Mithin sindwenigstens andere Staaten berechtigt, sich gegeneinen solchen und dessen Anmaßungen zu verbünden.

5. »Kein Staat soll sich in die Verfassung und Re-gierung eines andern Staats gewalttätig einmi-schen.«

Denn was kann ihn dazu berechtigen? Etwa dasSkandal, was er den Untertanen eines andern Staatsgibt? Es kann dieser vielmehr, durch das Beispiel der

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großen Übel, die sich ein Volk durch seine Gesetzlo-sigkeit zugezogen hat, zur Warnung dienen; und über-haupt ist das böse Beispiel, was eine freie Person derandern gibt, (als scandalum acceptum) keine Läsionderselben. – Dahin würde zwar nicht zu ziehen sein,wenn ein Staat sich durch innere Veruneinigung inzwei Teile spaltete, deren jeder für sich einen beson-dern Staat vorstellt, der auf das Ganze Anspruchmacht; wo einem derselben Beistand zu leisten einemäußern Staat nicht für Einmischung in die Verfassungdes andern (denn es ist alsdann Anarchie) angerechnetwerden könnte. So lange aber dieser innere Streitnoch nicht entschieden ist, würde diese Einmischungäußerer Mächte Verletzung der Rechte eines nur mitseiner innern Krankheit ringenden, von keinem andernabhängigen Volks, selbst also ein gegebenes Skandalsein, und die Autonomie aller Staaten unsicher ma-chen.

6. »Es soll sich kein Staat im Kriege mit einem an-dern solche Feindseligkeiten erlauben, welchedas wechselseitige Zutrauen im künftigen Frie-den unmöglich machen müssen: als da sind, An-stellung der Meuchelmörder (percussores), Gift-mischer (venefici), Brechung der Kapitulation,Anstiftung des Verrats (perduellio) in dem be-kriegten Staat etc.«

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Das sind ehrlose Stratagemen. Denn irgend einVertrauen auf die Denkungsart des Feindes muß mit-ten im Kriege noch übrig bleiben, weil sonst auchkein Friede abgeschlossen werden könnte, und dieFeindseligkeit in einen Ausrottungskrieg (bellum in-ternecinum) ausschlagen würde; da der Krieg dochnur das traurige Notmittel im Naturzustande ist (wokein Gerichtshof vorhanden ist, der rechtskräftig ur-teilen könnte), durch Gewalt sein Recht zu behaupten;wo keiner von beiden Teilen für einen ungerechtenFeind erklärt werden kann (weil das schon einenRichterausspruch voraussetzt), sondern der Ausschlagdesselben (gleich als vor einem so genannten Gottes-gerichte) entscheidet, auf wessen Seite das Recht ist;zwischen Staaten aber sich kein Bestrafungskrieg(bellum punitivum) denken läßt (weil zwischen ihnenkein Verhältnis eines Obern zu einem Untergebenenstatt findet). – Woraus denn folgt: daß ein Ausrot-tungskrieg, wo die Vertilgung beide Teile zugleich,und mit dieser auch alles Rechts treffen kann, denewigen Frieden nur auf dem großen Kirchhofe derMenschengattung statt finden lassen würde. Ein sol-cher Krieg also, mithin auch der Gebrauch der Mittel,die dahin führen, muß schlechterdings unerlaubtsein. – Daß aber die genannte Mittel unvermeidlichdahin führen, erhellt daraus: daß jene höllische Kün-

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ste, da sie an sich selbst niederträchtig sind, wenn siein Gebrauch gekommen, sich nicht lange innerhalbder Grenze des Krieges halten, wie etwa der Gebrauchder Spione (uti exploratoribus), wo nur die Ehrlosig-keit anderer (die nun einmal nicht ausgerottet werdenkann) benutzt wird, sondern auch in den Friedenszu-stand übergehen, und so die Absicht desselben gänz-lich vernichten würden.

* * *

Obgleich die angeführte Gesetze objektiv, d.i. inder Intention der Machthabenden, lauter Verbotge-setze (leges prohibitivae) sind, so sind doch einigederselben von der strengen, ohne Unterschied derUmstände geltenden Art (leges strictae), die so fortauf Abschaffung dringen (wie Nr. 1, 5, 6), andereaber (wie Nr. 2, 3, 4); die zwar nicht als Ausnahmenvon der Rechtsregel, aber doch in Rücksicht auf dieAusübung derselben, durch die Umstände, subjektivfür die Befugnis erweiternd, (leges latae), und Erlaub-nisse enthalten, die Vollführung aufzuschieben, ohnedoch den Zweck aus den Augen zu verlieren, der die-sen Aufschub, z.B. der Wiedererstattung der gewis-sen Staaten, nach Nr. 2, entzogenen Freiheit, nicht aufdem Nimmertag (wie August zu versprechen pflegte,ad calendas graecas) auszusetzen, mithin die Nichter-

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stattung, sondern nur, damit sie nicht übereilt und soder Absicht selbst zuwider geschehe, die Verzögerungerlaubt. Denn das Verbot betrifft hier nur die Erwer-bungsart, die fernerhin nicht gelten soll, aber nichtden Besitzstand, der, ob er zwar nicht den erforderli-chen Rechtstitel hat, doch zu seiner Zeit (der putati-ven Erwerbung), nach der damaligen öffentlichenMeinung, von allen Staaten für rechtmäßig gehaltenwurde.2

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Zweiter Abschnitt, welcher dieDefinitivartikel zum ewigen Frieden unter

Staaten enthält

Der Friedenszustand unter Menschen, die nebeneinander leben, ist kein Naturstand (status naturalis),der vielmehr ein Zustand des Krieges ist, d.i. wenngleich nicht immer ein Ausbruch der Feindseligkeiten,doch immerwährende Bedrohung mit denselben. Ermuß also gestiftet werden; denn die Unterlassung derletzteren ist noch nicht Sicherheit dafür, und, ohnedaß sie einem Nachbar von dem andern geleistet wird(welches aber nur in einem gesetzlichen Zustande ge-schehen kann), kann jener diesen, welchen er dazuaufgefordert hat, als einen Feind behandeln.3

Erster Definitivartikel zum ewigen Frieden

Die bürgerliche Verfassung in jedem Staate soll re-publikanisch sein.

Die erstlich nach Prinzipien der Freiheit der Glie-der einer Gesellschaft (als Menschen); zweitens nachGrundsätzen der Abhängigkeit aller von einer einzi-gen gemeinsamen Gesetzgebung (als Untertanen); und

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drittens, die nach dem Gesetz der Gleichheit dersel-ben (als Staatsbürger) gestiftete Verfassung – dieeinzige, welche aus der Idee des ursprünglichen Ver-trags hervorgeht, auf der alle rechtliche Gesetzgebungeines Volks gegründet sein muß – ist die republikani-sche.4 Diese ist also, was das Recht betrifft, an sichselbst diejenige, welche allen Arten der bürgerlichenKonstitution ursprünglich zum Grunde liegt; und nunist nur die Frage: ob sie auch die einzige ist, die zumewigen Frieden hinführen kann?

Nun hat aber die republikanische Verfassung,außer der Lauterkeit ihres Ursprungs, aus dem reinenQuell des Rechtsbegriffs entsprungen zu sein, nochdie Aussicht in die gewünschte Folge, nämlich denewigen Frieden; wovon der Grund dieser ist. – Wenn(wie es in dieser Verfassung nicht anders sein kann)die Beistimmung der Staatsbürger dazu erfordertwird, um zu beschließen, »ob Krieg sein solle, odernicht«, so ist nichts natürlicher, als daß, da sie alleDrangsale des Krieges über sich selbst beschließenmüßten (als da sind: selbst zu fechten; die Kosten desKrieges aus ihrer eigenen Habe herzugeben; die Ver-wüstung, die er hinter sich läßt, kümmerlich zu ver-bessern; zum Übermaße des Übels endlich noch eine,den Frieden selbst verbitternde, nie (wegen naherimmer neuer Kriege) zu tilgende Schuldenlast selbstzu übernehmen), sie sich sehr bedenken werden, ein

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so schlimmes Spiel anzufangen: Da hingegen in einerVerfassung, wo der Untertan nicht Staatsbürger, diealso nicht republikanisch ist, es die unbedenklichsteSache von der Welt ist, weil das Oberhaupt nichtStaatsgenosse, sondern Staatseigentümer ist, an sei-nen Tafeln, Jagden, Lustschlössern, Hoffesten u. d.gl. durch den Krieg nicht das mindeste einbüßt, die-sen also wie eine Art von Lustpartie aus unbedeuten-den Ursachen beschließen, und der Anständigkeitwegen dem dazu allezeit fertigen diplomatischenKorps die Rechtfertigung desselben gleichgültig über-lassen kann.

* * *

Damit man die republikanische Verfassung nicht(wie gemeiniglich geschieht) mit der demokratischenverwechsele, muß folgendes bemerkt werden. DieFormen eines Staats (civitas) können entweder nachdem Unterschiede der Personen, welche die obersteStaatsgewalt inne haben, oder nach der Regierungsartdes Volks durch sein Oberhaupt, er mag sein welcherer wolle, eingeteilt werden, die erste heißt eigentlichdie Form der Beherrschung (forma imperii), und essind nur drei derselben möglich, wo nämlich entwedernur einer, oder einige unter sich verbunden, oder allezusammen, welche die bürgerliche Gesellschaft aus-

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machen, die Herrschergewalt besitzen (Autokratie,Aristokratie und Demokratie, Fürstengewalt, Adels-gewalt und Volksgewalt). Die zweite ist die Form derRegierung (forma regiminis), und betrifft die auf dieKonstitution (den Akt des allgemeinen Willens, wo-durch die Menge ein Volk wird) gegründete Art, wieder Staat von seiner Machtvollkommenheit Gebrauchmacht: und ist in dieser Beziehung entweder republi-kanisch oder despotisch. Der Republikanism ist dasStaatsprinzip der Absonderung der ausführenden Ge-walt (der Regierung) von der gesetzgebenden; derDespotism ist das der eigenmächtigen Vollziehungdes Staats von Gesetzen, die er selbst gegeben hat,mithin der öffentliche Wille, sofern er von dem Re-genten als sein Privatwille gehandhabt wird. – Unterden drei Staatsformen ist die der Demokratie, im ei-gentlichen Verstande des Worts, notwendig ein Des-potism, weil sie eine exekutive Gewalt gründet, daalle über und allenfalls auch wider Einen (der alsonicht mit einstimmt), mithin alle, die doch nicht allesind, beschließen; welches ein Widerspruch des allge-meinen Willens mit sich selbst und mit der Freiheitist.

Alle Regierungsform nämlich, die nicht repräsen-tativ ist, ist eigentlich eine Unform, weil der Gesetz-geber in einer und derselben Person zugleich Voll-strecker seines Willens (so wenig, wie das Allgemei-

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ne des Obersatzes in einem Vernunftschlusse zugleichdie Subsumtion des Besondern unter jenem im Unter-satze) sein kann, und, wenn gleich die zwei andernStaatsverfassungen so fern immer fehlerhaft sind, daßsie einer solcher Regierungsart Raum geben, so ist esbei ihnen doch wenigstens möglich, daß sie eine demGeiste eines repräsentativen Systems gemäße Regie-rungsart annähmen, wie etwa Friedrich II. wenigstenssagte: er sei bloß der oberste Diener des Staats,5 dahingegen die demokratische es unmöglich macht, weilalles da Herr sein will. – Man kann daher sagen: jekleiner das Personale der Staatsgewalt (die Zahl derHerrscher), je größer dagegen die Repräsentationderselben, desto mehr stimmt die Staatsverfassung zurMöglichkeit des Republikanism, und sie kann hoffen,durch allmähliche Reformen sich dazu endlich zu er-heben. Aus diesem Grunde ist es in der Aristokratieschon schwerer, als in der Monarchie, in der Demo-kratie aber unmöglich, anders, als durch gewaltsameRevolution zu dieser einzigen vollkommen rechtli-chen Verfassung zu gelangen. Es ist aber an der Re-gierungsart6 dem Volk ohne alle Vergleichung mehrgelegen, als an der Staatsform (wiewohl auch auf die-ser ihre mehrere oder mindere Angemessenheit zujenem Zwecke sehr viel ankommt). Zu jener aber,wenn sie dem Rechtsbegriffe gemäß sein soll, gehörtdas repräsentative System, in welchem allein eine re-

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publikanische Regierungsart möglich, ohne welchessie (die Verfassung mag sein welche sie wolle) despo-tisch und gewalttätig ist. – Keine der alten sogenann-ten Republiken hat dieses gekannt, und sie mußtensich darüber auch schlechterdings in dem Despotismauflösen, der unter der Obergewalt eines Einzigennoch der erträglichste unter allen ist.

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Zweiter Definitivartikel zum ewigen Frieden

Das Völkerrecht soll auf einen Föderalism freierStaaten gegründet sein.

Völker, als Staaten, können wie einzelne Menschenbeurteilt werden, die sich in ihrem Naturzustande (d.i.in der Unabhängigkeit von äußern Gesetzen) schondurch ihr Nebeneinandersein lädieren, und derenjeder, um seiner Sicherheit willen, von dem andernfordern kann und soll, mit ihm in eine, der bürgerli-chen ähnliche, Verfassung zu treten, wo jedem seinRecht gesichert werden kann. Dies wäre ein Völker-bund, der aber gleichwohl kein Völkerstaat seinmüßte. Darin aber wäre ein Widerspruch; weil einjeder Staat das Verhältnis eines Oberen (Gesetzge-benden) zu einem Unteren (Gehorchenden, nämlichdem Volk) enthält, viele Völker aber in einem Staatenur ein Volk ausmachen würden, welches (da wir hierdas Recht der Völker gegen einander zu erwägenhaben, so fern sie so viel verschiedene Staaten ausma-chen, und nicht in einem Staat zusammenschmelzensollen) der Voraussetzung widerspricht.

Gleichwie wir nun die Anhänglichkeit der Wildenan ihre gesetzlose Freiheit, sich lieber unaufhörlich zubalgen, als sich einem gesetzlichen, von ihnen selbst

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zu konstituierenden, Zwange zu unterwerfen, mithindie tolle Freiheit der vernünftigen vorzuziehen, mittiefer Verachtung ansehen, und als Rohigkeit, Unge-schliffenheit und viehische Abwürdigung der Mensch-heit betrachten, so, sollte man denken, müßten gesit-tete Völker (jedes für sich zu einem Staat vereinigt)eilen, aus einem so verworfenen Zustande je eherdesto lieber herauszukommen: Statt dessen aber setztvielmehr jeder Staat seine Majestät (denn Volksmaje-stät ist ein ungereimter Ausdruck) gerade darin, garkeinem äußeren gesetzlichen Zwange unterworfen zusein, und der Glanz seines Oberhaupts besteht darin,daß ihm, ohne daß er sich eben selbst in Gefahr set-zen darf, viele Tausende zu Gebot stehen, sich füreine Sache, die sie nichts angeht, aufopfern zu las-sen,7 und der Unterschied der europäischen Wildenvon den amerikanischen besteht hauptsächlich darin,daß, da manche Stämme der letzteren von ihren Fein-den gänzlich sind gegessen worden, die ersteren ihreÜberwundene besser zu benutzen wissen, als sie zuverspeisen, und lieber die Zahl ihrer Untertanen, mit-hin auch die Menge der Werkzeuge zu noch ausge-breitetem Kriegen durch sie zu vermehren wissen.

Bei der Bösartigkeit der menschlichen Natur, diesich im freien Verhältnis der Völker unverhohlen blik-ken läßt (indessen daß sie im bürgerlich-gesetzlichenZustande durch den Zwang der Regierung sich sehr

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verschleiert), ist es doch zu verwundern, daß dasWort Recht aus der Kriegspolitik noch nicht als pe-dantisch ganz hat verwiesen werden können, und sichnoch kein Staat erkühnet hat, sich für die letztereMeinung öffentlich zu erklären; denn noch werdenHugo Grotius, Pufendorf, Vattel u.a.m. (lauter leidi-ge Tröster), obgleich ihr Kodex, philosophisch oderdiplomatisch abgefaßt, nicht die mindeste gesetzlicheKraft hat, oder auch nur haben kann (weil Staaten alssolche nicht unter einem gemeinschaftlichen äußerenZwange stehen), immer treuherzig zur Rechtfertigungeines Kriegsangriffs angeführt, ohne daß es ein Bei-spiel gibt, daß jemals ein Staat durch mit Zeugnissenso wichtiger Männer bewaffnete Argumente wäre be-wegen worden, von seinem Vorhaben abzustehen. –Diese Huldigung, die jeder Staat dem Rechtsbegriffe(wenigstens den Worten nach) leistet, beweist doch,daß eine noch größere, ob zwar zur Zeit schlum-mernde, moralische Anlage im Menschen anzutreffensei, über das böse Prinzip in ihm (was er nicht ab-leugnen kann) doch einmal Meister zu werden, unddies auch von andern zu hoffen; denn sonst würde dasWort Recht den Staaten, die sich einander befehdenwollen, nie in den Mund kommen, es sei denn, bloßum seinen Spott damit zu treiben, wie jener gallischeFürst es erklärte; »Es ist der Vorzug, den die Naturdem Stärkern über den Schwächern gegeben hat, daß

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dieser ihm gehorchen soll«.Da die Art, wie Staaten ihr Recht verfolgen, nie,

wie bei einem äußern Gerichtshofe, der Prozeß, son-dern nur der Krieg sein kann, durch diesen aber undseinen günstigen Ausschlag, den Sieg, das Rechtnicht entschieden wird, und durch den Friedensver-trag zwar wohl dem diesmaligen Kriege, aber nichtdem Kriegszustande (immer zu einem neuen Vorwandzu finden) ein Ende gemacht wird (den man auchnicht geradezu für ungerecht erklären kann, weil indiesem Zustande jeder in seiner eigenen Sache Richterist), gleichwohl aber von Staaten, nach dem Völker-recht, nicht eben das gelten kann, was von Menschenim gesetzlosen Zustande nach dem Naturrecht gilt,»aus diesem Zustande herausgehen zu sollen« (weilsie, als Staaten, innerlich schon eine rechtliche Ver-fassung haben, und also dem Zwange anderer, sienach ihren Rechtsbegriffen unter eine erweiterte ge-setzliche Verfassung zu bringen, entwachsen sind),indessen daß doch die Vernunft, vom Throne derhöchsten moralisch gesetzgebenden Gewalt herab,den Krieg als Rechtsgang schlechterdings verdammt,den Friedenszustand dagegen zur unmittelbarenPflicht macht, welcher doch, ohne einen Vertrag derVölker unter sich, nicht gestiftet oder gesichert wer-den kann: – so muß es einen Bund von besonderer Artgeben, den man den Friedensbund (foedus pacificum)

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20.643 Kant-W Bd. 11, 212Kant: Zum ewigen Frieden. Ein philosophischer

nennen kann, der vom Friedensvertrag (pactumpacis) darin unterschieden sein würde, daß dieserbloß einen Krieg, jener aber alle Kriege auf immer zuendigen suchte. Dieser Bund geht auf keinen Erwerbirgend einer Macht des Staats, sondern lediglich aufErhaltung und Sicherung der Freiheit eines Staats, fürsich selbst und zugleich anderer verbündeten Staaten,ohne daß diese doch sich deshalb (wie Menschen imNaturzustande) öffentlichen Gesetzen, und einemZwange unter denselben, unterwerfen dürfen. – DieAusführbarkeit (objektive Realität) dieser Idee derFöderalität, die sich allmählich über alle Staaten er-strecken soll, und so zum ewigen Frieden hinführt,läßt sich darstellen. Denn wenn das Glück es so fügt:daß ein mächtiges und aufgeklärtes Volk sich zu einerRepublik (die ihrer Natur nach zum ewigen Friedengeneigt sein muß) bilden kann, so gibt diese einenMittelpunkt der föderativen Vereinigung für andereStaaten ab, um sich an sie anzuschließen, und so denFreiheitszustand der Staaten, gemäß der Idee des Völ-kerrechts, zu sichern, und sich durch mehrere Verbin-dungen dieser Art nach und nach immer weiter auszu-breiten.

Daß ein Volk sagt: »es soll unter uns kein Kriegsein; denn wir wollen uns in einen Staat formieren,d.i. uns selbst eine oberste gesetzgebende, regierendeund richtende Gewalt setzen, die unsere Streitigkeiten

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20.644 Kant-W Bd. 11, 212Kant: Zum ewigen Frieden. Ein philosophischer

friedlich ausgleicht« – das läßt sich verstehen. – –Wenn aber dieser Staat sagt: »es soll kein Krieg zwi-schen mir und andern Staaten sein, obgleich ich keineoberste gesetzgebende Gewalt erkenne, die mir mein,und der ich ihr Recht sichere«, so ist es gar nicht zuverstehen, worauf ich dann das Vertrauen zu meinemRechte gründen wolle, wenn es nicht das Surrogat desbürgerlichen Gesellschaftbundes, nämlich der freieFöderalism ist, den die Vernunft mit dem Begriffe desVölkerrechts notwendig verbinden muß, wenn überalletwas dabei zu denken übrig bleiben soll.

Bei dem Begriffe des Völkerrechts, als einesRechts zum Kriege, läßt sich eigentlich gar nichtsdenken (weil es ein Recht sein soll, nicht nach allge-mein gültigen äußern, die Freiheit jedes einzelnen ein-schränkenden Gesetzen, sondern nach einseitigen Ma-ximen durch Gewalt, was Recht sei, zu bestimmen),es müßte denn darunter verstanden werden: daß Men-schen, die so gesinnet sind, ganz recht geschieht,wenn sie sich unter einander aufreiben, und also denewigen Frieden in dem weiten Grabe finden, das alleGreuel der Gewalttätigkeit samt ihren Urhebern be-deckt. – Für Staaten, im Verhältnisse unter einander,kann es nach der Vernunft keine andere Art geben,aus dem gesetzlosen Zustande, der lauter Krieg ent-hält, herauszukommen, als daß sie, eben so wie ein-zelne Menschen, ihre wilde (gesetzlose) Freiheit auf-

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20.645 Kant-W Bd. 11, 213Kant: Zum ewigen Frieden. Ein philosophischer

geben, sich zu öffentlichen Zwangsgesetzen beque-men, und so einen (freilich immer wachsenden) Völ-kerstaat (civitas gentium), der zuletzt alle Völker derErde befassen würde, bilden. Da sie dieses aber nachihrer Idee vom Völkerrecht durchaus nicht wollen,mithin, was in thesi richtig ist, in hypothesi verwer-fen, so kann an die Stelle der positiven Idee einerWeltrepublik (wenn nicht alles verloren werden soll)nur das negative Surrogat eines den Krieg abwehren-den, bestehenden, und sich immer ausbreitenden Bun-des den Strom der rechtscheuenden, feindseligen Nei-gung aufhalten, doch mit beständiger Gefahr ihresAusbruchs (Furor impius intus – fremit horridus orecruento. Virgil).8

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20.646 Kant-W Bd. 11, 214Kant: Zum ewigen Frieden. Ein philosophischer

Dritter Definitivartikel zum ewigen Frieden

»Das Weltbürgerrecht soll auf Bedingungen derallgemeinen Hospitalität eingeschränkt sein.«

Es ist hier, wie in den vorigen Artikeln, nicht vonPhilanthropie, sondern vom Recht die Rede, und dabedeutet Hospitalität (Wirtbarkeit) das Recht einesFremdlings, seiner Ankunft auf dem Boden eines an-dern wegen, von diesem nicht feindselig behandelt zuwerden. Dieser kann ihn abweisen, wenn es ohne sei-nen Untergang geschehen kann; so lange er aber aufseinem Platz sich friedlich verhält, ihm nicht feindlichbegegnen. Es ist kein Gastrecht, worauf dieser An-spruch machen kann (wozu ein besonderer wohltäti-ger Vertrag erfordert werden würde, ihn auf eine ge-wisse Zeit zum Hausgenossen zu machen), sondernein Besuchsrecht, welches allen Menschen zusteht,sich zur Gesellschaft anzubieten, vermöge des Rechtsdes gemeinschaftlichen Besitzes der Oberfläche derErde, auf der, als Kugelfläche, sie sich nicht ins Un-endliche zerstreuen können, sondern endlich sich dochneben einander dulden zu müssen, ursprünglich aberniemand an einem Orte der Erde zu sein mehr Rechthat, als der andere. – Unbewohnbare Teile dieserOberfläche, das Meer und die Sandwüsten, trennen

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20.647 Kant-W Bd. 11, 214Kant: Zum ewigen Frieden. Ein philosophischer

diese Gemeinschaft, doch so, daß das Schiff, oder dasKamel (das Schiff der Wüste) es möglich machen,über diese herrenlose Gegenden sich einander zu nä-hern, und das Recht der Oberfläche, welches derMenschengattung gemeinschaftlich zukommt, zueinem möglichen Verkehr zu benutzen. Die Unwirt-barkeit der Seeküsten (z.B. der Barbaresken), Schiffein nahen Meeren zu rauben, oder gestrandete Schiffs-leute zu Sklaven zu machen, oder die der Sandwüsten(der arabischen Beduinen), die Annäherung zu dennomadischen Stämmen als ein Recht anzusehen, siezu plündern ist also dem Naturrecht zuwider, welchesHospitalitätsrecht aber, d.i. die Befugnis der fremdenAnkömmlinge, sich nicht weiter erstreckt, als auf dieBedingungen der Möglichkeit, einen Verkehr mit denalten Einwohnern zu versuchen. – Auf diese Art kön-nen entfernte Weltteile mit einander friedlich in Ver-hältnisse kommen, die zuletzt öffentlich gesetzlichwerden, und so das menschliche Geschlecht endlicheiner weltbürgerlichen Verfassung immer näher brin-gen können.

Vergleicht man hiemit das inhospitale Betragender gesitteten, vornehmlich handeltreibenden Staatenunseres Weltteils, so geht die Ungerechtigkeit, die siein dem Besuche fremder Länder und Völker (welchesihnen mit dem Erobern derselben für einerlei gilt) be-weisen, bis zum Erschrecken weit. Amerika, die Ne-

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20.648 Kant-W Bd. 11, 216Kant: Zum ewigen Frieden. Ein philosophischer

gerländer, die Gewürzinseln, das Kap etc. waren, beiihrer Entdeckung, für sie Länder, die keinem angehör-ten; denn die Einwohner rechneten sie für nichts. InOstindien (Hindustan) brachten sie, unter dem Vor-wande bloß beabsichtigter Handelsniederlagen, frem-de Kriegesvölker hinein, mit ihnen aber Unterdrük-kung der Eingebornen, Aufwiegelung der verschiede-nen Staaten desselben zu weit ausgebreiteten Kriegen,Hungersnot, Aufruhr, Treulosigkeit, und wie die Lita-nei aller Übel, die das menschliche Geschlecht drük-ken, weiter lauten mag.

China9 und Japan (Nippon), die den Versuch mitsolchen Gästen gemacht hatten, haben daher weislich,jenes zwar den Zugang, aber nicht den Eingang, die-ses auch den ersteren nur einem einzigen europäi-schen Volk, den Holländern, erlaubt, die sie aberdoch dabei, wie Gefangene, von der Gemeinschaft mitden Eingebornen ausschließen. Das Ärgste hiebei(oder, aus dem Standpunkte eines moralischen Rich-ters betrachtet, das Beste) ist, daß sie dieser Gewalttä-tigkeit nicht einmal froh werden, daß alle diese Hand-lungsgesellschaften auf dem Punkte des nahen Um-sturzes stehen, daß die Zuckerinseln, dieser Sitz derallergrausamsten und ausgedachtesten Sklaverei, kei-nen wahren Ertrag abwerfen, sondern nur mittelbar,und zwar zu einer nicht sehr löblichen Absicht, näm-lich zu Bildung der Matrosen für Kriegsflotten, und

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20.649 Kant-W Bd. 11, 217Kant: Zum ewigen Frieden. Ein philosophischer

also wieder zu Führung der Kriege in Europa dienen,und dieses möchten, die von der Frömmigkeit vielWerks machen, und, indem sie Unrecht wie Wassertrinken, sich in der Rechtgläubigkeit für Auserwähltegehalten wissen wollen.

Da es nun mit der unter den Völkern der Erde ein-mal durchgängig überhand genommenen (engerenoder weiteren) Gemeinschaft so weit gekommen ist,daß die Rechtsverletzung an einem Platz der Erde anallen gefühlt wird: so ist die Idee eines Weltbürger-rechts keine phantastische und überspannte Vorstel-lungsart des Rechts, sondern eine notwendige Ergän-zung des ungeschriebenen Kodex, sowohl des Staats-als Völkerrechts zum öffentlichen Menschenrechteüberhaupt, und so zum ewigen Frieden, zu dem mansich in der kontinuierlichen Annäherung zu befindennur unter dieser Bedingung schmeicheln darf.

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20.650 Kant-W Bd. 11, 218Kant: Zum ewigen Frieden. Ein philosophischer

Erster Zusatz.Von der Garantie des ewigen Friedens

Das, was diese Gewähr (Garantie) leistet, ist nichtsGeringeres, als die große Künstlerin Natur (naturadaedala rerum), aus deren mechanischem Laufe sicht-barlich Zweckmäßigkeit hervorleuchtet, durch dieZwietracht der Menschen Eintracht selbst wider ihrenWillen emporkommen zu lassen, und darum, gleichals Nötigung einer ihren Wirkungsgesetzen nach unsunbekannten Ursache, Schicksal, bei Erwägung aberihrer Zweckmäßigkeit im Laufe der Welt, als tieflie-gende Weisheit einer höheren, auf den objektivenEndzweck des menschlichen Geschlechts gerichteten,und diesen Weltlauf prädeterminierenden UrsacheVorsehung10 genannt wird, die wir zwar eigentlichnicht an diesen Kunstanstalten der Natur erkennen,oder auch nur daraus auf sie schließen, sondern (wiein aller Beziehung der Form der Dinge auf Zweckeüberhaupt) nur hinzudenken können und müssen, umuns von ihrer Möglichkeit, nach der Analogiemenschlicher Kunsthandlungen, einen Begriff zu ma-chen, deren Verhältnis und Zusammenstimmung aberzu dem Zwecke, den uns die Vernunft unmittelbarvorschreibt (dem moralischen), sich vorzustellen eineIdee ist, die zwar in theoretischer Absicht über-

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20.651 Kant-W Bd. 11, 220Kant: Zum ewigen Frieden. Ein philosophischer

schwenglich, in praktischer aber (z.B. in Ansehungdes Pflichtbegriffs vom ewigen Frieden, um jenenMechanism der Natur dazu zu benutzen) dogmatischund ihrer Realität nach wohl gegründet ist. – Der Ge-brauch des Worts Natur ist auch, wenn es, wie hier,bloß um Theorie (nicht um Religion) zu tun ist,schicklicher für die Schranken der menschlichen Ver-nunft (als die sich in Ansehung des Verhältnisses derWirkungen zu ihren Ursachen, innerhalb den Grenzenmöglicher Erfahrung halten muß), und bescheidener,als der Ausdruck einer für uns erkennbaren Vorse-hung, mit dem man sich vermessenerweise ikarischeFlügel ansetzt, um dem Geheimnis ihrer unergründli-chen Absicht näher zu kommen.

Ehe wir nun diese Gewährleistung näher bestim-men, wird es nötig sein, vorher den Zustand nachzu-suchen, den die Natur für die auf ihrem großen Schau-platz handelnde Personen veranstaltet hat, der ihreFriedenssicherung zuletzt notwendig macht; – alsdannaber allererst die Art, wie sie diese leiste.

Ihre provisorische Veranstaltung besteht darin: daßsie 1) für die Menschen in allen Erdgegenden gesorgthat, daselbst leben zu können; – 2) sie durch Krieg al-lerwärts hin, selbst in die unwirtbarste Gegenden, ge-trieben hat, um sie zu bevölkern; 3) – durch eben den-selben sie in mehr oder weniger gesetzliche Verhält-nisse zu treten genötigt hat. – Daß in den kalten Wü-

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20.652 Kant-W Bd. 11, 220Kant: Zum ewigen Frieden. Ein philosophischer

sten am Eismeer noch das Moos wächst, welches dasRenntier unter dem Schnee hervorscharrt, um selbstdie Nahrung, oder auch das Angespann des Ostjakenoder Samojeden zu sein; oder daß die salzichtenSandwüsten doch noch dem Kamel, welches zu Berei-sung derselben gleichsam geschaffen zu sein scheint,um sie nicht unbenutzt zu lassen, enthalten, ist schonbewundernswürdig. Noch deutlicher aber leuchtet derZweck hervor, wenn man gewahr wird, wie, außer denbepelzten Tieren am Ufer des Eismeeres, noch Rob-ben, Walrosse und Walfische an ihrem Fleische Nah-rung, und mit ihrem Tran Feurung für die dortigenAnwohner darreichen. Am meisten aber erregt dieVorsorge der Natur durch das Treibholz Bewunde-rung, was sie (ohne daß man recht weiß, wo es her-kommt) diesen gewächslosen Gegenden zubringt,ohne welches Material sie weder ihre Fahrzeuge undWaffen, noch ihre Hütten zum Aufenthalt zurichtenkönnten; wo sie dann mit dem Kriege gegen die Tieregnug zu tun haben, um unter sich friedlich zuleben. – – Was sie aber dahin getrieben hat, ist ver-mutlich nichts anders als der Krieg gewesen. Daserste Kriegswerkzeug aber unter allen Tieren, die derMensch, binnen der Zeit der Erdbevölkerung, zu zäh-men und häuslich zu machen gelernt hatte, ist dasPferd (denn der Elefant gehört in die spätere Zeit,nämlich des Luxus schon errichteter Staaten), so wie

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20.653 Kant-W Bd. 11, 221Kant: Zum ewigen Frieden. Ein philosophischer

die Kunst, gewisse, für uns jetzt, ihrer ursprünglichenBeschaffenheit nach, nicht mehr erkennbare Grasar-ten, Getreide genannt, anzubauen, ingleichen die Ver-vielfältigung und Verfeinerung der Obstarten durchVerpflanzung und Einpfropfung (vielleicht in Europabloß zweier Gattungen, der Holzäpfel und Holzbir-nen), nur im Zustande schon errichteter Staaten, wogesichertes Grundeigentum statt fand, entstehen konn-te, – nachdem die Menschen vorher in gesetzloserFreiheit von dem Jagd-11, Fischer- und Hirtenlebenbis zum Ackerleben durchgedrungen waren, und nunSalz und Eisen erfunden ward, vielleicht die ersterenweit und breit gesuchten Artikel eines Handelsver-kehrs verschiedener Völker wurden, wodurch sie zu-erst in ein friedliches Verhältnis gegen einander, undso, selbst mit Entfernteren, in Einverständnis, Ge-meinschaft und friedliches Verhältnis unter einandergebracht wurden.

Indem die Natur nun dafür gesorgt hat, daß Men-schen allerwärts auf Erden leben könnten, so hat siezugleich auch despotisch gewollt, daß sie allerwärtsleben sollten, wenn gleich wider ihre Neigung, undselbst ohne daß dieses Sollen zugleich einen Pflicht-begriff voraussetzte, der sie hiezu, vermittelst einesmoralischen Gesetzes, verbände, – sondern sie hat, zudiesem ihrem Zweck zu gelangen, den Krieg ge-wählt. – Wir sehen nämlich Völker, die an der Einheit

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20.654 Kant-W Bd. 11, 222Kant: Zum ewigen Frieden. Ein philosophischer

ihrer Sprache die Einheit ihrer Abstammung kennbarmachen, wie die Samojeden am Eismeer einerseits,und ein Volk von ähnlicher Sprache, zweihundertMeilen davon entfernt, im Altaischen Gebirge ande-rerseits, wozwischen sich ein anderes, nämlich mon-galisches, berittenes und hiemit kriegerisches Volkgedrängt, und so jenen Teil ihres Stammes, weit vondiesem, in die unwirtbarsten Eisgegenden, versprengthat, wo sie gewiß nicht aus eigener Neigung sich hinverbreitet hätten;12 – eben so die Finnen in der nörd-lichsten Gegend von Europa, Lappen genannt, vonden jetzt eben so weit entferneten, aber der Sprachenach mit ihnen verwandten Ungern, durch dazwi-schen eingedrungne gotische und sarmatische Völkergetrennt; und was kann wohl anders die Eskimos(vielleicht uralte europäische Abenteurer, ein vonallen Amerikanern ganz unterschiedenes Geschlecht)in Norden, und die Pescheräs im Süden von Amerika,bis zum Feuerlande hingetrieben haben, als der Krieg,dessen sich die Natur als Mittels bedient, die Erde al-lerwärts zu bevölkern? Der Krieg aber selbst bedarfkeines besondern Bewegungsgrundes, sondern scheintauf die menschliche Natur gepfropft zu sein, undsogar als etwas Edles, wozu der Mensch durch denEhrtrieb, ohne eigennützige Triebfedern, beseelt wird,zu gelten: so, daß Kriegesmut (von amerikanischenWilden sowohl, als den europäischen, in den Ritter-

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20.655 Kant-W Bd. 11, 223Kant: Zum ewigen Frieden. Ein philosophischer

zeiten) nicht bloß, wenn Krieg ist (wie billig), son-dern auch, daß Krieg sei, von unmittelbarem großemWert zu sein geurteilt wird, und er oft, bloß um jenenzu zeigen, angefangen, mithin in dem Kriege an sichselbst eine innere Würde gesetzt wird, sogar daß ihmauch wohl Philosophen, als einer gewissen Verede-lung der Menschheit, eine Lobrede halten, uneinge-denk des Ausspruchs jenes Griechen: »Der Krieg istdarin schlimm, daß er mehr böse Leute macht, als erderen wegnimmt«. – So viel von dem, was die Naturfür ihren eigenen Zweck, in Ansehung der Menschen-gattung als einer Tierklasse, tut.

Jetzt ist die Frage, die das Wesentliche der Absichtauf den ewigen Frieden betrifft: »Was die Natur indieser Absicht, beziehungsweise auf den Zweck, dendem Menschen seine eigene Vernunft zur Pflichtmacht, mithin zu Begünstigung seiner moralischenAbsicht tue, und wie sie die Gewähr leiste, daß dasje-nige, was der Mensch nach Freiheitsgesetzen tun soll-te, aber nicht tut, dieser Freiheit unbeschadet auchdurch einen Zwang der Natur, daß er es tun werde,gesichert sei, und zwar nach allen drei Verhältnissendes öffentlichen Rechts, des Staats-, Völker– undweltbürgerlichen Rechts«. – Wenn ich von der Natursage: sie will, daß dieses oder jenes geschehe, so heißtdas nicht soviel, als: sie legt uns eine Pflicht auf, eszu tun (denn das kann nur die zwangsfreie praktische

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20.656 Kant-W Bd. 11, 224Kant: Zum ewigen Frieden. Ein philosophischer

Vernunft), sondern sie tut es selbst, wir mögen wollenoder nicht (fata volentem ducunt, nolentem trahunt).

1. Wenn ein Volk auch nicht durch innere Mißhel-ligkeit genötigt würde, sich unter den Zwang öffentli-cher Gesetze zu begeben, so würde es doch der Kriegvon außen tun, indem, nach der vorher erwähnten Na-turanstalt, ein jedes Volk ein anderes es drängendeVolk zum Nachbar vor sich findet, gegen das es sichinnerlich zu einem Staat bilden muß, um, als Macht,gegen diesen gerüstet zu sein. Nun ist die republika-nische Verfassung die einzige, welche dem Recht derMenschen vollkommen angemessen, aber auch dieschwerste zu stiften, vielmehr noch zu erhalten ist,dermaßen, daß viele behaupten, es müsse ein Staatvon Engeln sein, weil Menschen mit ihren selbstsüch-tigen Neigungen einer Verfassung von so sublimerForm nicht fähig wären. Aber nun kommt die Naturdem verehrten, aber zur Praxis ohnmächtigen allge-meinen, in der Vernunft gegründeten Willen, undzwar gerade durch jene selbstsüchtige Neigungen, zuHülfe, so, daß es nur auf eine gute Organisation desStaats ankommt (die allerdings im Vermögen derMenschen ist), jener ihre Kräfte so gegen einander zurichten, daß eine die anderen in ihrer zerstörendenWirkung aufhält, oder diese aufhebt: so daß der Er-folg für die Vernunft so ausfällt, als wenn beide garnicht da wären, und so der Mensch, wenn gleich nicht

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ein moralisch-guter Mensch, dennoch ein guter Bür-ger zu sein gezwungen wird. Das Problem der Staats-errichtung ist, so hart wie es auch klingt, selbst für einVolk von Teufeln (wenn sie nur Verstand haben), auf-lösbar und lautet so: »Eine Menge von vernünftigenWesen, die insgesamt allgemeine Gesetze für ihre Er-haltung verlangen, deren jedes aber in Geheim sichdavon auszunehmen geneigt ist, so zu ordnen und ihreVerfassung einzurichten, daß, obgleich sie in ihrenPrivatgesinnungen einander entgegen streben, dieseeinander doch so aufhalten, daß in ihrem öffentlichenVerhalten der Erfolg eben derselbe ist, als ob siekeine solche böse Gesinnungen hätten«. Ein solchesProblem muß auflöslich sein. Denn es ist nicht diemoralische Besserung der Menschen, sondern nur derMechanism der Natur, von dem die Aufgabe zu wis-sen verlangt, wie man ihn an Menschen benutzenkönne, um den Widerstreit ihrer unfriedlichen Gesin-nungen in einem Volk so zu richten, daß sie sich unterZwangsgesetze zu begeben einander selbst nötigen,und so den Friedenszustand, in welchem GesetzeKraft haben, herbeiführen müssen. Man kann diesesauch an den wirklich vorhandenen, noch sehr unvoll-kommen organisierten Staaten sehen, daß sie sichdoch im äußeren Verhalten dem, was die Rechtsideevorschreibt, schon sehr nähern, ob gleich das Innereder Moralität davon sicherlich nicht die Ursache ist

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20.658 Kant-W Bd. 11, 225Kant: Zum ewigen Frieden. Ein philosophischer

(wie denn auch nicht von dieser die gute Staatsverfas-sung, sondern vielmehr, umgekehrt, von der letzterenallererst die gute moralische Bildung eines Volks zuerwarten ist), mithin der Mechanism der Natur durchselbstsüchtige Neigungen, die natürlicherweise einan-der auch äußerlich entgegen wirken, von der Vernunftzu einem Mittel gebraucht werden kann, dieser ihremeigenen Zweck, der rechtlichen Vorschrift, Raum zumachen, und hiemit auch, soviel an dem Staat selbstliegt, den inneren sowohl als äußeren Frieden zu be-fördern und zu sichern. – Hier heißt es also: DieNatur will unwiderstehlich, daß das Recht zuletzt dieObergewalt erhalte. Was man nun hier verabsäumt zutun, das macht sich zuletzt selbst, obzwar mit vielUngemächlichkeit. – »Biegt man das Rohr zu stark,so bricht's; und wer zu viel will, der will nichts.«Bouterwek.

2. Die Idee des Völkerrechts setzt die Absonde-rung vieler von einander unabhängiger benachbarterStaaten voraus, und, obgleich ein solcher Zustand ansich schon ein Zustand des Krieges ist (wenn nichteine föderative Vereinigung derselben dem Ausbruchder Feindseligkeiten vorbeugt): so ist doch selbst die-ser, nach der Vernunftidee, besser als die Zusammen-schmelzung derselben, durch eine die andere über-wachsende, und in eine Universalmonarchie überge-hende Macht; weil die Gesetze mit dem vergrößten

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20.659 Kant-W Bd. 11, 226Kant: Zum ewigen Frieden. Ein philosophischer

Umfange der Regierung immer mehr an ihrem Nach-druck einbüßen, und ein seelenloser Despotism, nach-dem er die Keime des Guten ausgerottet hat, zuletztdoch in Anarchie verfällt. Indessen ist dieses das Ver-langen jedes Staats (oder seines Oberhaupts), aufdiese Art sich in den dauernden Friedenszustand zuversetzen, daß er, wo möglich, die ganze Welt be-herrscht. Aber die Natur will es anders. – Sie bedientsich zweier Mittel, um Völker von der Vermischungabzuhalten und sie abzusondern, der Verschiedenheitder Sprachen und der Religionen13, die zwar denHang zum wechselseitigen Hasse, und Vorwand zumKriege bei sich führt, aber doch, bei anwachsenderKultur und der allmählichen Annäherung der Men-schen zu größerer Einstimmung in Prinzipien, zumEinverständnisse in einem Frieden leitet, der nicht,wie jener Despotism (auf dem Kirchhofe der Freiheit),durch Schwächung aller Kräfte, sondern durch ihrGleichgewicht, im lebhaftesten Wetteifer derselben,hervorgebracht und gesichert wird.

3. So wie die Natur weislich die Völker trennt,welche der Wille jedes Staats, und zwar selbst nachGründen des Völkerrechts, gern unter sich durch Listoder Gewalt vereinigen möchte: so vereinigt sie auchandererseits Völker, die der Begriff des Weltbürger-rechts gegen Gewalttätigkeit und Krieg nicht würdegesichert haben, durch den wechselseitigen Eigennutz.

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20.660 Kant-W Bd. 11, 227Kant: Zum ewigen Frieden. Ein philosophischer

Es ist der Handelsgeist, der mit dem Kriege nicht zu-sammen bestehen kann, und der früher, oder spätersich jedes Volks bemächtigt. Weil nämlich unterallen, der Staatsmacht untergeordneten, Mächten(Mitteln) die Geldmacht wohl die zuverlässigste seinmöchte, so sehen sich Staaten (freilich wohl nichteben durch Triebfedern der Moralität) gedrungen, denedlen Frieden zu befördern, und, wo auch immer inder Welt Krieg auszubrechen droht, ihn durch Vermit-telungen abzuwehren, gleich als ob sie deshalb im be-ständigen Bündnisse ständen; denn große Vereinigun-gen zum Kriege können, der Natur der Sache nach,sich nur höchst selten zutragen, und noch seltenerglücken. – – Auf die Art garantiert die Natur, durchden Mechanism in den menschlichen Neigungenselbst, den ewigen Frieden; freilich mit einer Sicher-heit, die nicht hinreichend ist, die Zukunft desselben(theoretisch) zu weissagen, aber doch in praktischerAbsicht zulangt, und es zur Pflicht macht, zu diesem(nicht bloß schimärischen) Zwecke hinzuarbeiten.

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20.661 Kant-W Bd. 11, 227Kant: Zum ewigen Frieden. Ein philosophischer

Zweiter Zusatz.Geheimer Artikel zum ewigen Frieden

Ein geheimer Artikel in Verhandlungen des öffent-lichen Rechts ist objektiv, d.i. seinem Inhalte nach be-trachtet, ein Widerspruch; subjektiv aber, nach derQualität der Person beurteilt, die ihn diktiert, kann garwohl darin ein Geheimnis statt haben, daß sie es näm-lich für ihre Würde bedenklich findet, sich öffentlichals Urheberin desselben anzukündigen.

Der einzige Artikel dieser Art ist in dem Satze ent-halten: Die Maximen der Philosophen über die Be-dingungen der Möglichkeit des öffentlichen Frie-dens sollen von den zum Kriege gerüsteten Staatenzu Rate gezogen werden.

Es scheint aber für die gesetzgebende Autoritäteines Staats, dem man natürlicherweise die größteWeisheit beilegen muß, verkleinerlich zu sein, überdie Grundsätze seines Verhaltens gegen andere Staa-ten bei Untertanen (den Philosophen) Belehrung zusuchen; gleichwohl aber sehr ratsam, es zu tun. Alsowird der Staat die letztere stillschweigend (also,indem er ein Geheimnis daraus macht) dazu auffor-dern, welches soviel heißt, als: er wird sie frei und öf-fentlich über die allgemeine Maximen der Kriegsfüh-rung und Friedensstiftung reden lassen (denn das

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20.662 Kant-W Bd. 11, 228Kant: Zum ewigen Frieden. Ein philosophischer

werden sie schon von selbst tun, wenn man es ihnennur nicht verbietet) und die Übereinkunft der Staatenunter einander über diesen Punkt bedarf auch keinerbesonderen Verabredung der Staaten unter sich in die-ser Absicht, sondern liegt schon in der Verpflichtungdurch allgemeine (moralische gesetzgebende) Men-schenvernunft. – Es ist aber hiemit nicht gemeint: daßder Staat den Grundsätzen des Philosophen vor denAussprüchen des Juristen (des Stellvertreters derStaatsmacht) den Vorzug einräumen müsse, sondernnur, daß man ihn höre. Der letztere, der die Waagedes Rechts und, neben bei auch das Schwert der Ge-rechtigkeit sich zum Symbol gemacht hat, bedientsich gemeiniglich des letzteren, nicht von etwa bloßalle fremde Einflüsse von dem ersteren abzuhalten,sondern, wenn die eine Schale nicht sinken will, dasSchwert mit hinein zu legen (vae victis), wozu der Ju-rist, der nicht zugleich (auch der Moralität nach) Phi-losoph ist, die größte Versuchung hat, weil es seinesAmts nur ist, vorhandene Gesetze anzuwenden, nichtaber, ob diese selbst nicht einer Verbesserung bedür-fen, zu untersuchen, und rechnet diesen in der Tatniedrigeren Rang seiner Fakultät, darum weil er mitMacht begleitet ist (wie es auch mit den beiden ande-ren der Fall ist), zu den höheren. – Die philosophi-sche steht unter dieser verbündeten Gewalt auf einersehr niedrigen Stufe. So heißt es z.B. von der Philoso-

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20.663 Kant-W Bd. 11, 228Kant: Zum ewigen Frieden. Ein philosophischer

phie, sie sei die Magd der Theologie (und eben solautet es von den zwei anderen). – Man sieht abernicht recht, » ob sie ihrer gnädigen Frauen die Fackelvorträgt oder die Schleppe nachträgt«.

Daß Könige philosophieren, oder Philosophen Kö-nige würden, ist nicht zu erwarten, aber auch nicht zuwünschen; weil der Besitz der Gewalt das freie Urteilder Vernunft unvermeidlich verdirbt. Daß aber Köni-ge oder königliche (sich selbst nach Gleichheitsgeset-zen beherrschende) Völker die Klasse der Philoso-phen nicht schwinden oder verstummen, sondern öf-fentlich sprechen lassen, ist beiden zu Beleuchtungihres Geschäfts unentbehrlich und, weil diese Klasseihrer Natur nach der Rottierung und Klubbenverbün-dung unfähig ist, wegen der Nachrede einer Propa-gande verdachtlos.

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20.664 Kant-W Bd. 11, 229Kant: Zum ewigen Frieden. Ein philosophischer

Anhang

I. Über die Mißhelligkeit zwischen der Moralund der Politik, in Absicht auf den ewigen

Frieden

Die Moral ist schon an sich selbst eine Praxis inobjektiver Bedeutung, als Inbegriff von unbedingt ge-bietenden Gesetzen, nach denen wir handeln sollen,und es ist offenbare Ungereimtheit, nachdem man die-sem Pflichtbegriff seine Autorität zugestanden hat,noch sagen zu wollen, daß man es doch nicht könne.Denn alsdann fällt dieser Begriff aus der Moral vonselbst weg (ultra posse nemo obligatur); mithin kannes keinen Streit der Politik, als ausübender Rechtsleh-re, mit der Moral, als einer solchen, aber theoreti-schen (mithin keinen Streit der Praxis mit der Theo-rie) geben: man müßte denn unter der letzteren eineallgemeine Klugheitslehre, d.i. eine Theorie der Ma-ximen verstehen, zu seinen auf Vorteil berechnetenAbsichten die tauglichsten Mittel zu wählen, d.i. leug-nen, daß es überhaupt eine Moral gebe.

Die Politik sagt: »Seid klug wie die Schlangen«;die Moral setzt (als einschränkende Bedingung)hinzu: »und ohne Falsch wie die Tauben«. Wennbeides nicht in einem Gebote zusammen bestehen

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20.665 Kant-W Bd. 11, 230Kant: Zum ewigen Frieden. Ein philosophischer

kann, so ist wirklich ein Streit der Politik mit derMoral; soll aber doch durchaus beides vereinigt sein,so ist der Begriff vom Gegenteil absurd, und dieFrage, wie jener Streit auszugleichen sei, läßt sich garnicht einmal als Aufgabe hinstellen. Obgleich derSatz: Ehrlichkeit ist die beste Politik, eine Theorieenthält, der die Praxis, leider! sehr häufig wider-spricht: so ist doch der gleichfalls theoretische: Ehr-lichkeit ist besser denn alle Politik, über allen Ein-wurf unendlich erhaben, ja die unumgängliche Bedin-gung der letzteren. Der Grenzgott der Moral weichtnicht dem Jupiter (dem Grenzgott der Gewalt); denndieser steht noch unter dem Schicksal, d.i. die Ver-nunft ist nicht erleuchtet genug, die Reihe der vorher-bestimmenden Ursachen zu übersehen, die den glück-lichen oder schlimmen Erfolgs aus dem Tun und Las-sen der Menschen, nach dem Mechanism der Natur,mit Sicherheit vorher verkündigen (obgleich ihn demWunsche gemäß hoffen) lassen. Was man aber zu tunhabe, um im Gleise der Pflicht (nach Regeln derWeisheit) zu bleiben, dazu und hiemit zum Endzweckleuchtet sie uns überall hell genug vor.

Nun gründet aber der Praktiker (dem die Moralbloße Theorie ist) seine trostlose Absprechung unse-rer gutmütigen Hoffnung (selbst bei eingeräumtemSollen und Können) eigentlich darauf: daß er aus derNatur des Menschen vorher zu sehen vorgibt, er

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20.666 Kant-W Bd. 11, 231Kant: Zum ewigen Frieden. Ein philosophischer

werde dasjenige nie wollen, was erfordert wird, umjenen zum ewigen Frieden hinführenden Zweck zuStande zu bringen. – Freilich ist das Wollen aller ein-zelnen Menschen, in einer gesetzlichen Verfassungnach Freiheitsprinzipien zu leben (die distributiveEinheit des Willens aller), zu diesem Zweck nichthinreichend, sondern daß alle zusammen diesen Zu-stand wollen (die kollektive Einheit des vereinigtenWillens), diese Auflösung einer schweren Aufgabe,wird noch dazu erfordert, damit ein Ganzes der bür-gerlichen Gesellschaft werde, und, da also, über dieseVerschiedenheit des partikularen Wollens aller, nocheine vereinigende Ursache desselben hinzukommenmuß, um einen gemeinschaftlichen Willen herauszu-bringen, welches keiner von allen vermag: so ist inder Ausführung jener Idee (in der Praxis) auf keinenandern Anfang des rechtlichen Zustandes zu rechnen,als den durch Gewalt, auf deren Zwang nachher dasöffentliche Recht gegründet wird; welches dann frei-lich (da man ohnedem des Gesetzgebers moralischeGesinnung hiebei wenig in Anschlag bringen kann, erwerde) nach geschehener Vereinigung der wüstenMenge in ein Volk, diesem es nur überlassen, einerechtliche Verfassung durch ihren gemeinsamen Wil-len zu Stande zu bringen, große Abweichungen vonjener Idee (der Theorie) in der wirklichen Erfahrungschon zum voraus erwarten läßt.

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20.667 Kant-W Bd. 11, 232Kant: Zum ewigen Frieden. Ein philosophischer

Da heißt es dann: wer einmal die Gewalt in Händenhat, wird sich vom Volk nicht Gesetze vorschreibenlassen. Ein Staat, der einmal im Besitz ist, unter kei-nen äußeren Gesetzen zu stehen, wird sich in Anse-hung der Art, wie er gegen andere Staaten sein Rechtsuchen soll, nicht von ihrem Richterstuhl abhängigmachen, und selbst ein Weltteil, wenn er sich einemandern, der ihm übrigens nicht im Wege ist, überle-gen fühlt, wird das Mittel der Verstärkung seinerMacht, durch Beraubung oder gar Beherrschung des-selben, nicht unbenutzt lassen; und so zerrinnen nunalle Plane der Theorie, für das Staats-, Völker- undWeltbürgerrecht, in sachleere unausführbare Ideale,dagegen eine Praxis, die auf empirische Prinzipien dermenschlichen Natur gegründet ist, welche es nicht fürzu niedrig hält, aus der Art, wie es in der Welt zugeht,Belehrung für ihre Maximen zu ziehen, einen sicherenGrund für ihr Gebäude der Staatsklugheit zu findenallein hoffen könne.

Freilich, wenn es keine Freiheit und darauf gegrün-detes moralisches Gesetz gibt, sondern alles, was ge-schieht oder geschehen kann, bloßer Mechanism derNatur ist, so ist Politik (als Kunst, diesen zur Regie-rung der Menschen zu benutzen) die ganze praktischeWeisheit, und der Rechtsbegriff ein sachleerer Gedan-ke. Findet man diesen aber doch unumgänglich nötigmit der Politik zu verbinden, ja ihn gar zur einschrän-

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20.668 Kant-W Bd. 11, 233Kant: Zum ewigen Frieden. Ein philosophischer

kenden Bedingung der letztern zu erheben, so muß dieVereinbarkeit beider eingeräumt werden. Ich kann mirnun zwar einen moralischen Politiker, d.i. einen, derdie Prinzipien der Staatsklugheit so nimmt, daß siemit der Moral zusammen bestehen können, aber nichteinen politischen Moralisten denken, der sich eineMoral so schmiedet, wie es der Vorteil des Staats-manns sich zuträglich findet.

Der moralische Politiker wird es sich zum Grund-satz machen: wenn einmal Gebrechen in der Staats-verfassung oder im Staatenverhältnis angetroffen wer-den, die man nicht hat verhüten können, so sei esPflicht, vornehmlich für Staatsoberhäupter, dahin be-dacht zu sein, wie sie, sobald wie möglich, gebessert,und dem Naturrecht, so wie es in der Idee der Ver-nunft uns zum Muster vor Augen steht, angemessengemacht werden könne: sollte es auch ihrer Selbst-sucht Aufopferungen kosten. Da nun die Zerreißungeines Bandes der Staats- oder weltbürgerlichen Verei-nigung, ehe noch eine bessere Verfassung an die Stel-le derselben zu treten in Bereitschaft ist, aller, hierinmit der Moral einhelligen, Staatsklugheit zuwider ist,so wäre es zwar ungereimt, zu fordern, jenes Gebre-chen müsse sofort und mit Ungestüm abgeändert wer-den; aber daß wenigstens die Maxime der Notwendig-keit einer solchen Abänderung dem Machthabendeninnigst beiwohne, um in beständiger Annäherung zu

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20.669 Kant-W Bd. 11, 234Kant: Zum ewigen Frieden. Ein philosophischer

dem Zwecke (der nach Rechtsgesetzen besten Verfas-sung) zu bleiben, das kann doch von ihm gefordertwerden. Ein Staat kann sich auch schon republika-nisch regieren, wenn er gleich noch, der vorliegendenKonstitution nach, despotische Herrschermacht be-sitzt: bis allmählich das Volk des Einflusses der blo-ßen Idee der Autorität des Gesetzes (gleich als ob esphysische Gewalt besäße) fähig wird, und sonach zureigenen Gesetzgebung (welche ursprünglich auf Rechtgegründet ist) tüchtig befunden wird. Wenn auchdurch den Ungestüm einer von der schlechten Verfas-sung erzeugten Revolution unrechtmäßigerweise einegesetzmäßigere errungen wäre, so würde es doch auchalsdann nicht mehr für erlaubt gehalten werden müs-sen, das Volk wieder auf die alte zurück zu führen,obgleich während derselben jeder, der sich damit ge-walttätig oder arglistig bemengt, mit Recht den Stra-fen des Aufrührers unterworfen sein würde. Was aberdas äußere Staatenverhältnis betrifft, so kann voneinem Staat nicht verlangt werden, daß er seine, ob-gleich despotische, Verfassung (die aber doch diestärkere in Beziehung auf äußere Feinde ist) ablegensolle, so lange er Gefahr läuft, von andern Staaten sofort verschlungen zu werden; mithin muß bei jenemVorsatz doch auch die Verzögerung der Ausführungbis zu besserer Zeitgelegenheit erlaubt sein.14

Es mag also immer sein: daß die despotisierende

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20.670 Kant-W Bd. 11, 235Kant: Zum ewigen Frieden. Ein philosophischer

(in der Ausübung fehlende) Moralisten wider dieStaatsklugheit (durch übereilt genommene oder ange-priesene Maßregeln) mannigfaltig verstoßen, so mußsie doch die Erfahrung, bei diesem ihrem Verstoßwider die Natur, nach und nach in ein besseres Gleisbringen; statt dessen die moralisierende Politiker,durch Beschönigung rechtswidriger Staatsprinzipien,unter dem Vorwande einer des Guten, nach der Idee,wie sie die Vernunft vorschreibt, nicht fähigenmenschlichen Natur, so viel an ihnen ist, das Besser-werden unmöglich machen, und die Rechtsverletzungverewigen.

Statt der Praxis, deren sich diese staatskluge Män-ner rühmen, gehen sie mit Praktiken um, indem siebloß darauf bedacht sind, dadurch, daß sie der jetztherrschenden Gewalt zum Munde reden (um ihrenPrivatvorteil nicht zu verfehlen), das Volk, und, womöglich, die ganze Welt Preis zu geben; nach der Artechter Juristen (vom Handwerke, nicht von der Ge-setzgebung), wenn sie sich bis zur Politik versteigen.Denn da dieser ihr Geschäfte nicht ist, über Gesetzge-bung selbst zu vernünfteln, sondern die gegenwärtigeGebote des Landrechts zu vollziehen, so muß ihnenjede, jetzt vorhandene, gesetzliche Verfassung, und,wenn diese hohem Orts abgeändert wird, die nun fol-gende, immer die beste sein; wo dann alles so in sei-ner gehörigen mechanischen Ordnung ist. Wenn aber

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20.671 Kant-W Bd. 11, 236Kant: Zum ewigen Frieden. Ein philosophischer

diese Geschicklichkeit, für alle Sättel gerecht zu sein,ihnen den Wahn einflößt, auch über Prinzipien einerStaatsverfassung überhaupt nach Rechtsbegriffen(mithin a priori) nicht empirisch, urteilen zu können;wenn sie darauf groß tun, Menschen zu kennen (wel-ches freilich zu erwarten ist, weil sie mit vielen zu tunhaben), ohne doch den Menschen, und was aus ihmgemacht werden kann, zu kennen (wozu ein höhererStandpunkt der anthropologischen Beobachtung erfor-dert wird), mit diesen Begriffen aber versehen ansStaats- und Völkerrecht, wie es die Vernunft vor-schreibt, gehen: so können sie diesen Überschrittnicht anders, als mit dem Geist der Schikane tun,indem sie ihr gewohntes Verfahren (eines Mecha-nisms nach despotisch gegebenen Zwangsgesetzen)auch da befolgen, wo die Begriffe der Vernunft einennur nach Freiheitsprinzipien gesetzmäßigen Zwangbegründet wissen wollen, durch welchen allererst einezu Recht beständige Staatsverfassung möglich ist;welche Aufgabe der vorgebliche Praktiker, mit Vor-beigehung jener Idee, empirisch, aus Erfahrung, wiedie bisher noch am besten bestandene, mehrenteilsaber rechtswidrige, Staatsverfassungen eingerichtetwaren, lösen zu können glaubt. – Die Maximen, derener sich hiezu bedient (ob er sie zwar nicht laut werdenläßt), laufen ohngefähr auf folgende sophistische Ma-ximen hinaus.

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20.672 Kant-W Bd. 11, 236Kant: Zum ewigen Frieden. Ein philosophischer

1. Fac et excusa. Ergreife die günstige Gelegenheitzur eigenmächtigen Besitznehmung (entweder einesRechts des Staats über sein Volk, oder über ein ande-res benachbarte); die Rechtfertigung wird sich weitleichter und zierlicher nach der Tat vortragen, unddie Gewalt beschönigen lassen (vornehmlich im er-sten Fall, wo die obere Gewalt im Innern so fort auchdie gesetzgebende Obrigkeit ist, der man gehorchenmuß, ohne darüber zu vernünfteln); als wenn manzuvor auf überzeugende Gründe sinnen, und die Ge-gengründe darüber noch erst abwarten wollte. DieseDreustigkeit selbst gibt einen gewissen Anschein voninnerer Überzeugung der Rechtmäßigkeit der Tat, undder Gott bonus eventus ist nachher der beste Rechts-vertreter.

2. Si fecisti nega. Was du selbst verbrochen hast,z.B. um dein Volk zur Verzweiflung, und so zumAufruhr zu bringen, das leugne ab, daß es deineSchuld sei; sondern behaupte, daß es die der Wider-spenstigkeit der Untertanen, oder auch, bei deiner Be-mächtigung eines benachbarten Volks, die Schuld derNatur des Menschen sei, der, wenn er dem andernnicht mit Gewalt zuvorkommt, sicher darauf rechnenkann, daß dieser ihm zuvorkommen und sich seinerbemächtigen werde.

3. Divide et impera. Das ist: sind gewisse privile-gierte Häupter in deinem Volk, welche dich bloß zu

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20.673 Kant-W Bd. 11, 237Kant: Zum ewigen Frieden. Ein philosophischer

ihrem Oberhaupt (primus inter pares) gewählt haben,so veruneinige jene unter einander, und entzweie siemit dem Volk: stehe nun dem letztern, unter Vorspie-gelung größerer Freiheit, bei, so wird alles von dei-nem unbedingten Willen abhängen. Oder sind es äu-ßere Staaten, so ist Erregung der Mißhelligkeit unterihnen ein ziemlich sicheres Mittel, unter dem Scheindes Beistandes des Schwächeren, einen nach dem an-dern dir zu unterwerfen.

Durch diese politische Maximen wird nun zwarniemand hintergangen; denn sie sind insgesamt schonallgemein bekannt; auch ist es mit ihnen nicht der Fallsich zu schämen, als ob die Ungerechtigkeit gar zu of-fenbar in die Augen leuchtete. Denn, weil sich großeMächte nie vor dem Urteil des gemeinen Haufens,sondern nur eine vor der andern schämen, was aberjene Grundsätze betrifft, nicht das Offenbarwerden,sondern nur das Mißlingen derselben sie beschämtmachen kann (denn in Ansehung der Moralität derMaximen kommen sie alle unter einander überein), sobleibt ihnen immer die politische Ehre übrig, auf diesie sicher rechnen können, nämlich die der Vergröße-rung ihrer Macht, auf welchem Wege sie auch erwor-ben sein mag.15

* * *

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20.674 Kant-W Bd. 11, 239Kant: Zum ewigen Frieden. Ein philosophischer

Aus allen diesen Schlangenwendungen einer unmo-ralischen Klugheitslehre, den Friedenszustand unterMenschen aus dem kriegerischen des Naturzustandesherauszubringen, erhellet wenigstens so viel: daß dieMenschen, eben so wenig in ihren Privatverhältnis-sen, als in ihren öffentlichen, dem Rechtsbegriff ent-gehen können, und sich nicht getrauen, die Politik öf-fentlich bloß auf Handgriffe der Klugheit zu gründen,mithin dem Begriffe eines öffentlichen Rechts allenGehorsam aufzukündigen (welches vornehmlich indem des Völkerrechts auffallend ist), sondern ihm ansich alle gebührende Ehre widerfahren lassen, wennsie auch hundert Ausflüchte und Bemäntelungen aus-sinnen sollten, um ihm in der Praxis auszuweichen,und der verschmitzten Gewalt die Autorität anzudich-ten, der Ursprung und der Verband alles Rechts zusein. – Um dieser Sophisterei (wenn gleich nicht derdurch sie beschönigten Ungerechtigkeit) ein Ende zumachen, und die falsche Vertreter der Mächtigen derErde zum Geständnisse zu bringen, daß es nicht dasRecht, sondern die Gewalt sei, der sie zum Vorteilsprechen, von welcher sie, gleich als ob sie selbst hie-bei was zu befehlen hätten, den Ton annehmen, wirdes gut sein, das Blendwerk aufzudecken, womit mansich und andere hintergeht, das oberste Prinzip, vondem die Absicht auf den ewigen Frieden ausgeht, aus-findig zu machen und zu zeigen: daß alles das Böse,

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20.675 Kant-W Bd. 11, 239Kant: Zum ewigen Frieden. Ein philosophischer

was ihm im Wege ist, davon herrühre: daß der politi-sche Moralist da anfängt, wo der moralische Politikerbilligerweise endigt, und, indem er so die Grundsätzedem Zweck unterordnet (d.i. die Pferde hinter denWagen spannt), seine eigene Absicht vereitelt, die Po-litik mit der Moral in Einverständnis zu bringen.

Um die praktische Philosophie mit sich selbst einigzu machen, ist nötig, zuvörderst die Frage zu ent-scheiden; ob in Aufgaben der praktischen Vernunftvom materialen Prinzip derselben, dem Zweck (alsGegenstand der Willkür) der Anfang gemacht werdenmüsse, oder vom formalen, d.i. demjenigen (bloß aufFreiheit im äußern Verhältnis gestellten), darnach esheißt: handle so, daß du wollen kannst, deine Maximesolle ein allgemeines Gesetz werden (der Zweck magsein welcher er wolle).

Ohne alle Zweifel muß das letztere Prinzip voran-gehen: denn es hat, als Rechtsprinzip, unbedingteNotwendigkeit, statt dessen das erstere, nur unterVoraussetzung empirischer Bedingungen des vorge-setzten Zweck? nämlich der Ausführung desselben,nötigend ist, und, wenn dieser Zweck (z.B. der ewigeFriede) auch Pflicht wäre, so müßte doch diese selbstaus dem formalen Prinzip der Maximen, äußerlich zuhandeln, abgeleitet worden sein. – Nun ist das ersterePrinzip, das des politischen Moralisten (das Problemdes Staats-, Völker- und Weltbürgerrechts), eine

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20.676 Kant-W Bd. 11, 240Kant: Zum ewigen Frieden. Ein philosophischer

bloße Kunstaufgabe (problema technicum), das zwei-te dagegen, als Prinzip des moralischen Politikers,welchem es eine sittliche Aufgabe (problema morale)ist, im Verfahren von dem anderen himmelweit unter-schieden, um den ewigen Frieden, den man nun nichtbloß als physisches Gut, sondern auch als einen ausPflichtanerkennung hervorgehenden Zustand wünscht,herbeizuführen.

Zur Auflösung des ersten, nämlich des Staats-Klugheitsproblems, wird viel Kenntnis der Natur er-fordert, um ihren Mechanism zu dem gedachtenZweck zu benutzen, und doch ist alle diese ungewißin Ansehung ihres Resultats, den ewigen Frieden be-treffend; man mag nun die eine oder die andere derdrei Abteilungen des öffentlichen Rechts nehmen. Obdas Volk im Gehorsam und zugleich im Flor besserdurch Strenge, oder Lockspeise der Eitelkeit, ob durchObergewalt eines einzigen, oder durch Vereinigungmehrerer Häupter, vielleicht auch bloß durch einenDienstadel, oder durch Volksgewalt, im Innern, undzwar auf lange Zeit, gehalten werden könne, ist unge-wiß. Man hat von allen Regierungsarten (die einzigeecht-republikanische, die aber nur einem moralischenPolitiker in den Sinn kommen kann, ausgenommen)Beispiele des Gegenteils in der Geschichte. – NochUngewisser ist ein auf Statute nach Ministerialplanenvorgeblich errichtetes Völkerrecht, welches in der Tat

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20.677 Kant-W Bd. 11, 241Kant: Zum ewigen Frieden. Ein philosophischer

nur ein Wort ohne Sache ist, und auf Verträgen be-ruht, die in demselben Akt ihrer Beschließung zu-gleich den geheimen Vorbehalt ihrer Übertretung ent-halten. – Dagegen dringt sich die Auflösung des zwei-ten, nämlich des Staatsweisheitsproblems, so zusagen, von selbst auf, ist jedermann einleuchtend, undmacht alle Künstelei zu Schanden, führt dabei geradezum Zweck; doch mit der Erinnerung der Klugheit,ihn nicht übereilterweise mit Gewalt herbei zu ziehen,sondern sich ihm, nach Beschaffenheit der günstigenUmstände, unablässig zu nähern.

Da heißt es denn: »trachtet allererst nach dem Rei-che der reinen praktischen Vernunft und nach seinerGerechtigkeit, so wird euch euer Zweck (die Wohltatdes ewigen Friedens) von selbst zufallen«. Denn dashat die Moral Eigentümliches an sich, und zwar inAnsehung ihrer Grundsätze des öffentlichen Rechts(mithin in Beziehung auf eine a priori erkennbare Po-litik), daß, je weniger sie das Verhalten von dem vor-gesetzten Zweck, dem beabsichtigten, es sei physi-schem oder sittlichem Vorteil, abhängig macht, destomehr sie dennoch zu diesem im allgemeinen zusam-menstimmt; welches daher kömmt, weil es gerade dera priori gegebene allgemeine Wille (in einem Volk,oder im Verhältnis verschiedener Völker unter einan-der) ist, der allein, was unter Menschen Rechtens ist,bestimmt; diese Vereinigung des Willens aller aber,

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20.678 Kant-W Bd. 11, 241Kant: Zum ewigen Frieden. Ein philosophischer

wenn nur in der Ausübung konsequent verfahrenwird, auch nach dem Mechanism der Natur, zugleichdie Ursache sein kann, die abgezweckte Wirkung her-vorzubringen, und dem Rechtsbegriffe Effekt zu ver-schaffen. – So ist es z.B. ein Grundsatz der morali-schen Politik: daß sich ein Volk zu einem Staat nachden alleinigen Rechtsbegriffen der Freiheit undGleichheit vereinigen solle, und dieses Prinzip istnicht auf Klugheit, sondern auf Pflicht gegründet.Nun mögen dagegen politische Moralisten noch soviel über den Naturmechanism einer in Gesellschafttretenden Menschenmenge, welcher jene Grundsätzeentkräftete, und ihre Absicht vereiteln werde, vernünf-teln, oder auch durch Beispiele schlecht organisierterVerfassungen alter und neuer Zeiten (z.B. von Demo-kratien ohne Repräsentationssystem) ihre Behauptungdagegen zu beweisen suchen, so verdienen sie keinGehör; vornehmlich, da eine solche verderblicheTheorie das Übel wohl gar selbst bewirkt, was sievorhersagt, nach welcher der Mensch mit den übrigenlebenden Maschinen in eine Klasse geworfen wird,denen nur noch das Bewußtsein, daß sie nicht freieWesen sind, beiwohnen dürfte, um sie in ihrem eige-nen Urteil zu den elendesten unter allen Weltwesen zumachen.

Der zwar etwas renommistisch klingende, sprüch-wörtlich in Umlauf gekommene, aber wahre Satz: fiat

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20.679 Kant-W Bd. 11, 242Kant: Zum ewigen Frieden. Ein philosophischer

iustitia, pereat mundus, das heißt zu deutsch: »esherrsche Gerechtigkeit, die Schelme in der Weltmögen auch insgesamt darüber zu Grunde gehen«, istein wackerer, alle durch Arglist oder Gewalt vorge-zeichnete krumme Wege abschneidender Rechts-grundsatz; nur daß er nicht mißverstanden, und etwaals Erlaubnis, sein eigenes Recht mit der größtenStrenge zu benutzen (welches der ethischen Pflichtwiderstreiten würde), sondern als Verbindlichkeit derMachthabenden, niemanden sein Recht aus Ungunstoder Mitleiden gegen andere zu weigern oder zuschmälern, verstanden wird; wozu vorzüglich einenach reinen Rechtsprinzipien eingerichtete innereVerfassung des Staats, dann aber auch die der Verei-nigung desselben mit andern benachbarten oder auchentfernten Staaten zu einer (einem allgemeinen Staatanalogischen) gesetzlichen Ausgleichung ihrer Strei-tigkeiten erfordert wird. – Dieser Satz will nichts an-ders sagen, als: die politische Maximen müssen nichtvon der, aus ihrer Befolgung zu erwartenden, Wohl-fahrt und Glückseligkeit eines jeden Staats, also nichtvom Zweck, den sich ein jeder derselben zum Gegen-stande macht (vom Wollen), als dem obersten (aberempirischen) Prinzip der Staatsweisheit, sondern vondem reinen Begriff der Rechtspflicht (vom Sollen,dessen Prinzip a priori durch reine Vernunft gegebenist) ausgehen, die physische Folgen daraus mögen

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20.680 Kant-W Bd. 11, 242Kant: Zum ewigen Frieden. Ein philosophischer

auch sein, welche sie wollen. Die Welt wird keines-weges dadurch untergehen, daß der bösen Menschenweniger wird. Das moralisch Böse hat die von seinerNatur unabtrennliche Eigenschaft, daß es in seinenAbsichten (vornehmlich in Verhältnis gegen andereGleichgesinnete) sich selbst zuwider und zerstörendist, und so dem (moralischen) Prinzip des Guten,wenn gleich durch langsame Fortschritte, Platz macht.

* * *

Es gibt also objektiv (in der Theorie) gar keinenStreit zwischen der Moral und der Politik. Dagegensubjektiv (in dem selbstsüchtigen Hange der Men-schen, der aber, weil er nicht auf Vernunftmaximengegründet ist, noch nicht Praxis genannt werden muß)wird und mag er immer bleiben, weil er zum Wetz-stein der Tugend dient, deren wahrer Mut (nach demGrundsatze: tu ne cede malis, sed contra audentiorito) in gegenwärtigem Falle nicht sowohl darin be-steht, den Übeln und Aufopferungen mit festem Vor-satz sich entgegenzusetzen, welche hiebei übernom-men werden müssen, sondern dem weit gefährlichemlügenhaften und verräterischen, aber doch vernünf-telnden, die Schwäche der menschlichen Natur zurRechtfertigung aller Übertretung vorspiegelndenbösen Prinzip in uns selbst, in die Augen zu sehen

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20.681 Kant-W Bd. 11, 243Kant: Zum ewigen Frieden. Ein philosophischer

und seine Arglist zu besiegen.In der Tat kann der politische Moralist sagen: Re-

gent und Volk, oder Volk und Volk tun einandernicht Unrecht, wenn sie einander gewalttätig oder hin-terlistig befehden, ob sie zwar überhaupt darin Un-recht tun, daß sie dem Rechtsbegriffe, der allein denFrieden auf ewig begründen könnte, alle Achtung ver-sagen. Denn weil der eine seine Pflicht gegen den an-dern übertritt, der gerade eben so rechtswidrig gegenjenen gesinnt ist, so geschieht ihnen beiderseits ganzrecht, wenn sie sich unter einander aufreiben, doch so,daß von dieser Rasse immer noch genug übrig bleibt,um dieses Spiel bis zu den entferntesten Zeiten nichtaufhören zu lassen, damit eine späte Nachkommen-schaft an ihnen dereinst ein warnendes Beispielnehme. Die Vorsehung im Laufe der Welt ist hiebeigerechtfertigt; denn das moralische Prinzip im Men-schen erlöscht nie, die, pragmatisch, zur Ausführungder rechtlichen Ideen nach jenem Prinzip tüchtigeVernunft wächst noch dazu beständig durch immerfortschreitende Kultur, mit ihr aber auch die Schuldjener Übertretungen. Die Schöpfung allein: daß näm-lich ein solcher Schlag von verderbten Wesen über-haupt hat auf Erden sein sollen, scheint durch keineTheodizee gerechtfertigt werden zu können (wenn wirannehmen, daß es mit dem Menschengeschlechte niebesser bestellt sein werde noch könne); aber dieser

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20.682 Kant-W Bd. 11, 244Kant: Zum ewigen Frieden. Ein philosophischer

Standpunkt der Beurteilung ist für uns viel zu hoch,als daß wir unsere Begriffe (von Weisheit) der ober-sten uns unerforschlichen Macht in theoretischer Ab-sicht unterlegen könnten. – Zu solchen verzweifeltenFolgerungen werden wir unvermeidlich hingetrieben,wenn wir nicht annehmen, die reine Rechtsprinzipienhaben objektive Realität, d.i. sie lassen sich aus-führen; und darnach müsse auch von Seiten des Volksim Staate, und weiterhin von Seiten der Staaten gegeneinander, gehandelt werden; die empirische Politikmag auch dagegen einwenden, was sie wolle. Diewahre Politik kann also keinen Schritt tun, ohne vor-her der Moral gehuldigt zu haben, und ob zwar Poli-tik für sich selbst eine schwere Kunst ist, so ist dochVereinigung derselben mit der Moral gar keine Kunst;denn diese haut den Knoten entzwei, den jene nichtaufzulösen vermag, sobald beide einander widerstrei-ten. – Das Recht dem Menschen muß heilig gehaltenwerden, der herrschenden Gewalt mag es auch nochso große Aufopferung kosten. Man kann hier nichthalbieren, und das Mittelding eines pragmatisch-be-dingten Rechts (zwischen Recht und Nutzen) aussin-nen, sondern alle Politik muß ihre Knie vor dem er-stern beugen, kann aber dafür hoffen, ob zwar lang-sam, zu der Stufe zu gelangen, wo sie beharrlich glän-zen wird.

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20.683 Kant-W Bd. 11, 244Kant: Zum ewigen Frieden. Ein philosophischer

II. Von der Einhelligkeit der Politik mit derMoral nach dem transzendentalen Begriffe des

öffentlichen Rechts

Wenn ich von aller Materie des öffentlichen Rechts(nach den verschiedenen empirisch-gegebenen Ver-hältnissen der Menschen im Staat oder auch der Staa-ten unter einander), so wie es sich die Rechtslehrergewöhnlich denken, abstrahiere, so bleibt mir nochdie Form der Publizität übrig, deren Möglichkeit einjeder Rechtsanspruch in sich enthält, weil ohne jenees keine Gerechtigkeit (die nur als öffentlich kundbargedacht werden kann), mit hin auch kein Recht, dasnur von ihr erteilt wird, geben würde.

Diese Fähigkeit der Publizität muß jeder Rechtsan-spruch haben, und sie kann also, da es sich ganzleicht beurteilen läßt, ob sie in einem vorkommendenFalle statt finde, d.i. ob sie sich mit den Grundsätzendes Handelnden vereinigen lasse oder nicht, ein leichtzu brauchendes, a priori in der Vernunft anzutreffen-des Kriterium abgeben, im letzteren Fall die Falsch-heit (Rechtswidrigkeit) des gedachten Anspruchs(praetensio iuris), gleichsam durch ein Experiment derreinen Vernunft, so fort zu erkennen.

Nach einer solchen Abstraktion von allem Empiri-schen, was der Begriff des Staats- und Völkerrechts

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enthält (dergleichen das Bösartige der menschlichenNatur ist, welches den Zwang notwendig macht),kann man folgenden Satz die transzendentale Formeldes öffentlichen Rechts nennen:

»Alle auf das Recht anderer Menschen bezogeneHandlungen, deren Maxime sich nicht mit der Pu-blizität verträgt, sind unrecht«.Dieses Prinzip ist nicht bloß als ethisch (zur Tu-

gendlehre gehörig), sondern auch als juridisch (dasRecht der Menschen angehend) zu betrachten. Denneine Maxime, die ich nicht darf laut werden lassen,ohne dadurch meine eigene Absicht zugleich zu verei-teln, die durchaus verheimlicht werden muß, wenn siegelingen soll, und zu der ich mich nicht öffentlich be-kennen kann, ohne daß dadurch unausbleiblich derWiderstand aller gegen meinen Vorsatz gereizt werde,kann diese notwendige und allgemeine, mithin a prio-ri einzusehende, Gegenbearbeitung aller gegen michnirgend wovon anders, als von der Ungerechtigkeither haben, womit sie jedermann bedroht. – Es ist fer-ner bloß negativ, d.i. es dient nur, um, vermittelstdesselben, was gegen andere nicht recht ist, zu erken-nen. – Es ist gleich einem Axiom unerweislich-gewißund überdem leicht anzuwenden, wie aus folgendenBeispielen des öffentlichen Rechts zu ersehen ist.

1. Was das Staatsrecht (ius civitatis), nämlich dasinnere betrifft: so kommt in ihm die Frage vor, welche

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viele für schwer zu beantworten halten, und die dastranszendentale Prinzip der Publizität ganz leicht auf-löset: »ist Aufruhr ein rechtmäßiges Mittel für einVolk, die drückende Gewalt eines so genannten Ty-rannen (non titulo sed exercitio talis) abzuwerfen?«Die Rechte des Volks sind gekränkt, und ihm (demTyrannen) geschieht kein Unrecht durch die Entthro-nung; daran ist kein Zweifel. Nichts desto weniger istes doch von den Untertanen im höchsten Grade un-recht, auf diese Art ihr Recht zu suchen, und sie kön-nen eben so wenig über Ungerechtigkeit klagen, wennsie in diesem Streit unterlägen und nachher deshalbdie härteste Strafe ausstehen müßten.

Hier kann nun vieles für und dawider vernünfteltwerden, wenn man es durch eine dogmatische Deduk-tion der Rechtsgründe ausmachen will; allein dastranszendentale Prinzip der Publizität des öffentlichenRechts kann sich diese Weitläuftigkeit ersparen. Nachdemselben fragt sich vor Errichtung des bürgerlichenVertrags das Volk selbst, ob es sich wohl getraue, dieMaxime des Vorsatzes einer gelegentlichen Empö-rung öffentlich bekannt zu machen. Man sieht leichtein, daß, wenn man es bei der Stiftung einer Staats-verfassung zur Bedingung machen wollte, in gewissenvorkommenden Fällen gegen das Oberhaupt Gewaltauszuüben, so müßte das Volk sich einer rechtmäßi-gen Macht über jenes anmaßen. Alsdann wäre jenes

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aber nicht das Oberhaupt, oder, wenn beides zur Be-dingung der Staatserrichtung gemacht würde, sowürde gar keine möglich sein, welches doch die Ab-sicht des Volks war. Das Unrecht des Aufruhrs leuch-tet also dadurch ein, daß die Maxime desselben da-durch, daß man sich öffentlich dazu bekennte, seineeigene Absicht unmöglich machen würde. Man müßtesie also notwendig verheimlichen. – Das letztere wäreaber von Seiten des Staatsoberhaupts eben nicht not-wendig. Er kann frei heraus sagen, daß er jeden Auf-ruhr mit dem Tode der Rädelsführer bestrafen werde,diese mögen auch immer glauben, er habe seinerseitsdas Fundamentalgesetz zuerst übertreten; denn wenner sich bewußt ist, die unwiderstehliche Obergewaltzu besitzen (welches auch in jeder bürgerlichen Ver-fassung so angenommen werden muß, weil der, wel-cher nicht Macht genug hat, einen jeden im Volkgegen den andern zu schützen, auch nicht das Rechthat, ihm zu befehlen), so darf er nicht sorgen, durchdie Bekanntwerdung seiner Maxime seine eigene Ab-sicht zu vereiteln, womit auch ganz wohl zusammen-hängt, daß, wenn der Aufruhr dem Volk gelänge,jenes Oberhaupt in die Stelle des Untertans zurücktre-ten, eben sowohl keinen Wiedererlangungsaufruhr be-ginnen, aber auch nicht zu befürchten haben müßte,wegen seiner vormaligen Staatsführung zur Rechen-schaft gezogen zu werden.

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2. Was das Völkerrecht betrifft. – Nur unter Vor-aussetzung irgend eines rechtlichen Zustandes (d.i.derjenigen äußeren Bedingung, unter der dem Men-schen ein Recht wirklich zu Teil werden kann) kannvon einem Völkerrecht die Rede sein; weil es, als einöffentliches Recht, die Publikation eines, jedem dasSeine bestimmenden, allgemeinen Willens schon inseinem Begriffe enthält, und dieser status iuridicusmuß aus irgend einem Vertrage hervorgehen, der nichteben (gleich dem) woraus ein Staat entspringt, aufZwangsgesetze gegründet sein darf, sondern allenfallsauch der einer fortwährend-freien Assoziation seinkann, wie der oben erwähnte der Föderalität verschie-dener Staaten. Denn ohne irgend einen rechtlichenZustand, der die verschiedene (physische oder morali-sche) Personen tätig verknüpft, mithin im Natur-stande, kann es kein anderes als bloß ein Privatrechtgeben. – Hier tritt nun auch ein Streit der Politik mitder Moral (diese als Rechtslehre betrachtet) ein, wodann jenes Kriterium der Publizität der Maximengleichfalls seine leichte Anwendung findet, doch nurso: daß der Vertrag die Staaten nur in der Absichtverbindet, unter einander und zusammen gegen andereStaaten sich im Frieden zu erhalten, keinesweges aberum Erwerbungen zu machen. – Da treten nun folgen-de Fälle der Antinomie zwischen Politik und Moralein, womit zugleich die Lösung derselben verbunden

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20.688 Kant-W Bd. 11, 248Kant: Zum ewigen Frieden. Ein philosophischer

wird.a) »Wenn einer dieser Staaten dem andern etwas

versprochen hat: es sei Hülfleistung, oder Abtretunggewisser Länder, oder Subsidien u. d. gl., fragt sich,ob er sich in einem Fall, an dem des Staats Heilhängt, vom Worthalten dadurch los machen kann, daßer sich in einer doppelten Person betrachtet wissenwill, erstlich als Souverän, da er niemanden in seinemStaat verantwortlich ist; dann aber wiederum bloß alsoberster Staatsbeamte, der dem Staat Rechenschaftgeben müsse: da denn der Schluß dahin ausfällt, daß,wozu er sich in der ersteren Qualität verbindlich ge-macht hat, davon werde er in der zweiten losgespro-chen.« – Wenn nun aber ein Staat (oder dessen Ober-haupt) diese seine Maxime laut werden ließe, sowürde natürlicherweise entweder ein jeder andere ihnfliehen, oder sich mit anderen vereinigen, um seinenAnmaßungen zu widerstehen, welches beweiset, daßPolitik mit aller ihrer Schlauigkeit auf diesen Fuß (derOffenheit) ihren Zweck selber vereiteln, mithin jeneMaxime unrecht sein müsse.

b) »Wenn eine bis zur furchtbaren Größe (potentiatremenda) angewachsene benachbarte Macht Besorg-nis erregt: kann man annehmen, sie werde, weil siekann, auch unterdrücken wollen, und gibt das derMindermächtigen ein Recht zum (vereinigten) Angrif-fe derselben, auch ohne vorhergegangene Beleidi-

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20.689 Kant-W Bd. 11, 248Kant: Zum ewigen Frieden. Ein philosophischer

gung?« – Ein Staat, der seine Maxime hier bejahendverlautbaren wollte, würde das Übel nur noch gewis-ser und schneller herbeiführen. Denn die größereMacht würde der kleineren zuvorkommen, und, wasdie Vereinigung der letzteren betrifft, so ist das nurein schwacher Rohrstab gegen den, der das divide etimpera zu benutzen weiß. – Diese Maxime der Staats-klugheit, öffentlich erklärt, vereitelt also notwendigihre eigene Absicht, und ist folglich ungerecht.

c) »Wenn ein kleinerer Staat durch seine Lage denZusammenhang eines größeren trennt, der diesemdoch zu seiner Erhaltung nötig ist, ist dieser nicht be-rechtigt, jenen sich zu unterwerfen und mit dem seini-gen zu vereinigen?« – Man sieht leicht, daß der grö-ßere eine solche Maxime ja nicht vorher müsse lautwerden lassen; denn, entweder die kleinem Staatenwürden sich frühzeitig vereinigen, oder andere Mäch-tige würden um diese Beute streiten, mithin macht siesich durch ihre Offenheit selbst untunlich; ein Zei-chen, daß sie ungerecht ist und es auch in sehr hohemGrade sein kann; denn ein klein Objekt der Ungerech-tigkeit hindert nicht, daß die daran bewiesene Unge-rechtigkeit sehr groß sei.

3. Was das Weltbürgerrecht betrifft, so übergeheich es hier mit Stillschweigen; weil, wegen der Analo-gie desselben mit dem Völkerrecht, die Maximen des-selben leicht anzugeben und zu würdigen sind.

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* * *

Man hat hier nun zwar, an dem Prinzip der Unver-träglichkeit der Maximen des Völkerrechts mit derPublizität, ein gutes Kennzeichen der Nichtüberein-stimmung der Politik mit der Moral (als Rechtslehre).Nun bedarf man aber auch belehrt zu werden, welchesdenn die Bedingung ist, unter der ihre Maximen mitdem Recht der Völker übereinstimmen? Denn es läßtsich nicht umgekehrt schließen: daß, welche Maximendie Publizität vertragen, dieselbe darum auch gerechtsind; weil, wer die entschiedene Obermacht hat, sei-ner Maximen nicht Hehl haben darf. – Die Bedingungder Möglichkeit eines Völkerrechts überhaupt ist: daßzuvörderst ein rechtlicher Zustand existiere. Dennohne diesen gibt's kein öffentliches Recht, sondernalles Recht, was man sich außer demselben denkenmag (im Naturzustande), ist bloß Privatrecht. Nunhaben wir oben gesehen: daß ein föderativer Zustandder Staaten, welcher bloß die Entfernung des Kriegeszur Absicht hat, der einzige, mit der Freiheit dersel-ben vereinbare, rechtliche Zustand sei. Also ist dieZusammenstimmung der Politik mit der Moral nur ineinem föderativen Verein (der also nach Rechtsprinzi-pien a priori gegeben und notwendig ist) möglich,und alle Staatsklugheit hat zur rechtlichen Basis die

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Stiftung des ersteren, in ihrem größt-möglichen Um-fange, ohne welchen Zweck alle ihre Klügelei Un-weisheit und verschleierte Ungerechtigkeit ist. –Diese Afterpolitik hat nun ihre Kasuistik, trotz derbesten Jesuiterschule – die reservatio mentalis: in Ab-fassung öffentlicher Verträge, mit solchen Ausdrük-ken, die man gelegentlich zu seinem Vorteil auslegenkann, wie man will (z.B. den Unterschied des statusquo de fait und de droit); – den Probabilismus: böseAbsichten an anderen zu erklügeln, oder auch Wahr-scheinlichkeiten ihres möglichen Übergewichts zumRechtsgrunde der Untergrabung anderer friedlicherStaaten zu machen; – endlich das peccatum philoso-phicum (peccatillum, bagatelle): Das Verschlingeneines kleinen Staats, wenn dadurch ein viel größerer,zum vermeintlich größern Weltbesten, gewinnt, füreine leicht-verzeihliche Kleinigkeit zu halten.16

Den Vorschub hiezu gibt die Zweizüngigkeit derPolitik in Ansehung der Moral, einen oder den andernZweig derselben zu ihrer Absicht zu benutzen. – Bei-des, die Menschenliebe und die Achtung fürs Rechtder Menschen, ist Pflicht; jene aber nur bedingte,diese dagegen unbedingte, schlechthin gebietendePflicht, welche nicht übertreten zu haben derjenigezuerst völlig versichert sein muß, der sich dem süßenGefühl des Wohltuns überlassen will. Mit der Moralim ersteren Sinne (als Ethik) ist die Politik leicht ein-

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verstanden, um das Recht der Menschen ihren OberenPreis zu geben: Aber mit der in der zweiten Bedeu-tung (als Rechtslehre), vor der sie ihre Knie beugenmüßte, findet sie es ratsam sich gar nicht auf Vertrageinzulassen, ihr lieber alle Realität abzustreiten, undalle Pflichten auf lauter Wohlwollen auszudeuten;welche Hinterlist einer lichtscheuen Politik doch vonder Philosophie durch die Publizität jener ihrer Maxi-men leicht vereitelt werden würde, wenn jene es nurwagen wollte, dem Philosophen die Publizität der sei-nigen angedeihen zu lassen.

In dieser Absicht schlage ich ein anderes transzen-dentales und bejahendes Prinzip des öffentlichenRechts vor, dessen Formel diese sein würde:

»Alle Maximen, die der Publizität bedürfen (umihren Zweck nicht zu verfehlen), stimmen mitRecht und Politik vereinigt zusammen«.Denn, wenn sie nur durch die Publizität ihren

Zweck erreichen können, so müssen sie dem allgemei-nen Zweck des Publikums (der Glückseligkeit) gemäßsein, womit zusammen zu stimmen (es mit seinem Zu-stande zufrieden zu machen) die eigentliche Aufgabeder Politik ist. Wenn aber dieser Zweck nur durch diePublizität, d.i. durch die Entfernung alles Mißtrauensgegen die Maximen derselben, erreichbar sein soll, somüssen diese auch mit dem Recht des Publikums inEintracht stehen; denn in diesem allein ist die Vereini-

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gung der Zwecke aller möglich. – Die weitere Aus-führung und Erörterung dieses Prinzips muß ich füreine andere Gelegenheit aussetzen; nur daß es einetranszendentale Formel sei, ist aus der Entfernungaller empirischen Bedingungen (der Glückseligkeits-lehre), als der Materie des Gesetzes und der bloßenRücksicht auf die Form der allgemeinen Gesetzmä-ßigkeit zu ersehen.

* * *

Wenn es Pflicht, wenn zugleich gegründete Hoff-nung da ist, den Zustand eines öffentlichen Rechts,obgleich nur in einer ins Unendliche fortschreitendenAnnäherung wirklich zu machen, so ist der ewigeFriede, der auf die bisher fälschlich so genannte Frie-densschlüsse (eigentlich Waffenstillstände) folgt,keine leere Idee, sondern eine Aufgabe, die, nach undnach aufgelöst, ihrem Ziele (weil die Zeiten, in denengleiche Fortschritte geschehen) hoffentlich immer kür-zer werden, beständig näher kommt.

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Fußnoten

1 Ein Erbreich ist nicht ein Staat, der von einem an-dern Staate, sondern dessen Recht zu regieren an eineandere physische Person vererbt werden kann. DerStaat erwirbt alsdann einen Regenten, nicht dieser alsein solcher (d.i. der schon ein anderes Reich besitzt)den Staat.

2 Ob es außer dem Gebot (leges praeceptivae), undVerbot (leges prohibitivae) noch Erlaubnisgesetze(leges permissivae) der reinen Vernunft geben könne,ist bisher nicht ohne Grund bezweifelt worden. DennGesetze überhaupt enthalten einen Grund objektiverpraktischer Notwendigkeit, Erlaubnis aber einen derpraktischen Zufälligkeit gewisser Handlungen; mithinwürde ein Erlaubnisgesetz Nötigung zu einer Hand-lung, zu dem, wozu jemand nicht genötiget werdenkann, enthalten, welches, wenn das Objekt des Geset-zes in beiderlei Beziehung einerlei Bedeutung hätte,ein Widerspruch sein würde. – Nun geht aber hier imErlaubnisgesetze das vorausgesetzte Verbot nur aufdie künftige Erwerbungsart eines Rechts (z.B. durchErbschaft), die Befreiung aber von diesem Verbot, d.i.die Erlaubnis, auf den gegenwärtigen Besitzstand,welcher letztere, im Überschritt aus dem Naturzu-

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20.695 Kant-W Bd. 11Kant: Zum ewigen Frieden. Ein philosophischer

stande in den bürgerlichen, als ein, obwohl unrecht-mäßiger, dennoch ehrlicher, Besitz (possessio putati-va) nach einem Erlaubnisgesetz des Naturrechts nochfernerhin fortdauern kann, obgleich ein putativer Be-sitz, so bald er als ein solcher erkannt worden, im Na-turzustande, im gleichen eine ähnliche Erwerbungsartim nachmaligen bürgerlichen (nach geschehenemÜberschritt) verboten ist, welche Befugnis des fort-daurenden Besitzes nicht statt finden würde, wenneine solche vermeintliche Erwerbung im bürgerlichenZustande geschehen wäre; denn da würde er, als Läsi-on, sofort nach Entdeckung seiner Unrechtmäßigkeitaufhören müssen.Ich habe hiemit nur beiläufig die Lehrer des Natur-rechts auf den Begriff einer lex permissiva, welchersich einer systematisch-einteilenden Vernunft vonselbst darbietet, aufmerksam machen wollen; vor-nehmlich, da im Zivilgesetze (statuarischen) öftersdavon Gebrauch gemacht wird, nur mit dem Unter-schiede, daß das Verbotgesetz für sich allein dasteht,die Erlaubnis aber nicht als einschränkende Bedin-gung (wie es sollte) in jenes Gesetz mit hinein ge-bracht, sondern unter die Ausnahmen geworfenwird. – Da heißt es dann: dies oder jenes wird verbo-ten: es sei denn Nr. 1, Nr. 2, Nr. 3, und so weiter insUnabsehliche, die Erlaubnisse nur zufälliger Weise,nicht nach einem Prinzip, sondern durch Herumtap-

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pen unter vorkommenden Fällen, zum Gesetz hinzu-kommen; denn sonst hätten die Bedingungen in dieFormel des Verbotsgesetzes mit hineingebracht wer-den müssen, wodurch es dann zugleich ein Erlaubnis-gesetz geworden wäre. – Es ist daher zu bedauern,daß die sinnreiche, aber unaufgelöst geblichene,Preisaufgabe des eben so weisen als scharfsinnigenHerrn Grafen von Windischgrätz, welche gerade aufdas letztere drang, sobald verlassen worden. Denn dieMöglichkeit einer solchen (der mathematischen ähnli-chen) Formel ist der einzige echte Probierstein einerkonsequent bleibenden Gesetzgebung, ohne welchedas so genannte ius certum immer ein frommerWunsch bleiben wird, – Sonst wird man bloß genera-le Gesetze (die im allgemeinen gelten), aber keineuniversale (die allgemein gelten) haben, wie es dochder Begriff eines Gesetzes zu erfordern scheint.

3 Gemeiniglich nimmt man an, daß man gegen nie-mand feindlich verfahren dürfe, als nur, wenn er michschon tätig lädiert hat, und das ist auch ganz richtig,wenn beide im bürgerlich-gesetzlichen Zustandesind. Denn dadurch, daß dieser in denselben getretenist, leistet er jenem (vermittelst der Obrigkeit, welcheüber beide Gewalt hat) die erforderliche Sicherheit. –Der Mensch aber (oder das Volk) im bloßen Natur-stande benimmt mir diese Sicherheit, und lädiert mich

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20.697 Kant-W Bd. 11Kant: Zum ewigen Frieden. Ein philosophischer

schon durch eben diesen Zustand, indem er neben mirist, obgleich nicht tätig (facto), doch durch die Ge-setzlosigkeit seines Zustandes (statu iniusto), wo-durch ich beständig von ihm bedroht werde, und ichkann ihn nötigen, entweder mit mir in einen gemein-schaftlich-gesetzlichen Zustand zu treten, oder ausmeiner Nachbarschaft zu weichen. – Das Postulatalso, was allen folgenden Artikeln zum Grunde liegt,ist: Alle Menschen, die auf einander wechselseitigeinfließen können, müssen zu irgend einer bürgerli-chen Verfassung gehören.Alle rechtliche Verfassung aber ist, was die Personenbetrifft, die darin stehen,1) die nach dem Staatsbürgerrecht der Menschen, ineinem Volke (ius civitatis),2) nach dem Völkerrecht der Staaten in Verhältnisgegen einander (ius gentium),3) die nach dem Weltbürgerrecht, so fern Menschenund Staaten, in äußerem auf einander einfließendemVerhältnis stehend, als Bürger eines allgemeinenMenschenstaats anzusehen sind (ius cosmopoliticum).Diese Einteilung ist nicht willkürlich, sondern not-wendig in Beziehung auf die Idee vom ewigen Frie-den. Denn wenn nur einer von diesen im Verhältnissedes physischen Einflusses auf den andern, und dochim Naturstande wäre, so würde damit der Zustand desKrieges verbunden sein, von dem befreit zu werden

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hier eben die Absicht ist.

4 Rechtliche (mithin äußere) Freiheit kann nicht, wieman wohl zu tun pflegt, durch die Befugnis definiertwerden: »alles zu tun, was man will, wenn man nurkeinem Unrecht tut«. Denn was heißt Befugnis? DieMöglichkeit einer Handlung, so fern man dadurchkeinem Unrecht tut. Also würde die Erklärung so lau-ten: »Freiheit ist die Möglichkeit der Handlungen, da-durch man keinem Unrecht tut. Man tut keinem Un-recht (man mag auch tun was man will), wenn mannur keinem Unrecht tut«: folglich ist es leere Tautolo-gie. – Vielmehr ist meine äußere (rechtliche) Freiheitso zu erklären: sie ist die Befugnis, keinen äußerenGesetzen zu gehorchen, als zu denen ich meine Bei-stimmung habe geben können. – Eben so ist äußere(rechtliche) Gleichheit in einem Staate dasjenige Ver-hältnis der Staatsbürger, nach welchem keiner den an-dern wozu rechtlich verbinden kann, ohne daß er sichzugleich dem Gesetz unterwirft, von diesem wechsel-seitig auf dieselbe Art auch verbunden werden zukönnen. (Vom Prinzip der rechtlichen Abhängigkeit,da dieses schon in dem Begriffe einer Staatsverfas-sung überhaupt liegt, bedarf es keiner Erklärung.) –Die Gültigkeit dieser angebornen, zur Menschheitnotwendig gehörenden und unveräußerlichen Rechtewird durch das Prinzip der rechtlichen Verhältnisse

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des Menschen selbst zu höheren Wesen (wenn er sichsolche denkt) bestätigt und erhoben, indem er sichnach eben denselben Grundsätzen auch als Staatsbür-ger einer übersinnlichen Welt vorstellt. – Denn, wasmeine Freiheit betrifft, so habe ich, selbst in Anse-hung der göttlichen, von mir durch bloße Vernunft er-kennbaren Gesetze, keine Verbindlichkeit, als nur sofern ich dazu selber habe meine Beistimmung gebenkönnen (denn durchs Freiheitsgesetz meiner eigenenVernunft mache ich mir allererst einen Begriff vomgöttlichen Willen). Was in Ansehung des erhabenstenWeltwesens außer Gott, welches ich mir etwa denkenmöchte (einen großen Äon), das Prinzip der Gleich-heit betrifft, so ist kein Grund da, warum ich, wennich in meinem Posten meine Pflicht tue, wie jener Äones in dem seinigen, mir bloß die Pflicht zu gehorchen,jenem aber das Recht zu befehlen zukommen solle. –Daß dieses Prinzip der Gleichheit nicht (so wie dasder Freiheit) auch auf das Verhältnis zu Gott paßt,davon ist der Grund dieser, weil dieses Wesen daseinzige ist, bei dem der Pflichtbegriff aufhört.Was aber das Recht der Gleichheit aller Staatsbürger,als Untertanen, betrifft, so kommt es in Beantwortungder Frage von der Zulässigkeit des Erbadels alleindarauf an: »ob der vom Staat zugestandene Rang(eines Untertans vor dem andern) vor dem Verdienst,oder dieses vor jenem vorhergehen müsse«. – Nun ist

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offenbar: daß, wenn der Rang mit der Geburt verbun-den wird, es ganz ungewiß ist, ob das Verdienst(Amtsgeschicklichkeit und Amtstreue) auch folgenwerde; mithin ist es eben so viel, als ob er ohne allesVerdienst dem Begünstigten zugestanden würde (Be-fehlshaber zu sein); welches der allgemeine Volkswil-le in einem ursprünglichen Vertrage (der doch dasPrinzip aller Rechte ist) nie beschließen wird. Dennein Edelmann ist darum nicht so fort ein edlerMann. – Was den Amtsadel (wie man den Rang einerhöheren Magistratur nennen könnte, und den man sichdurch Verdienste erwerben muß) betrifft, so klebt derRang da nicht, als Eigentum, an der Person, sondernam Posten, und die Gleichheit wird dadurch nicht ver-letzt; weil, wenn jene ihr Amt niederlegt, sie zugleichden Rang ablegt, und unter das Volk zurücktritt. –

5 Man hat die hohe Benennungen, die einem Beherr-scher oft beigelegt werden (die eines göttlichen Ge-salbten, eines Verwesers des göttlichen Willens aufErden und Stellvertreters desselben), als grobe,schwindlig machende Schmeicheleien oft getadelt;aber mich dünkt, ohne Grund. – Weit gefehlt, daß sieden Landesherrn sollten hochmütig machen, so müs-sen sie ihn vielmehr in seiner Seele demütigen, wenner Verstand hat (welches man doch voraussetzenmuß), und es bedenkt, daß er ein Amt übernommen

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habe, was für einen Menschen zu groß ist, nämlichdas Heiligste, was Gott auf Erden hat, das Recht derMenschen zu verwalten, und diesem Augapfel Gottesirgend worin zu nahe getreten zu sein jederzeit in Be-sorgnis stehen muß.

6 Mallet du Pan rühmt in seiner genietönenden, aberhohlen und sachleeren Sprache: nach vieljähriger Er-fahrung endlich zur Überzeugung von der Wahrheitdes bekannten Spruchs des Pope gelangt zu sein: »laßüber die beste Regierung Narren streiten; die bestge-führte ist die beste«. Wenn das soviel sagen soll: dieam besten geführte Regierung ist am besten geführt,so hat er, nach Swifts Ausdruck, eine Nuß aufgebis-sen, die ihn mit einer Made belohnte; soll es aber be-deuten, sie sei auch die beste Regierungsart, d.i.Staatsverfassung, so ist es grundfalsch; denn Exempelvon guten Regierungen beweisen nichts für die Regie-rungsart. – Wer hat wohl besser regiert als ein Titusund Marcus Aurelius, und doch hinterließ der eineeinen Domitian, der andere einen Commodus zuNachfolgern; welches bei einer guten Staatsverfas-sung nicht hätte geschehen können, da ihre Untaug-lichkeit zu diesem Posten früh genug bekannt war,und die Macht des Beherrschers auch hinreichendwar, um sie auszuschließen.

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7 So gab ein bulgarischer Fürst dem griechischenKaiser, der gutmütigerweise seinen Streit mit ihmdurch einen Zweikampf ausmachen wollte, zur Ant-wort: »Ein Schmied, der Zangen hat, wird das glühen-de Eisen aus den Kohlen nicht mit seinen Händen her-auslangen «.

8 Nach einem beendigten Kriege, beim Friedens-schlusse, möchte es wohl für ein Volk nicht unschick-lich sein, daß nach dem Dankfeste ein Bußtag ausge-schrieben würde, den Himmel, im Namen des Staats,um Gnade für die große Versündigung anzurufen, diedas menschliche Geschlecht sich noch immer zuSchulden kommen läßt, sich keiner gesetzlichen Ver-fassung, im Verhältnis auf andere Völker, fügen zuwollen, sondern stolz auf seine Unabhängigkeit lieberdas barbarische Mittel des Krieges (wodurch dochdas, was gesucht wird, nämlich das Recht eines jedenStaats nicht ausgemacht wird) zu gebrauchen. – DieDankfeste während dem Kriege über einen erfochte-nen Sieg, die Hymnen, die (auf gut israelitisch) demHerrn der Heerscharen gesungen werden, stehen mitder moralischen Idee des Vaters der Menschen innicht minder starkem Kontrast; weil sie außer derGleichgültigkeit wegen der Art, wie Völker ihr gegen-seitiges Recht suchen (die traurig genug ist), nocheine Freude hineinbringen, recht viel Menschen, oder

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ihr Glück zernichtet zu haben.

9 Um dieses große Reich mit dem Namen, womit essich selbst benennt, zu schreiben (nämlich China,nicht Sina, oder einen diesem ähnlichen Laut), darfman nur Georgii Alphab. Tibet, pag. 651-654, vor-nehmlich Nota b unten, nachsehen. – Eigentlich führtes, nach des Petersb. Prof. Fischer Bemerkung, kei-nen bestimmten Namen, womit es sich selbst benennt;der gewöhnlichste ist noch der des Worts Kin, näm-lich Gold (welches die Tibetaner mit Ser ausdrücken),daher der Kaiser König des Goldes (des herrlichstenLandes von der Welt) genannt wird, welches Wortwohl im Reiche selbst wie Chin lauten, aber von denitalienischen Missionarien (des Gutturalbuchstabenswegen) wie Kin ausgesprochen sein mag. – Hierausersieht man dann, daß das von den Römern sogenann-te Land der Serer China war, die Seide aber überGroß-Tibet (vermutlich durch Klein-Tibet und dieBucharei über Persien, so weiter) nach Europa geför-dert worden, welches zu manchen Betrachtungen überdas Altertum dieses erstaunlichen Staats, in Verglei-chung mit dem von Hindustan, bei der Verknüpfungmit Tibet, und, durch dieses, mit Japan, hinleitet; in-dessen daß der Name Sina, oder Tschina, den dieNachbarn diesem Lande geben sollen, zu nichts hin-führt. – – Vielleicht läßt sich auch die uralte, ob zwar

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nie recht bekannt gewordene Gemeinschaft Europensmit Tibet aus dem, was uns Hesychius hievon aufbe-halten hat, nämlich dem Zuruf Konx Ompax (KonxOmpax) des Hierophanten in den Eleusinischen Ge-heimnissen erklären. (S. Reise des jungem Anachar-sis, 5ter Teil, S. 447 u. f.) – Denn nach Georgii Alph.Tibet, bedeutet das Wort Concioa Gott, welches eineauffallende Ähnlichkeit mit Konx hat. Pah-ciò (ib. p.520), welches von den Griechen leicht wie pax ausge-sprochen werden konnte, promulgator legis, die durchdie ganze Natur verteilte Gottheit (auch Cenresi ge-nannt, p. 177). – Om aber, welches La Croze durchbenedictus, gesegnet, übersetzt, kann, auf die Gott-heit angewandt, wohl nichts anders als den Seligge-priesenen bedeuten, p. 507. Da nun P. Franz. Hora-tius von den Tibetanischen Lamas, die er oft betrug,was sie unter Gott (Concioa) verständen, jederzeit dieAntwort bekam: »es ist die Versammlung aller Heili-gen« d.i. der seligen durch die Lamaische Wiederge-burt, nach vielen Wanderungen durch allerlei Körper,endlich in die Gottheit zurückgekehrten, in Burchane,d.i. anbetungswürdige Wesen, verwandelten Seelen(p. 223), so wird jenes geheimnisvolle Wort, KonxOmpax, wohl das heilige (Konx), selige (Om) undweise (Pax), durch die Welt überall verbreitete höch-ste Wesen (die personifizierte Natur) bedeuten sollen,und, in den griechischen Mysterien gebraucht, wohl

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den Monotheism für die Epopten, im Gegensatz mitdem Polytheism des Volks angedeutet haben; obwohlP. Horatius (a. a. O.) hierunter einen Atheism witter-te. – Wie aber jenes geheimnisvolle Wort über Tibetzu den Griechen gekommen, läßt sich auf obige Arterklären und umgekehrt dadurch auch das frühe Ver-kehr Europens mit China über Tibet (vielleicht ehernoch als mit Hindustan) wahrscheinlich machen.

10 Im Mechanism der Natur, wozu der Mensch (alsSinnenwesen) mit gehört, zeigt sich eine ihrer Exi-stenz schön zum Grunde liegende Form, die wir unsnicht anders begreiflich machen können, als indemwir ihr den Zweck eines sie vorher bestimmendenWelturhebers unterlegen, dessen Vorherbestimmungwir die (göttliche) Vorsehung überhaupt, und, sofernsie in den Anfang der Welt gelegt wird, die gründen-de (providentia conditrix; semel iussit, semper parent,Augustin.), im Laufe der Natur aber, diesen nach all-gemeinen Gesetzen der Zweckmäßigkeit zu erhalten,die waltende Vorsehung (providentia gubernatrix),ferner zu besonderen, aber von dem Menschen nichtvorherzusehenden, sondern nur aus dem Erfolg ver-muteten Zwecken die leitende (providentia directrix),endlich sogar in Ansehung einzelner Begebenheiten,als göttlicher Zwecke, nicht mehr Vorsehung, sondernFügung (directio extraordinaria) nennen, welche aber

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(da sie in der Tat auf Wunder hinweiset, obgleich dieBegebenheiten nicht so genannt werden) als solche er-kennen zu wollen törichte Vermessenheit des Men-schen ist; weil aus einer einzelnen Begebenheit aufein besonderes Prinzip der wirkenden Ursache (daßdiese Begebenheit Zweck, und nicht bloß naturmecha-nische Nebenfolge aus einem anderen uns ganz unbe-kannten Zwecke sei) zu schließen ungereimt und vollEigendünkel ist, so fromm und demütig auch dieSprache hierüber lauten mag. – Eben so ist auch dieEinteilung der Vorsehung (materialiter betrachtet),wie sie auf Gegenstände in der Welt geht, in die all-gemeine und besondere, falsch und sich selbst wider-sprechend (daß sie z.B. zwar eine Vorsorge zur Erhal-tung der Gattungen der Geschöpfe sei, die Individuenaber dem Zufall überlasse); denn sie wird eben in derAbsicht allgemein genannt, damit kein einziges Dingals davon ausgenommen gedacht werde. – Vermutlichhat man hier die Einteilung der Vorsehung (formali-ter betrachtet) nach der Art der Ausführung ihrer Ab-sicht gemeint: nämlich in ordentliche (z.B. das jährli-che Sterben und Wiederaufleben der Natur nach demWechsel der Jahreszeiten) und außerordentliche (z.B.die Zuführung des Holzes an die Eisküsten, das danicht wachsen kann, durch die Meerströme, für diedortigen Einwohner, die ohne das nicht leben konn-ten) wo, ob wir gleich die physisch-mechanische Ur-

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sache dieser Erscheinungen uns gut erklären können(z.B. durch die mit Holz bewachsene Ufer der Flüsseder temperierten Länder, in welche jene Bäume hin-einfallen, und etwa durch den Gulfstrom weiter ver-schleppt werden), wir dennoch auch die teleologischenicht übersehen müssen, die auf die Vorsorge einerüber die Natur gebietenden Weisheit hinweiset. – Nurwas den in den Schulen gebräuchlichen Begriff einesgöttlichen Beitritts, oder Mitwirkung (concursus) zueiner Wirkung in der Sinnenwelt betrifft, so muß die-ser wegfallen. Denn das Ungleichartige paaren wollen(gryphes iungere equis) und den, der selbst die voll-ständige Ursache der Weltveränderungen ist, seine ei-gene prädeterminierende Vorsehung während demWeltlaufe ergänzen zu lassen (die also mangelhaftgewesen sein müßte), z.B. zu sagen, daß nächst Gottder Arzt den Kranken zurecht gebracht habe, also alsBeistand dabei gewesen sei, ist erstlich an sich wider-sprechend. Denn causa solitaria non iuvat. Gott istder Urheber des Arztes samt allen seinen Heilmitteln,und so muß ihm, wenn man ja bis zum höchsten, unstheoretisch unbegreiflichen Urgrunde hinaufsteigenwill, die Wirkung ganz zugeschrieben werden. Oderman kann sie auch ganz dem Arzt zuschreiben, sofern wir diese Begebenheit als nach der Ordnung derNatur erklärbar in der Kette der Weltursachen verfol-gen. Zweitens bringt eine solche Denkungsart auch

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um alle bestimmte Prinzipien der Beurteilung einesEffekts. Aber in moralisch-praktischer Absicht (diealso ganz aufs Übersinnliche gerichtet ist), z.B. indem Glauben, daß Gott den, Mangel unserer eigenenGerechtigkeit, wenn nur unsere Gesinnung echt war,auch durch uns unbegreifliche Mittel ergänzen werde,wir also in der Bestrebung zum Guten nichts nachlas-sen sollen, ist der Begriff des göttlichen Concursusganz schicklich und sogar notwendig; wobei es sichaber von selbst versteht, daß niemand eine gute Hand-lung (als Begebenheit in der Welt) hieraus zu erklä-ren versuchen muß, welches ein vorgebliches theore-tisches Erkenntnis des Übersinnlichen, mithin unge-reimt ist.

11 Unter allen Lebensweisen ist das Jagdleben ohneZweifel der gesitteten Verfassung am meisten zuwi-der; weil die Familien, die sich da vereinzelnen müs-sen, einander bald fremd und sonach, in weitläuftigenWäldern zerstreut, auch bald feindselig werden, daeine jede zu Erwerbung ihrer Nahrung und Kleidungviel Raum bedarf. – Das Noachische Blutverbot, 1.M. IX, 4-6 (welches, öfters wiederholt, nachher garden neuangenommenen Christen aus dem Heidentum,ob zwar in anderer Rücksicht, von den Judenchristenzur Bedingung gemacht wurde, Apost. Gesch. XV,20. XXI, 25 – ) scheint uranfänglich nichts anders,

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als das Verbot des Jägerlebens gewesen zu sein; weilin diesem der Fall, das Fleisch roh zu essen, oft ein-treten muß, mit dem letzteren also das erstere zugleichverboten wird.

12 Man könnte fragen: Wenn die Natur gewollt hat,diese Eisküsten sollten nicht unbewohnt bleiben, waswird aus ihren Bewohnern, wenn sie ihnen dereinst(wie zu erwarten ist) kein Treibholz mehr zuführete?Denn es ist zu glauben, daß, bei fortrückender Kultur,die Einsassen der temperierten Erdstriche das Holz,was an den Ufern ihrer Ströme wächst, besser benut-zen, es nicht in die Ströme fallen, und so in die Seewegschwemmen lassen werden. Ich antworte: Die An-wohner des Obstroms, des Jenissei, des Lena u.s.w.werden es ihnen durch Handel zuführen, und dafür dieProdukte aus dem Tierreich, woran das Meer an denEisküsten so reich ist, einhandeln; wenn sie (dieNatur) nur allererst den Frieden unter ihnen erzwun-gen haben wird.

13 Verschiedenheit der Religionen: ein wunderlicherAusdruck! gerade, als ob man auch von verschiedenenMoralen spräche. Es kann wohl verschiedene Glau-bensarten historischer, nicht in die Religion, sondernin die Geschichte der zu ihrer Beförderung gebrauch-ten, ins Feld der Gelehrsamkeit einschlagender Mittel

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und eben so verschiedene Religionsbücher (Zendave-sta, Vedam, Koram u.s.w.) geben, aber nur eine einzi-ge, für alle Menschen und in allen Zeiten gültige Reli-gion. Jene also können wohl nichts anders als nur dasVehikel der Religion, was zufällig ist, und nach Ver-schiedenheit der Zeiten und Örter verschieden seinkann, enthalten.

14 Dies sind Erlaubnisgesetze der Vernunft, denStand eines mit Ungerechtigkeit behafteten öffentli-chen Rechts noch so lange beharren zu lassen, bis zurvölligen Umwälzung alles entweder von selbst gereift,oder durch friedliche Mittel der Reife nahe gebrachtworden; weil doch irgend eine rechtliche, obzwar nurin geringem Grade rechtmäßige, Verfassung besser istals gar keine, welches letztere Schicksal (der Anar-chie) eine übereilte Reform treffen würde. – DieStaatsweisheit wird sich also in dem Zustande, worindie Dinge jetzt sind, Reformen, dem Ideal des öffent-lichen Rechts angemessen, zur Pflicht machen: Revo-lutionen aber, wo sie die Natur von selbst herbeiführt, nicht zur Beschönigung einer noch größerenUnterdrückung, sondern als Ruf der Natur benutzen,eine auf Freiheitsprinzipien gegründete gesetzlicheVerfassung, als die einzige dauerhafte, durch gründli-che Reform zu Stande zu bringen.

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15 Wenn gleich eine gewisse in der menschlichenNatur gewurzelte Bösartigkeit von Menschen, die ineinem Staat zusammen leben, noch bezweifelt, und,statt ihrer, der Mangel einer noch nicht weit genugfortgeschrittenen Kultur (die Rohigkeit) zur Ursacheder gesetzwidrigen Erscheinungen ihrer Denkungsartmit einigem Scheine angeführet werden möchte, sofällt sie doch, im äußeren Verhältnis der Staatengegen einander, ganz unverdeckt und unwidersprech-lich in die Augen. Im Innern jedes Staats ist sie durchden Zwang der bürgerlichen Gesetze verschleiert, weilder Neigung zur wechselseitigen Gewalttätigkeit derBürger eine größere Gewalt, nämlich die der Regie-rung, mächtig entgegenwirkt, und so nicht allein demGanzen einen moralischen Anstrich (causae non cau-sae) gibt, sondern auch dadurch, daß dem Ausbruchgesetzwidriger Neigungen ein Riegel vorgeschobenwird, die Entwickelung der moralischen Anlage, zurunmittelbaren Achtung fürs Recht, wirklich viel Er-leichterung bekommt. – Denn ein jeder glaubt nunvon sich, daß er wohl den Rechtsbegriff heilig haltenund treu befolgen würde, wenn er sich nur von jedemandern eines Gleichen gewärtigen könnte; welchesletztere ihm die Regierung zum Teil sichert; wodurchdann ein großer Schritt zur Moralität (obgleich nochnicht moralischer Schritt) getan wird, diesem Pflicht-begriff auch um sein selbst willen, ohne Rücksicht auf

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Erwiderung, anhänglich zu sein. – Da ein jeder aber,bei seiner guten Meinung von sich selber, doch dieböse Gesinnung bei allen anderen voraussetzt, sosprechen sie einander wechselseitig ihr Urteil: daß siealle, was das Faktum betrifft, wenig taugen (woher eskomme, da es doch der Natur des Menschen, als einesfreien Wesens, nicht Schuld gegeben werden kann,mag unerörtert bleiben). Da aber doch auch die Ach-tung für den Rechtsbegriff, deren der Mensch sichschlechterdings nicht entschlagen kann, die Theoriedes Vermögens, ihm angemessen zu werden, auf dasfeierlichste sanktioniert, so sieht ein jeder, daß er sei-nerseits jenem gemäß handeln müsse, andere mögenes halten, wie sie wollen.

16 Die Belege zu solchen Maximen kann man in desHerrn Hofr. Garve Abhandlung: »über die Verbin-dung der Moral mit der Politik, 1788«, antreffen. Die-ser würdige Gelehrte gesteht gleich zu Anfange, einegenugtuende Antwort auf diese Frage nicht geben zukönnen. Aber sie dennoch gut zu heißen, ob zwar mitdem Geständnis, die dagegen sich regende Einwürfenicht völlig heben zu können, scheint doch eine grö-ßere Nachgiebigkeit gegen die zu sein, die sehr ge-neigt sind, sie zu mißbrauchen, als wohl ratsam seinmöchte, einzuräumen.

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