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Zukunft Palästinas - Ludwig Watzal · In: Inamo, (Sommer 2015) 82, S. 71 f. Zukunft Palästinas...

Date post: 16-Sep-2018
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In: Inamo, (Sommer 2015) 82, S. 71 f. Zukunft Palästinas Die Krise des Zionismus und die Ein-Staat-Lösung ii dsmoitfatischan Palas'.ii, Die Geschichte der Lösungsversuche der Palästina-Fra- ge läuft auf die Mi- nimierung der Rechte der Palä- stinenser hinaus. An der Frage des Rechtes auf Rück- kehr und des Rechtes auf Selbstbestim- mung wird dies besonders deutlich. Seit den Verträgen von Oslo, die den so genannten Friedenspro- zess in Gang gesetzt haben, sind auch die- se Rechte perdu. Die von der internationa- len Staatengemeinschaft favorisierte Zwei- Staaten-Lösung an der Seite Israels ist ein Wunschtraum geblieben. «Alles deutet darauf hin, dass es überhaupt keine Lö- sung der Palästina-Frage geben wird, so- lange der Zionismus weiter besteht», schreibt Petra Wild. In der Tat bildet diese Ideologie das zentrale Hindernis für eine Lösung des Nahostkonflikts zusammen mit der noch bedingungslosen Unterstüt- zung des kolonialen zionistischen Sied- lungsprojektes durch die USA und einige Staaten der Europäischen Union. Der Ex- pansionismus bilde einen wesentlichen Teil der «Staatsräson» des Zionismus. Das Buch gliedert sich in zwei Teile. Im er- sten werden Themen wie der Oslo-Prozess, der zionistische Siedlerkolonialismus, die Risse im zionistischen Konsens infolge der zweiten Intifada, der Libanonkrieg und die Gaza-Massaker, die zum Verlust des My- thos der Unbesiegbarkeit Israels beigetra- gen haben, die demographische Krise und der Verlust einer israelisch-jüdischen Mehrheit auf dem Gebiet des historischen Palästina sowie die allmähliche Abkehr der US-amerikanischen und der europä- ischen Judenheit von Israel behandelt. 71
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In: Inamo, (Sommer 2015) 82, S. 71 f.

Zukunft Palästinas

Die Krise des Zionismus und die Ein-Staat-Lösung

ii dsmoitfatischan Palas'.ii,

Die Geschichte der Lösungsversuche der Palästina-Fra­ge läuft auf die M i ­n i m i e r u n g der Rechte der Palä­stinenser hinaus. A n der Frage des Rechtes auf Rück­kehr u n d des Rechtes auf S e l b s t b e s t i m ­m u n g w i r d dies

besonders deutlich. Seit den Verträgen von Oslo, die den so genannten Friedenspro-zess i n Gang gesetzt haben, sind auch die­se Rechte perdu. Die von der internationa­len Staatengemeinschaft favorisierte Zwei-Staaten-Lösung an der Seite Israels ist ein Wunschtraum geblieben. «Alles deutet darauf h i n , dass es überhaupt keine Lö­sung der Palästina-Frage geben w i r d , so­lange der Zionismus weiter besteht», schreibt Petra W i l d . I n der Tat bildet diese Ideologie das zentrale Hindernis für eine Lösung des Nahostkonflikts zusammen m i t der noch bedingungslosen Unterstüt­zung des kolonialen zionistischen Sied­lungsprojektes durch die USA und einige Staaten der Europäischen Union. Der Ex­pansionismus bilde einen wesentlichen Teil der «Staatsräson» des Zionismus. Das Buch gliedert sich i n zwei Teile. I m er­sten werden Themen wie der Oslo-Prozess, der zionistische Siedlerkolonialismus, die Risse i m zionistischen Konsens infolge der zweiten Intifada, der Libanonkrieg und die Gaza-Massaker, die zum Verlust des My­thos der Unbesiegbarkeit Israels beigetra­gen haben, die demographische Krise und der Verlust einer israelisch-jüdischen Mehrheit auf dem Gebiet des historischen Palästina sowie die allmähliche Abkehr der US-amerikanischen und der europä­ischen Judenheit von Israel behandelt.

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Die Autor in weist auf die Unvereinbarkeit zwischen Liberalismus und Zionismus h i n . «Beautiful Israel» war immer eine Fata Morgana u n d hat sich zum «Albtraum» entwickelt. Der liberale Zionismus sei dem Untergang geweiht, da seine Vertreter sich zwischen zionistischen u n d liberalen Posi­tionen entscheiden müssen. «Beides geht -trotz aller Verdrängungs- und Rationali­sierungsversuche - nicht mehr zusammen. Heute kann kaum übersehen werden, dass das israelische Herrschaftssystem den K r i ­terien der Apartheid entspricht u n d für viele liberale Juden ist die Unterstützung eines solchen Systems der reinste Horror.» Diese «liberalen» Zionisten haben nur zwei Möglichkeiten, so W i l d , entweder sie hören auf, liberal zu sein und bekennen sich offen zu Apartheid u n d ethnischer Säuberung, wie Benny Morris u n d Avi Sha-v i t , oder sie hören auf, Zionisten zu sein. Das die Probleme erst m i t der Restbeset­zung Palästinas i m Jahr 1967 begonnen hätten, sei ein Mythos und die Lebenslüge der so genannten liberalen Zionisten. Die «schweigende Mehrheit» der US-Juden wende sich von Israel ab und suche eine neue Identität jenseits von Israel. Sie w e n ­deten sich jüdischen Diaspora-Kulturen zu und seien nicht länger bereit, die Gräuel-taten einer rechtsextremen israelischen Re -gierung zu verteidigen. Folglich sagen i m ­mer mehr Juden nicht nur i n den USA «Not i n our Name» (Nicht i n unserem Namen). Organisationen wie «Jews for a Just Peace» (jüdische Stimme für einen gerechten Frie­den) u n d zahlreiche andere haben großen Zulauf. Die Autorin verweist auch auf den

alltäglichen Rassismus i n Israel. Neben «Tod den Arabern» oder «Araberins Gas», die oft von rechtsextremistischen Siedlern skandiert werden, bedienen sich große Teile der politischen Klasse Israels eines of­fenen Rassismus. Dieser ist aber jeder e th-nozentrischen Ideologie inhärent. Die Dia­spora-Kulturen zeigen, wie vielfältig jü­disches Leben tatsächlich ist. I m Gegensatz dazu ist der Zionismus eindimensional und militaristisch u n d zielt auf die «Negation und Liouidierung der Diaspora» ab. Der zweite Teil des Buches befasst sich m i t der internationalen BDS-Kampagne. (BDS=Boykott, Desivestment und Sankti­onen) und dem Weg zu einer Ein-Staat-Lösung. Die BDS-Kampagne wurde 2005 federführend von Omar Barghouthi iris Leben gerufen u n d verfolgt folgende Ziele: die Beseitigung der Apartheidstruktur, unter der die israelischen Palästinenser leiden; die Beendigung der militärischen Besatzung und der Kolonialpol it ik i n den seit 1967 besetzten Gebieten; u n d die Ver­w i r k l i c h u n g des Rückkehrrechtes, die Entschädigung der vertriebenen Palästi­nenser und deren Nachkommen. BDS orientiert sich an der südafrika­nischen Boykottkampagne u n d w i r d von über 170 palästinensischen Organisationen sowie antizionistischen Israelis u n d Juden getragen. A m Ende soll e in bi-nationaler, demokratischer Staat i n ganz Palästina stehen, i n dem Juden, Muslime u n d Chris­ten gleichberechtigt leben können. Nur ein demokratischer und säkularer Staat kön­ne, so die Autor in , nicht nur die Rechte der Palästinenser auf Selbstbestimmung und Rückkehr, sondern auch die erworbenen Rechte der Israelis garantieren. Diese Ein-Staat-Lösung könne auch den seit 130 Jah­ren schwelenden Konfl ikt lösen. Durch die erstarkende BDS-Kampagne fühlt sich nicht nur die israelische Regie­rung, sondern auch ihre unzähligen Hilfs­truppen weltweit i n die Enge gedrängt. Sie unternehmen alles gegen diese so genannte «Delegitimierung» Israels, übersehen da­bei aber, dass der größte Delegitimierer die israelische Regierung selber ist. «Die BDS-Kampagne vermochte es m i t der Zeit, eine emanzipatorische Gegen-Hegemonie zur zionistischen kulturel len Hegemonie zu entfalten», schreibt W i l d . Nicht ohne Grund laufen zionistische Organisationen u n d die israelische Regierung dagegen Amok und hantieren m i t dem Vorwurf des «Antisemitismus» wie Netanyahu i n seiner Rede vor der letztjährigen AIPAC-Konfe-renz i n Washington. Die Autorin beschreibt detailliert die diversen Boykott-Kampa­gnen und zeigt, wie die BDS-Bewegung nicht nur international immer stärker w i r d , sondern zunehmend auch Erfolge aufwei­sen kann. Nicht ohne Grund habe der ehe­malige Botschafter Israels i n den USA, M i ­chael Oren, BDS bereits nach dem israe­lischen Massaker i m Gaza- Streifen 2009 als eine «existentielle Bedrohung» genannt.

Ebenso minutiös wie die BDS-Kampagne w i r d die Entwicklung zu einer Ein-Staat-Lösung von der Autorin beschrieben. Nach Unterzeichnung der Osloer Verträge habe Edward Said einen Einheitsstaat für Israelis und Palästinenser vorgeschlagen. Aufgrund des fortgesetzten Siedlungshaus und des Landraubs untergräbt Israel systematisch eine Zwei-Staaten-Lösung, zu diesem Er­gebnis sind zwei prominente Israelis gekom­men - Haim Hanegbi und Meron Benvenisti. Die Autorin weist auf die Bereitschaft der Vertreter der Ein-Staat-Lösung für einen historischen Kompromiss h i n , wie i h n A l i Abunimah, der bekannteste Vertreter for­muliert hat. Wie i m Falle Nordirlands oder Südafrikas sei eine «politische Heirat» zwischen Unterdrückten und Unterdrü­ckern notwendig. Eine Versöhnung z w i ­schen beiden könne jedoch erst nach der «Heirat» erfolgen. Die Zeit für eine Zwei-Staaten-Lösung möge zwar auslaufen, wie John Kerry oder W i l l i a m Hague meinen, aber die israelische Regierung unternimmt alles, u m Israel noch jüdischer zu.machen als es ohnehin schon ist, indem es ein Ge­setz verabschieden w i l l , das Israel exklusiv als «jüdischen Staat» festschreiben soll. Dass damit der «demokratische» Charak­ter des Staates endgültig ad acta gelegt w i rd , scheint die Regierung wenig zu stören. Die Idee der Ein-Staat-Lösung, wie sie die Autorin beschreibt u n d befürwortet, hat einen gewissen Charme, aber auch einen großen Haken. Die zionistische Bewegung wurde nicht ins Leben gerufen, u m die Pro­bleme der autochthonen Bevölkerung i n Palästina zu lösen, sondern u m für das «jü­dische Volk» einen Staat zu gründen, i n dem es vor Verfolgung und Antisemitismus sicher leben kann. Dass es anders gekom­men ist, als es sich die Vertreter der zionis­tischen Bewegung ausgedacht haben, ist der Politik der diversen israelischen Regie­rungen und den inhärenten Widersprüchen der zionistischen Ideologie geschuldet. Zu einer Ein-Staat-Lösung w i r d es nicht aufgrund von BDS kommen, sondern nur durch aktives Zutun der israelischen Re­gierungen. Der wichtigste «Verbündete» der BDS-Bewegung ist Benjamin Netanya­hu, der alles t u t , u m Israel entweder i n den Abgrund zu führen oder Groß-Israel, das heißt, die Ein-Staat-Lösung i m Sinne Isra­el zu vollenden. Ob am Ende ein demokra­tischer Staat oder nur ein Apartheidstaat i m historischen Palästina existieren w i r d , bleibt eine offene Frage. Petra Wilds Buch hat erstmalig i n überzeu­gender A r t u n d Weise die Argumente der komplexen BDS-Kampagne u n d der Ver­treter der Ein-Staat-Lösung dargestellt. Ein überaus wertvolles und lesenswertes Buch, das alle am Nahostkonflikt Interes­sierten lesen sollten. Ludwig Watzal

Petra Wild, Die Krise des Zionismus und die Ein-Staat-Lösung. Zur Zukunft eines demokrati­schen Palästinas, ProMedia, Wiemois.

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