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ZERTIFIZIERTE FORTBILDUNG Diabetes mellitus und ... · B u n d e s a p o t h ek r k a m m e r. 2...

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Diabetes mellitus und Blutzuckermessung ZERTIFIZIERTE FORTBILDUNG Einleitung Diabetes mellitus ist eine Volkskrankheit auf dem Vormarsch: gegenwärtig leiden weltweit fast 400 Millionen Menschen unter dieser Erkrankung und es werden immer mehr. Auch in Deutschland sieht die Situation nicht besser aus: es wird geschätzt, dass die Diabetes-Prävalenz (s. u.) bei etwa 9 % liegt, das heißt über sieben Millionen Menschen sind in Deutschland betroffen. Prävalenz Als Prävalenz wird die (relative) Häufigkeit von Krankheitsfällen zu einem bestimmten Zeitpunkt bezeichnet. Beim überwiegenden Teil (etwa 90 %) handelt es sich um Typ-2-Diabetiker, deutlich weniger leiden unter Diabetes mellitus Typ 1. Infolge dieser alarmierenden Zahlen werden nicht nur Ärzte, sondern auch Sie als Apothekenteam häufig mit dem Thema konfrontiert. Anhand dieser Fortbildung können Sie Ihr Wissen wieder auffrischen und auf den neuesten Stand bringen. Aufgrund Ihres engen Kontaktes zum Patienten können Sie die ersten Warnsignale erkennen, die einen Arztbesuch dringend erforderlich machen. Noch viel wichtiger ist jedoch eine kompetente Beratung bei Patienten mit diagnostiziertem Diabetes mellitus hinsichtlich der Medikation, aber auch der ordnungsgemäßen, regelmäßi- gen Durchführung der Blutzuckermessung mit den entsprechenden Messsystemen und der Bedeutung der Therapietreue. Die wichtige Rolle der Apotheke bei der Diabetes-Beratung wird beispielsweise auch durch einen 2014 erstmals abgeschlossenen Vertrag zum Medikationsmanagement ohne Beteiligung von Ärzten untermauert, den die größte deutsche Krankenkasse und der Deutsche Apothekerverband (DAV) abgeschlossen haben. Hierbei wird den Apothekern die Diabetes-Beratung der Versicherten vergütet [1]. Mit diesem Repetitorium können Sie in drei Teilen – „Diabetes mellitus“, „Blut- zuckermessung“ und „Abgabe und Beratung in der Apotheke“ – Ihr Fachwissen vertiefen, um Ihre Kunden in der Apotheke weiterhin umfassend und kompetent beraten zu können. 1 Teil I: Diabetes mellitus 1 Z e r t i f z i e r t v o n d e r 2 PUNKTE für Teil I–III B u n d e s a p o t h e k e r k a m m e r
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Page 1: ZERTIFIZIERTE FORTBILDUNG Diabetes mellitus und ... · B u n d e s a p o t h ek r k a m m e r. 2 Diabetes mellitus und Blutzuckermessung ZERTIFIZIERTE FRTBILDUNG Teil I: Diabetes

Diabetes mellitus und Blutzuckermessung

ZERTIFIZIERTE FORTBILDUNG

Einleitung

Diabetes mellitus ist eine Volkskrankheit auf dem Vormarsch: gegenwärtig leiden weltweit fast 400 Millionen Menschen unter dieser Erkrankung und es werden immer mehr. Auch in Deutschland sieht die Situation nicht besser aus: es wird geschätzt, dass die Diabetes-Prävalenz (s. u.) bei etwa 9 % liegt, das heißt über sieben Millionen Menschen sind in Deutschland betroffen.

Prävalenz ➔ Als Prävalenz wird die (relative) Häufigkeit von Krankheitsfällen zu einem bestimmten Zeitpunkt bezeichnet.

Beim überwiegenden Teil (etwa 90 %) handelt es sich um Typ-2-Diabetiker, deutlich weniger leiden unter Diabetes mellitus Typ 1.

Infolge dieser alarmierenden Zahlen werden nicht nur Ärzte, sondern auch Sie als Apothekenteam häufig mit dem Thema konfrontiert. Anhand dieser Fortbildung können Sie Ihr Wissen wieder auffrischen und auf den neuesten Stand bringen.

Aufgrund Ihres engen Kontaktes zum Patienten können Sie die ersten Warnsignale erkennen, die einen Arztbesuch dringend erforderlich machen. Noch viel wichtiger ist jedoch eine kompetente Beratung bei Patienten mit diagnostiziertem Diabetes mellitus hinsichtlich der Medikation, aber auch der ordnungsgemäßen, regelmäßi-gen Durchführung der Blutzuckermessung mit den entsprechenden Messsystemen und der Bedeutung der Therapietreue.

Die wichtige Rolle der Apotheke bei der Diabetes-Beratung wird beispielsweise auch durch einen 2014 erstmals abgeschlossenen Vertrag zum Medikationsmanagement ohne Beteiligung von Ärzten untermauert, den die größte deutsche Krankenkasse und der Deutsche Apothekerverband (DAV) abgeschlossen haben. Hierbei wird den Apothekern die Diabetes-Beratung der Versicherten vergütet [1].

Mit diesem Repetitorium können Sie in drei Teilen – „Diabetes mellitus“, „Blut- zuckermessung“ und „Abgabe und Beratung in der Apotheke“ – Ihr Fachwissen vertiefen, um Ihre Kunden in der Apotheke weiterhin umfassend und kompetent beraten zu können.

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Teil I: Diabetes mellitus

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Diabetes mellitus und BlutzuckermessungZERTIFIZIERTE FORTBILDUNG

Teil I: Diabetes mellitus

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Definition des Diabetes mellitus

Die Bezeichnung „Diabetes mellitus“ bedeutet übersetzt „honigsüßer Durchfluss“ und spielt auf das Hauptsymptom der Krankheit, die Ausscheidung von Zucker im Urin, an. Genau genommen ist der häufig verwendete Kurzbegriff „Diabetes“ nicht eindeutig, da es zum Beispiel auch einen Diabetes insipidus (sog. Wasserharnruhr) gibt, bei dem es sich um eine relativ seltene Hormonmangelerkrankung handelt.

In den Praxisempfehlungen der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) [2] wird Diabetes mellitus als Sammelbegriff für verschiedenartige (heterogene) Störungen des Stoffwechsels definiert, deren Leitbefund die chronische Hyperglykämie ist, also die dauerhafte, von der Norm abweichende Erhöhung der Glukosekonzentration im Blut.

Gemäß diesen Praxisempfehlungen ist die Ursache des Diabetes mellitus:

u eine gestörte Insulinsekretion

u oder eine gestörte Insulinwirkung

u oder beides

Klassifikation des Diabetes mellitus

Im Allgemeinen werden zwei Formen des Diabetes mellitus unterschieden: der Typ-1- und der Typ-2-Diabetes, wobei letzterer, wie oben beschrieben, sehr viel häufiger auftritt.

Ferner gehören noch viele weitere Formen des Diabetes mellitus zur Klassifikation der DDG, wie beispielsweise ein durch Medikamente oder Infektionen hervorgerufe-ner Diabetes mellitus. Aber auch der Schwangerschaftsdiabetes (Gestationsdiabe-tes), bei dem es sich um eine erstmals während der Schwangerschaft aufgetretene oder diagnostizierte Glukosetoleranzstörung (gestörte Zuckerverwertung) handelt, wird in dieser Klassifikation mit aufgeführt.

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Diabetes mellitus und BlutzuckermessungZERTIFIZIERTE FORTBILDUNG

Teil I: Diabetes mellitus

4 Wirkungen von Insulin

Einer der bedeutendsten Energielieferanten des Körpers ist die Glukose (Trauben-zucker). Vornehmlich unser Gehirn benötigt eine regelmäßige Glukosezufuhr, um seinen Energiebedarf zu decken, aber auch die Erythrozyten sind auf Glukose ange-wiesen.

Die mit der Nahrung aufgenommenen Kohlenhydrate (z. B. aus Getreide, Kartoffeln, Reis, Früchten etc.) werden durch den Verdauungsapparat zu Glukose abgebaut, die über den Darm in das Blut gelangt und so, je nach Bedarf, über den gesamten Körper verteilt werden kann.

In den Beta-Zellen der sog. Langerhansschen Inseln der Bauchspeicheldrüse (Pank-reas) wird das Hormon Insulin produziert. Von diesen „Inseln“ rührt auch der Name „Insulin“ (lat.: insula = Insel).

Im menschlichen Körper hat Insulin u. a. folgende biochemische Wirkungen:

u Mittels Insulin wird die Aufnahme von Glukose in Muskel- und Fettzellen beschleunigt.

u Zudem kann mit Hilfe von Insulin Glukose gespeichert werden. Dies funktioniert in Form von Glykogen, v. a. in der Leber und in den Muskelzellen. Auf diese Weise kann der Organismus den Blutzuckerspiegel nach der Nahrungsaufnahme relativ konstant halten. Bei Gesunden liegt dieser Spiegel etwa bei 80–120 mg/dl. Auch wenn über längere Zeit keine Nahrung aufgenommen wird, ist es dem Körper möglich, diesen Blutzuckerspiegel aufrecht zu erhalten. Dies gelingt vor allem dadurch, dass in der Leber die oben erwähnte Speicherform Glykogen wieder in Glukose aufgespalten und ins Blut abgegeben wird (s. auch Abb. 2).

u Des Weiteren bewirkt Insulin die Triglyceridsynthese in der Leber und im Fett-gewebe (Triglyceride = Neutralfette) sowie die Speicherung von Aminosäuren im Muskel.

u Insulin hemmt ferner die Glukoneogenese der Leber (s. u.).

Glukoneogenese ➔ Überwiegend in der Leber erfolgende Neubildung von Glukose aus bestimmten Aminosäuren. Vom Prinzip her stellt sie eine Umkehr der Glykolyse dar.

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Diabetes mellitus und BlutzuckermessungZERTIFIZIERTE FORTBILDUNG

Teil I: Diabetes mellitus

5 Regulierung des Blutzuckerspiegels

Aus den oben beschriebenen Wirkungen des Insulins im Körper ist nachvollziehbar, dass es zu den wichtigsten Regulatoren des Glukosestoffwechsels zählt.

Insulin wird ausgeschüttet (sezerniert), wenn der Blutzuckerspiegel ansteigt. So können Prozesse in Gang gesetzt werden, die Glukose verbrauchen.

Es dürfte jedoch bekannt sein, dass nicht nur zu viel, sondern auch zu wenig Glukose gefährlich ist. Glukagon, der „Gegenspieler“ des Insulins, sorgt dafür, dass der Blut-zuckerspiegel ansteigt. Hierbei handelt es sich, wie beim Insulin, um ein Peptidhormon (s. u.), das in den Langerhans-Inseln der Bauchspeicheldrüse (Alpha-Zellen) gebil-det wird. Dieses Hormon aktiviert in der Leber ein Enzym (Glykogenphosphorylase, PYG), das den Abbau von Glykogen zu Glukose einleitet (s. o.) und in der Folge den Blutzuckerspiegel erhöht (s. Abb. 2).

Glukagon stimuliert jedoch nicht nur die Glyko-genolyse (Glykogenabbau), sondern auch die oben beschriebene Neusynthese von Glukose (Glukoneogenese) aus Aminosäuren.

Im Gegensatz zum Insulin, das als einziges Hormon den Blutzucker senken kann, sorgen neben Glukagon auch Adrenalin, Kortisol, Somatostatin und Schilddrüsenhormone für einen Anstieg des Blutzuckerspiegels.

Peptidhormone ➔ Peptidhormone sind fett-unlösliche Hormone, die eine Eiweißstruktur aufweisen; es handelt sich also um spezielle Eiweiße mit Hormonfunktion.

Die geschilderten Zusammenhänge im Rahmen der Regulation des Blutzuckerspiegels zeigen, dass es sich hierbei um einen sehr komplexen, dynamischen biochemischen Prozess handelt. Damit die Patienten diese Zusammenhänge und dadurch ihre Erkrankung besser verstehen, ist eine kompetente Beratung von Seiten der Apotheke außerordentlich wichtig (s. Teil II und III der Fortbildung).

Abb. 1: Sowohl Insulin als auch Glukagon werden in der Bauchspeicheldrüse gebildet

Abb. 2: Regulierung des Blutzuckerspiegels (vereinfachte Darstellung) durch Insulin und Glukagon

GLUKOSE +

GLUKOSE -Blutzuckerspiegel

niedrig

Glykogen Glukose

Blutzuckerspiegel hoch

Glukagon

Gewebe

Glykogenabbau angeregt

Glykogenbildung angeregt Insulin

Glukoseaufnahme aus dem Blut

angeregt

Insulin- freisetzung angeregt

Glukagon- freisetzung angeregt

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Diabetes mellitus und BlutzuckermessungZERTIFIZIERTE FORTBILDUNG

Teil I: Diabetes mellitus

6 Diabetes mellitus Typ 1

In den Praxisempfehlungen der Deutschen Diabetes Gesellschaft [2] wird erläutert, dass es beim Diabetes mellitus Typ 1 (Typ-1-Diabetes) zu einer Zerstörung der Beta-Zellen des Pankreas (s. o.) kommt, die zu einem absoluten Insulinmangel führt.

Bei dieser Erkrankung handelt es sich um eine Autoimmunerkrankung, d. h. eine überschießende Reaktion des Immunsystems gegen körpereigene Strukturen, in diesem Fall die insulinproduzierenden Beta-Zellen der Bauchspeicheldrüse. Der Typ-1-Diabetes tritt auf, wenn etwa 80–90 % dieser Zellen zerstört sind – es kommt zu einem Insulinmangel mit schwerwiegenden Konsequenzen:

uDie Glukose häuft sich im Blut an (Hyperglykämie) und fehlt den Zellen als Energielieferant.

uEs kommt zu einer gesteigerten Glukoseneubildung in der Leber (Glukoneogenese).

uDas Körperfett wird ans Blut abgegeben. Die Fettsäuren werden zu Ketonkörpern abgebaut. In der Folge kommt es zu einer Übersäuerung des Blutes (Ketoazidose).

uGlukose wird mit dem Urin ausgeschieden (Glukosurie). Es kommt zu einer erhöhten Urinausscheidung (Polyurie) sowie zu gesteigertem Durst (Polydipsie).

Im Extremfall kann es bei Patienten mit Diabetes mellitus Typ 1 zu einem lebensge-fährlichen Zustand, dem ketoazidotischen Koma, kommen – einer Bewusstlosigkeit, die durch absoluten Insulinmangel ausgelöst wird.

Zu den typischen Symptomen des Diabetes mellitus Typ 1 zählen unter anderen:

u Symptome als Folge der Hyperglykämie: Ausgeprägte Gewichtsabnahme, Austrocknung (Exsikkose), gesteigertes Durstgefühl (Polydipsie), häufiges Wasserlassen

u Allgemeine Symptome: Müdigkeit, Leistungsminderung, Bauchschmerzen etc.

Therapie:

Aufgrund der geringen bzw. fehlenden Insulinproduktion muss das Insulin bei Diabetes mellitus Typ 1 ersetzt werden. Damit die Insulinmenge möglichst präzise an den aktuellen Bedarf angepasst werden kann, ist die Blutzuckerselbstmessung von entscheidender Bedeutung (s. Teil II: Blutzuckermessung).

Zudem ist körperliche Aktivität für Typ-1-Patienten ebenso wichtig wie eine kompetente Schulung.

Abb. 3: Wenn im Urintest Glukose nachgewiesen wird, könnte ein Diabetes mellitus vorliegen

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Diabetes mellitus und BlutzuckermessungZERTIFIZIERTE FORTBILDUNG

Teil I: Diabetes mellitus

7 Diabetes mellitus Typ 2

Im Vergleich zum Diabetes mellitus Typ 1 ist bei dieser Erkrankung Insulin verfügbar, die Zellen reagieren jedoch nicht mehr ausreichend darauf. Es liegt eine sogenannte Insulinresistenz vor. In der ersten Krankheitsphase kann die Bauchspeicheldrüse diesen Zustand noch durch die Produktion höherer Insulinmengen ausgleichen, irgendwann ist jedoch der Punkt erreicht, bei dem die erhöhte Insulinproduktion nicht mehr aufrechterhalten werden kann – der Blutzucker steigt an.

Der in der Regel erst im höheren Lebensalter auftretende Diabetes mellitus Typ 2 wird häufig als „Altersdiabetes“ bezeichnet. Da heute jedoch immer mehr jüngere Menschen davon betroffen sind, ist diese Bezeichnung nicht mehr zeitgemäß.

Überernährung mit Fettleibigkeit und Bewegungsmangel sind die entscheidenden Manifestationsfaktoren des Diabetes mellitus Typ 2. Dieser Umstand spielt auch bei der Therapie dieser Diabetesform eine große Rolle. Noch vor der medikamentösen Therapie stehen Gewichtsnormalisierung und körperliche Aktivität im Vordergrund (s. u.).

Die Mehrzahl der Erkrankungen entsteht auf dem Boden eines sog. metabolischen Syn-droms (Wohlstandssyndrom). Nach Definition der AHA/NHLBI liegt ein metabolisches Syn-drom vor, wenn mindestens drei der folgen-den fünf Kriterien zutreffen (adaptiert nach [3]):

uErhöhter Taillenumfang (s. Abb. 4)

u Erhöhte Triglyceride (Neutralfette) oder deren medikamentöse Behandlung

u Erniedrigtes HDL-Cholesterin oder dessen medikamentöse Behandlung

u Erhöhter Blutdruck oder dessen medikamentöse Behandlung

u Erhöhte Nüchternblutglukose oder medikamentöse Therapie einer Hyperglykämie

Abb. 4: Eines der fünf Kriterien zur Diagnose eines metabolischen Syndroms ist ein erhöhter Taillenumfang (bei Männern ≥ 102 cm; bei Frauen ≥ 88 cm)

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Diabetes mellitus und BlutzuckermessungZERTIFIZIERTE FORTBILDUNG

Teil I: Diabetes mellitus

Aufgrund der erhöhten Fettsäurekonzentrationen im Blut werden verstärkt Fettsäu-ren von den Zellen zur Energiegewinnung genutzt (β-Oxidation). Dadurch wird auch bei erhöhten Blutglukose- und Insulinkonzentrationen weniger Glukose in die Zellen aufgenommen. Die Beta-Zellen des Pankreas reagieren aufgrund der weiterhin hohen Blutglukosekonzentrationen mit einer Steigerung der Insulinfreisetzung. So kommt es zunehmend zur Insulinresistenz und Erschöpfung der Beta-Zellen. Zudem tragen zur Insulinresistenz inflammatorische Prozesse an den Insulinzielzellen (insbe-sondere in Fettgewebe, Muskel und Leber) bei. Bei Adipositas kommt es zur Anrei-cherung von Makrophagen und anderen Immunzellen in den Insulinzielgeweben, die Entzündungsmediatoren (z. B. TNF-α, IL-1β) freisetzen und so die Insulinresistenz fördern.

In einer kürzlich veröffentlichten Studie wurde beobachtet, dass Galectin-3, ein Lektin, das von Makrophagen freigesetzt wird, zur Insulinresis-tenz beiträgt. Die Galectin-3-Konzentration im Blut ist bei Adipositas (BMI > 30) im Vergleich zu normalgewichtigen Menschen (BMI < 25) signifikant erhöht (Abb. 5).

Zudem konnte gezeigt werden, dass die geneti-sche sowie pharmakologische Hemmung von Galectin-3 in übergewichtigen Mäusen die Insulinresistenz verbessert [4]. Entsprechend könnte Galectin-3 in der Zukunft ein mögliches Ziel zur pharmakologischen Behandlung der Insulinresistenz darstellen.

Symptome:

Im Vergleich zu Patienten mit Typ-1-Diabetes zeigen Typ-2-Diabetiker häufig über Jahre keine typischen, sondern eher unspezifische Symptome wie Müdigkeit und Leistungsminderung, Sehstörungen etc. Da der Typ-2-Diabetes meist schleichend und unbemerkt verläuft, wird er häufig erst nach Jahren durch Zufall diagnostiziert.

Therapie:

Wichtige Pfeiler, die die medikamentöse Therapie des Typ-2-Diabetes unterstützen, sind die Gewichtsnormalisierung und Ernährungsumstellung (gesunde Mischkost) inklusive körperlicher Aktivität und angemessener Schulung. Eine regelmäßige Kon-trolle der Blutzuckerwerte trägt darüber hinaus zum Therapieerfolg bei.

Abb. 5: Galectin-3-Konzentration im Blutplasma von normalgewichtigen (BMI < 25) und adipösen (BMI > 30) Probanden; * p < 0,05; modifiziert nach [4]

15 –

10 –

5 –

0 –

Gal

ecti

n-3

(ng

/mL)

BMI <25 BMI >30

*

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Diabetes mellitus und BlutzuckermessungZERTIFIZIERTE FORTBILDUNG

Teil I: Diabetes mellitus

Ernährungstherapie

Im Rahmen der Ernährungsumstellung werden neben der Gewichtsabnahme bei bestehendem Übergewicht folgende Empfehlungen zu den einzelnen Nährstoffgrup-pen gegeben [5]:

u Proteine: 10–20 % der Gesamtenergie (bei normaler Nierenfunktion)

u Fett: Gesamtfett ≤ 35 % der Gesamtenergie, davon 10–20 % einfach ungesättigte Fettsäuren, ca. 10 % mehrfach ungesättigte Fettsäuren

u Kohlenhydrate: 45–60 % der Gesamtenergie (hoher Anteil komplexer Kohlen-hydrate, mit hohem Ballaststoffgehalt und niedrigem glykämischen Index), < 10 % Saccharose (möglichst in Kombination mit Mahlzeiten)

u Ballaststoffe: > 40 g pro Tag

Der glykämische Index gibt an, wie stark der Verzehr eines Lebensmittels den Blutzu-ckerspiegel im Vergleich zu Glukose (Referenzwert 100) anhebt. Entsprechend hängt er von der Kohlenhydratzusammensetzung eines Lebensmittels ab. Ein niedriger glykämischer Index wirkt sich positiv auf die Insulinausschüttung und die Blutzucker-regulation aus. Lebensmittel mit niedrigem glykämischen Index (< 55) sind beispiels-weise Gemüse, Vollkorngetreideprodukte und Hülsenfrüchte. Einen hohen glykämi-schen Index (> 70) weisen zum Beispiel Bratkartoffeln, Pommes frites und weißes Brot auf.

Nicht-Insulin-Antidiabetika

Nicht-Insulin-Antidiabetika können zumindest zu Beginn der Erkrankung die noch vorhandene körpereigene Insulinproduktion und das vorhandene Insulin nutzen. Dabei handelt es sich weitgehend um orale Antidiabetika, ausschließlich GLP-1-Ana-loga werden unter die Haut (subkutan) injiziert.

Metformin kommt besonders häufig zum Einsatz, da es nur in sehr seltenen Fällen zu einer Hypoglykämie führen kann und eine Gewichtsabnahme erleichtert. Es greift über drei Mechanismen in die Blutzuckerregulation ein. Zum einen wird bereits die Glukoseresorption im Darm reduziert. Zum anderen fördert es die Glukoseaufnahme in Muskel und Fettzellen und reduziert die Glukoseproduktion in der Leber.

Glinide und Sulfonylharnstoffe hingegen steigern die Insulinproduktion der Bauch-speicheldrüse. Dadurch kann es jedoch zu einer Hypoglykämie und zur Gewichts-zunahme kommen.

GLP-1(glucagon-like peptide 1)-Analoga ahmen die Wirkung des Darmhormons GLP-1 nach. Dadurch regen sie in Abhängigkeit vom Blutzucker die Insulinproduktion an und verzögern die Magenentleerung. Diese Wirkung hält länger an als bei GLP-1, da die GLP-1-Analoga langsamer abgebaut werden. Das Hypoglykämie-Risiko ist bei GLP-1-Analoga gering und sie erleichtern eine Gewichtsabnahme.

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Diabetes mellitus und BlutzuckermessungZERTIFIZIERTE FORTBILDUNG

Teil I: Diabetes mellitus

DPP-4(Dipeptidylpeptidase 4)-Hemmer blockieren das Enzym, das GLP-1 abbaut. Dadurch kann GLP-1 länger wirken. Sie nehmen keinen Einfluss auf das Körperge-wicht und das Hypoglykämie-Risiko ist niedrig.

SGLT-2-Hemmer fördern die Ausscheidung von Glukose über die Nieren. Glukose wird von den Nieren zunächst aus dem Blut herausgefiltert. Anschließend wird sie jedoch über die Natrium-Glukose-Cotransporter (sodium-glucose co-transporter: SGLT-1 und SGLT-2) zurück ins Blut transportiert. Durch Hemmung des SGLT-2, der den größten Anteil des Glukosetransports übernimmt, wird Glukose über den Harn ausgeschieden und dadurch der Blutzuckerspiegel reduziert.

α-Glukosidasehemmer hemmen im Dünndarm die Aufnahme von Glukose ins Blut. Da dadurch ein großer Anteil der Glukose in den Dickdarm gelangt, können aller-dings gastrointestinale Beschwerden auftreten.

Die folgende Tabelle bietet einen Überblick über die Nebenwirkungen der verschie-denen Nicht-Insulin-Antidiabetika:

Hypoglykämie- Risiko

Risiko einer Gewichtszunahme

Weitere Nebenwirkungen

Metformin Niedrig Nein Magendrücken, Übelkeit, Blähungen, Durchfall

Sulfonyl-harnstoffe

Hoch Ja Alkoholunverträglichkeit, gastrointestinale Beschwer-den

Glinide Hoch Ja Gastrointestinale Beschwer-den

GLP-1-Analoga Niedrig Nein Übelkeit, Völlegefühl, Bauch-schmerzen, Erbrechen, Verdauungsstörungen

DPP-4- Hemmer Niedrig Nein Infektionen des Magen-Darm-Trakts und der oberen Atemwege

SGLT-2- Hemmer

Niedrig Nein Erhöhtes Risiko für Harn-wegs- und Genitalinfektionen

α-Glukosidase-hemmer

Niedrig Nein Bauchschmerzen, Blähungen, Durchfall

Tabelle 1: Nebenwirkungen der Nicht-Insulin-Antidiabetika

Insulintherapie

Erst im weiteren Krankheitsverlauf kann eine Insulintherapie notwendig werden, bei der die Blutzuckerselbstmessung der Patienten einen wichtigen Bestandteil darstellt (s. Teil II: Blutzuckermessung). Insulin kann allein oder auch in Kombination mit ande-

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Teil I: Diabetes mellitus

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ren Antidiabetika eingesetzt werden. Anhand ihrer Wirkungsdauer wird zwischen Kurzzeitinsulinen (2–4 h), Normalinsulinen (4–7 h), Verzögerungsinsulinen (8–12 h) und Langzeitinsulinen (12–20 h) unterschieden. Diese werden patientenindividuell ausgewählt und kombiniert.

Folgen und Komplikationen eines Diabetes mellitus

Langfristig erhöhte Blutzuckerwerte können zur Reaktion der Glukose mit Proteinen in der Gefäßwand führen. Diese werden auch als „Advanced Glycation Endproducts“ (AGEs) bezeichnet und bilden die Basis für Gefäßschädigungen. Sie können den Verschluss kleiner Gefäße (Mikroangiopathie) sowie eine Verengung großer Gefäße (Makroangiopathie/Arteriosklerose) hervorrufen.

Die Mikroangiopathie kann eine Schädigung der Augen nach sich ziehen, die zur Einschränkung des Sehvermögens und im schlimmsten Fall zur Erblindung führt. Dabei kann es sich um eine Schädigung der Netzhaut/Retina (diabetische Retinopa-thie) oder der Sehgrube/Makula (Makulaödem) handeln. Zudem kann es durch die Mikroangiopathie zur Niereninsuffizienz kommen.

Die Verengung großer Gefäße (Arteriosklerose) führt zum einen zur Erhöhung des Blutdrucks. Zum anderen begünstigt eine Arteriosklerose der Herzkranzgefäße einen Herz infarkt und die Arte-riosklerose der Hirngefäße einen Schlaganfall.

Die hohen Blutzuckerwerte können außerdem eine Schädigung der Nerven hervorrufen. Dabei wird unterschieden zwischen einer Schädigung der Empfindungsnerven (sensomotorische diabe-tische Polyneuropathie) und einer Schädigung der Nerven, die die inneren Organe steuern (ve-getative diabetische Neuropathie).

Fußkomplikationen sind ebenfalls eine mögliche Folgeschädigung beim Diabetes mellitus, die aus der Beeinträchtigung der Blutgefäße und Nerven resultieren. Beim sogenannten diabetischen Fußsyndrom entstehen aus kleinen Verletzungen schlecht heilende, chronische Wunden, die bei unzureichender Behandlung eine Amputation erfordern können.

Diese möglichen Folgeschäden verdeutlichen, wie wichtig eine optimale Therapieein-stellung beim Diabetes mellitus ist. Im Rahmen regelmäßiger Kontrolluntersuchungen werden Hinweise auf die aufgeführten Folgeschäden besonders berücksichtigt.

Abb. 6: Schematische Darstellung der Arteriosklerose

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Teil I: Diabetes mellitus

9 Vergleich Diabetes mellitus Typ 1 und Typ 2

Zusammenfassend soll hier noch einmal ein Überblick über die wesentlichen Unter-schiede zwischen Diabetes mellitus Typ 1 und Typ 2 gegeben werden:

Typ-1-Diabetes Typ-2-DiabetesKennzeichen Verminderte Insulinabgabe bzw.

vollständiger InsulinmangelVerminderte Insulinwirkung, Insulinresistenz, verzögerte Insulinabgabe

Alter des Auftretens

Vorwiegend im Jugendalter, aber auch im Erwachsenenalter

Vorwiegend im mittleren bis höheren Alter

Auftreten Rasch und merkbar Oft langsam und zunächst unbemerkt

Übergewicht Seltener Sehr häufigBlutzucker Erhöht, oft schwankend Erhöht, oft stabilInsulin im Blut Vermindert, niedrig Zu Beginn normal oder erhöhtNeigung zu Ketose (Acetonausscheidung) Erhöhten BlutfettenRichtige Ernährung

Erforderlich Erforderlich, manchmal als alleinige Behandlung ausrei-chend

Insulinbehandlung Immer erforderlich Zu Beginn nicht erforderlich

Tabelle 2: Hauptmerkmale der verschiedenen Diabetestypen, modifiziert nach [6]

Literatur:

[1] Artikel vom 26.05.2014 in DAZ.online, abgerufen am 10.12.2016.

[2] Müller-Wieland D et al. Definition, Klassifikation und Diagnostik des Diabetes mellitus. Diabetologieund Stoffwechsel 2016;11(Suppl2):S78–S81.

[3] Grundy SM et al. Circulation. 2005;112:2735–2752.

[4] Li P, et al. Cell 2016; 167 (4): 973–984.

[5] Toeller M, et al. Diabetes und Stoffwechsel 2005; 14: 75–94.

[6] Biesalski HK, et al. Ernährungsmedizin. Thieme, 3. erweiterte Auflage, 2004.

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Diabetes mellitus und Blutzuckermessung

ZERTIFIZIERTE FORTBILDUNG

Die Blutzuckermessung zur Diagnosestellung

Sowohl zur Diagnosestellung eines Diabetes mellitus als auch zur Verlaufsbeurtei-lung und Therapieentscheidung sind die Blutzuckermessung und Dokumentation von zentraler Bedeutung.

Zur Diagnosestellung eines Diabetes mellitus bestimmt der Arzt in der Regel den Nüchternblutzucker (NBZ) aus dem Blutplasma (nicht zellulärer Anteil des Blutes) des Patienten. Hierzu wird meist eine Blutprobe aus der Armvene entnommen und zu einem Labor geschickt, das den Blutzuckerwert bestimmt.

Die Bestimmung des NBZ ist einfach und kostengünstig durchzuführen und ist der maßgebliche Test für die Diagnose eines Diabetes mellitus. Wie der Name schon vermuten lässt, muss der Betroffene hierfür nüchtern sein, definitionsgemäß also acht Stunden ohne Nahrungsaufnahme.

In der aktualisierten Version der Praxisempfehlungen der Deutschen Diabetes Ge-sellschaft von 2016 [1] werden die Werte angegeben, die für einen Diabetes mellitus sprechen:

u Entweder eine Nüchtern-Plasmaglukose (s. o.) von ≥ 126 mg/dl bzw. ≥ 7,0 mmol/l

oder

u ein Gelegenheits-Plasmaglukosewert (s. u.) von ≥ 200 mg/dl bzw. ≥ 11,1 mmol/l

oder

u einen HbA1c-Wert (s. u.) ≥ 6,5 % bzw. ≥ 48 mmol/mol

oder

u ein 2-Stunden-Wert eines oralen Glukose-Toleranz-Tests (oGTT, s. u.) ≥ 200 mg/dl bzw. ≥ 11,1 mmol/l

Von einem Gelegenheitsblutzucker spricht man bei einem unabhängig von Tageszeit und Nahrungsaufnahme gemessenen Blutzuckerwert.

Der HbA1c-Wert gibt die Menge des mit Glukose verbundenen roten Blutfarbstoffs (Hämoglobin) an und hängt direkt von der Höhe des Blutzuckers ab. Bei Gesunden

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Teil II: Blutzuckermessung

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liegt der Wert bei etwa 5 % (31 mmol/mol). Es handelt sich um eine Art „Blutzucker-gedächtnis“, da es die Blutzuckerstoffwechsellage des Patienten in den letzten acht bis zehn Wochen abbildet. Dieser Wert eignet sich also auch gut als Therapieziel, das der Arzt in Absprache mit dem Patienten festlegt. So soll gemäß S3-Leitlinie der DDG beispielsweise der angestrebte HbA1c-Wert bei Menschen mit Typ-1-Diabetes unter 7,5 % (58 mmol/mol) liegen, ohne dass schwere Hypoglykämien (zu niedrige Blutzuckerspiegel) auftreten [2].

Beim oralen Glukose-Toleranz-Test (oGTT) wird untersucht, wie stark der Blutzucker nach Trinken einer definierten Zuckerlösung ansteigt und dient so dem Nachweis eines gestörten Glukosestoffwechsels. Die in Wasser gelöste Glukose führt zu einem steilen Anstieg der Blutglukosekonzentration, was zu einer Sekre-tion von Insulin führt, um blutzuckersenkende Maßnahmen in Gang zu setzen (s. auch Teil I: Diabetes mellitus). Der oGTT zeigt, ob diese Regelungsfähigkeit gestört ist.

Bei Vorliegen der Diagnose eines Diabetes mellitus trägt das Ergebnis der Blut-zucker messung zur Therapieentscheidung bei.

Die Blutzuckermessung zur Verlaufskontrolle

Patienten mit Diabetes mellitus messen den Blutzucker in der Regel selbst, um den Verlauf ihrer Erkrankung zu kontrollieren. Anders als bei der Blutentnahme beim Arzt, bei der die Glukose aus dem Blutplasma bestimmt wird (s. o.), nutzen die Patien ten bei ihrer Messung sogenanntes kapillares Vollblut. Dieses wird in der Regel der Fingerbeere entnommen und auf einen Teststreifen eines elektronischen Messsystems (Blutzuckermesssystem) aufgetragen.

Wichtig:

Bitte beachten Sie, dass sich die Blutzuckerwerte aus Blutplasma und kapillarem Vollblut aufgrund des unterschiedlichen Wassergehaltes unterscheiden. Die Gluko-sekonzentrationen im Plasma sind durchschnittlich um 11 % höher.

Hinsichtlich der Behandlung des Typ-1-Diabetes sind laut S3-Leitlinie der DDG [2] Kontrollen des Blutzuckers zur Überprüfung der Stoffwechseleinstellung erforderlich. Hierzu gehört neben der HbA1c-Wert-Messung auch die Blutglukose(selbst-)messung.

Abb. 1: Zur Nüchternblutzuckerbestimmung aus dem Blutplasma wird meist eine Blutprobe aus der Armvene entnommen

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Teil II: Blutzuckermessung

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Typ-1-Diabetiker sollten demnach mindestens viermal täglich (vor dem Essen und vor dem Zubettgehen) eine Blutglukoseselbstmessung durchführen.

Nach den Leitlinien sollten in folgenden Situationen zusätzliche Selbstmessungen täglich durchgeführt werden:

u vor, evtl. während und nach intensiver körperlicher Bewegung/Sport, um Hypoglykämien zu vermeiden

u nach einer Hypoglykämie

u im Krankheitsfall

u bei geplanter und während einer bestehenden Schwangerschaft

u vor aktiver Teilnahme am Straßenverkehr und bei längerer Teilnahme auch zwischendurch

u auf Reisen

Für das tägliche selbstverantwortliche Management ist die Stoffwechselselbstkontrolle also unerlässlich. So kann der Diabetespatient die erforderliche Insulindosis vor dem Essen (präprandial [lat.: prandium = Mahlzeit]) ermitteln, seine Insulindosis anpassen, Hypo- und Hyperglykämien vermeiden sowie besondere Situationen wie Krankheit, Sport, Reisen etc. bewältigen. Studienergebnissen zufolge wird jedoch etwa die Hälfte der Typ-2-Diabetiker nicht aktiv, wenn die Blutzuckerwerte vom Zielwert abweichen [3].

Auch beim Typ-2-Diabetiker ohne Insulintherapie kann eine regelmäßige, vom Patien-ten durchgeführte Überprüfung des Blutzuckerspiegels sinnvoll sein. So gibt es Hin-weise, dass eine regelmäßige Blutzuckerselbstmessung den Lebensstil verbessert und dadurch zum Therapieerfolg beiträgt. Erfolge mit kleinen Änderungen der Gewohn-heiten, wie beispielsweise durch sportliche Aktivität, können mit Blutzuckerselbst-messungen beobachtet werden und als Motivation für eine weitere Verbesserung der Lebensweise dienen [4].

Unterschiedliche Messmethoden von Blutzuckermesssystemen

Patienten mit Diabetes mellitus kontrollieren zum Teil mehrmals täglich (s. o.) selb- ständig ihre Blutzuckerwerte mithilfe von Blutzuckermesssystemen. Im Wesentlichen können dabei drei Messmethoden unterschieden werden:

u Photometrische Messung u Amperometrische Messung (elektrochemische Methode) u Nicht invasive Messung

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Teil II: Blutzuckermessung

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Gegenwärtig arbeiten Blutzuckermesssysteme, die zur Selbstkontrolle eingesetzt werden, in der Regel nach der Methode der amperometrischen Messung (elektrochemi-sche Methode), die nur eine geringe Blutmenge erfordert, um in kürzester Zeit den Blutzuckerwert anzuzeigen. Bei dieser Messmethode kommt das Blut im Testfeld in Kontakt mit dem Enzym Glukoseoxidase und mit verschiedenen Elektroden. Der Blutzuckerwert wird dann über den Strom bestimmt.

Die gemessenen Blutzuckerwerte dürfen laut ISO-Norm zu einem gewissen Prozentsatz vom tatsächlichen Wert abweichen (s. Kapitel 5: ISO-Norm von Blutzuckermess-systemen).

Bei Blutzuckermesssystemen, die auf einer photometrischen Messung basieren, reagieren die in einem Teststreifen eingelagerten chemischen Stoffe mit dem Blut. In der Folge kommt es zu einer Farbänderung des Testfelds, mit der das Messsystem den Blutzucker bestimmen kann.

Bei der nicht invasiven Methode kann der Blutzuckerwert ohne Blutabnahme gemessen werden. Prinzipiell ist mit Hilfe nicht invasiver Verfahren ein dauerhaftes Monitoring des Blutzuckerspiegels möglich, viele Geräte mit dieser Methode sind jedoch noch in der Entwicklungsphase mit mehr oder weniger großen Erfolgsaussich-ten.

Korrekte Durchführung einer Blutzuckerselbstmessung

Die modernen Systeme zur Selbstmessung sind heute in der Regel klein und handlich und benötigen nur eine kleine Blutmenge. Um zuverlässige Messergebnisse zu erhal- ten, sind jedoch einige Maßnahmen zu beachten, die Sie den Diabetespatienten im Rahmen einer kompetenten Beratung in der Apotheke erläutern können:

u Messutensilien: Zuerst sollten alle zur Messung benötigten Materialien wie Blutzuckermessgerät, Teststreifen, Stechhilfe mit Lanzette, Tupfer, Tagebuch und Stift bereitgelegt werden.

u Hände waschen: Der Patient sollte sich die Hände mit Wasser und Seife waschen und sie danach gut abtrocknen. Warmes Wasser verbessert die Durchblutung in den Fingern und erleichtert die Blutentnahme. Es sollten/müssen weder Desinfek-tionsspray noch Alkohol verwendet werden, um Hautreizungen und falsche Messwerte durch eventuell verbliebene Reste zu vermeiden.

Abb. 2: Blutzuckermessgerät, das auf amperometrischer Messung (elektrochemische Methode) beruht

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Teil II: Blutzuckermessung

u Teststreifen: Nach Entnahme eines Teststreifens aus dem Teststreifenröhrchen (mit trockenen Händen) sollte dieses gleich wieder verschlossen werden. Der Teststreifen kann dann in das Messgerät eingeführt werden. Nach Ablauf des Verfallsdatums sollten die Teststreifen nicht mehr verwendet werden. Manche Blutzuckermesssysteme müssen bei jeder neuen Teststreifenpackung auf die jeweilige Charge kodiert werden (entweder manuell oder mittels Kodierchip). Bitte beachten Sie diesbezüglich die jeweiligen Gebrauchsanweisungen der Messsysteme.

u Stechhilfe und Bluttropfen: Die Stechhilfe sollte seitlich an der Fingerbeere aufgesetzt werden, da sie dort weni- ger empfindlich ist. Um einen Bluttropfen zu gewinnen, sollte der Patient nur leicht drücken – ein starkes Quet- schen kann zu einer Verdünnung des Bluttropfens durch austretende Gewebsflüssigkeit führen und das Messer-gebnis verfälschen. Das Blut wird dann in den Teststreifen eingesogen. Nach kurzer Zeit erscheint der Blutzucker-wert auf dem Display. Es muss darauf geachtet werden, welche Einheit bei dem Messgerät eingestellt ist (mg/dl oder mmol/l).

u Pflege: Der Patient kann zwischen den einzelnen Fingern abwechseln und seine Hände beispielsweise abends mit einer feuchtigkeitsspendenden Creme behandeln. So kann eine unangenehme Hornhautbildung vermieden werden.

u Dokumentation: Der Diabetespatient profitiert von der Blutzuckerselbstkontrolle, wenn er selbst bzw. sein Arzt Konsequenzen aus den gemessenen Werten ziehen kann. Dies gelingt am besten mit Hilfe digitaler Dokumentationsmöglichkeiten (z. B. einer App) oder eines Diabetiker-Tagebuchs. Anhand dieser Dokumentation können etwaige Insulindosisanpassungen erfolgen, besondere Situationen wie Krankheit und Sport (s. o.) verglichen und tageszeitliche Schwankungen erkannt werden. Insgesamt lassen sich so Verlauf und Kontrolle der Erkrankung gemeinsam mit dem Diabetes-Team bewerten.

u Digitale Dokumentation: Vorteile einer digitalen Dokumentation bestehen beispielsweise darin, dass mit Hilfe einer App die Messwerte auch an den Arzt gesendet werden können. Darüber hinaus wird eine Hilfestellung zur Interpretation der Messwerte gegeben und Fortschritte können besser verfolgt werden.

Abb. 3: Um einen Bluttropfen zur Blutzuckermessung zu gewinnen, sollte man nur leicht drücken, um das Messergebnis nicht zu verfälschen

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Diabetes mellitus und BlutzuckermessungZERTIFIZIERTE FORTBILDUNG

Teil II: Blutzuckermessung

5 ISO-Norm von Blutzuckermesssystemen

In Deutschland sind die Anforderungen an Blutzuckermesssysteme zur Eigenanwen-dung bei Diabetes mellitus in der sog. DIN EN ISO 15197 geregelt, die von der Internationalen Organisation für Normung (ISO) festgelegt wird. Seit Mai 2016 ist die Fassung aus dem Jahr 2013 (ISO 15197:2013, EN ISO 15197:2015) [5] nach einer Übergangsfrist von 3 Jahren verbindlich in Kraft.

Die ISO-Norm 15197 enthält unter anderem sowohl Angaben zur Sicherheit und Zuverlässigkeit von Blutzuckermesssystemen als auch zur Bewertung der analytischen Leistung, deren Grundlage die Systemgenauigkeit ist. Zur Systemgenauigkeit wiederum zählen Präzision, die die Streuung von Messwerten beschreibt, und Richtigkeit, die die Messwerte mit einer Laborreferenzmethode vergleicht.

Die folgende Tabelle zeigt die in der ISO-Norm festgelegten Qualitätsstandards für Blutzuckermessgeräte.

Im Gegensatz zu früheren Fassungen der ISO-Norm definiert diese Fassung erstmals auch Anforderungen bezüglich der Anwenderfreundlichkeit der Messsysteme. Die Bedienung der Messsysteme soll einfach und unkompliziert sein. Sie soll den Benutzer in die Lage versetzen, das Messsystem allein durch Lesen der Bedienungsanleitung ordnungsgemäß zu bedienen. Die Messergebnisse müssen auf dem Display gut ablesbar sein und Bedienungsfehler dürfen nicht zu einem falsch ermittelten Blut-zuckerwert führen.

ISO Norm EN ISO 15197:2015 (ISO 15197:2013)

Blutzuckerkonzentration Toleranzbereich

≥ 100 mg/dl (≥ 5,6 mmol/l) ± 15 %

< 100 mg/dl (< 5,55 mmol/l) ± 15 mg/dl (± 0,83 mmol/l)

Mindestanforderung: 95 % aller Messwerte müssen innerhalb der Toleranzbereiche liegen

Tab. 1: Toleranzbereiche bei bestimmten Blutzuckerkonzentrationen in der ISO-Norm 15197

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Diabetes mellitus und BlutzuckermessungZERTIFIZIERTE FORTBILDUNG

Teil II: Blutzuckermessung

6 Rechtliche Grundlagen und Kostenübernahme

Bei Blutzuckermesssystemen handelt es sich nach § 3 Nr. 4 des Medizinprodukte-gesetzes um Medizinprodukte (In-vitro-Diagnostika). Nach § 33 SGB V sind sie Hilfs- mittel und im Hilfsmittelverzeichnis (s. u.) unter der Produktgruppe 21 (Messgeräte für Körperzustände/-funktionen) aufgeführt.

Hilfsmittelverzeichnis: Der GKV-Spitzenverband erstellt ein systematisch strukturier-tes Hilfsmittel- sowie ein dazu gehörendes Pflegehilfsmittelverzeichnis. Darin sind von der Leistungspflicht der Kranken- und Pflegekassen umfasste Hilfsmittel gelistet. Das Hilfsmittelverzeichnis enthält 33 unterschiedliche Produktgruppen, wie z. B. Absauggeräte, Gehhilfen, Bestrahlungsgeräte etc.

Blutzuckerteststreifen sind hingegen keine Hilfsmittel – der Anspruch der Versicher-ten auf sie wird im § 31 SGB V geregelt. Nach diesem Paragrafen sind die Blutzucker-teststreifen grundsätzlich zuzahlungsfrei (Absatz 3).

Nach Angaben des G-BA (Gemeinsamer Bundesausschuss) werden die Kosten für die Blutzuckerteststreifen bei insulinpflichtigen Diabetespatienten uneingeschränkt von der gesetzlichen Krankenversicherung übernommen [6]. Diese Patientengruppe muss vor der Insulingabe ihren Blutzucker selbst messen, damit sie die Insulinmenge möglichst präzise an den aktu-ellen Bedarf anpassen kann. Aus diesem Grunde sind die Patienten auf Blutzuckerteststreifen angewiesen. Auch hinsichtlich der Anzahl der hierfür benötigten Teststreifen gibt es keine Obergren-ze, wie teilweise vermutet wird [7].

Bei nicht insulinpflichtigen Diabetespatienten sieht die Situation jedoch anders aus. Für diese Patientengruppe hat der G-BA eine Einschränkung der Verordnungsfähigkeit von Harn- und Blutzucker-teststreifen formuliert [6]. Bei Vorliegen einer instabilen Stoff wech-sellage dürfen die Teststreifen ausnahmsweise weiter ver ordnet werden, jedoch nur bis zu 50 Stück pro Behandlungs situation [7]. Literatur:

[1] Müller-Wieland D et al. Definition, Klassifikation und Diagnostik des Diabetes mellitus. Diabetologie und Stoffwechsel 2016;11(Suppl2):S78–S81.

[2] Matthaei S und Kellerer M. S3-Leitlinie Therapie des Typ-1-Diabetes – Version 1.0; September / 2011.[3] Polonsky WH et al. A survey of blood glucose monitoring in patients with type 2 diabetes: are re c om-

mendations from health care professionals being followed? Curr Med Res Opin. 2011;27(S3):31–37.[4] Ärzte Zeitung: Blutzucker-Messung fördert gesunden Lebensstil (08.05.2014).[5] Testsysteme für die In-vitro-Diagnostik – Anforderungen an Blutzuckermesssysteme zur Eigen-

anwendung bei Diabetes mellitus (ISO 15197:2013); Deutsche Fassung EN ISO 15197:2015.[6] G-BA: Verordnungseinschränkung bei Harn- und Blutzuckerteststreifen, Stand: 12.01.2015.[7] DDG-Pressemeldung vom 14.04.2014: Erstattung von Blutzuckerteststreifen: keine Verordnungs-

obergrenze bei insulinpflichtigem Diabetes, abgerufen am 10.12.2016.

Abb. 4: Bei insulinpflichtigen Patienten werden die Kosten für die Blutzuckerteststreifen von der GKV übernommen

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Diabetes mellitus und Blutzuckermessung

ZERTIFIZIERTE FORTBILDUNG

Die Apotheke ist häufig die erste Anlaufstelle für Patienten, wenn Fragen zur Blut-zuckermessung auftreten oder ein Problem mit dem Blutzuckermessgerät besteht. Aufgrund dessen hat die Apotheke im Bereich der Blutzuckerselbstkontrolle für Diabetespatienten eine wichtige Beratungsfunktion, um ihnen die richtige Anwen-dung des Messgerätes zu erklären, sie zur Blutzuckermessung zu beraten und sie mit Messsystem und passenden Teststreifen zu versorgen. Dies kann ausschlaggebend dafür sein, wie gut das Therapiemanagement zu Hause durchgeführt wird.

Für Patienten, die noch auf kein Messsystem eingestellt sind und eine Beratung in der Apotheke in Anspruch nehmen möchten, ist ein geeignetes Messsystem abhän-gig von den individuellen Bedürfnissen auszuwählen.

Auswahl des geeigneten Messsystems

Blutzuckermesssysteme bestimmen meist mit Hilfe elektrochemischer Messprinzipien die Blutzuckerkonzentration und verwenden kapillares Vollblut (mit korpuskulären Bestandteilen wie Erythrozyten, Leukozyten und Thrombozyten) als Probenmaterial [1].

Teil III: Abgabe und Beratung in der Apotheke

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Diabetes mellitus und BlutzuckermessungZERTIFIZIERTE FORTBILDUNG

Teil III: Abgabe und Beratung in der Apotheke

Das Blutzuckermesssystem sollte den Bedürfnissen des Patienten entsprechen. Ein optimal auf den Patienten abgestimmtes Messsystem erleichtert eine regelmäßige Blutzuckermessung und trägt somit zur erfolgreichen Therapie bei. Folgende Para-meter sind hierbei zu berücksichtigen [2]:

uBenötigte Blutmenge: Zwischen 0,3 und 1,2 µl Kapillarblut, empfehlenswert für den Patienten ist eine möglichst kleine benötigte Blutmenge.

uMessdauer: Gerätespezifisch zwischen 4 und 10 Sekunden.

uKonzentrationseinheiten: In Deutschland wird der Blutzucker in mg/dl oder mmol/l angegeben (meistens gerätespezifisch und nicht verstellbar). Hierbei sollte dem Patienten der Unterschied erklärt werden und auf eine mögliche Verwechslungsgefahr der Einheiten hingewiesen werden.

uGröße und Gewicht: Messgeräte mit Testkassette (enthalten Stechhilfe, Lanzet-tentrommel und Blutzuckertests) haben ein höheres Gewicht und sind größer als Messgeräte mit separater Stechhilfe und Teststreifen. Für motorisch einge-schränkte Patienten kann außerdem ein großes Gehäuse mit weit auseinander-liegenden Tasten sinnvoll sein.

uSpeicherung von Messwerten/Schnittstelle zum Computer: Meist haben die Systeme eine Kapazität von mindestens 400 Werten mit Uhrzeit und Datum [1]. Zusätzlich können je nach Messgerät prä- und postprandiale Werte markiert und/oder ein Mittelwert aus Wochen und Monaten ermittelt werden.

uIntegrierte Kalkulatoren: Messsysteme einiger Hersteller haben einen integrierten Kalkulator der zu verabreichenden Insulindosis. Alle Daten können am Computer ausgewertet werden, es existieren jedoch keine allgemeinen Standards.

uZusatzfunktionen: Sprachausgabe des Ergebnisses (bei Sehschwäche oder -behinderung empfehlenswert), Beleuchtung am Gerät, Schätzung des HbA1c-Wertes (s. Teil II: Blut zuckermessung), drei farbige Anzeige zur Interpretation der Messergebnisse

uHandhabung und Reinigung: Es ist wichtig, dass der Patient mit seinem System eine erfolgreiche Kontrolle seiner Blutzuckerwerte bzw. der Insulintherapie durchführen und es ordnungsgemäß bedienen kann. Deshalb sind alle indivi-duellen Gegebenheiten des Patienten mit einzubeziehen, vor allem Alter und Fingerfertigkeit. Darüber hinaus sind auch Geräte für Linkshänder verfügbar. Generell vorteilhaft sind Mess geräte mit gut lesbaren Messwerten auf einem großen Display, die dem Patienten einfach darstellen (z. B. mit einer farbigen Anzeige), ob der Messwert im Norm bereich liegt.

Für den Patienten sollte durch den Apotheker eine Vorauswahl von mindestens zwei Messsystemen getroffen werden [2]. Der Patient sollte die Möglichkeit haben, diese auszuprobieren, um das für ihn am besten geeignete System auszusuchen.

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Diabetes mellitus und BlutzuckermessungZERTIFIZIERTE FORTBILDUNG

Teil III: Abgabe und Beratung in der Apotheke

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Bei Bedarf: Auswahl einer geeigneten Stechhilfe

Es gibt Stechhilfen, bei denen die Lanzette manuell nach jedem Gebrauch sicher entfernt und entsorgt werden muss (in bruchsicheren Abwurfbehältern). Andere Stechhilfen haben eine Lanzettenkassette, die durch Drehung eine neue Nadel zur Verfügung stellt [1].

Die Einstichtiefe lässt sich je nach Hautdicke individuell einstellen.

Es ist wichtig, dem Patienten zu erklären, dass es sich bei Lanzetten um Einmalpro-dukte handelt. Die heutigen Lanzetten haben einen Spezialschliff, der die Schmerzen beim Einstich auf ein Minimum reduziert. Wird die Lanzette mehrmals benutzt, wird sie stumpf, verletzt die Haut und verursacht unnötige Schmerzen, eventuell sogar eine Infektion [3].

Ersteinweisung des Patienten in die Blutzuckermessung

Bei der Ersteinweisung kommt es darauf an, dem Patienten das Prinzip der Blutzu-ckermessung zu erläutern und das jeweilige Messsystem mit all seinen Funktionen verständlich zu machen.

Die Basisfunktionen und -einstellungen des Blutzuckermessgeräts (abhängig vom Gerätetyp):

uEin- und AusschaltenuSpeicherfunktionenuEinstellen von Datum und UhrzeituEinstellen der gewünschten Messeinheit, sofern möglich (mg/dl oder mmol/l)

Rahmenbedingungen

u Temperatur: Teststreifen und Messgeräte sind temperaturempfindlich (Herstellerangaben beachten!)

u Messbereich: zwischen 10 mg/dl und 600 mg/dl bzw. zwischen 0,6 mmol/l und 33,3 mmol/l [1]

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Diabetes mellitus und BlutzuckermessungZERTIFIZIERTE FORTBILDUNG

Teil III: Abgabe und Beratung in der Apotheke

Handhabung und Lagerung der Teststreifen:

• Meist zwischen 6 °C und 44 °C (nicht im Kühlschrank oder Gefrierfach), auf Herstellerangaben achten!

• Vor direkter Sonneneinstrahlung schützen

• Auf das Verfallsdatum achten (nach Ablauf nicht mehr verwenden!)

• Öffnungsdatum auf der Dose notieren (Haltbarkeit: meist 3 Monate nach Öffnen (Herstellerangaben beachten!); die Haltbarkeit verkürzt sich bei Überschneidung mit dem Verfallsdatum)

• Teststreifen mit sauberen, trockenen Händen entnehmen

• Dose sofort nach Entnahme eines Teststreifens verschließen

• Teststreifen nur im Originalbehältnis aufbewahren

Ein Test mit der Kontrolllösung ist erforderlich in folgenden Fällen:

• Öffnen einer neuen Teststreifendose

• Fragliche Testergebnisse

• Generelle Überprüfung des Messgerätes / der Teststreifen

• Vermutung, dass das Messgerät und/oder die Teststreifen nicht richtig funktionieren

• Heruntergefallenes Messgerät

• Lagerung ober- oder unterhalb der vorgegebenen Temperaturen

Erläuterung der korrekten Durchführung der Blutzuckerselbstmessung (s. Teil II: Blutzuckermessung):

• Vorbereitung der Messutensilien: Messgerät, Teststreifen, Stechhilfe, Tupfer/ Taschentuch, ggf. Blutzuckertagebuch und Stift bereitlegen

• Auf saubere und trockene Hände bzw. Sauberkeit der alternativen Messstelle achten

➔ Waschen mit Seife und Wasser ist ausreichend, alkoholische Desinfektion nicht erforderlich!

• Kurz vor der Messung die Hände mit warmem Wasser waschen, um die Durch-blutung anzuregen

• Entnahme eines Teststreifens, sofortiges Verschließen der Teststreifendose und Einführen des Teststreifens in das Messgerät

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Diabetes mellitus und BlutzuckermessungZERTIFIZIERTE FORTBILDUNG

Teil III: Abgabe und Beratung in der Apotheke

• Punktion mit der Stechhilfe vorzugsweise an der seitlichen Fingerbeere

➔ kleiner Finger, Mittel- und Ringfinger eignen sich am besten, da sie im Alltag nicht so oft gebraucht werden wie Zeigefinger und Daumen

➔ Punktionsstelle regelmäßig wechseln

• Bluttropfen durch leichtes Drücken gewinnen

➔ bei frisch gewaschenen Händen immer den ersten Blutstropfen verwenden, bei starker Verschmutzung der Hände den zweiten Tropfen

• Lanzette und Teststreifen sicher entsorgen (bruchsicherer Abwurfbehälter)

• Ergebnis ablesen und dokumentieren (Blutzuckertagebuch)

Dokumentation und Interpretation der Blutzuckerwerte:

Es empfiehlt sich, zur Blutzuckerkontrolle ein Tagebuch zu führen, in schriftlicher oder elektronischer Form. Dieses dient als Beratungsgrundlage für Arzt und Apothe-ker. Durch strukturiertes Management und Dokumentation der Blutzuckerwerte und -trends kann die Zusammenarbeit zwischen Patient und Arzt/Apotheke gefördert sowie die Eigenmotivation des Patienten gestärkt werden.

Der Patient muss in der Lage sein, die gemessenen Blutzuckerwerte richtig zu inter-pretieren und Stoffwechselschwankungen (Hyper- und Hypoglykämie) zu erkennen. Deshalb sollte der Patient auch hierzu informiert und beraten werden, vor allen Dingen, wie er sich bei ungewöhnlichen (sehr hohen / sehr niedrigen) Messwerten verhalten soll. Dies ist entscheidend, da Studienergebnisse belegen, dass Diabetiker zum einen nicht so häufig ihren Blutzuckerwert bestimmen, wie es empfohlen wird und zum anderen oft nicht aktiv werden, wenn der Messwert vom Zielwert abweicht [4]. Zudem konnte gezeigt werden, dass eine Farbanzeige die Einordnung und Interpretation der Messwerte erleichtert [5].

Hyperglykämie:

Ein Arztbesuch ist umgehend erforderlich, wenn die Blutglukosewerte nüchtern über 125 mg/dl bzw. 7,0 mmol/l und nach einer Mahlzeit über 200 mg/dl bzw. 11,1 mmol/l liegen [6]. Symptome einer Hyperglykämie sind z. B. starkes Durstgefühl, Bewusst-seinstrübung, Übelkeit und Erbrechen.

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Diabetes mellitus und BlutzuckermessungZERTIFIZIERTE FORTBILDUNG

Teil III: Abgabe und Beratung in der Apotheke

Hypoglykämie:

Bei einer Hypoglykämie sinkt der Blutglukosewert unter 65 mg/dl bzw. 3,6 mmol/l [7]. Symptome sind z. B. Zittern, Schwitzen, Tachykardien (Herzrasen), Bewusst-seinstrübung und bei sehr niedrigen Werten schließlich Krampfanfälle und Bewusst-losigkeit [8]. Die DDG empfiehlt schon bei Verdacht auf eine Hypoglykämie Zucker (z. B. Traubenzucker) zu verabreichen [9]. Weist der Patient schwere Symptome wie Krampfanfälle und Bewusstlosigkeit auf, so ist ein Notarzt zu rufen.

Erläuterung der Messung an alternativen Körperstellen (Alternate Site Testing = AST):

Eine Messung an alternativen Körperstellen, z. B. Unterarm, Oberschenkel, Bauch, wird nur bei langsamen Blutzuckerveränderungen und stabilen Blutzuckerwerten empfohlen. Das Messsystem muss laut Herstellerangaben für AST geeignet sein. Besteht ein Verdacht auf Unterzuckerung, sollte die Messung immer an der Finger-beere vorgenommen werden [1].

Erläuterung möglicher Fehlerquellen:

Verschiedene Fehler können die Messergebnisse verfälschen und somit zu einer falschen Interpretation der Blutzuckerwerte führen. Der Patient sollte auf diese möglichen Fehlerquellen hingewiesen werden, damit er sie vermeiden kann.

m umgehend über 125 mg/dl bzw. über 7,0 mmol/l

über 200 mg/dl bzw. über 11,1 mmol/l

m in absehbarer Zeit 100–125 mg/dl bzw. 5,6–7,0 mmol/l

140–200 mg/dl bzw. 7,8–11,1 mmol/l

m bei Ihrem nächsten Besuch unter 100 mg/dl bzw. unter 5,6 mmol/l

unter 140 mg/dl bzw. unter 7,8 mmol/l

Sie sollten darüber Ihren Nüchtern Nach der Mahlzeit Arzt informieren:

Tab. 1: Ausschnitt aus dem Patienteninformationsbogen der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA) und der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) [6]

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Diabetes mellitus und BlutzuckermessungZERTIFIZIERTE FORTBILDUNG

Teil III: Abgabe und Beratung in der Apotheke

Berühren des Teststreifens

bei wenigen Teststreifen Verfälschung möglich

erniedrigt oder erhöht

➔Teststreifenfeld nicht berühren

Blutentnahmestelle nicht sauber

Lebensmittelreste, Schweiß, Kosmetika, Handcreme

verfälscht ➔Hände gründlich waschen

Blutentnahmestelle noch feucht

Wasser oder Alkohol verfälscht ➔Blutentnahmestelle muss trocken sein

Galaktosämie kann Messergebnis beeinflussen

falsch erhöht ➔geeignete Methode verwenden

Haltbarkeitsdatum überschritten

die Enzyme haben sich abgebaut

verfälscht/keine Messung möglich

➔Haltbarkeitsdatum beachten

Hyperlipidämie/Hyperurikämie

stark erhöhte Cholesterin-, Triglycerid- oder Harn- säurewerte

verfälscht ➔Laborwerte beachten

Lagerung der Test- streifen, Dose nicht verschlossen, Test- streifen bereitgelegt für nächste Messung

Luftfeuchtigkeit, Hitze, Kälte beeinflussen Aktivität

verfälscht ➔Lagerungsbedingungen einhalten, Dose immer verschließen, Teststrei- fen unmittelbar vor Messung entnehmen

Peritonealdialyse (CAPD mit Icodextrin)

kann Messergebnis beeinflussen

falsch erhöht ➔geeignete glukose- spezifische Methode verwenden

starkes Pressen der Fingerbeere

Umgebungsbedingun-gen (Temperatur, Höhe)

zu wenig Blut

Gewebewasser verdünnt die Blutprobe

Enzymreaktion ist temperatur-/sauerstoff-abhängig

Testfeld nicht ausreichend bedeckt

erniedrigt

verfälscht

erniedrigt oder Fehlermeldung

➔Hände warm waschen, nur leicht drücken

➔vorgeschriebene Um- gebungsbedingungen einhalten

➔korrekte Blutmenge beachten

Fehlerquelle Ursache Blutzuckerwert Vermeidung

Tab. 2: Mögliche Fehlerquellen bei der Blutzuckerselbstmessung [1]

Nach der Ersteinweisung des Patienten sollte mit dem Apotheker zusammen eine Blutzuckermessung durch den Patienten selbst vorgenommen werden. Wird ein Patient auf ein neues Blutzuckermesssystem eingestellt, z. B. weil er noch ein altes Gerät verwendet, ist eine Folgeeinweisung durchzuführen [2].

Monitoring:

Ein- bis zweimal pro Jahr sollte die Blutzuckerselbstkontrolle des Patienten in der Apotheke überprüft und besprochen werden. Hierbei sollte evaluiert werden, ob der Patient die Messungen richtig durchführt, die Ergebnisse interpretieren kann und ob eventuelle Fehler das Ergebnis verfälschen [2, 10].

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Diabetes mellitus und BlutzuckermessungZERTIFIZIERTE FORTBILDUNG

Teil III: Abgabe und Beratung in der Apotheke

4 Das Beratungsgespräch in der Apotheke

Nachfolgend sind exemplarische Beratungsgespräche zum Thema Blutzuckermessung und -messsysteme dargestellt, so wie sie in der Apotheke stattfinden könnten. Diese sollen Anregungen zur Gestaltung eines Gesprächs liefern.

GESPRÄCHSBEISPIEL 1: (P = Patient, A = Apotheker/PTA)

Der Patient bekommt zum ersten Mal ein Blutzuckermesssystem.

P: Guten Tag! Ich werde demnächst zusätzlich zu meinen Blutzuckertabletten wahrscheinlich Insulin spritzen müssen. Ich möchte jetzt schon beginnen, meine Blutzuckerwerte täglich zu kontrollieren. Können Sie mir ein Messsystem emp-fehlen?

A: Es gibt viele verschiedene Blutzuckermesssysteme. Ich empfehle Ihnen eines, das den neuesten Qualitätsstandards entspricht. Ich erkläre Ihnen gerne, wie die Blut- zuckermessung funktioniert und zeige Ihnen einige Systeme. Folgen Sie mir doch bitte in unsere Beratungsecke.

P: Mit der neuen Technik stehe ich allerdings auf Kriegsfuß, also bitte kein kompli-ziertes High-Tech-System.

A: Keine Angst, die neuen Messsysteme sind sehr einfach zu bedienen, zeigen die Messwerte gut lesbar an und speichern diese sogar. Wissen Sie denn, in welchen Bereichen Ihre Blutzuckerwerte liegen sollten?

P: Nein, das müsste ich noch einmal nachlesen.

A: Ihr Blutzucker sollte nüchtern unter 110 mg/dl liegen, nach der Mahlzeit unter 140 mg/dl. Zum Arzt gehen sollten Sie, wenn die Werte extrem hoch oder niedrig sind, also wenn der Blutzuckerwert nüchtern über 125 mg/dl bzw. unter 65 mg/dl liegt.

P: Das hört sich aber kompliziert an. Ich hoffe, ich kann die Werte gut erkennen, bei diesen kleinen Geräten.

A: Es gibt Blutzuckermesssysteme, die auf einer Farbskala anzeigen, ob die gemes-senen Werte im Normbereich liegen und den Wert groß und gut lesbar anzeigen. Ein solches würde ich Ihnen gerne als Erstes vorstellen. Wir können danach zum Vergleich ein zweites Messgerät ausprobieren.

➔ Ersteinweisung, Demonstration der Systeme und Testmessungen.

P: Ich würde gerne dieses System nehmen. Es ist sehr einfach zu bedienen und ich kann die Messwerte gut lesen.

A: Dieses System können Sie auch gleich heute mitnehmen. Bitte informieren Sie Ihren behandelnden Arzt, welches System Sie künftig nutzen.

P: Einverstanden, dieses System nehme ich.

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Diabetes mellitus und BlutzuckermessungZERTIFIZIERTE FORTBILDUNG

Teil III: Abgabe und Beratung in der Apotheke

GESPRÄCHSBEISPIEL 2: (P = Patient, A = Apotheker/PTA)

Der Patient kommt mit seinem Blutzuckermesssystem in die Apotheke.

P: Guten Tag! Ich habe das Gefühl, mein Blutzuckermessgerät funktioniert nicht richtig. Ich habe gerade gemessen, und es zeigte einen niedrigen Wert an: 65 mg/dl

A: Guten Tag! Folgen Sie mir bitte in unseren Beratungsraum und setzen Sie sich erst einmal. Wir führen eine erneute Blutzuckermessung mit unserem Testsystem durch. Haben Sie denn Beschwerden, fühlen Sie sich zittrig oder haben Sie Herzklopfen?

P: Nein, ich fühle mich gut.

A: Unsere Messung zeigt einen Wert von 80 mg/dl. Haben Sie gerade etwas gegessen?

P: Meine letzte Mahlzeit liegt mehr als vier Stunden zurück.

A: Unser gemessener Wert liegt noch im Normbereich, Sie sollten allerdings Ihren Arzt beim nächsten Besuch über unser Messerergebnis informieren. Als Nächstes kümmern wir uns um Ihr Messsystem. Erklären und zeigen Sie mir doch bitte, wie Sie es normalerweise anwenden.

➔ Patient erklärt und demonstriert die Blutzuckerselbstmessung.

P: Normalerweise bereite ich all meine Materialien vor, wasche mir die Hände und starte dann mit der Messung.

A: Trocknen Sie Ihre Hände auch gut ab, bevor Sie die Messung durchführen?

P: Das weiß ich gar nicht, aber darauf werde ich jetzt verstärkt achten.

A: Moment, Sie haben gerade sehr stark gepresst um einen Bluttropfen zu gewinnen.

P: Aber ansonsten bekomme ich keine ausreichende Menge an Blut. Ich habe das Gefühl, meine Hände sind nicht sonderlich gut durchblutet.

A: Durch das starke Herauspressen des Bluttropfens kann es zu falsch erniedrigten Messwerten kommen, da eventuell Gewebewasser mit austritt. Der Bluttropfen zur Messung sollte nur durch leichtes Drücken gewonnen werden. Es kann schon helfen, wenn Sie Ihre Hände vor der Messung mit warmem Wasser waschen oder auch kurz ausschütteln, um die Durchblutung anzuregen.

P: Das habe ich noch nie versucht, werde es aber auf jeden Fall ändern.

➔ Erneute Selbstmessung durch den Patienten, mit warmen Händen und ohne starkes Pressen.

A: Jetzt zeigt Ihr System ebenfalls einen zu unserer Messung vergleichbaren Wert an. Es ist außerdem wichtig, dass Sie einen Test mit der mitgelieferten Kontroll-lösung durchführen, um die ordnungsgemäße Funktion des Gerätes und der Teststreifen zu überprüfen.

P: Danke für Ihre Beratung, das werde ich zuhause machen und mich ansonsten noch einmal bei Ihnen melden. Auf Wiedersehen!

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Teil III: Abgabe und Beratung in der Apotheke

GESPRÄCHSBEISPIEL 3: (P = Patient, A = Apotheker/PTA)

Der Patient benutzt ein älteres Messgerät, das ihm Probleme bei der Anwendung bereitet.

P: Guten Tag! Ich möchte mein Rezept über Insulinpatronen einlösen.A: Guten Tag! Sehr gern, wir haben das Insulin vorrätig. Kommen Sie denn mit Ihrer

Insulintherapie gut zurecht? Haben Sie Ihre Blutzuckerwerte unter Kontrolle?

P: Um ehrlich zu sein, schwanken die Messwerte manchmal. Auch sonst habe ich den Eindruck, dass mein Messgerät nicht mehr gut funktioniert. Mit der Blutzu-ckermessung komme ich im Allgemeinen gut zurecht, nur beim Eintragen der Werte in mein Blutzuckertagebuch bin ich etwas nachlässig geworden.

A: Welches Blutzuckermessgerät verwenden Sie denn derzeit?

P: Ich verwende schon seit Jahren das Gerät X.A: Dabei handelt es sich um ein älteres Modell. Wenn Sie das Führen eines Blutzu-

ckertagebuches vermeiden möchten, kann ich Ihnen einige neuere Systeme emp-fehlen. Mittlerweile gibt es nämlich Systeme, bei denen die Werte auf einen Com-puter oder ein Smartphone übertragen werden können. Dann wird gar kein Blut- zuckertagebuch mehr benötigt. Auch die Handhabung der neueren Geräte ist einfacher, bei einigen Geräten kann man z. B. direkt durch ein Farbschema sehen, ob der gemessene Blutzuckerwert im Normbereich liegt.

P: Das hört sich gut an, ich würde gerne ein neues System ausprobieren. A: Ich stelle Ihnen gerne zwei Systeme vor, damit wir das für Sie am besten geeignete

Messgerät finden. Wenn Sie möchten, können wir zusammen Testmessungen durchführen, damit Sie sehen, wie die Geräte anzuwenden sind und welche Funk-tionen Sie nutzen können.

➔Demonstration der Systeme und Testmessungen durch den Patienten.P: Ich würde gerne dieses Messsystem nutzen, denn es ist einfach zu bedienen.A: Dieses Messsystem können Sie auch gleich heute mitnehmen. Sie sollten auch

Ihren behandelnden Arzt informieren, welches System Sie künftig nutzen.

P: Vielen Dank für Ihre Beratung! Auf Wiedersehen!

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Teil III: Abgabe und Beratung in der Apotheke

Literatur:

[1] Leitfaden zur Blutzucker-Selbstkontrolle; Stand: Mai 2014; www.vdbd.de.

[2] Standardarbeitsanweisung für die Apotheke: Patientenberatung zur Blutzuckerselbstkontrolle; www.abda.de.

[3] Blutzucker richtig messen; 04.12.2012; www.deutsche-diabetes-gesellschaft.de.

[4] Polonsky WH et al. A survey of blood glucose monitoring in patients with type 2 diabetes: are re c-om mendations from health care professionals being followed? Curr Med Res Opin. 2011;27(S3):31–37.

[5] Grady M et al. A Comprehensive Evaluation of a Novel Color Range Indicator in Multiple Blood Glucose Meters Demonstrates Improved Glucose Range Interpretation and Awareness in Subjects With Type 1 and Type 2 Diabetes. J Diabetes Sci Technol 2016;10(6):1324–1332.

[6] Informationsbogen Blutzucker; www.abda.de.

[7] Stellungnahme der Deutschen Diabetes Gesellschaft zur ICD-Kodierung bei Hypoglykämie; www.deutsche-diabetes-gesellschaft.de.

[8] Matthaei S und Kellerer M. S3-Leitlinie Therapie des Typ-1-Diabetes – Version 1.0; September 2011.

[9] Erste Hilfe bei Unterzuckerung – Deutsche Diabetes Gesellschaft rät zu sofortiger Zuckergabe; 14.01.2014; www.deutsche-diabetes-gesellschaft.de.

[10] Qualitätssicherung der Patientenberatung zur Blutzuckerselbstkontrolle; www.abda.de.


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