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ZEITSCHRIFT FÜR TECHNIK IM UNTERRICHT · PDF fileNeckar-Verlag GmbH • 78045...

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157 ZEITSCHRIFT FÜR TECHNIK IM UNTERRICHT E 3915 Neckar-Verlag 3. Quartal 2015 ISSN 0342-6254
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157ZEITSCHRIFT FÜR TECHNIK IM UNTERRICHT

E 3915

Neckar-Verlag 3. Quartal 2015

ISSN 0342-6254

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Neckar-Verlag GmbH • 78045 VS-Villingen • Tel. +49 (0)77 21/89 87-81 • [email protected] • www.neckar-verlag.de

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Impressum� tu:�Inhalt

tu�157�/�3.�Quartal�2015

� ZeItschrIft�fürtechnIk�Im�UnterrIcht

–��40.�Jahrgang��–

tu:�„technik�im�Unterricht“�erscheint�vierteljährlich.�� �sam�mel���anschrift�für�Verlag,�Anzeigen�und�redak�tion:�neckar-�Verlag�Gmbh,�klosterring�1,�78050�Villingen-schwenningen,��oder�Post�fach�1820,�78008�Villingen-schwen�ningen,��telefon�(07721)�8987-0,�telefax�(07721)�8987-50;�e-mail:�[email protected],�Internet:�http://www.neckar-verlag.de�herausgegeben�vom�neckar-Verlag�Gmbh�in�Zusammen�ar�beit�mit�Burkhard�sachs;�begründet�in�Zusammenarbeit�mit�August�steidle,�73557�mutlangenVerantwortlich�für�die�Auswahl�und�Bearbeitung�der�ma�nu��-�s�kripte:�Burkhard�sachs,�Lichtenbergstr.�18,�79114�freiburg�im�Breisgau;�tel.�(0761)�83759,�fax�(0761)�8975283,��e-mail:�[email protected]�/�herstellung:�Dietmar�schenk,�tel.�(07721)�8987-22,��e-mail:�[email protected]:�silvia�Binninger,�www.designxbinninger.demarketing/Anzeigenleitung/Verkauf:�rita�riedmüller,��telefon�(07721)�8987-44,�e-mail:�[email protected]:�beim�Verlag,��e-mail:�[email protected]�gilt�die�Anzeigenpreisliste�nr.�7�vom�01.05.2014Druck:�Gulde-Druck�Gmbh�&�co.�kG,�72005�tübingeneinzelheft�6,80 €�zuzüglich�Versandkosten;�Jahresabonnement�24,00 €�zuzüglich�Versandkosten;�Abbestellung�8�Wochen�vor�Jahresende�schriftlichhonorierte�Arbeiten�gehen�in�das�uneingeschränkte�Ver�fü�gungs��-recht�des�Verlages�über.�nachdruck�und�gewerbliche�Verwer-tung�nur�mit�schriftlicher�Genehmigung�des�Verlages.�Dies�gilt�auch�für�die�gewerbliche�Vervielfältigung�per�kopie,�die�Auf-nahme�in�elektronische�Datenbanken�und�mailboxen�sowie�für�Vervielfältigungen�auf�elektronischen�Datenträgern.�� �Letzter�Annahmetag�für�An�zeigen�und�redaktionsschluss�ist�der�10.�im�ersten�monat�des�Quartals.

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tobia�Wiemer,�e-mail:�[email protected]

tIteLseIte:�Abbildungen�aus�den�Beiträgen�von�J.�mohr,�W.�schmayl

InhALt

tu:�fachdidaktik

Peter�röBen�und�toBIAs�WIemertechnisches�Wissen�–��Definitionen�und�ihre�Grenzen�. . . . . . . . . . . . . . . . . . � 5

AnDreAs�hüttnertheorie-Praxis-Verknüpfungen�Integrative�Inhaltsbestandteile�der��technischen�Allgemeinbildung��. . . . . . . . . . . . . . . . . 31

tu:�Unterrichtspraxis

thomAs�rAJhüberlegungen�zur�technikdidaktik�in��fächerverbünden�–�systematisierung��Interdisziplinäre�Ansätze�–�erster�teil�. . . . . . . . . . . . 12

JürGen�mohrDie�Ampelsteuerung�Amp�12��. . . . . . . . . . . . . . . . . . 22

tu:�sachinformationen

heLmUt�fIestechnische�Grundsachverhalte�–�einführung��in�die�technikwissenschaft(en)�–�6.�folge��. . . . . . . . 39

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tu 157 / 3. Quartal 2015

Mit dem Verlöschen des römischen Reiches war Europa zunächst im technischen Niveau für längere Zeit zurückgefallen. Zum Hochmittelalter hin, schon bei Karl dem Großen ein-setzend, bahnte sich ein technischer Aufschwung an. Dabei spielte die Was-serkraft eine entscheidende Rolle. Die geographischen und klimatischen Ver-hältnisse boten gerade in Mitteleuropa gute Bedingungen für den Betrieb von Wassermühlen. Das Mahlen von Ge-treide war nur eine Verwendung der Wasserkraft.

Das Wasserrad entwickelte sich im Mittelalter zu einer vielfältig eingesetz-ten Kraftmaschine. Durch die Kombi-nation mit neuen Getriebeformen wie der Kurbelwelle oder der Nockenwelle konnten über drehende Antriebsbewe-gungen hinaus auch lineare erzeugt werden. Letztere ermöglichten es, mit Wasserrädern auch Gattersägen, Stampf- und Hammerwerke, Blasebäl-ge, Pumpen, Drahtziehwerke u.a. zu betreiben.

Die Abb. links zeigt in stilisierender Weise eine Sägemaschine. Zunächst untersetzt ein Rädergetriebe die An-triebsbewegung des Wasserrades, dann wandelt sie ein Kurbelgetriebe in die Auf- und Abbewegung des Säge-gatters um.

Die Abb. rechts aus AgricolAs „Vom Berg- und Hüttenwesen“ zeigt eine Fördermaschine. Der Maschinenar-beiter kann durch den Wechsel zwi-schen den beweglichen Wasserrinnen die Drehrichtung des Wasserrades umkehren, so daß sich der Förderkorb (Bulge) hebt und senkt.

Das Mittelalter kannte mehrere Ty-pen des Wasserrades, die von den Möglichkeiten der Wasserführung bestimmt wurden. Unterschlächtige Wasserräder (siehe Abb. links) waren bei geringerem Gefälle angezeigt. Sie nutzten nur etwa 30 % der Wasser-energie. Oberschlächtige Wasserräder (siehe Abb. rechts) kamen bei stärke-rem Gefälle in Frage. Sie übertrugen bis zu 75 % der Energie, weil bei ihnen das Wasser länger auf die Schaufeln (meist Zellengefäße) einwirkte. Wo es

Kraftmaschine Wasserrad ging, staute man deshalb das Wasser, um es über ein Gerinne von oben auf das Rad zu leiten.Das Wasserrad behielt bis weit in die Neuzeit seine Bedeutung. Erst im 19. Jh. wurde es allmählich von der Dampf-maschine und dann im 20. Jh. vom Elektromotor abgelöst. In Gestalt ver-schiedener Wasserturbinen, bei denen die Schaufeln in einem Rahmengefäß laufen und kein Wasser ungenutzt vor-beiströmt, lebt es weiter und treibt die Generatoren der Wasserkraftwerke.

Literatur:VArchmin/rAdkAu: Kraft, Energie und Arbeit – Energietechnik und Gesell-schaft im Wandel der Zeiten. München 1979 (Dt. Museum)FrAnk TönsmAnn (Hrsg.): Geschichte der Wasserkraftnutzung. Kassel 1996Bildquellen:georg AgricolA: Zwölf Bücher vom Berg- und Hüttenwesen. München 1977 (dtv), S.170 (Abb. rechts)georg Böckler: Theatrum machi-narum novum. Nürnberg 1661 (Abb. links)

Winfried Schmayl

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Allgemeine Probleme tu: Fachdidaktik

EinleitungWenn im Folgenden vom technischen Wissen die Rede ist, dann dreht es sich zunächst einmal um eine beson-dere Form von Wissen in seiner allge-meinen Bedeutung. Aber leider scheint die Bestimmung dessen, was Wissen im Allgemeinen ist, schon nicht eindeu-tig bestimmt zu sein, was natürlich zu Schwierigkeiten führt, wenn man tech-nisches Wissen erklären will. Das ist merkwürdig, denn der Begriff des Wis-sens scheint doch in der Alltagsspra-che klar zu sein. Vielleicht kann man mehr oder weniger wissen, aber nicht zu wissen, was Wissen ist, erscheint doch höchst seltsam. So schreibt z. B. Jörg Ruhloff 20111, dass man eigentlich von der wissenschaftlichen Pädago-gik erwarten könnte, dass sie in ihren Werken klärt, was Wissen ist, denn je-dermann sei klar, dass Schüler, die in den Genuss von Erziehung kommen, am Ende mehr Wissen haben sollten als am Beginn. Ruhloff zitiert Bollmann (2001): „Der Wissensbegriff ist in der Pädagogik der Moderne ein zwar prak-tisch bedeutsamer, aber theoretisch vernachlässigter Begriff.“2 Ruhloff hat sich zehn Jahr später daran gemacht, den Befund von 2001 zu überprüfen und kommt zu dem Urteil, dass man zwar zurecht davon ausgehen sollte, dass der Begriff des Wissens in der Pädagogik geklärt ist, um dann aber festzuhalten: „Für den deutschen Sprachraum trifft das jedoch nicht zu. ‚Wissen‘ ist schon seit langem und noch bis in die jüngste Zeit ein seltener Gast in dieser Gattung der publizis-tischen Produktivität der Erziehungs-wissenschaft.“3 Mit Letzterem sind 12 Werke der Pädagogik gemeint, wie z. B. das Beltz Lexikon der Pädago-gik4, in denen der Begriff entweder gar nicht oder nur sehr knapp beschrieben wird. Diesen Befund haben wir mit den

Hauptwerken der Fachdidaktik in den Fächern Mathematik, Biologie, Che-mie und Physik bestätigen können und kommen zu dem Ergebniss, dass die, die es am meisten mit den Inhalten des zu vermittelnden Wissens zu tun ha-ben, sich zu der Frage, was Wissen ist, merkwürdigerweise bedeckt halten.

Roger Hofer schreibt dazu: „Geht man dem Wissensbegriff im didaktischen Diskurs nach, stellt man schnell fest, dass Wissen weit davon entfernt ist, eine vorrangige didaktische Katego-rie darzustellen. Obschon in regel-mäßigen Abständen von der Wieder-entdeckung des Wissens die Rede ist und dessen Vernachlässigung immer wieder beklagt wird, ist die Verortung und systematische Aufarbeitung des Wissensbegriffs in der (Fach-)Di-daktik bislang ausgeblieben.“5 In der Technikdidaktik gibt es insofern eine Ausnahme als Schmayl immerhin den Begriff des technischen Wissens im Kapitel 2.2.2 seiner „Didaktik des all-gemeinbildenden Technikunterrichts“ ausdifferenziert in die drei Bereiche Erfahrungswissen, Theoriewissen und philosophisches Wissen6.

Vielleicht ergeht es dem Wissensbe-griff ja ähnlich wie dem Bildungsbe-griff. Seit dem Aufkommen des Kom-petenzbegriffes gerät der Begriff der Bildung zunehmend in Bedrängnis. Die enge Verwandtschaft von Bildung und Wissen würde nun vermuten lassen, dass es dem Wissensbegriff genauso ergeht. Doch Schlagworte wie „Wissensgesellschaft“, „Rohstoff Wissen“ machen deutlich, dass der Begriff des Wissens weiterhin sehr geschätzt wird. Wissen ist sogar eine Komponente der Kompetenz, wie man es z. B. der Definition von Kaufhold7 entnehmen kann: Danach umfasst die Kompetenz Wissen, Fähigkeiten/Fertigkeiten, Motive und emotionale

Disposition. Allerdings scheint hier der Begriff Wissen eher mit dem der Infor-mation gleichgesetzt worden zu sein. Seine Verwendung als quasi dingliche Entität wie z. B. in „Rohstoff Wissen“ verweist darauf8. Dass ein diffuser und eng an Information angelehnter Wissensbegriff im Kompetenzbegriff nicht zielführend ist, kann folgender-maßen gezeigt werden:

1. In der Expertise zur Entwicklung nationaler Bildungsstandards wird darauf hingewiesen, dass fach-spezifische Kompetenz ein wich-tiges Bildungsziel ist9. Gleichzei-tig wird darauf hingewiesen, dass fachspezifische Kompetenz durch fachspezifisches Wissen und Kön-nen entsteht. Daraus folgt, dass es notwendig ist, fachspezifisches Wissen zu definieren, denn ohne einen Begriff von den Besonder-heiten des Wissens der eigenen Fachdomäne werden die damit ver-bundenen didaktischen Potenziale nicht genutzt.

2. Die Unterscheidung von Wissen und Information gehört eigentlich in die Grundlagen jeder Didaktik. Denn Wissen ist Wissen von etwas über etwas und damit im Gegen-standsbereich des Fachs verwur-zelt10. Dem Wissen ist das Verhält-nis zwischen seiner Existenzweise im Geist und sein Bezug auf etwas außerhalb des Geistes inhärent. Und der Wissende kann sich da-rüber bewusst sein, welcher Art sein Wissen ist. Jedermann wäre z. B. in der Lage darüber nachzu-denken, wie sicher das Wissen ist, über welches er verfügt. Ist er in der Lage Gründe und Belege für die Richtigkeit seines Wissens an-zugeben? Oder meint er nur, was er sagt? In diesem Fall würde ihn jede Nachfrage leicht auf das dünne Eis schwachen Wissens11 führen. Aus schwachem Wissen wird nur durch Nachprüfungen, Beobachtungen, Experimentieren oder Beweisen belegbares, abgesichertes Wissen. Und an dieser Stelle wird die Unter-scheidung zwischen individuellem Wissen und gesellschaftlichem Wissen wichtig. Jeder Schüler lernt beispielsweise das ohmsche Ge-setz. Zum gesellschaftlich abge-sicherten Wissen wurde es durch

Technisches Wissen – Definitionen und ihre Grenzen

Von Peter Röben und Tobias Wiemer

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tu: Fachdidaktiks Allgemeine Probleme

die Veröffentlichungen Ohms im Jahre 1825 oder spätestens durch seine Nachentdeckung 1837, weil es zunächst nicht akzeptiert wur-de12. Individuell kann das Wissen über das ohmsche Gesetz jedoch schwaches Wissen sein, wie die weite Verbreitung von Eselsbrü-cken für das Memorieren dieses einfachen Gesetzes anzeigt, die selbst bei Studenten noch verbrei-tet sind.

3. Wissen über das Wissen und seine Ausprägungen sind entscheidend für das Lernen, denn ohne dass der Lernende Wissen über die Qualität seines Wissens erlangt, z. B. in-dem er darüber reflektiert, bleibt die Lernanstrengung schnell beim schwachen Wissen stehen, gibt er sich mit Meinungen zufrieden und es entsteht die Gefahr der Ausbrei-tung von Halbwissen. Der Informa-tion ist dieser Bezug auf sich nicht inhärent.

Ein gut ausgebildeter Wissensbegriff sollte daher sowohl in der Pädagogik vermittelt werden als auch in jeder Fachdidaktik, die im Unterschied zum allgemeinen Wissen, das Besondere ihrer Domäne zu vermitteln hätte. In der Technikdidaktik gibt es Ansätze für einen fachspezifischen Wissens-begriff. Schmayl merkt dazu an, dass der Technikunterricht in der Lage sein soll „geistige Inhalte in Form eines re-präsentativen technischen Wissens zu vermitteln13“. Bei der Definition des Wissensbegriffs bleibt Schmayl je-doch sehr kurz und allgemein. Zwei mögliche Betrachtungsweisen werden umrissen, zum einen die horizontale (maschinenbauliches Wissen, elektro-technisches Wissen…) und die vertika-le (Erfahrungswissen, Theoriewissen und philosophisches Wissen).

Im Folgenden wird ein Überblick der für die technikdidaktische Diskus-sion relevanten Überlegungen zum technischen Wissen gegeben. In den letzten Jahren gab es mehrere philo-sophische Arbeiten zum Thema des technischen Wissens14. Dabei wurden Wissensformen analysiert und Gren-zen zwischen Wissensarten definiert. In folgenden Artikel werden die so entwickelten Definitionen technischen Wissens beschrieben und diskutiert.

Technisches Wissen bei Günther Ropohl

Bevor die neuere Forschung über das technische Wissen beschrieben wird, lohnt sich ein Blick in die allgemei-ne Technologie von Günter Ro pohl15, denn hier ist eine erste Definition tech-nischen Wissens zu finden. Nach Ro-pohl ist technisches Wissen gleichzei-tig Bedingung der Sachverwendung als auch Folge der Sachverwendung. Dieser scheinbare Widerspruch löst sich, wenn man die Sachverwendung, also den Gebrauch technischer Ar-tefakte, als Prozess begreift, in dem Wissen einerseits der Verwendung vorausgeht, aber durch den Gebrauch auch verändert wird. Doch wo verläuft die Grenze an der Wissen kein spe-zifisch technisches Wissen mehr ist? Wenn der Wissensbegriff nämlich zu weit gefasst ist, wird jede Kenntnis eines zweckrationalen Verfahrenspro-zesses zu technischem Wissen. Aus diesem Grund schränkt Ropohl seine Definition auf die Verwendung, Gene-rierung und Manipulation technischer Artefakte ein.

Aus dieser allgemeinen Definition entwickelt Ropohl ein Schema des technischen Wissens, das aus fünf Wissensarten besteht: technisches Können, funktionales Regelwissen, strukturelles Regelwissen, technolo-gisches Gesetzwissen und öko-sozio-technologisches Systemwissen.

Das technische Können beschreibt Ropohl als „jene psychisch program-mierte Koordination sensomotorischer Abläufe, die in der Psychologie als „Automatisierung bezeichnet wird“16. Darunter fallen handwerkliche Fertig-keiten wie beispielsweise das Feilen. Solcherart technisches Können ent-hält somit nur wenige bewusstseins-pflichtige Anteile und kann ohne Üben nicht erworben werden. Das Üben ist also ein Prozess der Automatisierung einer (manuellen) Handlung, d. h. das nach dem erfolgreichen Üben, die Handlung mit relativ wenig geistiger Inanspruchnahme durchgeführt wer-den kann. Das Üben führt also zur Entlastung des Geistes, der sich dann neuen Lerninhalten zuwenden kann und dadurch akkumulativ lernt, was man am Beispiel des Fahrradfahrens

deutlich machen kann: Am Anfang muss man mit all seiner Aufmerksam-keit dabei sein, damit die Koordinati-on von Lenken, Treten, Gleichgewicht halten gelingt und man gleichzeitig noch den Verkehr beachten sowie sein Ziel verfolgen kann. Nach der erfolgreichen Automatisierung, die na-türlich ihre Zeit dauert, hat man beim Fahrradfahren genug geistige Kapazi-tät gewonnen, um über Dinge wie Ver-kehrszeichen nachzudenken oder die Umwelt um einen herum zu genießen. Aber das Automatisieren ist auch bei kognitiven Operationen zu beobach-ten, wie man am Beispiel des aus der Mode gekommenen Kopfrechnens zeigen kann. In der Didaktik wird dies bei der pragmatischen Dimension der Intention von Heimann, Otto, Schulz berücksichtigt: Durch Üben wird ein Prozess wie z. B. Schreiben soweit automatisiert, dass das Bewusstsein nicht mehr eng auf diesen Prozess gerichtet werden muss, wenn man ihn durchführt. Statt die Aufmerksamkeit darauf zu richten, wie man die einzel-nen Buchstaben zu Papier bringt, rich-tet man sie auf den Inhalt des Textes, den man schreibt. Automatisierung ist dabei nicht auf sensomotorische Pro-zesse beschränkt, sondern gilt auch für kognitive Prozesse, z. B. das rich-tige Schreiben der Worte, die man benutzt. Das technische Können auf sensomotorische Prozesse beschrän-ken zu wollen erschiene uns daher allerdings fragwürdig, weil dieses im-mer auch mit einem kognitiven Anteil verbunden ist. Das Feilen z. B. setzt voraus, dass man die Feile richtig hält und wenn einem am Beginn seines Lernens erklärt wurde, warum man die Feile auf eine bestimmte Art und Weise halten soll, dann wird dieses Wissen Bestandteil des technischen Könnens. Ropohl selbst bringt an an-derer Stelle das Beispiel einer Kran-kenschwester, die einem Patienten mit einer Hohlnadel Blut abzapft. Si-cherlich spielt die manuelle Routine hier eine große Rolle, aber ebenso auch das Wissen über die Lage von Adern und ihre Beschaffenheit. Wis-sen kann also handlungsleitend wer-den, wenn auch nicht jedes Wissen. Allerdings ist Ropohl Recht zu geben, wenn er darauf hinweist, dass man das Feilen nicht überwiegend durch

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Allgemeine Probleme tu: Fachdidaktik

Einsicht lernt, das Verstehen des Fei-lens ersetzt nicht das Üben. Der Ein-fluss, den kognitives Wissen auf diese Verrichtung ausüben kann, ist daher eher gering. Das Fehlen kognitiven Wissens kann allerdings verheerende Auswirkungen haben, wie am Beispiel des Blutabzapfens leicht nachvollzieh-bar ist.

Die Ursache für die unterschiedlichen Rollen kognitiven Wissens sind un-terschiedliche geistige Zustände: Handlungsmodus und kontemplativer Modus. Anders als im kontemplativen Modus, bei dem man in Ruhe nach-denken kann und sich Zeit bei seinen Gedanken lässt, muss man beim Han-deln viele Dinge gleichzeitig tun, wie beim Fahrradbeispiel geschildert. Das gegenständliche Handeln verkoppelt das Denken mit der Sphäre des Re-alen und in dieser gelten eben andere Gesetze außer den bloß geistigen, was schon im Wallenstein thematisiert wird: „Leicht beieinander wohnen die Ge-danken, doch hart im Raume stoßen sich die Sachen“. Im Handeln muss man daher mit seinen Gedanken bei dem sein, was man tut, wenn man da-bei erfolgreich sein will. Das gilt übri-gens auch für das Lehrerhandeln: Ein Lehrer, der mit seiner Aufmerksamkeit nicht bei dem Geschehen im Klassen-raum ist, wird vermutlich wenig erfolg-reich sein. Das Handeln ist die Sphäre einer eigenständigen geistigen Tätig-keit, die in den letzten Jahren das Inte-resse vieler Wissenschaftler gefunden hat und die zur Quelle einer eigenen Form des Wissens wird: dem impliziten Wissen.

Im Gegensatz zur untergeordneten Rolle des kognitiven Wissens beim technischen Können spielt es beim funktionalen Regelwissen eine sehr viel größere Rolle. Funktionales Wissen ist Wissen über das Verhält-nis zwischen Output und Input eines technischen Sachsystems, welches man durch den Umgang mit ihm ge-winnt. Das Sachsystem wird dabei als Blackbox betrachtet. Das Wissen um die innere Struktur ist nicht Teil des funktionalen Regelwissens. Das funktionale Regelwissen wird aus Er-fahrung gewonnen und ist in der Re-gel nicht formalisiert. Ein Beispiel für das funktionale Regelwissen ist das Wissen über die Bedienung eines Mi-

krowellengerätes: Die Vorgabe einer Zeitdauer und einer Bestrahlungsstär-ke als Input wird im funktionalen Re-gelwissen mit dem Resultat verknüpft. Durch Veränderung des Inputs, verän-dert man den Output solange, bis man zufrieden ist. Das funktionale Regel-wissen wird also aus dem Gebrauch des technischen Artefakts gewonnen und ist daher zunächst einmal Erfah-rungswissen. Allerdings ist nicht je-des Erfahrungswissen, welches man über ein technisches Objekt sammelt, funktionales Regelwissen, denn ein wichtiger Teil des Erfahrungswissens entwickelt sich, wenn das technische Objekt nicht das tut, was es soll und man sich auf die Suche nach der Ur-sache für diese Situation macht. Da-bei spielen neben den Erfahrungen, die man durch Reparaturen schon gemacht hat, logische Operationen und das problemlösende Denken eine wichtige Rolle.

Das strukturelle Regelwissen schließt das Innere der Blackbox in das Wissen über ein technisches Sachsy-stem ein. Das strukturelle Regelwissen enthält die Beziehung zwischen den Elementen aus denen das System auf-gebaut ist und ihren Relationen. Aber schon die Frage, ob zum strukturellen Regelwissen etwa eines Mikrowellen-herdes gehört, dass man Magnetron und Hohlleiter unterscheiden kann, lässt sich mit den Hinweisen von Rop-ohl nicht klären. Denn das strukturelle Regelwissen soll nicht nur aus der Erfahrung kommen, sondern kann auch von anderen Personen übernom-men werden. Das strukturelle Regel-wissen kann auch schon Inhalte des funktionalen Regelwissens mit der die Funktion ermöglichenden Struktur verknüpfen und so Funktion mit inne-rem Aufbau verbinden. Das Wissen ist jedoch auch in diesem Stadium noch nicht theoretisch begründet, sondern aus Erfahrung (oder Kommunikation) gewonnen. Es sind jedoch weniger die eigenen Erfahrungen wie beim funktionalen Regelwissen oder dem technischen Können als mehr die von anderen übernommenen Erfah-rungen.

Ropohl merkt zu beiden Regelwissen an, dass trotz der Möglichkeit, sich das Wissen bewusst zu machen, viele Anteile weiterhin unbewusst sind. Dies

wird bei der Beobachtung eines han-delnden Experten deutlich, der viele Arbeitsschritte unbewusst macht, weil sie von ihm im Laufe vieler Jahre auto-matisiert wurden.

Mit dem technologischen Gesetzes-wissen wird der Alltag des Gebrauchs technischer Artefakte endgültig verlas-sen und der Bereich der technischen Wissenschaften beschritten. Hier fin-den sich die vorher schon genannten Funktionen und Strukturen wieder, nun jedoch wissenschaftlich aufbe-reitet und durch die naturgesetzlichen Gründe ergänzt. Das technologische Gesetzwissen ist theoretisch systema-tisiert und empirisch geprüftes Wissen, wobei Ropohl es nicht unterlässt, die eigenständige Rolle der Ingenieurwis-senschaft zu beschreiben, die eben nicht bloß Anwendung des naturwis-senschaftlichen Wissens ist. Späte-stens hier fragt man sich, wer eigentlich als Träger des Wissens fungiert? Denn während das funktionelle und struktu-relle Regelwissen noch bei jedermann anzutreffen sind, scheint es sich doch beim technologischen Gesetzeswis-sen um die Sphäre der Wissenschaft zu handeln. Ungeklärt bleibt, wie man das Wissen beschreiben soll, welches aus der Sphäre der Wissenschaft hi-naustritt und z. B. als Schulstoff zum Wissen von Schülern wird, die es na-türlich in anderer Form als Wissen-schaftler besitzen. Dies ist natürlich für den Techniklehrer interessanter als z. B. für Wissenssoziologen, die sich weniger für das Wissen eines Einzel-nen interessieren, als für das Wissen in Organisationen, wie z. B. den Universi-täten oder Forschungsabteilungen der Unternehmen. Eine weitere Sphäre der Verbreitung von technologischem Gesetzeswissen sind die Zeitschriften, wie z. B. Technology Review, die im-merhin mit einer Druckauflage von mehr als 21.000 Exemplaren über an-spruchsvolle Dinge wie z. B. Quanten-computer u. Ä. berichten. Im Sinne der didaktischen Reduktion, die natürlich auch von Journalisten beherrscht wird, wird technologisches Gesetzeswissen verbreitet, aber natürlich nicht in der Form, in der es bei den Ingenieuren anzutreffen ist. Besondere Bedeutung kommt dieser Form des Wissens in ge-sellschaftlichen Konflikten zu, die sich um technische Artefakte entzünden,

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tu: Fachdidaktiks Allgemeine Probleme

wie z. B. Atomkraftwerke oder aktu-eller: Hochspannungsleitungen. Aus technischen Laien werden dabei nicht selten Experten einer ganz eigenen Art, weil sie sich in solchen Konflikten nicht zu Ingenieuren wandeln können, aber dennoch tief in die technische Materie vordringen. Aber vielleicht sind wir damit schon in die letzte Form technischen Wissens nach Ropohl vor-gedrungen: dem öko-soziotechnolo-gischen Systemwissen. Denn dieser Wissensform gehört alles an, was als Folge des Einsatzes technischer Ar-tefakte gelten kann. Diese Folgen zu analysieren ist dann allerdings nicht mehr allein auf die technischen Wis-senschaften beschränkt, sondern umfasst alle Disziplinen, die jede eine eigene Perspektive auf diese Technik-folgen einnimmt. Auf höherer Aggre-gation kann man sie zusammenfassen zu den drei Dimensionen der Technik: der sozialen, humanen und naturalen Dimensionen. Technik wirkt sich auf die Gesellschaft aus, auf Politik, Staat und viele weitere Gruppierungen der Gesellschaft. Aber ebenso hat der Gebrauch der Technik Folgen für den Menschen selbst, er verändert sich durch sein Leben im Technotop17. Die Folgen des Einsatzes von Technik auf die Natur bedürfen wohl kaum noch der Erwähnung im Zeitalter von Fukus-hima, dem Plastikmüll in den Ozeanen oder der Klimaveränderung durch an-thropogenes Kohlendioxid. In seiner Systemtheorie der Technik charakte-risiert Ropohl diese Folgen als syste-mische Folgen des soziotechnischen Systems18. Das Wissen um diese Fol-gen und die vernünftigen Schlussfolge-rungen daraus, beschreibt Ropohl als „aufgeklärten Umgang mit Technik“19, also einem notwendigen Bestandteil technischer Bildung.

Wissensarten nach KornwachsIn seinem Buch „Strukturen tech-nischen Wissens“20 entwirft Klaus Kornwachs eine Wissenschaftstheorie der Technik. Dabei stellt er auch die Frage nach den spezifischen Merkma-len technischen Wissens und in wie weit sich dieses von anderen Wissens-arten abgrenzt. Dazu skizziert er eine Struktur des technischen Wissens, die hier vorgestellt wird. Auch wenn diese Skizze kurz gehalten ist, zeigt sie eine weitere Art technisches Wissen zu ka-tegorisieren.

Klaus Kornwachs grenzt dabei zu-nächst das technische Wissen vom natur- und sozialwissenschaftlichem Wissen als auch vom handwerklichen und Alltagswissen ab und kategorisiert nur das wissenschaftliche technische Wissen. Dies ist ein Unterschied zu den Kategorien technischen Wissens bei Ropohl21, die das handwerkliche technische Wissen ausdrücklich mit einschließen und das wissenschaft-liche technische Wissen nicht in ver-schiedene Bereiche einteilt.

Den Kategorien technischen Wissens stellt Kornwachs voran, dass jede Wissenschaft einen empirisch-theore-tischen, einen angewandten und einen gestaltenden Bereich hat. Um Einwän-den dagegen entgegenzuwirken, weist er daraufhin, dass selbst die oft als rein theoretische Wissenschaft bezeichne-te Mathematik angewandte Bereiche wie Simulationen oder gestalterische Bereiche wie den goldenen Schnitt enthält22. Weiter stellt Kornwachs fest, dass jeder Bereich jeder Wissenschaft als Hilfsdisziplin für eine andere Wis-senschaft dienen kann.

Kornwachs unterscheidet das tech-nische Wissen in fünf Wissensarten, weist jedoch darauf hin, dass „eine solche strenge tabellarische Unter-scheidung kaum möglich ist, da die unterschiedlichen Wissensarten in der technikwissenschaftlichen Argumen-tation (Lehrbücher, Lehre bis hin zum Laborgespräch) immer gemischt vor-kommen.“23

Zunächst sind jeder Wissensart bei Kornwachs ein Bereich der Technik-wissenschaft, eine Bezeichnung und eine Kurzbezeichnung zugeordnet, die einen guten Überblick ermöglichen (siehe Tabelle unten).

Die Wissensarten werden durch wei-tere Merkmale klassifiziert. Diese sind Gegenstandbereich, Aufgabe, Ele-mente der Theorie, logische Form, Kri-terien für die Adäquatheit des Wissens, Gewinnen neuer Erkenntnisse durch Prognosen und Hypothesenbildung, Typen von Aussagen sowie Struktur des Wissens. Gerade die Bereiche Adäquatheit und Gewinnen neuer Er-kenntnisse sind dabei interessant, weil hier die Wissensarten konkretisiert werden. In den nachfolgenden aus-führlichen Beschreibungen der einzel-nen Wissensformen wird nicht immer auf alle davon eingegangen, um eine übersichtliche Beschreibung zu er-möglichen25:

Die erste Wissensart ist der empirisch-theoretische Bereich. Er umschließt explizite Erklärungen und Gesetze. Der Gegenstandsbereich dieser Wissens-art sind somit die vorfindlichen Natur- und Randbedingungen der Technik. Diese Form des Wissens wird benö-tigt, um gegebene technische Sach-verhalte zu erforschen. Dabei werden empirische oder formale Wahrheiten entwickelt.

Bereiche in den Technikwissen-schaften

Empirischer und theoretischer Bereich

Empirisch- phänomenolo-gischer Bereich

Wertebereich Pragmatischer Bereich

Bereich der Gestaltung

Bezeichnung Wissen um theoretisch-er-fahrungswissenschaftliche Bedingungen

Wissen um Phänomene und Sachverhalte

Wissen um Normen, Werte und Ziel

Begründungswis-sen technischer Praxis

Technisches Wissen/Kön-nen

Kurzbezeich-nung

Know why Know what Know for what Know why Know how

Strukturen technikwissenschaftlichen und technischen Wissens24

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Allgemeine Probleme tu: Fachdidaktik

Die zweite Wissensart ist der empi-risch-phänomenologische Bereich. Gegenstand dieser Art des technischen Wissens ist vorfindliche, geplante oder antizipierte Technik. Bestätigt wird das empirisch-phänomenologische Wis-sen über die Übereinstimmung mit der Beobachtung und nicht wie beim empirisch-theoretischen Bereich durch (Natur-)Gesetze. Das Wissen entsteht durch Beobachtung von sich wiederho-lenden Phänomenen, durch Modellbil-dung und Simulation.

Die dritte Wissensart ist der Wertebe-reich der Technikwissenschaften. Den Gegenstandsbereich dieser Wis-sensart bildet der Zweck der Verwen-dung einer Technologie sowie ande-rer Kriterien zur Technikbewertung. Wissen um den Wertebereich wird bei der Bewertung und Bestimmung von Anforderungen an Technik genutzt. Neue Erkenntnisse im Wertebereich entstehen durch die Beobachtung (so-zialwissenschaftlich-empirisch) und durch ethische Reflexion.

Die vierte Wissensart ist der pragma-tische Bereich. Erfahrungen aus der Praxis, technische Funktionen sowie neue Methoden und Prozesse bilden den Gegenstandbereich dieser Wis-sensart. Aufgaben für die der pragma-tische Bereich des technischen Wis-sens relevant ist, sind die Entwicklung und Begründung von Gestaltungs-möglichkeiten sowie ihre Bewertung. Effektivität oder auch Tauglichkeit bil-den dabei das Kriterium zur Bewertung dieses Wissens. Neue Erkenntnisse im pragmatischen Bereich entstehen durch Erfahrung, Test, Versuch oder Simulation.

Die fünfte Wissensart ist der Bereich der Gestaltung. Den Gegenstandsbe-reich bildet das technische Handeln. Aufgaben in diesem Wissensbereich sind die Bewertung der Gestaltung technischer Artefakte oder Systeme sowie die Bewertung der praktischen Durchführung einer technischen Hand-lung. Adäquat ist das Wissen im Be-reich der Gestaltung, wenn eine Lö-sung effizient ist, also wenn Nutzen und Aufwand in einem guten Verhältnis stehen. Durch Beobachtung, Bau und Modellbau entstehen neuere Erkennt-nisse im Bereich der Gestaltung. Al-lein diese Wissensform zeigt sich bei

Kornwachs auch in impliziter Form als Fähigkeit, Können oder Routine. Auch wenn der Bereich der Gestaltung das Können beinhaltet, meint dieses Kön-nen nicht den Gebrauch im alltäglichen Sinne, sondern nur den Gebrauch des Wissens einer Technikwissenschaft beim Gestalten.

Wissensarten nach GayckenIn „technisches Wissen – Denken im Dienste des Handelns“26 entwirft Sandro Gaycken eine wissenschafts-theoretische Sicht auf das technische Wissen. Dazu merkt er zunächst das Problem an, das sich die klassische Wissenschaftstheorie mit dem Wis-sen, das dem theoretischen Erkennen dient, beschäftigt, technisches Wissen hingegen dem praktischen Handeln dient. Dadurch grenzt sich das von Gaycken beschriebene technische Wissen vom wissenschaftlichen tech-nischen Wissen ab. Primärer Untersu-chungsgegenstand ist bei ihm das all-gemeine technische Wissen, das er als „bestenfalls vorwissenschaftlich“27 be-zeichnet. Dementsprechend entwickelt er eine eigene Wissenschaftstheorie mit der Aufgabe, technisches Wissen und seine Anwendung als handlungs-anleitendes Wissen zu untersuchen. Dabei ist die Gebrauchsintention sehr wichtig. Denn nach Gaycken ist der Zweck allen technischen Wissens das zielorientierte Handeln.

Gaycken geht bei seiner Definition technischen Wissens davon aus, dass spezifische Handlungstypen strukturell spezifische Formen von Wissen be-nötigen. Die Differenzierung der Wis-sensarten erfolgt anhand der Intention bei der Nutzung und dem daraus benö-tigten mentalen Modell. Im Gegensatz zu Ropohl28 oder Kornwachs29 unter-teilt Gaycken das technische Wissen zunächst in eine technisch-praktische Wissensart und eine technisch-theore-tische Wissensart.

Zweck allen technisch-praktischen Wissens ist der direkte Umgang mit Technik und wird von Gaycken in drei Arten eingeteilt:30

Die erste Art ist das Gebrauchswis-sen. Mit dem Gebrauchswissen wird eine technische Modifikation eines Umweltzustands in einen anderen

durch eine technische Wirkung er-zielt. Das Gebrauchswissen wird also in der direkten Interaktion mit Technik benötigt und ist damit auch streng ver-knüpft. Das Gebrauchswissen ist frei von Informationen, die nicht direkt mit dem Gebrauch verknüpft sind. Das Gebrauchswissen wird durch Anlei-tungen, Anweisungen oder Handbü-cher erworben.

Die zweite Art ist das Entwicklungs-wissen. Mit dem Entwicklungswissen kann Technik zum späteren Gebrauch entworfen werden. Das Entwicklungs-wissen wird bei Gaycken durch die Ent-wicklungsabschnitte im Ingenieurwe-sen beschrieben wie sie von Vincenti31 dargestellt wurden. Zusammengefasst beinhaltet das Entwicklungswissen alles Wissen zum Entwerfen eines technischen Objekts, von der Bestim-mung von Input- und Outputgrößen in der Projektierung über den General-entwurf über Teilkomponenten bis zu speziellen Problemen. Das Entwick-lungswissen wird im Gebrauch iterativ angewendet bis Input- und Output sich in gewünschter Weise entsprechen.

Die dritte Art von Wissen ist das Kon-struktionswissen. Als Konstruktion versteht Gaycken – anders als viele Techniker – die Herstellung eines technischen Objekts, also das Zu-sammensetzen der Komponenten eines technischen Artefakts32. Dieser Sprachgebrauch ist etwas irreführend, denn was Gaycken als Konstruktion benennt, wird eigentlich treffender mit dem Begriff Fertigen bezeichnet. Im Konstruktionswissen ist nicht notwen-digerweise das Wissen um die Funkti-on des technischen Objekts enthalten. Ob das Konstruktionswissen erfolg-reich angewendet wurde, zeigt sich je-doch in der Möglichkeit des korrekten Gebrauchs einer Konstruktion.

Außer den drei Hauptarten des Ge-brauchswissens erwähnt Gaycken noch Sonderformen wie das Produk-tionswissen oder das Organisations-wissen. Da diese Wissensarten jedoch starke Anteile anderer Wissensarten wie z. B. ökonomisches oder logi-stisches Wissen enthalten, werden sie nicht als eigenständig sondern als Mischarten betrachtet.

Die technisch-theoretischen Wis-sensarten sind die zweite Gruppe

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tu: Fachdidaktiks Allgemeine Probleme

technischer Wissensarten die Gay-cken ausmacht. Sie sind nicht mehr unmittelbar an eine technische Hand-lung geknüpft, sondern eher erkennt-nistheoretisch. Auch diese werden von Gaycken in drei Unterarten eingeteilt:33

Die erste technisch-theoretische Wis-sensform ist das technikrekonstruk-tive Wissen. In dieser Wissensart wird das Wissen der Technikwissen-schaften abgebildet. Fragen, die mit technik rekonstruktivem Wissen be-antwortet werden können, sind Fragen danach, warum eine Technik funktio-niert. Dazu werden eigene technische Formeln entwickelt und technische Ge-setzmäßigkeiten bestimmt. Im Gegen-satz zu den Naturwissenschaften, be-schränken sich die Fragen nach dem technikrekonstruktiven Wissen jedoch auf den Gebrauch. Ein Phänomen wird nur soweit erforscht, wie es für den technischen Gebrauch notwendig ist.

Die zweite technisch-theoretische Wis-sensart ist das technische Hilfswis-sen. Es schließt alles Wissen ein, das aus anderen Wissenschaften kommt und direkt für die Technik relevant ist oder werden könnte. Technisches Hilfswissen entsteht, wenn grundla-genwissenschaftliche Erkenntnisse auf ihre Praxisrelevanz geprüft werden. Wissen kann somit auch nur dann als technisches Hilfswissen bezeichnet werden, wenn es Praxisrelevanz hat.

Die dritte Art technisch-theoretischen Wissens ist das metatechnische Wis-sen. Es schließt alles Wissen über Technik ein, das mit kulturellen, ge-schichtlichen oder ethischen Gesichts-punkten der Technik zu tun hat. Es ist sozusagen technisches Wissen im Be-reich nicht-technischer Erwägungen.

Grenzen der DefinitionenDie drei Beispiele zeigen wie unter-schiedlich der Blick auf das Thema technisches Wissen sein kann. Ge-meinsam haben alle drei, dass sie das technische Wissen zunächst in ein wis-senschaftliches und ein nicht wissen-schaftliches Wissen einteilen. Typische Unterscheidungsmerkmale sind dabei der Gebrauch und die Frage, wie das Wissen gewonnen wurde. Von dieser Voreinteilung ausgehend, beschreibt Kornwachs das wissenschaftliche

technische Wissen, während Gaycken das vorwissenschaftliche technische Wissen behandelt. Ropohls Definition schließt beide Bereiche ein.

Natürlich haben auch diese Definiti-onen Grenzen. In einer Rezension zu Sandro Gayckens „Technischem Wis-sen“ schreibt Sabine Ammon: „Die Su-che nach einer bestimmten Wissensart für einen bestimmten Bereich geht auf die unausgesprochene und zugleich irrige Prämisse zurück, dass sich eine sinnvolle Typologisierung von Wissen analog zu historisch gewachsenen, disziplinären Einteilungen vornehmen ließe.“ Gerade für das Gebiet der Tech-nik lässt sich das historisch nachvoll-ziehen, denn viele technische Diszi-plinen entstanden parallel und isoliert voneinander. Der Bergbau entwickelte sein technisches Wissen getrennt vom Schiffbau, dieser wieder getrennt von der verfahrenstechnischen Industrie, wie z. B. dem Brauereiwesen. Mit der Entwicklung der Ingenieurwis-senschaften wurde technischen Wis-senschaftlern schnell klar, dass sie vielfach mit denselben Problemen im unterschiedlichen Kontext konfrontiert wurden. In jedem der genannten Be-reiche spielt z. B. die Festigkeit der verwendeten Materialien eine wichtige Rolle, aber nicht jeder Kontext benötigt tatsächlich eine eigene Definition von Festigkeit. Schnell entwickelte sich ein Querschnittsgebiet, die Materialwis-senschaft, deren Wissensproduktion alle Bereiche der Ingenieurwissen-schaft befruchtet und deren Erkennt-nisse überall große Bedeutung haben. Weitere Querschnittsbereiche sind die Mess-, Steuer- und Regelungstechnik. Durch die weiter fortschreitende In-formatisierung der Produktion weiten sich die Querschnittstechniken wei-ter aus und es kommt zu so verblüf-fenden Phänomenen, dass Konzerne wie Google und Apple anfangen, Autos zu entwickeln. Weil ihre Expertise das Querschnittsgebiet Informatik ist, das bei der Entwicklung des fahrerlosen Autos extrem wichtig wird, trauen sie sich zu, was vor kurzem noch den Spott der Platzhirsche im Gebiet des Automobilbaus auf sich zog: Sie geben den nächsten Schritt der automobilen Entwicklung vor.

Ammon bezieht sich auf die Frage, inwieweit nicht zunächst eine neue

Einteilung des gesamten Wissens notwendig ist, um dann einzelne Un-tergruppen zu definieren. Jede histo-risch gewachsene Typisierung muss nach Ammon also erst einmal danach befragt werden, ob sich nicht ein his-torisches und damit zufälliges Mo-ment in ihr findet. Eine Typisierung, die nach dem Zweck fragt, für den das Wissen verwendet werden soll, kann schnell in eine solche Falle laufen, da Zwecke nicht systematisch geord-net werden können, sondern eben ein ausgeprägtes historisches Moment haben. Es braucht also eine gewisse Abstraktionsebene, auf der die Zwecke betrachtet werden. Durch die Informa-tisierung werden historisch gewach-sene Einteilungen, wie z. B. Maschi-nenbau und Informatik, durchlässig. Wissensformen danach einzuteilen, wird also spätestens im Moment der gegenseitigen Durchdringung obsolet. Nach unserer Auffassung ist eine an didaktischen Zwecken orientierte Ein-teilung des technischen Wissens mit den fundamentalen Unterscheidungen Gebrauch, Konstruktion, Herstellung, Folgen, ausreichend.

Oft werden die Technikwissenschaften auch als angewandte Naturwissen-schaften betrachtet. Dabei wird jedoch vergessen, dass das technische Wis-sen nach einem anderen Paradigma generiert und angewendet wird, als das naturwissenschaftliche Wissen34. Während die Technikwissenschaften ihren Ausgangspunkt in der Gestal-tung technischer Artefakte haben, untersuchen die Naturwissenschaften Phänomene um ihrer selbst willen. Was für die Grundlagenforschung wie z. B. am CERN noch gut erkennbar ist, verliert allerdings in dem Bereich der angewandten Forschung schnell sei-ne scharfen Konturen: Wenn Physiker Windforschung betreiben, dann tun sie dies schon in einem gesellschaftlichen Kontext, der sie dazu verpflichtet für die technischen Wissenschaften nütz-liches Wissen zu generieren. An ande-rer Stelle hat einer von uns versucht, dies am Beispiel der Geschichte des Transistors nachzuweisen35.Außer-dem kommt hinzu, dass auch in den Technikwissenschaften, z. B. in der Materialforschung, sehr systematisch und ohne konkreten Anwendungsauf-trag geforscht wird. Deswegen jedoch

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Allgemeine Probleme tu: Fachdidaktik

schon gleich von einer Konvergenz der Natur- und Technikwissenschaften36 zu sprechen, erscheint uns nicht ange-messen.

Für die Didaktik ergibt sich aus den aufgezeigten Definitionen zunächst die Erkenntnis, dass die philosophische Grundlagenforschung das technische Wissen zu sehr aufsplittert, als dass es noch für empirische Zwecke und didaktische Handlungen sinnvoll ge-nutzt werden könnte. Allerdings zeigt sich gerade bei dem didaktisch hoch-interessanten Bereich des impliziten Wissens eine Leerstelle in der Diskus-sion. Für die Didaktik der Technik ist es aber von großer Bedeutung, dass alle Bereiche des technischen Wis-sens vom technischen Können bis hin zum technologischen Gesetzeswissen und dem Wissen um die Folgen des Gebrauchs technischer Artefakte in einem in sich konsistenten Modell ver-eint werden. Dies wäre eine wichtige wissenschaftliche Grundlage für eine Didaktik, die es vermag, beginnend bei den ersten technischen Erfahrungen im Kindesalter, den Erwerb tech-nischen Könnens im handwerklichen Sinne, der Gestaltungsfähigkeit tech-nischer Artefakte bis hin zu ihrer Kon-struktion, der Reflexion der Wirkungen technischen Handels und des Ge-brauchs technischer Artefakte sowie auch der ersten wissenschaftlichen Durchdringung technischer Artefakte in höheren Schulstufen, die Grundlage für technische Lehr-Lernprozesse im allgemeinbildenden Bereich zu bilden.

Literatur

1 Ruhloff, JöRg (2011): Bemer-kungen zum Wissensbegriff in der Gegenwarts pädagogik. In: gaby heR-cheRt und SaScha löwenStein (Hg.): Von der Säkularisierung zur Sakrali-sierung. Spielarten und Gegenspieler von Vernunft in der Moderne. Berlin: wvb Wiss. Verl, S. 207–217.

2 bollmann, ulRike (2001): Wandlungen neuzeitlichen Wissens. Historisch-systematische Analysen aus pädago-gischer Sicht. Würzburg: Königshau-sen & Neumann (Epistemata. Reihe Philosophie, Bd. 304), S. 15.

3 Ruhloff, a.a.O., S. 207

4 Beltz Lexikon Pädagogik, Hrsg. v. heinz elmaR tenoRth u. Rudolf tippelt. Weinheim u. Basel 2007, Lemmata „Wissen“, S. 775 f.

5 RogeR hofeR, Wissen und Können, Begriffsanalytische Studien zu einer kompetenzorientierten Wissensbil-dung am Gymnasium, Münster etc, Waxmann, 2012 S. 13.

6 Schmayl, winfRied (2010): Didaktik all-gemeinbildenden Technikunterrichts. Baltmannsweiler: Schneider-Verl. Hohengehren, S. 56 ff.

7 maRiSa kaufhold, Kompetenz und Kompetenzerfassung, Analyse und Beurteilung von Verfahren der Kompe-tenzerfassung, Wiesbaden, VS, Verl. für Sozialwiss., 2006 S. 96.

8 hofeR, Wissen und Können S. 26 f.

9 eckhaRd klieme, Zur Entwicklung nationaler Bildungsstandards, Eine Expertise, Bonn, BMBF, 2009 S. 75.

10 lutz koch, Lehren und Lernen, Wege zum Wissen, Paderborn, Schöningh, 2015 S. 43.

11 Ibidem

12 JöRg meya; heinz otto Sibum: Das fünfte Element. Wirkungen und Deu-tungen der Elektrizität. Orig.-Ausg., Reinbek bei Hamburg, Rowohlt- Taschenbuch-Verl., 1987, S. 194.

13 winfRied Schmayl, Didaktik allge-meinbildenden Technikunterrichts, Baltmannsweiler, Schneider-Verl. Hohengehren, 2013.

14 SandRo gaycken: Technisches Wissen, 2010; Klaus Kornwachs: Strukturen technologischen Wissens 2012; Georg Mildenberger: Wissen und Können im Spiegel gegenwärtiger Technikforschung, 2007.

15 günteR Ropohl, Allgemeine Techno-logie, Eine Systemtheorie der Technik, München, Wien, Hanser, 1999, S. 208–214.

16 Ibidem, S. 208.

17 Ropohl, günteR (1999): Allgemeine Technologie. Eine Systemtheorie der Technik. München: Hanser, S. 15.

18 Ibidem S. 215 ff.

19 Ibidem, S. 214.20 klauS koRnwachS, Strukturen tech-

nologischen Wissens, Analytische Studien zu einer Wissenschaftstheorie der Technik, Berlin, Ed. Sigma, 2012b.

21 Ropohl a.a.O., S.208–214.22 klauS koRnwachS, Strukturen tech-

nologischen Wissens, Analytische Studien zu einer Wissenschaftstheorie der Technik, Berlin, edition sigma, 2012a, S. 46 f.

23 koRnwachS, Strukturen technolo-gischen Wissens, S. 48.

24 Ibidem, S. 50 f.25 koRnwachS, Strukturen technolo-

gischen Wissens, S. 50 ff.26 SandRo gaycken, Technisches Wis-

sen, Denken im Dienste des Han-delns, Berlin u. a, Lit., 2010.

27 Ibidem, S. 16.28 günteR Ropohl, Allgemeine Techno-

logie, Eine Systemtheorie der Technik, Karlsruhe, Univ.-Verl. Karlsruhe, 2009.

29 koRnwachS, Strukturen technolo-gischen Wissens.

30 gaycken, Technisches Wissen S. 60 ff.31 walteR g. Vincenti, What engineers

know and how they know it, Analyti-cal studies from aeronautical history, Baltimore, Md, Johns Hopkins Univ. Press, 1997.

32 gaycken, SandRo L. S., Technisches Wissen, Denken im Dienste des Han-delns, Berlin, Lit., 2010, S.68 f.

33 Ibidem, S. 71–75.34 geoRg mildenbeRgeR, Wissen und

Können im Spiegel gegenwärtiger Technikforschung, Berlin, Lit., 2006, S. 173.

35 peteR Röben: Was man aus der Geschichte der Halbleiter- und der Windkrafttechnik über das Verhältnis von Technik und Physik lernen kann. Technik im Unterricht 156, 2015, S. 19–27.

36 http://ec.europa.eu/research/ social-sciences/pdf/ntw-report-alfred-nordmann_de.pdf

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Dieser Beitrag ist in 157/3.2015 erschienen

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1tu 157 / 3. Quartal 2015

Allgemeine Probleme tu: Fachdidaktik

EinleitungWenn im Folgenden vom technischen Wissen die Rede ist, dann dreht es sich zunächst einmal um eine beson-dere Form von Wissen in seiner allge-meinen Bedeutung. Aber leider scheint die Bestimmung dessen, was Wissen im Allgemeinen ist, schon nicht eindeu-tig bestimmt zu sein, was natürlich zu Schwierigkeiten führt, wenn man tech-nisches Wissen erklären will. Das ist merkwürdig, denn der Begriff des Wis-sens scheint doch in der Alltagsspra-che klar zu sein. Vielleicht kann man mehr oder weniger wissen, aber nicht zu wissen, was Wissen ist, erscheint doch höchst seltsam. So schreibt z. B. Jörg Ruhloff 20111, dass man eigentlich von der wissenschaftlichen Pädago-gik erwarten könnte, dass sie in ihren Werken klärt, was Wissen ist, denn je-dermann sei klar, dass Schüler, die in den Genuss von Erziehung kommen, am Ende mehr Wissen haben sollten als am Beginn. Ruhloff zitiert Bollmann (2001): „Der Wissensbegriff ist in der Pädagogik der Moderne ein zwar prak-tisch bedeutsamer, aber theoretisch vernachlässigter Begriff.“2 Ruhloff hat sich zehn Jahr später daran gemacht, den Befund von 2001 zu überprüfen und kommt zu dem Urteil, dass man zwar zurecht davon ausgehen sollte, dass der Begriff des Wissens in der Pädagogik geklärt ist, um dann aber festzuhalten: „Für den deutschen Sprachraum trifft das jedoch nicht zu. ‚Wissen‘ ist schon seit langem und noch bis in die jüngste Zeit ein seltener Gast in dieser Gattung der publizis-tischen Produktivität der Erziehungs-wissenschaft.“3 Mit Letzterem sind 12 Werke der Pädagogik gemeint, wie z. B. das Beltz Lexikon der Pädago-gik4, in denen der Begriff entweder gar nicht oder nur sehr knapp beschrieben wird. Diesen Befund haben wir mit den

Hauptwerken der Fachdidaktik in den Fächern Mathematik, Biologie, Che-mie und Physik bestätigen können und kommen zu dem Ergebniss, dass die, die es am meisten mit den Inhalten des zu vermittelnden Wissens zu tun ha-ben, sich zu der Frage, was Wissen ist, merkwürdigerweise bedeckt halten.

Roger Hofer schreibt dazu: „Geht man dem Wissensbegriff im didaktischen Diskurs nach, stellt man schnell fest, dass Wissen weit davon entfernt ist, eine vorrangige didaktische Katego-rie darzustellen. Obschon in regel-mäßigen Abständen von der Wieder-entdeckung des Wissens die Rede ist und dessen Vernachlässigung immer wieder beklagt wird, ist die Verortung und systematische Aufarbeitung des Wissensbegriffs in der (Fach-)Di-daktik bislang ausgeblieben.“5 In der Technikdidaktik gibt es insofern eine Ausnahme als Schmayl immerhin den Begriff des technischen Wissens im Kapitel 2.2.2 seiner „Didaktik des all-gemeinbildenden Technikunterrichts“ ausdifferenziert in die drei Bereiche Erfahrungswissen, Theoriewissen und philosophisches Wissen6.

Vielleicht ergeht es dem Wissensbe-griff ja ähnlich wie dem Bildungsbe-griff. Seit dem Aufkommen des Kom-petenzbegriffes gerät der Begriff der Bildung zunehmend in Bedrängnis. Die enge Verwandtschaft von Bildung und Wissen würde nun vermuten lassen, dass es dem Wissensbegriff genauso ergeht. Doch Schlagworte wie „Wissensgesellschaft“, „Rohstoff Wissen“ machen deutlich, dass der Begriff des Wissens weiterhin sehr geschätzt wird. Wissen ist sogar eine Komponente der Kompetenz, wie man es z. B. der Definition von Kaufhold7 entnehmen kann: Danach umfasst die Kompetenz Wissen, Fähigkeiten/Fertigkeiten, Motive und emotionale

Disposition. Allerdings scheint hier der Begriff Wissen eher mit dem der Infor-mation gleichgesetzt worden zu sein. Seine Verwendung als quasi dingliche Entität wie z. B. in „Rohstoff Wissen“ verweist darauf8. Dass ein diffuser und eng an Information angelehnter Wissensbegriff im Kompetenzbegriff nicht zielführend ist, kann folgender-maßen gezeigt werden:

1. In der Expertise zur Entwicklung nationaler Bildungsstandards wird darauf hingewiesen, dass fach-spezifische Kompetenz ein wich-tiges Bildungsziel ist9. Gleichzei-tig wird darauf hingewiesen, dass fachspezifische Kompetenz durch fachspezifisches Wissen und Kön-nen entsteht. Daraus folgt, dass es notwendig ist, fachspezifisches Wissen zu definieren, denn ohne einen Begriff von den Besonder-heiten des Wissens der eigenen Fachdomäne werden die damit ver-bundenen didaktischen Potenziale nicht genutzt.

2. Die Unterscheidung von Wissen und Information gehört eigentlich in die Grundlagen jeder Didaktik. Denn Wissen ist Wissen von etwas über etwas und damit im Gegen-standsbereich des Fachs verwur-zelt10. Dem Wissen ist das Verhält-nis zwischen seiner Existenzweise im Geist und sein Bezug auf etwas außerhalb des Geistes inhärent. Und der Wissende kann sich da-rüber bewusst sein, welcher Art sein Wissen ist. Jedermann wäre z. B. in der Lage darüber nachzu-denken, wie sicher das Wissen ist, über welches er verfügt. Ist er in der Lage Gründe und Belege für die Richtigkeit seines Wissens an-zugeben? Oder meint er nur, was er sagt? In diesem Fall würde ihn jede Nachfrage leicht auf das dünne Eis schwachen Wissens11 führen. Aus schwachem Wissen wird nur durch Nachprüfungen, Beobachtungen, Experimentieren oder Beweisen belegbares, abgesichertes Wissen. Und an dieser Stelle wird die Unter-scheidung zwischen individuellem Wissen und gesellschaftlichem Wissen wichtig. Jeder Schüler lernt beispielsweise das ohmsche Ge-setz. Zum gesellschaftlich abge-sicherten Wissen wurde es durch

Technisches Wissen – Definitionen und ihre Grenzen

Von Peter Röben und Tobias Wiemer

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12 tu 157 / 3. Quartal 2015

tu: Unterrichtspraxis Elektrotechnik / Elektronik

Das Problem hinter MINT und die Frage nach seinen möglichen UrsachenIn den vergangenen Jahren wurde das Schulfach Technik zusehends weiter in die curriculare Marginalität gedrängt, und das, während Bildungspolitik, Wirtschaft und Gesellschaft sich im Grunde einig über die Notwendigkeit verstärkter technischer Bildung waren. Es erging dem Fach dabei so, wie eini-gen anderen Fächern. Entweder wurde es von seinem festen Platz im Stun-denplan (zumindest der Hauptschule) in den Wahlpflichtbereich verschoben, oder es fand sich in Fächerverbün-den unterschiedlicher, aber didaktisch auch ungeklärter Konstellationen in-tegriert. Einer dieser Fächerverbünde trägt den Namen „MINT“.Auf den ersten Blick scheint die Ab-kürzung MINT, also Mathematik, Infor-matik, Naturwissenschaft und Technik auf ein weiteres, interdisziplinäres „Fä-cherfeld“ zu verweisen, wie es im Kon-text fächerverbindenden Lehrens und

Lernens zahlreiche andere gab und gibt. Damit scheint MINT einer Emp-fehlung der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften1 zu folgen, und sich „interdisziplinär“ aus-zurichten. In ihren „Empfehlungen zu MINT“ beschreibt die Akademie aller-dings weder die didaktische Gestalt einer solchen Kooperation, noch be-gründet sie ihre Notwendigkeit. Ein Be-griff allein jedoch macht noch keinen didaktisch „funktionierenden“ Fächer-verbund.

Es ist auffallend, dass nicht nur in o.g. Empfehlungen zu MINT, sondern in den meisten vorliegenden Publikationen zu MINT an keiner Stelle begründet wird, warum die „Fächer“ Mathematik, In-formatik, Naturwissenschaften (die es als „Fach N“ ja so gar nicht gibt) und Technik interdisziplinär, in der Schule also im weitesten Sinne fächerverbin-dend, kooperieren müssten, um die gewünschten Ziele zu erreichen.

Es ist erklärtes Anliegen der Wirtschaft und der Bildungspolitik, durch die Initi-ative in den MINT-Fächern auf einen

drohenden und in Teilen bereits ein-getretenen Nachwuchsmangel in den „MINT-Berufen“ zu reagieren.

Das Problem des Mangels an „Nach-wuchs“ scheint evident und ist auch in der Technikdidaktik selbst nicht nur unbestritten, sondern wird von ihr überdies als noch prekärer er-kannt, weil auch im Bereich der tech-nischen Bildung auf allen Ebenen Nachwuchs(lehr-)kräfte fehlen.

Allein der Lösungsansatz MINT ist eben wegen der nicht weiter begrün-deten, aber gleichwohl unermüdlich behaupteten Notwendigkeit von Inter-disziplinarität fragwürdig. Ein Grund, warum ein Fachkräftemangel in be-stimmten Berufsgruppen explizit durch einen schulischen Fächerverbund und damit interdisziplinär gelöst werden müsste, erschließt sich keineswegs von selbst.

Dies schiene dann geboten, wenn als Ursache des Mangels bisher fehlende Interdisziplinarität in den beteiligten Fächern zweifelsfrei auszumachen ge-wesen wäre. Eine solche Begründung spielt aber bei allen derzeitigen Dis-kussionen um MINT gar keine Rolle. Die Ursachen liegen an anderer Stel-le, worauf im Folgenden eingegangen werden soll. Um die Situation besser einbetten zu können, sollen zuvor eini-ge kleine Ausschnitte der historischen Entwicklung des Faches Technik in Fä-cherverbünden skizziert werden.

Kurzer historischer Rück­blick auf das Fach Technik in interdisziplinären KonstellationenWas das Fach Technik betrifft, so ist es in der Vergangenheit zu keiner Zeit aus der Einsicht didaktischer Notwendig-keit „Bündnisse“ mit anderen Fächern eingegangen. Vielmehr war, um dies an einem Beispiel zu verdeutlichen, et-wa der Fachbereich AWT (Arbeit-Wirt-schaft-Technik) an der Hauptschule in Baden-Württemberg eine Reaktion auf bildungspolitische Entwicklungen, die alle Schulfächer in ganz Deutschland, und damit auch das Fach Technik, ver-stärkt in einen Kontext vorberuflicher Bildung drängten. Hintergrund dieser Entwicklung war der von der Erzie-

Überlegungen zur Technik- didaktik in Fächerverbünden –Systematisierung Interdisziplinäre Ansätze (Erster Teil)

Von Thomas Rajh

Technik und MINT – Didaktische Analyse eines interdisziplinären AnsatzesIm ersten Abschnitt meiner Überlegungen sollen nach einem kurzen Rückblick auf frühere „Bündnisse“ des Faches Technik mit anderen Fächern zunächst einige Systematisierungsversuche fächerverbindenden Unterrichts betrachtet werden. Geklärt werden soll dabei zum einen die Frage, ob sich für Fächerverbünde wie MINT eine eigenständige Metadidaktik abzeichnet, die als verbindendes Element evtl. vorhandene, gemeinsame Ziel- und Inhaltsperspektiven determinieren kann. Daneben stelle ich die Frage nach Ursachen der Gründung von Fächerverbünden. Ich überlege dabei, in welcher Relation das Fach Technik in Fächerverbünden zu den anderen Fächern stehen müsste, um seine eigenen Anliegen und Interessen vor dem Hintergrund eines unverkürzten Technikverständnisses wahren zu können.

1 BERLIN-BRANDENBURGISCHE AKADEMIE DER WISSEN-SCHAFTEN, BBAW (2012).

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Elektrotechnik / Elektronik tu: Unterrichtspraxis

hungswissenschaft kaum gehemmte Wandel von einer „Bildungspädago-gik“ hin zu einer „Qualifikationspäda-gogik“ mit dem Ziel des Erwerbs von „Schlüsselqualifikationen“2. Man kann diese Bewegung aus heutiger Sicht als Wegbereiterin aktueller Kompetenzpä-dagogik betrachten.Bildung bewegte sich damit ein gutes Stück hin zur Utilität und zur Funktio-nalisierung, und damit entgegen bishe-riger Bildungsideale hin zum Charakter (vorberuflicher) Ausbildung. Notwendigerweise exponierte dies Schule und Bildungsinhalte dem frei-en Zugriff z. T. ideologischer, v. a. aber wirtschaftlicher Interessen. Dies führte u. a. in Berlin zur Integration des Tech-nikunterrichts in das Fach Arbeitslehre, das – lediglich dem Namen nach ein eigenes Fach – im Grunde ein Verbund der Fächer Technik, Wirtschaft und Hauswirtschaft war. Eine Integration des mehrperspekti-vischen Technikunterrichtes hätte je-doch zum Verlust Eigenständigkeit kon-stituierender Elemente und damit zu einer Verengung oder unerwünschten Fokussierung der differenzierten Ziel-perspektiven in Richtung der öko-nomischen Dimension der Technik geführt. Ein Technikverständnis, das stets und unverrückbar an erster Stel-le die Humandimension der Technik sieht und andere, im Kontext ihrer Be-trachtung nachrangige Überlegungen, zugleich nicht ausschließt, orientiert sich dabei zuerst am Gegenstandsbe-reich der Technik selbst und gewinnt seine Zielperspektiven nicht erst aus deren Didaktisierung. In gewisser Wei-se bedeutet diese Genese des Tech-nikbegriffs und der Zielperspektiven technischer Bildung aus dem Gegen-standsbereich der Technik selbst eine Immunität vor dem Zugriff partikularer Interessen und einengender bzw. den Blick auf das Gesamte der Technik ver-kürzender Schwerpunktsetzungen.Fächerverbünde, die eine Auflösung ihrer integralen Fachdidaktiken zu Gunsten einer Art Metadidaktik bedin-gen, bestehen in Summe immer aus weniger als ihren Einzelteilen. Dies bezieht sich sowohl auf didaktische Elemente (hier: die Zielperspektiven eines mehrperspektivischen TU) als

auch auf den relativen Anteil am Ge-samtkontingent aller zur Verfügung stehenden Unterrichtsstunden eines Curriculums.

Die Ausweisung des Fächerverbundes „AWT“ in Baden-Württemberg war in-sofern ein strategischer Kompromiss. Mit ihm konnte die geforderte und un-vermeidliche Hinwendung zur vorbe-ruflichen Bildung, den Schlüsselqua-lifikationen und damit wirtschaftlichen Überlegungen bei gleichzeitigem Er-halt des gesamten fachdidaktischen Ansatzes nachgewiesen werden. Gleichsam stellt er einen bis heute gangbaren Weg thematisch-interdis-ziplinärer Kooperation dar, welche die Fächer unversehrt lässt. Dazu jedoch mehr im Verlauf dieses Beitrags.

Durch AWT bewahrte sich die mehrper-spektivische Technikdidaktik zugleich auch ihren weitgehend unausgespro-chenen Anspruch, als „Kritische Tech-nikdidaktik“ vor dem Hintergrund einer damals stark rezipierten Kritischen Erziehungswissenschaft jenen Teil der als allgemein verstandenen Bildung zu befördern, der die freie Entscheidung des Individuums und letztlich seine Emanzipation von Entscheidungen partieller Interessensverbände bedeu-tete. Eine so verstandene, „Kritische Technikdidaktik“3 bewahrte sich durch die fachliche Eigenständigkeit über-dies auch ihre aus dem umfassenden Technikbegriff entlehnten Zielperspek-tiven, stellte die Humandimension der Technik weiterhin in ihr Zentrum und verhinderte den Zugriff unmittelbarer ideologischer oder ökonomischer Ver-wertung auf schulische Bildungspro-zesse.

Ähnliche Überlegungen kritischer Art sind auch für aktuelle Entwicklungen der Integration des Faches Technik in Fächerverbünden anzustellen, was je-doch an anderer Stelle in notwendiger Tiefe besorgt werden müsste. Denn auch derzeit erleben wir einen Wandel im Bildungsverständnis, der nochmals und mit enormer Wucht die Reste einer traditionellen Perspektive in das Zeital-ter einer Kompetenzpädagogik drängt, innerhalb derer alles messbar, operati-onalisierbar, optimierbar scheint.

Die Hinwendung zu den sog. „Schlüs-selqualifikationen“ ab den 1970er bis weit in die 1990er Jahre hinein war ein ähnlich radikaler Paradigmenwechsel und ist als direkter Vorläufer der Kom-petenzpädagogik zu sehen. Der Unter-schied besteht derzeit lediglich darin,

dass Kompetenzpädagogik heute wie-der von Bildung spricht, auch wenn sie diese gar nicht (er-)fassen kann: „Mit der Behauptung »Kompe-

tenzen beschreiben aber nichts anderes« als die Befähigung durch Bildung wird die beruhigende Bot-schaft mitgeteilt, dass eine gra-vierende semantische Differenz zwischen dem humanwissenschaft-lichen Konstrukt »Kompetenz« und der klassischen philosophischen Reflexionsform »Bildung« eigent-lich sachlich nicht bestimmt werden kann. Kompetenz ist zur Seite des Subjekts demnach nichts anderes, als es auch die Bildungstheorie »gemeint und unterstellt« hat.“4

Überwiegend unbemerkt hat dies gra-vierende Auswirkungen für die bis-herigen Fächer und Disziplinen. Der Wandel vom Bildungs- zum Kompe-tenzbegriff bringt mit sich, dass die Inhalte und Gegenstände, an denen eben diese Kompetenzen „ange-bahnt“ werden sollen, zunehmend sekundären, weil exemplarischen und substituierbaren Charakter tragen. Kompetenzen können, weil sie keine Bildungsinhalte sind, an diesen oder aber jenen Themen, Inhalten, ja sogar in weitgehend beliebigen fachlichen Kontexten erworben werden. Die Be-deutung und Notwenigkeit des Faches und der Disziplin muss folglich gegen null sinken, wo Kompetenzen anstatt Bildungsinhalte Ziele des Lernens, „der Auseinandersetzung, der Aneig-nung und des Verstehens“5 sind. Die Hinwendung zu Kompetenzen statt zu Bildungsinhalten ist, das soll damit gesagt sein, das Fundament der Kon-struktion von allerlei Fächerverbünden bei gleichzeitiger Beschneidung oder Abschaffung von Fächern und Diszi-plinen.Vor dem Hintergrund der Erkenntnis also, dass es bisher keine fachdidak-tischen Erwägungen waren, die das Fach Technik in Fächerverbünde ge-leitet haben, und der Tatsache, dass Technikunterricht in Folge bildungspo-litischer Entscheidungen bereits oft in Fächerverbünden angeboten werden muss, scheint es an der Zeit, die „Sa-che“ MINT didaktisch zu betrachten. Anhand des Beispiels von MINT soll aber zugleich auch die Grundsatzfra-ge nach der Möglichkeit und Sinnhaf-tigkeit einer Integration des Faches Technik in Fächerverbünde und nach interdisziplinären Konstellationen ins-gesamt gestellt werden.

2 BECK, H. (1993), S. 81 ff.3 SACHS, B. (1971), S. 105. 4 GRUSCHKA, A. (2006), S. 10.5 LIESSMANN, K. P. (2014), S. 75.

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Es gilt dabei zu prüfen, ob MINT aus Sicht der Technikdidaktik eine didak-tisch sinnvolle und erfolgverspre-chende Konstellation von Fächern mit dem Ziel technischer Bildung darstellt. Dabei soll aber auch die Sichtweise der anderen Fächer nicht ausgeblen-det werden, denn das bloße Postulat eines Fächerverbundes garantiert noch nicht, dass dieser für die daran beteiligten Fächer auch unschädlich ist oder diesen sogar Nutzen bringt.

Systematisierungsversuche fächerübergreifenden LernensEinige Zeit, nachdem das Thema fä-cherübergreifendes Lernen in Schulen auftauchte, wurden trotz oder gerade wegen der stets bildungspolitischen, nie aber didaktisch notwendig er-scheinenden Setzung schulischer Fächerverbünde zahlreiche Versuche unternommen, Fächerverbünde und fächerübergreifendes Lernen aus di-daktischer Perspektive jenseits bil-dungspolitischer Begrifflichkeiten zu analysieren und zu systematisieren. Fächerverbünde unterscheiden sich typologisch voneinander und die vage Bezeichnung „fächerübergreifend“ be-schreibt die möglichen Konstellationen nur unzureichend. Ihre umfassendere Betrachtung kann deshalb nur aus unterschiedlichen Perspektiven gelin-gen, was die einzelnen Beiträge unter-schiedlicher Erziehungswissenschaft-ler konsequent auch besorgen, ohne jedoch im Einzelnen einen vollstän-digen Gesamtüberblick zu eröffnen.Einschlägige Überlegungen gehen et-wa auf die äußere Organisationsform fächerübergreifenden Lernens6 ein, bei POPP auf unterschiedliche mögliche Perspektiven und Zugänge im Sinne einer „Spezialisierung auf Zusammen-hänge“7, und werden von HILLER-KETTER und HILLER als Kategorien gemäß didaktischer Funktionen skiz-ziert8.Die verschiedenen Organisations-formen denkbarer fächerverbindender Konstellationen zeigt dabei HUBER auf, ohne zugleich nach deren Sinn und Gehalt zu fragen. Weil ihm selbst jedoch die reine Beschreibung unzu-länglich erscheint, rät er „als Hilfsmit-tel der Einordnung, Evaluation und Weiterentwicklung der verschiedenen Konzepte fächerübergreifenden Unter-richtes“9 zu einer Taxonomie der Re-

lationen der einzelnen Fächer inner-halb solcher Fächerverbünde. Darin beschreibt er gleich vier verschiedene Möglichkeiten, in denen Fächer in ei-ne Beziehung treten können, nämlich konzentrisch, komplementär, kontras-tiv oder reflexiv10. Er evaluiert diese Relationen nicht und gibt neben seiner Analyse auch keine Empfehlungen für ein bestimmtes Konzept ab.

Bemerkenswert aber und auch für ak-tuelle Fragen der Technikdidaktik eine Lösung bietend scheint hier die erste von Huber genannte Relation: Er nennt sie „Fächer konzentrisch“. Die Sicht-weisen der einzelnen Fächer in MINT richten sich in diesem Fall auf einen ge-meinsamen Gegenstandsbereich (z.B. „Energiewende“, „Standort Europa“) oder auf einen Problembereich (z. B. Technikfolgen, Persönlichkeitsrechte im digitalen Zeitalter, Ölknappheit). Da-bei umkreisen die Fächer mit fachspe-zifischen Beiträgen eine gemeinsame Thematik. Das Zentrum ist hier nicht das Fach, sondern die Thematik bzw. der didaktische Gegenstand. Zugleich können die beteiligten Fächer in sich ganz und unversehrt bleiben.

In Ergänzung zu HUBERS Benennung dieser Relation scheint mir der Begriff einer „thematischen Interdisziplinarität“ adäquat. Sie ist gekennzeichnet durch das Fehlen einer institutionalisierten Fächerverbindung, so dass stets neue Konstellationen unterschiedlicher, ggf. zueinander thematisch und didaktisch affiner Fächer (also Fächer mit einer Nähe oder gar Schnittmenge ihrer Themen, Methoden, Ziele) denkbar bleiben.

Ohne Zweifel ist es HUBERS Ver-dienst, erstmals umfassend und syste-matisch-analytisch die unterschied-lichen Arten fächerübergreifenden Unterrichts vergleichend dargestellt11 und in Anlehnung an ihre didaktischen Relationen benannt zu haben. Aller-dings kam er zu keiner über die Ab-bildung von bestehenden Sachverhal-ten hinausgehenden Überlegung zur Evaluation solcher Fächerverbünde, was jedoch schlicht an seiner Frage-stellung lag, die rein deskriptivem Inte-resse folgte. Auch weitere Arbeiten zur Interdisziplinarität, die auf HUBERS Ergebnisse eingehen oder sich indi-rekt auf diese beziehen12, entwickeln keine Kriterien zur Bewertung inter-disziplinärer Fächerkonstellationen, wirken deshalb weitgehend affirma-tiv und nicht kritisch-konstruktiv. Sie bleiben monoperspektivisch oder de-

skriptiv und sind nicht geeignet, einen dem Gegenstand des Faches Technik angemessenen mehrperspektivischen Zugang zu eröffnen.

Auch der Versuch einer in Anlehnung an HUBERS Relationen durchge-führten Taxonomie des Faches Tech-nik im Gefüge von MINT musste daher insgesamt unbefriedigend bleiben.13

Ein Grund hierfür liegt darin, dass es kein klares didaktisches Kon-zept von MINT gibt, an dem man die HUBER’schen Kategorien zur Bestim-mung der Relationen der MINT-Fächer anlegen könnte.

Bei allen Versuchen, das Fach Technik anhand der o.g. Taxonomie systema-tisch und didaktisch in MINT einzubin-den, wurde keine Relation der Fächer zueinander sichtbar, die in einem Sy-nergieeffekt ein neues „Überfach“, ei-ne Metadidaktik hervorgebracht hätte. Fluchtpunkt der Beschreibungen blieb vielmehr stets das ursprüngliche Fach. Das Schulfach ist demnach selbst zur Bestimmung weiterer Konstellationen in Verbünden unentbehrlich. Ein Fä-cherverbund definiert sich nie selbst, sondern kann nur aus dem Gehalt sei-ner Bestandteile determiniert werden.

Die Stärkung der Eigenständigkeit eines Faches im Fächerverbund, hier also des Faches Technik und seiner Didaktik stärkt folglich solange als tra-gende Säule Konstrukt und Ziel eines Gegenstandbereiches MINT oder be-liebiger anderer fächerverbindender Kontexte, wie es als Ganzes unbe-schadet diese Funktion ausüben kann.

Es zeigt sich damit auch, dass Forde-rungen nach Abschaffung von Fach-unterricht, weil „bildungstheoretischen Erkenntnissen zuwiderlaufend“14, auch von all jenen eine Absage zu erteilen wäre, die interdisziplinäres Lehren und Lernen vorantreiben wollen.

Erst MOEGLING hat in seiner Arbeit zum Kompetenzaufbau im fächerüber-

6 Huber (1995), S–167 f.7 Popp (1997), S. 143 f.8 Hiller-Ketterer, I und Hiller G. G.

(1997), S. 179–185.9 HUBER (1993), S. 216.10 Vgl. ebd.11 HUBER, L. (1995), S. 167 f.12 Vgl. CAVIOLA et al. (2011), MOEG-

LING, K. (1998), DUNCKER, L. und POPP, W. (1997), PETERSSEN, W. H. (2000), GEIGLE, M. (2005)

13 RAJH (2015), S. 92 f.14 SCHMAYL, W. (2002), S. 7.

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Elektrotechnik / Elektronik tu: Unterrichtspraxis

greifenden Unterricht mit seinen „Fünf didaktischen Typen fächerübergrei-fenden Lernens“ ein mehrperspekti-visches didaktisches Modell vorgelegt, das jedoch wiederum notwendige Fra-gen der Organisationsform und der do-mänenspezifischen Relation sowie des Erkenntnisinteresses der Fächer nicht explizit aufgreift15.Damit liegt bislang kein umfassendes und alle Fragen der Umsetzung und Sinnhaftigkeit klärendes Modell fächer-übergreifenden Unterrichts vor.Die Entscheidungen der Bildungspo-litik und anderer Interessensgruppen zur zunehmenden Installation von Fä-cherverbünden basieren damit letztlich nicht auf wissenschaftlich-didaktischer Einsicht, und auch die eben genannten Versuche der umfassenden Analyse fächerverbindenden Lernens vermö-gen bestehende Zweifel an dessen Nutzen nicht zu zerstreuen oder die bisherigen Modelle gar nachträglich zu legitimieren.

Thematische Interdiszipli­narität als Ansatz fächerverbindender TechnikdidaktikAus Sicht der Technikdidaktik ist die erste von HUBER genannte Kate-gorie „Fächer konzentrisch“ mit dem Momentum der thematischen Inter-disziplinarität dann der Ansatz der Wahl, wenn das Ziel des vollständigen Erhalts des Faches Technik und der eigenen Zielperspektiven im Zentrum des Interesses steht, eine Integration in das MINT-Konstrukt jedoch nicht umgangen werden kann. Im bereits erwähnten „Fächerverbund“ AWT waren es gerade die gemein-samen Themen, insbesondere der vorberuflichen Bildung, also Themen in ökonomischem Kontext, die dem bei Verlassen der Fachlichkeit dro-henden Nachteil „ungefächerten, un-bestimmten und wenig geordneten“16

Lernens vorbeugten und die Einzelfä-cher bei zugleich erfolgter Kooperation dennoch unangetastet ließen.Es ist dies ein Ansatz, der darauf verzichtet, den Fächerverbund aus

Teilen seiner ihn begründenden Fä-cher zu gestalten, was ohnehin nur um den Preis gelungen wäre, dass am Ende nicht alle ursprünglich vor-handenen Bestandteile des Faches in diesen Verbund übernommen werden könnten. Es ist dies, das wird sich bei der weiteren Analyse erweisen, folglich die einzige bisher allen Systematisie-rungsversuchen abgerungene Katego-rie eines Fächerverbundes, die keine Integration von beschnittenen Fächern in einen Verbund hinein nach sich zieht, sondern ganze Fächer zu einer kontextuellen Kooperation heranzieht.

Jede Fachdidaktik muss daher die Frage klären, ob die hier dargelegten Kosten der Integration in einen Fächer-verbund dem zu erwartenden Nutzen gerecht werden können.

Wo aus bildungspolitischem und pä-dagogischen Zeitgeist entstandene Vorgaben und das didaktisch Gebote-ne es zwingend erfordern, müsste aus Sicht des Faches Technik deshalb für MINT nach einer solchen Konstellation Ausschau gehalten werden, in der die-ser Verbund nicht in starren Strukturen bestehen muss, sondern sich fluktuie-rend und situationsbezogen sinn- und gehaltvolle Aufgabe-, Frage- und Pro-blemstellungen ergeben können, die jeweils von allen beteiligten Fächern getragen werden können und interdis-ziplinären Unterricht in der Tat zielfüh-rend, weil gewinnbringend und nicht einengend erscheinen lassen.

In welchen Bereichen diese Themen und Fragestellungen zu finden sind, muss von den Fachdidaktiken selbst bestimmt werden. Die Domäne der MINT-Fächer wäre dabei vorab zu defi-nieren und es wäre dabei zu prüfen, ob es eine solche überhaupt geben kann, um einer thematischen Beliebigkeit erst gar keinen Raum zu bieten.

Allerdings ist diese Frage nach der ver-bindenden Domäne, also einem Wis-sensgebiet und Erkenntnisinteresse, dass den MINT-Fächern gemeinsam zu Grunde liegt, nicht beiläufig zu klä-ren, weil die Themen der Technik oft eher eine Affinität zu den sozialwissen-schaftlichen als zu den naturwissen-schaftlichen Fragen aufweisen, was wiederum im Bereich der MINT-Fächer der Fall ist. Man müsste es versuchen.

Einen ähnlichen Ansatz wählte HUGO GAUDIG bereits 1917 und schlug vor,

„das Prinzip des konzentrierenden Unterrichts mit dem des Fachunter-richts zu planmäßiger Architektur“

zu verbinden, „aber nicht so, dass man den Fachunterricht verdrängt, ohne den ein heilloser Dilettantis-mus über die deutsche Schule he-reinbricht (…).“17

Mit dieser „Konzentration der Fächer“ meinte Gaudig nicht deren Verdich-tung, wie der Begriff es heute sugge-rieren würde, sondern deren konzen-trisches Umkreisen eines „Gebietes“ (einer Domäne) in einer fachlichen Betrachtung mit dem Ziel, dass damit „Wirklichkeitsbilder“18 gewonnen wür-den. Dieser „konzentrierende“ Ansatz GAUDIGS entspricht vollständig der „konzentrischen“ Relation HUBERS und stellt den oben beschriebenen thematisch-interdisziplinären Ansatz dar. Am Rande sei hier erwähnt, dass Gaudig seine frühe Forderung nach dieser Art des fächerverbindenden Unterrichts, die er mit der klaren For-derung nach Fachunterricht an dessen Basis verknüpft, mit dem Wunsch nach der Einführung eines Faches „Techno-logie“ anreichert. Nur so könne Schule zur „Kulturschule“19 werden.

Eine Überlegung soll nochmals her-vorgehoben werden, weil sie für den tatsächlichen Nutzen von Unterricht bedeutsam scheint. Es ist die Fra-ge, ob in ihrer Struktur festgezurrte Fächerverbünde diese notwendige Flexibilität in einer thematischen In-terdisziplinarität innerhalb einer ge-meinsamen Domäne überhaupt mit sich bringen können.

Dies darf bezweifelt werden, sind doch die Suchbewegungen hin zu den an-deren Fächern durch den engen Rah-men eines wie auch immer gearteten Verbundes per se eng begrenzt. Be-stimmte Themenfelder wären bei der Suche nach Inhalten schnell aus dem Rennen, weil sie schlicht in einigen Fächern passen, in anderen hingegen gar nicht. Auch stellt sich in Folge die-ser Feststellung die Frage, ob MINT mit seinen Fächern überhaupt als ein solcher, konzentrisch ausgerichte-ter Verbund gedacht und dargestellt werden könnte. Wenn die Lösung des Nachwuchsproblems durch MINT das Ziel ist, dann sähe es schlecht aus für seine Akzeptanz durch die Technikdi-daktik, denn dieses Vorhaben verkürzt die Anliegen technische Bildung zum einen in völlig unzulässiger Weise und taugt überdies auch für eine thema-tische Interdisziplinarität nicht, weil es sich bei ihm um keinen Inhalt im en-geren Sinne handelt.

15 Moegling, Klaus (2010), S. 53 ff.16 Vgl. hierzu LIESSMANN (2914),

S. 61 ff.17 GAUDIG, H. (1917), S. 131.18 a.a.O., S. 134. 19 a.a.O., S. 132.

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Zusammenfassung der interdisziplinären Betrachtung Auf fachlicher und erziehungswissen-schaftlicher Ebene wurden Fragen zum interdisziplinären Lernen bisher gar nicht abschließend diskutiert. Der Begriff des fächerverbindenden Lernens ist gewissermaßen ein Eu-phemismus. Er verstellt die Sicht auf die Tatsche ökonomischer Zwänge in der Bildungsadministration, von wo er auch herstammt. Es ist schlicht billiger, wenn eine Lehrkraft auch ohne fach-liche Ausbildung zeitgleich in mehre-ren Fächern eingesetzt werden kann. Manche Fächer wären überdies man-gels Verfügbarkeit von Fachlehrkräften vermutlich vielerorts nicht mehr anzu-bieten gewesen, was im Widerspruch zur Vorgabe geltender Bildungspläne stünde und politisch betrachtet ein De-saster geworden wäre.

In der Kultusverwaltung (jenseits po-litischer Couleur) tröstet man sich in-des mit der Parole, es komme doch auf das Pädagogische viel mehr als auf das Fachliche an. Kein Bildungs-rat hat je zu überfachlichem Lernen, keine Disziplin der Wissenschaft sich selbst die Integration in interdiszipli-näres Neuland und damit zum Be-ginn der eigenen Bedeutungslosigkeit geraten.

Mit anderen Worten: eine systema-tische Beschreibung des Fächerver-bundes MINT reicht (egal, welchem der hier erwähnten Modelle man folgen mag) alleine nicht aus, um Aussagen über seine Qualität didaktisch belegen zu können. Hierzu sind weitere Überle-gungen anzustellen.

Denkbar wären als Untersuchungskri-terien etwa die Fragen nach

1. gemeinsamen Bildungszielen und Schnittmengen der Fächer in „Kompetenzmodellen“ ihrer jewei-ligen Fachdidaktiken,

2. Übereinstimmung von Zielperspek-tiven des (ggf.) zu verhandelnden gemeinsamen Gegenstandsbe-reiches und damit einer didak-tischen Affinität,

3. Stimmigkeit und Passung des zu Grunde liegenden Bildungsver-ständnisses,

4. nach einer grundlegenden didak-tischen und daraus folgend auch curricularen Affinität,

um nur eine Auswahl zu nennen. Selbst die wenigen hier angeführten Kriterien lassen erahnen, dass eine grundsätzliche und uneingeschränkte Zustimmung zu Fächerverbünden aus fachdidaktischer Sicht kaum zu erwar-ten sein dürfte.Es sind nun aber diese Kriterien, die in der interdisziplinären Forschung, in der ja ganz überwiegend Interdisziplinari-tät (gerade auch in Schulfächern) un-kritisch befördert wird, bislang aus un-terschiedlichen Gründen (wie etwa der derzeit herrschenden methodischen Monokultur in der Erziehungswissen-schaft) noch gar nicht bestimmt und folglich auch nicht angewandt wurden, um Fächerverbünde zu evaluieren.

Die Frage nach Bedin­gungen und Notwendigkeit von Interdisziplinarität Im zweiten Abschnitt soll reflektiert werden, ob die Anliegen des MINT-Konstruktes notwendig interdisziplinär in Angriff genommen werden müssen. Es wird dabei gefragt, ob die Frage der Interdisziplinarität bei der Lösung der erkannten Probleme eines Fachkräf-temangels in den sog. „naturwissen-schaftlich-technischen MINT-Berufen“ den Kern eines möglichen Lösungsan-satzes trifft.

Interdisziplinarität als Lösung?Es gibt in der Pädagogik Modewörter, jeder Pädagoge kennt welche. Zweifel-los ist das Schlagwort der „Interdiszipli-narität“ ein solcher Begriff, noch dazu einer mit weitreichenden Folgen. Aus den Wissenschaften ist die Annahme immer notwendiger werdender Inter-disziplinarität offensichtlich nicht mehr wegzudenken: „Dass Forschung heu-te in vielen Bereichen interdisziplinär ausgerichtet sein“ müsse, „wird kaum mehr bestritten.“20 Dieser Logik fol-gend schließen sich immer neue „Mi-kroforschungsbereiche“ zusammen, Überbleibsel ehemals ganzer Fächer, um sich gemeinsam Fragestellungen zu widmen. Dabei sind in den ver-gangenen Jahrzehnten hunderte, ja tausende neuer „interdisziplinärer“ Stu-diengänge entstanden, die oft nichts anderes als die „Forschungsvorlieben von Professoren widerspiegeln“21 und deshalb „Mogelpackungen“ sind, die zum Sterben verurteilt gleichsam jun-

ge Menschen deshalb um ihr Recht auf ein vollwertiges Studium betrügen, weil für jede interdisziplinäre Fragestellung zunächst eine fundierte fachliche Klä-rung vorauszusetzen gewesen wäre. Mit anderen Worten: man kann Inter-disziplinarität nicht studieren, sondern sie bestenfalls auf starker fachlicher Basis praktizieren. Es ist dabei unklar und bedürfte näherer Betrachtung, ob mehr Interdisziplinarität in der Wissen-schaft Ursache oder Folge der Zerglie-derung der ehemaligen Fächer ist. Auf die eingangs schon gestellte Frage, ob die erkannten Herausfor-derungen und Probleme bzgl. des Nachwuchses in MINT-Berufen inter-disziplinär gelöst werden können und müssen, soll nun etwas differenzierter eingegangen werden. Warum nach der präzise beschriebenen Nachwuchs-Problematik zu deren Lösung von der Kultusministerkonferenz in atembe-raubender Beliebigkeit „Fachunterricht [sic!], integrierter, naturwissenschaft-lich-technischer Unterricht, Lernfelder, interdisziplinärer oder fächerverbin-dender Unterricht“22 gefordert wird, ist nebulös, aber offensichtliche Folge einer bereits an klaren Begrifflichkeiten scheiternden Logik. Es wird beklagt, dass „obwohl in Politik und Öffentlichkeit

immer wieder auf den Mangel an Fachkräftenachwuchs hingewie-sen wird, Hochschulen, Wirtschaft und Industrie hochqualifizierte In-genieure, Techniker und Naturwis-senschaftler suchen und eine Wahl dieser Schul- und Studienfächer propagieren“, das „Bewusstsein um die Bedeutung mathematisch-naturwissenschaftlich-technischer Bildung noch nicht im wünschens-werten Maß gewachsen zu sein“23

scheint. Noch immer erführen die „sogenannten MINT-Fächer – al-

len voran Mathematik, Physik und Chemie – bei jungen Menschen als Schulfach, als Studiengang oder bei der Berufswahl eine zu geringe positive Resonanz.“24

Es ist erstaunlich und ein deutlicher Hinweis auf ein unvollständiges Tech-nikverständnis, dass zwar vom Mangel

20 BÄTZING, W. und KÖTTER, R. (1999), S. 38–41.

21 LIESSMANN, K. (2014), S. 63.22 KMK (2009), S. 4.23 a.a.O., S. 2.24 Vgl. ebd.

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an „Technikern“ gesprochen, bei der Aufzählung der zu wenig gewählten Fächer das Fach Technik aber nicht mehr erwähnt wird. Hat man denn das Fach Technik an Schulen wirklich an-geboten und dafür gesorgt, dass das Fach Technik ebenso wie die anderen MINT-Fächer grundsätzlich Bestand-teil schulischer Bildung ist?

Die Auffächerung einer in der Reali-tät kontinuierlichen und komplex ver-netzten Wirklichkeit zu Gunsten ihres erst so möglich gewordenen (Teil-)Verständnisses ist ebenso alt wie un-verzichtbar. Wie bei einem Puzzlespiel führt die intensive Betrachtung einzel-ner Teile des Ganzen zum Teilerfolg, beim Zusammensetzen einzelne grö-ßere Ausschnitte des Gesamten abbil-den zu können. Es sind diese größe-ren zusammengefügten Ausschnitte, die man als Aspekte von Wirklichkeit gerade noch beschreiben kann, so-zusagen die größte noch differenziert kommunizierbare Einheit, wenn man nicht auf Oberbegriffe wie „Welt“, „Ge-samtwirklichkeit“ oder gar „Schöpfung“ zurückgreifen will, die dann aber alles und zugleich doch nichts mehr de-tailliert auszudrücken vermögen. Die Fächer als Puzzlestücke bilden so erst die Möglichkeit, in ausgewählten Teilbereichen zusammengesetzte, interdisziplinäre „Bilder“ von Wirklich-keit zu ermöglichen. Interdisziplinarität führt insofern weiter an Wirklichkeit heran, jedoch beruht sie zwingend auf einer Konstellation kleinerer Einheiten daraus.

Man muss aber beachten, dass die Teile zueinander passen, sonst ent-steht ein verkehrtes Bild ohne Sinn und Nutzen, denn mit Gewalt wurde schon so manches Puzzleteil durch zu starkes Drücken und Drängen im Spiel „angepasst“, zerstört und damit unbrauchbar gemacht.

Die Aufgabe fächerübergreifenden Unterrichts besteht darin, das be-wusst Zergliederte, die fächerhaften Fragmente der „Weltwirklichkeit“ in Teilgebieten, in Domänen, wieder zusammenzufassen, gerade um ein möglichst präzises Wirklichkeitsbild zu gewinnen.

Über Gestalt und Gehalt von MINTWelches didaktische Konstrukt, wel-che interdisziplinäre „Idee“ sich hin-ter MINT verbirgt, konnte im Rahmen dieser Überlegungen bislang nicht geklärt werden. Trotz der inflationären Bemühung des MINT-Begriffs gerade auch im technikdidaktischen Diskurs erfolgt „eine interdisziplinäre Betrach-tung oder sogar Verknüpfung“ nicht „und scheint auch nicht intendiert“25. Welche Fächer sich darin befinden, das ist allerdings sichtbar, wenn auch erst auf den zweiten Blick. Die vier Buchstaben des Faches stehen näm-lich für mehr als vier Fächer. Enthalten sind die Fächer Mathematik, Informa-tik, die „Naturwissenschaften“ und die Technik. Allerdings gibt es kein Fach „Naturwissenschaft“. Dahinter verbirgt sich vielmehr eine Zusammenfassung der Fächer Biologie, Chemie und Phy-sik. In gewisser Weise handelt es sich beim „N“ in MINT also um einen Fä-cherverbund im Fächerverbund. Dabei sahen sich die Vertreter der Ver-bände des Faches Biologie in Baden-Württemberg bereits genötigt (man darf davon ausgehen, dass die Fach-vertreter der Chemie und der Physik das ebenso sehen), ihre „ablehnende Haltung zu naturwissenschaftlichen Fächerverbünden zu begründen und auf zu erwartende negative Konse-quenzen hinzuweisen“26, als ihr Fach zusammen mit den anderen Naturwis-senschaften unter dem Namen „Na-turphänomene“ gemeinsam mit dem Fach Technik einen interdisziplinären Verbund27 in der Orientierungsstufe des Gymnasiums eingehen sollte. Von Mathematik und Informatik war da noch nicht einmal die Rede, wie es in MINT ja zusätzlich der Fall ist. Zurecht wies man in den Protesten darauf hin, dass in fächerverbindenden Unterrichtsar-rangements, die nicht mehr auf dem ei-genen Fach mit je einer eigenen Lehr-kraft basieren, erhebliche Anteile des Unterrichts fachfremd erteilt würden. Es ist anzumerken, dass die Vertreter technischer Bildung insgesamt und im

Vergleich mit den Kollegen des Faches Biologie, das sein vollständiges Ab-wehrarsenal herangezogen hat, bisher erst relativ zaghafte Bedenken gegen Technik in Fächerverbünden mit den Naturwissenschaften äußern.

Damit nicht genug, wird auf Ebene aktueller Arbeiten der Technikdidaktik eher eine Tendenz sichtbar, die das MINT-Konstrukt kolportiert. Denn trotz der erkannten Unzulänglichkeiten wer-den, angeregt durch das eben noch als defizitär erkannte MINT und durch einen „Wandel im pädagogischen Den-ken und Handeln“ ambitionierte Vorha-ben wie die

„Notwendigkeit einer interdiszipli-när fachdidaktischen Forschung abgeleitet und die Entwicklung von Ansätzen zur Technoscience Edu-cation als eine Perspektive disku-tiert.“28

Nachwuchsforschung im Bereich tech-nischer Bildung hebt auf curriculare Ausgestaltung von MINT ab, bevor die damit entstandenen Fragen und Zwei-fel geklärt worden wären.29 Der VDI erkennt in den Bemühungen um MINT „einige positive Ansätze in Richtung ei-ner Öffnung der Bildungspolitik für Ele-mente technischer Allgemeinbildung“, konstatiert aber zu Recht:

„Die dort vereinbarten Standards decken technische Kompetenzen nicht ab. Auch die interdisziplinäre Klammer der genannten Fächer zur Technik und den Technikwissen-schaften fehlt völlig.“30

Ausgehend von dieser Feststellung drängen sich auch Fragen nach den Lehrkräften solcher Verbünde auf: wer soll einen Verbund, der aus drei, aus vier, ja aus sechs Einzelfächern (MINT) mit ihrer jeweiligen Didaktik und Me-thodik besteht, kompetent und fachlich fundiert unterrichten? Das geht – ich hatte es bereits erwähnt – nur dann, wenn Fachinhalte und damit Bildungs-inhalte durch Kompetenzen ersetzt werden und damit das Fach, hier: die zugrunde liegenden Ausgangsfächer von keiner entscheidenden Relevanz mehr sind und gediegene Fachlichkeit entbehrlich geworden ist. Die Fächer werden durch Fächerverbünde nicht zusammengeführt, nein. Sie werden aufgelöst zu Gunsten eines exempla-rischen und in seinen Inhalten fluktu-ierenden „Lernfeldes“31, anhand und anlässlich dessen verschiedene Kom-petenzen erworben werden sollen. Im Falle von MINT handelt es sich bei

25 GRAUBE, G. (2013), S. 4 f.26 Gemeinsame Stellungnahme Fä-

cherverbund „Naturphänomene und Technik“ http://www.vbio.de/vbio/content/e25/e15139/e17499/e32749/filetitle/140218_BaWue_Naturpha-enomene_Stellungnahme_ger.pdf, abgerufen am 17.02.2015.

27 „Naturphänomene und Technik“.28 Graube, G., a.a.O., S. 1.29 TUNCSOY, M. (et. al.) (2013).30 VDI Positionspapier technische Allge-

meinbildung (2012), S. 4 f.31 KMK (2009), S.4.

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diesen um sog. „naturwissenschaft-lich-technische“ Kompetenzen.

Wenn schon auf der Ebene von Schule kaum vorstellbar ist, dass eine einzel-ne Lehrkraft all die Inhalte und Me-thoden der Fächer eines Verbundes beherrschen, geschweige denn ver-mitteln kann, dann scheint dies auf der nächst höheren Ebene, jener der Leh-rerbildung, gänzlich unmöglich zu sein. Weil man im Lehramtsstudium keine sechs Fächer studieren kann bleibt nur die Konsequenz, Studiengänge für die „Didaktik der Fächerverbün-de“ einzurichten, wie es im Falle der Einrichtung von Professuren für „Ar-beitslehre“ (die freilich nur drei Fächer zwangsintegriert hat) einst geschehen ist. Es wäre dann eine Frage der Zeit, bevor Professuren für „MINT-Didaktik“ für den Bereich der Pädagogik flächen-deckend eingerichtet würden, was ver-einzelt schon geschehen ist32 oder ge-rade weiter vorangetrieben wird33. Vor dem Hintergrund des darin enthaltenen sechsfachen fachlichen Anspruchs weist dies beinahe anmaßende Züge auf. Dass ein Lehrer für sechs Fächer in Ausbildung und Besoldung natürlich weniger kostet als sechs Fachlehrer und dass solche Lehrkräfte „für alle Fälle“ den Mangel an Fachlehrern ka-schieren können, sollte klar sein.

Die verantwortlichen Gestalter von Dis-ziplinen und Schulfächern werden er-klären müssen, ob sie eine Auflösung der Fächer gegen alle Proteste, jede Tradition und v.a. jede wissenschaft-liche Fundierung verantworten können und wollen. Bisher gab es zahlreiche gute Gründe für den Fächerkanon in seiner jetzigen Gestalt, auch wenn er sicherlich schmerzhafte Defekte hin-sichtlich seiner unterschiedlichen Aus-gestaltung an unterschiedlichen Schul-arten vorzuweisen hatte und nach wie vor hat.

Bei all den Überlegungen zu MINT darf die Problemstellung nicht darauf ver-kürzt werden, dass es um die Generie-rung und Rekrutierung von Nachwuchs für die sog. MINT-Berufe geht. Es geht vielmehr auch und zuerst darum, den Anspruch auf inhaltliche Bildung in

den Fächern zu erfüllen. Was hier vom Fach Technik für die technische Bil-dung eingefordert wird, muss und soll zu Recht auch von den anderen Fä-chern und ihren Anteil an allgemeiner Bildung gelten.

Die Frage nach den Ursachen für den Nachwuchsmangel im MINT ­BereichIn der Regel sorgt der Unterricht in den Schulfächern dafür, dass in Aus-bildungsberufen ausreichend Auszu-bildende zur Verfügung stehen. Die durch den demografischen Wandel verursachten Schwierigkeiten einer immer geringer werdenden Schüler-zahl sollen hier einmal ausgeklammert werden. Für die zur Hoch- und Fach-hochschulreife führenden Fächer gilt Gleiches.

Nun fehlen aber im Bereich der tech-nischen Berufe Nachwuchskräfte, und zwar insbesondere solche, die durch einen höheren Schulabschluss hoch qualifiziert sind34. Die Initiative MINT will darauf reagieren, indem sie einen interdisziplinären Weg wählt. Dabei scheint mir ein Blick auf die in den Schulen angebotenen Fächer viel ziel-führender. Ich stelle damit die Frage, ob für die MINT-Fächer an Schulen eigentlich genug unternommen wur-de, ob sie ausreichend repräsentiert waren oder ob ihr Fehlen Ursache für den jetzt befundeten Nachwuchs-mangel sein könnte. Man müsste dies für alle Fächer, aus denen sich eine Verbund MINT konstituieren soll, in allen Schularten jeweils überprüfen. Im Ergebnis zeichnet sich aber be-reits in der gedanklichen Übersicht eine deutliche Tendenz ab: Sowohl das Fach Mathematik, als auch die naturwissenschaftlichen Fächer und seit einigen Jahren auch die informati-onstechnische Grundbildung, die sich in der Schulpraxis hinter dem „I“ für „Informatik“ verbirgt, haben ihren z.T. historisch gewachsenen Platz im Kon-tingent der Schulstunden gesichert. Die Mathematik wurde nicht einmal (an keiner Schulart) durch die seit 2004 eingeführten Fächerverbünde in ihrer Eigenständigkeit eingeschränkt. Führt man diese Übersicht aber für das Fach Technik durch, ergibt sich ein anders Bild.

Erstens ist das ehemalige Fach Tech-nik ohne Eigenständigkeit verblie-

ben. Zweitens wurde seine Relevanz weitestgehend auf den Rang eines Wahlfaches herabgestuft. Je „höher“ die Schulart ist, desto weniger gab es überhaupt die Gelegenheit, für das Fach Technik zu optieren, womit die dritte und vermutlich wesentliche Ein-schränkung beschrieben sein soll. Je höher der Bildungsgang und die Nä-he zur Hochschulreife, desto weniger spielt technische Bildung eine Rolle.

Es scheint daher wenig erstaunlich, dass es unter den Abiturienten an Af-finität zu technischen Studiengängen mangelt.

Die Ursache für den Mangel an Aus-zubildenden im handwerklichen-tech-nischen Bereich und dessen klas-sischen Ausbildungsberufen hängt damit wohl zusammen, dürfte aber auch eine Folge des allgemeinen Drängens auf die höheren Schularten und die damit schwindende Attraktivität traditioneller Ausbildung im Dualen Sy-stem innerhalb des Handwerks und der Industrie sein. „Man“ will heute einfach mehr erreichen, ein Schulsystem, das insbesondere in Baden-Württemberg alle Schüler zu „Experten“ ernennt, macht es möglich. Je mehr Schüler aber auf ein Gymnasium gehen, desto weniger technische Bildung wird infol-gedessen absolut betrachtet erwor-ben. Wir haben es mit einem Fehler im System zu tun.

Diese Zusammenhänge zu erkennen, dürfte für den Beobachter der Situati-on nicht allzu schwer gewesen sein. Warum also hat man nicht da reagiert, wo die Lücke eklatant zu Tage trat? Warum hat man technische Bildung nicht an den Gymnasien etabliert, an allen Schulen zu Pflichtfächern gemacht und etwa an den Pädago-gischen Hochschulen die Möglichkeit des Studiums des Faches Technik erleichtert und gefördert, wie es etwa die Kirchen vor einigen Jahren zur Be-seitigung des Mangels an Religions-pädagogen erfolgreich angestrengt hatten? Hätte man dadurch nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit heute weni-ger Mangel im MINT-Bereich sowohl in der Wirtschaft als auch in der Bil-dung?

Diese Stärkung wäre wohlgemerkt durch die Einführung und Stärkung des Faches Technik eingetreten, nicht durch die Erfindung eines interdiszi-plinären und didaktisch in hohem Ma-ße vagen Fächerverbundes namens MINT. Schließlich forderten auch die

32 http://www.dghd.de/hochschule-fuer-angewandte-wissenschaften-muen-chen.html, (abgerufen am 21.02.2015).

33 Zu besetzende W3-Professur an der PH Heidelberg „Didaktik der Technik im Kontext der Naturwissenschaften/NWT“.

34 KMK (2009) S. 2.

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Kirchen zur Rekrutierung neuer reli-gionspädagogischer Lehrkräfte we-der den durchgängig ökumenischen Religionsunterricht noch einen Fä-cherverbund etwa mit Deutsch und Geschichte. Beides hätte sicher vom Problem des Mangels entlastet, den Fortbestand des Faches jedoch preis-gegeben.

Für die meisten Fächer der Schule gibt es mit Blick auf ihre Bezugswis-senschaft eine z. T. lange und bis in die Anfänge akademischer Bildung zurückreichende Fachgeschichte, für das relativ junge Fach Technik ist das aus unterschiedlichen Gründen nicht in gleichem Maße der Fall – das muss man anerkennen. Technische Bildung hatte chronologisch betrachtet noch nicht annähernd so viel Zeit wie die anderen Fächer, um ihren „Rang“ zu behaupten und ihn zu verbessern.

Aber es ist nicht seine Geschichte allein, die ein Fach im Fächerkanon hält. Es sind die von ihm bereitgestell-ten Ansätze und Möglichkeiten, sein Bildungsversprechen, den Anspruch junger Menschen auf umfassende All-gemeinbildung zu erfüllen. Niemand wird abstreiten können, dass vor die-sem Hintergrund umfassende tech-nische Bildung in einer rasant sich entwickelnden technischen Welt ein unverzichtbares Element schulischer Bildung für alle Menschen sein muss. Dies gilt für alle Schularten.

Diesen Zusammenhang, vielleicht so-gar die Korrelation mangelnden Nach-wuchs im MINT-Bereich und fehlender technischer Bildung in den höheren Bil-dungsgängen insbesondere der Gym-nasien nicht zu erkennen, obwohl er offensichtlich ist, betrachte ich als gro-be Fahrlässigkeit: man hätte ihn sehen können und dann angemessene Kon-sequenzen ziehen müssen. An dieser Stelle jedoch gleich abzuleiten, dies hätte umgehend die Einführung eines Technikunterrichts an Gymnasien be-deuten müssen, halte ich gleichwohl für verfrüht, denn eine solche Forde-rung wäre nicht vermittelbar gewesen. Um eine solche Forderung nachdrück-lich geltend zu machen, ist es jetzt zu-nächst angezeigt, sich die Gründe der Blindheit für technische Bildung vor Augen zu führen. Es scheint mehrere zu geben, die zum einen durch feh-lendes Sehvermögen für die Sache, al-so pathologisch bedingt, anderenteils aber schlicht in Ignoranz liegen.

Ursachen der Ausblendung technischer BildungDas Gymnasium hat sich jahrzehn-telang erfolgreich dagegen gewehrt, Technikunterricht anzubieten. Das hat mehrere Gründe, manche davon histo-rischer Art und heute nur noch schwer nachvollziehbar. Zum einen wollte und will man sich dort nicht mit einem Fach umgeben, dass den Charakter eines Werkstattfaches trägt. Dazu fehlt den Philologen einfach der Wille und die nötige Einsicht, dass Technik Teil der ganzen, auch der gymnasialen Welt ist. Es handelt sich dabei um eine Art schlechte Angewohnheit. Der Werk-unterricht war vor Jahrzehnten an das Fach Kunst geknüpft, konnte sich von dieser Bindung nie lösen und Eigen-ständigkeit am Gymnasium erlangen. Wenige Schüler nur haben in der fünf-ten und sechsten Klasse ihrer Gym-nasialzeit Erfahrungen mit den Werk-stoffen Holz oder Keramik gesammelt, sofern es eine Lehrkraft im Bereich Kunst gab, die das so – freilich auch nur auf Grundlage im Bildungsplan ent-haltener Wahloptionen – entschieden hatte. Heute ist es der Ruf des „Hand-werkerfaches“, die Angst vor oder die gefühlte Notwendigkeit einer Abgren-zung von den „Blaujacken“, mit denen man sich ja im Hause höherer Bildung gerade nicht auf eine (Bildungs-)Stufe stellen mag. Die Gymnasiasten wollen es ja einmal besser haben. (Man muss natürlich kritisch anmerken, dass sich das Fach Technik die Nachfrage gefal-len lassen muss, wie entschlossen es durch Art und Weise des Technikun-terrichtes diesem Ruf entgegengewirkt hat oder das zumindest versucht hat.)

In den Realschulen hat es das Fach Technik, hier mangels politischen Wil-lens, dauerhaft nicht über den Status eines Wahlpflichtfaches hinaus ge-bracht. Technikunterricht wird an Re-alschulen zwar angeboten, jedoch nur für jenen Anteil der Schüler, der für ihn optiert. Ein klares Bekenntnis zur Not-wendigkeit technischer Bildung für alle sieht anders aus.

Wiederum politischer Wille war es, der den Technikunterricht an Haupt-schulen fest verankert hat, und zwar im Zuge der „Profilierung der Schul-arten“. Man befürchtete, dass die Schüler der Hauptschulen an die Re-alschulen abwandern würden, wenn man ersteren den attraktiven Techni-kunterricht nähme.

Mit der Hauptschule war also lediglich die unterste Stufe im dreigliedrigen Schulsystem konsequent mit Technik-unterricht ausgestattet – zumindest so lange, bis das Fach mit der Einführung der Fächerverbünde (und der Kom-petenzorientierung) im Jahre 2004 in einem solchen verschwand – ob in MNT (Materie-Natur-Technik) oder WAG (Wirtschaft-Arbeit-Gesundheit), das war von Schule zu Schule, manch-mal auch von Jahrgang zu Jahrgang verschieden.

In dieser Bindung an die Hauptschule, zu geringeren Teilen an die Realschu-le und der Ignoranz der Notwendigkeit technischer Bildung am Gymnasium aber liegt vermutlich die Hauptursache des aktuellen Mangels in den MINT-Bereichen.

Die Notwendigkeit von Technikun-terricht an allen Schularten wurde schlicht verkannt. An dieser Stelle kann man zwar Verständnis für die „schwierige“ Situation der Bildungspo-litik aufbringen, findet darin aber we-gen der weiterhin schlechten Progno-se wenig Trost. Von ihr wird erwartet, die Interessen aller möglichst weitge-hend zu bedienen. Besonders in der gymnasialen Bildung sind dies oft Be-strebungen, am Bewährten, am Tra-ditionellen festzuhalten. Dies ist nicht an sich schon negativ zu bewerten, macht es aber sinnvollen und erfor-derlichen Entwicklungen sehr schwer. Wer will bei all den Interessen, die oft diametral entgegengesetzt scheinen, schon endgültig entscheiden, was „gute“ oder „schlechte“ oder „erfor-derliche“ Innovation wäre? Die MINT-Frage wird bildungspolitisch nicht verstanden und gelöst werden, denn ihre Antwort liegt zuerst im Bereich der Didaktik und dem dortigen Ver-ständnis der Zusammenhänge. Die Fachdidaktiken und Fächervertreter sollten, anstatt zu lamentieren, diese Zusammenhänge klar herausarbeiten und an die Entscheidungsträger wei-terreichen.

Bei der aktuellen Entwicklung der Se-kundarschulen in Baden-Württemberg muss die Bedeutung des Technikun-terrichtes in sogenannten Gemein-schaftsschulen, die alle bisherigen drei Schularten integrieren, neu bedacht werden. Darin liegt eine Chance, we-gen der drohenden Verfestigung der Marginalisierung technischer Bildung, zugleich aber auch eine Gefahr.

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Folgen eines fragmen tarischen Technik­verständnissesGleichzeitig muss man feststellen, und dieses Versäumnis ist nur schwer kleinzureden, dass die Folgen dieser Schulpolitik in Form des MINT-Fach-kräftemangels zur Frage hätten führen müssen, was die Gründe für ihn wa-ren. Es scheint angemessen, dies als Versäumnis in erster Linie der KMK in Deutschland zu bezeichnen.Folgt man nämlich der vorherr-schenden Logik der etablierten Fächer, so müsste „angewandte Technik“ allein da schon florieren, wo Mathematik, In-formatik und die Naturwissenschaften als deren „Theorie“ hinreichend Fun-damente gesetzt haben. Das war aber über alle Jahre hinweg der Fall, insbesondere in den Gymnasien, wo die genannten Fächer die längste Zeit vor fremder Vereinnahmung bewahrt geblieben waren. Technik, verstanden als „angewandte Naturwissenschaften und angewandte Mathematik“ wird gleichsam zu deren selbstverständ-lichem, aber irgendwie doch nutzlosem Appendix degradiert. Aus der Beobachtung des entstehen-den Mangels an technischer „Intelli-genz“ hätten m.E. mindestens zwei Schlussfolgerungen gezogen werden können.Zum einen hätte man prüfen können, ob die Fächer vor dem Hintergrund des o.g. Technikverständnisses (Technik als angewandte Naturwissenschaft) ihre Arbeit, nämlich die Theorie für die technische Praxis sauber grundzule-gen, auch erfolgreich umsetzten. Wä-re man zum Ergebnis gekommen, dass dies nicht der Fall gewesen sei, so hät-te man in den beanstandeten Fächern vermutlich die Intensivierung der fach-lichen Anstrengungen angeregt. Es ist unwahrscheinlich, dass man einem solchen Mangelbefund mit einem in-terdisziplinären Konzept in Form von MINT begegnet wäre.Zum anderen aber, und das wäre viel naheliegender als die Überprüfung der unangenehmen Hypothese der eige-nen fachlichen Unzulänglichkeit, hätte das natural verkürzte Verständnis von Technik als solches erkannt und folg-lich revidiert werden müssen. Dieser „Blinde Fleck“ eines verkürzten Tech-nikverständnisses allerdings scheint sich hartnäckig zu halten. Man stelle sich vor, ein zu befüllender Eimer wür-

de trotz permanenten Füllens nicht ge-füllt – wer würde nicht schon sehr bald nach einem Leck suchen, sondern statt dessen mit drei weiteren Schöpfkellen weiter das perforierte Gefäß befüllen? Das unzulängliche Technikverständ-nis ist das Leck, durch das alle Bemü-hungen zur Stärkung technischer Bil-dung sich verflüchtigen. Obwohl man die Defizite bisheriger Bemühungen erkennt, fragt man nicht, wohin sie ver-flossen sind, nun, da man nichts von ihnen hat. Dabei hätte die Erkenntnis, dass tech-nische Bildung wohl kein Ergebnis mathematischen oder naturwissen-schaftlichen Unterrichts allein sei, die genannten Fächer gleich doppelt entlastet. Weder hätten sie die Frage beantworten müssen, warum sie aus-reichend technisch gebildeten akade-mischen Nachwuchs zu generieren nicht in der Lage sind, noch hätten sie sich selbst in die missliche Lage ge-bracht, durch einen nun auch ihnen selbst oktroyierten Fächerverbund na-mens MINT die eigene Existenz erhal-ten und neu legitimieren zu müssen.Die schlichte Forderung nach eigen-ständiger technischer Bildung für al-le wäre vermutlich ein großer Schritt zur Vermeidung der jetzigen Schwie-rigkeiten gewesen. Es ist zumindest optimistisch stimmend, dass dies auch für die Zukunft gilt. Die Stärkung technischer Bildung und eines Faches Technik an allen Schulen dürfte die Lösung des Problems sein, dass zu lösen MINT angetreten war und dazu ohne gediegene technische Bildung im Portfolio zu tragen doch nicht in der Lage sein wird. Am Ende entpuppt sich die ganze MINT-Debatte im Kern also als fachliches Problem, bei dem Fragen der Interdisziplinarität solange eine marginale Rolle spielen, wie die Möglichkeit fachlichen Technikunter-richts nicht bewusst und abschließend negiert wurde. Mir scheint es deshalb durchaus vielversprechend, die ein-schlägigen Sachverhalte in der hier be-schrieben Logik neu zu durchdenken und zu bewerten, bevor man weiter an irgendwelchen MINT-Konzepten arbei-tet, für die das Fach Technik vor dem Hintergrund eines fragmentarischen Technikverständnisses letztlich nur das didaktische Gleitmittel darstellt.Wer den Mangel beseitigen will, wird seine Ursache beseitigen und qualita-tiv hochwertige technische Bildung an allen Schularten, zuerst aber an den lange vernachlässigten Gymnasien in-

stallieren müssen. Die Maßnahme, in-terdisziplinär und im Gewand von MINT gegen fehlende technische Bildung insbesondere an höheren Schulen vorzugehen, verspricht keinen durch-schlagenden Erfolg, weil die neben dem Fach Technik an MINT beteiligten Fächer keinen Begriff von der Technik haben, wie er der Technikdidaktik ei-gen und ihrem Gegenstandsbereich auch angemessen ist. Nur ein solch umfassendes Technikverständnis er-möglicht eine qualitative technische Bildung, die verstärkt Studierende in genuin technischen Berufen, sowohl in der Industrie als auch im Bereich der Wissenschaft und Bildung zur Folge haben dürfte.Die für die Mitarbeit an MINT-Konzep-ten gewährten Fördermittel aus Wirt-schaft und Politik sind süßes Gift und sollten in keinem Fall ausschlaggebend sein, auch wenn man meint, durch ihre Abschöpfung das eigene Fach stärken zu können. Der vermeintliche Vorteil könnte sich bald in sein Gegenteil ver-kehren, wenn eben dieses Fach – wie in Fächerverbünden stets geschehen – auf einen kläglichen Rest reduziert worden ist. Förderung des Konzeptes von Fachunterricht ist hingegen will-kommen.

Zweiter Teil folgt

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tu: Unterrichtspraxis Elektrotechnik / Elektronik

An einer Straßenkreuzung (Ahornstra­ße – Birkenweg) werden die vier Am­peln durch ein dreistufiges Zählwerk gesteuert. (Bild 1)

1) Die gelben Lampen leuchten alle gleichzeitig, wenn Einer und Zwei-er gesetzt sind: Die Anschlüsse der Lampen werden verbunden.

2) Die roten Lampen sind nur vom Vierer abhängig: A an V: B an /V.

3) Die grünen Lampen sind vom Vie­rer abhängig (umgekehrt wie Rot), aber sie leuchten nicht, wenn die gelben Lampen eingeschaltet sind.

Bauanleitung in 20 Schritten1. Beschrifte die Platine sorgfältig nach der Beschriftungsvorlage. Die Bauteileseite (Vorderseite) und die Löt­seite (Rückseite) sind abgebildet (Bild 2). Die Lötringe der Platine sollten zur Bauteileseite gedreht werden. Die Zah­len auf der unteren Platine sagen, wie viele Löcher auf die einzelnen Felder zwischen die Begrenzungslinien fal­len (Beispiel: Einer – 6 Lochreihen). Gib Dir beim Abzeichnen große Mühe, sonst entsteht später beim Löten Cha-os. Schreibe auf die Rückseite Dein Namenskürzel (z. B.: P. M.).

2. Beginne mit dem Aufbau der Plati-ne. Schneide 2 Längen 160 mm vom Kupferdraht (versilbert, 0,8 mm) für die Plusleitung und die Minusleitung ab. Stecke die Drähte von der Rück-seite her durch die Löcher A, B, C und D nach vorne. Biege die Enden der Drähte (10 mm) um die Platine he­rum nach hinten. Knicke nun beide Leitungen von der Platine weg nach außen, so dass die obere und die unte­re Lochreihe nicht vom Draht verdeckt werden. Die Löcher müssen frei sein für die Drähte der Bauteile, die dort hindurchgesteckt werden (Transi­storen, Widerstände).

3. Löte für die Tests Krokodilklem-men an die Anschlüsse des Batte-riekästchens. Eine rote Klemme an die rote Plusleitung und eine schwarze Klemme an die schwarze Minuslei­tung (3 Monozellen – 4,5 Volt). Achte darauf, dass sich die Klemmen nicht berühren, sonst entsteht ein Kurz-schluss. Die Batterien laufen leer und erhitzen sich. Nimm die mittlere Zelle nach dem Test heraus.

4. Setze die Widerstände 560 Ohm stehend auf die kurzen Striche der Pla­tine (Bild 3 Bau1). Biege die Drähte von innen nach außen um die Plusleitung herum und löte sie an. Schneide die

Die Ampelsteuerung Amp12

Von Jürgen Mohr

Vorwort:

Die Ampelsteuerung des Verkehrs ist von jedem erlebter Alltag. Nur wenige machen sich Gedanken darüber, weil die komplexe Technik ein Verständnis von vornherein aussichtslos erscheinen lässt. Beim Bau dieses Modells können Schülerinnen und Schüler durch selbständige Arbeit erfahren, wie eine einfache Ampelsteuerung elektronisch möglich ist. Sie erhalten Grundkenntnisse in Elektronik und ihre feinmotorischen Fähigkeiten werden geschult. Der Aufbau erfolgt in kleinen Schritten, an deren Ende jeweils ein Test steht, der dem Schüler zeigt, ob seine Arbeit erfolgreich war. Das Modell macht die Steuerung von Ampeln durch Zählbausteine für den Schüler einsichtig und nachvollziehbar.

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Elektrotechnik / Elektronik tu: Unterrichtspraxis

überstehenden Enden kurz ab (ebenso bei allen anderen Lötstellen). Setze die Leuchtdioden unter die Widerstände und löte die langen Drähte (plus) an die Widerstände (Bild 4 Löt 1). Die Punkte 1 bis 3, sind Zweierlötstellen: Zwei Drähte kommen zusammen. Achtung: Auf der Rückseite liegen Plusleitung unten und Minusleitung oben!

TEST 1: Klemme die rote Krokodil-klemme des Batteriekästchens (Plus­pol) an die Plusleitung der Platine. Halte die schwarze Klemme (Minus­pol) nacheinander an die freien Enden der Leuchtdioden (4 bis 6). Sie leuch­ten, wenn die Lötstellen einwandfrei sind und die LED (light emitting diode) richtig herum eingesetzt wurden (ab-geflachter Rand zur Minusleitung).

5. Setze alle Transistoren auf die un­teren senkrechten Striche der Platine. Biege die Anschlussdrähte („Bein­chen“) der Transistoren etwas ausein­ander, damit sie mit einem Loch Zwi­schenraum leicht in die Platine gesetzt werden können. Die Transistoren dür­fen nicht ganz auf die Platine gezo­gen werden, weil die Anschlussdrähte für Tests auch von oben zugänglich sein müssen.Biege die unteren Anschlussdräh­te (Emitter) von innen nach außen um die Minusleitung herum und lö­te sie an. Löte die freien Anschlüsse der Leuchtdioden an die Kollektor-anschlüsse der darunter liegenden Transistoren (Lötstellen: 4; 5; 6). Setze auch die liegenden Widerstände 560 Ohm ein und verlöte sie oben und un­ten (Lötstellen: 7; 8; 9, Bild 6 Löt 2).Der Einer ist anders aufgebaut als der Zweier und der Vierer. Er wird später zum Wechselblinker (astabiler Multivi­brator), der den Takt für das Zählwerk angibt. Er blinkt asymmetrisch wegen

Bild 1

Bild 2

Bild 3 Bild 4

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tu: Unterrichtspraxis Elektrotechnik / Elektronik

der unterschiedlichen Basiswiderstän­de (10 Kiloohm – 100 Kiloohm). (Bild 5)

6. Setze nun die Widerstände 10 k Ohm (und 100 kOhm) nach der Zeich-nung in die Platine (fest anziehen) und verlöte sie mit den Basisanschlüssen (Mitte) von T1 bis T6. Es entstehen die Zweierlötstellen 10 bis 15. (Sie werden später zu Dreierlötstellen.) Die oberen Anschlussdrähte der Widerstände 10 kOhm und 100 kOhm im Einer werden zu den Testdrähten TD1 und TD2. Sie erhalten erst zum Schluss ihre endgül­tigen Anschlüsse. Löte im Zweier und Vierer die oberen Anschlüsse der Wi­derstände 10 kOhm an die Kollektoren der Transistoren (Lötstellen: 5; 6; 8; 9). (Bild 6)

Test 2: Lege die Batteriespannung an die Plus­ und Minusleitung der Platine und drücke den Testdraht TD2 an die

Plusleitung: Die gelbe LED leuchtet auf, weil der Transistor T2 strom-durchlässig wird.

Überbrücke mit einem kleinen Schrau­bendreher die Emitter­ und Basisan­schlüsse von T3, T4, T5 und T6. Die Zählbausteine (Zweier und Vierer) verhalten sich „bistabil“: Die Leucht­dioden werden ein­ und ausgeschaltet und bleiben so (ähnlich einem Licht­schalter).

Erklärung: Die Basen der Transis­toren erhalten ihre Spannung über die 10 kOhm­Widerstände von den Kollektoren der gegenüber liegenden Transistoren. Beispiel: Im Zweier sind die Transistoren T3 und T4 über kreuz gekoppelt. Legst Du B3 (Basis von T3) an Nullspannung (über der Platine die „Beinchen“ E3 und B3 überbrücken), so „sperrt“ T3 den Strom. Der Kollek­

tor C3 erhält Plusspannung über den 560 Ohm­Widerstand und damit über 10 kOhm auch B4. T4 wird strom-durchlässig und die LED leuchtet dauerhaft. Wenn du B4 an Null legst, kippt die Schaltung um: Die Leuchtdi­ode erlischt und bleibt aus. Die Schal-tung ist bistabil!

7. Setze die beiden Elektrolytkon-densatoren 22 Mikrofarad schräg über Eck in die Platine (Bild 7 Bau 3) und verbinde sie über kreuz mit den Basen und Kollektoren von T1 und T2 (Minusanschluss an Basis, Plus an Kollektor). Löte die Testdrähte an die Plusleitung.

Test 3: Klemme die Stromversor­gung an die Plus­ und Minusleitung. Die gelbe Leuchtdiode blinkt kurz auf, bleibt längere Zeit aus und geht dann wieder an usw. Der Einer ist

Bild 6

Bild 10

Bild 8

Bild 5

Bild 9

Bild 7

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Elektrotechnik / Elektronik tu: Unterrichtspraxis

ein Wechselblinker (astabiler Multi-vibrator). Er schwingt, weil die Tran­sistoren sich über die Kondensatoren elektrische Ladungen zuschieben (vergleiche Tennis). Die Schwingung ist asymmetrisch (kurz an, lang aus). (Bild 8)

8. Setze im Zweier nach der Zeich­nung die beiden oberen Widerstände 10 kOhm, die beiden Dioden (Ring nach oben) und die beiden Konden­satoren 2,2 Mikrofarad (Minus nach oben) ein. Verlöte die unteren An­schlüsse der Dioden mit den Basen der Transistoren. Es entstehen die „Dreierlötstellen“ 12 und 13. Löte die

neuen Widerstände an die Kollektoren von T3 und T4 (Dreierlötstellen). Ver­binde die Minus­Anschlüsse der Kon­densatoren miteinander 18. Nun sind noch sechs Anschlüsse vorhanden, von denen je drei miteinander verlötet werden 16; 17. Verbinde die Punkte 7 (Ausgang Einer) und 18 (Eingang Zweier) mit einem gelben Schaltdraht. (Bild 9)

Test 4: Schließe die Spannungsquel­le an Plus und Minus der Platine. Der Wechselblinker schwingt wie bekannt, aber der Zweier wird nur bei jedem Ausschalten der gelben LED umge-schaltet. Die grüne Leuchtdiode blinkt

also halb so schnell wie die gelbe! Die Frequenzhalbierung ist die Grundla­ge des digitalen Zählens.

9. Baue den Vierer ebenso auf, wie den Zweier. Verbinde die Punkte 8 (Ausgang des Zweiers) und 21 (Ein­gang des Vierers) mit einem grünen Schaltdraht. (Bild 10)

Test 5: Schließe die Spannungsquel­le an die Plus­ und Minusleitung. Nun schwingt auch der Vierer mit, aber halb so schnell wie der Zweier. Da­mit ist das Zählwerk aufgebaut und ge­prüft! Es kann bis sieben zählen und schaltet beim achten Schritt zurück auf null (alle LED aus; Tabelle vorne). Es kann nun die 12 Leuchtdioden der vier Ampeln steuern.

10. Aufbau des Gehäuses: (Alle Ma­ße in mm) (Bild 11)Leime für den Grundkasten die Seiten­leiste b (200 x 20 x 4) auf das Grund­brett a (200 x 150 x 4). Bestreiche dann die Seitenleisten c und d (142 x 20 x 4) auf drei Seiten mit Holzleim und drücke sie auf a und gegen b. Bestreiche die Seitenleiste e (wie b) unten mit Holz­leim und drücke sie auf a und gegen c und d. Drehe nach einigen Minuten den Kasten um, lege einen schweren

Bild 11

Bild 12 (Download in Originalgröße) Bild 13 (Download in Originalgröße)

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tu: Unterrichtspraxis Elektrotechnik / Elektronik

Gegenstand darauf (z. B. Ziegelstein) und lasse ihn einen Tag lang trocknen. Die Leisten müssen „ohne Luft“ fest aneinander kleben. Drehe den Kasten wieder um und schleife ihn mit Sand­papier glatt.Drucke die Zeichnung (Bild 12) auf festem Papier aus und schneide die vier „Rasenteile“ (grün) heraus. Übrig bleibt die „Straßenkreuzung“ (grau). Klebe die Rasenteile auf Sperrholz (4 mm) und säge sie aus.Schleife die Rasenteile rings herum glatt und male die Kanten grau an (Bordstein). Klebe die „Straßenkreu­zung“ auf den Grundkasten. Leime die Rasenteile nach den Zahlen auf den Grundkasten. Bohre Löcher (4 mm) für die Ampeln und die Lampe. Der LDR (lichtabhängiger Widerstand) erhält ein Bohrloch von 8 mm. Das Bild 13 (wie Bild 12 – beide Vor-lagen in Originalgrößen zum Down-loaden) kann alternativ auf die Decke des Grundkastens geklebt werden: Bild 12 wirkt natürlicher (Bordstein­kannte), Bild 13 ist einfacher, aber für die Deckplatte muss ein Brett von 8 mm Dicke gewählt werden, sonst ha­ben die Rohre der Lampe und der Am­peln keinen Halt.

11. Aufbau der AmpelnDie Ampeln werden aus drei Plati­nen aufgebaut: Die Vorderplatte hat

5 Lochreihen zu 9 Löchern und drei Bohrlöcher (5 mm) für die LED. Die Bodenplatte hat 3 x 5 Löcher und ein Bohrloch (4 mm) für das Standrohr und die Deckplatte hat 3 x 5 Löcher ohne Bohrloch (Bild 14). Klebe Boden­platte und Deckplatte seitlich mit reich-lich Klebstoff an die Vorderplatte (am besten auf einer Glasplatte). Achte da­rauf, dass die Seitenplatten senkrecht stehen, und lasse sie einen Tag lang trocknen. Drucke das Bild 15 (Ampeln und Lampe) (Vorlagen in Original-größen zum Downloaden) auf festem Papier aus. Schneide die vier Vorder­streifen (A mit Leuchtdioden) aus. Be­streiche die Vorderpatten (Platine) mit Klebstoff und drücke sie „mittig“ (rich­tig herum: Bodenplatte mit Loch) auf die Streifen. Bestreiche nach einigen Minuten auch Bodenplatten und Deck­platten mit Klebstoff und drücke die schwarzen Streifen um die Platten he­rum. Lasse die vier Gehäuse einen Tag lang trocknen. Stich mit einer spitzen Rundfeile (5 mm) durch das Papier und feile die Löcher so weit auf, dass die LED (5 mm) und das Standrohr (4 mm) hindurchpassen. Nun kannst Du die Leucht­dioden und das Standrohr mit et­was Klebstoff ein­setzen. Setze die drei LED richtig

herum ein und löte die Leitungen an (rot; gelb; grün; Plusleitung: blau). Zie­he die Leitungen (150 mm) durch die Standrohre (Messingrohr: 4 x 50 mm).

Schneide für Seitenwände und Rück­wände der Ampeln die vier weiteren Streifen aus und knicke sie an der Farbgrenze (Schwarz – Dunkelgrau). Klebe die grünen Streifen an die Sei-tenwände des Grundkastens. Bohre 2 mm­Löcher in die gelben Kreise. Hier werden die Anschlussdrähte für den Schalter hindurchgezogen.

12. Aufbau der Lampe (Bild 16):Biege die obere Hälfte des Lampen­rohres (Messing; 160 x 4 mm) zu einem Viertelkreis und probiere, ob die Lampe etwa „mittig“ über der Kreuzung hängt, wenn Du das gera­de Ende in das Bohrloch (L) einsetzt. Schleife für eine gleichmäßige Aus­leuchtung der Kreuzung die untere Halbkugel (A) von der LED­Lampe ab (Streulicht, statt Punktlicht). Löte 300 mm isolierten Schaltdraht an die LED­Lampe (1), die blaue Leitung (+) an das Gewinde (G) und die gelbe Leitung an den Gegenkontakt (K).

Bild 16

Bild 14

Bild 15 (Download in Originalgröße)

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Ziehe die beiden Leitungen durch das Standrohr der Lampe (2). Schneide den Lampenschirm (D) aus der Scha­blone und entferne ein Viertel und den roten Kreis. Biege ihn zusammen und klebe ihn mit 2 mm Überlappung zu einem Kegel (Schirm). Schiebe den Schirm über das Lampenrohr bis zum weißen Ring der LED­Lampe (3). Zum Abschluss knicke den Streifen für das Lampengehäuse zweimal und klebe ihn von beiden Seiten an das Gewinde des Lampensockels. Klebe mit wenig Klebstoff auch den Schirm und das Standrohr an diesen Streifen.

13. Ansteuerung der roten Ampeln:Die roten LED (A-rot und B-rot) wer­den nur vom Vierer des Zählwerkes angesteuert. Setze die Transistoren, Leuchtdioden und Widerstände nach der Zeichnung Bau 5 (Bild 17) in die Platine und verbinde sie nach der Zeichnung Löt 5 (Bild 18) miteinander.

Test 6: Schneide die oberen Enden der Basiswiderstände 10 Kiloohm (24 und 25) zunächst nicht ab, sondern benutze sie als Testdrähte (TD3 und TD4). Wenn Du sie an die Plusleitung legst, leuchten die entsprechenden Leuchtdioden auf. Sind die Tests gut verlaufen, so kannst Du sie mit Punkt 8 und (Normalausgang des Vierers V) mit Punkt 6 (Querausgang des Vie­rers /V: Nicht-Vier) verbinden.

Test 7: Klemme die Stromversorgung an die Plus­ und die Minusleitung. Das Zählwerk arbeitet einwandfrei. Wenn der Vierer gesetzt ist (LED an), leuchtet die LED A-rot und B­rot leuchtet nicht. Ist der Vierer zu-rückgesetzt (LED aus), so leuchtet B-rot und A­rot leuchtet nicht: LED A­rot leuchtet mit der LED des Vierers und B­rot, wenn die LED des Vierers aus ist. Der Querausgang (/V) hat im­mer die Gegenspannung des Normal­ausganges (V).

14. Ansteuerung der gelben Ampeln (Bild 19):Setze die Bauteile für die gelben Lam­pen in das Feld: „alle gelb“ der Pla­tine. Achte darauf, dass die Dioden (rot) richtig herum eingesetzt werden: Der schwarze Ring zeigt vom Mit­telpunkt M (Lötpunkt 32) weg nach außen. Löte die Bauteile nach der Zeichnung Löt 6 (Bild 20) zusammen. Schneide die Enden der Dioden (30;

31) nicht ab, sie werden als Testdräh­te gebraucht (TD5; TD6).

Test 8. Schließe die Spannungsquelle an Plus­ und Minusleitung der Plati­ne: Die gelbe LED leuchtet. Es liegt daran, dass der Widerstand von 10 Kiloohm die Basisspannung in den Plusbereich bringt und der Transistor T9 stromdurchlässig wird. Lege die Testdrähte TD5 und TD6 abwech­selnd oder auch gleichzeitig an die Minusleitung: Die gelbe LED erlischt,

weil die Plusspannung an der Basis über die Diode nach Minus ab­geleitet wird: Der Transistor sperrt. Schneide nun die Testdrähte ab und verbinde Punkt 31 mit dem Einer (E; gelbe Leitung) und Punkt 30 mit dem Zweier (Z; grüne Leitung): Die gelbe LED leuchtet nur (kurz), wenn Einer und Zweier gesetzt sind.

Erklärung: UND­Gatter „ziehen“ die Spannung hoch, wenn sie nicht durch die Eingänge an Minus gelegt

Bild 17

Bild 18

Bild 19

Bild 20

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tu: Unterrichtspraxis Elektrotechnik / Elektronik

werden. Unsere UND­Gatter haben zwei Eingänge, aber drei Dioden. Die dritte vor die Basis geschaltete Diode dient der Sicherheit. Weil die Kollek­toren an den Eingängen nicht ganz auf Nullspannung herunterschalten, sperren die angeschlossenen Tran­sistoren den Strom nicht völlig (LED leuchten schwach). Das verhindert die dritte Diode.

15. Ansteuerung der grünen Am-peln: Setze die Bauteile nach der Zeichnung Bau 7 (Bild 21) in die Felder A-grün und B-grün. Achte auf die richtige Pol­ung der Dioden (der schwarze Ring von M weg). Löte die Bauteile nach dem Plan Löt 7 (Bild 22) zusammen und biege die Enden der Schutzwi­derstände (560 0hm; rote, grüne und gelbe Kreise) nach oben. Schneide sie über dem nächsten Loch ab. Hier wer­den die Anschlüsse für die Ampeln angelötet.

Test 9. Schneide die Anschlüsse (41; 42; 37; 47) der vier Dioden (Eingänge der UND­Gatter) zunächst nicht ab, sondern benutze sie als Testdrähte. Anfangs leuchten die beiden grünen LED. Wenn du nun die vier Testdräh-te nacheinander an Minus legst, er-löschen immer die dazugehörigen Leuchtdioden. Verbinde die Eingänge der UND­Gat­ter für die grünen Lampen mit den Kollektoren der roten Lampen (26; 27; rote Leitungen) und dem Kollek­tor der gelben Lampe (34; Draht). Die grünen Lampen der Ahornstraße leuchten nur, wenn die gelben und die roten Lampen der Ahornstraße nicht leuchten. (Entsprechend beim Birkenweg.)

Erklärung: Wenn z. B. die gelbe LED leuchtet, hat der Kollektor von T9 (Lötpunkt 34) Nullspannung, Dioden leuchten nur zwischen Plus­ und Null­spannung, bei gleicher Spannung an den Anschlüssen leuchten sie nicht. So kann man sicher sein, dass die grünen LED leuchten, wenn die gel-ben und die dazugehörigen roten LED ausgeschaltet sind. Dann haben die Kollektoren (26; 27; 34) Plusspan­nung. Die fünf LED (2 rot, 1 gelb, 2 grün), sind nur für Tests in der Pla­tine. Sie werden anschließend in die Ampeln eingebaut.

Die Lampenelektronik:

Erklärung. Mit einem LDR (light de­pendend resistor – lichtabhängiger Widerstand) könnte man die Lampe auch analog ansteuern, so dass sie am Abend langsam heller wird, und am Morgen langsam dunkler. Dieser „halbhelle“ Zustand ist aber z. B. bei Leuchtstofflampen nicht möglich und verschwendet auch bei Glühlampen viel Energie. So hat unsere Lampene­lektronik eine „Schnappcharakteristik“:

Die Lampe wird bei einer bestimmten „Dunkelheit“ eingeschaltet und bei ei­ner gewissen „Helligkeit“ wieder aus­geschaltet (Schwellenwerte). Dieses wird durch einen „bistabilen Multivi­brator“ (Flipflop) erreicht, der vom LDR gesteuert wird.Die Lampenelektronik hat keine Ver-bindung (außer Plus­ und Minuslei­tung) mit der Ampelsteuerung. Darum ist sie in den Zeichnungen „Bau 8“ (Bild 23) und „Löt 8“ (Bild 24) wegge­lassen.

Bild 21

Bild 22

Bild 23

Bild 24

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Elektrotechnik / Elektronik tu: Unterrichtspraxis

16. Aufbau der Lampenelektronik Setze die Bauteile in das Feld „Lampe“ (Bau 8 – Bild 23) und verbinde sie nach dem Plan Löt 8 (Bild 24). Die beiden Transistoren (T12, T13) werden durch die „Querwiderstände“ 33 Kiloohm über kreuz miteinander gekoppelt: Die Basis von T12 (47) an den Kollektor von T13 (50) und umgekehrt. Löte die LED (Leuchtdioden­Lämpchen) zu­nächst mit beliebigen Drähten unten in die Schaltung (Gewinde an die Plus­leitung, Kontakt an den Kollektor von T13). Löte den LDR zunächst direkt in die Schaltung (52; 47).

Test 10: Lege mit einem kleinen Schraubendreher bei Helligkeit die Basis von T12 (47) an die Minuslei­tung: Die Lampe war aus und wird bei Kontakt eingeschaltet.

Erklärung: Der LDR hat bei Helligkeit einen kleinen Widerstand und so erhält die Basis von T12 Plusspannung. T12 schaltet durch und der Kollektor (K12; 48) erhält Nullspannung. Sie wird über den oberen Widerstand (33 Kiloohm) an die Basis von T13 (49) geleitet und dieser sperrt: Lampe geht aus. Legst Du die Basis von T12 (47) an Null­spannung, so sperrt T12 und K12 er­hält Plusspannung. Diese wird an die B2 geleitet und T13 schaltet durch: Die Lampe leuchtet. Der untere Wider­stand 33 Kiloohm stabilisiert die Schal­tung (Flipflop). Ob die Lampe leuchtet oder nicht, hängt von der Spannung an der Basis des ersten Transistors (47) ab. Hier liegt der Mittelpunkt eines Spannungsteilers aus dem Widerstand (560 Ohm; Stehwiderstand) und dem LDR. Fällt Licht auf den LDR, ver­ringert sich sein Widerstand und die Spannung am Mittelpunkt (47) steigt (und umgekehrt).

Test 11: Halte den LDR in helles Licht: Die Lampe geht aus. Dunkele den LDR ab: Die Lampe leuchtet. Damit ist die Elektronik getestet.

Aufbau des Modells: Bild der Unter­seite (Bild 25) Vorlage in Originalgrö-ße zum Downloaden.

17. Befestige das Batteriekästchen mit Senkkopfschrauben (2 x 10) und lege die drei Batterien ein. Entferne die Klemmen und verzinne die letzten 5 mm der Anschlussdrähte. Klebe die Seitenteile (Seite 10) auf das Kästchen

und bohre 2­mm­Löcher durch die gel­ben Punkte. Befestige den Schalter über dem Bild mit Senkkopfschrauben (Sk2) (vorstechen). Ziehe den roten Draht des Batteriekästchens durch das Bohrloch und klemme ihn unter den Schalter. Schneide 50 mm Schalt­draht (0,8 mm) ab und klemme ihn auf der anderen Seite unter den Schalter. Löte diesen Draht an die Plusleitung der Platine. Drehe nun drei Schrauben (Sk 2 x 10) in die Deckplatte des Käst­chens und befestige daran die Platine mit Schaltdrähten (0,8 mm). Löte die Minusleitung des Batteriekästchens an die Minusleitung der Platine.

Test 12: Schalte ein: Die LED des Zählwerkes blinken.

18. Setze die Lampe in das Loch (L) und klebe den LDR ein.

Arbeite Dich schrittweise nach Plan (unten, Seite 17) durch das „Gewirr“ der Drähte. Schließe zunächst die Lampe (gelb – blau) und den LDR (grün – blau) an.

Test 13: Schalte ein und decke den LDR ab. Die Lampe leuchtet oder er­lischt, je nach Lichteinfall.

19. Setze die Ampeln in die 4­mm­Bohrlöcher (2A; 4A – Ahornstraße, 1B; 3B – Birkenweg). Löte zunächst die vier Plusleitungen (blau) an, dann die vier gelben Leitungen (alle Ampeln).

Test 14: Schalte ein: Die gelben Lam-pen leuchten, wenn der Einer und der Zweier gesetzt sind (weil der Einer asymmetrisch ist, nur kurz).

20. Löte die roten LED an: Sie leuchten abwechselnd – Ahornstraße, Birken­

Bild 25 (Download in Originalgröße)

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tu: Unterrichtspraxis Elektrotechnik / Elektronik

weg. Löte nun auch die grünen Leucht­dioden an. Achte darauf, dass die bei­den unteren Anschlüsse der Platine für die Ahornstraße und die beiden oberen Anschlüsse für den Birkenweg bestimmt sind (ebenso wie bei Rot).

Test 15: Nach dem Einschalten leuch­ten alle Lampen zu voller Zufrieden­heit, wie es sich für die Ampeln einer Straßenkreuzung gehört! Die Straßen­laterne reagiert auf die Beleuchtung des LDR: Sie schaltet bei Abenddäm­merung ein und bei Morgendämme­rung aus. Das Modell kann nun den Mitschülern, den Lehrern aber auch in der Familie vorgeführt werden!

Gesamtschaltbild und Platine (Bild 26) Vorlage in Originalgröße zum Downloaden.

Alle Vorlage die in Originalgröße benötigt werden abrufbar unter:

www.neckar-verlag.de – TU 157

Bild 26 (Download in Originalgröße)

Bestellliste für die Ampelkreuzung Amp12 Für eine Arbeitsgruppe von etwa 15 Teilnehmern.

Traudl-Riess KG, St.-Georgen-Str. 6, 95463 Bindlach, Tel.: 09208-9119, E-mail: www.traudl-riess.de

Nr. Gegenstand Bestell-Nr. Verwendung Bestellempfehlung 1. LED 4,5 V farblos 19.337.0 Laterne 20 Stück 2. Schaltdraht grün 19.042.2 2 Ringe 3. Schaltdraht gelb 19.042.3 2 Ringe 4. Schaltdraht blau 19.042.4 2 Ringe 5. Schaltdraht rot 19.042.1 2 Ringe 6. Fadenlötzinn 17.090.0 Bleifrei 500 g 7. Krokodilklemmen 19.033.0 für Batteriekästchen 3 Pack 8. Gabun-Sperrholz 08.024.0 4 mm für Grundkasten 3 Platten 9. Messingröhrchen 09.036.0 4 mm Außendurchmesser 10 Stück10. Batteriekästen 19.423.0 für 3 x Mignonzelle 1,5 V 17 Stück 11. Kupferdraht 09.104.0 versilbert 0,8 mm 2 Ringe 12. Transistoren 18.081.0 BC 547/ 548 150 Stück13. Krokodilklemmen 19.033.0 rot-schwarz sortiert 2 Pack14. Fotowiderstand 18.086.0 für Laterne 20 Stück 15. Lochraster-Platine 19.132.0 Lötringe 10 Stück16. Leuchtdioden 19.060.1 5 mm rot 75 Stück17. Leuchtdioden 19.060.2 5 mm grün 75 Stück18. Leuchtdioden 19.060.3 5 mm gelb 75 Stück19. Kippschalter 19.082.0 10 mm Ein – Aus 20 Stück20. Universaldioden 18.074.1 1N 4148 2 Pack21. Kondensatoren 18.065.1 2,2 Mikrofarad 100 Stück22. Kondensatoren 18.086.1 22 Mikrofarad 35 Stück23. Widerstände 18.085.0 560 Ohm 400 Stück24. Widerstände 18.085.0 100 kOhm 20 Stück25. Widerstände 18.085.0 10 kOhm 300 Stück 26. Widerstände 18.085.0 33 kOhm 50 Stück27. Pinzetten 14.622.0 für Elektronik-Feinarbeiten 15 Stück 28. Filzstift, Edding 18.079.0 Platinen-Beschriftung 5 Stück29. Senkkopfschrauben 21.156.0 2 x 10 Platine und Schalter 2 Pack

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31tu 157 / 3. Quartal 2015

Allgemeine Probleme tu: Fachdidaktik

Analysiert man das Verständnis und die Sichtweisen der im täglichen Sprachgebrauch gängigen Begriffe „Theorie und Praxis“ mit Bezug auf schulische Lehr-Lernprozesse, dann stößt man auf heterogene Ausle-gungen sowohl hinsichtlich des Pri-mats der Beziehungen mit- und un-tereinander als auch der begrifflichen Interpretation. Wie auch immer man sich dieser Diskussion anzunähern versucht, gilt es aus Sicht der Tech-nikdidaktik drei Fragen zu klären.

Erstens, was ist mit dem Theoriebegriff gemeint; zweitens, was ist gemeint, wenn von Praxis gesprochen wird und drittens, wie sieht das Verhältnis von Theorie und Praxis mit Bezug auf den Unterrichtsprozess im Allgemeinen und mit Blick auf den Technikunterricht im Besonderen aus?

Erkenntnisse der technischen Wis-senschaften, gebündelt in Theorien und Theoriesystemen, dienen einer-seits der Wissenschaftsentwicklung der Technik selbst, andererseits aber auch der Optimierung der alltäglichen menschlichen Lebenspraxis. Hier wird Technik als nutzbare, funktionierende Technik, die zur Bedürfnisbefriedigung des Individuums unter den jeweils re-al existierenden gesellschaftlichen Verhältnissen gezielt entwickelt und genutzt wird, in einem engeren Sinn verstanden.

Theorien der Technik definieren, wie Prozesse, Verfahren und Systeme in

der Technik zu gestalten sind, um ge-wünschte technische Artefakte öko-nomisch, ökologisch und sozial ver-tretbar herstellen oder auch nutzen zu können. Ehe der Mensch aber in der Lage ist, ein Artefakt gezielt zu fertigen oder für seine Bedürfnisbe-friedigung optimal zu nutzen, muss er es auf geistig-theoretischer Ebene durchdringen. Das gilt für die Beschäf-tigten in der Industrie, im Handwerk oder anderen beruflichen Bereichen, aber auch für alle Menschen in ihrem privaten Lebensumfeld und stellt ge-wisse Ansprüche an ihre geistigen, aber auch geistig-praktischen Fähig-keiten und Fertigkeiten. Die These, Theorien erfüllen eine „Vorwegnah-mefunktion“, erscheint somit auf den ersten Blick gerechtfertigt.

Probleme entstehen aber in erster Li-nie in der Praxis bzw. werden dort als solche wahrgenommen. Der Defekt an einem scheinbar unverzichtbaren technischen Artefakt, der Ausfall der Energieversorgung oder auch feh-lender Kommunikationsmöglichkeiten machen den modernen Menschen na-hezu hilflos. Je länger dieses als Man-gel wahrgenommene Ereignis anhält, je komplexer und mannigfaltiger wer-den die Folgen und Einschränkungen, die zunächst als Einzelproblem er-kannt und zunehmend als Problem-komplex wahrgenommen werden. Die Abhängigkeit von Spezialisten zur Lösung technischer Probleme, aber

auch die Bedeutung der Technik für die Bewältigung des modernen Alltags wird durch eine solche Situation prak-tisch erlebbar und erfahrbar gemacht. Der Mensch nimmt sich als Mangel-wesen wahr.

Der mündige kreative Mensch löst sich von traditionell entwickelten Ge-gebenheiten, stellt sie in Frage, setzt neue Überlegungen dagegen und will Veränderungen. Zwischen alten Zu-ständen und neuen innovativen Ideen liegt ein komplizierter geistiger und geistig-praktischer Handlungsprozess. Das hervorgebrachte Neue ist Resul-tat einer konsequenten Auseinander-setzung des Menschen mit einem als unzulänglich erkannten Objekt oder Zustand. Diese Unzulänglichkeit wird als Problem reflektiert und kann ein Bedürfnis zur Problemlösung schaffen bzw. dabei auch „neue Theorien“ her-vorbringen, die durch Anwenden in der Praxis einerseits auf ihre „Tauglichkeit“ geprüft werden und andererseits die Lösungsvielfalt der technischen Praxis selbst vergrößern.

Es handelt sich also um Praxis-Theo-rie-Praxis-Verknüpfungen, die hier der Technikentwicklung zu Grunde liegen. Anders gesagt: „Praxis ohne Theorie ist blind und taub, aber eine Theo-rie ohne Praxis ist hohl und leer.“ Kurt Lewin bemüht sich in diesem Zu-sammenhang um eine Aufwertung der Theorie, wenn er in Anlehnung an Kant weiter schreibt: „Es gibt nichts Prak-tischeres als eine gute Theorie.” (Le-win, K. 1951)

Dem ist aber nur insofern zu folgen, als technische Theorien die Technik-praxis begründen, sich in ihr verge-genständlichen. Damit wird die Praxis zugleich zum Prüffeld der Theorie, bestätigt sie oder erfordert deren ge-zielte Korrekturen.

Es ist deshalb berechtigt, einerseits von der Eigenständigkeit beider Kate-gorien auszugehen und andererseits die unterschiedlichen Möglichkeiten und Notwendigkeiten ihrer Verknüp-fungen aufzudecken. Das geschieht insbesondere mit Bezug auf die mög-lichen Konsequenzen für eine allge-meine technische Bildung. Diese Po-sitionen bestimmen die nachfolgenden Darlegungen.

Theorie-Praxis-VerknüpfungenIntegrative Inhaltsbestandteile der technischen Allgemeinbildung

Von Andreas Hüttner

„Theorie und Praxis sind eins wie Leib und Seele, und wie Seele und Leib liegen sie großenteils

miteinander in Streit.“

(Marie von Ebner-Eschenbach)

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32 tu 157 / 3. Quartal 2015

tu: Fachdidaktik Allgemeine Probleme

Theorie und Praxis – grundlegende Kategorien der Technik und ihrer Wissenschaften

Theorie, „theoria“ (griech.) meinte im klassischen Sinne die Eruierung der Wahrheit durch reines Denken, ge­stützt auf Beobachtung und Auswer­tung gesammelter Erfahrungen. Zwi­schenzeitlich hat der Theoriebegriff im doppelten Sinne eine Aufwertung er­fahren. Er besitzt umgangssprachliche Bedeutung (vgl. Duden.de) und ist zu­gleich ein bestimmender Terminus al­ler wissenschaftlichen Fachsprachen. Demzufolge ist das Spektrum seiner Erklärungen breit gefächert. Meist ste­hen dabei wissenschaftsspezifische Bezüge in unterschiedlichen Akzent­setzungen im Vordergrund. Allerdings mangelt es auch nicht an generalisie­renden Aussagen, wie:

„Theorie bezeichnet das systema-tische, nach bestimmten Prinzipien geordnete Beobachten und Erklä-ren der Realität. …“ „Sie schafft Erkenntnisse, die als Instrument zur Ordnung und Bewältigung des Alltags (Praxis) eingesetzt werden können.“

(https://www.bpb.de/nachschlagen/ lexika/18336/theorie-Bundeszentrale)

Literaturrecherchen zeigen, dass in technikwissenschaftlichen Theorie­erklärungen fachrichtungstypische, also spezifische Bezüge bestimmend sind. So unterscheiden sich Theorie­erklärungen von Vertretern der tech­niktheoretischen Fachrichtungen (z. B. Maschinentechnik, Technische Kyber­netik etc.) von denen erzeugnisorien­tierter Disziplinen (z. B. Fahrzeugbau, Schiffbau etc.). Das Allgemeine, das übergreifend Systemtheoretische der Technik findet dabei aber zu wenig Aufmerksamkeit. Kornwachs stellt hierzu fest: „Fragen wir nach einer Theorie der Technik, dann geht es um das Verstehen der Technik in dem Sinne, dass man eine Erklä-rung dafür haben möchte, warum es Erfindungen, Entdeckungen und Entwicklung gibt, warum sich eine Technologie so und nicht anders entwickelt hat. ....“ (Kornwachs, K.: Berlin 1996)

Er betont, dass die Theorie der Technik darüber hinaus auch Verständnis für Entwicklungsrichtungen technischer Systeme vermitteln muss. Sie ist nicht nur eine Handlungsanleitung für Inge­nieure und Techniker, sondern für die Anwendung von technischem Wissen generell.

Aber auch diese Position greift zu kurz, denn sie beschreibt die Kategorie „The­orie der Technik“ lediglich durch Ver­weise auf einzelne, unstrittig wichtige, technische Sachverhalte. Die Generie­rung von allgemeintechnologischem Metawissen wird nicht betont. Genau­so wenig wird darauf verwiesen, dass zur Überwindung der engen Theorie­sicht in der Technik von einem weiten, mehrdimensionalen Technikverständ­nis ausgegangen werden muss. Die Korrelationen zwischen Mensch und Technik sowie die damit im Zusam­menhang stehenden ökonomischen, ökologischen und sozialen Voraus­setzungen und Wirkungen, die beim Technikeinsatz entstehen können, sind in dieser Aussage nicht angemessen berücksichtigt. Unter dieser Prämisse kann dann festgehalten werden:

● Theorien der Technik dienen der Praxis und nutzen sie einerseits als Prüffeld zum Nachweis ihrer wis­senschaftlichen Richtigkeit, Gül­tigkeit, Zweckmäßigkeit sowie ihrer Reichweite, bezogen auf Anwend­barkeit und Verwertbarkeit, aber auch ihrer ökonomischen Ergiebig­keit, ökologischen Nachhaltigkeit sowie sozialen Vertretbarkeit. Da­mit wird die Praxis zu einem Kata­lysator für die Theorieentwicklung.

● Theorien der Technik systemati­sieren, klassifizieren und bündeln Resultate des Denkens, hervorge­bracht durch theoretische Ausein­andersetzung der Menschen mit er­kannten Problemen und/oder durch empirische Erforschung der Praxis.

● Theorien der Technik verknüpfen allgemeingültige technische Ge­setzmäßigkeiten, Prinzipien und Regeln mit fachrichtungsbezo­genen, also spezifisch ausgelegten Erkenntnissen der Technik. Allge­meine und spezifische technische Gesetze werden durch theoretisch begründete technische Prinzipien, die „Brückenfunktionen“ erfüllen,

aber auch durch praxisbezogene technische Regeln (z.B. Ferti­gungsregeln, technologische Re­geln, etc.) konkretisiert. Zwischen Gesetzen, Prinzipien und Regeln bestehen Implikationszusammen­hänge.

● Theorien der Technik begrün­den, beschreiben und erklären im Zusammenhang das allgemeine Vorgehen bei der Technikentwick­lung, der Technikgestaltung und der Technikverwendung unter gleichzeitiger Berücksichtigung der Vielfalt und Differenziertheit ihrer Verlaufsformen, die das Be­sondere bzw. Einzelne genauso wie das Spezifische der Technik reflektieren. Dabei ist es ein wich­tiges Ziel, spezifische theoretische Grundideen bzw. Erfahrungen, die beim Gelingen einer besonderen Problemlösung erworben wurden, multivalent, wenn auch konkret angepasst und modifiziert in der Praxis anzuwenden und somit für unterschiedliche technische Be­reiche, für verschiedene technische Problemlösungen nutzbar zu ma­chen.

Theorien, in all ihren Erscheinungen, sind zunächst eine wichtige Voraus­setzung für jene Wissenschaft, mit der sie gegenständlich verbunden sind. Ihr wissenschaftlicher Wert ist somit unbestritten. Ihre Bedeutung vergrö­ßert sich, gewinnt an gesellschaftlicher Relevanz, wenn sie sich nicht selbst genügen, sondern multivalente prak­tische Verwertung finden.

Praxis, ebenfalls ein umgangs-sprachlich häufig gebrauchter Be-griff, meint vereinfacht gesagt, die von den Menschen durch Handeln geschaffene Lebensumwelt, die sie für sich erschließen und nutzen so-wie ständig verändern.

Praxis erscheint somit in einer dop-pelten Repräsentanz. Einerseits kann und wird sie mit Handeln, praktischem Handeln umschrieben.

Andererseits verweist der Praxisbe-griff aber auch auf gesellschaftliche Bereiche, auf die reale Lebensum-welt der Menschen, in der sie mit elementarer, aber zunehmend auch mit komplexer Technik konfrontiert werden.

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33tu 157 / 3. Quartal 2015

Allgemeine Probleme tu: Fachdidaktik

Beide Beschreibungsaspekte der Praxis bedingen einander, sie durch­dringen sich wechselseitig. Handeln ist Praxis und schafft Praxis. Vorhan­dene Praxis, die Lebensumwelt der Menschen, erfordert menschliches Handeln, wird durch dieses Handeln letztlich nutzbar gemacht und für das Individuum wie ggf. für die ganze Ge­sellschaft verändert. An diesen Zu­sammenhängen, die das Allgemeine der Praxis beschreiben, ist bei der Be­stimmung des Besonderen, gemeint ist die Kategorie Praxis im Bereich der Technik, anzuknüpfen.

Theorie und Praxis sind unterschied­liche, aber miteinander verknüpfte Re­sultate menschlichen Handelns, die alle Stufen der Technikentwicklung und Technikgestaltung durchdringen, sie in Bewegung bringen und sich in Artefakten vergegenständlichen.

Theorie-Praxis-Verknüpfungen be­gründen, bestimmen und begleiten, wenn auch unterschiedlich akzentuiert, Forschungsprozesse in den Technik­wissenschaften sowie Handlungspro­zesse in allen Stufen der Technikent­wicklung und Technikgestaltung, ihr „Gemacht-Sein“ und finden in der An­wendung, im „Verwendet-Werden“, ihre Bestätigung“. (Banse, G.: 2013, S. 27)

Die jeweils spezielle Akzentuierung von Theorie­Praxis­Verknüpfungen lässt sich drei unterschiedlichen Tech­nikebenen zuordnen:

(1) Theorie-Praxis-Verknüpfungen in der Forschung. Sie sind the­oretisch akzentuiert, zielen auf Theoriegewinn, vordergründig durch Auseinandersetzung mit technischen Problemen, die in der Praxis aufgedeckt wurden. (Theorieebene)

(2) Theorie-Praxis-Verknüpfungen, die beim Entwickeln und Gestalten neuer Technik zu berücksichti­gen sind. Sie werden durch un­terschiedliche Akzentuierungen und Zielausrichtungen bestimmt. (Theorie-Praxisebene)

(3) Theorie-Praxis-Verknüpfungen, die bei der Verwendung entwickelter und gestalteter Technik erschlos­sen und berücksichtigt werden müssen. Sie sind praxisakzentuiert. (Praxisebene)

Zum Verhältnis von Theorie – Praxis in der technischen Bildung

In zahlreichen didaktischen und tech­nikdidaktischen Publikationen wer­den Theorie­Praxis­Verknüpfungen beschrieben und gefordert. Dage­gen machen Untersuchungen in der Schulpraxis deutlich, dass dieser Inhaltsbestandteil, obwohl er von be­teiligten Techniklehrern für wichtig be­funden wird, weder als eigenständiger Bildungsinhalt, noch als integrativer Bestandteil komplexer technischer Bildungsinhalte ausreichend Aufmerk­samkeit findet. (vgl. Hüttner 1990, Schmayl 1998, Sachs 2002, acatec 2012, Pfennig 2014)

Ein Problem der allgemeinen Tech­nischen Bildung an den Schulen ist die Reduzierung von Theorieelementen der technischen Bildungsinhalte und eine Überbetonung der praktischen Anteile des Technikunterrichts. Allge­meinbildender Technikunterricht, der vordergründig auf der Theorieebene angesiedelt ist, greift sicher zu kurz, negiert die Technik in der Vielfalt ih­rer Erscheinungen. Genauso unak­zeptabel aber ist seine Reduzierung auf ein bloßes praktisches Gestalten, bei gleichzeitiger Vernachlässigung der theoretischen Grundlagen, Zu­sammenhänge und Strukturen. Das stellt auch W. Schmayl fest, indem er schreibt: „Der faktische Technikun-terricht, … bleibt auffallend hinter den Projektionen seiner Fachdi-daktik zurück. Wesentlicher Grund scheint mir der Hang vieler Tech-niklehrer zum Praktizismus zu sein. … Praktische Tätigkeit wird nicht im möglichen Grad gedanklich vorbe-reitet, begleitet und ausgewertet. Die handwerkliche Verengung des Technikunterrichts verkürzt insge-samt seine Reichweite, wichtige Inhalte kommen nicht zum Zuge, geeignete Methoden bleiben unge-nutzt, technische Bildung wird nur lückenhaft vermittelt.“ (Schmayl, W. 1998)

Gegen die Reduzierung des Technik­unterrichts auf bloßes Gestalten tech­nischer Artefakte, im Extremfall auf „Basteln“, wandte sich, mit Verweis auf Georg Kerschensteiner, auch Burkhard

Sachs. Er interpretierte in Anlehnung an Kerschensteiner den Manualismus, als „die sinnlose Kinderbeschäfti-gung im Unterricht, ... die durchaus im Gewande von High-Tech auftre-ten kann etwa beim Zusammenlö-ten unverstandener, vorgefertigter elektrischer Schaltungen“. (Sachs, B. 2002)

Ropohl beschreibt vier Gefahren, die durch solch einen unreflektierten Prak­tizismus entstehen können. Dilettantis­mus, Suggestivität, Mangel an Exem­plarität singulärer Praxiserfahrungen sowie fehlende Authentizität. (vgl. Rop­ohl, G. 2004)

Besonders in den praktisch domi­nierten Phasen mit manualistischen Tendenzen rückt der Schüler aus und das Medium, Werkstück, Artefakt in den Zielfokus des Unterrichtspro­zesses. Konkret ist in diesen Fällen eine Überbewertung des praktischen Handelns der Schüler/Innen an und mit Medien zu konstatieren.

Das muss an sich nicht prinzipiell ne­gativ gesehen werden, wird aber dann zum Problem für den Technikunter­richt, wenn es ohne eine angemessene Beachtung der Ziel­Inhalts­Methoden­ Medienkorrelation geschieht und die praktischen Handlungen der Schüler im Unterrichtsprozess zum Selbst­zweck degradiert werden, der nichts mit einem theoretisch fundierten, pra­xisnahen Technikunterricht zu tun hat. Ein solches Vorgehen kann freundlich formuliert als Basteln bezeichnet wer­den und steht berechtigt in der Kritik der öffentlichen Wahrnehmung durch Eltern, Schulträger, Verbände, Politiker und nicht zuletzt Lehrerkollegen.

Die Schüler beschweren sich dagegen nur sehr selten über eine solche Art des „Bastelns im Unterricht“ und hier liegt eine Gefahr für den Technikun­terricht und eine Herausforderung für die Selbstreflektion des Unterrichtspro­zesses durch die Techniklehrerinnen und Techniklehrer.

Natürlich wird die Technik für den Men­schen in seinem Alltag vor allem durch ihre Wirkungen im Sinne der Praxis er­kenn­, erfahr­ und erlebbar. Die beim Umgang mit ihr verbundenen technik­spezifischen Handlungen sind dann oftmals erfahrungsbasiert und grün­

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34 tu 157 / 3. Quartal 2015

tu: Fachdidaktik Allgemeine Probleme

den auf sogenanntem verborgenem, nicht artikulierbarem, nach Polanyi auf „Implizitem Wissen“. (vgl. Polanyi, M. 1985).

Die Theorie, die dabei angewandte Technik begründet, bleibt dann fast zwangsläufig verborgen. Das zwingt, mit Blick auf den allgemeinbildenden Technikunterricht, zu bildungstheore­tischen Konsequenzen. Theorieele­mente als integrative Bestandteile der Technik, müssen bei der Aufbereitung technischer Bildungsinhalte aufge­deckt und mit den praktischen Antei­len der technischen Allgemeinbildung verknüpft werden. Umgekehrt gilt es, Theorien durch exemplarische Nut­zung in der Praxis für die Lernenden zu illustrieren und damit leichter fasslich zu machen. Solche Theorie­Praxis­Verknüpfungen müssen bereits bei der Planung des Technikunterrichts er­schlossen und in Unterrichtskonzepte integriert werden.

Mit Sicht auf die allgemeine tech­nische Bildung erscheint es daher notwendig, von einem Technikver­ständnis auszugehen, das die Be­deutung von Theorie­Praxis­Verknüp­fungen hervorhebt:

● Technik repräsentiert und ist Re­sultat unterschiedlich gerichteter Formen menschlichen Handelns, beginnend beim Erkennen, Aufde­cken und Lösen von Problemen, weiterführend beim Entwickeln, Gestalten, Anwenden und Optimie­ren technischer Konstrukte. Theo­rie­Praxis­Verknüpfungen sind ihr integrativer Inhaltsbestandteil.

● Technik, ihre Entwicklung, Gestal­tung und Anwendung ist Resultat unterschiedlicher Mensch­Tech­nik­Interaktionen und wird durch Theorie­Praxis­Verknüpfungen be­stimmt und in Bewegung gebracht. Sie gehören zu den Wesensmerk­malen der Technik und repräsen­tieren sie. Theorieentwicklung zielt, manchmal auch unbewusst, auf Praxis. Praxis wiederum stützt sich auf Theorien und initiiert das Nachdenken über neue Theorien der Technik. In diesem Sinne ver­binden sich bei technischen Pro­blemlösungen implizit vorhandene Wissenselemente mit bewusstem, also explizit erworbenem, Wissen.

Schülerinnen und Schüler müssen Theorie­Praxis­Verknüpfungen in ihrer Bedeutung für die Technikentwicklung und Gestaltung erkennen, verstehen und ihrem jetzigen wie künftigen Han­deln zu Grunde legen.

Immanuel Kant (1724­1804) betonte in philosophischer Sicht, „Man nennt ei-nen Inbegriff selbst von praktischen Regeln alsdann Theorie, wenn diese Regeln als Prinzipien in einer gewis-sen Allgemeinheit gedacht werden, und dabei von einer Menge Bedin-gungen abstrahiert wird, die doch auf ihre Ausübung notwendig Ein-fluss haben. Umgekehrt heißt nicht jede Hantierung, sondern nur dieje-nige Bewirkung eines Zwecks Pra-xis, welche als Befolgung gewisser im Allgemeinen vorgestellten Prin-zipien des Verfahrens gedacht wird. Dass zwischen der Theorie und Pra-

xis noch ein Mittelglied der Verknüp-fung und des Überganges von der einen zur anderen erfordert werde, die Theorie mag auch so vollständig sein, wie sie wolle, fällt in die Augen; denn zu dem Verstandesbegriffe, welcher die Regel enthält, muss ein Actus der Urteilskraft hinzukom-men, wodurch der Praktiker unter-scheidet, ob etwas der Fall der Re-gel sei oder nicht; ...“ (Kant, I. 1974)

Das Bindeglied zwischen Theorie und Praxis ist die Beurteilung bzw. die Be­wertung des Beitrages der ableitbaren Aussage einer Theorie in Bezug auf die Lösung eines in der Praxis veror­teten Problems.

Von Theorie auch mit Bezug auf das gezielte praktische Handeln der Ler­nenden im Unterrichtsprozess kann also dann gesprochen werden, wenn sie eine allgemeine Bedeutung hat und vom konkreten Einzelfall zur all­gemeinen Regel aufsteigt. In diesem Sinne wird ein Deduktionsschluss als Ergebnis mehrerer induktiver, also spezifischer Denkprozesse zur Be­schreibung herangezogen. Ein umge­kehrtes, also deduktives Vorgehen mit induktiven Schlüssen als Überprüfung der allgemeinen, grundsätzlichen Be­deutung einer Theorie, ist aber genau­so denkbar.

Die daraus abgeleiteten zielgerich­teten Handlungen, für die Theorien allgemeine Realisierungs­ und Ver­haltensregeln bereitstellen, sind dann die Praxis. Dabei sind geistige, aber auch geistig praktische Handlungen in gleichem Maß von Bedeutung.

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Allgemeine Probleme tu: Fachdidaktik

Das muss Konsequenzen für die me­thodische Gestaltung des Unterrichts­prozesses, insbesondere Planung und Realisierung der Lehrmethoden ha­ben. Lehrmethoden, wie die induktive oder auch die deduktive Methode, zie­len auf die Erschließung und Verdeutli­chung der inneren Struktur technischer Lerninhalte mittels erkenntnistheore­tisch­ logischer Methoden.

Die Lernenden „sollen durch eine Folge von Analysen und Synthesen, mittels Induktion oder durch deduk-tive Schlüsse bzw. Vergleiche, aber auch im historischen Exkurs, den geistigen Inhalt der Technik zum Zwecke technischer Bildung, im Ergebnis von Lernprozessen selbst erschließen, Technik kennen und verstehen, über Technik kommuni-zieren und sie gezielt nutzen“. (Hütt­ner, A. 2012)

Lehrmethoden (induktiv, deduktiv, logisch­historisch, genetisch, analy­tisch­synthetisch) bilden mit den me­thodischen Grundformen (Vortrag, Unterrichtsgespräch, selbstständiges Lernen) einen ersten grundlegenden Methodenverbund (vgl. Hüttner, A. 2009). Sie sind ein wichtiger Faktor, um die Art und Weise des Vorgehens bei der Realisierung der Unterrichts­ziele zu planen, im Unterrichtsprozess zu realisieren, in der Auswertung zu bewerten und die Erkenntnisse daraus für die nächste Stundenplanung zu be­rücksichtigen.

Wenn von Handlungskompetenz als Zielgröße von allgemeinbildendem Unterricht geschrieben wird, dann ist davon auszugehen, dass mensch­liche Handlungsfähigkeit, die im Zu­sammenhang von explizitem und im­plizitem Wissen, von erkennen und anwenden können, zum Ausdruck kommt, in der produktiv­schöpfe­rischen Erkenntnisanwendung ihre höchste Erfüllung besitzt. Mit der Er­kenntnisanwendung werden Zugänge zur Praxis eröffnet. Aus den in der (Handlungs­)Praxis gemachten Erfah­rungen, den dabei gewonnenen Infor­mationen und deren Verknüpfungen wird Wissen generiert, entstehen Er­kenntnisse im Sinne von modifizierten Theorien bei den Lernenden. Voraus­setzung hierfür ist die Erlangung von Praxisverständnis durch die Schüler,

ihr „eingestellt sein“ auf die Praxis als Quelle der Erkenntnis und Krite­rium der Wahrheit. „Schüler sollen die Theorie als verallgemeinerte, systematisierte Aussage über den Wirklichkeitsbereich ‚Praxis‘ sowie des Denkens verstehen, aber auch lernen, wie die Praxis für die The-orieentwicklung auszuschöpfen ist und wie theoretische Erkenntnisse in der Praxis anzuwenden sind.“ (Hüttner, A. 1990)

Erschließung von Theorie-Praxis-Ver knüpfungen bei der Planung des allgemeinbildenden TechnikunterrichtsDas bewusste Planen von Theorie­ Praxis­Verknüpfungen durch den Leh­renden eröffnet im Unterrichtsprozess für jeden Fachunterricht, aber beson­ders für den Technikunterricht wichtige Zugänge. Dabei kann in Anlehnung an die drei vorgestellten Akzentuie­rungsvarianten von Theorie­Praxis­Verknüpfungen in der Technik für den Technikunterricht von folgenden Grundorientierungen ausgegangen werden:

1. Die praktische Arbeit muss als Wechselwirkung von Mensch, Na­tur und Technik verstanden werden. Sie ist im Technikunterricht so zu konzipieren, dass aus ihr Erkennt­nisse für den Schüler erwachsen. Damit ist mehr als Wissen gemeint, aber auch mehr als rein taktile oder auch manualistische Fertigkeiten.

2. Konkrete technische Lösungen, die Schüler im Unterrichtsprozess rea­lisiert haben, werden durch struktu­rierte Theorien der Technik bzw. ih­rer Wissenschaften systematisiert sowie ggf. durch Erkenntnisse der Natur­ und Sozialwissenschaften weiter erklärt bzw. begründet und damit auf eine höhere allgemei­ne Erkenntnisstufe gehoben. Erst dann erlangen sie perspektivisch eine angemessene Bedeutung als Bildungsgegenstand für ein Indivi­duum.

3. Sollen Theorie­Praxis­Bezüge entsprechend der unterrichtlichen Zielsetzung des Technikunterrichts

genutzt werden, müssen sie durch geistige bzw. geistig­praktische Handlungen der Schüler angeeig­net werden. Die Lehrenden müssen dafür die entsprechenden Voraus­setzungen schaffen.

Auf die Verwirklichung von Theorie­Praxis­Bezügen ausgerichtetes päda­gogisches Handeln muss den aktiven Schüler, die aktive Schülerin in den Mittelpunkt des Unterrichtsprozesses rücken. Dabei sollte beachtet werden, dass die Lernenden im und durch den Technikunterricht dazu befähigt wer­den, auch außerhalb des Unterrichts die Praxis als Anwendungsfeld, aber auch als Quelle für neue Theorien zu begreifen und zu nutzen.

Technik darf allerdings nicht nur „aus der Perspektive ihrer inneren Logik“ gesehen werden, sondern muss auch in „ihrem Wesen als unauflösbare Einheit des technisch Möglichen und des gesellschaftlich Notwen-digen oder sozial Wünschbaren“ begriffen werden. (Rauner, F. 1990)

Das erweitert den Zielkontext für einen guten Technikunterricht nicht unerheb­lich. Hieraus erwächst die Notwendig­keit, der heranwachsenden Generation sowohl als Bürger in einem hochtech­nisierten Land als auch als Arbeitge­ber bzw. Arbeitnehmer der Zukunft eine Technikbildung zu ermöglichen, die sie zum Bewerten technischer Entwicklungen, sowohl konkret als auch global, in ihren ökonomischen, sozialen sowie auch ökologischen Wirkungen und nachhaltigen Folgen befähigt. Damit wird wesentlich zur Entwicklung mündiger Bürger in einer modernen, technisierten Gesellschaft beigetragen.

Technikunterricht an allgemeinbilden­den Schulen zielt auf Beiträge zur Ent­wicklung technischer Mündigkeit, die technisches Wissen und Verständnis der Technikentwicklung und Technik­gestaltung sowie Handeln der Schü­lerinnen und Schüler mit und an tech­nischen Artefakten einschließt.

„Als zentrales pädagogisches Bildungsziel einer allgemeinen Technikbildung lässt sich die indi-viduelle Fähigkeit definieren, spe-zifische Technologien mit allen ihren gesellschaftlichen Effekten,

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36 tu 157 / 3. Quartal 2015

tu: Fachdidaktik Allgemeine Probleme

technikimmanenten Risiken und gesellschaftlichen Funktionalitäten auf fundierten Informationen oder subjektiv empfundenem Wissen be-urteilen zu können. Dies umschreibt der Begriff der „Technikmündigkeit“ (Pfenning & Renn 2012), in Anleh-nung an das Konzept der Risiko-mündigkeit (Renn 2014)“ (Pfennig, U. 2014).

Hieraus erwachsen besondere An­sprüche an die Auswahl und ziel­gerichtete Bestimmung technischer Bildungsinhalte. Sie sollen die Indivi­dualentwicklung junger Menschen be­fördern, Lebensperspektiven in einer technisierten Welt eröffnen, die Reich­weite technischer Allgemeinbildung begründen und Grenzen, u. a. zur technischen Spezialbildung, ziehen.

Nicht zuletzt verstehen sich Bildungs­inhalte als technische Sachverhalte, mit denen sich Schülerinnen und Schüler auseinandersetzen müssen, um Fundamente für ein weitgefasstes Technikverständnis entwickeln zu können. Bei der konkreten Bestim­mung von Lerninhalten für einen so ausgerichteten Technikunterricht kön­nen vier Bezugskategorien für den Planungsprozess herangezogen wer­den:

1. Das Resultat, z.B. das Erzeugnis eines technischen Prozesses. Das könnten z.B. technische Artefakte wie Maschinen, Geräte, Apparate sein, genauso wie Software, Ar­beitspläne, Schaltpläne, aber auch Technologien, Verfahren und tech­nische Prinzipien.

2. Der Prozess zu einem Resul-tat, das können z.B. Erkenntnis­prozesse und deren Wege, Ope­rationsfolgen bei technischen Lösungsprozessen, aber auch Wirkprinzipien sein. Hierbei kann somit die Methode selbst zum In­halt des Unterrichtsprozesses wer­den.

3. Die Tätigkeiten im Prozess zum Resultat, gemeint sind geistige, geistig­praktische, aber auch prak­tische Tätigkeiten, die die Schüler bei der Problemlösung realisieren müssen.

4. Die Reflektion des Resultats in Bezug auf Folgen für die Gesell­

schaft, das Individuum, die Ökono­mie, die Ökologie sowie den prinzi­piellen Beitrag zur Entwicklung von Problemlösungskompetenz bei den Schülerinnen und Schülern.

Diese Bezugskategorien dienen letzt­lich auch als Grundlage der Beurtei­lung des Unterrichtsprozesses für und durch die Lehrenden selbst.

Technik entstand, weil der Mensch seine natürlichen Unzulänglichkeiten durch künstliche Mittel, die er in schöp­ferischer Arbeit hervorbrachte, zu überwinden suchte. Wachsende Be­dürfnisse drängten auf bessere Mittel zu ihrer Befriedigung. Probleme muss­ten dazu gelöst werden. Neue Technik entstand und mit ihr Probleme einer neuen Qualität.

Die Technikentwicklung als Ausdruck menschlicher Schöpferkraft wird unter anderem durch stetiges Erkennen und Lösen von Problemen in Bewegung gebracht. Das schließt jede Art von Handlung, sei sie geistig oder geistig­ praktisch, ein. Jeder Mensch, der eine innovative Leistung erbringt, handelt bewusst oder intuitiv, entsprechend dieser Strategie. Alle zur Lösung eines technischen Problems notwendigen Einzeloperationen sind ihrem Wesen nach Ausdruck schöpferischen Den­kens und Handelns des Menschen.

Eine innovative Problemlösung, ein praktisches Reagieren auf ein kon­kretes technisches Problem, kann wissenschaftlich fundiertes Fach­wissen voraussetzen, muss es aber nicht zwangsläufig. Im ersten Fall wird von explizitem Wissen gespro­chen. „Die Wissenschaft scheint das Reich rationaler Explikation zu sein, und das Explizit-Machen des Wissens der Königsweg zum Ziel der Erkenntnis. Aber wir ha-ben durch die Studien der neueren Wissenschaftsforschung erfahren, dass wissenschaftliches Wissen auf nicht-explizitem Wissen basiert. Ludwik Fleck (1935) hat gezeigt, dass wissenschaftliche Aussagen, Annahmen über die Effekte der Experimentiergeräte und auch die Interpretationen empirischer Beob-achtungen tief in den ‚Denkstil‘ eines ‚Denkkollektivs‘ eingebettet sind. Dieses gruppengebundene und verkörperte Wissen definierte

Michael Polanyi später als ‚implizi-tes Wissen‘. (Rammert, W. 2002)

Der Mensch kann auch innovativ sein und reale Problemlösekompetenz nachweisen, indem er intuitiv handelt. Dies gilt auch und vielleicht insbe­sondere bei technischen Problemlö­sungen. „Inter- und transdisziplinäre Kooperationen können z. B. nicht erfolgreich betrieben werden, indem man einfach algorithmischen Re-geln der Problemlösung folgt oder die verschiedenen disziplinären Kodes formal integriert; vielmehr erfordert das einen längeren und of-fenen Prozess der kulturellen Assi-milation („enculturation“), bei dem die verschiedenen Teilnehmer das implizite Wissen der anderen ken-nen lernen, bei dem sie eine neue gemeinsame und gemischte Spra-che entwickeln und mit dem sie ei-ne neue auf den geteilten Praktiken beruhende Gemeinschaftskultur („community of practice“) begrün-den (vgl. Wenger 1998).“ (Rammert, W. 2002)

Wichtig dazu sind gesammelte Erfah­rungen, die Menschen bei der Lösung anderer technischer Probleme machen konnten (eingeschlossen sind auch negative Erfahrungen) und die sie in der Lage und bereit sind, auf neue Pro­bleme und deren mögliche Lösungs­ansätze zu übertragen. Je mehr Erfah­rungen angehäuft werden, je weniger werden Handlungen bei technischen Problemlösungen theoretisch hinter­fragt. Allerdings sind dann die Verall­gemeinerung der durch Erfahrungen gewonnenen Erkenntnisse und deren Übertragung auf andere, zudem kom­plexe Problemfelder der Technik sehr erschwert, wenn nicht unmöglich.

Für die technische Bildung ist es daher wichtig Theorie­Praxis­Verknüpfungen als wesentliche Grundlage einer um­fassenden Technischen Allgemein­bildungsstrategie zu begreifen. Die­se Strategie ist als eine Korrelation zwischen implizitem, also innerem, schwer oder nicht formalisierbarem Handlungswissen und explizitem, ge­meint ist damit formalisierbares und re­produzierbares Wissen, zu planen und zu gestalten. Dies erfolgt didaktisch intendiert unter Beachtung der indivi­duellen Voraussetzungen der Schüler,

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Allgemeine Probleme tu: Fachdidaktik

aber auch ihren sozialen Erfahrungen, Normen und Regeln (siehe obenste­hende Grafik).

Die Bewertung der konkreten Lösung kann zum Erkennen neuer, vorher nicht wahrgenommener Probleme führen und den Wunsch nach deren Lösung, als auslösender Faktor fol­gender optimierender Handlungen, nach sich ziehen. So wird der durch die kritische Bewertung ausgelöste Op­timierungsprozess letztlich zur Trieb­kraft technisch­kreativer menschlicher Handlungen. Das wiederum kann die Nutzung theoretisch bereits erkannter und erprobter Methodologien aus den Wissenschaften an sich notwendig machen, schließt aber die Nutzung in­dividueller technischer Erfahrungen in keiner Weise aus.

Im Technikunterricht ist zu beachten, dass technische Artefakte, die Pro­zesse ihrer Entstehung und Verwen­dung in sich immer die Einheit von Theorie und Praxis subsumieren. Ver­

gegenständlichte Technik steht also nicht für sich. Sie stützt sich auf Vor­leistungen, die der Mensch erbringen muss. Er muss:

● Probleme erkennen,

● die ihnen innewohnenden Wider­sprüche erklären,

● konkrete Fragen aufwerfen,

● Hypothesen zu möglichen Lösungswegen aufstellen,

● einen Lösungsweg begründet auswählen,

● die Lösung realisieren,

● den Lösungsprozess und das Ergebnis der Problemlösung bewerten,

● Optimierungsansätze ableiten,

● die Erkenntnisse daraus für folgende Problemlösungsprozesse nutzen.

Diese Verlaufsform kreativen Den­kens und Handelns ist ein „ureigenes“

Handlungsgeschehen der Technik und der Technikwissenschaften, die als fi­nale Gestaltungswissenschaften zu verstehen sind und immer auf konkrete Problemlösungen zielen, bei dem the­oretisches wie praktisches Handeln im weiten Sinn ineinander übergehen und verschmelzen.

„Die Technik ist aber ‚ebenso eine Wissenschaft zum Erklären und Verstehen der Welt geworden‘ (De Vries 2012, Sjoeberg 2012, Pfen-ning & Renn 2012) und nicht mehr allein auf ihr Alleinstellungsmerk-mal ‚Gestaltung‘ beschränkt. Die-se gesellschaftliche Leistung der Technik, Natur nach menschlichen Bedürfnissen und Rohstoffe bzw. Materialien zu sinnvollen Nutzungs-objekten unseres Lebens umzuge-stalten, bleibt aber Teil ihrer Dualität von Forschung und Anwendung.“ (Pfenning, U. 2014)

Dazu bedarf es einer Vielzahl von Kom­petenzen als Komplex verzahnter the­

Theorie-Praxis-Verknüpfung in der Technischen Bildung als Korrelation zwischen implizitem und explizitem Wissen

14

Abb.: Theorie-Praxis Verknüpfung in der Technischen Bildung als Korrelation

zwischen implizitem und explizitem Wissen Die Bewertung der konkreten Lösung kann zum Erkennen neuer, vorher nicht wahrgenommener Probleme führen und den Wunsch nach deren Lösung, als auslösender Faktor folgender optimierender Handlungen, nach sich ziehen. So wird der durch die kritische Bewertung ausgelöste Optimierungsprozess letztlich zur Triebkraft technisch-kreativer menschlicher Handlungen. Das wiederum kann die Nutzung theoretisch bereits erkannter und erprobter Methodologien aus den Wissenschaften an sich notwendig machen, schließt aber die Nutzung individueller technischer Erfahrungen in keiner Weise aus. Im Technikunterricht ist zu beachten, dass Technische Artefakte, die Prozesse ihrer Entstehung und Verwendung in sich immer die Einheit von Theorie und Praxis

Theorie Praxis Bewertung

geistiges Handeln (Technik verstehen)

praktisches Handeln (Technik gestalten)

geistig-praktisches Handeln (Technik optimieren)

wissenschaftsbasiertes Wissen (explizit)

erfahrungsbasiertes Wissen(implizit)

Handlungsfähigkeit in einer technisierten Umwelt

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tu: Fachdidaktik Allgemeine Probleme

oretischer wie praktischer Fähigkeiten und Fertigkeiten, die beim Lösen von Aufgaben und Problemen und bei der Anwendung des angeeigneten Wis­sens zum Einsatz kommen und so erst zielgerichtetes Handeln jedes Einzel­nen heute und in der Zukunft ermögli­chen. Viele der dabei zu fällenden Ent­scheidungen betreffen Technologien mit ihren möglichen Chancen, aber auch Risiken. Um hier als mündiger Bürger bewusst entscheiden zu kön­nen, bedarf es einer allgemeinen tech­nischen Bildung für alle Schülerinnen und Schüler dieses Landes, die durch eine enge Verknüpfung von Theorie und Praxis gekennzeichnet sein muss. Letztlich geht es also um Beiträge zur Entwicklung von technikmündigen Bür­gern, die in der Lage sind, mit ihren Entscheidungen auch in der Zukunft das Hochtechnologieland Deutschland in seiner demokratischen Ausrichtung weiterzuentwickeln.

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https://www.duden.de (06.07.14)

http://www.bpb.de/nachschlagen/lexika/politiklexikon/18336/theorie (21.06.14)

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Allgemeine Technikwissenschaften tu: Sachinformationen

Teil 3: Beschreibung tech-nischer Handlungs systeme: Der Planungs- und, Konstruktionsprozess technischer Sachsysteme

3.1 Funktion, Struktur und Eigen-schaften technischer Handlungen

Im Teil 2 wurde gezeigt, dass tech­nische Sachsysteme grundsätzlich nach den vier Kategorien Funkti­on, Wirkprinzip, Struktur und Eigen­schaften beschrieben werden können. Nun fallen Sachsysteme nicht vom Himmel, sie werden auch nicht von einer unabhängig von uns wirkenden Evolution hervorgebracht, so wie dies bei natürlichen „Objekten“ der Fall ist, sondern sie entstehen durch mensch­liches Planen, Konstruieren und Her­stellen. Die menschlichen Bedürfnisse kann man so gesehen als Ursprung der technischen Objekte betrachten und den Prozess der Planung, Kon­struktion und Herstellung als ihre For­mung, Gestaltung und Realisierung. Da ihr Ursprung in den Bedürfnissen zu suchen ist, ist das eigentliche Ziel der Schaffung technischer Objekte aber immer deren Einsatz, ihre Ver­wendung, um die Bedürfnisse z.B. nach Schutz, nach Unversehrtheit oder Entlastung zu erfüllen. Der eigentliche Zweck technischer Sachsysteme be­steht immer in deren Verwendung, so dass man sagen kann, dass die Hand­

lungssysteme (Herstellung – Verwen­dung) in der Technik von zentraler Bedeutung sind und die Sachsysteme nur innerhalb dieser Handlungszusam­menhänge sinnvoll sind.

Grundsätzlich ist es möglich, die tech­nischen Handlungssysteme nach den Grundkategorien Funktion, Struktur und Eigenschaften darzustellen. Dies scheint nicht verwunderlich, wenn man bedenkt, dass technische Sachsys­teme menschliche Handlungen (oder auch von Menschen grundsätzlich nicht ausführbare Operationen, z.B. Fliegen) übernehmen bzw. ausführen, also eigentlich „verdinglichte“ Hand­lungen darstellen. Da menschliche Handlungen immer eine biologische Basis haben, müssen für die Ausfüh­rung nicht spezielle Naturphänomene ausgewählt und angewendet werden, so wie dies bei Sachsystemen der Fall ist. Die Wirkprinzipien fallen hierbei al­so weg.

3.1.1 Funktionen von Handlungs­systemen

Hier muss zunächst geklärt werden, was unter einem Handlungssystem zu verstehen ist. Ropohl versteht darunter eine Instanz, die Handlungen vollzieht

([2], S. 109). Das kann ein personales System sein, z.B. ein einzelner han­delnder Mensch, ein soziales System mittlerer Größe, wie etwa ein Industrie­unternehmen, oder ein soziales Ge­samtsystem, wie z. B. eine Industrie­gesellschaft.

Bei der Darstellung der Sachsysteme hatten wir eine Funktion grundsätzlich als eine lösungs­ bzw. realisierungs­neutrale Beschreibung einer Operation verstanden, bei der Stoffe/Materialien, Energien und/oder Informationen von einem Ausgangs­ in einen Zielzustand überführt werden. Graphisch hatten wir das so dargestellt (Bild 1).

Denkt man jetzt nicht an spezielle Handlungen, so kann man grundsätz­lich festlegen, dass die Funktion eines technischen Handlungssystems als Handeln oder gezielte Veränderung einer Situation beschrieben werden kann ([2], S. 111).

Wichtig in dem hier dargestellten Zu­sammenhang ist, dass man zwischen externem und internem Handeln unter­scheidet. Richtet sich das Handeln auf die Umgebung des Systems, so spricht man von externem Handeln, rich­tet es sich auf das Handlungssystem selbst, verändert es also seinen eige­nen, inneren Zustand, spricht man von internem Handeln. Die meisten Hand­lungen werden allerdings dadurch cha­rakterisiert sein, dass sowohl externes als auch internes Handeln vorliegt, d.h. dass das Handlungssystem also seine Umgebung verändert und dabei sich selbst transformiert.

Bezieht man die hier getroffenen Un­terscheidungen auf Planungs­, Kon­struktions­ und Herstellungsvorgänge, so kann man vielleicht Folgendes fest­legen:

Die Planung technischer Sachsys­teme kann man zum großen Teil als internes Handeln verstehen, da da­bei diese Sachsysteme von einem Handlungssystem antizipierend vorge­dacht und entworfen und symbolisch

Technische GrundsachverhalteEinführung in die Technikwissenschaft(en) 6. Folge

Von Helmut Fies

Der Beitrag gehört zu einer Folge von Artikeln, welche grundlegende wis-senschaftliche Einsichten in wesentliche Zusammenhänge und Bezüge der Technik vorstellen. Siehe auch tu 152 S. 40–46, tu 153 S. 38–47, tu 154 S. 29–36 und 155 S.40–46. In tu 152 befindet sich die gemeinsame Literaturliste.

Bild 1

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tu: Sachinformationen Allgemeine Technikwissenschaften

dargestellt werden. Aber auch die Planung des Herstellungsvorgangs ist internes Handeln, da sich in ihm das Handlungssystem so verändert und an die äußeren Bedingungen anpasst, dass dadurch die Herstellung eines bestimmten Sachsystems ermöglicht wird.

Die Herstellung technischer Systeme ist dagegen externes Handeln, weil dabei durch gezielte Be­ und Verar­beitung von Materialien, durch Zu­sammenfügen von Bauelementen und Baugruppen diese Systeme geformt und gestaltet und damit in die Realität gebracht werden.

Den Konstruktionsvorgang schließlich könnte man als eine Mischung von internem und externem Handeln be­schreiben, da in ihm einerseits Funkti­on und Struktur des Sachsystems bis in die Einzelheiten hinein vorgedacht und symbolisch fixiert werden, ande­rerseits aber bestimmte Teil­Realisie­rungen oder Experimente zur Erpro­bung der grundsätzlichen Eignung von Konstruktionsideen vorgenommen werden müssen.

3.1.2 Strukturen von Handlungs ­ sys temen

Struktur des inneren Aufbaus

Wenn Handeln keine reine Anpassung an vorhandene Umgebungsstrukturen und kein bloßes Reiz­Reaktionssche­ma darstellt, sondern eine gezielte, planvolle Veränderung der Umgebung meint, dann muss dies auch in der Struktur von Handlungssystemen zum Ausdruck kommen: Für eine vollstän­dige technische Handlung sind also sowohl dezidierte Ziele als auch Wis­sen über die Umgebung, über die Me­thoden der Veränderung und die dazu notwendigen Hilfsmittel notwendig. Öffnet man die „black box“ des Hand­lungssystems, so zeigen sich deshalb als Grobstruktur (nach [2])

❍ das Zielsetzungssystem (ZS)

❍ das Informationssystem (IS) und das

❍ Ausführungssystem (AS).

Dabei wird das Ausführungssystem die eigentlichen stofflich­energe­tischen oder informationellen Verän­derungen der Umgebung bewirken. Das dazu notwendige Wissen, seine

Anpassung an die vorliegenden Be­dingungen und die Interaktion mit an­deren Handlungssystemen ist Aufgabe des Informationssystems während die Bestimmung von Handlungszielen, das Setzen von Prioritäten, das Opti­mieren von gegenläufigen Zielen und die Anpassung der Ziele an veränderte Bedingungen vom Zielsystem über­nommen wird.

Struktur des Ablaufs

Während die oben angegebene Struk­tur statisch ist und demnach unabhän­gig von Zeitabläufen beim Vollzug von technischen Handlungen gilt, kann man daneben auch noch Ablaufstruk­turen angeben. Die allgemeinste Form einer solchen Ablaufstruktur ist der sogenannte „Handlungskreis“ (Bild 2).

In diesem Flussdiagramm symboli­sieren die Pfeile die zeitlichen Rela­tionen, während die Reihenfolge der Prozess­Schritte durch die Subfunk­tionen angegeben werden, die durch die entsprechenden Subsysteme (ZS, IS, AS) ausgeführt werden. Der Hand­lungskreis hat seinen Namen von der

Rückkopplungsschleife, die von der Abfrage „Ziel erreicht?“ zurück an den Anfang zu „Planen der Umgebungs­veränderung“ führt. Ist das System an dieser Stelle angekommen und das IS beantwortet die Frage nach der Erreichung des Ziels mit „Nein“, so wird der gesamte Prozess wiederholt und gegebenenfalls iterativ so lange durchlaufen, bis das Ziel schließlich er­reicht worden ist. Wie man an diesem einfachen Beispiel sieht, sind Ablauf­strukturen von Handlungen in der Re­gel nicht einfach als lineare Kette auf­gebaut, sondern bilden die Erfahrung aus konkreten Handlungen ab, dass zum Erreichen des Handlungsziels bestimmte Teilhandlungen meist mehr­fach durchgeführt werden müssen. Die Kontrolle, ob das Handlungsziel schon erreicht wurde oder nicht, stellt also ein grundlegendes Strukturmerkmal von Handlungen dar.

Selbstverständlich lassen sich solche Ablaufstrukturen viel differenzierter angeben und auch auf spezielle Hand­lungssituationen anpassen. Hier sollte nur grundsätzlich gezeigt werden, wel­che Arten von Strukturen technischen Handlungen zugrunde liegen. Eine de­tailliertere Darstellung des Planungs­, Konstruktions­ und Herstellungspro­zesses soll in den folgenden Abschnit­ten erfolgen.

3.1.3 Eigenschaften von Handlungs­systemen

Neben Funktion und Struktur eines Handlungssystems lassen sich auch noch Eigenschaften angeben, die durch die ersten beiden Kategorien nicht abgedeckt werden können, aber dennoch bedeutsam für die Charakte­risierung des Systems sind.

Versteht man ein Handlungssystem z. B. als personales System, so lassen sich subjektive von objektiven Eigen­schaften unterscheiden. Subjektive Eigenschaften sind solche, die sich auf den inneren Zustand der Person beziehen; Beispiele: Motivation zum Handeln, Erfahrung, Beanspruchung durch die Tätigkeit, subjektiv wahrge­nommener Zeitdruck usw. Objektive Eigenschaften beziehen sich dagegen auf die Handlungssituation und die bei der Handlung eingesetzten Mittel. Bei­spiele: Zeit und Dauer der Handlung, Bedingungen des Arbeitsplatzes, er­

Setzen eines ZielsZS

Planen derUmgebungs-

veränderungenIS

Verändernder UmgebungAS

Aufnehmen von Informa-tionen über das Resultat

der VeränderungIS

Zielerreicht?IS

Start

Stop

Nein

Ja

Bild 2

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Allgemeine Technikwissenschaften tu: Sachinformationen

gonomische Gestaltung der Mittel, also der Werkzeuge und Maschinen, festgelegter Arbeitstakt (Akkordarbeit) usw.

3.2 Die gesellschaftlichen Be dürfnisse, Ziele und Anforde-rungen als Ausgangspunkt für den Planungs- und Konstruktionsprozess

Siehe Bild 3

Viele Menschen verstehen die Be­ziehung zwischen Technik und ihrer Nutzung so, dass eine zweckneutrale Technik von den Menschen für ihre momentanen Zwecke eingesetzt und damit genutzt wird. Begründet wird die se Ansicht oft mit dem Beispiel, dass ein in der Natur vorgefundener Stein etwa im Sinne eines Werkzeugs verwendet werden kann, um z.B. ei­nen Stock in die Erde zu treiben oder um Getreidekörner zu zermahlen oder aber als Waffe, um ihn zu werfen und damit z. B. ein Tier zu erlegen. Diese Ansicht betrachtet bei der Technik vor allem den Aspekt ihres Bezugs zur Na­tur: die Verwendung von Rohstoffen, Energien und Natureffekten. Technik erscheint hierbei als vorgegeben, die Art des Gebrauchs kommt nachträglich additiv dazu.

Übersehen wird dabei, dass dieses Beispiel sich überhaupt nicht auf Tech­nik bezieht: Ein in der Natur vorgefun­dener Stein ist keine Technik. Zwar liegt bei diesem Beispiel ein Umdenk­prozess vor, der für die Entwicklung von Technik von entscheidender Be­deutung ist, nämlich die Betrachtung eines Objektes als Mittel, um ein Ziel zu erreichen. Von Technik im eigent­lichen Sinn kann man aber erst dann sprechen, wenn diese vorgefundenen Materialien, Rohstoffe, Energien und Natureffekte gezielt umgeformt, in Wirkungsgefüge angeordnet und mit­einander kombiniert werden, so dass sie in spezifischer Weise der Erfül­lung der vorgegebenen menschlichen Bedürfnisse und Ziele dienen können. Das heißt, dass die menschlichen Be­dürfnisse als Ziele, Vorgaben und An­forderungen in die Gestaltung tech­nischer Sachsysteme eingehen, ja sie bis in die Ausformung der kleinsten

Details hinein bestimmen. Die spezi­fische Form eines Zahnrades ergibt sich nicht primär aus dem verwen­deten Material oder aus irgendeinem Naturgesetz, sondern aus dem Ziel, schlupf­ und schlagfrei Drehmomente zu übertragen, zu ändern oder Dreh­zahlen umzuwandeln. Technik konstru­ieren und herstellen heißt also immer, den spezifischen Verwendungs­ und Funktionszusammenhang vorplanen und konkret gestalten. In diesem Sinne sind technische Sachsysteme konkre­tisierte Handlungs­ und Verwendungs­möglichkeiten.

Die obige Abbildung macht deutlich: Alle technischen Funktionen und Konstruktionen sind grundsätzlich zweck­ und zielbestimmt, also final. Sie stehen unter der Maßgabe der Erreichung der vorgegebenen Werte, Ziele, Wünsche und Anforderungen

an die technischen Systeme. Man könnte sagen: Sachsysteme sind kon­kretisierte Handlungs­ und Verwen­dungsmöglichkeiten.

Die Aussage, technische Sachsysteme seien final, muss genauer erläutert wer­den: Wenn man im obigen Beispiel den Stein z.B. durch ein Messer ersetzt (al­so durch ein spezifisches technisches Objekt) und weiterhin so argumentiert, dass mit einem „zweckneutralen“ Mes­ser in der Anwendung sowohl Gemü­se oder Fleisch geschnitten (guter Zweck) oder aber ein Mensch umge­bracht werden kann (böser Zweck), so wird wiederum übersehen, dass ein Messer nach unserer Definition von Technik niemals zweck­ oder ziel­neutral sein kann: mit einem Messer kann man nur schneiden, aber z. B. nicht sägen, schweißen, fahren, schie­ßen, kochen, überbrücken, antreiben

Bild 3

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tu: Sachinformationen Allgemeine Technikwissenschaften

usw. Ein Messer ist durch seine Kon­struktion für eine ganz bestimmte Art von Anwendung/Handlung geformt. Darüber hinaus gibt es für verschie­dene Teilbereiche der Anwendung „Schneiden“ noch dafür besonders konstruierte Messer: Fleischmesser, Gemüsemesser, Fischmesser, Skal­pell, Schnitzmesser, Küchenmesser, Wurfmesser, Klappmesser usw. Der moralische Aspekt in dem Beispiel, dass nämlich Menschen grundsätz­lich alle Dinge im Sinne moralischer oder unmoralischer Ziele gebrauchen können, ist ein grundsätzlicher Zug des Menschen, der nicht durch die Technik in die Welt kommt, aber sich auch bei der Technik zeigen kann: Be­stimmte Militärtechniken sind eher für den Schutz vor Aggressoren konstru­iert, andere wiederum sind speziell für den Angriff und die gezielte Zerstörung gedacht. Mit einem Lastwagen, der für den Transport von Gütern bestimmt ist, lassen sich sowohl Nahrungsmittel als auch hochgiftige Stoffe oder Waffen transportieren. Ob diese Anwendungs­zwecke jeweils gut oder böse, akzep­tabel oder verwerflich sind, lässt sich in der Technik konstruktiv nicht bestim­men. Auch hier gilt also: Die Freiheits­grade menschlichen Handelns sind so groß, dass sie durch technische Planung und Konstruktion nicht voll­ständig determiniert werden können. Auch wenn die Zielorientierung nicht so eng zugespitzt werden kann, bleibt dennoch gültig, dass Technik grund­sätzlich anwendungs­ und zielorientiert konstruiert und hergestellt wird.

Man sagt in der Systemtheorie und in der Kybernetik oft, dass das Ganze mehr sei, als die Summe seiner Teile. Die obige Abbildung macht deutlich, was dieses „mehr“ ausmacht: es ist genau diese Zielorientierung oder Fi­nalität, die allen Teilen des Ganzen ih­re Ausrichtung, Ausprägung und ihre Teilaufgabe zuweist. Die Finalität stellt quasi den Sinnzusammenhang des technischen Systems dar. Als Beispiel: Jeder kennt das Kinderspiel, in dem ein Blatt Papier herumgegeben wird, und jeder nachfolgende Teilnehmer einen Satz aufschreiben muss. Die Besonderheit besteht darin, dass das Papier jeweils so gefaltet wird, dass jeder nur den letzten Satz lesen kann. Das Witzige an der Sache entsteht da­

durch, dass damit der Gesamtzusam­menhang des Textes verloren geht und damit überraschende oder un­sinnige inhaltliche Bezüge entstehen. Jeder sinnvolle Text zeichnet sich also dadurch aus, dass alle seine Teile in einem gesamten Sinnzusammenhang stehen. Nicht anders verhält es sich mit den Funktionen und Strukturen in der Technik.

Um hier noch ein weit verbreitetes Missverständnis anzusprechen: Wenn von der Finalität in der Technik gespro­chen wird, vor allem im Unterschied zu den Naturwissenschaften, die demge­genüber als kausal gekennzeichnet werden, so ist die Finalität der Sach­systeme ganz im oben dargelegten Sinn gemeint und nicht die Finalität der technischen Handlungen und Metho­den. Viele Naturwissenschaftler und Naturwissenschafts­Didaktiker argu­mentieren so, dass sie sagen: In den Naturwissenschaften wird ebenfalls final gearbeitet. Das Entwickeln einer Versuchsanordnung, das Durchführen von Versuchen, das Auswerten dieser Versuche, das Ziehen von Schlüssen, das Entwickeln von Theorien usw. al-les das sind finale Handlungen. Das ist vollständig richtig, nur ist genau dieser Aspekt nicht gemeint. Mensch­liche Handlungen sind grundsätzlich – von wenigen Ausnahmen vor allem im künstlerischen Bereich abgesehen – immer final, in welchem gesellschaft­lichen Bereich sie auch immer vorkom­men. Die Rede von der Finalität in der Technik bezieht sich aber, wie gesagt, auf die Sachsysteme. Sie werden so konstruiert, dass alle Bauelemente, Teilsysteme und Baugruppen ihre Teil­aufgaben so zugewiesen bekommen, dass sich als Ergebnis die geforderte Gesamtfunktion ergibt.

Dieser Zusammenhang soll in der obigen Darstellung verdeutlicht wer­den. Er ist grundlegend für das Ver­ständnis von Technik überhaupt und gleichermaßen für die Planung, Kon­struktion, Entwicklung und die Frage der Beurteilung technischer Sachsys­teme. Wird dieser grundsätzliche Be­zug zu den Bedürfnissen und Zielen der Menschen übersehen, erscheint Technik allein als naturgegeben, d.h. man kann sich ihr dann nur noch an­passen oder sie generell ablehnen. Ihre prinzipielle Gestaltungsfähigkeit,

ihre Verbesserungsfähigkeit, ihre An­passungsfähigkeit an veränderte Be­dürfnisse, Ziele und Vorgaben ist eine wesentliche Voraussetzung für die Er­reichung des Bildungsziels der verant­wortlichen Teilhabe an der technisch geprägten Welt.

3.2.1 Ziele für die Planung und Kon­struktion von Sachsystemen

„Ein Ziel ist ein als möglich vorgestell­ter Sachverhalt, dessen Verwirklichung erstrebt wird.“ ([2], S. 116). Nach die­ser Definition sind Ziele konkreter als Bedürfnisse und „zielen“ bereits auf konkrete Sachverhalte, Gegenstände, Sachsysteme, Handlungen oder Pro­zesse ab.

Bei der Planung und Konstruktion von Sachsystemen werden in der Regel mehrere Ziele verfolgt, wobei zwischen ihnen bestimmte Zusammenhänge be­stehen. Diese Zusammenhänge, die im Folgenden kurz beschrieben wer­den sollen, bilden ein Zielsystem. Die­se möglichen Zusammenhänge sollen jeweils nur anhand von zwei Zielen dargestellt werden, obwohl dies in der Praxis eher die Ausnahme sein wird ([2], S. 116 f.).

Indifferenz zwischen Zielen

Wenn man zwei Ziele gleichzeitig er­füllen kann, ohne dass sich dadurch Konflikte, Widersprüche oder andere Beeinflussungen ergeben, dann sind diese beiden Ziele indifferent.

Beispiel: Wenn von einem Kfz ge­fordert wird, dass der Motor eine bestimmte Leistung haben und das Fahrzeug einen bestimmten Sicher­heitsstandard erfüllen soll (Gurte, Airbag, steife Fahrgastzelle, ABS ...), dann sind diese beiden Ziele indiffe­rent.

Konkurrenz zwischen Zielen

Eine Konkurrenzrelation zwischen zwei Zielen liegt dann vor, wenn Ziel 2 umso weniger erfüllbar ist, je vollstän­diger Ziel 1 erfüllt wird.

Beispiele: Die beiden Ziele „möglichst hohe Sicherheit für die Fahrgäste“ und „möglichst niedrige Kosten“ bei einem Kfz sind Ziele, die in einem Konkur­renzverhältnis zueinander stehen: Je besser und umfassender die Sicher­heit eines Kfz realisiert wird, umso

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teurer wird das Kfz („Sicherheit hat ihren Preis“) und umgekehrt.

Die beiden Ziele niedr igere CO (Kohlenmonoxid) ­ und HC (Kohlenwasserstoff)­Emissionen und gleichzeitig niedrigere NOx (Stickoxid)­Emissionen bei einem Verbrennungs­motor stehen ebenfalls in Konkurrenz zueinander. Während die CO­ und HC­Emissionen durch eine bessere bzw. vollständigere Verbrennung, also einer höheren Verbrennungstemperatur ge­senkt werden können, werden dadurch gleichzeitig die Stickoxid­Emissionen erhöht.

Das Gleiche gilt für die Ziele: kleiner, leichter, sparsamer und wartungs­freundlicher Motor, der gleichzeitig ei­ne hohe Leistung, eine hohe Lebens­dauer haben und umweltfreundlich sein soll. 2­Takt­Motoren sind klein, leicht, wartungsfreundlich, aber nicht umweltfreundlich und haben keine ho­he Leistung. Dieselmotoren sind groß, stabil (wegen der hohen Drücke), schwer, aber sie sind sparsam, haben eine hohe Lebensdauer und sind um­weltfreundlicher.

In einem solchen Fall muss bei der Pla­nung eine Zieloptimierung erfolgen, d.h. der Grad der Teilerfüllung der bei­den konkurrierenden Ziele muss genau durchdacht und festgelegt werden.

Präferenz zwischen Zielen

Ein Ziel 1 hat gegenüber einem Ziel 2 Präferenz, wenn seiner Erfüllung Vor­rang gegeben wird.

Beispiel: Wenn bei einem Kfz die Er­füllung des Ziels „möglichst nie drige Kosten“ Vorrang hat vor dem Ziel „möglichst gute Umweltverträglichkeit“, dann hat dieses Ziel Präferenz.

Dies bedeutet nicht, dass das unter­geordnete Ziel überhaupt nicht ange­strebt wird, sondern dass das unter­geordnete Ziel nur „im Rahmen“ des übergeordneten Ziels realisiert werden darf.

Voraussetzung zwischen Zielen (Instrumentalrelation)

Eine solche Beziehung liegt dann vor, wenn Ziel 2 nur dann realisierbar ist, wenn auch Ziel 1 realisierbar ist. In die­sem Fall könnte man Ziel 1 als Mittel zur Erreichung des Ziels 2 betrachten.

Beispiel: Nur wenn es gelingt, für Kfz einen Antrieb zu entwickeln, der unab­hängig von der Basis „Mineralöl“ arbei­tet (Ziel 1), wird die Motorisierung un­serer Gesellschaft (Individualverkehr) über die Reichweite der Mineralölvor­kommen hinaus möglich sein.

Schon aus diesen kurzen Bemer­kungen wird klar, dass im Zusammen­hang mit dem Planungsprozess von Sachsystemen der genauen Bestim­mung der Ziele unter Beachtung aller möglichen Randbedingungen (Markt, Kosten, Konkurrenzsituation des Un­ternehmens, Stellung des Unterneh­mens im Wettbewerb, zukünftig zu er­wartende Entwicklungen ...) ein hoher Stellenwert zukommt. Die Ergebnisse dieser Entscheidungen fließen in das sogenannte Pflichtenheft für die Kon­strukteure ein.

3.3. Der Prozess der Planung und Konstruktion technischer Sachsysteme

In der folgenden Tabelle soll am Bei­spiel der Planung und Konstruktion eines technischen Objekts sowohl der Prozess selbst als auch die Be­ziehungen zu den dabei verwendeten Methoden und Hilfswissenschaften aufgezeigt werden (siehe Tabelle auf Seite 44).

Bereits diese kurze Darstellung des Planungs­ und Entwicklungsprozesses für ein technisches Sachsystem macht deutlich, dass die spezifische Eigenart von Technik verfehlt wird, wenn sie nur

❍ als praktische, handwerkliche Tä­tigkeit oder als „Hausvater­Technik“ (Reparaturen im Haushalt)

❍ als Geschichte der Erfindungen oder der Erfinder

❍ als industrielle Tätigkeit

❍ als Anwendung von Naturwissen­schaften, oder

❍ als wirtschaftlicher Faktor zur Ra­tionalisierung und zur Steigerung des Ertrags und zur Erhöhung der Konkurrenzfähigkeit

verstanden wird.

3.3.1 Konstruktionsarten (nach [14])Die Einteilung des Konstruktionspro­zesses in einzelne Konstruktionspha­sen (Auswählen der Aufgabe – De­finieren der Aufgabe – Konzipieren – Entwerfen – Ausarbeiten) ergibt sich aus der Überlegung, dass im Verlauf der Arbeit an einer Konstruktions­aufgabe bestimmte Problemschwer­punkte auftreten, die mit Hilfe unter­schiedlicher Methoden gelöst werden.

Aus der Erfahrung ist aber bekannt, dass nicht immer alle Konstruktions­phasen durchlaufen werden müssen, z.B. wenn eine Konstruktion nach einem Kundenwunsch lediglich ab­geändert werden muss. Zweckmäßi­gerweise lassen sich also neben den Konstruktionsphasen vier Konstrukti­onsarten unterscheiden, die dadurch gekennzeichnet sind, dass bei ihrer Bearbeitung verschiedene Phasen durchlaufen werden müssen. Dabei wird bei dieser Zuordnung das Aus­wählen der Aufgabe weggelassen, da dieses in diesem Zusammenhang als bereits geschehen betrachtet werden kann (Bild 4).

Bei der Prinzipkonstruktion liegt das Funktionsprinzip und die Gestalt der Konstruktion fest, so dass die Aufgabe im Wesentlichen in der Ausarbeitung (Dimensionierung und Detaillierung der Einzelteile) besteht.

12

Konstruktionsphasen 4 Konstruktionsarten unterscheiden, die dadurch gekennzeichnet sind, dass bei ihrer Bearbeitung verschiedene Phasen durchlaufen werden müssen. Dabei wird bei dieser Zuordnung das Auswählen der Aufgabe weggelassen, da dieses in diesem Zusammenhang als bereits geschehen betrachtet werden kann.

Konstruktionsphasen

Kon- struktionsart

Definieren der

Aufgabe

Konzipieren Entwerfen Ausarbeiten

Neukonstruktion

X

X

X

X

Anpassungskonstruktion

X

X

X

Variantenkonstruktion

X

X

Prinzipkonstruktion

X

Bei der Prinzipkonstruktion liegt das Funktionsprinzip und die Gestalt der Konstruktion fest, so dass die Aufgabe im Wesentlichen in der Ausarbeitung (Dimensionierung und Detaillierung der Einzelteile) besteht. Beispiele sind Getriebe– oder Transformatorenreihen, bei denen ein einmal vorgegebenes Gestaltprinzip für alle Größen vorgeschrieben ist. Fertigungsunterlagen sind z.B. Prinzipzeichnungen mit freien Maßen.

Bei Variantenkonstruktionen liegt ebenfalls das Funktionsprinzip fest, nicht aber die Gestalt. Deshalb müssen bei der Bearbeitung die Schritte Entwerfen und Ausarbeiten durchlaufen werden.

Soll für bekannte Lösungen oder Teilen davon das Funktionsprinzip verändert werden, dann spricht man von einer Anpassungskonstruktion. In diesem Fall müssen 3 Phasen durchlaufen werden: Konzipieren – Entwerfen – Ausarbeiten.

Nur bei einer Neukonstruktion müssen alle Konstruktionsphasen durchlaufen werden.

3.3.2 Der Konstruktionsprozess im Detail: Konzipieren: Suchen nach Lösungsprinzipien

In der obigen Tabelle sind eine Reihe von Verfahren angegeben, die bei der Suche nach Lösungsprinzipien und Einzellösungen eingesetzt werden können: Brainstroming, Synektik, Methode 6.3.5, Morphologische Methode, Induzierte Kreativität, Ähnlichkeitsgesetze, Umkehrmethode usw.

Der Einsatz solcher Verfahren soll einerseits helfen, den kreativen Prozess selbst in Gang zu bringen, der beim Finden neuer Lösungen notwendig ist, andererseits soll dadurch eine möglichst große Lösungsvielfalt erzeugt werden, die eine Optimierung (Anforderungen, Wirtschaftlichkeit, Herstellung ...) auf die spezifische Aufgabenstellung hin erst möglich macht.

Bild 4

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tu: Sachinformationen Allgemeine Technikwissenschaften

Arbeitsschritt: Inhalt: Methoden, Hilfsmittel, Hilfswissenschaften:

1. Auswählen der Aufgabe:

Erkennen und Auswählen der Aufgabe: Kostenanalysen, Kundennachfragen, Festlegen des Entwicklungsauftrags

Vorstudien, Marktanalyse (Verbraucheranalyse, Trends), Nutzwertanalyse, Risiko­Analyse, Entscheidungsmodell

2. Definieren der Aufgabe:

Klären und Präzisieren der Aufgabenstellung: Aufgliedern in Teilprobleme, Sammlung von Informationen: Stand der Technik Festlegen der Hauptfunktion, Bestimmen der Teilfunktionen, Bestimmen der Funktionsstruktur

Checklisten Fachliteratur, Fachdiskussionen, Firmenliteratur, Patente, Normen, Gestaltungsrichtlinien, Technologische Grundlagen Funktionsanalysen, Funktionsdiagramme, Black­Box­Darstellungen

3. Konzipieren: Suche nach Lösungsprinzipien: dabei Verwenden von Effekten und Phänomenen der Natur: Anfertigen von Prinzipskizzen: Erarbeiten von Gestaltungsvarianten: Vergleichende Kostenabschätzung: Festlegen des Gestaltungskonzeptes:

Brainstorming, Synektik, Methode 6.3.5, Morphologische Methode, Induzierte Kreativität, Ähnlichkeitsgesetze, Umkehrmethode usw. Naturwissenschaften Konstruktionslehre Konstruktionslehre Wirtschftlichkeitsrechnung Konstruktionslehre, Ergonomie, ökologische Gestaltung

4. Entwerfen: Erarbeiten maßstäblicher Entwürfe: Überschlägige Berechnungen: Erarbeiten von Alternativen und deren Kosten: Technisch­wirtschaftliche Bewertung: Festlegen der Ausführung: Bau erster Muster Erproben der Muster, Messungen

Zeichenmaschine, CAD Tabellen, Formel­ und Handbücher Konstruktionslehre, Wirtschaftlichkeitsrechnung Wertanalyse, Plus­Minus­Methode, Bewertungsprofile, Problem­ und Entscheidungsanalyse. Nutzwertanalyse Versuchswerkstatt Prüfstände

5. Ausarbeiten: Detaillieren: Optimieren der Einzelteile: Erstellen der ersten Fertigungsunterlagen Fertigungstechnische Vorbereitungen Modelle und Prototypen Prüfung und Verbesserung – Fertigungsfreigabe

Zeichenmaschine, CAD Konstruktionslehre, ergonomische und ökologische Gestaltung FertigungslehreVersuchswerkstatt Prüfstände

6. Fertigen

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Allgemeine Technikwissenschaften tu: Sachinformationen

Beispiele sind Getriebe­ oder Transfor­matorenreihen, bei denen ein einmal vorgegebenes Gestaltungsprinzip für alle Größen vorgeschrieben ist. Fer­tigungsunterlagen sind z. B. Prinzip­zeichnungen mit freien Maßen.

Bei Variantenkonstruktionen liegt ebenfalls das Funktionsprinzip fest, nicht aber die Gestalt. Deshalb müs­sen bei der Bearbeitung die Schritte Entwerfen und Ausarbeiten durchlau­fen werden.

Soll für bekannte Lösungen oder Teilen davon das Funktionsprinzip verändert werden, dann spricht man von einer Anpassungskonstruktion. In diesem Fall müssen drei Phasen durchlaufen werden: Konzipieren – Entwerfen – Ausarbeiten.

Nur bei einer Neukonstruktion müs­sen alle Konstruktionsphasen durch­laufen werden.

3.3.2 Der Konstruktionsprozess im Detail: Konzipieren: Suchen nach Lösungsprinzipien

In der obigen Tabelle sind eine Reihe von Verfahren angegeben, die bei der Suche nach Lösungsprinzipien und Einzellösungen eingesetzt werden können: Brainstorming, Synektik, Me­thode 6.3.5, Morphologische Methode, Induzierte Kreativität, Ähnlichkeitsge­setze, Umkehrmethode usw.

Der Einsatz solcher Verfahren soll ei­nerseits helfen, den kreativen Prozess selbst in Gang zu bringen, der beim Finden neuer Lösungen notwendig ist, andererseits soll dadurch eine mög­lichst große Lösungsvielfalt erzeugt werden, die eine Optimierung (Anfor­derungen, Wirtschaftlichkeit, Herstel­lung ...) auf die spezifische Aufgaben­stellung hin erst möglich macht.

Im Folgenden sollen einige dieser Ver­fahren kurz vorgestellt bzw. erläutert werden (nach [15]:

Das Brainstorming:

Brainstorming heißt Gedankenblitz bzw. Gedankensturm. Es wurde 1957 von A. F. Osborn vorgeschlagen. Die Grundidee besteht darin, dass eine Gruppe aufgeschlossener Fachleute aus möglichst verschiedenen Erfah­rungsbereichen vorurteilslos Ideen produziert und sich von den geäu­

ßerten Gedanken zu weiteren Ideen und Vorschlägen anregen lässt. Da­mit soll erreicht werden, dass ganz unbefangen möglichst viele Einfälle und Assoziationen, die bisher noch nicht mit dem vorliegenden Problem in Verbindung gebracht worden sind, zur Lösungsfindung mit herangezogen werden.

Voraussetzungen für die Anwendung des Brainstorming:

❍ Es wird eine Gruppe mit einem Ko­ordinator gebildet, der allerdings keine Führungsaufgaben besitzen soll. Die Gruppe soll mindestens aus fünf und höchstens aus fünf­zehn Personen bestehen. Es hat sich gezeigt, dass kleinere Grup­pen nicht effektiv genug sind, da der Erfahrungsschatz in diesem Fall zu gering ist. Bei mehr als 15 Personen ist dagegen die aktive Mitwirkung des Einzelnen nicht mehr garantiert: Passivität und Ab­sonderung können auftreten.

❍ Die Gruppe muss nicht ausschließ­lich aus Konstrukteuren bestehen, sondern es sollen möglichst viele Fachleute aus verschiedenen Tä­tigkeitsbereichen vertreten sein. Auch das Hinzuziehen von Nicht­Technikern führt oft zu einer Berei­cherung des Ideenspektrums.

❍ Die Gruppe soll nicht hierarchisch zusammengesetzt sein, damit es nicht zu Hemmungen bei der Äuße­rung von ungewöhnlichen Einfällen und Ideen kommt.

❍ Die Brainstorming­Sitzung sollte nicht länger als eine halbe Stunde dauern. Wesentlich längere Zeiten bringen erfahrungsgemäß nichts Neues und führen zu unnötigen Wiederholungen. Ist das Problem für eine Sitzung zu komplex, so empfiehlt sich das Ansetzen von weiteren Sitzungen. Es ist auch möglich, unterschiedliche Such­bereiche festzulegen und für jeden Suchbereich eine andere Brainstor­ming­Gruppe einzusetzen.

Alle Mitglieder der Gruppe sollen ihre Gedanken und Ideen spontan äußern. Unter gar keinen Umständen darf in­nerhalb der Sitzung Kritik an einzelnen Ideen zugelassen werden. Auch die technische Realisierungsmöglichkeit soll nicht beachtet werden. Dies ist

eine der Aufgaben des Koordinators. Er hat die Aufgabe, die Sitzung zu or­ganisieren, zu Beginn das Problem zu schildern und während der Sitzung für das Einhalten der Spielregeln zu sor­gen. Hilfreich ist außerdem eine auf­gelockerte Atmosphäre.

Nach der Einführungsphase kommt die Phase der Ideensuche. Die vorge­brachten Ideen werden von den Teil­nehmern aufgegriffen, abgewandelt und weiter entwickelt. Dabei können auch mehrere Ideen miteinander kom­biniert werden. Alle Ideen und Vor­schläge werden aufgeschrieben oder elektronisch festgehalten.

Auswertung:

Nicht alle auf diese Weise entwi­ckelten Ideen sind brauchbar, des­halb müssen die Ergebnisse der Sit­zung von Fachleuten geordnet und auf Brauchbarkeit und Realisierbar­keit untersucht und ausgesucht wer­den. Daraus werden dann von der Konstruktionsabteilung mögliche Lö­sungskonzepte entwickelt.

Brainstorming­Sitzungen versprechen ein gutes Ergebnis, wenn

❍ noch kein realisierbares Lösungs­konzept vorliegt

❍ die physikalischen Effekte und Phä­nomene nicht bekannt sind

❍ man mit bekannten Konzepten nicht weitergekommen ist

❍ man von eingefahrenen, nicht mehr ausbaufähigen Lösungen wegkom­men will.

Die Methode 6.3.5

Sie wurde 1969 von B. Rohrbach aus den Brainstorming­Regeln entwickelt. Methode 6.3.5 bedeutet:

❍ 6 Gruppenmitglieder entwerfen

❍ je 3 Lösungen

❍ in 5 Minuten.

Wie beim Brainstorming wird auch bei der Methode 6.3.5 im Team gearbeitet; allerdings besteht hier die Möglichkeit, dass die Leistung eines Gruppenmit­glieds bei der Lösungsfindung rekon­struiert und beurteilt werden kann. Auch hier ist es vorteilhaft, wenn die Gruppe möglichst heterogen zusam­men gesetzt ist. Sie sollte vorzugswei­se aus 6 Personen bestehen.

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tu: Sachinformationen Allgemeine Technikwissenschaften

Nach der Klärung der Aufgaben­stellung und einer Einführung in die Technik der Lösungsfindung werden die Teilnehmer aufgefordert, jeweils 3 Lösungsansätze darzustellen. Diese Darstellungen können als Skizze, ver­bal oder als eine Kombination beider erfolgen.

Nach etwa 5 Minuten gibt jedes Grup­penmitglied seine Lösungsvorschläge an seinen Nachbarn weiter, der dann in den folgenden 5 Minuten Ergänzungen und Weiterentwicklungen der ange­botenen Lösungen seines Nachbarn vornimmt oder auch weitere Lösungs­varianten darstellt. Dieser Ablauf wird so lange wiederholt, bis alle ursprüng­lichen Lösungen je 5­mal überarbeitet worden sind.

Ähnlich wie beim Brainstorming ist auch hier ein kooperatives Verhalten der Gruppenmitglieder außerordentlich wichtig. Die angebotenen Lösungen dürfen nicht kritisiert oder verworfen, sondern müssen im Sinne des Lö­sungsgedankens weiter entwickelt bzw. ergänzt werden.

Vorteile des Verfahrens:

❍ Es wird systematischer gearbeitet als in einer Diskussion

❍ Jede Lösung wird weiter entwickelt und ergänzt

❍ Der Entwicklungsgang kann auch nachträglich verfolgt und der Urhe­ber des Lösungsprinzips ermittelt werden. Dies macht eine Leistungs­bewertung der Gruppenmitglieder möglich.

Nachteile des Verfahrens:

❍ Geringere Kreativität durch Isolie­rung der Gruppenmitglieder

❍ Spontane Ideen werden nicht so leicht zu Papier gebracht, da der Urheber festgestellt und kritisiert werden kann

❍ 5 Minuten sind in der Regel zu kurz, um 3 Lösungsvorschläge so zu Pa­pier zu bringen, dass der Nachbar diese verstehen kann.

Synektik:

Auch die Synektik ist ein dem Brain­storming verwandtes Verfahren, auch hier wird intuitiv gearbeitet. Der Unter­schied besteht darin, dass man sich bei der Ideenfindung bewusst durch

Analogien aus dem nicht­ oder „halb­ technischen“ Bereich anregen oder leiten lässt.

Die Methode wurde 1961 von W. J. J. Gordon entwickelt. Der Grundgedan­ke besteht darin, dass man – um das Lösungsfeld zu vergrößern – das tech­nische Problem zunächst verfremdet, indem man Analogien und Vergleiche zu anderen Lebensbereichen herstellt. Die dadurch gewonnene verfremdete Betrachtungsweise führt in der Regel zu neuartigen Gedanken für die Lö­sungsfindung. Aus diesem Vorgehen leitet sich auch der Name der Metho­de ab: „synechein“ (griech.) = etwas miteinander in Verbindung bringen, verknüpfen.

Bei der Anwendung der Methode soll nach folgenden Schritten vorgegangen werden:

❍ Analyse des Problems

❍ Anstellen von Vergleichen zu Pro­blemen aus anderen Lebensbe­reichen

❍ Analyse der Problemlösungen in anderen Lebensbereichen

❍ Entwicklung von Ideen aus der Lö­sungsanalyse

❍ Weiterentwicklung der Ideen zu Problemlösungen.

Eine Synektik­Gruppe besteht aus fünf bis sieben Teilnehmern, eine Sitzung kann bis zu zwei Stunden dauern. Um alle Einfälle aufschreiben zu können, wird ein Flip­Chart gebraucht.

Die Schwierigkeit bei dieser Methode besteht darin, dass man sich in der Verfremdungsphase (Analogiebildung) sachlich immer weiter vom gestellten Problem entfernt, so dass es oft nicht mehr möglich ist, aus der Lösung im fremden (analogen) Bereich wieder die Brücke zum eigentlichen Problem zu schlagen und dafür eine Lösung zu entwickeln.

Die Umkehrmethode:

Auch die Umkehrmethode soll festge­fahrene geistige Strukturen auflockern helfen, um so zu neuen Ideen zu kom­men. Das Prinzip, das dabei verfolgt wird, besteht darin, bekannte Funk­tionen, Bewegungen, Wirkprinzipien oder Strukturen „umzudrehen“ und dadurch zu neuen Formen zu kommen.

Beispiele:

❍ Wagen fährt/steht auf Rädern – Wagen hängt an Rädern (Schwe­bebahn)

❍ LED (elektrischer Strom à Licht) ➙ Fotoelement (Licht ➙ elektrischer Strom)

❍ Motor (elektrischer Strom ➙ Rota­tionsbewegung) – Generator (Ro­tationsbewegung ➙ elektrischer Strom)

❍ Lautsprecher („schwingender“ elektrischer Strom ➙ Schall) – Mi­krofon (Schall ➙ „schwingender“ elektrischer Strom)

❍ Drucker (digitalisierte Information ➙ Schrift/Zeichnung/Foto) – Scan­ner (Schrift/Zeichnung/Foto ➙ di­gitalisierte Information)

Die morphologische Methode:

Die morphologische Methode ist den systematisch­analytischen Methoden zuzurechnen, die Ideensuche erfolgt hier nicht durch spontane Einfälle oder nach einem Verfremdungs– oder Zufallsprinzip, sondern indem die Intuition durch eine systematische Methodik angeregt und unterstützt wird. Die Methode wurde 1966 von F. Zwicky vorgeschlagen und besteht darin, dass die Teilfunktionen eines technischen Systems und ihre mög­lichen Ausprägungen/Realisierungen in einer Matrix, dem sogenannten „morphologischen Kasten“ angeord­net werden.

Verbreitung:

Diese Methode ist die am zweithäu­figsten verwendete Methode, vor allem wegen ihrer universellen Einsetzbar­keit.

Voraussetzungen:

Es ist kein spezielles Training zum Er­lernen der Methode erforderlich, aber jeder Teilnehmer sollte über ein um­fangreiches Fachwissen verfügen. Für den kritischen Schritt der Bestimmung der Teilfunktionen ist es von Vorteil, Hilfstechniken wie Funktions­ und Ab­laufanalysen, Blockdiagramme usw. zu beherrschen.

Durchführung:

Die Aufstellung eines morphologischen Kastens erfolgt in fünf Schritten:

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47tu 157 / 3. Quartal 2015

Allgemeine Technikwissenschaften tu: Sachinformationen

❍ Umschreibung, Definition und ggf. zweckmäßige Verallgemeinerung des Problems

❍ Bestimmung der wesentlichen und möglichst voneinander unabhän­gigen Teilfunktionen, Subsysteme des Problems und ihre Anordnung in der Vorspalte der Matrix

❍ Ermittlung aller denkbaren Aus­prägungen/Realisierungen für jede Teilfunktion und Anordnung in der zur Teilfunktion gehörenden Zeile

❍ Bestimmung der Lösungsmenge: jede mögliche d.h. realisierbare Kombination je einer Ausprägung aus jeder Zeile stellt eine Lösung im morphologischen Kasten dar

❍ Auswahl der zieladäquaten Lö­sungen durch Markierungen in Form von Linienzügen.

Die Vorgehensweise folgt damit den heuristischen Prinzipien der systema­tischen Zerlegung komplexer Sach­verhalte in abgrenzbare Teile (Schritt 1 und 2), der systematischen Gestalt­variation der Einzelelemente (Schritt 3) und der systematischen Kombination von Einzelelementen zu neuen Ge­samtlösungen (Schritt 4 und 5).

Die Durchführung der Methode kann in Einzelarbeit oder in Kleingruppen vor­genommen werden. Da insbesondere zur Bestimmung der wesentlichen Pa­rameter ein tieferes Verständnis des Problemgebiets erforderlich ist, sollte die Problemlösungsgruppe überwie­gend aus Experten bestehen. Die Dau­er der Methode variiert zwischen meh­reren Stunden und mehreren Tagen.

Regeln für die Auswahl der Lö­sungskombinationen:

❍ Teilfunktionen und Teilfunktionsträ­ger nur dann miteinander verknüp­

fen, wenn sie miteinander verträg­lich, also wirklich kombinierbar sind

❍ Die theoretisch mögliche Gesamt­zahl der Lösungsfolgen muss auf eine geringe Zahl realisierbarer Konzepte beschränkt werden

❍ Die Auswahl der Lösungsfolgen ist durch einen Fachmann oder eine Fachgruppe vorzunehmen

❍ Alle ausgewählten Lösungsfolgen müssen die Forderungen der Anfor­derungsliste (Pflichtenheft) erfüllen

❍ Lösungsfolgen die unzulässigen Aufwand erwarten lassen, sind zu streichen.

Vorteile:

❍ Behandlung sehr komplexer Pro­bleme möglich

❍ Aufnahme vieler Informationen in verdichteter Form

❍ flexible Anpassung an unterschied­liche Problemstellungen

❍ klare und vollständige Darstellung des Problembereichs

❍ die Methode kombiniert Systematik mit Kreativität.

Nachteile:

❍ sehr arbeits­ und zeitintensiv

❍ fachlich fundiertes Wissen über den betreffenden Problembereich erforderlich

❍ Bestimmung der richtigen Parame­ter ist sowohl schwierig als auch erfolgskritisch

❍ Auswahl der besten Lösungen aus der besonders bei komplexen Pro­blemen fast unüberschaubaren

Anzahl möglicher Lösungen ist schwierig.

Beispiel: Uhr (nach [15])(Bild 5)

Das Suchen nach Lösungselementen (Realisierungen) für die Teilfunkti­onen kann selbst nach verschiedenen Methoden erfolgen, so eignen sich dafür hervorragend einschlägige Ka­taloge, in denen alle bekannten und bewährten Lösungen für bestimmte konstruktive Aufgaben oder für einzel­ne Teilfunktionen gesammelt sind. Für das Finden neuer Lösungselemente (leere Kästchen) lassen sich im Prin­zip alle anderen genannten Methoden einsetzen: Brainstorming, die Methode 6.5.3 oder Synektik usw.

Zu unterschiedlichen Gesamtlösungen kommt man dadurch, dass nach dem Aufstellen der Matrix für jede Teilfunk­tion aus den verschiedenen Möglich­keiten kompatible ausgesucht und mit­einander kombiniert werden, so wie es durch die rote Linie angedeutet wird.

Wird fortgesetzt!

Nachweise zu diesem Abschnitt: [2] Günter ropohl, Eine Systemtheorie

der Technik, Zur Grundlegung der All­gemeinen Technologie, Carl Hanser Verlag, München, Wien, 1979, 3. Aufl. Edition Karlsruhe 2009 unter: Allge­meine Technologie: Eine Systemthe­orie der Technik als Volltext abrufbar: http://digbib.ubka.uni­karlsruhe.de/volltexte/1000011529

[15 ] hans hintzen, hans laufenberG, ulrich Kurz, Konstruieren, Gestalten, Entwerfen, Vieweg, 2000, 4. Aufl. 2009

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